Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Jetta fand ihre Höhle in demselben Zustand, in dem sie sie verlassen. Der Wolf lief ihr in die Grotte voraus, die Vorräthe beschnuppernd, die Bulfilaich da zusammengetragen hatte und forschend, ob irgend ein Feind, der Mönch etwa, im Hintergrunde sich berge. Aber die nur den Unterirdischen bekannte Krypta des Berges war leer und Jetta legte sich nieder, um zu ruhen, während der Wolf als Wächter sich vor dem Eingang mächtig hinstreckte. Manche wilde Scene des Kriegsrechtes spielte inzwischen drunten im Thale sich ab, die ein gütiger Schlaf Jetta's Augen entzog. Sie erwachte erst, als die Strahlen der Abendsonne tiefer in das Innere ihrer Höhle fielen und ein milder Thalwind ihr die heißen Schläfen kühlte. Traurig richtete sie sich empor, um die neue Lage zu bedenken, in die sie nunmehr gerathen war. Was sie in den letzten Tagen gethan, verstand sie bereits selbst nicht mehr. Sie war wie der Pfeil gewesen, der vom Bogen geschnellt ward, gestoßen von einer höheren Gewalt. Nur der entsetzliche Trieb hatte sie beherrscht nach Rache für ihren Gatten, für ihr Kind, die unklare Idee, die Mörder, die Rothari's Blut vergossen, seien nicht würdig die Erde zu besitzen, die sein Fuß betreten, die sein Schwert vertheidigt, dieses Thal, das sie von Jugend auf geliebt. Nun hatte sich die heilige Wuth gelegt und ihre Bestimmung hatte sich erfüllt. Einem zerbrochenen Weihgeschenk verglich sie sich, zu nichts mehr gut, als daß man es zu den andern Scherben werfe. Was sonst aus ihr werden solle, wußte sie nicht. Nicht, daß sie sich vor den Barbaren fürchtete, Macrian würde sie ungekränkt entlassen, das wußte sie, aber wohin? Auch vertreiben würde er sie nicht, aber wofür sollte sie leben im Lande der Feinde? Welcher Zweck des Daseins blieb ihr noch, nachdem sie nicht Tochter, nicht Gattin, nicht Mutter mehr war und Rom sie ausgestoßen? Es gab keine Arbeit mehr, die verlangte von ihr gethan zu werden. Jenen erhabensten und heiligsten Grund zu leben, den die Menschen Pflicht nennen, hatte ihr das Schicksal entzogen. Sie würde wohl die Tage weiter spinnen, fühlte sie, aber das Leben schaute sie grau und farblos an. Die Visionen einer großen Sendung, die sie einst emporgetragen, waren zerflossen. Bis zu dieser Stunde hatte sie selbst die ganz gewöhnlichen Vorgänge des Lebens mit der mystischen Gluth ihres Glaubens verklärt. Aber eine rauhe Hand hatte das rothe Glas, durch das auch Stein und Staub wie Feuer leuchtete, ihr aus der Hand geschlagen. Sie sah die Dinge nüchtern vor sich liegen und ein Ekel am Dasein überflog sie. Nur ein Gefühl war nach all den furchtbaren Aufregungen der letzten Tage so stark in ihr, daß es die Gestalt eines Wunsches annahm, das war das Bedürfniß der Stille, der Ruhe, der Wunsch, allein zu sein. Ob sie so einsam hier bleiben könne, wie Bulfilaich einst, daran dachte sie nicht, es genügte ihr, daß sie vorerst hier einsam war. Zukunft und Vergangenheit waren ihr gleich. Die Schläge und Erschütterungen waren so stark gewesen, daß es ihr schien, als ob alles Wollen und Denken in ihr zerbrochen sei und nie mehr arbeiten werde. Gerade da, wo sie war, fand sie sich in dieser Stimmung am besten. »Ich bin wie ein Stein«, seufzte sie, »wohin mich das Schicksal warf, da bleibe ich liegen.« Vor den verhaßten Angesichtern der Menschen wenigstens war sie in dieser grünen Einsamkeit sicher. Ihre Höhle war ein geschützter Winkel der Erde, sie konnte hier sich verbergen, bis sie fähig sein würde, einen Plan zu fassen oder bis eine äußere Macht sie des Entschlusses überhob und sie weiter stieß. So weit ihr müdes Sinnen zu einem Gedanken sich erhob, bewegte sie der Wunsch, nicht von dem Orte zu weichen, wo ihr Kind und ihr Gatte gestorben. »Wer weiß«, weinte sie in sich hinein, »ob es den Schatten der Abgeschiedenen vergönnt ist, uns in die Ferne zu folgen. Vielleicht ist es ihnen Gesetz, um den Platz zu schweben, wo sie den letzten Seufzer verhaucht. Wie traurig, wenn des Kindes und des Vaters Geist hier umgingen und fänden mich nicht.« Es war ihr nicht vergönnt gewesen, der Todten Pokal auf den Rücken der Erde zu gießen, wo Arator ruhte, oder den süßen Trank aus Milch, Wein und Honig in goldenem Henkelkrug auf Rothari's Scheiterhaufen zu schütten oder die abgeschnittene Flechte um seine Aschenurne zu winden. Aber in ihrer Nähe wollte sie weilen und den Untern das Opfer ihrer Thränen weihen. An die materiellen Bedingungen eines solchen Lebens hatte sie noch nicht gedacht. Sie wußte, daß in der Nähe eine Quelle rinne, ein Lager aus Laub und Moos war leicht gehäuft und um Wurzeln und Beeren konnte sie die Erde angehn. Ertrug der zarte Körper dieses Leben nicht, so war es ja nur um so besser.

Stunde auf Stunde waren in diesem träumerischen Brüten an ihr vorübergegangen, als sie endlich aufgescheucht wurde durch Schritte, die von der Bergwand her sich näherten. Nicht sofort konnte sie in der Dämmerung den Nahenden erkennen, doch mußte es ein Freund sein, denn der Wolf begleitete ihn und sprang ihm voraus. Es war der treue Lupicinus, der verlegen und traurig sie begrüßte. Er und alle andern alamannischen Diener und Knechte hatten Jetta's That mit Begeisterung begrüßt. Sie hatte ihren Gatten gerächt, das war ein Motiv, das diese einfachen Seelen verstanden. Ob Römer oder Alamannen in den Thälern seiner Heimath herrschten, galt Lupicinus gleich; es war jetzt eben wieder so, wie es in seiner Jugend gewesen, und er war das zufrieden. So war seine Meinung, die Herrin werde nach dem Buhle zurückkehren und, unterstützt von dem treuen Gesinde, des Hofes walten.

Zunächst pries er ihr die Klugheit des Thieres, das ihm die Wege zu der flüchtigen Herrin verrathen habe. Der Wolf hatte ihn im Stalle gefunden und sich seltsam gebärdet. Stets war er ein Stück vorausgesprungen und dann wieder zurückgekehrt, indem er kläglich heulte. Endlich war es Lupicinus klar geworden, daß das Thier wünsche, er solle ihm folgen. So hatte er Jetta's Versteck entdeckt und er glaubte nun der Herrin versichern zu dürfen, sie könne in aller Sicherheit ihr Haus wieder beziehen. Auch ihrem Abzug mit aller Habe würden die Alamannen sich nicht widersetzen. Aber Jetta erklärte, sie wolle bis zur Rückkehr des Friedens ihr Asyl nicht verlassen. Lupicinus verstand das nicht; er verbürgte sich mit seinem Haupte, sie werde im Hause sicher sein. Freilich, er sah die Schatten nicht, die in jenem Hause an allen Wänden hingen, aus allen Ecken nach ihr starrten, aber als er die Gebärde des Entsetzens bemerkte, mit der ihr Auge sich schreckhaft erweiterte und ihr Antlitz bleich ward, da ahnte er, daß hier ein Geheimniß sich berge, an das er nicht rühren dürfe und unterwarf sich schweigend. Ohne auf Befehle zu warten, kam er nach einer Weile mit Milch und Brot wieder. Er brachte köstliches reines Stroh, das noch frischen Feldgeruch aushauchte, er brachte Decken und Vorräthe und ehe er Jetta allein ließ, entfachte er ein Feuer und zeigte der Herrin, wie sie die Kohlen mit Asche bedecken müsse, um stets wieder eine neue Flamme zu gewinnen. Täglich erschien er nun, um für Jetta zu sorgen, während den andern Bewohnern des Bühls streng verborgen blieb, woher Lupicinus die Befehle erhalte, die er im Namen der Herrin ihnen gab. Jetta aber fühlte sich bald erstarken und genesen bei ihrem Höhlenleben. Ihr Geist gewann wieder seine Spannkraft und sie folgte aufmerksam den Berichten des treuen Knappen, der ihr von dem Treiben der Alamannen und dem Fortgang des Krieges erzählte.

Der Waffenlärm verzog sich nach Norden, wo Valentinian zu Mogontiacum ein Heer versammelte, um einen Angriff auf die festesten Plätze der Alamannen vorzubereiten. Aber es kam nicht dazu. Ueberlistige Rathgeber spiegelten dem Kaiser vor, er könne seinen Gegner Macrian durch einen raschen Streifzug aufheben, da dessen Aufenthalt zu Aquä Mattiacä durch Ueberläufer im römischen Lager bekannt geworden war. Rasch ging das Heer über den Rhenus und das Fußvolk drang durch die Thäler des Taunusgebirges vor. Der Kaiser selbst stieß hier auf eine Schaar von Gauklern, die vom Hoflager des Königs sich nach der Halle eines andern Fürsten begeben wollten, um durch ihre Künste die Barbaren zu erfreuen und wohlabgerichtete Sklaven zum Verkaufe anzubieten. Valentinian ließ sich ihre Scherze vormachen und zum Lohne für die Unterhaltung, die sie ihm bereitet, hängte er sie sämmtlich auf, damit keiner der Landfahrer seine Nähe den Alamannen verrathe. Aber die Unthat verfehlte ihren Zweck. Die Soldaten plünderten und mißhandelten die Bauernhöfe; am Abende stieg der Feuerschein der in Brand gerathenen Hütten zum Himmel empor und warnte Macrian. Der Anschlag war mißlungen. Wüthend kehrte der Kaiser nach Treveri heim. Wie ein Löwe erschien er seiner zitternden Umgebung, der wüthende Bisse in die Luft macht, nachdem ihm die Beute entgangen.

Unterdessen saß Jetta, aus deren schönen Händen einst der Augustus so gern den ersten Kranz nach jedem Siege entgegen genommen hatte, von ihm und der Welt vergessen, in ihrer Höhle. Wer sich unter den Thieren des Feldes niederläßt, ohne sie zu schädigen, wird bald ihr Freund sein. Das erfuhr die verlassene Frau, die den Füchsen gleich in einer Schlucht, den Vögeln gleich in einem Neste hauste. Zutrauliche Finken holten erst die abfallenden Bröckchen von ihrem Mahle, indem sie mit klugen kleinen Augen sie von der Seite anschauten und mit feiner Stimme einen Laut des Dankes zirpten. Gelbschnäbelige Amseln huschten durch die Büsche am Boden hin und belauschten neugierig den fremden Gast. Jetta liebte den tiefen Brustton ihrer einfachen Weise und gewöhnte sie an sich mit dem Brote, das Lupicinus ihr täglich brachte. Bald schritten auch äsende Rehe langsam über die nahe Wiese und muntere Hasen tanzten auf dem Rasen beim Abendschein. Unschädliche Schlangen lockte die Wärme der Höhle und ein Käuzlein, dem das Sonnenlicht weh that, kehrte in seine Felsspalte zurück, aus der seine Augen wie ewige Lampen hervorglühten, während die Zauberin mit ihrem Thiere unter dem Eingang ihrer Höhle saß. Dem Wolfe wuchsen von Zeit zu Zeit die Augen, wenn die Hasen gar zu frech auf dem Plane tanzten und die langen Ohren rührten, oder wenn ein Reh sein Haupt aus den Büschen streckte und mit sanftem dunkelm Auge herüberschaute. Dann erhob der Wolf zornig sein Haupt, aber ein leiser Druck mit Jetta's Fuße oder ein tadelndes Wort genügte, ihm wieder den Kopf zur Erde zu zwingen, so daß die scheuen Thiere ihn bald als einen der Ihren ansahn. Des Abends aber hielt er sich schadlos, indem er hinüberschwamm über den Nicer und in seinem alten Jagdbezirke jagen ging. Kam er dann frisch gebadet zurück, so nannte ihn Jetta ein reinliches Thier und ihre weiche Hand streichelte, was er sehr liebte, sein zottiges Fell. Nach den Bewohnern des Waldes fanden auch die Menschen, scheuer und argwöhnischer als jene, sich bei der Höhle ein. Denn nicht lang beherrschte Verwüstung und Oede die blühenden Abhänge. Zu den Trümmern des Dorfes diesseits und jenseits des Stroms kehrten nach wenigen Tagen schon die versprengten Bewohner zurück, denen die Flucht über den Rhenus mißlungen war. An einem hellen Sommertage aber schallten jauchzende Rufe der Germanen durch's Thal. Geleitet von Reitern und Fußvolk kamen auf kleinen Wagen, schwerfälligen viereckigen Kasten, die auf vier massiven Scheibenrädern ächzten, die Weiber und Kinder eines alamannischen Stammes, um die neu erkämpften Wohnsitze zu besiedeln. Jetta konnte drunten am Steine des Giganten den Rauch der Opferflamme sehen, mit dem das Volk Besitz ergriff von der neuen Flur. Der Lärm der Pauken, die die Priesterinnen schlugen, erfüllte das stille Thal. Unter »Heilo und Sigo« wurden die gelb und rothen Wappenschilder der Alamannenkönige an den alten Buchenstämmen angeheftet und während Trommeln und Hörner den Wald erschreckten, stellten die Häuptlinge die Feldzeichen des Volks, gräuliche Schlangen und Drachenbilder, Eberköpfe und Hirschgeweihe, am Steine des Giganten in die Hut der greisen Priesterin, die mit ihren Sklaven und Mägden ihr Blockhaus bei dem Steine aufschlug. Ein großes geflochtenes Rad, mit einer Kuhhaut bespannt, wurde dann herbeigerollt. Die Greisin schlug in ununterbrochener, eintöniger Folge die Trommel im Takt, während das Methhorn und die Krüge mit Gerstensaft im Volke kreisten. Dann zog die ganze Masse nach dem jenseitigen Ufer, wo sie zunächst in dem Ring auf dem Berge sich Hütten bauten. Nur die Priesterin blieb in dem heiligen Haine zurück.

Für Jetta waren diese barbarischen Laute, die aus der Tiefe zu ihr empor drangen, ein großer Schmerz und sie flüchtete tief in das Innere ihrer Höhle, um die verhaßten Töne nicht zu hören. Hatte sie dazu dieses Thal den Göttern Roms geweiht, daß nun diese Wilden des Wodanwaldes mit ihrem häßlichen Lärme die guten Genien verscheuchten? Nein, sie wollte bleiben und kämpfen für die alten Götter, die nun keine Priesterin mehr hatten in diesen Bergen als die Tochter Arator's. Aber noch lange Tage saß sie ungestört und unbehelligt in ihrer Einsamkeit und nur der treue Lupicinus meldete ihr, was drunten vorgehe. Macrian's strenger Befehl hatte den Bühl als Jetta's Eigenthum vor jedem Eingriff gesichert und noch immer warteten die Knechte ihrer Heimkehr. Der Alamannenring auf dem Mons Piri war wieder hergestellt worden und dort hatte sich die neue Volksgemeinde einstweilen gelagert zwischen den Trümmern des in seinen Anfängen unterbrochenen Castells. Bald aber stiegen zwischen den hellen Büschen dunkle Blockhäuser empor, wie Jetta sie vordem im marcianischen Walde geschaut hatte. Der Forst ward strichweise niedergebrannt und in die Rodung warfen fleißige Hände die Wintersaat. Unmuthig, aber von jeder Störung unbehelligt, schaute Jetta diesen Veränderungen zu. Noch immer war sie mit sich und der Vergangenheit beschäftigt, gleich Iphigeneia verstrickt in unausweinbares Weinen. Das Girren der Waldtaube in den Wipfeln, das Zirpen der Grille auf der Wiese war der einzige lebende Laut um sie her und er stimmte zu ihrem trüben Sinnen. Selten, daß ein holzholendes Alamannenweib oder beerensuchende Kinder sie scheu von ferne betrachteten. Ihnen galt die hohe schöne Frau mit den ernsten, bleichen Zügen für ein Zauberweib, das selbst der König fürchte. Man flüsterte sich zu, sie habe ihr eigen Kind der furchtbaren Hel geopfert, um alle Geheimnisse und Schätze zu erkunden, die unter dem grünen Rasen sich bergen. Wenn sie den gewaltigen Wolf zu ihren Füßen, die leuchtenden Augen der Eule im Hintergrund, vor ihrer Höhle saß, dann scheute sie auch der Muthige und Donar's Segen murmelnd verschwanden die erschreckten Wanderer rasch in den Büschen. Als vollends ein Wächter, der die Runde machte, in einer hellen Mondnacht die fremde Frau auf schwindelnden Sandsteinfelsen wie im Traume dahinwandeln sah, das schöne Antlitz starr dem Monde zugekehrt, stand Jetta's Zauberruf bei dem ganzen Volke fest. Wenn sich die neuen Ansiedler in ihren Mußestunden zum Plaudern am Ufer des Nicer zusammenfanden, ward halblaut erzählt, wie die Knaben, die die Rosse am Bergesabhang hüteten, das fremde Weib des Nachts gespenstisch durch den Wald irren sahen, wie sie einhergehe, jammere, weine, und die Hände ringe, daß es kläglich anzusehen sei. Mit heimlicher Scheu blickten sie am Abende hinauf nach dem flackernden rothen Lichte, das oben am Berge, von der Höhle her, durch die Büsche herniederglänzte. »Jetzt sinnt sie Zaubersprüche aus«, flüsterten die Frauen sich zu, »und braut aus giftigem Schierling böse Tränke und spricht mit den Unholden, die auf den Fittichen des Nachtsturms einherfahren.« Bald hatte ein ganzer Sagenkranz um Jetta sich gelagert. Ein Drache, so erzählten sich die Knaben auf der Pferdeweide, habe einst in der Höhle gehaust. Den sang sie zauberisch in den Schlaf und trennte ihm dann mit dem Messer das blaue Haupt von seinem dünnen rothen Halse, um seine Höhle und seinen Schatz zu erben. Andere hatten selbst gesehen, wie sie mit ihrem Zauberliede den Mond vom Himmel zog, daß er hart an der Bergwand stand und wie sie die Hand ausstreckte und etwas aus der Mondhöhle holte, so daß das Mondlicht noch nachher silbern an ihren Fingern klebte. »Ich weiß, wovon sie lebt«, sagte ein rothbäckiger Junge, der für den Kecksten der kleinen Schaar galt, die am Nicer die Pferde hütete. »Als sie schlief, habe ich mich zu ihrer Höhle geschlichen. Rings war alles mit kleinen Gebeinen besät, die ihr Wolf benagte und an der Seite sah ich viele Kinderköpfe, da machte ich, daß ich weiter kam.«

So umgab tiefes Grausen Jetta's Höhle und hütete ihre stille Einsamkeit. Sie freute sich dieses Banns, den der Aberglaube der Barbaren um sie zog. Denn ihr eigenes Verlangen stand danach, vergessen zu bleiben. Ihr genügte, nichts zu hören von der Welt, die sie verletzt und der besseren Tage zu gedenken, in denen sie noch den Glauben gehabt hatte, daß sie dem Reiche nöthig sei und den Göttern.

Da scheuchte sie eines Tages die Botschaft des treuen Lupicinus aus ihrem Brüten empor, das Siegesfest der Alamannen solle in diesem Thale gefeiert werden. An dem Tage, an dem die Germanen die Feuer zu entzünden Pflegten, zur Bestattung des Frühlingsgottes Baldur, den die Sommerhitze erschlagen, würde Macrian auch die Gefangenen opfern, die in seinen Händen geblieben. »Viele von unseren alten Freunden«, sagte Lupicinus traurig, »werden auf dem Riesensteine geschlachtet werden; der tapfere Gajus und deine Vettern Statius und Nasica sind auch darunter.«

Entsetzt erhob sich Jetta. All ihre Gleichgültigkeit, in der sie geglaubt hatte, der Welt abgestorben zu sein, war mit einem Schlage gewichen. Eine klare Pflicht erhob sich vor ihr und heischte ihre Hülfe. Sie wollte diesem gräuelvollen Kriege ein Ende machen und die Opfer retten, für die die Priesterin am Steine des Giganten bereits das Opfermesser schärfte. Genau befragte sie Lupicinus nach dem Aufenthalte des Königs und beschloß, ihre Maßregeln zu nehmen.

Die Nacht über war ein unheimlicher Lärm im Walde zu hören gewesen. Fremde Tritte hatten das Wild verstört, Jetta's Wolf heulte zornig und der klagende Eulenschrei ihres Käuzchens schnitt ihr in dieser Nacht mehr als einmal durch die Seele. Endlich graute der Morgen und blutig gefärbte Wolken standen über den dunkelblauen Bergen des Wodanwaldes. Unten am Opfersteine bei der Hütte der Priesterin saßen des Königs Knabe Hortari und ein graubärtiger alter Krieger. Der Königssohn, den wir schon auf dem Steinringe des heiligen Bergs begegneten, erwehrte sich der Morgenkühle, indem er auf und nieder ging. Die zurückgeschlagene Kapuze des Wolfsfells, das als Mantel um seine Schultern flatterte, ließ das Haupt mit den langen blonden Haaren frei und das junge Gesicht, vom frischen Winde geröthet, schaute fröhlich auf den greisen Genossen. Der Alte hüllte sich dichter in seine Büffelhaut und betrachtete mit Wohlgefallen den stattlichen Knaben. Sie beide, der Aelteste und der Jüngste im Gefolge Macrian's, hatten die Wache gehalten bei den Feldzeichen des Volks. Schilde, aus Weiden geflochten, bemalt mit den grellen Wappenzeichen der Geschlechter hingen an den alten Bäumen. Hier und dort bleichte ein Pferdeschädel von dem letzten Opfer. In der Hütte hörte man die befehlende Stimme der Priesterin und das Rüsten der Opfergeräthschaften. Die beiden Wachen ließen sich durch diese unheimliche Geschäftigkeit nicht stören in ihren Gesprächen. Sie kürzten sich die Zeit mit Räthseln und der alte Wulf freute sich der guten Schule des Königssohns, der auf keine Frage die Antwort schuldig blieb. Daß die Weiber keinen Bart, die Berge keine Wurzeln und der Katzentritt keinen Schall habe, hatte Hortari bereits glücklich gerathen. Jetzt aber sagte der Alte: »Nun, Vielgewandt, was ich dich fragen wollte:

Ich möchte nur haben,
Was gestern ich hatte,
Weißt du, was es ist?
Es löset die Zunge,
Es lähmet die Sprache
Und bringet zum Schweigen,«

Der frische Hortari erwiderte alsbald:
»Der gute Trank
Er löset die Zunge.
Aber im Uebermaß
Lähmt er die Sprache
Und bringet zum Schweigen.«

Wieder begann der Alte: »Nun, Vielgewandt, was ich dich fragen wollte:

Was war das Wunder,
Das ich draußen gewahrte?
Es hatte sein Antlitz
Tief unter der Erde,
Wogegen die Sonne
Die Füße beschien.«

Hortari gab zur Antwort:

»Wohl sahest du wachsen
Am Boden die Zwiebel,
Das Haupt in der Erde,
Wogegen die Sonne
Die Füße beschien.«

Da lachte der Alte und fragte nochmals: »Nun, Vielgewandt, was ich dich fragen wollte:

Vier gehen,
Vier hängen,
Zwei wehren den Hunden,
Einer hängt hinten,
Und ist alles ein Thier.«

Hortari besann sich eine Weile, dann sprach er:

»Eine Kuh ist es,
Die vierbeinig schreitet,
Vier Euter ihr hängen,
Sie wehrt sich zweihörnig.
Der Schwanz hängt ihr hinten.«

Und wieder begann Wulf: »Nun, Vielgewandt, was ich dich fragen wollte: Was war das Wunder, Das ich draußen gewahrte?
Mit zehn der Zungen,
Mit zwanzig der Augen,
Mit vierzig Füßen
Ging es auf vieren
Langsam einher.«

Auch das wußte Hortari:

»Eine Sau ist es, trächtig
Mit zehn der Jungen,
Schleppt sie sich langsam
Im Hofe umher.«

»Du wirst ein wackerer Sagamann werden«, lachte der graue Wulf, wenn du heute schon Sprüche und Räthsel kennst wie ein alter Held. Nun aber hebt sich die Sonne dort über dem Bergrand, siehe wie der Fluß erglänzt gleich Silberschuppen, mit denen der Nix sich schmückt, nun setze das Horn an, daß sie den Schlaf von sich schütteln und herbeikommen zum Opfer.« Da sprang Hortari zu einem Baume, ergriff ein dort hängendes gewundenes Büffelhorn und ließ dröhnende Laute erschallen in den grünen Wald. Von der Hütte her antwortete der dumpfe Paukenschlag der Priesterin, die in langsamem Takte den Stab niederfallen ließ auf die gespannte Kuhhaut.

Bald wurde es lebendig in dem heiligen Haine. Hier traten junge Fante mit leichten Spießen herzu. Ihr blondes Haar war mit Sorgfalt in großen Knoten aufgewunden, aber ein Tuch um die Lenden und ein Schaffell auf dem Rücken war ihre einzige Kleidung. Andere kamen mit Hemden und Hosen von Hirschleder, andere im Schuppenpanzer, andere in römischer Rüstung, die sie im Felde erbeutet. Endlich erschien auch Macrian, schrecklich anzusehen in dem Helme, der aus dem Haupte eines Ebers gearbeitet war; weiß glänzten die Hauer noch an den Seiten und roth funkelte der Achat aus den geschlitzten Augenhöhlen des ausgebalgten Thiers. Hortari trat an seine Seite und auf die andere der Opfermann Sunno, ein finsterer Greis, den sein langer weißer Vollbart von den schnurrbärtigen Kriegern ringsum unterschied. Die weiße Binde und der Eichkranz bezeichnete ihn als Priester und er befahl den Sklaven, die Gefangenen vorzuführen. Aus der Thüre der Hütte schritt zuerst die greise Priesterin, mit nackten Füßen, das feine weiße Gewand von goldenen Spangen gehalten, einen ehernen Gürtel um die Hüften, und den dicken Eichenkranz über den grauen Haaren. Hinter ihr folgten, die Arme auf den Rücken gebunden, ein Dutzend Gefangene, voran Nasica und Statius, die vor Schwäche und Furcht zusammengebrochen wären, hätte nicht der junge Bulfilaich sie gestützt und ihnen zugeredet, indem er ihnen zuweilen ein Kreuz zum Kusse reichte. Diese Bekehrung war die Arbeit seiner letzten Wochen gewesen, in denen er den Gefangenen treulich zur Seite geblieben war. Aber wo war nun der Stolz des hochmüthigen Nasica, wo die Leibesfülle des kecken Statius? Arme, abgehärmte, vor Furcht zitternde Menschenkinder traten sie dem Könige gegenüber, der einen kalten und gleichgültigen Blick über sie gleiten ließ. Die Priesterin nahm nunmehr einem Knechte das Opferbeil aus der Hand und fing an, ihre Sprüche über demselben zu murmeln, während die höher steigende Sonne ihre ersten Strahlen über den Riesenstein warf. Indem so die Alamannen im Kreise des lang entbehrten Schauspiels harrten, entstand im Hintergrunde eine Unruhe. Der König sah seine Mannen scheu, zum Theil voll Schrecken zurückweichen. Hoch aufgerichtet, in glänzendem weißem Gewande, die aufgelösten langen Flechten rückwärts von einem Goldreif umfaßt, trat Jetta vor die Gefangenen und voll Würde erhob sie ihre warnende Hand und sprach mit ihrer dunkeln Stimme: »Ich bin es, König Macrian, der du den raschen Sieg verdankst. Ich komme, um meinen Antheil an der Beute zu fordern.«

Der König schaute mit einem Blicke heißer Bewunderung nach dem schönen, geschmückten Weibe. »Gern«, sagte er, »hätte das Volk der Prophetin und Fürstin, die uns beistand, Beute zugetheilt, aber sie war verschwunden, als wir theilten und was freien Männern das Loos zugeschieden, kann der König nicht zurückfordern.«

»So gib mir diese«, rief Jetta stürmisch und breitete die Arme schützend über die gebeugten Gefangenen aus, auf deren bleichen Wangen plötzlich die Röthe des Lebens und der Hoffnung wiederkehrte. Auf's neue begann Jetta mit ihrer dunkeln vollen Stimme, indem sie die Hand warnend gegen Macrian erhob: »Thränen, du stolzer Germane, hast du genug gesät. Sieh zu, daß nicht die Saat der Rache aus ihnen dir reife. Ihr Krieger der Alamannen, glaubt ihr, daß das Land euch Brot und Wein bringen wird, das ihr mit salzigem Naß und rothem Blute düngt? Nesseln wird es euch tragen und züngelnde Vipern und eine Drachensaat des Krieges. Entlaßt die Gefangenen, das ist der erste Schritt zum Frieden mit Rom. Diese hier, Statius und Nasica sind Valentinian und mir selbst verwandt; sie werden euch den Frieden mit Rom vermitteln oder freiwillig wiederkehren in eure Haft.«

Tiefe Stille antwortete auf Jetta's Rede, die die wilden Krieger nur halb verstanden hatten. Der König schaute zaudernd im Kreise seiner Mannen umher und sah, wie mancher Edeling verlangende Blicke nach dem schönen Weibe sendete. Nur die Priesterin schoß unter ihrem dicken Eichenkranz und ihren grauen Strähnen tückische Blicke nach der fremden Frau, die einen Triumph der Schönheit über die Herzen der Barbaren feierte. Aber von den Alten stießen etliche die Schilde zusammen: »Wir wollen keinen Frieden, wir wollen den Krieg! Ihr Blut fließe am Wodanstein.« »Still«, rief der König. »Man befrage das Loos. Hole die Runen«, befahl er der Priesterin, die widerwillig und zögernd nach ihrer Hütte zurückkehrte. Während die Edlen zusammentraten, um leise zu berathen, schritt Jetta mit ruhiger Hoheit zu den Gefangenen und löste Nasica's Bande, wobei ihr Bulfilaich behülflich war und niemand wagte sie zu hindern, da der König sie ruhig gewähren ließ. Auf der andern Seite hatte inzwischen die Priesterin ein weißes Linnen auf den Rasen gebreitet und reichte dem Priester eine Urne, in der Buchenstäbe lagen, auf die verschiedene Zeichen geritzt waren. Der greise Sunno sprach Wodan's Rabenzauber, die heilige Formel:

Alfen verstehen,
Nornen verkünden,
Menschen erdulden,
Walkyren vollenden.

Dann griff er blind in die Urne und warf eine Hand voll Runen auf das Tuch. »Deute!« sprach Macrian herrisch zu der Alten. Es waren eben so viele Zeichen für R wie andere Lettern. Die Greisin starrte die Buchstäbe an, dann sprach sie:

»Rom reitet rückwärts, raunet die Rune, Schwertbiß im Nacken tödtet den Wurm.« Die Alamannen schlugen die Schwerter zusammen, aber plötzlich ward es still, denn hoch aufgerichtet war Jetta zu dem Linnentuche getreten. Kaum ein größerer Gegensatz höchster Schönheit und äußerster Häßlichkeit ließ sich denken als dieses blühende Weib mit den dunkeln Seheraugen und die verschrumpfte Greisin, deren Blick tückisch und quer zur Seite schaute. Aller Augen hingen an Jetta's Mund. Und als ob sie von alten Zeiten gewohnt sei, die heiligen Zeichen zu deuten, rief sie:

»Roß und Reiter sinken im Rhenus,
Ruhmlos verrauschet, wer rathlos rennt.«

Aber die Zauberfrau begann auf's neue:

»Rastlos reiten Riesen und Recken,
Rückwärts rufet römischer Trug.«

Aber auch Jetta erwiderte:

»Rosen und Reben rächen zu rasten,
Rauschtrank und Rundtrank regt richtigen Rath.«

Der Blutdurst der Krieger war über diesem aufregenden Spiele des Scharfsinns bereits geschwunden und ein unterdrücktes Lächeln war auf manchem bärtigen Angesicht zu merken. Der letzte Götterspruch vollends leuchtete den Helden ein. Die Andacht war dahin. »Gerstensaft! Wein! Meth!« rief es in der Runde.

»Wodan will sein Opfer!« sprach schroff die Priesterin. Der König aber entschied: »Versparen wir die Gefangenen bis der Vorschlag, Frieden zu schließen, berathen ist. Wodan aber opfere ich das Roß, das ich reite. Führt den Rappen herbei!«

Hortari eilte hinweg nach einer Lichtung, wo des Königs Schlachtroß an einer Buche angebunden war. Am Zügel führte er es zum Steine des Giganten. Das edle Thier witterte den Blutgeruch früherer Opfer und scheute zurück vor den bleichen Pferdeschädeln, die mit weit aufgerissenen Nüstern von den Bäumen herabblickten. Jetta jammerte des stolzen Rosses, aber sie schwieg. Inzwischen hatte die Priesterfrau auf dem Steine das Opferfeuer entfacht und der Rappe ward bis hart an denselben herangeführt. Sunno, der Opfermann, ergriff ein langes Messer und fuhr dem Pferde in die Kehle, daß ein Blutstrom wie ein rother Springquell weit hervorschoß und die Zunächststehenden besprengte, während das Thier zitternd in die Kniee sank. Nun riß es der Opferpriester nieder, drückte es zur Erde und sein Genosse durchschnitt ihm noch vollends die Kehle. Eine Schüssel fing das Blut auf und alsbald ward ein gewaltiger Kessel an's Feuer gerückt, in dem nun die Priesterin aus dem zerstückten Thiere das Opfermahl kochte, während die gewaltigen Keulen an der offenen Flamme brieten. Mit dumpfer Stimme sang der Priester das Blutgebet und jeder der Freien trat herzu und tauchte seine Hand in die rothe Lache. Widerwillig wendete Jetta sich ab und setzte sich zu den Gefangenen, die in ihre alte stumpfsinnige Ergebung zurückgefallen waren und ohne an Flucht oder Rettung zu denken, dem Treiben um sie her zuschauten. Der König aber hatte große Krüge voll süßen Methes kommen lassen und nachdem das Opfermahl bereitet war, kreisten die Becher und gehöhlten Trinkhörner, denen die Opferfrau selbst nicht am bescheidensten zusprach. Auch Jetta wies die Gaben, die der König ihr und den Gefangenen sendete, nicht zurück, nur Vulfilaich weigerte sich mit Abscheu von dem Mahle der Dämonen zu speisen. Die Germanen lachten und ließen ihn gewähren. Stundenlang hatten die Krüge gekreist und waren mit stummer Andacht geleert worden. Die Priesterin war des Gottes voll entschlafen und damit war der blutdürstigste Feind der Gefangenen beseitigt. Nun hoben die Jünglinge zu singen an, barbarische Kriegsgesänge zum Lobe Wodan's und Donar's, dann sehnsüchtige, mildere Weisen zu Baldur's Preis und der schönen Freya. Endlich, als der Abend sich über das Thal legte und der Mond voll und groß emporstieg, ward es still. Die Jugend lag ruhig an den Felsen gelehnt, die Alten saßen berathend beisammen und ihre Stimmung, milder geworden, neigte sich zum Frieden mit Rom. Eines der Wahrsagerweiber aus der Hütte entflammte auf dem Opfersteine ein gewaltiges Feuer, das mit seinem flackernden röthlichen Lichte die wild umhergelagerten Gruppen übergoß. In den Büschen sprühten die Glühwürmer und zogen zwischen den dunkeln Zweigen ihre mystischen Kreise. Am Feuer kauerte die Gehülfin der Priesterin, um je und je wieder einige trockene Scheite aufzulegen. Neben ihr saß Jetta, das Antlitz auf die schönen Hände gestützt, während ihr Wolf, der endlich ihre Spur gefunden, sich zu ihren Füßen hinbreitete. Als Jetta zum Himmel emporschaute, überflog sie plötzlich ein Schauder. An der Scheibe des Mondes sah sie einen kleinen schwarzen Schatten, der langsam wuchs. Das bedeutete Unheil, aber für wen? Gespannt horchte sie auf und da das Durcheinandersprechen der Häuptlinge eben verstummte, trug die Luft von der Berathung der Edlen etliche Worte ihrem scharfen Ohre zu. Als sie begriff, daß es sich um Krieg und Frieden, um Leben und Tod ihrer Schützlinge handle, erhob sie sich und bestieg feierlich den Opferstein. In dem unsichern Schimmer der sich verfinsternden Mondscheibe und des flackernden Feuerscheins stand sie geisterhaft da, so daß ein abergläubisches Grausen die Versammelten beschlich. Laut und vernehmlich erschallte ihre volle Stimme. Stolze Worte der Anerkennung richtete die Prophetin zunächst an die Tapfern, die sie ihre Kriegsgenossen nannte, sie huldigte den Gefallenen, aber sie beklagte den Krieg, Mit schönen Bildern begann sie den Römerfrieden zu preisen, in dem die Gaben der Völker in freundlichem Austausch hin und hergingen von Hand zu Hand. Sie redete davon, wie heilsam es wäre, wenn die Jünglinge des Volks hinüberwanderten in das Reich und lernten die Runen zu lesen, die weise Männer geschrieben, kunstvolle Gefäße über den Rhenus holten und edlen Wein und das alles für Waaren, wie Germanien im Ueberfluß sie erzeuge, ohne blutigen Kampf und schwere Wunden. Nur die Minderzahl der in römischen Diensten gealterten Germanen verstand ihre Rede. Aber ihre dunkle Stimme, ihre schwärmerischen Augen, das Wetterleuchten des Geistes auf dem schönen Angesichte hatten eine eigene Beredtsamkeit für sich und wenn sie den vollen weißen Arm erhob und ausdrucksvoll wieder sinken ließ, waren diese Wilden von ihren Worten überzeugt, auch wenn sie nicht genau wußten, was Jetta meine.

»Du, Chnodomar, was sagt sie?« flüsterte ein Jüngling dem Andern zu, der Jetta mit den Augen zu verschlingen schien.

»Sie meint, wir sollten mit den Römern einen Bund machen, dann erhielten wir goldene Spangen und Wein.«

»Das wäre gut«, sagte Rufilo, »aber umsonst?« »Büffelhäute und gefangene Chatten sollen wir geben.«

»Büffel und Chatten sollen sie haben«, sagte Chnodomar, »die fangen wir gern, das macht Spaß, auch dicke Bojer und Burgundionen, so viel sie wollen. Aber was sagt sie jetzt? Der Mönch starrt sie ja an, als wolle er sie erwürgen.«

»Die römischen Götter sollen wir annehmen und ihnen ihre Tempel wieder aufbauen, dann würden wir glücklich sein. Da, da – sieh den kleinen Mann!«

Jetta's Rede hatte eben die Wendung genommen, die der Alamanne richtig verstanden. Sie mahnte an die Götter Roms, deren Zorn zu sühnen auch dem Volke der Alamannen heilsam sei, als Vulfilaich sich zu regen begann. Schon die Opferhandlung, der er beigewohnt, hatte ihn tief beunruhigt, aber es waren das Formen, die er von Jugend auf gewöhnt war und so ließ er denn das Ganze über sich ergehn. Als nun aber Jetta von der Wiederaufrichtung der römischen Tempel redete, bäumte sich der germanische und mönchische Trotz gemeinsam in ihm auf und je öfter er in den letzten Wochen in heißen qualvollen Nächten gegen das Bild dieses Weibes gekämpft hatte, um so leidenschaftlicher erhob er sich, um den Zauber zu brechen, den sie um ihn gesponnen und dessen Fäden sie auch hier über die Herzen der Edlen seines Volkes warf. »So entscheidet euch«, rief Jetta mit einem Blicke so stolz, als ob Jupiter Capitolinus in Person es ihr aufgetragen hätte, »entscheidet euch, ob ihr die Götter des Reiches zu Freunden haben wollt oder zu Feinden?« Da stürzte Vulfilaich hinauf auf die Felsplatte und über das Opferfeuer hin hielt er sein Kreuz ihr entgegen: »Verstumme der ungesegnete Mund«, rief er kreischend, »der die Götzen verkündet.« In plötzlichem Entschlusse, um sich selbst zur Aufnahme des Kampfes zu zwingen, war er hinaufgesprungen, wie man sich in die Strudel eines Flusses stürzt. Aber um zu schwimmen fehlten ihm die Flossen. Er fand keine weiteren Worte. Er fühlte nur, daß er hier oben stehe, daß alle Augen auf ihn gerichtet seien und daß er nicht wisse, was er reden solle. Jetta aber schaute ihn ruhig und fest an, ein stiller Hohn lag auf ihrem Angesichte. Eine leichte Bewegung ihrer Schultern schien zu sagen: »Du?« und Vulfilaich verstand nur zu wohl diese beredte Geste. Ihre Augen sahen ihn durch und durch. Er meinte in ihnen zu lesen: »Warst du es nicht, der in jener Nacht sich zu mir schleichen wollte, wie das Thier hier zu meinen Füßen bezeugt? Wolltest du mich nicht in deiner eigenen Höhle umarmen, die du zu einer Laube der Ueppigkeit machtest in deinen bösen Gedanken? Hattest du nicht die frechen Arme schon ausgebreitet, um mich an dich zu ziehen, als der Wolf hier dich schreckte?« Das Alles las sein böses Gewissen in dem bleichen Angesichte, das mit kaltem Spotte auf ihn gerichtet war. Da erhob sich der Wolf und schaute ihn knurrend an. Die Wilden riefen dem Wolfe Beifall und Vulfilaich brach in der tiefen seelischen Erschütterung aller seiner Kräfte zusammen. Sein Dämon schüttelte ihn und in wilden Krämpfen wälzte er sich zu Füßen der stolzen Prophetin. Alsbald aber erscholl ein Murmeln des Grausens, des Entsetzens. »Der Mond, der Mond!« riefen etliche Krieger. Die Weiber bei der Hütte stießen ein Wehegeheul aus und rührten die Pauke, um dem Gotte zu helfen, den eben der Fenrirswolf eingeholt hatte, so daß sein Schatten ihn schon verfinsterte. Jetta's Wolf begann zu heulen, als ob er Gefahr für den Gott ahne, der jetzt nur noch am Rande sichtbar war. Aber der Feind wich nicht, die Scheibe verdunkelte sich völlig. Als Jetta emporblickte, ward sie des schauerlich schönen Schauspiels am Himmel gewahr und rasch entschlossen, mit erhobener Rechten nach der Mondfinsterniß deutend, trat sie vor Macrian: »So wird euer Glück sich verfinstern wie euer Gott«, tönte ihre volle Stimme, »wenn du die Zeichen am Himmel verachtest. Willst du die Gefangenen entlassen, o König, willst du Frieden mit mir schließen und mit Rom, oder willst du nicht?«

»Ich will«, sprach der Fürst der Alamannen, den ein abergläubiger Schrecken überschauerte.

»So gib diese frei.«

»Sie sind dein.«

»Und du bist bereit, mit Valentinian ein Bündniß aufzurichten zu Schutz und Trutz, auf Leben und Sterben, in Treue und Festigkeit?«

»Ich bin bereit«, sprach Macrian, denn als er um sich schaute, sah er sein ganzes Volk an der Erde liegend, die Priesterin rührte leise die Pauke und der Mönch zu Jetta's Füßen krümmte sich in stummer Qual. Nur er stand noch bei der Flamme und das furchtbare Weib. Da kniete auch er andächtig in den Staub, damit sie dem schauerlichen Schauspiele ein Ende mache. Als er es wagte, einen Blick nach dem Himmel zu senden, ward die silberne Scheibe von der entgegengesetzten Seite her wieder hell und nach einer Weile goß der Gott sein mildes Licht auf's neue herab in die stille Waldschlucht, als wäre nichts geschehn. Leise und wortlos brachen die stolzen Krieger auf, um sich im Walde zur Ruhe zu legen.

»Halte dein Wort, König, daß dich meine Götter nicht strafen«, sagte Jetta. Die zwölf Römer aber warfen sich vor der Prophetin nieder und küßten den Saum ihres Kleides. Als Jetta sich nach der Priesterin umsah, war dieselbe verschwunden. »So werde ich dieses heiligen Haines walten«, sprach sie und befahl ihren Gefangenen, sich in dem Hause des Wahrsagerweibes niederzulegen, während sie selbst mit ihrem Wolfe nach ihrer Höhle zurückkehrte.


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