Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Wäre Rothari mit der gleichen Milde, die er gegen Vulfilaich zeigte, auch seiner Gattin entgegen getreten, so hätte noch alles gut werden mögen, aber gerade darin erwies sich der Trieb des Blutes mächtig, daß der Germane für die verwandte Natur des Bruders auch in ihren Verirrungen noch ein Verständniß hatte, während er sich gegen die römische Art seines Weibes empörte, sobald sie nur von ferne Anderes wollte als er. Ihm war nachgerade vollkommen klar geworden, daß ein so zielbewußtes und stolzes Wesen wie Jetta ihn nicht zu beglücken vermöge. Der Tapfere wünschte sich ein Weib, um es zu schützen, eine Frau, die gestützt sein wollte und der Stütze bedurfte. Auch ehren wollte er sie und anbeten, aber sie sollte das nicht als ihr Recht verlangen wie Jetta. Sie mochte eine Göttin sein, aber nicht eine Göttin, die Orakel gab, sondern die durch ihren Liebreiz wirkte und dem Hause in der Stille Glück brachte gleich den Penaten. Von dem Allem war Jetta das Gegentheil. Ihre Nähe bedrückte ihn, weil er sie keinen Augenblick vergessen sollte. Einsilbig und mürrisch im Hause brachte er darum den größeren Theil des Tages bei Arator im Lager zu, Jetta aber saß mit Phorkyas zusammen und von der Alten gehetzt, verbitterte sie sich immer mehr gegen ihr ganzes Loos. An Beifall und Bewunderung gewöhnt, fühlte sie sich in der neuen Lage einer gescholtenen Gattin, die ihr Eheherr geringschätzt, innerlich wie vernichtet. Ihre Kraft hatte allein auf dem reichen Enthusiasmus beruht, der wie, eine Flamme ihr ganzes Wesen durchglühte. Sie nannte diese heilige Flamme, Liebe zu Rom, aber sie verstand unter diesem Namen alles Große, woran ihre schwärmerische Frauenseele hing: Religion und Poesie, Musik und Plato, Rosen und Marmor, Liebe und Tapferkeit, Philosophie und Kabbalah. Ihr Garten mit der immergrünen Vegetation gehörte so gut zu diesem »Rom«, wie die Statuen der Villa und die geheimen magischen Rollen. Für dieses Rom ihrer Phantasie hatte sie gekämpft mit ihrer ganzen Seele, mit aller Begeisterung ihres poetischen Gemüths. Die römische Form des Lebens war ihrem Frauenauge Rom und das barbarische Treiben um sie her war das Ende von allem, was sie liebte. Für jede Beziehung auf ihre Ideale hatte ihr Gatte nur ein unwirsches Wort und unter den Barbaren, die ihn umgaben, war niemand, an den sie sich hätte wenden mögen. So brannte die schöne Flamme in ihr selbst immer trüber und Staub und Asche dämpften die heilige Gluth. Man ist keine Priesterin mehr, wo niemand an uns glaubt. Der Geist begann von ihr zu weichen. Auch wenn sie sich in ihre heiligen Rollen vertiefen wollte, sie verstand sie nicht mehr und die erhabensten Stellen ihres Plato ließen sie kalt. Wenn sie dann der stolzen Gesichte ihres Brautabends gedachte, wie sie geträumt, dieser Mann werde sie erheben bis zum Perlendiademe, dann lachte sie auf in gellendem Hohne. »Der Goldhelm des Imperators hätte ja keinen Platz auf dem Haarwulste des Germanen. Bis zum Troßweibe der Barbaren wird er mich erniedrigen und wer weiß noch wie tief.« So saß sie in dumpfem Hinbrüten, aller Freude am Leben, aller Hoffnungen beraubt, und sann darüber nach, wie sie sich aus diesem Dasein retten könne, aber nirgend sah sie einen Ausweg. Wenn die Begeisterung dahin ist, ist der Verstand nur noch ein Unglück, denn er ergrübelt sich doch nur, daß es mit allem nichts sei. Das erfuhr die arme Prophetin auf dem Bühle. Ihre hohen Pläne von vordem erschienen ihr jetzt leer und kindisch, aber sie war glücklich gewesen, als sie noch so thöricht schwärmte und jetzt, da ihr die Augen aufgegangen waren, war sie elend.

Dem scharfen Blicke Arator's entging die Veränderung nicht, die mit seiner Tochter vorging, aber Jetta wies alle Fragen nach ihrem Kummer unwillig von sich und auch Rothari redete niemals mit ihm von seinem Weibe. Zuweilen stahl sich Statius noch hinauf nach dem Bühle, wenn er Rothari fern wußte. Als ihn Nasica fragte, wie er Jetta gefunden, sagte der Dicke spöttisch: »Sie gleicht der Pythia, die auf dem erkalteten Dreifuße sitzt und vergeblich wartet, daß der Gott sie erleuchte.« Das Bild war boshaft, aber es bezeichnete Jetta's Lage.

Wieder war einer der langen und leeren Tage für das grollende Paar im Blockhaus verstrichen. Rothari hatte Verdacht gefaßt, daß Phorkyas noch immer in seinem Hause spuke, und brütete darüber nach, wie er der Wahrheit auf den Grund komme. Jetta aber trug ihre Niobidenmiene, die er scheute und nur einsilbige Antworten waren den schmerzlich verzogenen Lippen zu entlocken. Sie hatte gehört, daß Gratian im Lager drüben eingetroffen sei und erwog still für sich, ob sie nicht ihm sich anvertrauen solle. Er würde ihr gewiß in ihren Klagen Recht geben und auf Rothari einwirken, damit er ihren Wünschen nachkomme. Verstimmt und wortlos saßen die Gatten in dem vom Heerdfeuer mit flackerndem, unsicherem Lichte übergossenen Saale. Als Jetta in ihrem Trotze beharrte, trat Rothari zum Heerde und schürte die Flamme. Er bedurfte der Arbeit, um seines Unmuths Herr zu werden. So warf er einige Eisenstangen in die Gluth und sing an auf dem Schmiedeblock zu hämmern, bis Jetta durch die Thüre sich dem Lärme entzog. Hell angestrahlt von der Flamme stand der Held mit geschwungenem Hammer am Feuer.

Kling, klang! fielen die Hammerschläge auf den glühenden Stab. »So möchte ich die Verräther treffen, die mich aus der Heimath vertrieben« – kling, klang; »so sollte man mich mit rothen Eisen brennen, daß ich ein Römer geworden bin« – kling, klang; »so sollte Phorkyas sich krümmen unter meinen Hieben, daß sie mein Weib verführt.« Da fuhr der ritterliche Schmied plötzlich von jähem Schmerze berührt zusammen. In seinem Arme stak ein Pfeil. Er kam aus der offenen Thüre, durch die Jetta soeben entschwunden. Kein Geräusch hatte der Held gehört bei dem Lärme des Schmiedens, sein Auge war geblendet von der Flamme und sah in der Tiefe der Halle nur Dunkel. Rasch riß er den Pfeil aus der Wunde. Es war dieselbe Arbeit, die er aus dem Anfall im Walde schon kannte. Der Schaft fest gedreht, die Spitze nur klein aber scharf und mit Kupfer eingefaßt, der Bart eine Reiherfeder. Sein erster Gedanke war, den Meuchelmörder zu verfolgen, ihn niederzuschlagen mit dem weißglühenden Eisenstabe, den er in der Hand hielt und aus dem er ein Schwert hatte schmieden wollen. Da schoß ihm der Verdacht durch sein erregtes Gehirn: »wie, wenn dein Weib selbst diesen Pfeil entsendet hätte?« Der Gedanke lähmte ihm jede Bewegung. Aber plötzlich kehrte ihm die Klarheit wieder. Ein Stechen in der Wunde, eine rasche Schwellung des ganzen Armes erinnerte ihn an Gratian's frühere Warnung, daß diese Pfeile vergiftet seien. Wohl hundert Narben, gegen die diese Wunde ein Ritz war, trug er an seinem Riesenleibe, aber so hatte noch keine geschmerzt. Rasch entschlossen nahm er den glühenden Stab, der noch in der Flamme lag und brannte sich, wo die Spitze gehaftet hatte, eine tiefe Grube. Dann die Zähne vor Schmerz zusammenbeißend, nahm er das tückische Geschoß vom Boden und wankte nach der Kammer. Als Jetta nach einer Stunde mit leisem Schritte das Gemach betrat, fand sie den Gemahl in wilden Fieberträumen. Rasch holte sie die Lampe. Bewußtlos, aber mit offenem Auge und einer gewaltigen Wunde am Arme, fand sie ihren Gatten und an der Erde einen Pfeil gleich jenem, der auf der Jagd nach ihm versendet worden war. In ihrem Schreck und Entsetzen war all ihr Groll dahin. Sie wollte Phorkyas zur Hülfe holen, aber die Alte war verschwunden. »Wasser, Wasser«, stammelte der Kranke, als Jetta wiederkehrte. Sie hielt ihm den Krug an die Lippen, er trank mit fieberhafter Gier und ward dann ruhiger. Die Wunde ließ er sie nicht berühren, ja es war ihr oft, als ob er sie fürchte, sie verabscheue. Gegen Morgen sank er in tiefen Schlaf und nun ging sie vor's Haus, um frische Luft zu schöpfen. Hier stieß sie auf Phorkyas, die gekommen war zu horchen. Wären Jetta's Sinne nicht verstört gewesen, sie hätte bemerken müssen, daß Phorkyas sich über nichts verwunderte als darüber, daß ihr Gatte nicht todt sei. Auch daß die Alte zufällig Wundbalsam bei sich trug und ihn ihr anbot, war der von Schreck und Furcht verwirrten Frau nicht verdächtig. »Davon schütte auf ein Tuch und binde es auf die Wunde«, sagte die Greisin. Jetta nahm mechanisch das Fläschchen, das eine braune Flüssigkeit enthielt. Dann kehrte sie leise an das Bett des Kranken zurück, der sie mit offenen gläsernen Augen anstarrte. Sie riß ein Stück Leinwand von einen Kleide und legte es auf das Lager, ein anderes wollte sie mit dem braunen Safte feuchten, da flog ihr das Glas aus der Hand und schmetterte sammt dem Inhalt an einen Balken des Daches. Der Kranke hatte sich erhoben. »Giftmischerin!« zischte es von seinen bleichen, vertrockneten Lippen.

»Es ist ja Wundbalsam, Rothari!« sagte Jetta sanft und eine aufsteigende Thräne zitterte in ihrer Stimme.

»Von Phorkyas, nicht wahr, der trefflichen Schützin?«

»Du wirst doch nicht glauben?« ....

»Sie und keine Andere oder ihr beide«, sagte er hart und kehrte sich gegen die Wand, von dem Schmerze der Brandwunde und dem Gifte in seinen Adern gepeinigt. Stumm stand Jetta eine Weile an dem Lager, dann setzte sie sich ruhig auf eine Lade zu seinen Häupten. Aus ihrem schönen bleichen Angesichte war jetzt jeder Ausdruck des Stolzes und Trotzes verschwunden. Nur tiefe Trauer über die Enttäuschung eines ganzen Lebens lag in ihren Zügen und ein Gebet zitterte auf ihren Lippen. »Ich will auf dem Altare der Sirona, den Fulvia beim Rosenhofe errichtete, die schönsten Früchte meines Gartens opfern, wenn sie dieses Leid mir überstehen hilft.«

Nach einer Weile verlangte der Kranke Wasser, dann Leinwand. Nur widerwillig duldete er, daß Jetta ihm die Wunde verband. Dann schlief er ein und als er wieder erwachte, hatte seine Riesennatur das Gift überwunden. Aber eine reizbare, böse Stimmung war in ihm zurückgeblieben. Alles, was seine Gattin that, erbitterte ihn. Seit Jetta über sein Leben beruhigt war, war ihre gewöhnliche einfache Würde auch wieder gekehrt. Aber die königliche Haltung, die ihr natürlich war, reizte ihn, statt ihn wie sonst zu entzücken. Schon das Quieken ihrer Sandalen war ihm verdrießlich. Nichts that sie ihm schnell genug und er meinte, daß ihre gesuchte Majestät sie an der gewünschten Eile hindere. Um als gnadenspendender Schutzengel in den Soldatenhütten aufzutauchen und zu verschwinden möge dieses huldvolle Bezeigen ganz am Platze sein, was es aber heiße, als Eheweib den eigenen Mann zu pflegen, davon habe die schöne Zauberin offenbar keine Ahnung, so murrte der Kranke in seine Kissen.

»Jede Bauerndirne meines Volkes«, dachte er bei sich, »würde mich besser pflegen.« In der That war die vornehme Römerin für solche Verrichtungen nicht erzogen. Sollte sie seine Wunde verbinden, so machte sie es oft so verkehrt, daß er ihr die Binden zornig aus der Hand riß. Unverdrossen stellte sie sich dann neben ihn und reichte ihm zu, was er brauchte. Aber bald war ihm das Tuch zu feucht, bald zu trocken. Sie bot ihm zuerst, was zuletzt kam, und hatte nie zur Hand, was er wollte. Als sie nun gar in ihrer königlichen Haltung die Binden zur Erde fallen ließ, daß sie staubig wurden, schickte er sie zornig weg und rief nach Lupicinus.

Nun aber war auch ihre Geduld erschöpft. Sie nahm ihren Knaben vor das Haus und überließ dem Schaffner die Pflege des mürrischen Gatten. Auf's neue kam tiefe Trauer über sie und unwillkürlich dachte sie darüber nach, wie tief sie gesunken, die man einst die Königin dieses Thales genannt hatte. Ein Barbar behandelte sie gleich einer Magd und sie sah voraus, daß er sie um so tiefer erniedrigen werde, je mehr sie sich vor ihm beuge. Daß seine Vorwürfe doch auch ein Körnchen Wahrheit enthielten, fühlte sie nicht. Seit er in der Tracht eines Wilden zu ihr zurückgekehrt, hatte sie in dem Worte »Barbar« für alle Zerwürfnisse eine ausreichende Erklärung.

Noch düsterer aber waren die Gedanken, denen Rothari auf seinem ungewohnten Schmerzenslager sich hingab. In Allem, was er erlebt, sah er die Strafe für den Abfall von seinem Volke. »Ich bin kein Römer, wer hieß mich dem Adler dienen? Ich bin kein Prophet, wer hieß mich eine Sibylle freien?« – – und ein Gefühl der Geringschätzung überschlich ihn, wenn er an Jetta's Zauberkünste dachte. »Ja die weisen Frauen meines Volkes«, sagte er, »die Schicksalsverkünderinnen, die Blutbesprecherinnen, die Todtenbeschwörerinnen und Wahrsagerinnen, die wissen Wunden zu verbinden und Kranke zu heilen.« Noch hatte er den Spruch im Ohr, mit dem seine Amme ihm die geschundenen Glieder einst besprach: »Haut zu Haut, Blut zu Blut, Bein zu Bein und Glied füge dich zu Gliedern!« Und war er nicht heil geworden von ihrem Segen? Dagegen diese Töchter Hekate's können nur Wunden schlagen, Wunden aber heilen können sie nicht!

Nach einer Weile kam Jetta wieder, sie ordnete unten im Saale, was sie dachte, daß ihm genehm sei, aber ihr lautes Reden, der Lärm, mit dem sie alles besorgte, that ihm wehe. »Hüte dich vor leise sprechenden Männern und laut redenden Frauen«, hatte ihm ein weiser Alamanne einst gesagt. Den ersten Theil dieses Rathes hatte er befolgt, den zweiten leider nicht. Jetzt, da er der Ruhe, der stillen Pflege bedurfte, wie war es lästig, daß dieses römische Weib immer auf dem Kothurne war. Wie haßte er dieses aufgeregte Wesen der Welschen, das laute Erschrecken, den Lärm um nichts, das Lachen und Schwatzen der Vettern, die sich unten täglich nach seinem Wohlergehen erkundigten. Dabei hatte die Eingeschüchterte auch jetzt immer etwas zu verstecken und zu verheimlichen, bald eine Sendung an Phorkyas, bald ihre kabbalistischen Rollen, bald einen Besuch der ihm verhaßten Weiber oder Courmacher. Stündlich zurückgestoßen schloß sich ihr Herz auf's neue zu. Sie fand seinen Unmuth außer allem Verhältniß mit dem erlittenen Mißgeschick und nahm seine starre Ruhe für Trägheit des germanischen Bärenhäuters, der zu Hause seinen Winterschlaf hält und nur lebt, wenn er im Kriege oder auf der Jagd ist. So hatte das Krankenlager die Gatten einander nicht näher gebracht. Ihr Antlitz sprühte Blitze bei manchem barschen Worte des Barbaren, sein Angesicht versteinte sich. In solch mißmuthiger Stimmung lag er eines Abends ungeduldig auf seinem Schmerzenslager und hörte unten, daß Jetta besucht ward. Die Augusta in eigener Person war erschienen, begleitet von einem Gefolge von Frauen, unter denen er Fulvia und Bissula an der Stimme erkannte. Ihn ärgerte dieser Besuch, da er Justina's Theilnahme bezweifelte und der Lärm ihm zuwider war. Erst ward ein Langes und Breites über seine Wunde verhandelt, über das Räthselhafte dieses zwiefachen Attentats mit den gleichen Mitteln. Mit höhnischem Lächeln hörte er die klugen Rathschläge an, die die vornehmen Weiber Jetta gaben für Behandlung seiner Wunde. Dann wünschte Justina den Knaben zu sehen. Bissula ging, um ihn zu holen. Aber was war das? Die Wärterin, die seinen Knaben brachte, war ja Phorkyas! Also die Hexe war doch noch im Hause, sie behütete sogar sein Kind! Er wollte aufspringen, sie wegjagen, doch er besann sich, daß es die Kaiserin war, die eben huldvoll mit dem Mordweibe redete. So mußte er sich bezwingen. Aber welche Berathung der Weiber begann nun über die Gesundheit seines bleichen Erben! Die Eine rieth, das Kind alle drei Stunden kalt zu waschen, die Andere wollte es ganz in wollene Binden stecken, die Eine fand außerordentlich gut, alle Speisen mit Wein zu geben, die Andere empfahl Pfeffer und Safran und Eier. Oh wenn er sie nur alle hätte erwürgen dürfen mit diesen Fäusten, er wäre gern gestorben, sobald er sie nebeneinander an der Leine hängen sah wie todte Drosseln! Und jetzt begann Jetta mit ihrer tiefen Stimme zu erzählen, was sie alles schon mit dem Knaben versucht und angestellt habe. »Ihr Organ klingt nie seelenvoller«, knirschte er, »als wenn sie fanatischen Wahnsinn vorträgt.« Der Kranke zitterte vor Wuth, so daß der Tisch an seinem Lager schwankte.

»Der Knabe muß fort«, beschloß er, »fort zu meiner Freundschaft, daß sie einen Helden aus ihm erziehen. Wenn sie ihn auch nicht in ihrer ruchlosen Dummheit morden, was für ein Mann würde er hier werden? Solch ein süß redender Affe wie Jetta's Vettern! Nein, Vadomar's Enkel soll ein Held werden wie seine Ahnen, das walte Wodan, Donar und Ziu!«

Am andern Morgen erwachte Rothari hell und freudig. Sein Zorn hatte ihn belebt, so daß die alte Spannkraft wiederkehrte. Er ließ von Lupicinus die Wunde am Arme fest verbinden und erhob sich. In der Laube, die der Westseite des Hauses entlang lief, saß er nun und schlürfte die würzige Morgenluft, während Jetta das Knäblein in der Sonne auf und nieder führte. Die frische Luft that ihm wohl. Nach wenigen Tagen war er so weit hergestellt, daß er einer Ladung Valentinian's in das Lager folgen konnte, wo wichtige Verhandlungen bevorstanden. König Macrian in Person war mit reisigem Gefolge erschienen, und verlangte von dem Augustus die Abstellung der Bauten auf dem Mons Piri. Den ganzen Tag war Rothari abwesend und Jetta wartete ungeduldig seiner Rückkehr. Sie fürchtete neuen Krieg vor ihres Gatten voller Genesung. Aber sie fürchtete auch, der Hof könne nachgeben und die Burgen räumen. Viel war von dem Glanze geschwunden, mit dem Jetta einst Julian's und Valentinian's Eroberung verklärt hatte. Der Enthusiasmus, der die Quelle ihrer Kraft war, war erloschen, seit dieses Land der Schauplatz ihres Unglücks geworden. Aber dennoch hielt sie an diesem Thale fest und es wäre ein Stück ihres Lebens von ihr gefallen, hätte sie es räumen müssen. Es war ihr heilig als Reliquie ihres Jugendglaubens und der schönen Ideale ihrer besten Zeit. Auch Rothari erschien ihr in diesem Augenblicke wieder in seinem Heldenglanze, wenn es sich darum handelte, eine Schmach abzuwenden von der Partei, die er ergriffen. Es war ihr fast, als ob sie nach seiner Genesung den Krieg gern sehen würde, denn dann standen er und sie wieder auf einer Seite und ein großes Gefühl verband sie auf's neue. In diesem Sinne wollte sie mit Rothari sprechen, wenn er zurückkam. Erwartungsvoll saß sie im Schatten der Laube, als endlich Schritte draußen laut wurden. Aber Rothari war nicht allein. Ein reckenhafter Alamanne, mit einem Eberfelle auf den Schultern, schritt neben ihm und befremdet sah Jetta, wie ihr Gatte so ehrfurchtsvoll zu dem bärtigen, ungeschlachten Barbaren sprach, als ob es Valentinianus selbst wäre. »Mein König!« redete er ihn an, so daß Jetta hoch aufhorchte. In den Schatten der Laube zurückgebeugt blieb sie den beiden Männern unsichtbar, während sie jedes Wort zu vernehmen vermochte. Es war von dem Castelle die Rede. Vergeblich suchte Rothari den ihn verlachenden Macrian zu überzeugen, daß ein Castell der Römer auf dem Berge den Alamannen nicht gefährlicher sei als das Standlager am Nicer oder die Befestigungen von Lopodunum und Alta Ripa. »Bis zu den Bergen haben wir zu beiden Seiten des Nicer das Land dem Augustus abgetreten. Ausdrücklich versprach er, die Berge selbst nicht zu befestigen. Trotzdem baute er Wartthürme, und da wir uns das gefallen ließen, soll nun da oben ein Bollwerk angelegt werden, aus dem er zu jeder Stunde niederbrechen kann in unsere Thäler. Auf der letzten Dingstätte ward beschlossen, das nicht zu dulden, obwohl vieler Edlen Söhne noch als Geiseln in den Händen der Römer sind. Nur die Rücksicht auf diese band uns bis jetzt die Hände, aber das Volk ist ungeduldig. Es verstattete seinem Adel noch einen letzten Versuch, seine vergeiselten Söhne zu befreien. Mir gelang das, wie du weißt, aber um so schärfer werden seitdem die andern Knaben gehütet. Morgen kehre ich zu den Meinen zurück und wenn Valentinian nicht bessere Botschaft schickt, als er heute in Aussicht stellte, so habt ihr den Krieg.«

Rothari schwieg, denn er hatte den Worten des Königs nichts entgegenzusetzen. Sein Volk war im Recht und Rom war treulos. Aber als Macrian aufbrechen wollte, hielt Rothari ihn doch noch zurück: »Noch eine Bitte, mein König«, sagte er bescheiden, »habe ich, die ganz allein mich betrifft.« Jetta horchte hoch auf. »Ich habe ein Knäblein«, sagte ihr Gatte verlegen, dann stockte er und blickte nach der Laube, als ob dort sich etwas geregt hätte. Aber als es still blieb, fuhr er fort: »das Kind wird hier verzärtelt. Thörichte Affenliebe und der Weiber Aberglaube haben es vergiftet. Ich aber wünsche, daß mein Sohn ein Held werde. Meine Bitte ist nun, du möchtest das Knäblein durch Einen deines Gefolgs mit nach deiner Halle nehmen und es meiner Freundschaft übergeben, daß es aufwachse wie andere Knaben unseres Blutes. Rando's Gemahl oder die Schwestern Fraomar's werden ihrem Blutsfreunde diese Bitte nicht abschlagen.«

»Und dem Weib?« forschte Macrian, »ist sie einverstanden, ihr Kind in Feindesland zu geben?«

»Sie würde sich wehren, wenn sie es wüßte«, erwiderte Rothari. »Wenn sie aber den Knaben nach einer Zeit blühend und gesund wiedersieht, müßte sie kein Mutterherz im Busen tragen, wenn sie die Gewalt nicht segnete, die ich ihr heute anthue.«

»Das Kind ist des Vaters«, sagte Macrian, »und ich bin in deiner Schuld. Der alte Bitherid mag den Knaben schleppen, wie er kann. Wir nächtigen zu Tegulä, da wir Valentinian's Gastfreundschaft nicht trauen. Dorthin bringe den Knaben am Morgen, denn bald nach Mittag werden wir reiten. Sorge, daß die Mutter das Kind beruhigt, denn wir sind schlechte Ammen.«

»Jetta darf das Alles leider erst erfahren, wenn das Kind weg ist«, sagte Rothari. »Aber eines gelobe mir, König Macrian, daß du das Kind nicht als Geisel hältst, falls der Krieg beginnt.«

»Wenn ich dich auf der Wahlstatt treffe«, erwiderte der König nachdrücklich, »werde ich dich tödten wie du mich, dein Knabe aber wird mir sein wie mein eigener Sohn.«

»Ich danke dir, König meines Volkes«, sagte Rothari und Jetta hörte, wie ihre Hände ineinander schlugen. Dann verließen beide den Hof und schritten dem Walde zu.

Rasch stand Jetta auf. Wie eine Löwin, deren Junges bedroht ist, stürzte sie nach der Kammer, wo ihr Kind lag. Sie wollte es nehmen, entfliehen. Aber das würde Rothari alsbald entdecken und ihr nachsetzen. Sie mußte warten bis ihr verrätherischer Gatte schlief. Angekleidet legte sie sich auf ihr Lager und zog die Decke über sich. Den Arm über ihr Kind gebreitet lag sie da, als Rothari eintrat. Wohl sah er, daß sie nicht schlafe, aber sie zürnte ja oft in dieser Weise. So legte er sich nieder. Es erleichterte ihm seine Härte, daß sie in ihrem Trotze fortfuhr. Um so weniger brauchte er mit ihr sich zu verständigen, wenn sie das Reden mit ihm ablehnte. So schlief er ein. Sobald seine Athemzüge ruhig gingen, erhob Jetta sich leise und verschwand. Lang kehrte sie nicht wieder. Rothari hörte das Kind einmal weinen, da es sich aber beruhigte, legte er sich auf die andere Seite und schlief weiter. Der Morgen nahte bereits, als Jetta wieder erschien. Sie nahm den Knaben und trug ihn hinaus. Lautlos glitt sie die Treppe hinab und ging mit ihm über den Hof zur Thüre. Der Wolf sprang verwundert auf und wimmerte, als er seine Herrin zu dieser Stunde auf nächtlichen Wegen betraf, aber auf ihren Befehl legte er sich gehorsam wieder in seine Hütte. Vor dem Thore stand Phorkyas. Sie nahm das schlafende Kind behutsam Jetta ab. »Das Maulthier wartet schon an der Brücke«, sagte sie. »Ehe der Tyrann erwacht, sind wir halbwegs Alta Ripa. Aber du hättest ihm das Wasser der Vergessenheit reichen sollen, wie ich dir sagte.«

»Still, ich will nichts davon hören.«

»Nun, so thue vorsichtig, wie ich dich gelehrt. Drei Tage zum mindesten wird es ihn an der Verfolgung hindern und bis dahin sind wir alle geborgen.«

»Aber mit deinen eigenen Augen haftest du, daß es ihm nicht schadet«, sagte Jetta zitternd.

»Ja, ja, er ist noch immer dein Augapfel, der Elende«, zischte die Hexe. »Du weißt aber, daß ich nicht lüge, wenn ich schwöre, wie ich schwor. Er wird keinen Schaden haben, so sehr er ihn verdient. In drei Tagen wird er sein wie zuvor.«

So trennten sie sich und draußen krähten die Hähne.

Unter dem Dache lag Rothari vom Schlafe gefesselt. Wohl hörte er Jetta's Stimme Zauberformeln murmeln, aber müde Schwere lähmte noch alle seine Empfindungen. Doch fühlte er mit geschlossenen Augen, daß Jetta vor ihm stand und ihre weiche Hand seinem Gesichte nahe brachte. Als er die Augen aufschlug, sah er ihr ernstes, schönes Antlitz mit einem Ausdruck zärtlicher Besorgniß über sich gebeugt, während sie eine Schale über ihm hielt und noch ehe er die Hand zur Abwehr erheben konnte, schüttete sie ihm etliche Tropfen in beide Augen. Als er sich gewaltsam aufraffte, stürzte es wie ein Feuerstrom über ihn herein. Er sprang auf, aber es war ihm, als ob er in einem Meere von Lichte wandle. Dann wurde dasselbe trüber. Weißliche Ströme wie Milch umgaben ihn, dann kam Finsterniß und nur eine schwache Lichtempfindung verrieth ihm die Lage der kleinen Fenster. Von der Gegend der Thüre her hörte er dann Jetta's Stimme: »Du wirst wieder sehen, Rothari, sobald ich mit meinem Kinde in Sicherheit bin. Deine Schuld ist es, daß es solcher Mittel zwischen uns bedurfte.« Wüthend sprang er nach der Richtung ihrer Stimme, aber er strauchelte und fiel über sein eigenes Lager. Noch hörte er sie einen Augenblick anhalten, als ob sie sich überzeugen wolle, daß er sich nicht verletzt. Dann verklangen ihre Schritte nach unten. Tastend fand er endlich die Treppe. Aber das Licht im Saale schmerzte ihn; er wusch die Augen mit Wasser, aber nun umgab ihn völlige Finsterniß. Da ließ er gramvoll am Heerde sich nieder, voll Rachegedanken gegen diese Tochter Hel's und grübelnd, mit welchen dunkeln Künsten sie sein Geheimniß erforscht und ob sie Wort halten werde und ihm sein Gesicht wiederschenken, sobald sie den Knaben geborgen.

Während er so tief in seinen Gram versunken dasaß, fühlte er an der Hand eine feuchte kalte Berührung und dann das Lecken einer Zunge. Der Wolf war zu ihm geschlichen, um ihn zu trösten. Gerührt fuhr Rothari über den zottigen Pelz des Thieres, ihn zu liebkosen. Der Wolf wimmerte in leisen Klagelauten, als ob er den kummervollen Zustand seines Herrn begreife. »Du treues Thier«, sagte Rothari wehmüthig, »dich nennen sie tückisch und grausam. Ich möchte wohl wissen, wer von euch das Herz einer Wölfin hat, du oder sie.« Aber in dieser finstern Stunde des Hasses selbst stieg das leuchtende Bild ihrer Schönheit und aller ihrer Reize in seiner Erinnerung auf und wenn er, um sich zu zerstreuen, nach den glänzendsten Erinnerungen seines bewegten Lebens griff, kam er doch nur immer wieder auf sie zurück, mit der all sein Glück begonnen und geendet. Das krankhaft gereizte Auge zeigte ihm nur immer das Bild jener Jetta im Garten, die ihm in ihrer lieblichen Majestät, mit dunkel strahlenden Augen einst entgegenschritt und er sah noch jetzt die Glorie um ihr Haupt, die er damals gesehen hatte. Auch den Ausdruck zärtlicher Besorgniß, mit dem sie sich über ihn geneigt, als sie ihr dunkles Werk an ihm verübte, konnte er nicht vergessen. Gewiß, sie liebte ihn noch, hätte sie ihn doch viel schlimmer schädigen können. »Ich will sie nicht strafen«, sagte er. »Das Kind muß fort, ich werde es finden, und wenn sie es bei den Zwergen und Trollen im Mons Valentiniani verborgen hätte; dann werde ich es dahin bringen, wo ein Mann aus ihm werden kann und nicht ein Affe. Ihre Strafe aber sei, zu wissen, daß all' ihre Künste nichts vermögen gegen Rothari's Willen.«

Als die Knechte von der Arbeit zurückkehrten, fand Lupicinus, der den Saal betrat, den Herrn am Heerde, Er saß da mit starren Augen, die schwarzen Pupillen weit aufgerissen, wie die einer Eule und gleich ihr empfindlich gegen alle Helle. Einsilbig gab er vor, er sei auf's neue erkrankt, ließ sich Milch und Brot reichen und blieb ruhig in seinem Winkel sitzen, doch befahl er, einer der Leute solle sich in seiner Nähe halten. Den treuen Lupicinus selbst aber schickte er nach Tegulä, um Macrian zu sagen, der Knabe komme nicht.

»Ein Anderer könnte die Botschaft auch bestellen«, dachte Lupicinus, der das Wiedersehen mit dem furchtbaren Könige, hinter dem die Raben flogen, mit nichten begehrte. Aber aus Mitleid mit Rothari's Zustand vermied er jede Widerrede und machte sich auf den Weg nach Tegulä, dem ersten Dorfe, das thalaufwarts am Nicer lag. »Wer weiß, ob er dich erkennt«, tröstete er sich, »und wenn auch, an Rothari's Boten wird er sich nicht vergreifen.« Diese Hoffnung täuschte ihn nicht. Er fand den König in heiterster Stimmung mit seinen Mannen um eine Kufe mit Gerstenbräu gelagert. Mit fester Stimme verkündete Lupicinus seine Botschaft. »Wieder Einer, der den Herrn spielte, so lang die Frau nicht zu Haus war«, rief der König in derbem Scherze und seine Helden lachten. »Reicht ihm den Botenlohn«, rief Macrian und der Jüngste brachte ein Trinkhorn, das Lupicinus mit einem Zuge leerte. Da erkannte Macrian den Wächter vom Mons Valentiniani. »Ei, sieh da«, rief er, »du bist wieder heil von der Auerhahnenjagd? Jetzt erst erkenne ich den Blondkopf. Das freut mich. Ich machte es aber auch glimpflich. Dein junges Haupt that mir leid. Doch wenn du wieder Wache stehst, mein Knabe, so bleibe bei deinem Spieße und lasse die Hähne balzen.« –


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