Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Fast zehn Monate waren vergangen. Der Sommer war lange ins Land gezogen, und seit dem Vorerzählten hatte sich vieles verändert.

Tankred von Brecken hatte Grete von der Linden heimgeführt und befand sich, während Tressens sich nach wie vor auf Holzwerder aufhielten, schon seit seiner Heirat mit ihr auf Reisen. Der Pastor erfreute sich seiner alten Gesundheit, predigte wie früher von der Kanzel, hörte die energischen Reden seiner Frau und horchte auf Lenchens süßes Geplauder, und endlich war auch Theonie, nachdem sie ihre Rückkehr Tankreds halber immer von neuem aufgeschoben hatte, nunmehr wieder auf Falsterhof eingezogen.

Aber noch etwas anderes, das im Winter in der Schwebe gewesen, hatte Gestaltung gewonnen. Carin war Theonies Gesellschafterin geworden und aus dem Pastorenhause, wo man ihr so freundlich zuvorkommend Gastfreundschaft geboten hatte, nach Falsterhof übergesiedelt. Carin schien, seitdem sie neben Theonie einherging, um Jahre verjüngt.

Nicht ganz so erfreulich standen die Dinge auf Holzwerder. Herrn von Tressens Gesundheitszustand war nicht der beste; es machten sich Leiden bei ihm bemerkbar, die ihn häufig auf längere Zeit ans Zimmer oder gar ans Bett fesselten. Die freie Bewegung ward ihm gehemmt. Empfang von Gästen im eigenen Hause und Besuche bei Freunden in der Nachbarschaft mußten eingeschränkt werden.

Gretes Mutter fühlte zum erstenmal eine starke Vereinsamung; unheimlich drängte es sich ihr auf, daß das Alter sich nahe, daß allerlei Verzicht geboten erscheine, und statt des früheren raschen ein mehr beschauliches und auf die Pflege des Körpers gerichtetes Leben notwendig und weise sei. Aber noch etwas anderes drückte sie: Es war doch so ganz anders geworden, seitdem ihr Mann und sie die Herrschaft auf Holzwerder hatten abgeben müssen, sie waren nicht mehr der alleinige Mittelpunkt in der Wirtschaft; man fragte sie nicht wie früher, und sie trafen keine Entscheidungen.

Schon durch die Beschränkung auf die ihnen oben im Schloß eingeräumten Zimmer wurden sie täglich an die eingetretene Veränderung erinnert. Die Gewohnheit, zu herrschen, zu gebieten, wirkte nach, und mit dem Verlust stieg der Reiz. Wenn Hederich über Gutsgeschäfte sprach, so war es des neuen Herrn Wille, dem er sich fügte. Hederich mußte Tankred allwöchentlich berichten und empfing Anweisungen von ihm.

Das junge Paar war nur deshalb noch nicht zurückgekehrt, weil Grete neuerdings an einer fieberartigen Erkrankung, die zwar keinen ernstlichen Charakter angenommen hatte, aber doch den Aufschub der Weiterreise erforderlich machte, daniederlag.

Die Briefe, welche das junge Ehepaar schrieb, atmeten nicht gerade übermäßige Wärme. Tankred machte zwar glatte Worte, aber sie erschienen auch eben nur als solche, und Grete gab sich, wie sie war: kühl und verstandesnüchtern. Über das Verhältnis zu ihrem Manne schrieb sie nichts; ob sie glücklich sei, erwähnte sie mit keiner Silbe. Ihre Berichte beschränkten sich auf Schilderungen der Länder, die sie besuchten, auf Reiseeindrücke und auf ihr Befinden.

Gelegentlich blickte auch etwas von Sehnsucht nach Holzwerder durch. Ihre Heimat sei doch am schönsten, hatte sie geäußert, aber das war das einzige gewesen, was ihr Veranlassung zu einer Empfindungsäußerung gegeben hatte.

Seine lange Abwesenheit begründete das junge Paar durch den Umstand, daß sie, abgesehen von Gretens Unpäßlichkeit, beide noch nie etwas von der Welt gesehen hätten; sie wollten nun die Gelegenheit nützen. Deutschland, England, Paris, die Schweiz und zuletzt Italien hatten sie auf kürzere oder längere Zeit berührt.

Neuerdings verkehrte Hederich sehr viel bei den Alten, fast jeden Abend kam er, spielte Whist oder plauderte und berichtete, was ihm die Spatzen zugetragen.

Er hielt mit seinem kühlen Urteil über Tankred auch jetzt nicht zurück, aber gestand zu, daß sein neuer Herr für vieles einen richtigen Blick habe und gut zu disponieren verstehe.

»Er wird's auch bald allein machen, drum und dran! Weshalb noch einen Verwalter halten und bezahlen?« hatte er schon hingeworfen und auf die Einwände der beiden Tressens hinzugefügt: »Ja, ich sagte auch bezahlen, gnädige Frau. Er ist wie das Fräulein, er sieht auf den Schilling.«

Tressens fühlten, daß Hederich recht habe; in den letzten Wochen vor der Hochzeit hatten sich allerlei kleine Dinge bemerkbar gemacht, die nur wegen mangelnder Veranlassung früher nicht zum Ausdruck gelangt waren. Ihrer Kinder Engherzigkeit hatte Tressens gestört, aber gerade sie, die es nicht verstanden, zu hüten, schätzten doch auch wieder deren Sparsamkeitssinn, wenn schon ihr Temperament sie einmal hinriß, sich dagegen aufzulehnen.

Wenn die Alten allein waren, gaben sie ihren Gedanken rückhaltslos Ausdruck; Befürchtungen, die durch die Abmachungen vor der Hochzeit beseitigt zu sein schienen, machten sich leise vorahnend wieder geltend.

Grete und Tankred hatten ihnen ein Drittel der Jahreserträgnisse des Gutes überwiesen und ihr Einverständnis erklärt, daß die Alten im Schloß wohnen blieben. Wenn sich später herausstellte, daß doch ein so enges Zusammenleben nicht zuträglich sei, so verpflichteten sie sich, ihnen eine Wohnung in Elsterhausen für ihre Bedürfnisse einzurichten, ohne allerdings gehalten zu sein, sie noch besonders zu bezahlen.

Grete hatte ihren Eltern diese nach wiederholten Beratungen mit Tankred aufgesetzten Punkte eines Tages als ihren unabänderlichen Willen unterbreitet, ja, das Aktenstück ihnen gleich unterschrieben auf den Tisch gelegt. Der Rechtsanwalt hatte Tressens in einem privaten Schreiben geraten, anzunehmen, was ihnen geboten wurde. Es sei doch möglicherweise auch in ihrem Interesse, daß eine Trennung stattfinde, und der materielle Punkt sei nicht wohl anfechtbar, da die Überweisung eines Drittels aus den Einkünften koulant zu nennen sei. –

Es war mitten im Juni, an einem das Gemüt erheiternden, sehr schönen Sommertage, als nach Tisch ein Brief von Grete eintraf, der nunmehr verkündete, daß Breckens zurückkehren würden.

Zufälligerweise hatten sich Theonie und Carin, welch letztere nach wie vor von den guten Gesinnungen der beiden Tressens stete Beweise erhielt, auf Holzwerder zum Nachmittag angemeldet. Zwischen Theonie und Tressens hatte sich aus naheliegenden Gründen ein freundschaftlicher Verkehr entwickelt, und die Neigung, sich häufiger zu begegnen, war dadurch verstärkt worden, daß Hederich, der bei Theonie viel aus- und einging, ein für die Herbeiführung einer Annäherung erprobtes Mittel fleißig zur Anwendung brachte. Er berichtete beiden Gruppen das Günstige, was sie übereinander geäußert hatten.

Theonie hatte es sich zum Gesetz gemacht, ein Urteil über Tankred Tressens gegenüber nicht abzugeben; sie wollte ihnen ihren guten Glauben nicht nehmen, auch lag es in ihrer Art, Kritiken über Nebenmenschen auszuweichen. Sie schien auch Carin in diesem Sinne beeinflußt zu haben. Es kam aus dem Munde Carins nie mehr ein tadelndes Wort über den inzwischen der Familie Tressen so nahegerückten Mann.

»Wir wollen nun die alten Dinge ruhen lassen, Frege!« hatte Theonie nach ihrer Rückkehr auch gegen letzteren geäußert. Sie fühlte, daß sie, wenn sie auch durch die damaligen Erregungen entschuldigt wurde, nicht recht gehandelt hatte, ihren Diener als Wächter und Berichterstatter über Tankred anzustellen. Das in ihr wohnende, Milde heischende Gerechtigkeitsgefühl kam immer wieder zum Ausdruck.

Frau von Tressen hatte für die erwarteten Gäste im Garten in einer Laube den Kaffee servieren lassen und sich eben dahin begeben, als der Gutsbote Gretes Brief brachte.

»Lies ihn noch rasch vor, ehe Frau Cromwell kommt,« bat Herr von Tressen seine Frau und lehnte sich in einen der Gartenstühle zurück.

Sie nickte und sagte – schon hatte sie das Schreiben zur Hälfte durchflogen – : »Wie sonderbar sie sich doch brieflich ausdrückt, und wie eigentümlich sie die Sätze formt!«

Dann begann sie:

›Liebe Mama!

Tankred meinte anders. Ich meinte aber, daß zu viel weniger sei. Er dann auch. Das ging vorher, und ich sage es, weil wir erst eben schrieben, die Reise sei noch aufgeschoben. Wann wir kommen? Wir wollen direkt reisen, aber es hält uns ein schöner Punkt, ein Wald, eine Aussicht, eine Bekanntschaft unterwegs länger; dann später. Erst, wenn wir Euch ganz nahe, melde ich den Tag bestimmt. Man freute sich damals fortzugehen. Jetzt anders. Oft kann ich es kaum erwarten, in meinem Stübchen zu sitzen. Bitte, die Blumen! Vergiß sie nicht. Wie schön, daß Papa besser ist. Das giebt ruhige Stimmung; man wünscht sie herbei, immer draußen und drinnen hell. Wer liebt es nicht? So vieles ist zu erzählen, aber zu viel läßt gar nicht reden. Man weiß nicht, wo beginnen und wo enden! Es sollte doch anders sein. Ich berichte Dir mündlich alles. Daß das Korn so schön steht, schreibt Hederich. Auch eine gute Nachricht. Ich bin ganz hergestellt, da beschäftige ich mich mehr mit Euch. Das will ich auch, und Ihr wollt es. Man soll die Funken anblasen. Wer sich immer recht verstände! Tankred ist klarer. Wenn er nicht so rasches Blut hätte, ganz zielbewußt. –

Lebt der große Hahn noch? Sonderbar! Vorige Nacht hörte ich ihn immer krähen, und Hederich stand in Hemdsärmeln dabei und sagte: »Drum und dran, er ruft Sie, Fräulein Grete!« Grüß ihn besonders!

Deine Grete.‹

Als Frau von Tressen eben den Brief zu Ende gelesen, erschien Peter und meldete, daß die Damen und auch Höppners ihm auf dem Fuße folgten.

»Welch angenehme Überraschung,« stieß Frau von Tressen heraus und eilte, von ihrem Manne gefolgt, den Gästen entgegen. Höppners hatten auch Lene mitgebracht, die ihr Händchen gab und sich dann gleich einem kleinen Hausteckel, der sich unter dem Tisch verkrochen hatte und nun hervorkam, zuwandte. Während die Herrschaften gemütlich plaudernd beim Kaffee saßen, erschien auch noch Hederich, von allen lebhaft begrüßt, besonders aber von der Pastorin.

»Sie wissen wohl gar nicht mehr, wo wir wohnen, lieber Hederich!« hub sie an. »Wie lange ist's her, daß Sie nicht in Breckendorf waren! Aber ich weiß, was Sie jetzt viel mehr anzieht. Unsere Frau Theonie und gewisse andere Personen haben uns ausgestochen! Freilich, das ist begreiflich, ich muß es zugestehen!« schloß sie mit liebenswürdiger Neckerei, halb Hederich, halb Carin mit ihren Blicken streifend.

Über Carins Gesicht flog ein Lächeln. Hederich aber erging sich, da er sich getroffen fühlte, in sehr ernsthaften Gegenreden, die dann den gutmütigen Pastor zu dem Versuch veranlaßten, die Wirkung der Worte seiner Frau abzuschwächen.

»Ja, ja, gewiß die Entfernung!« bestätigte er. »Breckendorf liegt so weit, und Sie sind gerade jetzt so sehr beschäftigt. Meine Frau sagt immer alles, was ihr gerade auf die Zunge kommt. Das kennen Sie ja bei ihr!«

»Herr Hederich ist ein eifriger Schachspieler geworden,« nahm nun auch Theonie das Wort. »Das zieht ihn nach Falsterhof. Fräulein Carin ist eine gute Lehrmeisterin –«

»Ja, drum und dran, das ist wahr, aber strenge ist sie,« lachte Hederich. »Erst in voriger Woche gab's viel Tadel, und von einer Versetzung nach Prima war nicht die Rede.«

»Sie werden vielleicht bald besser spielen als ich, Herr Hederich!« fiel Carin ein. Und zu den übrigen gewendet, fuhr sie fort: »Es ist auch ganz anders, als er sagt. Er hat mich schon einigemale matt gemacht! So steht die Sache!«

Das Gespräch ging jetzt auf andere Gegenstände über. Der Pastor lobte Herrn von Tressens vortreffliche Zigarren, und die Pastorin und Frau von Tressen, die Lene vom Spielen abgerufen hatte, um ihr einen Kuchen zuzustecken, waren plaudernd um die Kleine beschäftigt.

»Haben Sie schon die Rosen unten im Garten gesehen, Fräulein Carin?« fragte Hederich nun die eifrig über eine Arbeit gebückte Gesellschafterin Theonies.

»Nein, Herr Hederich! Sind sie besonders schön dies Jahr?«

»Na ob!«

Es trat eine Pause ein. Früher, als Carin auf Holzwerder gewesen war, hatten Hederich ihr gegenüber die Worte nie gefehlt. Seitdem aber sein Mitgefühl erwacht war, und später die Entbehrung, Carin nicht mehr täglich zu sehen, sich in ihm geregt, auch Vergleiche sich ihm aufgedrängt hatten zwischen diesem reifen, ernsten Mädchen und anderen, hatte er all seine Unbefangenheit verloren.

Und sie half ihm gar nicht. Sie saß stets da mit einem eigentümlich still lächelnden Gesicht, mit Mienen, durch die sie sich, wie er meinte, über ihn stellte.

Freilich wenn sie dann die freundlichen Augen aufschlug und ihn anblickte, war der störende Zug fort. Dann mußte er an sich halten, um ihr nicht gleich um den Hals zu fallen.

Einmal war in Hederich der Gedanke aufgestiegen, Carin Helge zu heiraten. Aber als sei er von einer Schlange gebissen, so war er, über sich selbst erschrocken, aufgesprungen. Er war schon über die Vierzig, und sie höchstens siebenundzwanzig. Schon dieses in seinen Augen bestehende Mißverhältnis verhinderte, dem Gedanken Folge zu geben. Und dann war sie sehr gelehrt, sprach mehrere Sprachen und hatte Kenntnis von Dingen, die er kaum dem Namen nach kannte. Sie hatte zum Beispiel jüngst Macaulays Geschichte von England gelesen. Schon der Name des Autors! Der Teufel konnte ihn aussprechen. Und dann hatte sie so feine, weiße Finger und Handgelenke und hielt sich so überaus sauber, – ihre Kleidung machte immer den Eindruck, als sei sie eben aus der Wäsche gekommen, – und endlich entstammte sie einer sehr angesehenen Familie. Ihr Großvater hatte einen Gesandtenposten bekleidet, und nur durch besonders schwere Verhältnisse war sie veranlaßt worden, ihre Heimat zu verlassen, sich für einen Beruf auszubilden und damit ihr Brot zu verdienen.

Nein, nein, das konnte nie etwas werden. In der Nachbarschaft hatten schon mehrere junge Gutsbesitzer ihr Interesse für sie durchschimmern lassen, aber sie hatte ihnen nicht einmal einen Blick gegönnt. Und nun war sie gerade in dem letzten Jahre, seitdem sie von Holzwerder fortgegangen, so viel schöner geworden; alle fanden es. Ihre dunklen Augen strahlten lebhaft, während sie sich früher stets in sich selbst zurückgezogen hatten. Ihre fast zu schlanke Gestalt hatte sich gerundet. Das Gesicht war voller, ebenmäßiger geworden.

Und was war dagegen er? Wenn ihn die Pastorin neckte, so geschah's eben, weil sie ihn für gänzlich ungefährlich hielt. Ihr Zartgefühl hätte ihr sonst solche Bemerkungen verboten. –

Seinem Wunsche aber, Carin die Rosen zu zeigen, ward Hederich später, nachdem man noch ein allgemeines Gespräch gepflogen hatte, doch näher gerückt, als die Damen die Absicht äußerten, sich ein wenig Bewegung im Garten zu machen. Sobald sich die übrigen erhoben, legte auch Carin ihre Arbeit beiseite.

»Sehen Sie hier, Fräulein Carin!« bat nun Hederich, der sich zuerst mit Lene zu schaffen gemacht und sich dadurch von den beiden sitzenbleibenden Herren zu trennen gewußt hatte, bei einer Wegbiegung. »Wollen Sie nicht einmal die Blütenpracht in Augenschein nehmen? Drum und dran! So war's noch in keinem Jahre.«

Carin nickte unbefangen und trat, während die anderen in den Buchensteig einbogen, um auf der dort am Ausgang befindlichen Höhe einen Ausblick zu gewinnen, mit Hederich an das mit niedrigem, stark duftendem Buchsbaum eingefaßte Rondell.

Nachdem Carin die Rosen bewundert hatte, sagte sie: »Ich finde, daß der Garten nicht mehr so schön gehalten wird, wie früher. Schade! Woran liegt das?«

»Drum und dran, an dem, was Sie selbst wissen. Herr von Tressen kränkelt viel und kommt nicht heraus. Und dann, dann, Fräulein Carin, es ist doch nicht der frühere Zug drin. Die Alten dürfen sich in nichts mehr mischen. Die jungen Herrschaften haben den Besitz angetreten, und nun ist natürlich das Interesse für vieles nicht in alter Weise da.«

»Ich höre, Breckens haben heute geschrieben, daß sie die Rückreise angetreten haben. Sie werden in einigen Tagen erwartet. Das führt dann auch wohl für Sie manche Änderung mit sich, Herr Hederich?«

»Drum und dran! Ja gewiß! Wissen Sie, was ich glaube, Fräulein Carin?« Hederich sprach den Namen sehr breit, er verstand's nicht anders.

»Nun, Herr Hederich?«

»Ich glaube, meine Tage sind hier überhaupt gezählt. Herr von Brecken will selbst herrschen, auch die Ausgaben verringern. Sie wollen's beide. Na, Sie kennen's ja am besten. Ich hab' mich auch schon an den Gedanken gewöhnt. Am Ende, leben kann ich, so viel habe ich! Vielleicht pachte ich mir irgendwo etwas oder kaufe mir einen kleinen Besitz. – Aber, drum und dran, – leicht wird's mir doch nicht werden – leicht schon nicht, weil – weil –«

»Weil man sich schwer von der Scholle trennt, auf der man so lange fleißig wirkte und erfolgreich thätig war,« fiel Carin ein. »Ja, das begreife ich. Die Liebe für das hiesige Land und die Menschen waren ja neben der Frau Pastorin eifrigem Zureden auch für mich der Grund, zu bleiben. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich nicht der Peinlichkeit ausgesetzt, wieder mit Grete in Berührung zu treten. Wie leichten Herzens hat sie mich gehen lassen!«

»Es hat sie viel beschäftigt, es hat ihr auch weh gethan, ich sagte es Ihnen schon, Fräulein Carin. Es war ja nur, weil sie über Herrn von Brecken so abfällig urteilten. Sie mußten doch, drum und dran, merken, daß sie ein Auge auf ihn hatte, da war es, – nichts für ungut, unvorsichtig und auch etwas hart von Ihnen, ihn so in Mißachtung zu bringen. Was man lieb hat, mag man sich nicht von anderen verleiden lassen. Aber passen Sie mal auf, es wird alles gut gehen, wenn sie wiederkommt. Sie wird ganz die alte sein.«

»Nein, nein, das ist vorbei. Ich will auch nicht wieder und habe nur bei Frau Cromwell die Erlaubnis erwirkt, den späteren Gesellschaften hier im Hause fern bleiben zu dürfen. Sie denken noch immer viel zu gut über die Menschen, Herr Hederich. Es ehrt Sie, es beweist, daß Sie ein goldenes Herz haben. Aber Sie werden auch noch enttäuscht werden. Ich freue mich nur, daß Sie sich die Dinge mit Herrn von Brecken schon klar gestellt haben. Kein Jahr dauert's, dann ist's vorbei. Ich rate Ihnen, zu kündigen, damit er es nicht thut.«

»Sie meinen – ?« schob Hederich ein und sah Carin erst ein wenig erschrocken und dann mit einem traurigen Blicke an, ja, obschon er sich dagegen wehrte, trat ein silberner Punkt in sein Auge.

»Nun, Herr Hederich, was ist's? Habe ich Ihnen durch meine Offenheit unangenehme Empfindungen bereitet? Ah – ah – das thut mir weh!« Und sanft begütigend schloß sie: »Ich kann mich ja irren, lieber Herr Hederich!«

»Nein, das ist's nicht,« sagte der Mann mit einfacher Würde. »Ich wurde ein büschen weich, weil – weil – weil ich, nein, ne, ich kann's nicht sagen, Sie könnten es falsch auslegen –«

»Ich lege gewiß nichts falsch aus, Herr Hederich. Im Gegenteil! Und es beunruhigt mich, daß ich durch Beipflichtung Ihrer eigenen Voraussetzung schon früher den Abschiedskummer in Ihnen wach gerufen habe, als es nötig war. Übrigens einen Mann, wie Sie, wird man überall mit offenen Armen aufnehmen. Sie werden bald wieder an anderer Stelle Freunde finden und sich dann auch glücklich fühlen; dessen bin ich sicher, und das ist mir eine Beruhigung.«

»Wie Sie das so schön ausgedrückt haben, Fräulein Carin! Und wie viel Teilnahme Sie für mich an den Tag legen! Wenn Sie wüßten, wie nur das wohl thut, und wie ich überhaupt –« Er brach ab, und seine Stimme zitterte.

In diesem Augenblicke kam der Teckel, der sich von der anderen Gruppe getrennt hatte, herbeigelaufen, drängte sich an Hederichs Beine und sprang an Carin empor.

»Drum und dran! Jetzt nicht. Mach', daß du wegkommst, Puffmann!« rief Hederich höchst ärgerlich und verscheuchte den Hund. Aber als er sein Auge mit dem früheren, werbenden Ausdruck auf Carin richtete, sah er über ihr Angesicht ein leise spöttelndes Lächeln fliegen. Und das störte ihn so, ja, schnitt ihm so ins Herz, daß ihm das Wort erstarb, und daß er mit einem »Drum und dran! dieser Köter, oft möchte man ihm den Hals umdrehen!« Carins Bewegung, sich zu entfernen, folgte und stumm den Weg zur Laube zurücknahm. Als sie sich dem Platze näherten, drang lebhaftes Plaudern an ihr Ohr, und dazwischen hörten sie der Frau Pastorin helle Stimme. –

Vor dem Abschied bat Theonie in ihrer gewinnend liebenswürdigen Weise Tressens, an einem der kommenden Tage das Mittagessen bei ihr einnehmen zu wollen. Auch lud sie Hederich ein und nannte einige Familien der Umgegend, die sie gleichfalls aufgefordert hatte.

Als bei dieser Gelegenheit erwähnt wurde, daß einer der von Theonie erwarteten, in der Nähe von Breckendorf wohnenden Gäste die Gegend verlassen und seinen kleinen Besitz, Haus, Hof, Park und Stallung, verkaufen wolle, sagte Herr von Tressen:

»Das wäre so ein Gewese nach meinem Herzen, wenn ich mich jemals von Holzwerder trennen müßte. Elsterhausen in einer Viertelstunde erreichbar, und Breckendorf in nächster Nähe, die schöne Lage und das wirklich splendid eingerichtete Haus – da läßt sich leben! Wem hat's eigentlich ursprünglich gehört, Hederich?«

Aber schon nahm der Pastor zum Verdruß Hederichs, der nun einmal gern für diese Dinge der Auskunftsgeber sein mochte, das Wort und erteilte Herrn von Tressen Antwort. Auch Theonie fügte einige Worte hinzu und äußerte: »Es ruhte aber niemals Segen auf den Familien, die dort gewohnt haben. Alle kamen später in Bedrängnis. Der abgetrennte, alte Herrensitz hat ja auch nichts als einen Park, bringt also keine Einkünfte, sondern kostet nur Geld. Höchstens ein paar Hühner und eine Kuh können da gehalten werden.«

»Ja höchstens! Drum und dran, nur für reiche Leute bewohnbar,« betätigte Hederich, um doch wenigstens seiner Ansicht auch Geltung zu verschaffen.

»Wann treffen Ihre Kinder ein?« fragte Theonie, sich zum Abschied erhebend. »Ich möchte Ihrer Tochter einige Blumen zum Willkommen senden.« Frau von Tressen gab Antwort, und alle setzten sich nach dem Hof, auf dem der Wagen von Falsterhof bereits wartete, in Bewegung.

Wenig später hatten Theonie, Carin und auch Höppners, die in einem flinken Landfuhrwerk eingetroffen waren, Holzwerder verlassen.

»Wir erwarten Sie also nachher zum Whist, Hederich,« rief noch Herr von Tressen, der unter Beihülfe seiner Frau hinkend den Weg nach dem Schloß nahm und Hederichs höflichen Gruß durch das Lüften des Hutes erwiderte. Und Hederich rief ein »Zu Befehl, Herr von Tressen« zurück, obschon seine Gedanken in diesem Augenblicke wenig bei der Sache waren.

Als er in sein wein- und epheuumschattetes Haus eintrat, murmelte er: »Sie grüßte noch einmal vom Wagen herunter. Ja, das that sie. Wenn dieser verdammte Puffmann nicht gewesen wäre, dann, – dann, – drum und dran! Ich hatte so schöne Gelegenheit, ihr ein büschen Andeutung zu geben – –«



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