Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Herr von Tressen warf eben noch einen prüfenden Blick auf die heute reicher als sonst im kleinen Speisezimmer hergerichtete Tafel, als der Diener bereits Herrn von Brecken von Falsterhof anmeldete.

»Bitte, sehr angenehm! Führe Herrn von Brecken ins Empfangzimmer und benachrichtige die gnädige Frau.«

Tankred schaute sich mit prüfendem Auge in dem Raume um, in den ihn der Diener geführt hatte. Eine große Eleganz trat ihm entgegen. An den Wänden hingen wertvolle Gemälde, die Polstermöbel waren mit Seide bezogen, und die Fensterpaneele und Teile der Wände in Weiß und Gold gemalt.

Und nun öffnete sich die Thür, und Frau von Tressen, eine ungewöhnlich stattliche Erscheinung mit lebhaften Augen, einer energisch geschnittenen Nase und vollen Formen, trat ihm mit ausnehmender Liebenswürdigkeit entgegen. Sie verwickelte Tankred sogleich in ein anregendes Gespräch, an dem kurz darauf auch die übrigen Hausbewohner teilnahmen.

Herr von Tressen war ein starker Fünfziger, dem man die Spuren einer flotten Lebensweise ansah. Sein Gang war ein wenig unsicher, und die Augen hatten etwas Mattes, aber sein Gesammtäußeres war, durch eine gewählte Kleidung gehoben, doch ungemein sympathisch. Er glich einem Major außer Dienst und trug in dem scharf markierten Gesicht einen starken Schnurrbart.

Besonders anziehend aber sah Grete aus. Sie hatte ein mausgraues Kleid an, das vollendet saß, und ihren schlank geformten Hals umschloß ein kleiner, aufrechtstehender Kragen. Ihre Züge waren auch heute kalt, solange sie nicht sprach, wenn sie aber den etwas sinnlichen Mund öffnete, und ein Lächeln ihn umspielte, wenn Ausdruck in ihre Augen trat, war sie von einem unwiderstehlichen Reiz.

Diesem unterlag auch Tankred, der bei Tisch und in der Folge alles aufbot, um sie und ihre Umgebung zu gewinnen.

Halb freimütig, halb zurückhaltend, stets von ausgesucht zarter Artigkeit, niemals mit Beifall zurückhaltend, immer seine Worte wägend, verstand er es, durch sein Komödienspiel alle, bis auf die Gesellschaftsdame, Fräulein Helge, zu täuschen.

Die letztere blieb nicht nur zurückhaltend gegen ihn, sondern legte sogar einen gewissen Widerstand an den Tag, indem sie einigemale seinen Worten entgegentrat. Freilich geschah das nicht in Formen, die es auch für die übrigen erkennbar machten, daß sie ihn zu brüskieren trachte, aber Tankred mit seinem scharfen Spürsinn wußte, daß sie sich gegen ihn auflehnte, und er in ihr eine Gegnerin zu besiegen habe.

Indessen schien sie auf Grete keinen Einfluß auszuüben. Tankred bemerkte sogar einmal, daß etwas von widerspenstigem Trotz in Gretes Augen aufblitzte. Das freute ihn, obgleich ihn die Unendlichkeit ihrer Blicke fast erschreckte. In der Seele dieses Mädchens war nichts Nachgiebiges, sie ging ihren eigenen Weg, und sicher gehörte sie nicht zu den vielen sanftmütig sich unterordnenden, auf eine eigene Meinung verzichtenden jungen Geschöpfen, die mit blindem Idealismus in die Ehe gingen und sich den später eintretenden Enttäuschungen geduldig fügten.

Nach eingenommenem Kaffee mußte Tankred die Malereien der Frau des Hauses, die nicht ohne Talent ausgeführt waren, in Augenschein nehmen; man sprach mit Interesse und Verständnis über Politik, Litteratur und Kunst, und Grete ward aufgefordert, etwas zu spielen und zu singen, was sie ohne Einwendungen that.

Ihre Stimme war schön, und ihr Spiel technisch vollendet, aber allem fehlte doch die rechte Wärme.

»Sie müssen einmal von einer starken Leidenschaft ergriffen werden, dann wird Ihr Gesang alles in den Schatten stellen, gnädiges Fräulein,« wagte Tankred zu sagen, und Grete von der Linden sah ihm so scharf und beinahe herausfordernd in die Augen, daß es ihn fast verwirrte.

Sie besaß nichts von schüchterner Verlegenheit; vielmehr schien sie sagen zu wollen: Prüfe mich, ob ich kalt bin, und mich nicht schon eine Leidenschaft ergriffen hat. Aber Tankred kannte die Frauen. Es gab viele, die in solcher Weise zum Tändeln aufforderten, sich aber mit sittlicher Entrüstung zurückzogen, sobald ein Mann ihnen besondere Aufmerksamkeiten erwies.

Solche Weiber reizt es, Herz und Gemüt der Männer zu beunruhigen, auch haben sie Interesse für sie, und es steigert sich, solange jene unempfindlich bleiben. Sobald die Männer aber an den Tag legen, daß ihre Sinne in Aufruhr geraten, ziehen sie sich gleichgültig von ihnen zurück.

Tankred wendete die Taktik an, Grete von der Linden mit äußerster Aufmerksamkeit zu begegnen, aber ihre Eifersucht und ihr Nachdenken wach zu rufen, indem er mit ungemessenem Lob und gleich großer Begeisterung von anderen Frauen und Mädchen sprach.

»Es ist das schönste, geistreichste und klügste Geschöpf, das mir im Leben vorgekommen ist,« warf er, eine Äußerung einer gerade erwähnten Dame geschickt in das Gespräch einflechtend, hin. »Ich hatte auch das Glück, von ihr ausgezeichnet zu werden, aber ein einziger Zug genügte, um mich verzichten zu lassen.«

»Und der war?« fiel Grete, ihre Neugierde nicht verbergend, ein.

Tankred machte eine ausweichende Bewegung und lächelte in überlegener Weise.

»Nun?« drängte Grete, während sie, wie zufällig, einige Schritte ins Nebengemach that, durch die sie sich und ihren Begleiter dem Gesichtskreis der übrigen entzog.

»Sie mißhandelte,« entgegnete Tankred, indem er eine kleine Rokoko-Nippesfigur, die auf dem Schreibtisch stand, ergriff und sie in seiner Hand drehte, »ihre Zofe wegen eines geringen Versehens in unerhörter Weise und verdoppelte noch die Züchtigung, als diese ihr nachwies, daß nicht sie, sondern die Dame selbst an der ihr vorgeworfenen Unterlassung schuld sei.«

»Ja, eines Fehlers geziehen zu werden, gefällt niemandem,« entgegnete Grete, Partei nehmend. »Jedenfalls war die Zofe wenig klug, gerade in dem Augenblick in solcher Weise den Vorwurf von sich abzuwälzen.«

»Sie legen durch Ihre Bemerkung eine sehr nüchterne Auffassung der Dinge an den Tag, gnädiges Fräulein. Das ist beneidenswert –«

»Finden Sie es beneidenswert, wenn das Gemüt bei einem nicht mitspricht?« Diesmal klang etwas Weicheres durch den Ton ihrer Stimme.

»Allerdings. Man will lieber Herr als Sklave sein, und ersteres ist man nur, wenn man den Verstand als Kommandeur vor seine Truppe stellt. Ah – tausendmal um Verzeihung –« unterbrach sich Tankred, dem bei den letzten Worten die Nippesfigur aus den Händen fiel, und der beim Herabbeugen zu seinem Schrecken gewahrte, daß ihr ein Arm abgeschlagen war.

Er dachte, daß Grete die Sache leicht nehmen und ihn beruhigen werde, aber statt dessen zeigte sie einen deutlichen Verdruß und sagte: »Die Figuren stammen noch von den Eltern meines Großvaters, sie sind sehr wertvoll, fast unersetzlich, da man heutzutage solche Übergangsfarben nicht mehr zu komponieren weiß.«

Als hierauf Tankred abermals Worte des Bedauerns sprach, schloß sie, kaum hinhörend, die Kunstfigur in ein Schränkchen ein und sagte: »Sie gehören zu den Menschen, die alles anfassen müssen. Man sagt, solchen hafte ein Diebssinn an.« Die letzten Worte begleitete sie zwar mit einer lächelnden Miene, sie sprach sie, als ob sie nur einen Scherz habe machen wollen, aber Tankred erschrak doch heftig, und für Sekunden war ihm Grete fast unheimlich.

»Ich werde mich zu bessern suchen,« stieß er mit einschmeichelnder Artigkeit heraus. »Und Sie haben mir vergeben, gnädiges Fräulein? Nicht wahr, ich darf ein wenig Hoffnung hegen?«

Gleichzeitig sah er sie mit seinen bezwingenden Augen an, flüsterte die letzten Worte in doppelsinniger Betonung und preßte einen den Eindruck derselben verstärkenden, weichen Kuß auf ihre Hand.

Und Grete wehrte ihm nicht, sie gab seinen Blick zurück, aber in ihren Augen erschien nicht der Strahl reiner, aus der Seele quellender Hingebung, sondern etwas Leidenschaftliches, das er in ihr anzufachen verstanden hatte. –

Bei einem vor dem Abendessen unternommenen Spaziergang fand Tankred noch einigemal Gelegenheit, sich Grete auf kurze Zeit ohne Zeugen zu nähern.

Sie sprach davon, daß sie sich darauf freue, wieder einen Teil des Winters in Hamburg zuzubringen, und fragte mit einem von Tankred nicht unbemerkten, interessierten Blick, ob er künftig auf Falsterhof wohnen oder das Gut verlassen werde.

»Ein herrliches Erbe ist Ihnen und Ihrer Frau Kousine in Falsterhof geworden,« warf sie sondierend hin.

Tankred nickte, als rede sie von etwas Unbestreitbarem; er machte durchaus keine Einwendung.

Grete schien sehr befriedigt; unmittelbar darauf gestattete sie ihm eine Blume, die sie gepflückt, an sich zu nehmen. Auch lächelte sie mit einem die Sinne anfachenden, reizenden Lächeln vor sich hin, als Tankred trivial, aber überzeugend klingend, sagte: »Von allen Andenken, die ich der Güte schöner und kluger Frauen verdanke, ist dies Blümchen das wertvollste.«

Beim Souper plauderte er absichtlich fast nur mit der Frau des Hauses, – es war eine alte Weisheit: Wer die Tochter gewinnen will, muß die Mutter erobern! – und nach aufgehobener Tafel unterhielt er sich bei der Zigarre so ausschließlich mit Herrn von Tressen, daß die Damen eine Handarbeit ergriffen und sich in die Rolle der Zuhörer fügten. Nur eine nahm einmal das Wort, Carin Helge. Sie sprach von einem Schauspiel, das sie gesehen. In ihm habe ein gefährlicher Mensch in die gute Gesellschaft einzudringen gewußt und alle getäuscht, bis auf die Gouvernante. Sie habe ihre Umgebung gewarnt und dadurch ein Verbrechen verhütet.

»Und das Ende?« fragte Grete, als sie eine Pause machte.

»Das Ende war ein Totschlag –«

»Was verhandelt ihr da Schreckliches?« fragte Herr von Tressen lachend. »Es klingt ja entsetzlich –«

Tankred aber bestätigte Carins Erzählung mit gleißnerischer Unbefangenheit und sagte – und sie verstand ihn – : »Sie vergessen, gnädiges Fräulein: es kommt zweimaliger Totschlag in dem Stücke vor. Erst beseitigt der Verbrecher seine Angeberin, dann unterliegt er selbst dem Schicksal.«

Und als sie hierauf nichts erwiderte, sondern nur mit den Lippen zuckte, gab Grete dem Gespräch eine andere Wendung und bat Tankred, einige Handfertigkeiten zum besten zu geben, von denen er ihr gesprochen. Da er darin Meister war, erntete er großen Beifall, auch ahmte er Tierstimmen nach und erregte dadurch namentlich Gretes Bewunderung.

Es war für ländliche Verhältnisse schon spät, als der Stallknecht Tankreds Fuchs vorführte. Unter einem »Auf Wiedersehen am Schluß der Woche« und einem »Vergessen Sie es nicht!« von Grete, dem Frau von Tressen lebhaft beistimmte, nahm der Gast Abschied.

Nach Falsterhof zurückgekehrt, zog Tankred das Pferd selbst in den Stall und zäumte es ab. Von Klaus war nichts zu sehen. Aber er ereiferte sich darüber nicht, sein Kopf war so voll von Gedanken und Anschlägen, daß nur sie sein Innerstes beherrschten.

Auf dem Flur brannte die Lampe, Max knurrte wie immer und beruhigte sich erst allmählich. Nun hallten Tankreds Schritte über die Steinfliesen, und er öffnete die Thür seines Gemachs. Das erste, was sein Auge traf, war ein weißes Kuwert, das auf dem Tisch lag. »Ah – ! Sicher eine Antwort von Theonie!« Er griff, ohne den Hut abzunehmen und sich des Reitmantels zu entledigen, ungestüm danach und las:

›Da ich morgen Falsterhof verlasse, mußt Du Dich bei Deinem Entschluß, noch hier zu bleiben, schon allein einrichten und mich entschuldigen. Wenn Du mir noch etwas zu sagen hast, – ich möchte sonst bitten, Dich mit Justizrat Brix, der über alles orientiert ist, in Verbindung zu setzen, – muß es morgen vormittag um halb elf beim zweiten Frühstück geschehen. Um elf Uhr habe ich den Wagen bestellt.

Theonie.‹

»Also doch!« murmelte Tankred. Auf der einen Seite befriedigte ihn der Inhalt dieser Zeilen außerordentlich. Sie räumte das Feld, und er konnte nach seinem Belieben bleiben; auf der anderen Seite aber entzog sie ihm die Gelegenheit, auf sie einzuwirken. Daß er sie trotz der Entschiedenheit ihres Charakters allmählich würde einschüchtern können, schien ihm zweifellos; er wußte, daß sie Furcht vor ihm empfand, und ihr würde sie unterliegen. Durch eine einzige Unterredung aber konnte er nichts erreichen, besonders wenn sie am hellen Tage stattfand. Die Nacht, das Grauen mußte helfend einwirken. – Der Mann warf den Kopf zurück. Sie sollte nicht reisen, wenigstens eine Woche mußte sie noch bleiben. Alle seine Künste wollte er aufwenden. – Künste? Theonie gegenüber? Doch wohl ein vergebliches Beginnen! Sie durchschaute ihn so gänzlich, daß nichts verfing. Nein, nur ein Appell an ihren Gerechtigkeitssinn, unterstützt durch indirekte und gegebenenfalls direkte Drohungen, konnte zum Ziel führen. – Daß er sich auch von seiner Leidenschaft hatte hinreißen lassen, da er doch wußte, ein Werben, in welcher Form es immer geschehe, sei zwecklos! Es war, um sich selbst zu ohrfeigen! Wäre das nicht geschehen, so würde er jetzt eine Neigung zu Grete von der Linden als Vorwand benutzen. Er könnte erklären, es sei möglich, deren Hand zu erwerben, wenn er über ein Erbteil zu verfügen habe. –

Plötzlich schoß Tankred ein Gedanke durch den Kopf. Es hatte ihm einmal jemand erzählt, daß der Beamte eines großen Hauses in Amsterdam bei der Werbung um die Hand der Tochter des Chefs die abweisende Antwort erhalten habe: »Ja, wenn Sie einmal Compagnon von Watkin in London sind, dann kommen Sie wieder, dann läßt sich über die Sache sprechen!« Der junge Mann war alsdann nach London gereist und hatte den Chef des Hauses Watkin gefragt, ob er ihn als Teilhaber aufnehmen wolle. Er sei der Schwiegersohn von van der Huyssen, dem sechzigfachen Millionär in Amsterdam. Auf diese Weise war er in den Besitz des Mädchens gelangt, das er liebte, und war zugleich Mitbesitzer vieler Millionen geworden.

Unter solchen Gedanken legte sich Tankred zu Bett. Noch einmal hörte er draußen ein Geräusch, als ob jemand langsam an seine Thür schleiche; auch Max knurrte mit rasch wieder ersterbendem Laut auf. – Dann aber war's still, und von Träumen umgaukelt, schlief Tankred von Brecken bis zum Morgen.



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