Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Dreißigstes Kapitel

Im Thale am Nicer und auf den Höhen des Mons Piri herrschte lautes Leben. Der junge Augustus Gratian war in Person von Alta Ripa herübergeritten, um mit Macrian über die Erneuerung des Bundes zu berathen. Macrian sollte die Lentienser nicht unterstützen, so war der Vorschlag des Römers, dann wollte ihm der neue Augustus die Geschenke verdoppeln. Macrian war dem nicht abgeneigt. Er brauchte den Frieden, er liebte das Gold, und die Waffen, die Gratian ihm, dem Vertrage gemäß, geliefert hatte, waren besser als die früheren des Vaters. Vor allem aber waren die Gaben an den König selbst glänzend und werthvoll. Und wie anmuthig hatte der junge Fürst die verstärkte Bestechung gerechtfertigt. »Da ihr«, sagte er, »wie ich hoffe, recht bald an unserer Seite kämpfen werdet als Bundesgenossen Roms, ist es unser Vortheil, wenn ihr gut gerüstet seid.« Dennoch mußte der König erst die Versammlung der Freien und Edlen befragen, ehe er den Vertrag bestätigte. »Sende einen unkriegerischen Mann«, bat Macrian, »einen von deinen Schreibern, den ich in die Versammlung des Volkes führen kann, denn deiner Krieger darf keiner den heiligen Berg besteigen und unsere Wälle mustern.« Die Römer traten zusammen und nach einer Weile erklärte Ausonius sich bereit, dem Könige zu folgen, falls er sein Weib mitbringen dürfe, die der Sprache der Alamannen besser mächtig sei als er. Nicht lange währte es und von dem Abhang des heiligen Berges dröhnten die dumpfen Töne des Stierhorns, das die Freien zum Landsting lud. Von allen Seiten stiegen die Männer die Schluchten des Berges hinan nach dem alten hochragenden Baume im innern Ring, den der König als Dingstätte bezeichnet hatte. Der Baum im Odenwalde hieß in der Umgegend der alte Birnbaum, der auf der abgewaldeten Höhe weithin sichtbar war. Den Alamannen rings umher war er ein heiliger Baum und mancher hatte darum mit doppeltem Eifer zur Streitaxt gegriffen, weil man ihm gesagt, die Römer würden, wenn ihr Castell fertig sei, die heilige Birne fällen, nach der der Mons Piri doch auch für sie seinen Namen trug. Unter ihren tausend Aesten ward auch jetzt wieder der Steinsitz des Königs errichtet und an dem alten schwarzen Stamme hing der rothgelbe Schild des Alamannenbundes. Die Edlen und Freien beschritten den innern Ring, während draußen das gemeine Volk sammt Frauen und Kindern lärmte. Neben dem Steinsitze des Königs standen, von den Alamannen trotzig betrachtet, etliche Fremde. Es waren Ausonius und sein Weib und neben ihnen der arianische Bischof Anaklet und ein würdiger Greis mit silberweißem Haare, der nicänische Presbyter von Lopodunum. Als die Mannen versammelt waren, bestieg der König den Hochsitz und der alte Wulf schlug drei Mal an seinen ehernen Schild, da ward Stille unter allem Volke. Die Freien und Edelinge, die nach Gefolgschaften und Sippen geordnet waren, traten näher an des Königs Stuhl heran und schlossen einen Kreis um den heiligen Baum. Macrian setzte nun den Versammelten in bündiger Weise auseinander, der neue Augustus des römischen Reichs begehre den Bund zu festigen, den sein Vater einst mit dem Volke geschlossen. Die besten Waffen und große Geschenke habe er gegeben, um den Edlen seinen guten Willen zu bezeigen. Er sei ein hochsinniger und wahrhaftiger Jüngling, so sei zu erwarten, daß er sein Wort auch halten werde. Mangel an Weiden, wie die Lentienser, habe man nicht, also auch keinen Anlaß zu neuem Kriege. Besser sei es, das gewonnene Land zu bestellen und abzuwarten bis die Lücken in der Volkszahl sich wieder ergänzt hätten, denn um sich jenseits des Rhenus im Alisat niederzulassen, sei man doch zu schwach. Darum rathe er als König den Frieden, sei aber Einer im Volke anders gesinnt, so möge er seine Meinung vorbringen. Es blieb still; niemand erhob Einwand und als der König nun nochmals die Frage vorlegte, ob der Bund mit den Römern, wie Gratian begehre, zu verlängern sei, schlugen die Krieger zum Zeichen ihrer Zustimmung an ihre Schilde und riefen Beifall. Nur der alte Wulf murrte: »Das verdanken wir der Zauberfrau drüben, daß sie alle wieder römisch geworden sind.«

Ausonius war froh, so leichten Kaufes aus dieser wilden Umgebung zu entkommen. Er sprach wenige lateinische Worte, um des neuen Augustus große Freundschaft für den tapfern König Macrian und sein Volk zu versichern, dann bat er um seine Entlassung, da der Herrscher ihn erwarte. Macrian reichte ihm zur Bekräftigung des Bundes vor allem Volke die Rechte, aber er sah dabei lächelnd Bissula an und sagte: »Wirst du bald wieder als Wärterin eintreten, schöne Frau? Ich hätte in einer meiner Burgen einen Prinzen zu hüten.«

»Du würdest gut mit mir fahren«, rief Bissula fröhlich. »Der Amme Pflicht ist, zu schaffen, daß Kind und Mutter nicht weinen, du hast erfahren, daß ich dafür sorge.« Der wilde König aber lachte und schied von dem schönen Weibe in Freundschaft.

Als Ausonius und Bissula sich entfernt hatten, kehrte Macrian zu dem Hochsitze zurück und sprach: »Noch eine Sache ist von dem Ding heute zu schlichten. Zwei Priester des Christengottes haben sich eingefunden, die begehren in unsern Frieden aufgenommen zu werden. Wir haben vor der Erstürmung des Lagers dem Bischof von Lopodunum zugesagt, daß der weiße Christ dürfe Tempel haben in unserm Lande und seine Priester nicht sollen gehindert werden, die Leute zu lehren. Nun aber erschien der Bischof bei mir und verlangte die Austreibung des andern Christenpriesters, der in Lopodunum haust, da dieser einen falschen Christus predige. Von den römischen Colonen zu Lopodunum aber verlangen viele, daß der Bischof verjagt werde als ein falscher Mann, der nicht gerade denke in seinem Herzen. Welchem von beiden bewilligt ihr das Gastrecht in unserem Gau?«

Wulf runzelte die buschigen Brauen und meinte, wenn die Glattgesichter sich nicht vertrügen, solle man sie beide wegschicken. Des Volkes Götter sähen den Weißen Christ nicht gern, da er sie schmähe. Wodan, Ziu und Donar hätten das Volk der Alamannen groß gemacht, nicht die Götter der Christen. Aber andere priesen den weißen Christ. Er sei gut gegen die Winde auf der See und gegen das Fieber auf der Streu. Große Wunder hätten sie gesehen, größere seien ihnen erzählt worden, die durch ihn seine Diener gethan hätten. Der alte Wulf schüttelte bei diesen Reden grämlich sein Haupt, und zog seine Büffelhaube ärgerlich über die Stirne, so daß die Hörner sich neigten, als wollten sie stoßen. »Ihr sollt einen Gott nicht befrieden, der unsere Götter kränkt«, sagte er mürrisch. »Kommt der Römer über uns, so kann uns der weiße Christ nicht helfen. Er ist ein unkriegerischer Gott, der kein Schwert je geführt hat und keinen Pfeil zu schießen vermochte. Ziu und Donar brauchen Schwert und Hammer; er aber trägt das Kreuz, daran sie ihn genagelt haben. So sah ich ihn in allen Kirchhäusern, die wir verbrannt haben. Er ist kein Krieger, sondern eines Zimmermanns Sohn, darum war er auch, als ich jung war, nur Gott der Knechte. Wenn ihr ihn zulaßt, so wird er die Leute feig und knechtisch machen. Frage diese, ob er nicht lehre, wenn man einen Schlag in das Angesicht erhalte, solle man einen zweiten begehren. Ist es so, Alter?« wendete er sich an den Presbyter.

»So dich einer schlägt auf den rechten Backen, so biete ihm auch den linken, so spricht mein Herr«, bestätigte der Greis mit mildem Lächeln.

»Und was sagt dein Gott?« fragte Wulf herrisch den Bischof. Anaklet erhob sich stolz und sein Auge blickte siegesfroh. »Mein ist die Rache«, rief er, »spricht der Herr, ich will vergelten. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«

Die Krieger murmelten beifällig. Dieser Gott gefiel ihnen besser.

»Wird dein Gott nicht als Lamm dargestellt?« fragte dann Wulf wieder den Presbyter.

»Er ist das Lamm, das der Welt Sünde trägt«, sagte der Greis mit sanftem Ernste.

»Und der deine?« forschte Wulf zu Anaklet gewendet. Anaklet aber sprach, schlau: »Mein Herr ist ein Reiter auf weißem Roß und ihm folgt das Heer im Himmel auf weißen Pferden, angethan mit weißer und reiner Seide und er hat ein Schwert, damit er die Völker schlägt und eine eiserne Ruthe.«

Durch die Reihen lief wiederum ein Murmeln des Beifalls und manche schlugen an die Schilde. Macrian aber erhob sich und sagte: »Beide Priester können wir hier nicht befrieden, da sie im Kriege miteinander leben. Anaklet aber hat beigetragen, das Lager der Römer in die Hände unseres Volkes zu bringen. Er hat bereits unser Wort. Auch gehört er zu den Christen, die vom Hofe des jungen Augustus verwiesen sind, dagegen der Presbyter hält zu den Kaiserlichen. Der Priester selbst gefällt mir wohl, er scheint ein gerader Mann zu sein und hat freundliche Augen, aber sein Gott ist ein Gott für arme Leute, nicht für uns. Darum soll er von hinnen gehn. Den Bischof aber wollen wir befrieden, denn er hat den besseren Gott.« Die Edelinge gaben durch Schütteln der Schilde und Zuruf ihre Beistimmung zu erkennen. Mit feierlicher Würde wendete sich nun der König zu den beiden Priestern. »Die Freien und Edlen«, begann er, »haben euer Verlangen geprüft und sie sind der Meinung, daß nur der Christ des Kaiser Constantius wie von Alters bei uns Tempel haben soll. Ihm dient Anaklet, der auch uns gedient hat. Dein Christ«, sagte er zu dem Presbyter, »ist der des Augustus und wird den Römern helfen, wie der des Anaklet uns half. Anaklet also soll im Frieden in diesem Gaue weilen, dir aber weigert das Volk das Gastrecht. Kehre zurück in die Halle deiner Väter oder gehe über den Rhenus zu den Priestern deines Gottes. Hier bist du schutzlos und gegen den, der dich kränkt, hast du keine Klage.« Der Greis machte mit der Hand eine abwehrende und schmerzliche Bewegung. Er wollte endlich reden und seinen Gott vertheidigen, aber der König winkte ungeduldig Entlassung. Da verließ der alte Mann gebeugten Hauptes die Versammlung, während Anaklet sich mit triumphirender stolzer Miene zu den Edelingen stellte. Als der Priester sich entfernt hatte, dankte der Bischof in salbungsvollen Worten, daß die tapferen Volksgenossen ihn in ihren Schutz aufgenommen hätten, dafür werde sein Gott ihr Volk in seinen Schutz aufnehmen und seine Felder und seine Waffen segnen. Um aber den Schutz seines Gottes sich zu sichern, solle das Kreuz als sein Feldzeichen bei den Feldzeichen der Stämme am Steine des Giganten aufgepflanzt werden. Auch wolle er eine Kapelle hier auf diesem Berge bauen aus den Steinen, die die Römer ringsum aufgethürmt hätten, für den heiligen Michael. Wolle man den heiligen Hain drüben unter die Hut eines seiner Diakonen stellen, statt unter den der alten Opferfrau, so werde man es nicht zu bereuen haben; vor allem aber möge man Jetta, die Zauberin, die in der Höhle ganz nahe dem heiligen Haine Hause, aus dem Gaue entfernen. Sie sei eine Römerin und spreche und arbeite nur für Rom. Ihr ganzes Bestreben sei, die Jugend des Landes zum römischen Kriegsdienst zu gewinnen. Dazu sei sie in Magie und bösen Künsten, wohl bewandert und bereits seien viele Klagen ihm zugekommen, wie sie die schädige, die nicht ihren Anhang mehren wollten. Der Priester hatte in mildem Tone aber mit großer Entschiedenheit gesprochen, während der König mit finsteren Mienen zuhörte. Als er diese Rede des Bischofs vernommen, reute ihn bereits, daß er nicht den andern Christenmann bei sich behalten und diesen verwiesen habe. Aber ein Edeling nach dem andern trat auf und verlangte, daß man den Umtrieben der Römerin steuere. Nicht dafür habe man diese Abhänge besetzt, damit nun die jungen Fante den Kriegsdienst des Augustus um so näher hätten; das aber sei Jetta's ständiges Werben. Wenn man die Lentienser im Stiche lasse, um die eigene Volkskraft zu schonen, so dürfe man auch nicht dulden, daß die Jungen die Kriege der Römer führten gegen die Genossen des eigenen Bunds. Auch Klagen über Zauberei, über Schaden, den sie dem Manne gethan, der ihren Vater durch einen Pfeilschuß gefällt habe, kamen zum Vorschein, bis Wulf zornig die Altweiberfabeln aus dem Rathe der Männer verwies. Der König solle Jetta verwarnen, und wenn es nicht helfe, des Landes verweisen, weil sie zu Rom stehe, ob sie aber den Priestern der Christen gefalle und furchtsamen Weibern, darum kümmere die Versammlung der Edlen sich nicht. Des Alten Rede fand Beifall und ihm selbst ward der Auftrag, Jetta ernstlich zu bedrohen. Noch fragte der König, ob einer eine Sache habe, die hier zu verhandeln sei und als keiner sich meldete, wurde das Ding geschlossen. In tiefem Gespräche mit dem Könige sah man den alten Wulf, als die Versammlung sich zerstreute, zum Nicer hinabsteigen. Erst am Ufer des Flusses trennten sich beide und als nun Wulf einen Baumkahn bestieg, um des Königs Botschaft der stolzen Zauberfrau drüben in der Höhle zu bestellen, schauten Weiber und Kinder, die vor den Alamannenhütten saßen, dem Greise und seiner Büffelhaube neugierig nach, was er dort wohl schaffe: eine Königin oder ein fahrendes Weib?

Der Schlag, der Jetta bedrohte, kam der Seherin nicht unerwartet. Seit der Bischof der Arianer sich wieder zu regen begann, hatte Jetta das sichere Vorgefühl kommender Kämpfe. Leise, aber deutliche Zeichen zeigten ihr, daß eine mächtige Hand gegen sie wirke. Ihre jugendlichen Gäste blieben aus und es fiel ihr auf, daß Kinder, die ihren Pfad kreuzten, die Schritte beschleunigten. Auch an schönen Tagen fand sie sich oft gänzlich allein. Gelegentlich hörte sie, daß man trotz ihrer Lehren und Reden an einen neuen Krieg gegen die Römer denke, ja, daß man Krankheit und Unfall ihren Künsten zur Last lege. Mit Lupicinus mochte sie über diese Erscheinung nicht allzuviel reden. Sie fürchtete, er werde auf seinen Vorschlag, in das Haus zu ziehn, zurückkommen, und das wollte sie nicht. Daß aber der Kampf mit ihrer schließlichen Vertreibung enden werde, sah sie klaren Blickes voraus. Seit der Novemberwind das Laub von den Bäumen warf und die Büsche kahl standen, lag das Thal unten deutlich vor ihr ausgebreitet und sie konnte alle Vorgänge mit scharfem Auge beobachten. So war ihr am Morgen des Volksdings die Bewegung in den Hütten der Alamannen nicht entgangen. Sie hörte das Stierhorn vom Mons Piri erschallen, sie sah, wie das Volk in langen Zügen nach dem Gipfel des Berges emporstrebte und wie sich die Mannen bei dem heiligen Baume versammelten. Gern hätte sie Lupicinus gefragt, was vorgehe, der aber war heute gerade ausgeblieben. Der Mittag kam und sie sah, wie die Leute vom Berge drüben wieder nach ihren Häusern herabstiegen. Aber niemand kümmerte sich um das fremde römische Weib. Sie saß allein in der hellen aber kalten Herbstsonne und während sie ihr Feuer unterhielt überlegte sie, wie lang sie ihr Eremitenleben noch werde fortführen können. Ihre Seele war zu stark und durch zu schwere Schläge erprobt, als daß sie einer noch vollkommen gestaltlosen Furcht sich hätte hingeben mögen. Kampf sah sie voraus, zumal mit dem Bischof, der ihr immer als ein Schleicher erschienen war, aber ihm wußte sie sich gewachsen, ja sie freute sich der Bewegung, die durch Rede und Gegenrede mit ihm in ihr einförmig gewordenes Leben kommen müsse. Dem Kampfe für ihre Götter hatte sie sich ja geweiht; vielleicht, daß solche Streitgespräche das Volk wieder um ihre Höhle versammelten. »Endlich!« rief sie erfreut, als jetzt ein Männerschritt im dürren Laube lauschte. Nun mußte sie doch durch Lupicinus erfahren, welcher Art die Gefahr sei, der sie entgegen gehe. Aber es war nicht Lupicinus. Statt des treuherzigen Schaffners trat der grämliche Wulf aus dem Walde.

Der Alte setzte sich ungeladen bei ihrem Feuer nieder, schalt auf Nebel und Regen und pries sich des Königs feste Häuser, an denen der Sturm vergeblich rüttle. Jetta schwieg, denn der Tag war sonnig und kein Grund zu den Klagen des Greises.

»Mich wundert, daß ich dich noch lebend finde«, fuhr Wulf fort. »Dies ist der Monat, in dem die Wölfe des Wodanwaldes ihre Schluchten verlassen und herabsteigen in die Ebene. Warte nur bis der erste Schnee fällt, in welchen Rudeln sie dann durch den Wald streifen.«

»Ich höre ihr Bellen Nacht für Nacht«, erwiderte Jetta, »aber sie scheuen mein Feuer und mein eigenes Thier schützt mich.«

»Auch Krieg wird's bald geben«, sagte Wulf und als Jetta ihn forschend ansah, fuhr er listig fort: »Du weißt, daß auch unsere Priester aus den Strudeln des Flusses und dem Wiehern der Rosse die Zukunft erforschen und der Kluge hält Auge und Ohr offen, wie, die Vögel fliegen und die Eule schreit. Noch nie sind die Wölfe in solchen Massen zu Thal gezogen und die Raben sammeln sich in Schaaren, sie wissen, daß sie bald Futter finden auf diesem Blachfeld. Dann wird es böse sein, im Walde zu sitzen statt in fester Königsburg.«

»Wenn du es nur von den Raben hast«, sagte Jetta trocken, »wollen wir's abwarten.« Aber der Alte ließ sich nicht abschrecken. Als die Raben und Wölfe keinen Eindruck machten, begann er von dem Christenbischofe zu reden, der in dem heutigen Volksding Freiheit erhalten habe, für seinen Gott zu werben und Unholde zu vertreiben. Wieder schaute ihn Jetta scharf und durchdringend an, »Das Volk«, sagte Wulf, »hat heute dem Bischof von Lopodunum seine Bitte gewährt, er darf hier bleiben und predigen und Rauch machen in seinem Kirchhause, wie sie pflegen. Aber die Christen thun nichts halb und theilen mit keinem. Sogar die Austreibung unserer Priesterin aus dem heiligen Haine hat er begehrt, vor allem aber verlangt er, daß wir dich ächten.«

Jetta erbleichte und schaute Wulf finster an. Der aber erwiderte ihr Erblassen mit einem verschmitzten Lächeln. »Du hast dich an unser Volk gewöhnt«, sagte er, »die Jungen verehrten dich schon wie ihre Königin ehe dieser Priester kam. Aber du hast auch gesehen, wie sie von dir abfallen und sich dem neuen Gotte zuwenden. Wirst du vertrieben, so mußt du wie eine gehetzte Wölfin in den Schluchten dich bergen bis dich einer erlegt. Unserem Volke bist du friedlos, dem deinen verfehmt. Wo willst du hin? Weder diesseits des Rhenus wird für dich Raum sein noch jenseits. So ergreife die Hand, die Macrian dir nochmals bietet. Er ist ein König, kein Liebe girrender Knabe, und kann nicht zum zweiten Male zu dem Weibe kommen, das ihn zurückwies. Hast du dich aber eines Besseren besonnen, so sag es und ich werde alles noch schlichten.« Nachdenklich neigte Jetta ihr Haupt in die Hand und sah trübe vor sich. Schon meinte der Alte, er habe ihren starren Sinn gebrochen, da erhob sie sich stolz zu ihrer vollen Höhe und sagte: »Greis, spare deine Worte. Nicht diesseits noch jenseits des Rhenus, du redest die Wahrheit, findet Jetta Ruhe, aber zwischen dem diesseits und jenseits stießen des Gottes Wellen. Eher wird des Stromes Bett Jetta's Leib empfangen als das deines Königs.«

»Bedenke, was du sagst«, murrte der Alte. »Junges Blut ist warm und der Strom ist kalt, das Leben ist süß, der Tod ist bitter.«

»Lieber zehnmal den Tod, als einmal die Schande!« rief Jetta außer sich.

Da sprang der Alte entrüstet von seinem Sitze auf: »So fahre hin, du Thörin, der es Schande heißt, eines Helden, eines Königs Weib zu sein. Ich hätte dich geschützt gegen die murmelnden und näselnden Priester. Nun mögen sie morgen kommen und deine Höhle ausräuchern. Ich werde selbst den Knaben wehren, die sich um deine Augen grämen, in denen der Wahnsinn haust.« Zornig kehrte der alte Held ihr den Rücken, während Jetta ihm entrüstet nachschaute. Sein Zorn gab ihr die Zuversicht wieder. Wenn Macrian sie noch immer liebte, tröstete sie sich, so würde er sie auch niemandem opfern. »Sie werden eine Weile dem Bischof Vorschub thun, bis er die Krallen herauskehrt, dann wenden sie sich um so sicherer zu mir zurück.« So schüttelte sie den Unmuth von sich. Der helle Tag stimmte sie freudig und hoffnungsvoll. Es ging ihr, wie es jedem geht, der lange Zeit von derselben Gefahr bedroht ist. Er denkt, das Unglück werde vielleicht nie kommen, weil es so lang nicht kam. Von der alten Esche, die ihre Höhle überrauschte, fiel langsam Blatt für Blatt und wehte in den Eingang ihres Felsgemachs. Sie sah dem Spiele des Windes mit dem raschelnden Laube zu und freute sich der letzten hellen Strahlen, die die herbstliche Sonne noch spendete. Dabei legte sie träumend zuweilen einen dürren Zweig auf ihr glimmendes Feuer und schaute den blauen Ringen des Rauches nach. Sie war ernst, aber Furcht war ihr fern. Als sie auf's neue Männerschritte vernahm, schrak sie doch zusammen. Sie meinte, der König komme nun selbst und sie suchte ihre Gedanken zu ordnen, wie sie ihn am besten versöhnen könne, ohne ihm doch Hoffnung zu lassen für seine begehrlichen Wünsche. Aber zu ihrem Erstaunen schritt wiederum Wulf an der Spitze der nahenden Männer und neben ihm der greise Opferpriester Sunno, dessen sie von der denkwürdigen Nacht im heiligen Haine nur allzuwohl sich erinnerte. Stolz und würdevoll lehnte sie auf ihrem Sitze sich zurück und die Arme ruhig gekreuzt wartete sie der Dinge, die da kommen sollten. Die Männer schlossen einen Kreis um sie und der Opfermann trat, einen Stab in der Hand, der halb geschält, geheimnißvoll aussah, hart an sie heran. Die Andern schauten düster zu Boden; der Priester aber sprach die feierlichen Worte: »Weil du es hältst mit dem Feinde des Volks, weil du es hältst mit den bösen Gewalten unter dem Rasen, weil du das graue Thier des Waldes zum Hausgenossen hattest und nicht die Menschen, weil du schädigtest Menschen und Vieh, weil du verführtest Kinder und Knaben, löschen wir dir das Feuer, widersagen wir dir den Quell, künden wir dir den Frieden. Wir machen dich achtlos, rechtlos, friedlos, ehrlos, sicherlos, misthätig, fehmpflichtig, leiblos, also daß niemand an dir frevelt, als man thut mit einem verführten, verzweifelten Menschen.« Bei diesen Worten nahm der Greis seinen Stecken und brach ihn in zwei Hälften und warf die Stücke Jetta vor die Füße, indem er sprach: »So brechen wir dir den Bund, so sagen wir dir ab den Frieden, so löschen wir dir den Heerd.« Damit schleuderte er mit dem Fuße die Kohlen von Jetta's Feuer auseinander und die Männer zertraten sie. »Binnen Tag und Nacht hast du zu weichen von unserem Gau. Die Thüre sollen sie dir schließen, dein Lager sollen sie dir verstören, dein Feuer sollen sie dir verlöschen, du sollst nicht Wald noch Feld gebrauchen, noch eigenen Rauch haben. Unsere Brunnen sollen dir nicht fließen, verflucht, sei die Hand, die dir Speise reicht. Wir sagen dich ehrlos, wir künden dich rechtlos, wir setzen dich friedlos an allen Enden und an allen Stätten. Frei sollst du sein wie der Vogel in der Luft, wie der Wolf, der über die Haide läuft. Klaglos soll dich beschimpfen Mann und Knecht, wer dich kränken will an Haut und Haar soll dich kränken, wer dich tödten will soll dich tödten. Die Markgenossen und Gaubewohner brechen dein Dach, verpfählen dein Thor, verschütten deinen Quell, löschen deinen Heerd. Ziehe aus, wenn die Sonne sinkt, denn ehe ein Tag und eine Nacht verstrichen, gehört dein Leben dem, der es nimmt und kehrst du wieder, so sollst du einen dürren Baum reiten, einen Hund sollst du tragen und einen Hagedornknebel an deinem Halse und die Unverschämten sollen dich mit Steinen werfen und deinen Leib kränken. Wir hängen dich mit einem Weidenstrange unter dem Kinn zwischen Himmel und Erde, daß die, Sonne deinen Leib anscheine und der Wind ihn verwehe und die Krähen und Raben ihn verführen und verzehren. Du sollst landflüchtig sein und vertrieben so weit Feuer brennt und Erde grünt, Kind nach der Mutter schreit und Mutter Kind gebiert, Holz Feuer nährt, Schiff schreitet, Schild blinket, Sonne den Schnee schmilzt, Feder fliegt, Föhre wächst, Habicht sich schwingt und der Wind stehet unter beiden seinen Flügeln, Himmel sich wölbt, Welt gebaut ist, Winde brausen, Wasser zur See strömt und die Männer Korn säen. Versagt soll dir sein guter Leute Gemeinschaft und jederlei Wohnung, die Hölle ausgenommen. Man soll dich schlagen, wo man dich trifft, zu Wasser oder zu Land, zu Schiff oder auf Klippe, zu Meer oder auf Pferderücken und keiner soll mit dir theilen Ruder oder Schöpfe, Grund oder Diele. Wir nehmen dir dein Landrecht und all' deine Ehre und setzen dich aus Gericht in Ungericht, aus Gnade in Ungnade, aus Landfried in Unfried, also daß niemand, er thue mit dir, was er wolle, an dir frevelt. Wir geben dein Haar dem Winde, deinen Leib den Thieren in den Wäldern, den Vögeln in den Lüften, den Fischen in den Wogen, wo jeder frei Geleit hat, sollst du keines haben, und weisen dich in die vier Straßen der Welt.«

Damit kehrte der greise Priester hart vor ihr sich ab, daß ihr die Falten seines Gewandes um die Wangen schlugen und die Andern folgten ihm. Abwärts hörte man die stapfenden Schritte der barbarischen Rechtsboten und wie betäubt blieb Jetta auf ihrem Platze. Selbst der Wolf neben ihr lag stumm und gebunden, als ahne er eine höhere Gewalt, die über seine Herrin hereingebrochen. »Das ist es, daß du dich schiedest von deinem Volke«, so ging es durch Jetta's Brust, der ein dumpfer Druck jeden Herzschlag lähmte. Es war, als ob alle ihre Spannkraft von ihr genommen sei. Ein landfahrend Weib sollte sie durch die Lande ziehn, ein Weib, nach dem die Männer ihre Hände strecken, das die Frauen von ihrem Hause weisen. »Dein Feuer sollen sie dir verlöschen, unsere Brunnen sollen dir nicht stießen, verflucht sei die Hand, die dir Speise reicht«, so klang es in ihr nach. Schon seit Wochen gemieden wie das Thier der Wildniß, war sie nun ganz allein in der weiten Welt. Der Baum, an den sie sich lehnte, hatte mehr Recht an Leben und Sicherheit als sie. Die Sinne schwanden ihr. In seltsamem Doppeltgesichte sah sie sich selbst vor ihrer Höhle sitzen und sie glich der Roma Dea, die man auf Münzen prägte. Ihr Hirn glühte und ihre Augen erglänzten im Irrsinn. In einem fast wahnsinnigen Aufschrei machte ihr gequältes Herz sich Luft: »Ja, ich bin Rom, das von den Barbaren geschändete Rom!« Aber gab es gar kein Mittel, sie zu retten? Sie, die gewähnt hatte, mit ihren heiligen Rollen Sonne, Mond und Sterne zu lenken – sie saß hier hülflos, ein jammerndes Weib! Wenn sie ihre heiligen Bücher hätte, dachte sie, würde manches Pförtchen im Geheimen sich aufthun; hatte sie nur erst in einem Palaste Fuß gefaßt, so wollte sie schon sich wieder emporheben. Der Gedanke richtete sie auf. Aber alsbald trat Rothari's blutiges Haupt ihr vor's Auge. Mit wie heiligen Eiden hatte sie gelobt, sich der schwarzen Künste zu enthalten. Hinter sich hörte sie das Wimmern ihres Knäbleins, das diesen Künsten zum Opfer gefallen und laut aufweinend stützte sie ihr Haupt in die Hände und die Thränen flossen unablässig an den schönen Armen hernieder. So saß sie lang und hörte nicht, daß Schritte ihr nahten.

»Weine nicht, Jetta«, sprach jetzt eine Stimme, so mild, so sanft, so befreundet, daß es ihr war, als ob eine warme Hand ihre Thränen trockne. »Weine nicht, ein Freund hat deiner nicht vergessen.« Jetta schaute auf. Ihre Augen wurden größer und größer, aber ihr Antlitz versteinte sich und sie zog sich entsetzt gegen ihre Höhle zurück, denn es war Gratian.

»Weg die Hand, es klebt Blut daran«, schrie ihre gellende Stimme, »und wenn ich in den Qualen des Erebus wimmerte, von Rothari's Mördern sollte mich keiner herausziehen und Valentinian's Sohn gewiß nicht.«

»Richte die Todten nicht!« sagte Gratian ernst. »Valentinian war ein großer Mann, trotz aller seiner Fehltritte.«

»War? So ist der Tyrann todt?« rief Jetta in wildem Triumphe.

»Was er auch verbrochen haben mag«, sagte Gratian mild, »er war mein Vater und er hat schwer gebüßt. Laß mich zu dir sitzen, arme Jetta«, fuhr er wehmüthig fort, »ich habe dir viel zu erzählen.« Jetta rührte sich nicht, er aber setzte sich auf eine mächtige Wurzel der alten Esche ihr gegenüber. »Du allein also hast in deinem Walde nicht erfahren«, fragte er, »wovon seit einem Monde die ganze Welt erfüllt ist?« Jetta schüttelte finster das Haupt. »Aber von ihrem stolzen Friedensschlusse werden dir die Alamannen doch berichtet haben, von dem mein Vater nie reden konnte, ohne daß ihm das Wort im Munde vor Grimm und Schmerzen stockte?« Ein Nicken des Hauptes war die einzige Antwort, die Jetta gab. Sie stützte ihr Antlitz in die Hände und ließ Gratian reden. Wohl hielt er zuweilen inne, wartend, ob nicht irgend ein Zeichen der Theilnahme ihn zum Fortfahren ermuthige, sie aber hielt ihr Gesicht verborgen und that, als ob sie nicht angehe, was der Jüngling hier vortrug. »Mit Hohn und Spott«, fuhr Gratian traurig fort, »hatten deine neuen Freunde den Augustus überschüttet und der Vertrag selbst war eine Schmach für Rom! Genug davon! Am gleichen Tage brachen wir gegen die Quaden auf. Nur indem er sofort die Arbeit begann, um deretwillen er den Uebermuth der Barbaren am Rhenus hingenommen hatte, fand er den Schmerz erträglich und vergaß die Wunde, die Macrian seinem Stolze geschlagen. Ich sah, wie die Schmach ihm am Herzen fraß, aber er wies jeden Zuspruch hart zurück. Wie ausgetauscht war er und wir zitterten alle vor ihm, Justina so gut wie ich. Auch seine Kriegführung war grausam und unmenschlich. Als ich widersprach, jagte er mich aus dem Lager. Ich mußte zurück nach Gallien.« Ein höhnischer Laut, der Jetta entfuhr, ließ Gratian wieder einen Augenblick innehalten. Aber als sie auch jetzt schwieg, fuhr er fort in seinem Berichte. »Sengend und brennend fielen die Legionen in das Land jenseits des Ister ein. Der Quaden ganze Ernte ging in Flammen auf und als ihre Vorräthe erschöpft waren, erschienen Gesandte zu BregetioSzöny unweit Komorn. vor meinem Vater und baten um Frieden für ihr vom Kriege fast aufgeriebenes, von Hungersnoth gepeinigtes Volk. Sie zitterten vor Angst und schienen halbtodt vom Hunger. Der Imperator, in voller Pracht des Hofes, betrachtete die kümmerlichen Gestalten, ihre elenden Waffen, die Lumpen, in die sie sich hüllten und als ihm die fremden Boten sagten, in allem ihrem Elend seien sie die Vornehmsten des ganzen Stamms, da schlug er eine jähe Lache auf, daß seine Begleiter meinten, er sei irre. Dann aber trat die Zornader blau aus seiner Stirne und er rief, als ob die Wuth ihn ersticken wolle: ›Und wegen dieser verhungerten Cicaden habe ich mich vor Macrian gebeugt! Dahin ist es mit dem Reiche gekommen, daß uns ein solches Volk zu plündern wagt.‹ Und noch einmal schwoll die Ader an und er rief: ›Unter meinem Imperium! unter mir!‹ Dann ward er bleich, er taumelte, die Nächststehenden fingen ihn auf. Der Zorn hatte ihn getödtet.« Gratian schwieg. Auch Jetta senkte den Blick.

In ihr schienen zwei Gewalten zu kämpfen: der Geist ihrer Jugendideale und die Verbitterung der Gegenwart. Als sie schwieg, fragte, Gratian sanft: »Und du, Jetta, was sagst du zu diesem Ausgange des Mannes, der dich und Rom geliebt hat?«

Sie stockte, aber der böse Geist behielt die Oberhand: »Mögen alle so verderben, die an meines Gatten heiligem Haupte gefrevelt!« sprach sie mit dumpfer Stimme. Gratian zuckte zusammen, er wollte sich erheben, aber Mitleid und Liebe zu dem unglücklichen Weibe hielten ihn fest.

»Ich kam, Jetta«, sagte er ernst, »um dich zu suchen, um dich zurückzuführen in die Heimath, schicke mich nicht weg wie einen Knaben, du weißt, daß du hier nicht bleiben kannst.«

»Aber in Rom werden sie mich mit offenen Armen empfangen«, sagte Jetta mit bitterem Hohne.

Gratian winkte mit der Hand und schaute sie mit traurigem Blicke an, als wollte er bitten: nicht diesen Ton. Dann fuhr er fort: »Ich war fern, als die alamannische Brandfackel in unsere Wartthürme fiel und die letzte Cohorte diesseits des Rhenus von einem Priester geführt, so schmachvoll diesen blutgetränkten Boden räumte. Vielleicht, daß ich darum dir weniger zürne, weil ich das Entsetzliche nicht mit Augen sah. Aber ich ritt diesen Morgen über das Schlachtfeld. Die Mauern des Lagers stehen, wie die Flammen sie verlassen haben. Noch ist das Rechteck deutlich sichtbar, das unser Lager umfaßte und in der Mitte steht das ausgebrannte Prätorium. Rings umher liegen die gebleichten Gebeine, zerstreut oder aufgehäuft, wie sie eben Widerstand geleistet haben oder flohen an jenem furchtbaren Abende. Es waren doch auch deine Freunde, die dort unbeerdigt ruhn. Daneben sah ich Bruchstücke von Waffen und Gliedmaßen von Pferden. An die Baumstämme aber haben sie die Häupter genagelt nach ihrem barbarischen Brauch. Wer weiß, an welchem Opfersteine das Blut der Gefangenen geflossen ist? Lupicinus, der mich führte, und von dem ich erfuhr, daß du noch immer hier seist, zeigte mir den Ort, wo Arator starb, wo die Alamannen das Feldzeichen der Cohorte dem tapfern Gajus aus der Hand gerissen, wo die Vertheidiger des Brückenthors gefallen und wo die siegreichen Barbaren bei ihrem Meth die Nacht durchzecht, indem sie unsere Feldzeichen höhnten. Das Alles hat den Schmerz der Unsern erneut und während Arator's Haupt sich Rache heischend über den eingeworfenen Mauern erhob, hörte ich Flüche auf seine Tochter! Gewiß, Jetta, es ist hart an dir gefrevelt worden, aber fühlst du nicht, welche schwere Schuld auch du auf dich ludst?«

Jetta hatte ihr Haupt bei Gratian's Erzählung geneigt und starr vor sich hingesehen, aber bei diesem Vorwurfe erhob sie ihr bleiches Antlitz wieder und sie sprach finster: »Ich bin gestraft, wie du siehst, andere Frevler spotten noch immer der Götter.«

»Nein, Jetta, auch wir haben geerntet, was wir säten. Wie sollten uns die Götter Treue halten, da wir selbst die Treue brachen. Du warst nur das Werkzeug der göttlichen Rache, aber nun laß das Vergangene vergangen sein.« Seine Stimme begann zu zittern, in seinem Auge schimmerte zärtliches Mitleid für dieses schöne verlorene Weib und als sie in ihrem verstockten Schweigen beharrte, begann er aufs neue: »Komme mit mir, Jetta, du kannst hier nicht bleiben. Du bist jeder Gewaltthat preisgegeben und ebenso verfehmt wie deine Wölfin wirst du durch das Thal streifen bis du dem Frechsten zur Beute wirst. Sobald die Nacht hereinbricht, werden wilde Buben deine Höhle heimsuchen und dein Haus auf dem Buhle plündern und niederbrennen. Komme zu uns. Die Zeit wird Roms Haß gegen dich versöhnen. Einstweilen verbirg dich. Ich weiß auf dem See der VeneterBodensee. eine Insel, wo einst Tiberius die Vindeliker besiegte.Bei Lindau. Sie liegt vergessen wie das Eiland der Seligen an den Grenzen des Reichs. Rings umfluthet sie die grüngoldene Fluth, in der die Alpen mit ihren Schneehäuptern sich spiegeln, und wie weiße Möven schwimmen hier und dort die dreieckigen Lateinersegel in der blauen Fläche. Der Alamanne, der gegenüber haust, ist mir verbündet. Er wird dich schützen. Noch stehen dort um die zerfallenen Villen hohe Cypressen und dunkle Lorbeerbüsche, wie du sie liebst. Dort wollen wir glücklich sein und Rothari's gedenken, wenn wir zu den Firnen emporschauen, die so stolz sind und so rein wie er.«

Jetta athmete tief, sie schien bewegt. »Lasse den Germanen ihre Wälder und Sümpfe und flüchte an mein Herz«, sagte Gratian zärtlich. »Ich habe Bissula mit herübergebracht von Alta Ripa unter dem Vorwand, wir bedürften ihrer als Dolmetscherin, damit es nicht heiße, du ziehest allein durch's Land mit den Soldaten. Auf dem Rhenus liegt ein Schiff bereit, das unter dem Drachenbilde des Augustus sicher reist. Kein neidisches Auge kann uns da belauschen und niemand braucht zu wissen, daß das Schiff den Cäsar trägt und sein Glück. In wenig Wochen kann ich vom Mons Brisiacus, wo ich den Befehl gegen die Brisgaven übernehme, dir folgen nach dem See der Veneter und wenn ich komme, wirst du auf dem Dache deines Hauses stehn und hinausschauen in die blauen Gewässer nach dem Nachen, der dir deinen Freund bringt, ich schwöre es, deinen treusten Freund.« Der Wolf hatte Jetta bis dahin ruhig angesehen. Jetzt erst begann er zu wimmern, als ob er Gefahr wittere bei den Reden des Versuchers. Aber auch ein lauer Wind von Süden schien Jetta zu grüßen. Es war, als ob die Novemberstürme noch einmal einem Nachsommer Raum gäben. Die Sonne schien warm wie im Frühling. Es rauschte in den dürren Zweigen der Esche, traumhaft wiegten die alten Föhren ihre Häupter und streuten ihre Nadeln auf die Erde und der laue Föhn trug kräftigen Waldgeruch in seinen feuchten Schwingen. Wie ein Gruß aus dem Süden wehte es Jetta an. Sie richtete ihre dunkeln starren Augen auf Gratian. Das war nicht mehr der Knabe, über dessen Huldigungen sie einst gescherzt. Es war ein Jüngling, dessen Wange ein bräunlicher Flaum umspielte, dessen feuriges Auge ihre Gestalt begehrlich umfaßte und sie wußte nur allzuwohl, daß sie nur schöner geworden war in der Schule der Wildniß, ein volles reifes Weib. Wie eine Vision sah sie es vor sich stehn. Er würde sie nach Alta Ripa geleiten, beschwatzt von Bissula würde sie mit ihm das Schiff besteigen. Er würde den Lohn ihrer Rettung einfordern, sie würde ihn zahlen müssen und zahlen. Sie schauderte. Zugleich aber regte sich in ihr ein wildes Verlangen nach Rache für die Beleidigung, die ihr der Treulose anthue. Zu dem Morde des Gemahls wollte er noch die Schmach der Witwe fügen. Justina war nur halb bestraft, und er, der Mörder, der bundbrüchige falsche Freund sollte ganz straflos ausgehn? Gratian sah, wie sie kämpfte und wollte schmeichelnd Jetta's Hand erfassen, sie aber zog sie zurück und fragte kalt: »Du wirbst um mich?«

»Ich warb immer um dich, du weißt es.«

»Und Constantia?« warf Jetta schneidend hin.

»Constantia ist in Rom und wird unser Glück am Venetersee nicht stören.« Es ward der stolzen Frau schwer, dem Knaben nicht als Antwort in's Angesicht zu schlagen. Also die Ehre, seine Geliebte zu werden, hatte er ihr zugedacht! »Du sollst mir büßen und nach dir Justina«, schoß es ihr durch das leidenschaftlich klopfende Herz. Aber sie bezwang sich und ließ ihn reden.

»Auf zwei Stunden nur«, sagte Gratian, »muß ich noch scheiden. Hier darfst du nicht bleiben und nicht in deinem Hause. Nicht einen Augenblick bist du sicher vor Gewaltthat und Schmach. Weißt du kein Versteck, wo ich dich sicher finde, sobald die Sonne hinab ist?«

Einen Augenblick zögerte sie wieder, als ob sie mit halbem Ohre dem Sirenenliede des Jünglings lausche und die alte Zuneigung zu dem Gratian von ehedem in ihr sich rege. Aber sie raffte sich auf. Sie hatte Rothari Rache gelobt und der schmählich Gemordete sollte sein Todtenopfer haben.

»Ist es dein Ernst«, sagte sie, »mich zu retten, so finde dich, sobald die Sonne gesunken, bei dem Waldteiche hinter dem Buhle ein, wo wir mit Rothari so oft zusammen weilten. Wenn du von dort die Schlucht hinauf der Quelle folgst, wirst du auf altes Gemäuer stoßen; dort findest du mich. Rufe meinen Namen und ich werde alsbald vor dir stehen, als ob ich aus der Erde aufgestiegen wäre.«

»So eile, Geliebte«, rief Gratian erfreut. »Sobald die Sonne hinab ist, komme ich dich zu holen.«

Er wollte sie an sich ziehn, aber Jetta lehnte mit finsterer Gebärde seine Umarmung ab. So schied er mit einem hoffenden Blicke, der Wolf aber sprang mit fröhlichen Sätzen an Jetta empor, froh, daß der Versucher von der Herrin gewichen. Diese aber schaute dem Enteilenden mit einem harten Blicke nach: »Gehe nur hin, du wirst dort eine Freundin treffen, wie sie eines so treuen Freundes würdig ist, sie wird Blutbrüderschaft mit dir trinken und dieses Mal in deinem Blute. Ich aber will einen Fährmann suchen, der mich über den Rhenus setzt. Ein Gastfreund unseres Hauses wird sich ja noch finden lassen, der Arator's Tochter aufnimmt, wenn auch unter falschem Namen.«


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