Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Sechstes Kapitel.

Am Morgen wurde es früh laut in Arator's Villa. Man brachte auf einer Bahre Lupicinus herbei, der im Walde in der Nähe des Wartthurms von streifenden Soldaten endlich aufgefunden worden war. Der junge Krieger war bei vollem Bewußtsein. Der Schlag des alamannischen Königs hatte ihn mehr betäubt als tiefer verletzt, obwohl häßliche Klumpen geronnenen Blutes in seinem blonden Haare klebten. Bereits hatte er Arator ein unumwundenes Geständniß abgelegt und war zur Pflege in dessen Villa zurückgebracht worden. Von seinem Schlafgemache hörte Rothari die tiefe, tröstende Stimme Jetta's, die um den Verwundeten beschäftigt war und die heiseren Flüstertöne ihrer alten Amme. Rasch sprang er auf und durch eine Oeffnung des Vorhangs sah er mit Entzücken, wie Jetta dem Verwundeten auf's lieblichste zusprach. Während die alte Phorkyas ihm seine Wunde auswusch und verband, kniete das schöne Mädchen bei der Bahre, hielt dem Kranken die schmerzlich zuckende Hand und tröstete ihn so hold, daß er unter Schmerzen schwach zu lächeln versuchte. Seine Furcht vor strenger Strafe, der er entgegengehe, wußte sie scherzend wegzutrösten. Sie werde bei Arator und nötigenfalls bei dem Augustus selbst sich verwenden, sagte sie, kein Haar solle ihm gekrümmt werden. Müsse er aber zur Strafe an den Schanzen von Alta Ripa bauen, so würde sie ihn täglich besuchen. Als Phorkyas mit ihrem Verbande fertig war, wurde der Verwundete nach seiner Wohnung gebracht, wohin die Frauen ihm folgten. Rothari hatte es nun mit eigenen Augen vor sich gesehen, warum das ganze Lager Arator's holde Tochter vergötterte und jeder einzelne Mann, wie man ihm erzählt hatte, für Jetta durch's Feuer gehen würde.

Nach einer Begegnung mit der Wunderbaren dürstend trat der Germane in den Garten hinaus, um ihrer zu warten. Glänzend lachte die Maiensonne über den Wäldern, deren verborgenes Gethier diese Nacht durch Hörnerklang und Fackelschein in seiner nächtlichen Ruhe gestört worden war. Aus der Ebene schwangen sich zahllose Lerchen auf, die in's Blau verloren ihren tirilirenden Sang ertönen ließen in der gleichen Sprache, die ihr Geschlecht vor Jahrtausenden verstanden und nach Jahrtausenden noch verstehen wird, während der Menschen wandelbare Art in jedem Jahrhundert in neuen Lauten redet. Unter dem Steine, den ihm Jetta bezeichnet, fand Rothari ein kleines, rundgeschnittenes Blatt; er las es, lächelte und drückte es an seine Lippen. Aber auf die holde Zauberin selbst wartete er vergeblich.

Er mußte schließlich aufbrechen, um mit den andern Führern den Kaiser zu begrüßen. Von der würzigen Morgenluft erfrischt und froh erregt von dem Meere des Lichts, das der Himmel auf ihn herabgoß, sprengte er sorglos dem Richter entgegen, dem er Rechenschaft geben sollte über sein gestriges Verhalten. Das Lager war einige hundert Schritte unter dem Thalausgange errichtet, damit es nicht von den Bergen überhöht werde und bildete ein längliches Viereck. Ein breiter Doppelgraben umgab die von einem Erdwall verkleideten Mauern und Zinnen, von denen hier und dort der Helm einer Wache oder die Spitze eines Pilum hernieder funkelte. Die rothen Vexilla flatterten im Morgenwinde und das Feldzeichen der Cohorte, ein goldenes Stierbild, strahlte auf der Höhe des festen Thors. Die Porta principalis passirend, befand sich Rothari in dem Soldatenquartier und ritt längs den Soldatenhütten, die mit Stroh oder Rasen bedeckt waren. Im Innern dieser Hütten standen ringsum die Schlafbänke und in der Mitte ein Feuerheerd, den massive Steinblöcke umfaßten. Die Straße entlang reitend, gelangte der Germane zu dem Prätorium. Dem stattlichen Gebäude war ein großer gedeckter Vorplatz vorgestoßen, der als Exerzierhaus diente. Drinnen klirrten die Waffen und man hörte, wie die Wurfgeschosse und die kurzen bleibeschwerten Pfeile auf den Scheiben aufschlugen. Von dem Centurio, der die Uebungen leitete, erfuhr Rothari, daß die hohen Officiere sich beim Vorwerk jenseits der Brücke versammelten, um dem Augustus bis Alta Ripa entgegen zu reiten. Während er hier an der Kreuzung der Straßen mit dem Untergebenen verhandelte, ergötzte sich das sinnige Auge des Germanen an dem reizenden Ausblick, den die Lagerthore umrahmten. Vorwärts und rückwärts schaute man auf die Brücke und die bürgerlichen Niederlassungen des Mons Piri, zur Rechten und Linken in das blaue Thal des Nicer und hinaus in die grüne Ebene, die in der schön geschnittenen Rundung der rothen Sandsteinthore sich gar freundlich ausnahmen.

Den westlichen Theil des Lagers, die Retentura mit ihren Magazinen zur Seite lassend, ritt Rothari an der Fleischerei, dem Ziehbrunnen, der Küche und andern Wirtschaftsgebäuden vorüber zur Brücke. Auf der Mitte derselben, bei der Neptunskapelle, harrten seine germanischen Gefolgsleute ihres Herrn und von ihnen geleitet ritt der Königssohn nach dem Vorwerk, wo die übrigen Führer hielten. Gratian sprengte herbei und reichte dem Freunde die Hand. Auch Arator und Syagrius gesellten sich zu der Gruppe und nun jagte der ganze Trupp auf der Straße nach Alta Ripa dahin, dem Augustus entgegen. Von den Insassen der beiden Dörfer, des Vicusnovus auf dem rechten und des Pagus der Nemeter auf dem linken Ufer des Nicer, war heute keiner zuhause geblieben. In zerstreuten dichten Gruppen lagerten sie vor dem Thore des Vorwerks, das der Augustus zuerst passiren mußte. Die Sonne stieg und brannte mit heißen Strahlen auf die Blüthenbäume und die wachsende Saat. Die Wachen auf dem westlichen Thore des Lagers schauten scharf in der Richtung nach dem Rhenus. Endlich wirbelte Staub auf der Hochstraße. In bequemem Schritt kam ein ansehnlicher Reiterzug. Rothari's Germanen und eine Schaar von berittenen Batavern unter dem Gardetribunen Balchobaudes ritten weit voran. Dann kamen die beiden Augusti, Vater und Sohn, und hinter ihnen in ehrerbietiger Entfernung Arator, Rothari und der kleine Syagrius, der sich zu Pferde seltsam ausnahm. Ein größeres Geschwader von Panzerreitern im gleißenden Schuppenharnisch schloß den Zug.

»Heil, dem Augustus Heil«, riefen die Dorfbewohner, als die Reiter dem Vorwerke nahten. »Dem Vater und Sohne Heil!« Aber kaum war dieser Ruf verklungen, so erschallte plötzlich mitten aus dem Haufen eine helle Stimme: »Dem wesensgleichen Gotte, Vater, Sohn und Geist sei Ehre, nicht den Menschen.« Alles schaute betroffen um, nur Valentinian that, als ob er nichts gehört hätte, und ritt ruhig weiter. Aber Rothari's scharfes Auge erspähte den kühnen Rufer. Er gewahrte einen bleichen Jüngling, der mit wirrem blondem Haupte von der festlich geschmückten Menge merklich abstach. Sein zerfetzter Mantel verrieth den Cyniker oder Anachoreten, doch war es Rothari, als ob er diesen jungen Menschen kenne. »Wer bist du, daß du den Augustus beleidigst?« rief er dem Jüngling zu, indem er sein Pferd auf ihn zulenkte und die Streitaxt erhob, so daß rechts und links die erschreckten Zuschauer auseinanderstäubten. Aber der Knabe trat ihm näher und sprach: »Vulfilaich, Vadomar's Sohn, dein Bruder!«

Eine böse Falte legte sich um Rothari's Stirne, aber er ließ die Streitaxt fallen, riß sein Pferd herum und sprengte den Andern nach. Rasch flüsterte er Gratian einige Worte zu, dann kehrte er zu Vulfilaich zurück. Die Menge war eilig dem glänzenden Schauspiele nachgeströmt, nur der junge Mönch stand noch an der vorigen Stelle und starrte trüb vor sich hin. »Er hat die Streitaxt gegen mich erhoben«, sagte er zu sich selbst. »Wir sind wie Abel und Kain.« Da hielt Rothari bereits neben ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Knabe, Knabe, wie siehst du aus, du Sohn meines Vaters? Bist du ein Cyniker geworden, ein Philosoph oder gar ein Mönch am Ende?«

»Ich bin gekommen, Rothari«, sagte der Jüngling, »um dir das Deine zu bringen, du wirst es gefunden haben, um dich zu bitten, mir meine Sünde zu vergeben und dich zu dem zu führen, der unser Aller Sünde vergibt.«

»Drei Dinge auf einmal, von denen lang zu handeln wäre«, lächelte Rothari. »Ich aber muß zur Heerschau zurück. Erwarte mich dort unten in der Kiesgrube, da sind wir ungestört. Sobald ich abkommen kann, will ich dort dich suchen.« Und nochmals strich er zärtlich über das wirre Haupt des verwilderten Bruders, winkte einen Gruß und sprengte rasch nach der Brücke.

Mehrere Stunden währte es, bis der ergraute Herrscher das ganze Lager abgeschritten und alle Magazine mit Pfeilen, Schleuderbleien und anderen Geschossen und Geschützen sachkundigen Blickes gemustert hatte. Endlich trat er mit Gratian und den höheren Officieren in das Prätorium, vor dem ein Centurio mit zwei Wachen nunmehr den Zugang sperrte. In dem geräumigen Vestibulum hörte Valentinian zunächst des Syagrius Vorschläge über die Einrichtungen des Kastells, das auf dem Berge gebaut werden sollte. Auch wenn der glänzende Kreis der hohen Officiere den Augustus nicht so ehrfürchtig umgeben hätte, würde das Auge sofort ihn als den Herrscher herausgefunden haben, so sehr gebot das majestätische Auftreten dieser gewaltigen Imperatorengestalt Ehrfurcht. Das war er, der Riese, der mit einem Zucken seiner herrischen Brauen meuternde Legionen zur Ruhe gebracht hatte. Seine Haltung war streng, der Blick der schielenden Augen stechend und niemand hielt ihn lang aus, den er starr in's Auge faßte. So fest der Kaiser an sich hielt, dennoch machte sein ganzes Benehmen den Eindruck einer mühsam verhaltenen Wildheit und seine Gegenwart legte sich wie etwas Furchtbares auch auf die Muthigen, denn jeder gedachte der Martern und entsetzlichen Todesarten, die der Schreckliche schon verhängt hatte. Er war gekommen, um die Ursache des gestrigen Allarms, der wie ein Lauffeuer die Kunde von einem neuen Raubzuge der Alamannen bis nach Gallien verbreitet hatte, zu untersuchen und man fürchtete, er werde über den Schuldigen eine seiner schauerlichen Strafen aussprechen. Aber was man stets an Valentinian rühmte, daß er sich im Dienste zu mäßigen wisse, bewährte sich auch heute. Wenn drängende Geschäfte, Sorgen, Gefahren andere Tyrannen seiner Art noch reizbarer machten, stellte die Noth in seiner von Leidenschaften zerrissenen Brust die Mannszucht her. Kam ein Staatsgeschäft von Belang an ihn, alsbald wandelte sich seine Wuth zu vollkommener Klarheit des Geistes, ja in eine fast heitere Ruhe und Milde um, denn es war ihm ernstlich um das Wohl des Reichs und um Gerechtigkeit zu thun. Während sein Privatleben von Ausschreitungen besteckt war, die an Nero und Caracalla erinnern, trugen seine Amtshandlungen ohne Ausnahme den wohlthuenden Stempel gelassener Energie und ruhiger Umsicht. Wäre er nicht maßlos gewesen im Strafen, man hätte über der geordneten Ruhe seines Regiments die leidenschaftliche Wuth seines Temperaments vergessen. So aber stand auch heute der Kreis hoher Generale bang um den finster blickenden Augustus, als er sich nach den gestrigen Vorgängen erkundigte. Alle schauten ängstlich nach Arator und Rothari, während Syagrius seine Anklage gegen beide mit schneidender Kälte, jedes Wort wie ein Messer zuspitzend, vortrug. »Wer war der Alamanne, dem du durchhalfst, Rothari?« fragte der Augustus mit rauher Stimme, als Syagrius geendet.

»Der Alamanne war König Macrian«, erwiderte Rothari gleichmüthig.

Die stolze Schaar der römischen Officiere schrak bei dieser Antwort zusammen, daß man das Klirren ihrer Rüstungen hörte. Ein unterdrückter Laut des Entsetzens ging durch den Saal.

Valentinian allein behielt die Fassung und seinen schielenden Blick starr auf Rothari richtend, fragte er kalt: »Was bestimmte dich, den schlimmsten Feind Roms aus deiner Hand zu lassen?«

»Hätte ich gewußt«, erwiderte Rothari, »daß du heute hier sein würdest, ich hätte Macrian ersucht, sich dir zu einer friedlichen Besprechung zu stellen.« Ein böses Zucken lief über das finstere Angesicht des Kaisers und sein Auge wurde bohrender. »Aber du liebst die Überraschungen«, fuhr Rothari trotzig fort, »weil du keinem von uns traust. Schon an der Mosella sagte ich dir, daß dein Argwohn das Reich um die Hälfte deiner Erfolge bringt. Auch jetzt bist du im Stillen überzeugt«, fügte der Germane mit leichtem Spott hinzu, »ich hätte als Alamanne mit Alamannen gegen dich gehandelt. Was wäre denn aber die Folge gewesen, wenn wir nach dem Vorschlage deines weisen Notars Macrianus festgehalten hätten? Schon heute stürmten die Alamannen diese schwachen Wälle. Du hättest den Krieg, den du jetzt doch am wenigsten brauchen kannst, da noch keine deiner neuen Anlagen vollendet ist.«

»Aber wir hatten eine Geisel«, warf Syagrius dazwischen.

»Lehre doch du mich die Alamannen kennen, Schreiber von Byzanz«, erwiderte Rothari mit Hohn. »Der König hätte sich eher das Haupt im Kerker eingestoßen, als daß er geduldet hätte, daß seinem Stamme ein Nachtheil aus seiner Gefangenschaft entspränge. Neue Könige wachsen den Alamannen in einer Stunde und mein Volk hätte auf den Schild erhoben, der um ein Haar schlechter gewesen wäre als Macrian.«

»Mag sein«, erwiderte der Augustus mürrisch, »aber du hast dir eine Entscheidung angemaßt, die nur mir zustand.«

»›Handle an meiner Stelle, ganz wie ich‹, schriebst du mir in deiner letzten Vollmacht. Daß du keinen Vertreter brauchtest, weil du selbst zur Stelle warst – wie sollte ich das wissen? ›Ich spiele ein gewagtes Spiel‹, sagte ich mir, aber Valentinian denkt groß; er wird verstehn, warum ich that, wie ich thue. Unter Julian hätte ich mich gehütet, denn der spielte den Großen aber er dachte klein. Habe ich mich geirrt, so nimm deinen Auftrag zurück. Ich kann seiner nur warten, wenn du mir traust.«

»Und was hast du mit Macrian verhandelt?«

»Er vermuthete, daß wir hier oben bauen wollen und droht mit Gewalt, falls wir den Verträgen zuwider die Berge befestigen. Für den Augenblick ist er aber offenbar zum Angriffe nicht gerüstet.«

»Getraust du dir den Barbaren wieder in meine Hände zu locken, wenn wir zum Kriege bereit sind?« fragte der Kaiser lauernd.

»Nein«, erwiderte Rothari unwillig und ein hohes Roth färbte sein edles jugendliches Angesicht. »Ich verkaufte Rom mein Schwert, nicht mein Gewissen. Ich will nicht, daß ihr ihn mordet wie Vithikab.«

Der Kaiser biß sich auf die Lippen. Aber zu rechter Zeit mischte sich Arator ein. Auch er entwickelte, daß bei der augenblicklichen Lage des Reichs Rothari's Verfahren das klügste gewesen. Nach seiner Meinung wäre das Festhalten des Königs einer Kriegserklärung gleichgekommen und eine solche stehe niemandem zu als dem Augustus. Als Valentinian seinen Blick im Kreise umhergehen ließ, um zu sehen, wie die andern Führer die Sache beurtheilten, ward er gewahr, wie sein schmächtiger Sohn den Arm über Rothari's Nacken geschlungen hatte und ihm zärtlich die Wange koste. Da brach ein Strahl von Freundlichkeit auch aus seinem bösen Auge. Aber alsbald ward sein Angesicht wieder hart und starr und er sagte: »Ihr folgt mir alle nach Alta Ripa.«

»Das Rothari nicht lebend verlassen wird«, spielte es deutlich um Syagrius' ironisch sich kräuselnde Lippen. Aber bereits schritt der Kaiser zur Thüre und das Gefolge schloß sich ihm an. Von Rothari hielten alle sich seitwärts, nur Gratian hing sich an ihn: »Sage, Bruder, woher nahmst du den Muth? Mir schlotterten ja die Kniee vor Angst und Sorge.«

Rothari zog ein Pergamentblättchen aus dem Gürtel und Gratian las: »Fürchte nichts; dein Stern ist im Steigen.« Der lange Knabe schaute Rothari albern an. »Von deiner Medea«, sagte Rothari spöttisch.

»Was, du jagst in meinem Revier?« erwiderte der Knabe ärgerlich.

»Ich bewahre sie dir bis dir der Bart wächst«, sagte Rothari, indem er ihm lachend über das Haar strich. Da waren sie am Thore. Im Augenblicke saß die Schaar auf den Rossen und im Sturme flog die Cavalcade auf Alta Ripa.


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