Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Als Tankred durch das Kirchdorf trabte, sah er zu seiner höchsten Überraschung Fräulein Helge mit der Frau Pastorin zusammen vor sich auftauchen. Dies bestimmte ihn, einen anderen Weg einzuschlagen, um das Wirtshaus zu erreichen, in welchem er sein Pferd einstellen wollte. Dort angekommen, forschte er die Wirtin aus, ob Besuch im Pastorenhause sei.

»Ja, schon seit längerer Zeit. Das Fräulein, das früher auf Holzwerder gewesen, befindet sich dort.«

Tankred wollte weiter fragen, aber sagte sich, daß man ihm hier doch Näheres, seine Neugierde Befriedigendes nicht werde mitteilen können.

Jedenfalls hockten nun zwei ihm sehr feindliche Personen zusammen, und heute einen Besuch bei Höppners zu machen, war zwecklos. Aber auch etwas Gutes lag wieder darin. Sicher würden Pastors jetzt Tressens auf Holzwerder nicht besuchen. Es war vielmehr anzunehmen, daß durch die Aufnahme Fräulein Carins im Predigerhause ein etwas gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Familien eintreten werde. Der Pastorin sah es freilich ganz ähnlich, keine ängstlichen Rücksichten zu nehmen, wenn sie von ihrer besseren Überzeugung geleitet ward. Ihr natürliches Selbstgefühl wurde durch den Umstand verstärkt, daß sie ihrem übrigens ziemlich viel älteren Manne ein nicht unbedeutendes Vermögen in die Ehe gebracht hatte. Sie konnten auch leben, ohne daß der Pastor sich in abhängiger Stellung mühte.

Während Tankred seinen Weg wieder zur Stadt nahm, machte er sich Gedanken über den Meinungsaustausch der beiden Frauen bezüglich seiner Person.

Die Pastorin würde wenigstens in der Hauptsache nicht mit ihren Eröffnungen zurückhalten, und die Helge würde triumphieren, daß sie ihn so richtig durchschaut hatte. Bei seinem feigen Sinne kamen ihm doch wieder recht schwere Bedenken. Wenn sich nun die Helge aufraffte und an Grete, ihre frühere Schülerin und Vertraute, eine Warnung ergehen ließ?

Sein Schuldbewußtsein drängte ihm plötzlich alle möglichen Vorstellungen auf, und er verlebte einen sehr unruhigen Tag. Einige Personen mußte er notwendigerweise beseitigen: die Helge, den alten Frege und die Pastorin. Daß damals Frege den Brief an ihn geschrieben, war ihm durch Vergleichung von Schriftstücken, die von dessen Hand herrührten, zweifellos geworden; auch lag es in der Natur der Sache, daß er zu Theonie hielt. Um so mehr drängte es Tankred, sich nun so rasch wie möglich Gretes zu versichern, und am nächsten Tage schon etwas ruhiger gestimmt, machte er sich denn auch um die Tischzeit auf den Weg nach Holzwerder, indem er diesmal den Postwagen benutzte.

Ein eigentümlicher Zufall führte es mit sich, daß auf der ersten Station zwischen Elsterhausen und dem Kirchhof Breckendorf der Pastor Höppner, welcher dort bei einer armen Familie einen Besuch gemacht hatte, einstieg. Er begrüßte Tankred mit gewohnter Höflichkeit und Unterordnung und gab sich auch in der Folge überaus beflissen und mit der ihn stets auszeichnenden liebenswürdigen Gutmütigkeit in seinem Wesen.

Tankred konnte sicherlich nichts erwünschter sein als diese Begegnung, da Höppner harmlos alles ausplauderte, was Brecken zu wissen wünschte.

»Wir kennen,« hub er an, »Fräulein Helge ja schon so viele Jahre, und meine Frau hat sich stets sehr freundschaftlich zu ihr gestellt. Sie schätzt ihren Charakter außerordentlich und empfand gleich lebhaftes Mitleid, als sie erfuhr, daß gewisse Umstände die Entfernung der Dame von Holzwerder ohne eine sofortige Aussicht auf eine andere Stellung erforderlich gemacht hätten.«

»Was war denn wohl die Veranlassung?« schob Tankred, sich unwissend stellend, ein.

»Darüber bin ich nicht unterrichtet,« entgegnete Höppner, langsam die Worte dehnend und in gewohnter Rücksicht ausweichend. »Es wird wohl auf beiden Seiten ein wenig Schuld sein, aber das ändert ja nicht die Notwendigkeit, daß wir uns der uns befreundeten Dame annehmen.«

»Sehr, sehr menschenfreundlich von Ihnen, Herr Pastor. Ganz Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin vortrefflichem Charakter entsprechend,« schob Tankred, glatt schmeichelnd, ein. »Wird Fräulein Helge länger bei Ihnen verweilen? Übrigens eine ausgezeichnete Dame, wie ich Ihnen beipflichten muß. Eine Dame, die ich hoch verehre, obschon wir uns einander wenig genähert haben.« – Tankred wußte, daß der immer zum Friedenstiften geneigte, gutherzige Höppner jedes Wort seiner Rede den Frauen hinterbringen werde.

»Fräulein Helge hat Aussicht, – ja, sieh! das wird Sie ja gerade sehr interessieren, und da Sie sie so schätzen, auch freuen, Herr von Brecken, – Gesellschafterin bei Ihrer Frau Kousine zu werden. Die Verhandlungen, durch meine Frau eingeleitet, haben guten Fortgang. Bis die Sache entschieden, bleibt sie bei uns.«

Tankred glaubte, daß ihn der Schlag treffen solle bei diesen von dem Pastor so arglos und mit so befriedigter Miene hingeworfenen Worten.

Das fehlte gerade noch! Theonie, Frege und das Geschöpf mit dem unerträglich affektierten Vornamen künftig zusammen auf Falsterhof! Tankreds Stimmung war die denkbar schlechteste. Wie würden sie ihn alle beobachten, und wie würden sie Buch führen, um nach fünf Jahren zu erklären, daß er des Erbes nicht würdig sei! Und alle die Katzenbuckel, die er den Dreien in so langer Zeit würde machen müssen, während er sie am liebsten an dem Kragen genommen und sie irgendwo auf eine wüste Insel geschickt hätte. Und dieser Pastor! Er ging in der Welt umher wie ein Blinder! Ungewöhnlich beschränkt war doch dieser Geistliche!

So ging es in Tankreds Innerm auf und ab, aber mit kräftiger Selbstbeherrschung wußte er gleichwohl seine Enttäuschung zu verstecken, pflichtete vielmehr, hoch erfreut über solche Möglichkeit, dem Pastor bei und verabschiedete sich von ihm, ohne zu verraten, daß er den Weg nach Holzwerder nahm. Er gab vielmehr vor, eine Einladung auf eins der in größerer Entfernung liegenden Güter erhalten zu haben.

Als Tankred, nachdem er den Postwagen an einer Wegbiegung verlassen und einen Fußpfad eingeschlagen hatte, durch das Gutsthor trat, sah er, daß Herr von Tressen mit einer Anzahl von Angestellten auf dem Hofe beschäftigt war. Auch die Damen standen nicht weit ab und schauten zu, wie die einzelnen Teile einer Dampfmaschine von einem ausgespannten Wagen abgehoben wurden. Nach rascher, freundschaftlicher Begrüßung wandten sich alle wieder der Thätigkeit der von Hederich angeleiteten Knechte zu. Aber es wollte nicht gelingen, den schweren Gegenstand, der jetzt an der Reihe war, herabzuheben; tief Atem holend, hielten die Beschäftigten inne.

»Erlauben Sie mir!« rief Tankred, welcher sah, daß die Damen den Vorgängen mit großer Spannung folgten, und schwang sich auf den offenen Lastwagen. Hier packte er mit wahrhaften Riesenkräften den unter den Dampfzylinder geschobenen Hebel, rief den Arbeitern zu, jenen nochmals anzufassen und abwärts zu drücken, und brachte nun gleichsam spielend zu wege, was allen Mühen bisher getrotzt hatte. Auch beim Niedersetzen der schweren Eisenmasse war er behülflich und stand, während die übrigen, nachdem das Werk gethan, sich pustend den Schweiß wischten, da, als ob es sich um eine Kinderei gehandelt hätte.

Auch am Nachmittag, nach Tisch, legte er Proben von der Stahlkraft seiner Arme ab, indem er auf Herrn von Tressens Veranlassung einen bisher nicht zu bändigen gewesenen Hengst bestieg und unter den Augen der Gutsinsassen und der Herrschaften um den Hof herum jagte. Es war, als sei die Legende vom wilden Reiter zur Wahrheit geworden!

Mehreremale machte das Tier, ein schwarzes Rassepferd, Sätze, daß die Umstehenden unwillkürlich aufschrieen und einen tödlichen Sturz schon vor Augen sahen, aber Tankred riß den Hengst herab, als ob in die schnaubenden Nüstern gebohrte unsichtbare Stahlstricke ihn niederzerrten, peitschte ihn zwischen die Ohren und über die Weichen und flog dann wieder in solcher Karriere über den Hof, daß die Funken aus dem Pflaster stoben.

Zuletzt stand das Tier auf einen einzigen Ruck schaumbedeckt, zitternd und bebend, der übermenschlichen Gewalt sich bedingungslos fügend, da.

»Herrlich! Wundervoll!« riefen Frau von Tressen und Grete, als Tankred abgestiegen war und sich ihnen näherte.

Auch Hederich war ganz hin.

»Drum und dran, das ist ein Stück, wie ich es noch nicht gesehen habe. Alle Achtung, Herr von Brecken,« stieß er heraus und bewegte in unbeschränkter Bewunderung den Kopf.

Tankred aber wandte das Auge zu Grete, und sie sah ihn mit einem Blicke an, der mehr sprach als alle Worte.

Dann aber trat an Tankred etwas anderes, weit schwereres heran. Herr von Tressen zog ihn vor dem Abendessen in sein Arbeitszimmer. Tankred wußte, daß nun das Schriftstück von Theonie zur Sprache kommen werde.

Noch war er nicht so verdorben, daß er der Vorlage des gefälschten Dokuments mit völliger Ruhe entgegen gesehen hätte; bisher hatte er gelogen und betrogen, auch sich Vorteile zu verschaffen gewußt, die seinen Brotherrn geschädigt hatten, aber doch nicht als direkter Diebstahl anzusehen waren. Aber vor Fälschungen war er bisher doch zurückgeschreckt! Nun beschritt er einen Weg, der ihn bei Entdeckung jeden Augenblick mit der Staatsgewalt in Berührung bringen konnte, und so peinigte ihn außer dem Rest von Ehrgefühl, das noch in ihm war, auch – die Furcht. Er sagte sich wie schon früher, daß er nicht dazu veranlagt sei, die Folgen eines Verbrechens auf sich zu nehmen, daß er nicht die mit der vollkommenen Verderbtheit verbundene und für sie erforderliche Seelenruhe besitze: und doch beschwichtigte er sich. Wenn das Schriftstück nicht in Tressens Händen blieb, wer konnte ihm dann etwas nachweisen? Er würde im Fall mit kühner Stirn leugnen und Tressen der falschen Verdächtigung zeihen. So zog er denn, sobald das Gespräch dazu Anlaß bot, das von ihm mitgenommene Papier hervor und überreichte es Gretes Vater mit voller Unbefangenheit.

Tankred beobachtete des Lesenden Züge. Ohne Zweifel; er hatte seine Sache gut gemacht! Tressen bewegte nach genommener Einsicht mit deutlicher Befriedigung den Kopf und legte, Tankreds geschickt abgefaßtem Kommentar ebenfalls mit größter Genugthuung zuhörend, das Papier neben sich auf den Tisch.

Er schien das Schriftstück einstweilen behalten zu wollen, aber Tankred ließ seinen Zweck nicht aus dem Auge. »Der letzte Passus» – schob er in seine Rede ein, nahm die gefälschte Akte an sich und entfaltete sie, »bedarf auch nach anderer Richtung hin noch einer Erklärung. Gestatten Sie. Es heißt da – –«

Nun las er vor, und nachdem er zu Ende gelesen, ließ er das Papier, nachdem er es noch eine Weile in den Händen gehalten, gleichsam unwillkürlich in seine Brusttasche zurückgleiten.

»Würden Sie erlauben, daß ich auch meine Frau mit dem Inhalt des Schriftstückes bekanntmache?« fiel Tressen ein und streckte mit höflicher Bewegung die Rechte aus. »Ich lege es dann morgen dankend in Ihre Hände zurück. Ich hoffe doch, daß Sie die Nacht noch bei uns bleiben, wenn Sie uns nicht gar einige Tage schenken können? Sie wissen, unsere Fremdenzimmer stehen allezeit für Sie bereit!«

Tankred schwankte. Was Tressen ihm über sein Bleiben vorgeschlagen, stimmte sehr mit seinen Wünschen überein, aber das Papier auch nur zeitweilig von sich zu geben, hieß alles aufs Spiel setzen! Sie konnten, ohne ihm etwas mitzuteilen, Abschrift davon nehmen, die Kopie Theonie vorlegen! Was er selbst gethan haben würde, mutete er anderen zu.

»Natürlich! Mit Vergnügen,« bestätigte er trotzdem. Aber mit der Geistesgegenwart, die ihm eigen war, fügte er hinzu: »Verzeihen Sie die Frage, mein hochverehrter Herr von Tressen, ob es vielleicht möglich wäre, daß wir jetzt gleich im Beisein Ihrer Frau Gemahlin einmal die ernsten Dinge, die wir vorhaben, einer Besprechung unterziehen. Offen bekannt, habe ich keine Sekunde Ruhe mehr. Ich möchte etwas Gutes aus dem Munde Ihrer Frau Gemahlin hören; sie wird auch wissen, ob ich mir bei Ihrem Fräulein Tochter Hoffnung machen kann. Später, wenn Gäste eintreffen, ist die Gelegenheit zu einer vertraulichen Unterhaltung abgeschnitten. Eine Nacht der Ungewißheit raubt mir den Schlaf. Sie lächeln! Aber Sie werden sich der Zeit erinnern, wo Sie um Ihre Frau Gemahlin warben, das wird Sie für meine Bitte nachsichtig stimmen. Ich möchte für den Fall auch gern Ihre künftigen Angelegenheiten besprechen, Ihnen gleich meinen Standpunkt darlegen. Verzeihen Sie, daß ich das so ausspreche, so unbescheiden vorzugreifen wage, aber ich fühle mich – der Himmel möge verhüten, daß ich in meinen Hoffnungen betrogen werde – bereits als ein Teil der Familie, deren Vertrauen mich würdig zu zeigen ich stets aufs eifrigste bestrebt sein werde.«

Diesem Wortschwall erlag Herr von Tressen. Er neigte kavaliermäßig das Haupt, bat Tankred, einen Augenblick zu verziehen, und holte seine Frau herbei. –



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