Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Einunddreißigstes Kapitel.

»Still, mein Wolf!« sagte Jetta zu dem Thiere, das sie wie toll umlärmte, bald in die Höhle, bald in den Wald jagte, mit glänzenden Blicken die Herrin anschaute und wiederum in die Höhle schoß. »Still, mein treuer Genosse, hier haben wir nichts mehr zu thun, wir müssen wandern.« Das Nöthigste zur Wegfahrt und kleine Erinnerungszeichen raffte sie dann zusammen und trat im Mantel, mit einem kleinen Bündel in der Hand, das Haupt mit dem weißen Schleier verhüllt, wieder hervor, um ihre Wanderung anzutreten. Die Ebene des Rhenus glänzte ihr im Abendlichte zwischen den kahlen Stämmen entgegen. Das Thal, das sie verlassen sollte, war in Gold getaucht. Ein wehmüthiges Gefühl des Scheidens von dem Schauplätze ihrer Freuden und Leiden ging durch ihre Seele. Sie schaute hinauf nach den Buchen des Mons Piri, die sich dunkel von dem Himmel abhoben, sie blickte dem goldenen Laufe des Nicer nach, der in der dunkelblauen Ebene sich verlor, sie sah den Wodanwald und die hohe Kuppe des Mons Valentmiani düster in den Abendschatten ragen und da drüben, wohin sie nun wandern wollte, erglänzten die bläulichrothen Berge Galliens, gleich einer Verheißung, daß die Götter auch für sie noch Sonnenschein übrig hätten, daß auch für ihr sturmverschlagenes Herz noch ein stilles Asyl vorhanden sei, wo Blumen blühen, wo Lämmer an friedlichen Abhängen weiden und eine Hütte, in der das Glück wohne für sie so gut, wie für Andere. Eine mildere Stimmung kam über sie und sie wendete sich noch ein Mal nach ihrer Grotte zurück. »Lebe wohl, du traute Höhle«, sprach sie, »die du Jetta bargst, als das Ungewitter an ihrem Himmel stand, du stille Klause, wo ich allein war mit meinem Gram und meiner Stimme nur deine Stimme Antwort gab. Auch du lebe wohl, du schönes Thal! Dein neues Grün werde ich nicht mehr schauen, aber ich segne dich für alle Blumen, mit denen du den Garten meiner Kindheit schmücktest!« Dann suchte ihr Auge noch einmal den Abhang drüben, den die Abendsonne mit hellem Feuerscheine übergoß und hinter dem Arator's Villa lag. »Lebt wohl ihr alten Bäume, unter denen ich an Ihn mein Herz verlor und du plaudernder Marmorquell, an dem ich meine Mädchenträume träumte. Mögest du Andern gleich süße Geschichten erzählen, und lasse sie freudiger enden«, setzte sie traurig hinzu. Mit einer Thräne im Auge wollte sie scheiden. Aber der Wolf neben ihr schlug an und ließ ein böses Knurren vernehmen, das bedeutete, daß ein Feind in der Nähe sei. In der That vernahm Jetta ein Geräusch, das sich verstärkte und bald von allen Seiten auf sie eindrang. Es war wie das Rauschen vieler Schritte ringsum im dürren Waldlaub und dann wieder wie das Summen einer aufgeregten Menschenmenge. Der Wolf sprang einige Schritte vor und heulte wild, so daß Jetta unwillkürlich nach einer Waffe ausschaute. Aber sie fand nichts als den zerbrochenen Haselstecken, den ihr der Priester vor die Füße geworfen. Er war halb geschält und sah mit seiner weißen und schwarzen Schlangenwindung aus wie der Stab der Circe. Ihn nahm sie an sich. Vielleicht hätte sie noch fliehen können, aber sie dachte nicht daran. War ihre Stunde gekommen, so wollte sie würdig enden und sie dankte den Göttern, daß sie ihr Werk der Rache an dem treulosesten von Rothari's Mördern noch hatte vollbringen dürfen.

Die Kunde, daß Jetta geächtet sei, hatte sich wie ein Lauffeuer unter den Bewohnern des Thales verbreitet und nirgend wurden lautere Rufe der Schadenfreude gehört als im Pagus der Nemeter, wo die lateinischen Colonen frohlockten, daß der Verrätherin nunmehr ihr Lohn werde. Vor allem lärmte und tobte der kleine Volcius, der Jetta den Ruin seines Handels und sein ganzes Elend zuschrieb. Auch die Alamannen standen an den Ufern des Nicer beisammen und wunderten sich, daß der König so rasch den Beschluß des Volksdings betreibe. Sie konnten sich nicht sofort entschließen, den harten Spruch an der Verfehmten zu vollziehn. Beide Gruppen ließen ihre Blicke herüber und hinübergehn, um zu sehen, was die Andern thun würden. Die Welschen setzten sich zuerst in Bewegung. Volcius und seine beleibte Gattin und der dicke Cybelepriester riefen in die Häuser, alles solle sich aufmachen und der Hexe die Höhle ausräuchern. Man müsse ihr heimzahlen, was sie an dem Lager und den Dörfern gefrevelt. Als die Welschen aufbrachen, beschlossen auch die Alamannen mitzuziehen. Nicht als ob ein großer Haß sie geleitet hätte wie die Welschen, aber sie wollten sehen, was vorgehe. Böse Buben dachten im Stillen, ihre Lust zu büßen, zu plündern, Lärm zu machen. Die Frauen schlossen sich an, um Böses zu verhindern, die Kinder weinten, daß die freundliche Frau ausgetrieben werden solle und liefen um Schonung bittend neben den Alten her. Der kleine affenartige Volcius war allen vorausgeeilt, aber am Eingang zum Walde hielt er still. Er fürchtete, die Zauberin könnte ihm ein Uebel auf den Hals wünschen. Erst als auch der germanische Haufe in Sicht kam, ging er mit seinen Genossen und seinem Weibe zögernd im Walde vorwärts. Plötzlich aber hielt er wieder an. Er hatte das Heulen des Wolfes vernommen und überlegte sich, daß er keine Waffe habe, falls das Thier ihn an der Kehle nehme. So waren die Alamannen die Ersten, die bei der Höhle ankamen. Mit finsteren Blicken starrten sie auf die zum Abzug gerüstete Zauberin, die sie mit strenger, und kalter Miene musterte. Den abergläubischen Wilden graute vor diesem bleichen Antlitz und diesen dämonischen Augen, die keinerlei Furcht verriethen. Die Kinder drängten sich ängstlich an ihre Mütter und die Frauen sahen die Schutzlose bang und mitleidig an. Nun erst getraute auch Volcius mit seiner Rotte sich herzu. »Verlegt ihr den Weg«, schrie er, »sie darf nicht weg, die Mordbrennerin, knüpft sie auf vor ihrer Höhle.« Da richtete Jetta sich stolz zu ihrer ganzen Höhe auf und schwang mit ihrer Zauberruthe einen Kreis durch die Luft und rief zornig mit drohender Stimme: »Wer diesen Cirkel überschreitet, ist ein Kind des Todes.« Laut aufschreiend wich die dicke Lucia Veria rückwärts; ihr tanzten alle Farben vor den Augen. Der schwarzweiße Stab schien Funken zu sprühen und sie fürchtete, sie sei innerhalb des gebannten Bezirks. Jetta aber nützte ihr Entsetzen. »Verstehst du, was die Raben krächzen?« rief Jetta ihr zu, »nach deinem Fleische! nach deinem Fleische!‹ Schaut diesen Wolf an«, fuhr sie fort und ließ ihre dunkeln Augen drohend im Kreise umhergehn. »Er war ein Mensch wie ihr; ich habe ihm Wohlthaten erwiesen, ihn gepflegt, als er krank war, ihm von Rom erzählt und allem Großen. Er aber verrieth mich – da wandelte ich ihn zu einem Wolfe.«

Das Thier hörte sich nennen, hob das Haupt und leckte Jetta die Hände, als sie ihn aber rauh zurückstieß, begann er kläglich zu heulen. Wieder schrie Lucia Veria auf vor Entsetzen, daß das Thier die Aussage der Zauberin bestätige. Jetta aber schritt mit funkelnden Augen gegen das tückische Ehepaar vor: »Ich werde dich in eine Gans verwandeln«, fuhr sie auf die Zitternde ein, »und dich in einen Affen für deine Bosheit, falls ihr nicht heimkehrt.« Zornig hob sie ihre gesprenkelte Zauberruthe, ihre großen Augen stammten, aber bereits rannte Dame Lucia Veria heulend den Abhang hinunter, denn eine solche Metamorphose schien ihr gar nicht unmöglich und schimpfend folgte ihr der feige Gatte.

»Was suchst du hier, unwürdiger Schlemmer, Verräther der großen Göttin?« herrschte Jetta nun den feisten Cybelepriester an. »Soll ich Gratian berichten, wie du mit den Germanen dich verbündest?« Da zog auch er sich zurück. Er konnte dieses entsetzliche Auge nicht ertragen. »Kniet, Kinder«, sprach Jetta jetzt sanft zu den Kleinen, »kniet«, und gewohnt der Waldfrau zu gehorchen, sanken die Kinder eines nach dem andern nieder. »Kniet nieder!« wiederholte Jetta herrisch den Frauen, »daß euch meine Götter nicht strafen«, und ihre Augen blitzten. Eines der Weiber nach dem andern folgte dem Beispiel der Kleinen. Nur die Männer lehnten trotzig an den Bäumen. Ueber Jetta aber war der Wahnsinn der Pythia gekommen. Mit wilder Gebärde und flammenden Augen wendete sie sich gegen die Männer: »Auf den Knieen sollt ihr vernehmen, was mein Gott euch sagt!« Ihre aufgelösten Haare flogen im Winde, ihr malerisch zur Reise umgeworfener Schleier wehte wie ein fliegender Fittich um ihr Haupt, ihr Auge sprühte Flammen und sie erhob ihren Circestab und stürzte sich auf den Nächsten, der bleich am Baume stand. Sie hatte in diesem Augenblicke die Empfindung, daß sie dem Himmel gebieten könne, seine Blitze auf diese stumpfen Barbaren zu schleudern. »Nieder«, rief sie, »nieder«, und sie streckte ihre Hand nach dem Säumigen aus, aber ihm graute vor der Berührung mit dem schwarzgeringelten Stabe und er warf sich schaudernd zur Erde. Da folgten auch die Andern. Tief aufathmend, stand Jetta jetzt in der Mitte des knieenden Volkes. Ihre Wangen glühten von dem Sturme der Leidenschaft, ihr Busen wogte, sie mußte sich erst sammeln, um zu der Menge zu reden. Als die Männer vom Boden her tückische Blicke nach ihr sendeten, was sie nun eigentlich vorhabe, sahen sie die Zauberin im Strahle der Abendsonne, von grellem Lichte übergossen. In ihrem hellen Gewande stand sie vor der dunkeln Höhle wie eine Feuerflamme.

»Ich habe euch Gutes gethan«, begann sie nun mit ihrer mächtigen, dunkeln Stimme, »ich habe euch Glück gebracht von der ersten Stunde an, da ihr mich auf dem Berge sahet; ich habe euch dieses Thal gegeben, ich wies euch die Wege, ich erstürmte euch das feste Lager, ich habe mein Volk gedemüthigt und euch erhoben, ich habe euch die Quellen gezeigt, die ihr nicht kanntet. Ich segnete euere Felder, ich gab euch blauen Himmel und fruchtbare Gewitterregen zu rechter Zeit, ich lehrte euch, was gut und was groß ist und wollte euch mächtig und weise machen. Ihr aber lohntet mir mit Undank. Ihr löschtet mir das Feuer, an dem ihr euch an kalten Tagen gewärmt, ihr widersagtet mir den Quell, aus dem ich euch zu trinken reichte, wenn ihr dürstetet, ihr kündetet mir den Frieden, den ich euch predigte. Ich habe euere Kinder gespeist, gelehrt, unterwiesen und ihr habt die Hand verflucht, die sich rege, um mir zu helfen. Klaglos soll mich beschimpfen Freier und Knecht, so lautete euer alberner Spruch. Zwischen Himmel und Erde wolltet ihr mich hängen, sagte der Freche, daß die Sonne meinen Leib anscheine und Krähen und Raben ihn verführen und verzehren. So hieß ja wohl die Narrenrede eueres Sunno, der in Schande grau ward und des greisen Wulf, der seine weißen Haare am Tage vor seinem Tode noch schändet. Ihr Thoren, als ob ihr Macht hättet, Jetta zu kränken, die den Strom rückwärts wird fließen lassen, wenn es ihr gefallt, und Sonne und Mond widereinander wirft, wenn es ihr gut dünkt. Glaubt ihr, ich wäre hier geblieben, wenn ich euch fürchtete oder Jetta hätte euere Pläne nicht gekannt, sie, die das Klingen der Sterne vernimmt und versteht, was die Wolken rauschen? So höret nun, wie Jetta sich rächt!« Ein Schauder lief über das Volk hin und die Weiber erhoben bittend ihre Hände. »Ich segne dieses Thal«, begann Jetta nach einer Pause, mit weicher melodischer Stimme. »Ich segne es, daß es euch Früchte bringe vor allen andern Thälern des Wodanwaldes. So weit Sonne den Schnee schmilzt, so weit der Himmel sich wölbt, so weit Winde brausen und Männer Korn säen, so weit der Habicht stiegt, soll sein Auge nichts Schöneres schauen als diese Hügel, als diesen Fluß, als diese Gauen. Fische sollen wimmeln in dem grünen Strome, süße Trauben sollen reifen an diesen sonnigen Hügeln, euere Hütten sollen Häuser werden, euere Dörfer Städte, auf des Berges Rücken sollen Fürsten in Schlössern wohnen und von Morgen und Abend, von Mitternacht und Mittag sollen sie kommen und den Segen schauen, den Jetta auf dieses Thal gelegt. Höre es, du Volk der Alamannen, das ist Jetta's Rache!« Die Kinder fingen an zu weinen, die Frauen schluchzten. »Und nun lebt wohl«, sagte Jetta kurz. »Lebe wohl«, »verzeihe uns«, »habe Dank«, sprachen hier und dort thränenerstickte Stimmen. Jetta aber war bereits mit ihrem Wolfe in dem dämmernden Walde verschwunden. Niemand wagte, sie aufzuhalten, niemand ihr zu folgen. Sie aber ging mit festen Schritten und gehobenen Hauptes zwischen den kahlen Stämmen weiter. Der ganze Römerstolz, das ganze Vollbewußtsein ihrer höheren Macht war wieder über sie gekommen. Konnte sie noch zweifeln, daß sie so gut als Circe und Medea eine Zauberin sei? Sie zweifelte nicht. Ihre Wangen glühten im Triumphe, ihre Augen blitzten und sie warf stolz die dürren Blätter auseinander, die um ihre Füße rauschten, als ob sie allen Widerstand der Welt auf gleiche Weise zu zerstäuben gedenke. Selbst der Wolf schien zu wissen, daß sie gemeinsam einen großen Sieg erfochten. Er gebärdete sich wie toll, wälzte sich fröhlich in dem dürren Laube und umkreiste Jetta in immer weiteren Sätzen und Sprüngen. So zog die Verfehmte unangefochten ihren Waldpfad.

Die hülflose Stimmung, die sie unter den Flüchen des alamannischen Priesters einen Augenblick überwältigt hatte, war von ihr genommen. Nach der neuen Probe ihrer höheren Gewalt fühlte sie die Kraft in sich, sich allein durch eine Welt von Feinden zu schlagen. Sie war wie im Rausche und sie fühlte, daß einem Lieblinge der Götter wie ihr nichts unmöglich sei.

Während sie so in tiefen, stolzen Gedanken dahin schritt, erwägend auf welchem Wege sie am besten die Straße nach Noviomagus gewänne, um die Gastfreundschaft der alten Genossen Arator's anzusprechen, hörte sie von unten ihren Namen rufen. Ein eilender Schritt kam näher. Es war Lupicinus. So hatte der Treue sie doch nicht ganz vergessen und sie hielt inne. Wenigstens Abschied wollte sie von dem Christen nehmen und ihm danken für das Gute, das er ihr gethan hatte. Vielleicht konnte er ihr auch das Geleit geben bis zu einem neuen Asyle. Eilig kam er den Berg herauf und rief dann völlig außer Athem: »Den Heiligen sei Dank, daß ich dich finde! Schon glaubte ich dich verloren, da ich unten im Dorfe hörte, sie seien ausgerückt, um die Acht an dir zu vollziehen. Nun sind wir gerettet. Ich war den ganzen Morgen bei Gratian, dem neuen Herrscher. Er weiß dir eine Zuflucht und wollte selbst dich suchen, um dir seine Hülfe zu bieten.«

»Und du glaubst«, sagte Jetta hart, »deine Herrin werde sich dem Mörder ihres Gemahls in die Arme werfen? War nicht Gratian es, der zwei Mal nach Rothari schoß? Auf der Jagd, sobald er sah, daß ich Rothari ihm vorgezogen, ja am heiligen Heerde des Hauses selbst, am ersten Tage gleich, an dem er wieder am Nicer eingetroffen? Er selbst holte Rothari zum Steine des Giganten ab, wo sie ihn würgten wie ein Opferthier und mein eigener Vater Priester war! Ihn, Lupicinus, bietest du Rothari's Witwe als Beschützer?« Lupicinus wehrte fröhlich ab mit beiden Händen: »Nein, nein, nein«, rief er jauchzend. »Das ist ja das Beste, was ich erkundet. Ich sagte Gratian, ohne dich zu nennen, man habe uns allen auf dem Bühl einreden wollen, daß er der schlimme Schütze gewesen sei, der unsern Herrn getroffen. Da hättest du aber sehen sollen, in welchem heiligen Zorne er entbrannte. ›Sehe ich aus, wie ein Meuchler‹, rief er, ›der mit vergifteten Pfeilen schießt? Ich fand die Pfeile bei der einzigen Feindin, die Rothari hatte und die ich nicht nenne, deine Herrin aber kennt sie – ihr entführte ich die Geschosse, um sie Rothari zu zeigen und ihn zu warnen. Zum Opfergenossen drängte ich mich auf, um ihm stets zur Seite zu sein und ihn mit meinem eigenen Leibe zu decken. Der arme Rothari aber sah die Pfeile in meinem Köcher, ehe ich mit ihm reden konnte. So ward er an mir irre, stieß meine Begleitung zurück und gab sich selbst in die Hände der Mörder.‹

Jetta schaute den Boten erbleichend an, als höre sie ihr eigen Urtheil. »Du lügst, Mann des Todes«, stammelte sie.

»So mögen mich die Heiligen verlassen in meiner Todesstunde«, rief Lupicinus, »wenn ich lüge. Gratian schwor es mir bei dem heiligen Haupte seiner Mutter, daß er unschuldig sei.«

»Dann zehnfaches Wehe über mich, die ich ihn strafen wollte und er hat nichts verbrochen! Gerechte Götter, warum überließ ich nicht euerem allsehenden Auge die Rache, die ihr euch vorbehieltet? Doch noch ist es Zeit. Eile zum Lager und suche Gratian: sage ihm, er solle vorsichtig sein am Teiche, wohin ich ihn beschied. Es hausen dort Wölfe, deren Schaar täglich wächst. Ich eile inzwischen den obern Weg, um ihm zuvorzukommen, falls du ihn unten nicht mehr findest. Er darf nicht zur Quelle hinauf, dort liegt die Wolfsbrut, die ihn zerreißen sollte. Unten am Teiche holt mich ab, aber bringt Fackeln und Waffen, damit ihr die Thiere schreckt.« »Aber du selbst, ein schutzloses Weib, willst dich preisgeben?«

Jetta erhob s«h stolz. »Glaubst du, die Wölfe würden an Jetta rühren? Sie, die die Alamannen bändigte, den tückischen Volcius in die Flucht schlug, sie wird auch die Wölfe zu Paaren treiben. Für mich fürchte nichts.«

Lupicinus zögerte: »Das heißt Gott versuchen«, stammelte er.

»Eile«, rief sie herrisch, »eile, warne Gratian. Für mich werde ich selbst sorgen. Fort, ehe es zu spät ist!«

Dem Ungestüm, mit dem sie ihn drängte, vermochte Lupicinus nicht zu widerstehen. Er ging den Berg eilig hinab, während sie zum Teiche flog, damit nur ja Gratian ihr nicht zuvorkomme. »Noch ist die Sonne nicht hinab, den Göttern sei Dank, er kann noch nicht da sein«, rief sie aufathmend. So gelangte sie zu dem stillen Waldteiche, der im gelben Abendlichte zitterte. Hier mußte Gratian vorüberkommen, falls er zur Quelle wollte. Athemlos stand sie still und ihr Ohr horchte in die Ferne. Der Wolf war ihr nur ungern hierher gefolgt. Stumm und zitternd schmiegte er sich zu ihren Füßen. Witterte er Gefahr oder gedachte er des letzten Zusammenstoßes, dem sie beide nur mühsam entgangen? Scheu drückte er das Haupt zur Erde, als ob er sich zu verrathen scheue. Freilich hätte sie Gratian einfach abbestellen können, aber sie wußte ja nicht, ob Lupicinus ihn noch erreichte, bevor er aufgebrochen war, sie hier zu suchen. Und finden lassen wollte sie sich jetzt. War seine Hand rein, so trug sie kein Bedenken, diese Hand zu ergreifen, die der junge Herrscher ihr bot; dann war ja alles gut und auch sie war geborgen. Ihr war, als ob alle Last und Sorge nun mit einem Male von ihr gefallen sei. An der Seite des Augustus wollte sie in die Welt zurückkehren und er mochte dann zwischen Constantia und ihr sich entscheiden. Nachdem ihr der Dorn, der sie so blutig gestachelt hatte, aus dem Gemüthe genommen war, kamen wie von selbst die milderen Instincte ihrer Frauenseele zum Durchbruch. Hier an diesem stillen Weiher, wo jeder Baum, jedes Zittern der Welle, jedes Rauschen des Waldes sie an Tage früheren Liebeslebens erinnerte, überfiel eine heiße Sehnsucht nach Glück mit Macht ihre Seele. Das Gedächtniß der Zeit, da sie geliebt wurde, da ihr Leben einem Andern nothwendig war, da sie sich unaufhörlich von ihm unterstützt und beschützt fühlte, beschlich sie wie ein Fürsprecher, der sie in Gratian's Arme zu locken begehrte. Ach, jene Zeit war so selig gewesen bis die traurige Einöde folgte, die tiefe Einsamkeit, in der der Wald und seine Höhle ihre einzigen Freunde waren. Sie fühlte, daß sie im Begriffe sei, sich von Rothari zu scheiden. Es ging wie ein Wehen durch die dürren Blätter, das schmeichelnd Liebe warb und eine Stimme sagte in ihrem Herzen: »Du hast Gratian geflucht durch viele Monde und er war rein von allem Vorwurf, du bist ihm eine Sühne schuldig.« Wohl fühlte sie ihre Untreue gegen den Todten und doch war es nur die Erinnerung an ihn, die sie zugänglich machte für ein neues Glück.

Inzwischen fing der Wolf zu ihren Füßen an, sich unruhig zu gebärden. Er warf sein Haupt in die Höhe, seine Haare sträubten sich und er begann zu knurren. Die Abendschatten hatten sich verdunkelt und Jetta vermochte in der Tiefe des Waldes die Dinge nicht mehr deutlich zu unterscheiden. Aber sie gewahrte hinter dem nächsten Busche einen dunkeln Gegenstand. Der Fleck bewegte sich und zwei grünlich leuchtende Augen glänzten ihr entgegen. Der Feind war im Anzug. Langsam kriecht er gleich einer Schlange näher und näher und legt sich lauernd in einem Graben nieder. Dort harrt er, ohne sich zu regen. Aber dort – und dort – und dort, überall tauchten die grünen Lichter auf. Und nun wurde es oben bei der Quelle lebendig. Ein heiseres Geheule, ein hohles Kläffen, vermischt mit einem lang gezogenen Bellen ließ sich in der Ferne vernehmen. »Sie kommen in Rudeln«, rief Jetta erbleichend, »aber ich werde die Bestien bändigen wie die Menschen.« Sie raffte einen derben Stock von der Erde auf und lehnte sich an eine dicke Buche, um sich den Rücken zu decken. So gedachte sie sich jedes Angriffs zu erwehren, bis Gratian und Lupicinus sie entsetzten. Wie würden sie staunen, wenn Jetta auch diesen letzten Kampf bestand. »Die Bestien des Wodanwaldes mögen kommen«, rief sie. »Heran, ihr Götterhunde, wenn ihr dürft! Hier ist Jetta, die euch meistern wird!« Jetzt brachen die Vorläufer der bellenden Schaar durch die Büsche. Jetta's Wölfin hatte bis dahin winselnd an der Erde gelegen. Nun wendete sie sich zur Flucht. Heulend entlief sie mit eingezogenem Schweife in das Dunkel. Da rasten die Gegner schon heran, magere, hochbeinige Bestien. Aber die Augen der hochaufgerichteten Weißen Gestalt der Prophetin hatten Gewalt auch über die Dämonen des Waldes. Knurrend blieben die Ersten stehen und auch der folgende Rudel hielt einen Augenblick im Jagen inne. Die Thiere zogen einen regelrechten Kreis um ihre Beute. Ringsum glänzten die grünlich leuchtenden Augen, von allen Seiten blinkten die weißen Zähne, so rückten sie näher und näher. Die Vordersten schickten sich zum Sprunge an und Jetta stemmte sich fest gegen den Baum, den Angriff erwartend. Doch wozu fürchtete sie sich? Hatte sie nicht damals im Walde die Wölfin in die Flucht geschlagen, die zehnfach gewaltiger erschien als diese ausgehungerten Schakale und damals kämpfte sie ohne Keule allein mit dem Zornblitze ihres Auges? »Wagt es, wenn ihr könnt, an Jetta zu rühren!« rief sie mit herrischer Stimme, und sie erhob ihre Waffe und ihre Götter versuchend stürzte sie sich auf die Vordersten der grimmigen Meute. Feig stäubten die Bestien auseinander. Aber im gleichen Augenblicke erhielt sie einen Stoß von hinten. Ein altes tückisches Thier, das ihrem Auge scheu vorübergeschlichen war, hatte den Ansprung im Rücken gewagt. Jetta fiel zur Erde – und nun war der ganze Rudel über ihr her. Es war zu Ende. Jetta's Todesseufzer verklang in dem Geheule der Bestien, die um die Beute stritten. Nur einen Augenblick später tauchte ein rothes Licht in der Ferne auf. Rufe tönten durch das Thal. Der Weiher erstrahlte von Glanz und Fackelschein. Da warf der Führer der höllischen Schaar sein Haupt in die Luft und stieß einen kurzen bellenden Ruf aus und alsbald ließen auch die Andern von der Leiche. Ein zorniges Geheul wurde laut, aber das Licht schüchterte die Bestien ein. Der Führer schwenkte und in rasendem Laufe stürmte der ganze Rudel das Thal hinauf und verschwand im Dunkel. Die Schatten der Dämmerung webten wieder ihre Schleier um den einsamen Teich und die Stücke der weißen Gewänder, die die Wölfe zerfetzt, schimmerten gleich Gespenstern durch das Dunkel. Die zitternden Wasser aber spiegelten das Bild der blutig entstellten Leiche. Es war wieder so still in der nächtlichen Schlucht, daß man das Fallen der dürren Blätter hörte. Nichts regte sich, als Gratian und Lupicinus in raschem Schritte von unten nahten. »Jetta! Jetta!« tönte es durch die öde Waldschlucht, aber nur das Echo gab Antwort. Wieder riefen beide ihren Namen, aber alles blieb still. »Mir war vorhin, als ob ich das gellende Bellen von Wölfen hörte, doch war es noch in weiter Ferne«, sagte Lupicinus. Und wieder ertönten die Rufe: »Jetta! Jetta!« »Hier ist etwas nicht richtig«, sagte Gratian. Er senkte die Fackel und schritt suchend vorwärts. Da ward er mit einem Aufschrei des Schreckens einen Fetzen von Jetta's Schleier gewahr und, stürzte weinend vorwärts nach dem Teiche, der das Bild der rothen Fackel blendend zurückwarf. Plötzlich stand er still vor Grausen, eine zerfleischte Leiche lag vor seinen Füßen. Nur das edle Antlitz war unentstellt und schaute mit einem Ausdruck herausfordernden Trotzes nach dem dunkeln Himmel. »Romulus und Remus!« stammelte der junge Augustus entsetzt, »hier liegt die Siegerin über Roms letzte Cohorte zerrissen durch eure Wölfin! Ihr wolltet nicht, daß ich sie rette!« Erschüttert standen die Jünglinge an den traurigen Resten der schönen Frau und Reue und Schmerz über seine eigensüchtigen Wünsche gingen durch Gratian's weiches Gemüth. »Lasse sie uns hier unter diesen schattigen Bäumen bestatten«, sagte er zu Lupicinus. »Ein schöneres Grab fände sie nicht, auch wenn sie an der appischen Straße ruhte.« Sorgsam gruben die beiden Männer mit ihren breiten Schwertern ein kühles, weiches Bette, aus dem sie mit eigenen Händen die Steine entfernten. Dann legten sie die Leiche hinein und deckten sie mit den Resten ihres Gewandes, mit grünen Tannenzweigen und breiten Farren. Ueber die weiche Erde des Hügels aber wälzten sie eine gewaltige Felsplatte, damit kein Feind die Ruhe der Armen störe, deren Herz im Leben so heiß und stürmisch geschlagen hatte. Mitternacht war vorüber und der volle Mond stand mit seinem milden, versöhnenden Lichte über der einsamen Waldschlucht, als sie mit dem frommen Werke zu Ende waren. Noch einen heiligen Spruch beteten sie über dem kleinen Hügel, dann eilten sie zu ihren Pferden und jagten durch die nächtliche Ebene auf Alta Ripa. Es waren die letzten Römerhufe, die ihre Spuren in den weichen Sand dieser Ebene drückten.

Blondköpfige Alamannenkinder erzählten im Dorfe nach einiger Zeit, am Teiche im Buchenhaine hätten sie einen todten Wolf gefunden und die Knaben versicherten, es sei das Thier der Zauberin, die der König aus dem Lande getrieben. Aber erst durch den zurückkehrenden Lupicinus ward kund, welches Ende Jetta genommen.

Noch heute geht um Teich und Höhle Jetta's Name, aber nur dunkle Kunde von ihren Zauberkünsten, von dem Segen, den sie auf das schöne Thal gelegt und ihrem Tod durch die Wölfe des Wodanwaldes lebt im Munde des Volks. Alte Buchen und Erlen hängen ihre Aeste in den stillen grünen Teich, auf dem bleiche Wasserrosen schwimmen, und über der Waldschlucht ertönt der langgezogene, klagende Schrei des Bussard, der in weiten Kreisen sich emporschwingt und endlich bewegungslos in der Luft hängt über dem Thale, das er, seit das graue Thier des Waldes es geräumt, als sein Eigenthum betrachtet. Valentmian's Bollwerk zu Alta Ripa hielt noch drei Jahrzehnte den Anprall der Alamamen aus, bis es zu Ende des Jahrhunderts dem unwiderstehlichen Vordringen der Germanen erlag. Der Rhein aber änderte seinen Lauf und wälzt heute seine grünen Wogen über des mächtigen Kaisers gewaltiges Haus. Nur das Aufschäumen der Wellen, die sich an behauenen Quadern brechen, zeigt noch die Stelle und wer nach dem Dorfe Altrip übersetzt, dem erzählen die gurgelnden Strudel, wo der Palast von Alta Ripa lag, in dem der Kaiser Edicte unterschrieb, die wir besitzen, und sein Weib das Leid über Jetta brachte, von dem wir dem Leser berichtet.


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