Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Wenige Tage später traf Macrian am Nicer wieder ein, um nach beendigtem Kriege die Feldzeichen seines Volkes im heiligen Haine zu bergen. Fröhliche Siegesfeuer loderten am Abende auf allen Höhen und am Riesensteine entfachte am folgenden Morgen die Priesterin die heilige rothe Flamme. Des Königs Schlachtroß ward Wodan geopfert und bei der Pferdebrühe und dem großen Kessel mit Gerstensaft schwelgten die Helden. Als das Fest im Gange war, gedachte die fröhliche Schaar der Zauberin, die das letzte Opfermahl verherrlicht und ihr weiser Rath ward von den Königen gepriesen. Indem sie ihrer geheimen Kunst und hohen Worte gedachten, drangen manche darauf, man solle Jetta zur Priesterin des Haines einsetzen und ihr die Hut der Trophäen vertrauen. Aber Macrian schwieg. Er hatte dem schönen Weibe eine andere Stelle zugedacht, die Jetta für immer an seine Seite fesseln sollte. Der Schlaue hatte es sich überschlagen, daß das Zauberweib mit ihren geheimnißvollen Künsten ihm manchen guten Schatz ausfindig machen werde, der unter der Erde verborgen ist und nur der Hände harrt, die ihn heben. Ihren erfahrenen Rath wollte er haben bei seinen Verhandlungen mit Rom. Sie kannte alle Länder, Völker, Sprachen und mächtigen Leute, so wollte er sie zu seinem Notare machen, damit auch er auftreten könne wie ein rechter Fürst. Wie schön mußte es sich machen, wenn er in der braunen Halle saß über den Helden und das herrliche Weib an seiner Seite thronte im römischen Gewande und den Goldreif im dunkeln Haare. So sollte es werden. Hatten nicht auch andere Edelinge, die zuvor in römischem Solde oder als Geiseln in Italien gelebt, edle römische Frauen in die Heimath mitgebracht und wie hoch hatte ihr kluger Rath und ihre feine Sitte diese Männer erhoben. Darum wollte er Jetta als seine Hausfrau in eine seiner Hallen führen, dort sollte sie als Fürstin hausen, neben den fünf andern Frauen, die er in andern Burgen bereits besaß. Leise stahl sich der König vom Feste und ging allein zur Höhle der neuen Velleda und verweilte dort länger als eine Stunde. Aber er kam schweigsam und zerstreut am Mittag wieder und blickte finster vor sich hin. Bald nach ihm kehrte auch der alte Wulf vom Walde zurück und nahm am Opfersteine neben dem Könige Platz, der mit unmuthigem Gesichte in die Flammen starrte.

»Als ich heute durch den Wald dort oben streifte«, begann der Alte endlich, indem er mit der knochigen Hand wie verlegen durch den Bart fuhr, »da hörte ich die Stimme eines Königs, der zürnend rief: ›Wir sind keine Barbaren wie die Skythen. Bauern sind wir, ein seßhaftes Volk mit festen Sitten und Gesetzen! Sind wir roh geworden in diesem langen Kampfe mit Rom, so ist's euere Schuld. Gallien war schon zur Hälfte unser, als ihr kamt und vollends, was hattet ihr hier zu suchen, diesseits des Rhenus? In diesem Kampfe ist unser Volk verwildert, deßhalb sei du ihre Fürstin und zähme sie!‹ Mir aber gefiel es nur halb, daß der König bei einem fremden Weibe mein Volk entschuldigte, auf das ich stolz bin. Aber ein anderes Wort hörte ich gern, als der König sagte: ›Darum liebe ich mein Volk, weil es Freude hat an Mühe und Arbeit, an Kampf und Gefahr, an Sturm und Wogen und nicht scheut Wetter und Wind.‹ Das war geredet, wie ein König soll. Was man dem Könige antwortete, konnte ich nicht verstehn, aber ich hörte ihn weggehn mit zornigem Schelten. Als ich dann herabstieg von dem Hügel, in dem unsere alten Hünen bestattet sind, da sah ich vor einer Höhle ein schönes bleiches Weib sitzen mit gewundenen Händen; ich kannte sie und da sie uns gut gedient, fragte ich sie, was sie zittre und bange? Sie aber starrte mir mit ihren dunkeln Augen in's Angesicht, daß ich nicht wußte, wie mir wurde und ich sagte ihr: ›Sei unbesorgt, der alte Wulf wird dich schützen gegen des Königs Haß.‹ Sie aber fuhr auf und sagte: ›Seinen Haß fürchte ich nicht, aber schütze mich vor seiner Liebe!‹ So ungefähr klang es. Meines Königs Angesicht aber finde ich trüb. Wie soll ich's deuten?«

Finster blickte Macrian zur Seite. »Sie ist Sklavin nach dem Rechte des Kriegs, ich kann sie halten, falls sie gehn will, wie sie drohte.«

»Gewiß, mein König, das kannst du. Du kannst ihr die Flexen am Knöchel verschneiden wie Wieland dem Schmied geschah, so daß er trotz seiner Zauberkünste nicht entfliehen konnte, aber dann hüte dich, daß sie dich nicht schädige, wie Wieland seines Königs Kind und schließlich doch entrinne mit künstlichem Federhemde oder auf dem Drachenwagen durch die Lüfte.« »Ich wollte sie zu meinem Weibe machen«, zürnte Macrian, »aber sie stieß mich von sich wie einen niedriggeborenen Knecht. Nun ist mir der Trank vergällt trotz aller Siege und der Meth schmeckt bitter. Ich rühmte meine Ahnen und sagte ihr, daß wir von Donar stammen. Sie aber lachte höhnisch auf und sagte: ›Am Heerde Rothari's saßen sechs Helden in der Roßhaut und jeder stammte von einem Gotte!‹ Soll ich solche Lästerung dulden?«

»Weiber muß man mit Blumen schlagen, sagt das Sprüchwort. Vielleicht wird sie noch kirre«, lachte der Alte.

»Kirre? Sie will entfliegen wie eine wilde Taube.«

»Weißt du, König der Buccinobanten, wie man Tauben zähmt?«

Macrian schaute den Alten fragend an. Der lachte in seinen weißen Bart, dann sagte er schlau: »Man sperrt das weiße Vögelchen ein, aber man bestreicht das Gefängniß mit Thymian und mit Anis und gibt der Taube alles, was sie liebt. Ist schönes Wetter draußen, so hält man die Thüre fein geschlossen. Regnet es aber mit Kübeln oder schüttelt Frau Holle ihre Betten, daß die weißen Flocken fliegen, dann thut man auf und nicht am Morgen, sondern wenn eine recht stürmische Nacht bevorsteht. Zuerst wird das Täubchen hinausstürzen und seine Freiheit preisen. Dann wird es umschauen und frösteln und kommt die Nacht, so kehrt es von selbst in den Käfig zurück, an dem es gestern noch so zornig pickte und findet ihn ganz erträglich.«

»Was soll das hier?« fragte der König gereizt.

»Halte sie gefangen bis der Winterschnee die Wege verweht oder bis der Krieg wieder ausbricht. Zu ihrem Volke kann sie nicht mehr, das sie verrathen. Im Winterwetter oder zu Kriegszeiten umherschweifen im Lande, kann sie auch nicht. So wird sie froh sein, dir als Magd zu dienen, die sich heute weigert, deine Königin zu sein.«

»Vielleicht hast du Recht, alter Graubart«, nickte Macrian und Wulf lächelte.

»Ein altes Messer hat oft auch noch eine Stelle, wo es schneidet«, sagte er wohlgefällig und schüttelte sich dann vor Lachen, daß er Rath gebe in Liebessachen. Der König aber erhob sich. »So sage du ihr, ich wolle meine Wünsche schweigen. Sie solle eines der römischen Häuser beziehn, die vom Brande verschont wurden. Aber nach Gallien soll sie nicht gehn, wie sie drohte; der Augustus würde sie tödten. Habe sich in Jahr und Tag die Freundschaft mit Rom erprobt, dann möge sie ziehen, wohin sie wolle.« Damit wendete sich der König ab und Wulf mußte seinen sauern Gang antreten. »Wulf als Liebesbote«, lachte der Graubart, daß seine Büffelhaube wackelte. »Wenn mir nur etwas einfiele, was verrückt genug wäre, um auf solch ein römisch Weib Eindruck zu machen«, murrte er in sich hinein. »Ginge es nach mir, so sperrte man sie in eines der römischen Häuser da drüben, die sie früher bewohnte. Sie wird schon bleiben, weil sie nicht weiß, wohin sie gehn soll. Wird ihr freilich schlecht gefallen in ihrer Villa nach dem unsänftlichen Abgang ihres Marmorbrunnens und der weißen Götterbilder. Aber im Walde kann sie doch im Winter nicht hausen.« Je näher so der alte Graubart der Höhle Jetta's kam, um so unbehaglicher wurde ihm zu Muthe. Der Meth hatte seine Beine schwer gemacht und sein Geist war nicht ganz so klar, wie er zu so schwieriger Sendung wünschte. Als er einen Steinwurf noch von der Höhle entfernt war, fand er für besser, sich auf einem Baumstrunke niederzulassen und zu bedenken, wie er die Sache am besten einfädle. Nach einer Weile hörte Jetta zwischen den Bäumen eine rauhe Stimme, die erst halblaut und eintönig, bald aber mächtig anschwellend ein barbarisches Lied sang und dasselbe mit gewaltigem Taktschlag begleitete. Nachdem sich Jetta an den seltsamen Tonfall gewöhnt hatte, vermochte sie folgende Worte zu unterscheiden:

Schaust du dies Schwert, Maid, so zauberscharf,
Das ich halt' in der Hand hier?
Es fiel seiner Schneide dein Vater, und todt ist der Alte.

Setze dich nieder, so nenn ich dir zwiefachen Kummer
und schwere Schmerzensbrandung:
Angst und Klagen – Unruh und Kerker.
Je mehr der Trübsal, je mehr der Thränen.

Gram ist dir Wodan, der Waltenden Krone!
Geh nur heraus oder gaff nur am Gatter,
So raufe dich Reifner,Einer der Winterriesen. Beäugle dich Alles,
So werde zum Wunderding,
Weiter bekannt als der Wächter des Himmels!

Ich wandert' in's Holz, zum wilden Walde,
Springwurzel suchen. – Springwurzel fand ich.
Mit dem Zähme-Zweige treff' ich dich,
zwing' ich dich, Weib, mir zu Willen.

Sollst dahin gehen, wo gar nie dich sehen Der Irdischen Augen; Sollst sitzen frühe am Felsen der Adler Zur Unterwelt ächzend;

Soll Mahlzeit dich ekeln wie Menschen auf Erden
Die schillernde Schlange;
Soll ängsten der Alb dich durch alle Zeiten
Im Riesenbereiche!

Sollst dauernd mit dreiköpf'gen Dursen leben;
Sollst mannlos bleiben, von Morgen zu Morgen
Gedankenbedrückt.
Sollst dürren wie die Distel, gedrängt in's Vorhaus
Droben am Dache.

Durch der Reifriesen Wohnung jeden Tag
Schleppe dich Wahl-beraubt, schleppe dich Wohl-beraubt!
Leid sollst du tauschen für Lust und mit Thränen
Deine Trübsal tragen!

Frostgrimm dem Riesen, dem folgst du als Weib
Zum Thore der Todten,
Wo werthlose Knechte in Wurzelknollen
Dir Untrank bieten.
Schön're Getränke schenkt man dir nimmer,
Weib, nach meinem Willen – und deinem.

Nach einer Weile begann dieselbe Stimme, aber hell und fröhlich, wie die alte Kehle es erlaubte, folgende Strophe und Gegenstrophe:

»Sag, Schirner – den Sattel nicht schnall' erst vom Rosse,
Noch thu einen Tritt:
Was hast du erreicht zu Riesenheim
Mit unserer Absicht?«

Blüthenhain ist, wie Beide wir wissen,
Ein windstiller Wald:
Nach neun Nächten dem Nord-Sohn will Gerda
Zum Weibe dort werden.

»Lang ist die Nacht – länger sind zwei –
Wie drängt mich's zur dritten!
Oft meint' einen Monat ich minder lang
Als harrend die Halbnacht.«

Wie Jetta diese barbarische Serenade aufnahm, darüber ist nichts berichtet, ihr Wolf aber begann beträchtlich zu heulen, noch ehe der rauhe Sänger geendet und als derselbe nunmehr mit steifem, stapfendem Schritte aus dem Gebüsche hervortrat, begrüßte ihn das Thier mit bösem Knurren. Den Alten kümmerte das nicht; er ließ sich bei Jetta nieder und fragte, wie ihr sein Gesang gefallen?

»Er klang bedrohlich genug aus dem finstren Walde«, sagte Jetta. »Es war wohl ein Kriegsgesang?«

»Es ist eine heilige Hymne«, sagte Wulf nicht ohne Selbstgefühl, »und schildert Freyr's Werben um die Erde, die in der Haft der Winterriesen liegt.«

»Werben deine Götter alle so höflich?« sagte Jetta mit leisem Spotte.

»Götter und Helden«, erwiderte der Alte rauh und seine Augen blitzten. »Mein König läßt dir seinen Gruß entbieten und fordert dich auf, zu wählen unter den steinernen Häusern im Thale, da nach seiner Meinung ein edles Weib nicht wohl daran thue, schutzlos und allein im Walde zu liegen.«

»Mein Thun will ich selbst verantworten«, sagte Jetta schroff, »und brauchte ich ein Haus, so wollt' ich's deinem Könige nicht sagen.«

Der alte Wulf runzelte die Brauen. Dann sprach er weise: »Die Nachtigall lebt nicht vom Singen, sondern von Madwürmern und eine Prophetin ist am Ende auch nur ein Geschöpf mit Mund und Magen. Der Winter wird es dich schon lehren. Aber eine edle und züchtige Frau sollte gar nicht in einer Höhle hausen wollen. Mag ein landfahrend Weib mit ihren Buhlen hier unterkriechen, wer dereinst einmal Geltung haben will im Volke, den wird es übel kleiden, wenn sie sagen, ihr Gatte holte sie aus einem Erdloch.«

»Ich habe keinen geheißen, mich zu holen«, sagte Jetta, indem Röthe des Unwillens ihr Stirne und Wangen färbte. »Für mich aber sei unbesorgt. Mein Wolf wird schon Ordnung halten vor Jetta's Höhle.«

Wulf zögerte, aber er sah, wie die Wölfin ihn mit bösen Augen betrachtete. Im Hintergrunde glühten die grünen Augen des Käuzleins, da wandelte auch den Alten ein abergläubiges Grausen an. Vielleicht war doch mehr an ihren Künsten als er gedacht und so verlangte er nur, Jetta solle von seinem Volke nicht heimlich entweichen, sondern falls sie ziehe, in ehrlichem Abschiede von ihnen gehn. Darauf gab sie ihm gern ihre Hand. Nichts stand ihrem stolzen Sinne ferner als sich heimlich davon zu stehlen. Auch ward sie jetzt erst inne, daß sie keine Wahl mehr habe. Valentinian hätte sie zum mindesten lebendig einmauern lassen, gleich einer Vestalin, die ihr Gelübde verletzt, falls er ihrer habhaft wurde. So blieb sie, weil sie bleiben mußte.

Aber sie war nicht mehr die weltabgeschlossene Einsiedlerin, als welche sie zuerst nur ein Versteck in der Höhle gesucht hatte. Seit sie die römischen Gefangenen vom Tode gelöst und den Frieden zwischen zwei Völkern durch ihr Eingreifen herbeigeführt, war sie sich ihrer Macht über die Gemüther wieder bewußt geworden. Die dumpfe thatlose Stimmung, in der sie durch viele Wochen hindurch gewähnt hatte, es genüge ihrem Herzen, sich selbst und ihrem Schmerze zu leben, war von ihr genommen. Die glückliche Begeisterung ihrer schwärmerischen Mädchenträume freilich war dahin. Auf dem Wege durch Schuld und Unheil hatte sie einen guten Theil des Idealismus und Enthusiasmus eingebüßt, der die Quelle ihrer Kraft gewesen war. Ihre Seele hatte ihren Kranz und ihre Schmetterlingsschwingen verloren, aber nicht ihre Tapferkeit. Gewohnt, ihr Thun unter die höchsten Gesichtspunkte zu stellen und ihre Aufgaben von dem weiten Standpunkte eines an das Hohe glaubenden Geistes aufzufassen, stellte sich ihr das Bild eines Berufes, der ihr geblieben sei, allmählig wieder her. Ihre Ehe war ein Irrthum gewesen und alles Wirrsal der letzten Jahre war aus diesem falschesten Schritte ihres Lebens geflossen. Um das Wort auszurichten, das ein Gott ihr auf die Seele gelegt, mußte sie Jungfrau bleiben wie Velleda oder die Töchter des Hystaspes. Daß sie der Stimme, die in ihr war, die Treue gebrochen, hatte sie mit den Leiden als Gattin und Mutter gebüßt. Vielleicht, daß eben darum die heilige Kunst ihr zum Unheil ausgeschlagen war, weil sie sich mit irdischer Liebe befleckt hatte. Jetzt aber konnte sie ihr Leben neu beginnen. Was sie liebte, lag bei den Todten, alle Fesseln waren gefallen, nun konnte sie ganz Sibylle, ganz Prophetin sein. Zurück nach Rom konnte sie nicht. Sie hatte die Brücken abgebrochen. So wollte sie hier bleiben, den Barbaren die Künste des Friedens predigen, den Römerfrieden verkünden, für ein Bündniß mit Rom werben. Der verlassenen Altäre wollte sie walten als einzige Priesterin der Götter des Reichs.

Die Abendsonne brach warm und feurig durch die alten Stämme des geliebten Hains. Die Ebene lag so duftig und golden vor ihr wie in den Tagen ihres Glücks. Indem ihre Augen auf dem geliebten Thale ruhten, war es ihr, als ob die dunkle Vergangenheit von ihr falle und neue Pflichten das Gefühl der Leere auszufüllen begönnen, das sie seit dem Tode ihres Kindes in sich umhertrug. Sie gedachte des kleinen Häufleins der römischen Bevölkerung, das wie sie würde genöthigt sein, unter den Alamannen zurückzubleiben. Ihnen wollte sie als Beratherin und Trösterin zur Seite stehn. Auf die alten stolzen Zwecke des Lebens hatte sie verzichtet. Ihre Schicksalsgenossen zu trösten, schien ihr in diesem Augenblicke des Berufs genug. Mochte auch alles Andere Traum und Schein gewesen sein, die Leiden, die sie lindern konnte, waren etwas Gewisses. Ihr Werk in diesem waldgrünen Thale war noch nicht vollendet, es begann erst. Sie wollte umhergehn und die zersprengte römische Gemeinde sammeln, sie trösten, zusammenhalten. Wo noch ein Fünkchen höheren Lebens glühte, wollte sie es anfachen zur heiligen Flamme. Wo die verlassene Schaar an den besseren Gütern der Menschheit verzweifeln würde, wollte sie ihr die Hand reichen. Die Barbaren selbst wollte sie gewinnen für Bildung und Sitte: Dann würde sie in einem höheren Sinne der Genius dieses Thales werden, wie sie immer geträumt hatte. Ihr Schicksal würde vielleicht dem der Tochter Agamemnon's bei den Skythen oder auch dem der armen Kassandra, Priam's unseliger Jungfrau, gleichen, indem sie den Alamannen und zugleich den zurückgebliebenen Römern sich widmete. Schweres war ihr beschieden, sie wußte es und sie beweinte sich auch zum voraus und streute Blumen auf ihr Grab, aber wie viel Unklarheit und Selbstanbetung bei diesen phantastischen Plänen mit unterlaufen mochte, ihr Drang, der Welt etwas zu leisten, obwohl sie ein Weib war, trug einen Hauch von Größe in sich und adelte sie vor Tausenden, die sich in dieser Lage in einen Winkel geflüchtet hätten, um egoistisch ihrer eigenen Sicherheit zu leben.

Daß sie auch jetzt in der Höhle blieb, wollte Lupicinus und ihren Leuten als seltsame Laune erscheinen. Aber sie verstanden das Grausen nicht, das Jetta bei dem Gedanken an die Wohnung empfand, in der Rothari's Schatten umging und wo das bleiche Haupt ihres Kindes ihr immer wieder vor die Seele treten mußte. Auch eine andere Scheu hielt Jetta von den früheren Räumen ihres kurzen Glückes fern, eine Scheu, die sie sich selbst kaum einzugestehen wagte. In dem Hause waren ihre kabbalistischen Bücher verborgen, die letzte Quelle so unsäglichen Leids, und eine geheime Stimme in ihrem Herzen sagte ihr, daß sie nicht stark genug sein werde, das Gelübde, das sie dem sterbenden Gatten gegeben, zu halten, wenn es ihr so leicht sein würde, an die heiligen Rollen zu gelangen. »Entfliehe der Versuchung!« rief sie sich zu und sie blieb in ihrem Felsensaale, der sie viel erfreulicher dünkte als alle Prunkgemächer, die sie vordem bewohnt. Welches Haus wäre zudem für ihre hohe Sendung geeigneter gewesen als diese Grotte, die für ihr Sibyllenthum gerade wie gemacht war.

Auch war es, als ob ihre Lage sich freundlich verändert hätte, seit der Stunde, die ihr so peinlich erschien, da der König in seiner derben und geraden Weise um sie freite. Hatte bisher nur der treue Lupicinus täglich ihr Nahrung gebracht und sie mit dem Nöthigen versorgt, so fanden jetzt freundliche Alamannenkinder mit gelben Haaren und unschuldigen blauen Augen vor der Höhle sich ein. Sie brachten der schönen fremden Frau, in Körbchen von Binsen, Beeren und Blumen und baten, sie solle ihnen erzählen und sie lehren, denn der König wolle, daß alle so klug würden wie sie. So erzählte Jetta ihnen Geschichten, lehrte sie die lateinischen Runen lesen und schreiben und sang mit ihnen kleine lateinische Lieder, die sie ihnen dann übersetzte. Wenn sie so des Morgens hervortrat und ihre Blicke über all die Blondköpfe hingehen ließ und scherzend fragte: »Wie viel Strohdächer sind es heute?« dann jubelte die kleine Schaar auf und versprach morgen noch mehr »Strohdächer« mitzubringen. Bald mußte Lupicinus, um Raum zu schaffen, den Platz vor der Höhle von Strauchwerk säubern, so daß die vordem versteckte, wie das Portal eines Felsenschlosses, aus freiem Plane sich aufthat.

Nach den Kindern kamen die Alten. Wenn die Prophetin am milden Sommerabende auf dem Steine vor ihrer Höhle saß, den Wolf zu ihren Füßen, dann lagerten Frauen und Jungfrauen, Männer und Jünglinge im Kreise um sie her. Mit ihrer wohlklingenden schönen Stimme berichtete Jetta ihren Besuchern von der Geschichte Roms und seinen großen Männern; sie pflegte die Erinnerung an das Gute, was Rom auch diesem Lande gebracht, sie predigte den Römerfrieden und mahnte die Jungen, hinüberzuziehen über den Rhenus, um Kriegsdienste zu suchen und das Wunder der Welt zu schauen, die Stadt der sieben Hügel und das Forum Trajani. Dann werde der Erde der Friede wiederkehren, sagte sie, wenn ein Held wie Rothari, den Valentinian gemordet, als Augustus herrsche über beide Völker. Wenn sie so sprach, riß ihre Begeisterung sie oft über sich selbst hinaus und sie überließ sich prophetisch dem Fluge ihrer hohen Gedanken. »Eine Zeit wird kommen«, rief sie einst, als das Volk in besonders starker Zahl sich eingefunden hatte, »eine Zeit, in der die schilfumkränzten Ufer des Nicer sich bedecken mit Villen und Häusern von Stein, wie ihr sie drüben in Gallien geschaut habt. Auf dem Bühle wird der Herrscher, der beide Völker regiert, sein Palatium bauen, wie es die Stadt der sieben Hügel nicht herrlicher zeigt. Reben werden diese Hügel überspinnen und Schiffe werden herauf- und herabgleiten auf des Nicers grünen Wellen und Alamannen und Römer werden ein Volk sein. Könige werden ausgehn von diesem Thale und alles Volk beherrschen vom blauen Meere bis zum Wodanwalde.« Mit weit geöffneten Augen schauten die einfachen Frauen und unverdorbenen Jünglinge und Helden des Volks die Prophetin an. Sie war so schön, wenn sie in diesem Feuer sprach und ihre Stimme klang voll und metallisch hinaus in das weite Thal. Sie selbst aber fühlte diese Wirkung stolz und sie glaubte ihren eigenen Verheißungen, obwohl sie nicht wußte, woher sie ihr kamen. »Friede wird werden, wenn ein Germane wie Rothari Kaiser wird und als solcher Römer und Barbaren versöhnt«, das war ihre neue Offenbarung. Wenn sich dieselbe erfüllte, dann würden wie zu Velleda, so träumte sie, die Völker von Mitternacht und Mittag zu ihrer Höhle ziehen, um ihre Träume zu behorchen und ihre Gesichte zu deuten. Dem Wandel der menschlichen Geschicke entrückt und dennoch schicksalskundig würde sie dann thronen vor ihrer Höhle, den Völkern Zukünftiges offenbaren, den Frommen die Schätze unter der Erde zeigen und allen Streit schlichten zwischen Volk und Volk. Je stolzer sie aber redete, um so sichtlicher wuchs der Glaube der Alamannen, die ihr bereits das Höchste zutrauten und sich in Schaaren zu ihren Reden einfanden. Gelehnt auf seine lange Lanze stand hier ein junger Krieger und Bilder einer großen Zukunft stiegen vor ihm auf; dort lagerte eine Gruppe von Müttern mit ihren Kleinen, die mit großen verwunderten Kinderaugen die hohe Frau anstarrten; auf moosbewachsenen Felsen saßen alte Recken, die in früheren Jahren für Rom gekämpft hatten und nun dieses schwärmerische Lob des Reichs mit ihren eigenen Erinnerungen verglichen, auf die sie doch auch stolz waren. Wie vor dem Pfarrhof an schönen Abenden die Gemeinde sich noch zuweilen vereinigt, um den Erzählungen und Ermahnungen eines ehrwürdigen Priestergreises zu lauschen, so versammelte sich Abend für Abend die Thalgemeinde vor Jetta's Höhle, begierig, was die Zauberfrau heute ihnen erzählen werde. Noch nie hatte eine ähnliche Macht der Beredtsamkeit auf die Herzen dieser einfachen Menschen gewirkt und daß die Sibylle die alamannischen Laute so fremdklingend sprach, erhöhte nur ihren Reiz. Es lag in der Art dieser schlichten Naturkinder, daß die dichtgedrängte Schaar noch mehr mit den Augen als mit den Ohren auf die beredten Lippen dieser schönen Prophetin achtete. Die Anmuth der Bewegungen, das Feuer des fesselnden Auges, die Melodie ihrer Stimme, der Fluß ihrer Rede verstrickte Männer und Jünglinge in den Bann dieser Erscheinung. Sie gedachten der runenkundigen Frauen ihres eigenen Volks und nannten die Prophetin Jettrun, da eine höhere Stimme durch sie zu ihnen sprach. So hatte Jetta den wahren Zauber gefunden, den Zauber ihrer Person, der ein ganzes Volk berückte, dessen Glaube und Liebe von ihr bald größere Wunder erzählte als sie jemals mit ihren krausen Zeichen und geheimnißvollen Büchern gethan. Nun war sie auch nicht mehr verlegen, was sie den Tag über thun solle. Sie dachte darüber nach, was sie zu ihren Hörern am Abende reden werde und wie sie das eine Thema »Völkerfrieden und Bildung« in immer neue Bilder kleide. War dieser Stoff erschöpft, dann trug sie aus treuem Gedächtniß die schönsten Erzählungen der Hellenen und Römer vor und das mächtige Anrauschen und Abrauschen der Verse Homer's, das der kommenden und gehenden Woge des Oceans gleicht, klang noch nach in ihrem melodischen Vortrag. Alle Vorbilder hellenischer Tugend, wie Alceste für den Gatten starb, wie Penelope dem Abwesenden die Treue bewahrte, wie Iphigenie sich für Hellas opferte, alle großen Gestalten der heiligen Geschichte ließ sie vorübergehen vor dem gläubig horchenden Volke und der Schatz ihrer Erzählungen schien unerschöpflich. Bald war der Ruf von der neuen Velleda, die sich in dem waldgrünen Thale des Nicer niedergelassen habe und den Frieden verkünde, im ganzen Lopodunumgau verbreitet. Die Christen warnten vor ihr als einer Dienerin des Bösen, aber die sie nur einmal gesehen in ihrer hohen, reinen Begeisterung, waren für sie gewonnen und überzeugt, daß Jetta eine rechte Alrun sei. So wurde sie auch bald von den Gaugenossen, die Zutrauen zu ihr gefaßt, in ihren Geschäften berathen. Kamen Kaufleute von drüben aus Gallien oder Rätien, so machte Jetta die Dolmetscherin; mancher Streit zwischen lateinischen Colonen und Alamannen, der nur auf Mißverständnis beruht hatte, ward von ihr geschlichtet, manchem verschmitzten Kaufmann redete sie in's Gewissen und bewahrte ihre alamannischen Clienten vor Schaden. Durstige Wanderer tränkte sie aus ihrer Quelle, mit den Kindern theilte sie ihr Brot und zog ihnen die Dornen, die sie sich im Walde in den kleinen Fuß getreten; Kranken gab sie Rath, so weit ihre Kenntniß der Kräuter reichte. Auch Zerwürfnisse der neuen Ansiedler legte sie mit ihrem weisen Schiedspruch bei und alle Theile beugten sich vor ihrer uneigennützigen Entscheidung, die sie mit der Würde einer Fürstin ertheilte.

Minderes Glück hatte Jetta dagegen mit ihrem Plane, der Pflege des römischen Lebens bei der zurückgebliebenen lateinischen Bevölkerung sich zu widmen. Es war dieser Lateiner keine ganz geringe Zahl, aber nicht Einer sprach bei ihrer Höhle vor. Sie sahen in Jetta nur die Verrätherin, die das Lager den Alamannen überliefert hatte und bewahrten ihr grimmigen Haß in ihren rachsüchtigen Herzen. Der stolzen Frau kam es sauer an, aus der Einsamkeit ihres Haines herauszutreten und den ersten Schritt zu thun, um sich ihren Volksgenossen zu nähern. Begleitet von Lupicinus und dem riesigen Wolfe erschien sie zur Verwunderung der Dorfbewohner eines Tages im alten Pagus der Nemeter. Sie selbst bewegte es tief, als sie, zum ersten Male wieder hervortretend aus dem Dunkel ihrer heiligen Eichen, die Veränderungen wahrnahm, die sich in dem geliebten Thale begeben. Verschwunden waren die roth und gelb gemalten Kähne von der klaren Fläche des dunkelgrünen Nicer. Der Muthwille der überkräftigen Eroberer hatte die feingeschnäbelten Spielzeuge rasch zu Schanden gefahren und nur hier und dort ragte ein bunter Kiel vom Grunde herauf. Von der Brücke hing noch ein Bruchstück mit der Capelle des Neptun auf dem mittleren Pfeiler. Auch der Verkehr nach dem Rhenus hatte aufgehört, seit beide Völker sich feindlich gegenüberstanden. Wie fröhlich war doch einst das Bild aller dieser buntgefärbten Barken gewesen, die sich im Wettkampfe neckten. Wie lieblich die Abende am Ufer, wenn fröhliche Lieder aus den Kähnen erschallten, deren Töne lang über dem Wasserspiegel nachhallten. Jetta seufzte. Sie hatte dieses Ende verschuldet, aber sie hatte es nicht gewollt. Die Wiesen längs des Ufers prangten dagegen wie sonst in saftigem Grün. Sie waren gleich Argolis zu einem roßreichen Gefilde geworden, da die Alamannen hier ihre Herden von Pferden weideten. Aber der Bergabhang drüben schaute Jetta fremd und traurig an. Die ausgebrannten Mauern der Villen hatten zum Theil Strohdächer oder schwarze hölzerne Obergeschosse erhalten, dazwischen erhoben sich dunkle Blockhäuser der Alamannen, die dem Thale einen ganz neuen Charakter gaben. Den Wald hatten die neuen Ansiedler nach der primitiven Landwirthschaft der Barbaren vielfach niedergebrannt, um in die Rode Hirse und Buchweizen zu säen. Der Gipfel des Berges aber war durch den wiederhergestellten zwiefachen Alamannenring mit einem doppelten Kranze umgeben. Wehmüthig schaute sich Jetta um in dem verwüsteten Thale, das ihr so fremd erschien, als habe sie es nie gesehen, während die Bewohner der umliegenden Häuser neugierig vor die Thüre traten, um die Tochter Arator's zu schauen, die das Märchen des Landes geworden war. Die Nächstwohnenden waren der Kaufmann Volcius und seine Gattin Lucia Veria, die mit Gänsen nach Noviomagus handelte. »Euer Flecken, Freund«, sagte Jetta zu dem Manne, »hat weniger gelitten im Kriege als die Häuser drüben. Es wird mir schwer, das Dorf wieder zu erkennen, das einst so viel versprach.« Der kleine Händler schaute sie giftig an. Ein Schimpfwort schien ihm auf den Lippen zu liegen, aber seine Augen schielten nach dem mächtigen Wolfe und er drehte hart vor Jetta um und riß sein Weib in's Haus. Als er die Thüre geschlossen hatte bis auf einen Spalt rief er dann mit einer Stimme, die vor Zorn heiser klang: »Es ist dir wohl leid, Mordbrennerin, daß wir nicht ganz zu Grunde gerichtet sind? Bleibe du bei den Alamannen, denen du dientest, du Ueberläuferin, die ihren eigenen Vater verrieth!« Jetta zuckte schmerzlich zusammen, aber sie faßte sich und ging ruhig weiter. Vor der Schwelle des nächsten Hauses saß ein altes Ehepaar, Baucis und Philemon hatte Gratian sie einst genannt. Jetta grüßte sie, die alten Leute nickten verlegen mit den Köpfen. »Ich hatte gedacht«, sagte Jetta, »daß gemeinsames Unglück die Menschen verbinde. Ich wollte die Volksgenossen besuchen im Pagus der Nemeter, aber es scheint nicht, daß ich ihnen willkommen bin.«

»Wer Gutes bringt ist stets willkommen«, antwortete der Greis gelassen.

»Ich bringe Gutes«, sagte Jetta, »ich bringe meinen Glauben an Roms Gestirn. Ich will mit den Genossen unseres Volkes reden von den alten Zeiten und einer schöneren Zukunft, ich will sie sammeln zu einer kleinen Gemeinde, die ihre Sprache, ihre Bildung pflegt, die sich gegenseitig stützt und trägt, damit römische Sitte in unserem Thale nicht untergehe.«

»Da mußt du weiter gehen, edle Jetta«, sagte die alte Frau. »Wir glauben nicht an Rom, sondern an den Herrn Christus. Den Bund, den du stiften willst, haben wir schon durch unsern Bischof und seine Heerde. Er sorgt, daß wir nicht verloren gehn, besser als du es durch deine Zauberkünste könntest. Dort drüben wohnt ein alter Priester euerer Götzentempel, vielleicht, daß er dich anhört, wenn er eben nüchtern ist« und damit winkte die alte Frau eine so energische Verabschiedung, daß Jetta nicht zu verweilen wagte. Den verrufenen Cybelepriester mochte sie nun gar nicht aufsuchen, vielmehr stieg sie zum Nicer hinab, wo sie etliche rohe Baumkähne der Alamannen liegen sah. Ein greiser Ferge stand an seine Stange gelehnt am Ufer. Auch er gehörte zu den alten Dorfbewohnern, die früher Jetta wie ein Wesen höherer Art verehrt hatten. Sie bat ihn, er möge sie übersetzen, Lupicmus und sie wollten nach ihren früheren Nachbarn beim Zehnthofe sehen. Aber der Mann regte sich nicht von der Stelle. Er starrte nach den Bergen und that, als habe er nichts gehört. Da trat Lupicinus zornig vor ihn und fragte, was das bedeuten solle. »Das bedeutet«, sagte der Andere, »daß es der Bischof verboten hat, mit ihr zu verkehren und wenn du das nächste Mal zur Basilica kommst, wird er mit dir noch ein Wörtlein reden, dafür, daß du einer Heidin und Zauberin Vorschub thust bei ihren gottlosen Plänen.«

Lupicinus erbleichte. Er wußte nicht, was Jetta mit ihren Gängen beabsichtige. Galt es wirklich Wiederherstellung der von den Alamannen verbrannten römischen Tempel, dann mußte auch er sich von ihr scheiden. Jetta las diese Gedanken mit Leichtigkeit von dem ehrlichen Gesichte des Blondkopfs ab. Traurig wendete sie sich und kehrte zurück nach ihrer Höhle. Der Versuch, die römische Diaspora zu organisiren war gründlich mißlungen. Sie war organisirt in einem Verbände, der sie ausschloß, falls sie ihr stolzes Haupt nicht der christlichen Taufe beugte. Die Erfahrungen dieses Tages hatten sie tief erschüttert. Von dem Umfang des Hasses, den sie auf sich geladen, hatte sie jetzt erst einen Begriff erhalten und wenn sie darüber nachdachte, was sie gethan, fand sie es begreiflich, daß ihre Volksgenossen sie verabscheuten. Mit einer Reihe schlafloser Nächte und trüber Tage bezahlte sie den mißlungenen Versuch. Aber die zutrauliche Freundlichkeit der neuen alamannischen Dorfgenossen heilte ihre Wunde bald wieder aus. Sie fuhr fort in ihrem Verkehr mit diesen neuen Nachbarn, half, berieth, unterrichtete, belehrte, wo sich Gelegenheit fand und lebte weiter mit dem kräftigen Impulse, sich nützlich zu machen, wenn auch im Kleinen, nachdem die großen Pläne sich als Traum und Schaum erwiesen hatten. Dieses Waldleben selbst aber war ihr gedeihlich. Leichter als früher in den engen Kammern der römischen Villa oder unter dem heißen Dache des Blockhauses rollte ihr das Blut durch die Adern. Zu einer wilden Schönheit hatte die einst so zarte Jungfrau als Weib sich entwickelt. Kraft und Gesundheit hatte der Wald ihr geschenkt. Ungepflegt, aber doppelt so reich als vordem, fiel das dunkle Haar um ihre Stirne, ein gesundes Braun legte sich über ihre Wangen und in kräftigem Muskelspiel arbeiteten ihre Arme an den Matten, mit denen sie ihre Höhle für den Winter zu polstern gedachte. Denn auch jetzt konnte sie den Gedanken nicht tragen, daß sie endlich doch, wie der alte Wulf ihr sagte, in ihr Haus werde zurückkehren müssen. Ein einziges Mal hatte sie, am Waldrande hingehend, sich nach dem Bühle gewagt, wo sie auf Hof und Brunnen hinabzusehen vermochte. Aber die niedern Fenster, hinter denen sie vordem gestanden, die Bäume, unter denen sie mit ihrem Kinde gesessen, das Brünnlein, dessen Plaudern sie an Rothari's Schulter gelauscht, schauten sie an wie Gespenster ihrer eigenen Vergangenheit und stellten ihr diese mit gräßlichen Zügen wieder vor Augen. Es hatte Tage gebraucht bis sie diesen schmerzlichen Eindruck verwunden. Denn kamen jene Erinnerungen über sie, dann starrte sie wild vor sich hin, daß die Besucher erschraken und sich entsetzt Einer nach dem Andern von dannen stahl. Die Jünglinge liebten, die Weiber fürchteten sie, aber daß sie Königin werde, wünschten alle, denn sie dachten, sie werde Macrian zum Könige Roms erheben, sobald er ihr Gemahl sei.

Rechnete man einzelne düstere Tage ab, so war in Jetta's Brust ein Friede eingekehrt, den sie so nie gekannt hatte. Wenn sie die freundlichen blauen Augen der Alamannenkinder auf sich gerichtet sah, während sie ihnen Roms Geschichten erzählte, dann stieg es in ihr auf wie ein mütterliches Gefühl und sie wollte alle diese jungen Vögel bergen unter ihren warmen Fittichen, sie wollte eine Mutter dieses Volkes sein, nur so nicht wie Macrian es meinte. Als der November mit seinen trüben Nebeln hereinbrach, lichteten sich freilich die Reihen ihrer Besucher. Der treue Lupicinus unterhielt ein gewaltiges Feuer vor ihrer Höhle, an dessen Gluth sich zuweilen ein Jäger wärmte, der dem Fuchse und Dachse nachstellte, und die Frauen, die Holz im Walde sammelten.

Aber eben, als der Winter drohte, stieg auch eine andere Gefahr gleich einer Wolke an ihrem Horizonte auf. Jetta erfuhr durch Lupicinus, daß im Dorfe jenseits des Nicer der Bischof von Lopodunum angekommen sei und mit den Edelingen verhandle, ob sie sich bekehren wollten zum Glauben an den weißen Christ. Die Kunde klang Jetta schlimm. Faßte ein Priester der Christen hier Fuß, so waren ihre Tage in diesem Thale gezählt. Und sie fühlte bereits Anaklet's Wirken. Es war nicht nur das herbstlich stürmische Wetter, warum die Versammlungen vor ihrer Höhle aufhörten. Die Gefolgschaft des Bischofs hatte sie bei gar vielen verdächtigt. Die Alten im Volke mißbilligten ihr Werben für Rom, die Frauen aber ließen sich von dem klugen Bischof gern überzeugen, daß in den schwarzen Augen der Fremden ein böser Zauber wohne, der ihren Männern gefährlich sei. Bewegungen, wie Jetta sie erregt, müssen rasch zur That übergehn, oder sie zerrinnen. Was aus Begeisterung geboren ist, wallt und siedet eine Weile empor, dann erkaltet es oder es verdunstet. Sie hatte die Alamannen nicht zu einem Entschlusse fortreißen können, nun mußte ein Rückschlag eintreten. Das fühlte Jetta und sah besorgt in die Zukunft. Durch den Lopodunumgau aber ward ausgerufen, daß die Lentienser zu einem neuen Kriege gegen Rom rüsteten. Auch die Gaugenossen beriethen, ob sie sich anschließen sollten oder ausschließen. Mit Jetta darüber zu berathen, fiel den Alten nicht ein. So ward die Frau in der Höhle von vielen vergessen. Das Schauspiel im heiligen Walde hatte eine Weile die Jugend angezogen, aber mit dem Reize eines neuen Krieges hielt es den Wettkampf nicht aus.

Mehr und mehr vereinsamt saß die Waldfrau allein in ihrer Höhle. Selbst Lupicinus war ein Anderer geworden. Er fürchtete für sein Seelenheil, seit Jetta so offen für die falschen Götzen eintrat und die andern Christen ihm vorhielten, wer der Priesterin diene, diene auch ihren Göttern. Mit ernster Miene trat er darum eines Tages vor sie und stellte ihr vor, daß sie in der Höhle unmöglich den Winter verbleiben könne, dazu wisse er nicht, wie lang er ihr noch weiter beistehen dürfe, denn die Gemeinde bedrohe ihn mit Ausschließung, wenn er sich nicht von ihr lossage. Sein Rath sei, sie möge in ihr Haus zurückkehren, wo die alamannischen Knechte, die nicht unter der Botmäßigkeit des Bischofs ständen, ihr treue Diener sein würden. Er aber wolle eine Weile nach Lopodunum gehn bis er den Bischof freundlicher gegen sich gestimmt habe.

Jetta schwieg und schaute düster vor sich hin. Der Alamanne aber sagte gutmüthig, die Entscheidung eile nicht, doch möge Jetta seinen Vorschlag überlegen und er schied mit freundlichem Gruße. In Jetta's Geist aber war ein anderer Plan aufgetaucht. Hier abzuwarten bis der Bischof ihre Vertreibung durchgesetzt, wäre freilich verkehrt, das sagte sie sich selbst. Sie wollte sich also verbergen bis die schlimme Stimmung vorüber. War sie aus dem Wege, so mußten die Gegner sich beruhigen und sie gewann Zeit, zu überlegen, was zu thun sei. Auch erinnerte sie sich alsbald eines Verstecks, das ihr zur Zuflucht dienen konnte. Wenn man von dem Teiche, wo sie mit Rothari so oft geweilt, aufwärts stieg, immer der Quelle nach, so gelangte man zu einem Gemäuer, innerhalb dessen das Brünnlein entsprang. Es war vordem eine heidnische Kapelle gewesen, der Nymphe der Quelle geweiht und hatte zur Brunnengrotte gedient in römischen Tagen. Dort konnte ihr Lupicinus aus Moos und Fellen eine warme kleine Klause bereiten. Wasser war zur Stelle und ihre Vorräthe konnte er von Zeit zu Zeit erneuern bis das Schicksal ihr andere Wege aufthat. So lockte sie ihren Wolf und trat durch den herbstlichen Wald die Wanderung nach dem Teiche an. Bei dem Abhange über dem Bühl wendete sie ihr Angesicht dem Walde zu, um unten nicht zu sehen, was ihr zu sehen so schmerzlich war. Als sie bei dem Teiche anlangte, der dunkel und trüb zwischen den kahlen Bäumen stand, schwarz von dem Laube, das in ihm versunken, schauerte ihr. War dieses stygische Gewässer der gleiche klare Brunnen, der vordem das Bild ihres Glückes zurückgeworfen? Statt der bleichen Wasserrosen schwammen jetzt braune Blätter auf der dunkeln Fläche, um schwergetrunken langsam zum Grunde zu sinken. Der unter dem dürren Laube rieselnden Quelle folgend, stieg sie schmerzlich beklommen die Schlucht aufwärts. Das Laub rauschte um ihre Füße und der Wolf folgte nur zögernd. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und wimmerte, als ob er Gefahr wittere. So kam sie bei dem Gemäuer an, aus dem der Brunnen hervorbrach. In der kahlen Schlucht, überhäuft von braunem Laube, sah die Ruine freilich weniger einladend aus, als sie Jetta umbüscht von grünen Zweigen und umblüht von blauen Glocken und würzigen Dolden in Erinnerung trug, doch wollte sie wenigstens prüfen, in welchem Zustande die trocknen Gelasse seien? Aber als sie die Mauerlücke durchschritt, heulte ihr Begleiter laut auf und in demselben Augenblicke glühten ihr die funkelnden Augen einer Wölfin entgegen, die knurrend und die Zähne fletschend ihr entgegen trat. Tückisch duckte sich die Bestie nieder; mit gesträubtem Haare und blitzendem Auge rüstete sie sich zum Ansprung. Aber in demselben Augenblicke stürzte Jetta's Wölfin muthig auf den Gegner los. Ein furchtbares Ringen begann. So gewann Jetta Zeit, in eiligem Laufe den Berg abwärts zu fliehen, während ihr das Knirschen und Heulen der kämpfenden Thiere in den Ohren lag. Die Ueberraschung hatte ihr alle Besinnung geraubt und in athemloser Eile kam sie bei ihrer Höhle wieder an, traurig freilich, daß sich ihr tapferes Thier für sie geopfert habe und sie in ihrer Bestürzung ihm nicht einmal beigestanden. Aber Wie jubelte sie auf, als sie in der Höhle ihren treuen Genossen erblickte, der sich auf kürzerem Wege als sie bereits gerettet hatte. Langsam kroch er auf sie zu und legte sich ihr winselnd zu Füßen. Er war mit Wunden überdeckt, aber er wußte, daß er seine Herrin gerettet. Zärtlich streichelte Jetta seine rauhen Haare, holte Wasser an der Quelle und wusch ihm seine Wunden aus und er leckte ihr dafür dankbar zärtlich die wohlthätigen Hände. Die Treue ihres Thiers hatte Jetta erprobt, aber den Plan des Rückzugs nach der Quelle mußte sie aufgeben. Der Wald selbst kündigte ihr das Gastrecht.


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