Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Genau um die Stunde des Ueberfalls in der Grotte kehrten Arator und Syagrius vom Columbarium zurück, wo der Comes die Asche seines Schwiegersohns, den er selbst gemordet, in der Urne geborgen hatte. Schweigend schritten der Verschwörer gegen Rothari's Leben und der ehrwürdige Greis, der wider Willen das Urtheil hatte vollstrecken müssen, nebeneinander, bis sie das Prätorium erreichten. Nun erst sagte der Notar: »Da oben liegt schon seit vorgestern eine schriftliche Ladung für dich bereit, die dich nach Atta Riva bescheidet, sobald Hermogenes hier eingetroffen sein wird, den der Kaiser dir zum Nachfolger bestimmt hat.« Der alte Mann schaute seinen Gegner lang und ernsthaft an, dann fragte er: »Des Kaisers Notar wird mir auch sagen können, was der Grund zu dieser auffallenden Abberufung ist?« Syagrius lächelte spöttisch: »Deine allzuenge Verbindung mit dem Verräther Rothari.« Arator ward bleich, er fühlte das Walten der Nemesis, aber er kehrte dem herzlosen Spötter schweigend den Rücken und betrat das Prätorium. Noch war er mit den Vorbereitungen zur Uebergabe des Dienstes an den neuernannten Dux Militiä beschäftigt, als ein Centurio hastig eintrat und die Ankunft der Augusta im Lager meldete. Gleichzeitig schmetterten draußen die Hörner, die die Truppen gegen die Alamannen auf die Wälle riefen. Der Comes eilte hinaus, befahl die Thore zu schließen und bestieg den Thurm der Porta Decumana um sich durch eigene Rundschau zu überzeugen, was der Grund des Allarmes sei. Seine Officiere waren noch immer in der Grotte und auf dem Mons Piri antwortete kein Signal auf das Blasen der Tuba. Statt dessen nahm das scharfe Auge des fernsichtigen Greises hinter dem alten Steinringe lange Lanzen der Alamannen wahr. Sollte die ganze Mannschaft da oben niedergemacht worden sein? Kaum glaublich. Als er eben nach dem Mithräum senden wollte, um die Geweihten zu warnen, kam Justina ihm nach, voll Ingrimm, daß nicht Arator's erste Sorge gewesen war, sie zu begrüßen. Ihn faßte sie an, als den Vater der Verrätherin, die ihr Kind entführt hatte. Sie überfluthete ihn mit Vorwürfen, daß seine schlechten Vorkehrungen den Ueberfall ermöglicht; von ihm verlangte sie ihren Knaben bei Gefahr seines Hauptes, von ihm wollte sie wissen, wohin Jetta den Prinzen geschleppt habe? Arator stand betäubt von der seltsamen Mär, die ihm Justina von seiner verschwundenen Tochter berichtete. Daß Jetta's wilder Schmerz und ihr excentrischer Sinn sich eine abenteuerliche Rache ausdenken werde, hatte er sofort gefürchtet, aber was Justina ihm erzählte, überbot seine Erwartungen. Stumm ließ er die Zornergüsse der Furie über sich ergehen. »Solche Scenen spielen stets eine Stunde vor dem Untergange eines Herrscherhauses«, sagte er für sich. Aber in diesen Wirren, die seit gestern hereingebrochen und dem wilden Gezerre der Leidenschaften wollte er wenigstens, wie der alten Römer Einer, seine Kälte bewahren und seine Pflichten erfüllen. Dann allein konnte er dem Reiche retten, was noch zu retten war. So schaute er ruhig das Flußthal aufwärts. Von dort mußten die Feinde kommen, kamen sie überhaupt. Durch sein Schweigen noch mehr erbittert, faßte die kaiserliche Megäre, ihrer Wuth nicht mehr mächtig, den Feldherrn am Arme und schrie: »Antworte, Verräther, antworte!«

Da sprach Arator in schroffem Tone: »Schweige! Nicht um dich handelt es sich heute und deinen Buben, sondern um die Provinz und um Rom«, und der Blick, der sie traf, drohte wie das scharfgeschliffene Beil des Lictors. Ihr böses Gewissen regte sich. Sie wußte von der tückischen Abberufung Arator's, der demnach nichts mehr zu verlieren hatte; so kam ihr die Angst, der Comes handle am Ende im Einverständniß mit seiner Tochter und werde die Stunde nützen, die die Gewalt noch sein war. Der Muth entfiel ihr und ihre Rache auf eine bessere Stunde verschiebend, kehrte sie stumm zu dem Prätorium zurück, wo sie Syagrius mit Abfertigung von Eilboten an Valentinian beschäftigt fand. Durch ihre Bitten bestimmte sie den Notar, auch an Anakletus von Lopodunum eine Einladung in das Lager zu senden. Der arianische Bischof konnte ihr am ehsten zum Unterhändler bei Macrian dienen, dem sie ihren Knaben mit Bergen Goldes abzukaufen bereit war.

Von da ab blieb es im Thale vollkommen still. Kein Mann vom Mons Piri bat um Einlaß, keiner aus der Grotte war zu blicken. Unter diesen Umständen ließ Arator die leichten gallischen Bogenschützen, die Petulantes, ausschwärmen, um die Lage zu erforschen. Sie sahen am Eingänge des Thals zwei hochgewachsene Reiter auf sattellosen Pferden, die sich aber alsbald zurückzogen. Bis zur Grotte getrauten die Römer sich nicht vorzudringen, um nicht in einen Hinterhalt zu fallen. Ein anderer Zug, der die Ebene absuchte, sah zwei Alamannen auf ihren kleinen Pferden in der Richtung auf Alta Ripa reiten. Es waren die Boten der Edelinge, die die Befreiung der Geiseln von Valentinian verlangen sollten. Weiteres wurde nicht gemeldet. Die Truppen blieben die Nacht über auf ihren Posten. Von den Wartthürmen leuchteten die Feuerzeichen und meldeten über den Rhenus die Nähe des Feindes. Der Schritt der Ronden dröhnte auf den Wällen, in einem schmalen Gemache des Prätoriums aber lag Justina hingegossen vor einem Crucifixe, weinte, betete, geiselte sich, bekannte ihre Sünden und Verbrechen und gelobte, sich aller magischen Künste zu enthalten, falls ihr der Gekreuzigte ihr Kind zurückgebe.

Am andern Morgen fand sie den Bischof von Lopodunum vor ihrer Thüre. Der fromme Herr erschrak zwar sehr, daß man ihn, den Mann des Friedens, an Macrian senden wolle, aber die Kaiserin ließ ihm so entschieden die Wahl zwischen Gehorsam oder Verlust seiner geliebten Basilica, daß er einwilligte, ihr Bote an die Alamannen zu sein und jedes Lösegeld für Auslieferung des Knaben zu versprechen. Noch am selben Mittag kehrte er erregt und unwirsch von Macrian zurück. Ein Vorposten hatte ihn erst als Spion bedroht, dann unter Mißhandlungen in die Berge nach der großen Wodanseiche hinter dem Mons Piri geschleppt. Dort hatte er mit den Barbaren zwei Stunden, wie er sagte, verhandelt. Den Knaben habe er nicht gesehen. Er befinde sich in weiblicher Pflege, habe der König lachend erwidert. »Bei Jetta!« schrie Justina entsetzt. Macrian gelobe aber, den Knaben und die gefangenen Officiere unverletzt herauszugeben, fuhr der Bischof in seinem Berichte fort, sobald die Geiseln aus Mogontiacum in dem Lager der Alamannen eingetroffen seien. So erfuhr auch Arator zuerst von dem Schicksale seiner Leute. Die Besatzung auf dem Berge war erschlagen, die Führer in der Grotte in des Barbaren Hand. Offenbar aber war Macrian zu schwach zum Angriff und benützte die Frist, die er Valentinian stellte, um die Stämme der Alamannen aufzubieten. Die Kaiserin beschloß darum, die Reise nach Alta Ripa zu wagen, um Valentinian zur Auslieferung der Geiseln zu bestimmen und den Kaiser selbst von allem zu unterrichten. Der Bischof blieb im Lager zurück unter dem Vorwande, der Weg nach Lovodunum sei nicht mehr frei. Justina dagegen langte unangefochten vor dem Thore des Munimentum an, das der Kaiserin sich alsbald aufthat. Aber Valentinian empfing seine weinende Gattin mit namenloser Wuth. Ihre Bosheit habe ihm Rothari entfremdet, ihr Leichtsinn habe den Alamannen den Knaben in die Hände fallen lassen, bereits sei der Befehl ertheilt, die Geiseln auf den schnellsten Pferden nach dem Mons Piri zu entlassen. Damit habe sie selbst ihren Gatten des wirksamsten Mittels beraubt, auf die Feinde zu drücken, sie zu entzweien und auf die Seite des Kaisers herüberzuziehen. Noch nie hatte der quere Blick des Tyrannen sie so getroffen, noch nie hatte er so zu ihr geredet. Schließlich gebot er ihr, ohne den Knaben zu erwarten, solle sie alsbald nach Treveri abreisen, damit sie nicht des Unheils noch mehr stifte. Mit gebrochenem Herzen bestieg die harte Frau am Abend ihr buntes Prachtschiff und fuhr von Ausonius geleitet den Strom hinab nach der Mündung der Mosella. Auch ihr Begleiter Ausonius war in der gedrücktesten Stimmung. Der Dichter der eßbaren Fische und trinkbaren Weine war besorgt um seine Bissula, über deren Verbleiben ihm niemand Auskunft zu geben vermochte. Der Gedanke, sie zu verlieren, oder vielleicht schon verloren zu haben, brachte ihm plötzlich ihren Werth zum vollen Bewußtsein. Bereits stiegen Nänien und Elegieen um Bissula, nebst neuen Liebesliedern in seinem beweglichen Geiste auf und er ermüdete die Begleiter mit dem Preise seiner blonden Alamannin, die vielleicht durch dasselbe Recht des Kriegs jetzt Weib eines Barbaren werden müsse, durch das sie Weib des großen Dichters und Staatsmanns Magnus Decimus Ausonius geworden war. Hätte der besorgte Ehemann bei seiner Abfahrt genauer nach dem Strande zurückgeblickt, er hätte auf der Terrasse des Gartens, an dem der Rhenus vorbeiströmte, eine Frau sehen können, die mit einem Kinde auf dem Arme dem enteilenden Schisse winkte und sich abmühte, dasselbe durch Zeichen zur Umkehr zu bestimmen. Es war Bissula mit dem kleinen Valentinian. Aber niemand beachtete die Rufe und das wehende Tuch, so daß Justina erst zu Treveri erfuhr, daß ihr Kind bereits gerettet war, als sie trostlos den Rhenus hinabschwamm. Die thatkräftige, schöne Alamannin hatte den Prinzen ganz allein befreit und damit ihr Glück und das ihres Gatten an dem kaiserlichen Hofe für immer begründet.

Während Justina die leidenschaftliche Unterhaltung vor dem Thore des Zehnthofs mit Jetta führte, hörte Bissula's scharfes Ohr noch hinter den Büschen des Abhangs einen Schrei des unglücklichen Knaben, dem die rauhe Hand des Barbaren für einen Augenblick den Mund frei gegeben hatte. Jüngst in den Schauern der Nacht und den unheimlichen Gräueln des Riesensteins gegenübergestellt, war Bissula furchtsam entlaufen. Heute beim fröhlichen Sonnenlichte gab ihr die Energie weiblichen Mitleids den Muth, flüchtigen Fußes den davoneilenden Barbaren nachzusetzen und sobald sie ihrer sichtbar ward, rief sie die Krieger in alamannischer Sprache an: »Jetta schickt mich, ich soll das Kind tragen, damit es sich nicht fürchtet. Der Knabe stirbt ja vor Angst, du ungeschickter Bärenhäuter. So haltet doch, ich bin ja eine Alamannin.« In der That standen die drei Krieger endlich mit ihrer Beute still, um zu hören, was das alamannische Weib hinter ihnen wolle? Athemlos kam Bissula bei ihnen an und nahm den Knaben an sich, der sich in ihren Armen alsbald beruhigte. »Jetta sagte, ich solle ihn pflegen«, log Bissula geläufig weiter. »Wenn er stirbt unter euern rohen Händen, ist er uns nichts mehr werth, lebend ein Königreich. Komm, mein süßer kleiner Mann, nicht wahr das sind böse Tölpel, die nicht wissen, wie man mit jungen Römern umgeht.« Und ruhig schritt sie vor den Kriegern her, als ob es niemand so eilig habe, Macrian zu finden, wie sie. Bald hatte sie aus den Reden der Begleiter erhorcht, daß der Knabe zur Lösung der alamannischen Geiseln dienen solle und als sie nun die Eiche an der Kreuzung der Berge erreicht hatten, wo der König lag, nahm sie alsbald das Wort, als ob sie zur Befreiung ihrer Volksgenossen zu Mogontiacum, deren Namen sie geläufig aufzählte, sich mit Jetta verbündet habe. Hier sei Valentinian's Söhnlein, das den Erfolg verbürge, vor allem aber verlange sie nun Ruhe für das Kind, passende Nahrung und eine etwas abgelegene stille Hütte, damit der Knabe sich erhole. Eine Laube aus grünen Zweigen und breiten Farren war rasch errichtet und im weichen Moose mit ihrem Schützling gelagert, flüsterte sie demselben leise Worte des Trostes und der Hoffnung zu, so daß er beruhigt in ihrem Arme entschlief.

Um folgenden Tage kam der Bischof von Lopodunum an, der sich bitter bei Macrian beschwerte, daß die begleitenden Krieger ihn so hart behandelt hätten, während er doch weder dem Kaiser diene, noch dem Könige, sondern allein seinem Herrn im Himmel. Justina's Botschaft berichtete er nebenbei und erhielt zur Antwort, Valentinian sei schon verständigt, daß er nur gegen Herausgabe der Geiseln seinen Sohn und die gefangenen Mithrasdiener lebend wiedersehen werde. Dem Bischof aber lag mehr als Valentinian's Söhnlein seine Basilica zu Lopodunum am Herzen und die heiligen Gefäße, durch die Justina's Großmuth der tiefen Armuth seiner Kirche zu Hülfe gekommen war. Bald durchschaute der schlaue König diese Sachlage und machte den frommen Mann zutraulich. Er setzte ihm auseinander, die Kaiserchristen zwar, die Nicäner oder Orthodoxen, wie man sie nenne, werde er in seinem Lande nie dulden, weil sie Knechte Roms seien, gegen die Arianer aber habe er nichts. Die Basilica zu Lopodunum solle vor jeder Plünderung bewahrt bleiben, wenn der Bischof bewirke, daß alle, die zu seinem Glauben gehörten, ihr Schwert niederlegten und so weit sie Germanen seien, friedlich in ihre Heimath zurückkehrten. Die Lateiner dagegen könnten sich in dem verödeten Lopodunum niederlassen, wo noch für viele Raum sei. Hocherfreut hörte der hagere Bischof die Worte des Barbaren und erklärte, er werde eifrig thun, was in seinen Kräften stehe, um des Königs Willen zu erfüllen. Gern verkünde er sofort, daß zwischen dem Volke der Christen und dem Volke der Alamannen der Friede geschlossen sei und er die Seinen abhalten werde vom Kampfe für die Römer. Als er dann noch den Knaben sehen wollte, antwortete Macrian ausweichend, er sei in sorgsamer weiblicher Pflege. »Ich soll wohl sein Versteck nicht erfahren«, dachte der Bischof für sich und trat zufrieden den Heimweg an, wo er Justina in ihrem Vorsatz, nach Alta Ripa zurückzukehren, nach Kräften bestärkte. Allein der Knabe befand sich bereits nicht mehr in den Händen Macrian's, als der schlaue Barbar denselben durch Anaklet nochmals wie ein Unterpfand für die Rückgabe der Geiseln verwerthete.

Bissula hatte am Abend ängstlich die Rückkehr Jetta's erwartet, die alle ihre Lügen an den Tag bringen mußte. Aber Jetta war auf der Villa bei der Mithrasgrotte zurückgeblieben und hatte dort, das Haupt auf ihrem Wolfe, übernachtet. Mit der Entführung des Knaben war ihr Rachedurst gestillt. Justina fühlte nun auch, wie es dem Mutterherzen thue, um einen Liebling sich zu ängsten, und das genügte ihr. An eine Ausführung ihrer blutigen Drohungen hatte sie ohnehin nie gedacht. Im Gegentheile legte sie sich gerade darum in der Nähe der Mithrasgrotte zur Ruhe, um nöthigenfalls die Gefangenen gegen Gewaltthaten der Barbaren zu schützen. So blieben Bissula's Lügen unenthüllt und niemandem auf dem hohen Waldplatze fiel ein, die Fremde zu bewachen, die ja selbst den Kaiserssohn eingeliefert hatte. Als nun aber am Morgen die Alamannen nach der Hütte schauten, waren Magd und Kind entflohn. Alles, was Macrian unter diesen Umständen thun konnte, war, den Verlust möglichst lang zu verhehlen. Er bestärkte Anaklet und dieser bestärkte Justina und sie wieder Valentinian in der Meinung, der Knabe sei noch immer in der Hand der Alamannen. So wurde die Entlassung der jungen Edelinge durch Eilboten beschleunigt und in der Stunde, in der Valentinian seinen Knaben aus Bissula's Händen wieder erhielt, jagten die Söhne der Alamannen, längst aus Mogontiacum entlassen, auf raschen Pferden den freien Bergen zu. Der Kaiser versprach trotzdem der beherzten Retterin, ihren Gemahl reich für das zu belohnen, was sein Weib ihm geleistet. Den Vorgang selbst aber, der dem kaiserlichen Hause so wenig zur Ehre gereichte, empfahl er ihrem tiefen Schweigen. Am übelsten freilich wirkte Bissula's List auf das Loos der andern Römer zurück, die in Macrian's Hände gefallen waren. Denn da Valentinian seinen Knaben entführte, statt seine Auswechselung abzuwarten, war Macrian seines Wortes entbunden und erzürnt über den Streich, den ihm die treulosen Römer auf's neue gespielt, bestimmte er die Gefangenen zum Opfer bei dem kommenden Siegesfeste.

Bange Tage verstrichen nun den Bewohnern der kleinen Römerstädte am Nicer und Rhenus, wie sie zwischen der Kriegserklärung und dem ersten Zusammenstoß zu liegen pflegen. Dann aber ward es lebendig im düstern Wodanwalde. Von allen Seiten stiegen die Schaaren der Alamannen die Bergpfade abwärts. Vom Süden waren die Lentienser und Brisgaven heraufgeeilt; das Thal des Nicer stiegen die Juthungen und Hermunduren herab und vereinigten sich mit Macrian's Buccinobanten, die vom Norden herbeizogen. Stündlich meldeten die Fanale der Wartthürme neue Ankömmlinge, bis ihre helle Flamme erlosch, zum Zeichen, daß sie selbst in die Hände der Feinde gefallen waren. Zum letzten Male hatten sie ihre stumme Römersprache diesseits des Rhenus geredet. In der Nacht aber ward das Thal des Nicer hell von der Flamme, in der der Holzbau des Mons Valentiniani prasselnd zusammenstürzte.

Mit blutigem trübem Morgenrothe brach der Tag an, der die Entscheidung in seinem Schoße trug und die aufgehende Sonne fand Arator bereits auf dem Walle, um die Wachen zu ermuthigen und nach den Feinden zu spähen. Die Feldzeichen der Barbaren waren ihm wohlbekannt. Dort erhob sich Macrian's Lanze mit dem gräulichen Eberhaupte, drüben sah er das Hirschgeweih, das schon die Heere der Sueven vor sich hergetragen, grell gemalte Schwertzeichen und goldene Pferdeköpfe sah er blinken und seine Stirne umwölkte sich: »Haben denn die Wälder Germaniens«, sagte er, »alle ihre Schluchten aufgethan, um Juthungen, Hermunduren, Lentienser, Brisgaven und Buccinobanten zugleich auszuspeien?« Aber er war bemüht, den Truppen ein heiteres Antlitz zu zeigen. Baldigen Entsatz konnte er den Seinen nicht in Aussicht stellen, denn der Kaiser wollte die Besatzung von Alta Ripa nicht schwächen. Das Heer sollte bei Mogontiacum zusammengezogen werden, um durch einen Einfall in ihre nördlichsten Gaue die Alamannen zum Abzug zu nöthigen. Die Truppen wußten, daß sie bestimmt seien geopfert zu werden; das war der geistliche Trost, den der Bischof von Lopodunum, von Hütte zu Hütte gehend, den Seinen gespendet hatte. »Sollen wir unsere neugebaute Basilica zu Lopodunum auf's neue ausplündern lassen?« hörte Arator selbst den Bischof einem Soldaten zuflüstern. Er schlug an's Schwert, aber bereits fühlte er sich zu schwach, den Verräther auszuweisen, denn er fürchtete eine Meuterei der Christianer. Auch konnte er nicht sagen, daß der Priester Unordnung angestiftet hätte. Die Truppen standen auf ihrem Platze, die rothen Vexilla flatterten im Winde, das Drachenzeichen der Legion glänzte in der Sonne, Helme und Schilde blitzten, aber kein Zuruf, kein Zeichen der Kampfbegierde begrüßte den Feldherrn. Hier und dort hielt der greise Krieger eine Ansprache, aber er fühlte, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehre. Dabei sah er stets hinter sich in unmittelbarster Nähe Syagrius' rothen Bart und mächtige Nase, unter der die Lippen ironisch sich kräuselten. »Der Widerstand ist unnütz«, nahm endlich der Notar das Wort. »Diesen Abend steht hier kein Stein mehr auf dem andern. Verhandle über freien Abzug.«

»Bis Hermogenes eintrifft, habe ich zu befehlen«, sagte Arator scharf, »es ist nicht Roms Gewohnheit, ein Lager ohne Schwertstreich den Barbaren zu räumen.« Der Notar zuckte die Schultern und stieg hinunter zu dem Bischof. »Dieser Gallier, der den letzten Römer spielt«, murmelte er zwischen den Lippen. Arator seinerseits bestieg den Wall, der sich von innen an die Mauer lehnte, um den Feind zu erwarten. Rings um die Mauer lief ein Doppelgraben, der ungefähr zwanzig Schritte breit war, das heißt so weit als ein Soldat von oben mit Sicherheit das Pilum zu werfen vermochte. Die Zinnen der Brüstung waren genau hoch genug, um einen Mann vollkommen zu decken und die Oeffnung zwischen ihnen so geräumig, um die Handhabung jeder Waffe bequem zu gestatten. Die vier Ecken des Lagers waren abgerundet und sprangen stark hervor, um die Seiten der Mauer zu flankiren. Hier standen die Wurfmaschinen und commandirte der Centurio. Auf jeder der vier Seiten hatte die Anlage ein Thor, das durch zwei viereckige Thürme vertheidigt ward. An diesen Stellen war der Graben überdämmt. Die Porta Prätoria lag auf der Schmalseite gegen Osten, von wo der Feind zu erwarten war. Sie war darum eng und stärker befestigt. Ihr gegenüber, gegen die Ebene des Rhenus, öffnete sich das breite Doppelthor, die Porta Decumana, über deren Mittelpfeiler die Bildsäule des Mercurius Cimbrius aufgestellt gewesen war, bis die christlichen Soldaten sie nächtlicher Weile herabgeworfen hatten. Arator begab sich nach der Porta Prätoria, die zunächst bedroht war. Die Soldaten standen hinter der Brustwehr, das Pilum oder die Schleuder in der Hand, um die Feinde mit eisernen Spitzen und schweren Schleuderbleien zu begrüßen. Aber die Feinde mußten noch auf weitern Zuzug warten. Der Angriff begann nicht, nur an dem Fallen der Bäume auf den Bergen sah man, Macrian bereite Material zum Sturme. Stunde für Stunde standen die Soldaten auf den Wällen und die Sonne versandte unbarmherzige Strahlen auf die schwer gewaffneten Männer, während die Feinde draußen im Walde vom Marsche ruhten und ihre Kräfte schonten. Endlich, bei einbrechendem Abend, als die müden Wachen es nicht mehr erwarteten, ertönte plötzlich in der Nähe des Lagers ein furchtbarer Ton gleich dem Brüllen eines gewaltigen Ungethüms. Alles stürzte nach den Zinnen und spähte nach dem Orte, von dem der Schall herüberdrang. Hinter einem Baume sah man im Dämmerlichte Macrian, der in den hohlen, vor den Mund gehaltenen Erzschild den Schlachtruf anstimmte. Nun wurde es rings im Thale und auf den Höhen lebendig. Man hörte leise anschwellend den summenden Kriegsgesang der Germanen, das taktmäßige Anschlagen der Holzschilde, den sich zum Heulen steigernden furchtbaren Schlachtgesang, der jetzt klang, wie wenn die Meeresfluth an die hohlen Felsen anklatscht. Auf beiden Seiten des Lagers glänzten Waffen durch die Büsche. In acht keilförmig geordneten Zügen kamen sie den Mons Piri herab, vereinigten sich auf der Straße und hielten direct auf das Thor. Voraus schritten riesige Gesellen, Bündel von Strauchwerk als Schilde vor sich tragend, hinter ihnen schleppten andere ganze Bäume und kahle Stämme. In Schußweite des Pilums gekommen, sprangen sie in gewaltigen Sätzen vorwärts; mit einem Wurfe lagen ihre Bündel in dem Graben, die Balken wurden darüber geschoben und der Zwischenraum ausgefüllt mit neuem Strauchwerk. Wohl fiel hier und dort einer von den Geschossen, die die Soldaten hinter der Brustwehr versendeten, aber immer neue Feinde mit Strauchbündeln, Körben, Sandsäcken tauchten hinter den sich auflösenden Reihen empor und als die Sonne sank, war der Graben an dieser Stelle eben. Wieder hörte man das Summen des Schlachtgesangs, das sich steigerte bis es schließlich klang wie Heulen des Sturms. Der Anlauf begann. Arator trat auf die vorderste Brüstung neben den Soldaten, der, am meisten ausgesetzt, das Pilum krampfhaft in der Hand hielt. Er hörte, wie der Feind unten anstürmte. Der Schütze wog das Geschoß mit der Hand, um zu werfen, aber plötzlich setzte er es mit einem Ausrufe des Schreckens nieder. »Was zögerst du?« fragte Arator verwundert. »Mercurius Cimbrius stehe mir bei«, stammelte der Krieger, »ich sehe ein Weib. Voraus kommt deine Tochter mit fliegenden Haaren, ein Wolf ihr zur Seite. Es ist Jetta, Rothari's Witwe, dessen Blut du vergossen.« Und mit einem Zeichen des Entsetzens trat der Krieger zurück. Arator riß ihm das Wurfgeschoß aus der Hand. Mit der einen Hand an der Zinne sich haltend, erhob er sich zu halber Höhe über die Mauer und zielte auf Jetta. »Sie soll wissen, wessen Eisen sie traf«, rief er, sich hoch aufrichtend, da stürzte er von einem Pfeile getroffen kopfüber von der Rampe. »Verrath!« rief es im selben Augenblicke. »Die Christianer ziehen ab!« Betroffen schauten die Kämpfer nach rückwärts. Das nördliche Thor, das sturmfrei geblieben war, war geöffnet. Ein langer Zug speerloser Leute verließ das Lager. Sie trugen ihre Schilde wie Ranzen auf ihrem Rücken und das Schwert in der Scheide. Sack und Pack nahmen sie mit, ein deutliches Zeichen, daß eine förmliche Abrede vorausgegangen war. Voran zog der Bischof, ein weißes Segel, das von einer Querstange herabwallte, trug er als Kirchenfahne vor sich her und neben ihm schritt der Notar in der Tracht des Forums, ohne Waffen. Jetzt stimmten sie den Kirchengesang an: »Hirt der königlichen Heerde.« Dort hielt Macrian zu Pferd und sprach mit Anaklet, darauf setzte sich der ganze Zug in Bewegung nach Lovodunum. In diesem Augenblick erkrachten die Mauern unter den Füßen der Vertheidiger des Ostthors. Die Alamannen stürmten mit langen Baumstämmen gegen sie an. Die Zinnen wankten und fielen. Nun legten auch hier die Soldaten die Geschosse nieder und drängten nach dem Prätorium hinunter, wo Macrian bereits seinen Einzug hielt und die Römer entwaffnete. Nur das Vorwerk jenseits der Brücke war noch in den Händen der Truppen und das aufgerichtete Stierbild der Cohorte zeigte, daß das kleine Häuflein den Tod der Schande vorzog. Als Arator wieder zu sich kam, fand er sich am Ufer des Nicer, wo Vulfilaich beschäftigt war, ihm die Stirne zu kühlen. Hinter ihm, unsichtbar für den Sterbenden, kauerte neben ihrem Wolfe seine Tochter. Noch verklang in der Ferne die monotone Hymne:

Unlenksamer Füllen Zügel,
Nie verirrter Vöglein Flügel,
Hirt der königlichen Heerde
Führe die Deinen, sammle die Kinder,
Zu heiligem Liede, zu wahrem Gebet.

Vulfilaich kniete nieder neben dem todtwunden Manne: »Vergiß jetzt«, flüsterte er ihm zu, »die irdischen Thore und Wälle, die dir anvertraut waren. Steige hinauf in das obere Jerusalem, zähle ihre Thürme, betrachte ihre Mauern, bewundere ihre Paläste, daß du deiner Seele davon erzählen kannst.« Da brach der Sterbende in ein gellendes Lachen aus: »Ist es wahr, daß in euerem Himmel die Seelen blaue und grüne Schatten werfen?« sagte er höhnisch. »Da könnt ihr mich nicht brauchen, denn meine Seele ist schwarz von allem Verrath, den meine Augen sahen. Freue dich, Mönch! Euere Zeit ist da! Winsle Gebete, kniee vor Knochen, thue Wunder und Zeichen! Die Geschichte des Lichts ist zu Ende, die Geschichte der Lüge beginnt. Im Lager herrscht der Priester und das Letzte, was Arator's Ohren hörten, war, daß römische Soldaten das Lied des Gekreuzigten sangen und entwichen, von einem Priester geführt, während die Barbaren das Standlager bestürmten und der Feind vor den Thoren seinen Schlachtgesang brüllte. Wehe, wehe Rom!«

»Ja, wehe der großen Babel«, fiel Vulfilaich ein, »die Stunde ihres Gerichtes ist gekommen. Ehe ein Jahr vergeht werden ihre Mauern bersten wie die Mauern deines Lagers!«

»Brav, brav, mein Sohn«, sagte der Sterbende und es war, als ob der so lang zurückgedrängte Mittheilungstrieb dieses schweigsamen Greises in der Todesstunde plötzlich alle Bande sprenge, so floß der sonst so fest geschlossene Mund des Staatsmanns über von bösen Worten. »Weissage nur immer das Schlimmste, mein guter Knabe, und du wirst meistens Recht behalten. Siebzig Jahre sah ich diesem schalen Schauspiele zu und ich sage dir: alles ist möglich und das Dümmste ist wahrscheinlich. Ich sah einen Kaiser, der ein Hercules sein konnte und der einer Omphale seine besten Freunde opferte. Einen Helden, dem eine Niederlage lieber war als ein Sieg, wenn er nicht selbst ihn erfocht, einen Tyrannen, der seine treusten Diener mordet und nur den Feigen traut.« In diesem Augenblicke hörte Arator Jetta hinter sich weinen. Bei dem Grolle ihres Vaters brach ihr eigenes starres Weh und zum ersten Male war sie der Thränen fähig. Arator wendete unwillig sein Haupt ihr zu: »Du bist hier, Wahnsinnige«, rief er zürnend, »die du die Roma Dea in Person spieltest und dennoch zu den Barbaren liefst, sobald Rom das Leben deines Gatten heischte.«

»Was hat euch Rothari gethan, daß ihr ihn tödtetet?« schluchzte Jetta in namenlosem Schmerze.

Der Sterbende richtete sich auf, seine Züge wurden milder und ein heller Strahl von Mitleid und Vaterliebe brach aus seinem Auge. »Ich habe dich hart getroffen, mein Kind«, sagte er sanft, »und es ist mir selbst nicht leicht geworden. Der Augustus hatte mir Rothari's Leben zugesagt, falls er Rom Frieden gelobe. Hätte ich gewußt, daß alles nur Lug und Trug war, ich wäre nicht bei dem Opfer erschienen. Nachdem aber Statius und Syagrius die Verrätherei begangen, war an keinen Frieden zwischen Rothari und uns mehr zu denken. Ihn zu fesseln war unmöglich, es sind der Germanen im Lager zu viele. Ihn zu entlassen war unser Verderben, denn gegen uns zu kämpfen war jetzt sein gutes Recht. Jede unserer Schwächen kannte er, er wußte, wie leer unsere Magazine, er kannte die Zahl unserer Truppen, die Unfähigkeit unserer Führer, alle Zugänge zu unsern Festen, die Dicke der Mauern und die Schäden unserer Wälle. In zwei Wochen, wenn er das Schwert zog, hatte er uns unter die Füße getreten. Das Alles, wie von einem Blitze erhellt, stand mir vor der Seele in jenem Augenblick. ›Er darf nicht weg‹, rief es in mir. So erhob ich das Beil und schlug ihn nieder wie ein Opferthier und dann trauerte ich um ihn wie um einen Sohn. Ich habe nie einen Mann geliebt wie ihn, ich habe nur einmal geweint und das war um ihn und um dich, du arme Jetta!« Wiederum hörte er hinter sich das heiße Schluchzen seines Kindes und fuhr in mildem Tone fort: »Fasse dich, meine Tochter! Nicht du bist Schuld am Einsturz unseres Werkes. Wir haben nicht Treue gehalten, daran gehn wir zu Grunde.« Leise weinend beugte Jetta sich über den Sterbenden und suchte den Pfeil aus seiner Brust zu lösen. »Ziehe das Eisen nicht«, sagte er, »sonst verblute ich und ich habe noch mit dir zu reden. Kehre nach Rom zurück zu ...«

Jetta seufzte laut auf und wehrte mit einer Gebärde des Abscheus dieses Vermächtniß ab: »Sie werden mir eine Ehrenpforte bauen«, sagte sie bitter, »nachdem ich ihr Standlager überliefert. Hörst du den brausenden Jubel des Schildgesangs? Soeben stürmen die Brisgaven das Vorwerk. Gajus hält es. Arme Knaben, warum liefet nicht auch ihr hinter dem Bischof? Sieh, wie die Flamme an den Thürmen leckt!«

Arator erhob mühsam das Haupt, um zu sehen, was der neue Lärm bedeute. Taghell lag das Thal und die Berge strahlten in gelblichem Schimmer von dem Wiederschein der brennenden Häuser, Thürme und Palissaden und der Nicer stoß roth wie ein Gluthstrom der Unterwelt. Als ob die Erde sich gespalten und Hel's Feuer gen Himmel schlage, so loderten die Strohhütten der Soldaten und der Nachtwind führte die brennenden Garben wie Meteore dahin. »Sieh da, auch die Höfe brennen«, sagte Arator mit bitterem Hohne, »hier die Villa, wo dein Brautbett stand, da wirbeln die babylonischen Teppiche und persischen Vorhänge als Aschenregen in der Luft. Sieh den Zehnthof, wie das Stroh leuchtet und Heu, und dort hinten eine neue Rauchsäule, das wird unsere Wohnung sein. Fahrt wohl, Statuen und Urnen, Marmor und Rosen! – Aehnliches könnt ihr nicht schaffen, Mönch, da thut ihr wohl, daß ihr es zerstört, damit die Leute es nicht vor Augen haben, was ihr seid und was wir! Lebewohl, Jetta, Roms Zeit ist um. Die Helden im Schaffell und der Roßhaut und Mönche, wie dieser, zimmern die neue Welt. Ich danke den Göttern, sie nehmen mich zu rechter Stunde hinweg.« Jetta hielt ihm das Haupt und richtete den Körper weiter in die Höhe. »Was willst du thun, allein, wie ich dich in der Welt zurücklasse?« sprach er flüsternd und seine Augen hafteten mit einem Ausdruck väterlicher Besorgniß auf dem bleichen, schönen Antlitz, das sich über ihn beugte. »Die Asche meines Gatten und Kindes will ich hüten«, sagte sie sanft, »auch deine Asche, mein Vater. In dem Thale, das ich liebe, seit meine Seele zum innern Leben erwachte, will ich, eine Fremde, sitzen. Den Barbaren will ich zeigen, daß nicht alle Römer Verräther und Mörder sind.« Arator erwiderte nichts; der alte Mann neigte sein Haupt und mit fester Hand riß er den Pfeil aus seiner Brust und schaute dem sanft rieselnden rothen Bächlein nach, in dem sein Leben hinabrann in die kalten Wellen des Stromes.

Das Feuer im Lager und in den Dörfern diesseits und jenseits des Wassers erlosch. Die Rauchsäulen beugten sich wie riesige Gespenster im Winde herüber und hinüber, oben aber blaute der Himmel und die ewigen Sterne glänzten wieder herab auf den dunkeln Strom und Jetta saß bei der Leiche ihres Vaters.

Ihr ganzes verfehltes Leben ging in dieser Stunde an ihr vorüber gleich den Wellen, die im Dunkel vor ihr dahinrauschten. Was sie einst in der Begeisterung einer reinen Jugend Rom nannte, als Rom liebte, das Große, Wahre und Gute, liebte sie noch, oh daß sie nie etwas Anderes geliebt, hätte! Aber sie war entschlossen, nicht zu ihrem Volke zurückzukehren. Was sie auch geirrt und gefehlt haben mochte, vor den Richterstuhl Valentinian's und Justina's wollte sie sich nicht stellen. Auch rächen wollte sie sich nicht weiter. Der Schmerz, der sie gestern noch bis zum Wahnsinne getrieben, hatte nach den Gräueln des heutigen Tages seinen Stachel verloren. Wo so viel Elend zum Himmel schrie, schien ihr ihr eigen Leid leichter zu tragen. Sie erhob sich mit der Absicht, nach Kräften weiteres Blutvergießen zu verhindern und die Wunden zu heilen so weit sie es vermöchte. Zunächst aber galt es, hier eine Pflicht zu erfüllen. Der Leib ihres Erzeugers sollte nicht der Wildheit der Barbaren überlassen bleiben, noch sollten die Vögel des Wodanwaldes sein zerstücktes Gebein verschleppen. Sie schaute sich nach Bulsilaich um, ob er ihr helfen wolle bei dem frommen Werke. Aber von Arator's Reden verletzt war der Mönch verschwunden; nur der Wolf hatte bei ihr ausgehalten. So ging sie denn selbst an die harte Arbeit. Sie lockerte mit Arator's Schwert den weichen Sand und ergriff dann einen Schild, den ein Flüchtling von sich geworfen, um eine Grube zu graben. Aufmerksam folgte der Wolf mit klugen Augen ihrem Beginnen und als sie erschöpft einen Augenblick innehielt, sprang das mächtige Thier in die begonnene Grube und unter seinen gewaltigen Tatzen flog rückwärts und vorwärts der Sand, so daß sie nur noch wenig nachzuhelfen brauchte. Dann nahm sie die Leiche Arator's und legte sie in die Grube. Bald hatte sie mit dem Schilde einen Sandhügel über ihn gehäuft, so daß er nach dem Rechte der Untern für beerdigt galt; auch falls der übertretende Strom im Herbste ihn wieder auswühlen und mit sich führen sollte. Als der Morgen graute, ließ sie ihre ernsten dunkeln Augen im Thale umhergehn. Sie sah ausgebrannte Häuser und nur eine Rauchschicht verkündete, wo gestern das Lager gestanden. Von der Brücke hing noch das mittlere Joch über dem Flusse, am linken Ufer hatte die Besatzung des Brückenkopfs sie niedergerissen, am rechten hatte der Brand sie zerstört. Jetta's Blockhaus dagegen auf dem Bühl stand unverletzt. Nur gegen römische Mauern hatten die Barbaren gewüthet, die Alamannenhütte war ihrem Zorne entgangen. Aber dorthin zurückzukehren vermochte Jetta nicht. Sie wollte ihn nie wieder betreten den Schauplatz ihres kurzen Glückes und tiefsten Schmerzes, wo der zürnende Schatten ihres Gemahles umging und das blutige Haupt ihres Kindes aus jeder Ecke starrte. Noch jetzt mußte sie die Hände vor's Angesicht pressen und stand wie von einem Krampfe gelähmt, wenn sie an das Gräßliche dachte. Irgend ein anderes Versteck mußte es ja geben in diesen schluchtenreichen Bergen, wo sie sicher war. Die Höhle im Walde fiel ihr ein, in die sie schon einmal geflüchtet. Dort war sie allein, dort reizte sie keine Neugier und Raubsucht. Dort konnte sie in stiller Einkehr bedenken, welchen Inhalt sie ihrem Leben geben wolle, nachdem es den alten, einer zerbrochenen Opferschale gleich, an der Erde verschüttet hatte. Ernst und gefaßt erhob sie sich, indem sie den Wolf zu sich lockte und staunend sahen die alamannischen Wächter das gewaltige Zauberweib, das ihnen den Weg zu so leichtem Siege gebahnt, in die Fluthen schreiten und das graue Thier des Waldes umarmend hinüberschwimmen nach der andern Seite des Stromes. Kalten Angesichts schritt sie durch die verlassenen Brandstätten des jenseitigen Ufers dem Walde zu, wo sie den Blicken der Alamannen entschwand.


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