Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Vierzehntes Kapitel.

Festgehalten von diesen schönen Augen hatte Rothari der Rückkehr nach Rom entsagt und jedem Gedanken der Heimkehr in die Halle seiner Väter den Abschied gegeben. In süßer Vertraulichkeit lebte er mit Jetta zusammen und reich durch Erbe und Krieg, beschloß er, sich hier zwischen Nicer und Rhenus einen Besitz zu gründen, dessen Königin Jetta zu werden versprach. Ihnen war, als hätten sie schon viele Jahre zusammen verlebt, da das süße Neigen der Herzen, die Erinnerung an gemeinsam bestandene Gefahr und das Geheimniß jenes Pfeiles sie mit dreifachem Bande umschlang. So flossen ihre Tage in dem blüthenreichen Garten dahin, als ob sie auf der Insel der Seligen lebten. Gratian's knabenhafte Verliebtheit war Gegenstand ihrer Scherze und ihrer vereinten Erziehungskünste; außerdem aber hatten sie einen weiteren gemeinsamen Zögling an dem jungen Wolfe, der sich an Jetta bald ebenso traulich gewöhnte wie an Rothari selbst und wenn Jetta das Thier an sich emporspringen ließ, es am Halse kraute, ihm die Hand durch das junge scharfe Gebiß zog, machte Rothari mit ihr eine Ausnahme von seiner Regel, daß nur Germanen mit Thieren umzugehen verständen.

Arator konnte sich bald der Einsicht nicht mehr verschließen, daß Jetta und der Germane innerlich einig seien. In ihm aber kämpfte die Furcht, Syagrius möchte seine Werbung erneuen, mit der Abneigung, sein einziges Kind einem Barbaren zu vermählen, während Rothari in treuherziger Unbefangenheit alles als erledigt betrachtete. Entweder hielt der Germane die Werbung bei Valentinian in Arator's Gegenwart für hinreichend, oder er hatte der Erklärung, Arator möge die Macht mit ihm theilen wie der Vater mit dem Sohne, eine Bedeutung beigelegt, die der stolze Greis nicht in derselben gesucht. Auch Jetta schwieg, aber ihr ganzes Benehmen trug den Stempel einer freudigen Entschlossenheit. So mußte der Vater schließlich selbst das erste Wort reden und ihr erklären, wie es durchaus nicht sein Wunsch sei, daß sie ihre Hand einem Barbaren zum Ehebunde reiche; in Roms Palästen suche er seinen Eidam. Aber Jetta behandelte seinen Widerspruch als unerheblich. Er werde sich schon fügen, lachte sie ihn an, wenn er Rothari besser kenne, den Liebling der Götter und der Menschen. »Glaubt Arator, seine Tochter werde sich einem Barbaren schenken?« fragte sie ihn mit blitzenden Augen. »Du kannst Roms Paläste umwenden, bis du einen Römer findest wie diesen.«

»Thue, wozu dein Starrsinn dich treibt«, erwiderte der Vater düster. »Ich sehe nichts Gutes sprießen aus solchem Bunde. Rothari wird sich eine Weile bestreben, den Barbaren auszuziehen, aber ich sah noch keinen als Römer sterben, der nicht als Römer geboren ward. Früher oder später wird der Alamanne die fremde Haut abstreifen und du bist dann heimathlos. Aber ich bin nicht darauf eingerichtet, mit meinem einzigen Kinde in Feindschaft zu leben. Möge dein Weg heller sein als ich ihn sehe. Soll es geschehen, so beeile dich, denn meine Tage sind gezählt.« Seine freundschaftliche Zuneigung zu Rothari's tapferer Soldatennatur erleichterte dem alten Manne das Opfer, das er brachte, aber er war auch entschlossen, diese Ehe wieder zu trennen, und wäre es durch Eisen und Blut, falls der Alamanne sein Kind betrog.

Es war natürlich, daß Jetta sich bedang, ihre Vermählung müsse in streng römischen Formen gefeiert werden und Rothari's Wunsch, ganz ein Römer zu werden, kam diesem Verlangen auf halbem Wege entgegen. Das hatte nun aber die Folge, daß vor dem Feste der Reinigung des Vestatempels am fünfzehnten Juni die Hochzeit nicht gehalten werden durfte. Sah auch Rothari nicht ein, was seine Heirath mit dem Tempel der Vesta zu thun habe, so mußte er doch zugeben, daß einige Zeit nöthig sei, um die Villa in Stand zu setzen, die Arator seinem Eidam zum Wohnsitze zudachte. Dieselbe lag an dem Südwestabhange des Mons Piri, wo Rothari die ihm unterstellten Wartthürme sowohl, wie das Lager im Auge hatte. Ihre hellen Mauern glänzten, umbüscht von reichem Blüthenschmucke, freundlich auf die Ebene herab. Warum das Haus die ganze Zeit leer gestanden, ward Rothari nicht klar. Die Villa sei für Feste vorbehalten gewesen, hieß es, der Kaiser habe sie beziehen wollen, die Officiere hätten sie benützt. Einsehen solle er sie nicht, bat ihn Jetta, damit er ihr die Freude der Ueberraschung nicht verkümmere. Auf seine Bitten stieg sie doch eines Mittags, als die Sonne sich neigte, mit ihm die Treppen der Terrassen empor, die von der Hitze des Sommertages glühten. Mit Wonne schritt der Alamanne auf den säubern Kieswegen die wohlgepflegten Hecken und Blumenbeete entlang und freute sich des freien Blickes, rückwärts in das waldgrüne Thal und vorwärts in die blühende Ebene. Das Haus selbst mußte er allein besichtigen. Ihr zieme nicht, die Schwelle zu überschreiten, über die sie als Neuvermählte getragen werden müsse, sagte Jetta und ließ sich auf den Stufen der Area nieder, während Rothari das glänzend geschmückte Vestibulum überschritt. Mit Ueberraschung schaute der Alamanne die spiegelnden Mosaikböden und bunten Wände des kleinen Raumes. Seltene immergrüne Büsche blühten im Viridarium. Leise plätscherte der Brunnen im Atrium, in das er, nach flüchtigem Durchgang, mit sehnsüchtigem Herzen zurückkehrte. Hier war ja der Schauplatz seines künftigen Glücks, hier sollte der Thalamos aufgeschlagen werden am Tage der Hochzeit, hier sollte dereinst die Domina herrschen über die spinnenden Mägde. Mit banger Seligkeit ließ er sein Auge umherwandern von den schön getünchten Säulen nach dem kostbaren Geräthe und dem kunstvoll gefaßten Impluvium und dann blieb der Blick wieder an den bunten Masken und Fruchtstücken des Mosaikbodens hängen, die von unten heraufglänzten. Aber der Alamanne konnte sich nicht verhehlen, daß es kein Gefühl reinen Entzückens war, das ihn bei dem Gedanken durchdrang, hier zu hausen. In diesen niedern geschmückten Räumen kam er sich selbst ungeschlacht vor, die Seitenkammern benahmen ihm die Luft und auch die geräumigsten Zimmer hatte der Recke mit wenigen Schritten durchmessen. Die kunstvollen Stühle vollends und Bänke fürchtete er zu zerdrücken mit seiner Riesenlast. Er wußte mit sich selbst nichts anzufangen inmitten all dieser Herrlichkeit.

So lang hatte Rothari gewünscht als Römer zu leben und einen Augenblick hatte es ihm auch heute ein stolzer Gedanke geschienen, über dieses spiegelnde Haus zu gebieten. Dann aber stieg die braune Halle seiner Väter vor seinem Auge auf, wo seine Mutter mild und doch gebietend vom Hochsitze das Gesinde und die Mannen mit ihren hellen Augen regierte und er dachte, wie wohl Jetta sich in jener Umgebung ausnehmen würde? Besser jedenfalls als er in dieser, sagte er sich. Es war wie das Erwachen eines Naturgesetzes in ihm, daß es ihm unbehaglich ward in dieser Umgebung. Nach dem braunen Blockhause der Alamannen verlangte es ihn und die lächelnden Hirten an den Wänden und die grinsenden Faunen, die von den Böden zu ihm heraufstarrten, waren ihm widrig. Während er so mit seltsam getheilten Empfindungen um sich schaute in den glänzenden Gemächern, zog der schwere Teppich eines Raumes zur Linken seine Aufmerksamkeit auf sich. Er schob ihn zur Seite und trat in einen kahlen und leeren Winkel, der nur den Durchgang bildete zu einer schweren wohlverwahrten Thüre, die mit seltsamen Zeichen verziert war. Vergeblich suchte er das Thor zu öffnen. Durch die Ritzen strich ein pfeifender Zug, als ob ein tiefer Schlot hinter der Thüre münde. Als er das Ohr anlegte, hörte er den Wind heulen wie durch ein Felsthal. Gleichmäßiges Fallen von Tropfen unterbrach rhythmisch das monotone Sausen des Luftzugs und in der Ferne brauste es wie das Rauschen des Stroms. Durch die Oeffnung des Schlosses schaute er in einen dunkeln Raum, aus dem ein feuchtkalter Hauch ihm entgegen wehte. »Düster und eisig, gleich dem Wege nach Niflheim!« sagte er. Eine unbehagliche Empfindung kam über ihn. Er fühlte sich nicht allein mit seinem Glücke, wenn hier ein Zugang zu dem Heiligthum seines Hauses sich barg. Der Gedanke war ihm so peinlich, daß er zum flachen Dache hinaufstieg, um zu sehen, welcher Art der Raum sei, der sich hier anschließe. Aber er sah nur, daß ein Gang zwischen das Haus und die anstoßende Felswand gestellt war und konnte sich die Bestimmung des fensterlosen Querbaues nicht deuten. Als er sich vorbeugte, um genauer zu sehen, rief ihn Jetta an, wie lange sie sich noch werde gedulden müssen? Sie scherzten herauf und herunter, bis Jetta ihn ernstlich zu sich entbot. Aber nochmals unter der Thüre mußte sein Auge zurückkehren zu der geheimnißvollen Pforte. »Ich mauere sie zu«, sagte er bei sich selbst, »sobald ich hier Herr bin.« Damit schloß er das Haus wieder ab und wandelte kosend mit Jetta durch die südlichen Pflanzen des Gartens. Als er den Kiesweg zurückschaute, war derselbe schon weniger schön als vorhin. Der schwere Schritt des Helden hatte tiefe Spuren in dem weichen Sande hinterlassen. »Jetta, Jetta«, sagte er, indem er auf den gestifteten Schaden deutete, »dein Recke zerstampft dir die bunten Böden und Apollo's heiligen Lorbeer wird dir der Reifriese erschlagen.«

»Oh weh, mein Riese«, erwiderte sie, »wie wird es da erst mir ergehn?«

»Du hast den deinen gezähmt«, sagte er und sie duldete lächelnd seinen Kuß.

Unter solchen Wonnen und Scherzen war auch das Warten und Hoffen süß.

Der einzige Anstoß auf dem blumenreichen Wege seines Liebeslebens war für Rothari Jetta's Beziehung zu den jungen Römern des Lagers, unter denen gerade die Arator's Hause am nächsten stehenden, Statius und Nasica, dem Germanen am wenigsten zusagten. Diese verzärtelten, salbenduftenden Schöngeister schienen dem tapfern Germanen mehr Eunuchen als Soldaten zu sein. Sie hatten in seinen Augen alle Fehler der Weiber und die Laster der Männer dazu. Die großen Erinnerungen Roms schienen bei ihnen nur in gespreizten Phrasen und antikem Faltenwurfe nachzuwirken. Sie trugen den Soldatenmantel wie eine Toga und declamirten gegen die Barbaren wie Cicero gegen Catilina. Dem schlichten Germanen aber ward wind und weh bei diesem gezierten Römerthum und er wunderte sich, daß Jetta harmlos an die Wahrheit dieses aufgebauschten Patriotismus glaubte. Daß die Vettern seine Ehe mit Jetta ungern sahen, machte ihm eher Freude als Verdruß, aber er war nun doppelt bestrebt, bei Ausstattung des ihm zugewiesenen Hauses zu zeigen, daß auch er reich war durch die Gunst des Kaisers und das Glück des Kriegs. Arator nahm es weniger leicht mit diesen gespannten Beziehungen Rothari's zu seinen Neffen und als der Tag der Vermählung herannahte, rückte er noch mit einer Forderung heraus, die auf Beilegung dieses Mißverhältnisses zielte.

»Du begreifst«, hob er in ernst besorgtem Tone an, »daß ich den Mann, der meine Tochter freit, sicher und geehrt sehen möchte in unserem Lager. Ich wünsche, daß Brüder seine Ehre vertheidigen, wenn er abwesend ist, über seiner Sicherheit wachen, wo er selbst es nicht vermag und daß jedermann wisse, dieses Mannes Blut ist kostbar, denn es wird gerächt. Du bist ein Fremder unter uns und keine Sippe steht dir zur Seite. Aber es gibt einen Ersatz für diesen Mangel. Wärest du einer der Christianer, so hättest du ihn in deiner Kirche. Aber auch für uns Diener der alten Götter gibt es ein geheimes mächtiges Band, das die Befehlshaber des Heeres mit heiligen Eiden verpflichtet, das die Einheit in der Armee erhält in dieser Zeit des Verfalls, einen Kitt, der fester hält als Blut.« Rothari machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle er sagen, spare das Weitere. Der Comes staunte und winkte verstohlen ein Zeichen. Rothari reckte zwei Finger aus. »Dann sind wir schon Brüder!« rief Arator freudig.

»Ein Rabe bin ich« –

»Verehre den Vater«, erwiderte der Comes und Rothari neigte das Haupt und sprach: »Ich ehre den Vater.«

»Nun gut«, erwiderte Arator. »Es wird alle Guten freuen, daß du zu uns gehörst. Aber es ist nöthig, daß du hier in unserer Grotte dir den nächsten höheren Grad verdienest, damit die Kameraden von deinem Muthe sich überzeugen.«

»Dazu war sonst das Schlachtfeld der Ort«, gab Rothari verwundert zurück.

»Du mußt die Krieger von heute nehmen wie sie sind«, erwiderte Arator gelassen. »Das Natürliche setzt sie nicht mehr in Erstaunen, nur das Ertragen raffinirter Qualen vermag sie zu überzeugen und bestimmt hier des Mannes Werth.«

»So will ich ein Knabe sein mit den Knaben«, erwiderte Rothari lächelnd. »Ich will hungern und dürsten, ich will auf scharfen Muscheln liegen oder spitzen Dornen, sie mögen mich geiseln oder auf's Marterbett strecken, ich will in qualvoller Stellung im Nicer liegen, Dolche gegen mein Auge zücken lassen, durch Feuer und Wasser gehn, schwimmen so lang mein Athem reicht, oder welche Knabenproben die Diener des Mithras sonst ersonnen haben, um den Muth eines Mannes zu prüfen. Aber was mich bindet, sind nicht diese blutigen Proben, sondern daß du, Vater, einen weiteren Theil des Schleiers lüftest von den sinnvollen Symbolen, die sie vor Jahren in der capitolinischen Grotte mir, wie neidisch, nur von ferne zeigten.«

»Gut, mein Sohn«, erwiderte Arator. »Der Gott aus dem Felsen nimmt dich auf's neue an. Du wirst den Kriegergrad erhalten und das Wissen werde ich selbst dir spenden, das dieser Stufe gesetzt ist. Bist du bereit zu jeder Stunde dich der Prüfung zu unterwerfen, zu der die Väter dich rufen?«

»Bereit bei Tag und bei Nacht.«

»Gedenke dieses Wortes, daß du es lösest«, sagte Arator bedeutsam.

»Gerne«, erwiderte Rothari, »und wo ist die Grotte des Mithras, die meiner harrt?«

»Das bleibe dir verborgen bis der Gott dich ruft,« Der Alamanne neigte das Haupt und Arator ging befriedigt von dannen.


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