Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Viertes Kapitel.

Neben dem Atrium hatte Arator seinem Gaste eine Reihe ansehnlicher Gemächer zugewiesen, die glänzend ausgeziert waren mit den Waffen und Schmuckstücken Rothari's, wie sie Lupicinus und der Mönch an den Wänden angebracht und rings auf den Simsen aufgestellt hatten. Nachdem Rothari nochmals einen wohlgefälligen Blick über den ihm so wunderbar zurückerstatteten Schatz seiner Väter hatte gleiten lassen, sank er auf das Lager, um von der Morgenarbeit ermüdet, den glücklichen Schlaf der Jugend zu schlafen. Als er erwachte, stand die Sonne schon tief. Durch einen Spalt des schweren Filzvorhangs schaute der Germane in das offene Atrium hinaus. Es war ihm, als ob er das Rauschen eines weiblichen Gewandes und einen leisen schleichenden Schritt vernehme. »Katzenpfoten sind ohne Schall«, sagte der Held gähnend, »und leise schleichen die Raubthiere.« Damit richtete er sich auf und schüttelte den Schlaf von den Augen. Wie schön glänzte der Strahl der Abendsonne auf dem rothen Fries und den bunten Mosaiken des Bodens für sein Auge, das in den letzten Wochen beim Erwachen immer nur die Lehmböden und Strohwände der Soldatenhütten oder die rauchigen Blockhäuser der Alamannen gesehen hatte. Während er mit Behagen sich dieser Veränderung seiner Lage bewußt ward, tauchte vor dem Spalte des Vorhangs eine Gestalt auf, die wenig stimmte zu dieser fröhlichen Pracht. Ein uraltes Mütterchen, deren Kleid kläglich um die gebeugten Glieder schlotterte, huschte hin und wieder und machte sich mit der Ordnung eines Tischchens zu schaffen. Die grauen Strähnen fielen ihr ungeordnet über das Antlitz. Kinn und Wangen waren mit weißem Flaume besät. Die Lippen waren eingesunken über dem zahnlosen Munde. Ueber das eine Auge war das gelähmte Lid so tief herabgefallen, daß sie einäugig schien, aber in dem sehenden Auge, das zuweilen nach der Kammer herein spähte, loderte ein Feuer, das von einem lebendigen Geiste Zeugniß gab. Rothari trat heraus und sah, wie die Alte ihm ein Tischchen mit Früchten gerüstet hatte. »Danke, Mutter«, sagte er. »Du bist wohl die emsige Schaffnerin dieses Hauses, oder wie soll ich dich nennen?«

»Phorkyas, Herr«, krächzte die Greisin. »Ein guter Name«, dachte der Germane für sich. »Sieht sie doch aus wie der grauen Phorkyden eine, die zu dreien nur eines Zahnes und eines Auges sich erfreuen. Aber mit meinen Zähnen, würdige Phorkyas«, sagte er lachend, »beißt man lieber in eine Fleischkeule als in so zarte Früchte des Südens.«

»Ja, ja«, erwiderte sie, »schön sind sie, Julius Cäsar hat sie auch gelobt.«

»Julius Cäsar«, lachte Rothari, »da haben sie sich gut gehalten. Also den hast du noch gekannt, Mutter. Wie alt bist du da eigentlich?«

»Alt, Herr, sehr alt. Also Fleisch willst du lieber. Ja sie stammen alle von dem grauen Thiere des Waldes. Ich sah die Ersten, die über die Alpen kamen. Damals hatten sie noch rauhe Felle. Ja, Herr, Phorkyas ist alt, sehr alt. Doch ich will ihm Fleisch holen, dem Wolfe«, redete sie in sich hinein und ihre Gestalt verschwand um die Ecke.

»Sie ist wahnwitzig, schwachsinnig vom Alter«, sagte Rothari, »ich hätte es nicht gedacht. Ihr Auge ist hell und versendet stechende Blicke.« Eine zartere Hebe und derbere Kost wäre ihm lieber gewesen, darum verschmähte er aber die Gaben der Alten nicht und an den Früchten saugend, schritt er zwischen Atrium und Peristyl hin und wieder, um frische Luft zu schöpfen. Die Capelle zur Rechten mit den Laren belehrte ihn, daß auch Arator's Haus heidnisch geblieben war. Nachdem er lange vor den Blumen des Viridariums gestanden, die Bronzetafeln im Tablinum mit den Verträgen und Urkunden gemustert, stieg er in das obere Stockwerk hinauf, um zu spähen, ob nicht seine Diener nun endlich erscheinen oder ob Arator zurückkehren werde. Den Gang über dem Peristyl dahinschreitend, sah er durch eine offene Thüre und die gegenüberliegende Halle die Bergreihe gegen Lopodunum so wunderbar vom Abendglanze bestrahlt, daß er dem Zauber nicht widerstehen konnte und das Gemach betrat. Als der Schein auf der in röthlichem Blau strahlenden Bergkette verglüht war, ließ er sein Auge in dem hellen, schön ausgemalten Gemache umhergehen. Liebliche Genien und Blumengewinde lachten von den Wänden, ernste Masken und heitere Amoretten blickten ihm von allen Seiten entgegen. Das kunstvolle Geräthe von Erz und Marmor zeigte die Formen der besten Zeit und Alles athmete die Sauberkeit und den Schönheitssinn einer fein ordnenden weiblichen Hand. Scheu wollte er sich wieder zurückziehen, da fiel sein Auge auf eine Reihe von Rollen und Pergamenten, die neben dem Fenster auf einem Tische zerstreut lagen. Sie alle waren beschrieben mit wirren kabbalistischen Zeichen, Zahlen und Figuren. Hier sah er seltsame Amulete, Runen, Hieroglyphen oder mannigfaltige Drudenfüße, gebildet aus zwei Dreiecken, die in den verschiedensten Combinationen durcheinander gelegt waren. Auf einer andern Rolle las er Anweisungen zum Fertigen von Amuleten. Er glaubte an solche Kräfte und wußte, daß mancher Held achtzig Jahre und länger nur darum unversehrt durch alle Pfeile und Schwerter hindurchgegangen war, weil ihn ein solcher Talisman schützte. Hastig und verstohlen suchte er das Geheimniß sich einzuprägen. »Nimm sechs Drachmen reines Gold«, las er, »mache daraus eine runde Münze und zeichne darauf das Bild der aufgehenden Sonne in der Stellung des Frühlingsmondes. Räuchere die Münze auf Krokus, wasche sie in Rosenwasser, darin Moschus und Kampher aufgelöst, die der Sonne verwandt sind. In krokusfarbener Hülle getragen wird dieser Talisman dich glücklich sein lassen in allen Dingen, und es werden dich alle Menschen fürchten und du wirst von Königen und Fürsten erlangen, was du wünschest und wirst wiederfinden, was du verloren hast und die Gottheit wird ihren Segen auf dich legen und auf deine Habe.« »Das zu bereiten, wäre jetzt eben die rechte Zeit«, murmelte der Alamanne. Auf einem andern Blatte sah er schauerliche Charaktere und Umrisse von seltsamen Genien. In ungeheuerer, gräßlicher Gestalt war Hekate zu schauen, die die große Mondhöhle bewohnt, eine Fackel und ein Schwert in den Händen, mit Schlangenfüßen und Schlangen im Haar, umbellt von schwarzen, zottigen Hunden. Daneben sah er Genien mit Hahnenköpfen in Schlangenleiber auslaufend, einen Menschenleib mit zwei Wolfs- oder Fuchsköpfen, das Bild des Abraxaskäfers mit dem Sonnenhaupte, umgeben von der Schlange, die ihren Schweif in sich saugt, das Zeichen des Muiriel, des Dämons der Fruchtbarkeit, mit einem Frauenleibe, Fittichen und Greifenfüßen und den Aspis hierakomorphos, einen Salamander mit einem Löwenkopfe. Lange Register von Dämonen- und Engelnamen glänzten ihm aus andern Rollen entgegen: Kether, Alektor und Jao Kabao; Ragiel, Tophiel, Raphael, Michael, Samael, Uriel und zahllose andere. Auf das ahnungsvolle Gemüth des Germanen übten diese mystischen Zeichen eine bezaubernde Wirkung. Wirr und halb betäubt starrte er in diese schrecklichen Rollen. Alles Wissen der Römer und Griechen hatte er zu Rom und Byzanz in sich aufgenommen, aber zur Magie war er nicht hindurchgedrungen, da der Hof jeden mit Verbannung und Tod bedrohte, der sich durch magische Künste in den Verdacht brachte, die Lebenslage des Cäsars und seine eigenen Aussichten erforschen zu wollen. Zum ersten Male war der ganze, vielberufene Apparat vor ihm ausgebreitet und wie angewurzelt stand er vor diesen geheimnißvollen Zeichen.

Sollte jene Alte, mit der er geredet, die Besitzerin aller dieser Geheimnisse sein? Hatte sie am Ende ein Lebenselixier und war wirklich schon zur Zeit der Cimbern und Teutonen, wie sie sagte, auf Erden gewesen und hatte mit Julius Cäsar Früchte gespeist? Viel jünger sah sie nicht aus. Doch er nahm ein anderes Blatt. Da sah er die Zahlen

4 9 2
3 5 7
8 1 6

in drei Reihen untereinandergesetzt. Wie er auch zählen mochte, aufwärts, der Länge nach oder quer, jedesmal erhielt er die Zahl 15. Ihm schien das dämonisch und darüber stand einfach Sigillum Saturni! Er sah den hochheiligen Namen Abraxas in sieben Linien angeschrieben, so daß er in jeder Linie sich um einen Buchstaben verkürzte und das Ganze ein Dreieck bildete, worauf er dann wieder um je einen Buchstaben wachsend ein zweites Dreieck herstellte, und Rothari ward nicht müde dieses

A B R A X A S A
A B R A X A A B
A B R A X A B R
A B R A A B R A
A B R A B R A X
A B A B R A X A
A A B R A X A S

auf und nieder zu lesen, indem er stammelnd gleich einem Knaben, der seine Verse lernt, die Lippen bewegte. Etwas Ungeheueres barg sich hier! Das waren die Schlüssel zu Hel's Reich, zu Loki's Geheimnissen, zu Hekate's Künsten, die Schlüssel, die die Götter der Kreuzwege hüten. Wer sie zu brauchen verstände, der fände Wahrheit, die Plato und Lucretius vergeblich suchten. Gewiß, jenem dämonischen alten Weibe gehörten diese Rollen, oder welcher bleiche alte Magier mochte ihr Eigenthümer sein? Da scheuchte das Rauschen eines weiblichen Gewandes den träumerischen Recken aus seinem Brüten auf.

Durch die Thüre trat eine hohe Mädchengestalt, die stolz wie Diana das schöne Haupt zurückwarf, als sie diesen Einbruch in ihr jungfräuliches Heiligthum und diesen Mißbrauch des Gastrechts gewahrte. Mit einer Handbewegung von vollendeter Hoheit wies sie den Eindringling zur Seite. Er aber, wie aus tiefem Traume aufgerüttelt, starrte mit weit aufgerissenen Augen die überirdische Erscheinung an. Da trat sie raschen Schrittes zum Tische und wie die Waldfee mit ihren göttergleichen Händen die verfolgte Hindin schützt, so breitete sie die weißen Arme über ihre Rollen und eine tiefe, dunkle Stimme, die tönte, wie geschlagenes Erz, rief ihm zu: »Zurück, Fremder! Ungeweihten Augen bringen die heiligen Zeichen Fluch.« Aber bereits haftete der träumerische Blick des Germanen nicht mehr auf den krausen Zeichen des Pergaments. Eine geheimnißvollere Rune war ihm aufgegangen in dem dunkeln Auge dieses bleichen, edlen Angesichtes, das ihn strafend ernst aus dem Heiligthum zu weisen schien. Einen abgezehrten Chaldäer, eine verschrumpfte thessalische Hexe hatte er sich als Besitzer dieser Rollen gedacht, die für gelbes Gold und weißes Silber ihn wohl einweihen würden in diese Zeichen und vor ihm stand die ewige Schönheit selbst in der Haltung einer Königin. So sah Medea aus, als ihr Jason zuerst seine räuberischen Pläne enthüllte. Und wieder tauchte er sein blaues Auge in diese unergründliche Zaubernacht des ihren und glühendes Roth übergoß seine männlich schönen Züge. Ein leises Lächeln glitt wie ein Sonnenstrahl über das strenge Angesicht der Römerin, als sie seine Verwirrung gewahrte. Da raffte er sich auf: »Verzeihe, edle Jungfrau. Diese Thüre stand weit geöffnet und der Blick auf die Berge lockte mich hierher. So schaute ich hier die Bücher, nach deren Verständniß ich schon lange schmachte. Vielleicht gewährt die edle Tochter meines Gastfreunds das als erstes Gastgeschenk, daß sie mir sagt, wie ich zu diesem Wissen gelange?« Die Römerin warf ihr Haupt zurück und die langen schwarzen Wimpern überschatteten ihre träumerischen Augen. Ihre Lippen zuckten, als wollte sie sagen: »Wer bist du, daß du bei der ersten Begegnung die tiefsten Geheimnisse meiner Seele zu lesen begehrst?« Aber es lag etwas so innig Rührendes in der kindlichen Bitte des starken Mannes, daß sie mild erwiderte: »Von Dreien habe ich diese Kunst erlernt und Dreie darf ich sie lehren. Ein Herz, das ich nicht kenne, bietet mir keine Gewähr, daß es die furchtbare Macht dieser heiligen Zeichen nicht mißbraucht.« Der Zweifel, der in diesem Worte lag, traf das empfindliche Ehrgefühl des Germanen, so daß er sich wieder auf sich selbst besann. Hohe Röthe färbte seine Wangen und er sagte mit naivem Stolze: »Die Götter haben Rothari's Herz geprüft und es ächt erfunden. Es hat in zwanzig Schlachten nicht gebebt, es hat in der Bärin Umarmung nicht gezittert. Ich habe meine Feinde erschlagen und der Schwachen geschont, wie die Götter es verlangen, von denen ich stamme. Prüfe dieses Herz und du wirst es würdig finden ..... zu lesen, was auch Andere lesen durften«, setzte er zögernd hinzu, denn er ward inne, daß dieses begehrliche Herz sich bereits ganz anderer Dinge würdig fand. Betroffen, aber mit stillem Gefallen hatte Jetta die Wirkung ihrer Worte auf den gewaltigen Krieger bemerkt. Der Unwille und das mädchenhafte Erröthen stand ihm gut. Erst jetzt sah sie, daß der Recke sie um eines Hauptes Lange überrage. Aber um so majestätischer faßte sie sich in sich selbst zusammen. »Warte und schweige«, sagte sie. »Diese Gabe wird nicht erbeten, dem Würdigen fällt sie von selbst in den Schos«, und mit der Hand winkte sie Entlassung. Er verbeugte sich wie vor der Augusta und nicht anders als diese entließ sie ihn. Wie er die Treppe herabgekommen, wußte, Rothari selbst nicht. Er fand sich in einem Zustande süßer Betäubung vor einer immergrünen Staude des Viridariums wieder. »Wer hat dich in dieses winterliche Land verpflanzt, du Blume eines schöneren Himmels«, sprach er leise für sich. Eine so große, so wahre, so einsame Majestät hatte er an keinem Weibe gesehen, weder unter den stolzen Töchtern Roms, noch unter den verfeinerten Frauen von Byzanz, noch in der Königshalle der Alamannen. Einer der Frauengestalten, wie sie den unsterblichen Dichtern erschienen waren, glich sie, aber wer suchte das Urbild Nausikaa's oder Iphigeneia's an dem Abhang des Wodanwaldes. Halb im Traume fühlte Rothari sich an eine der Reisestationen der letzten Tage versetzt, als er im den Ausläufern des Mons AbnobaSchwarzwald. auf eine Lichtung gestoßen war, wo Dornhecken, Disteln und Farren die verfallenen Trümmer einer zerstörten römischen Villa überwucherten, dazwischen aber rankten edle Reben, und eine gefüllte Gartenrose glühte purpurn aus dem dornigen Unkraut hervor. So erschien ihm diese stolze Menschenblüthe an den Grenzen des Barbarenlands. Oder sollte er sie dem schönfarbigen Krokus vergleichen, der draußen auf den Feldern aus vergessenem Samen unter Dorn und Unkraut hervorschoß? Wenn er die Augen schloß, sah er die lichte Gestalt deutlich vor sich und traumumfangen wiederholte sein Geist nur immer jedes ihrer Worte, ihrer Gebärden und im Ohre tönte ihm der tiefe dunkle Laut. Endlich ermannte er sich und eine muthige Stimme sagte in seinem Herzen: »Ward dir nicht stets der höchste Preis zuerkannt, das schönste Stück aus der Beute, so lang du vor deinem Volke herliefst und über die Mauern der gallischen Städte sprangst? Siege ich jetzt für Rom, so kenne ich den Preis, den ich fordere.«

»Da steht er vor den Blümelein, ha, ha, ha – der alamannische Schäfer, betrachtet sich die lieblichen Kinder Flora's, während sie ihm draußen im Lager die Ehre abschneiden. Rothari, Bärenhäuter, hast du bis jetzt geschlafen?« Mit diesen Worten schlenderte ein hochaufgeschossener junger Mensch in goldenem Brustharnisch und purpurfarbiger Tunica in die Halle. Das kindliche bartlose Gesicht verrieth den Knaben, der hohe Wuchs und die prächtige Ausstattung gaben ihm den Schein des Mannes. Der Angeredete schien noch halb im Traume. »Cäsar Gratian«, stammelte er, »du hier? Wie kommst du nach Novus Vicus?«

»Auf deinem Rappen, als dein Stallknecht. Ich habe dir deine Pferde nachgeführt, mein Blutbruder. Beim Hercules, beim heiligen Petrus, wollte ich sagen, oder welcher Apostel konnte am besten reiten? Nun, jedenfalls machte mir dein Hengst zu schaffen.« Und der jugendliche Ankömmling, dem die kostbare Ausrüstung und der fliegende rothe Mantel malerisch stand, warf sich in einen Sessel und weidete sich lachend an dem Erstaunen seines Freundes.

»Ich begreife das alles nicht, wo ist denn der erhabene Augustus?«

»Der ist dir entgegengereist bis Alta Ripa. Seit der Geschichte mit Mica ist er bärenmäßig in dich verliebt. Wie er dir versprochen, entließ er auch die andere Bestie, die Innocentia in die Wälder.«

Rothari neigte beifällig sein Haupt.

»Du, mein blonder Hercules, stehst schon halb im Geruche der Heiligkeit. Der Bischof Ithacius feierte die Entlassung der Innocentia mit einer Predigt in der Basilica, in der er in drei Theilen die Gnade, Milde und Gerechtigkeit des die Bären theils tödtenden, theils entlassenden Augustus pries. Du kamst nicht vor. Aber, wenn du dich taufen lassen wolltest, was ich dir schon lange rieth, so würde er dir ein höchst rührendes Martyrologium schreiben: Rothari in der Bärengrube. Ein Martyrologium, in dem mein Vater ohne Zweifel als Nero oder Trajanus figurirte! Mein Brüderchen, Justina's Sohn, füttert jetzt weiße Hasen in Mica's Zwinger. Zum Unglück für den Bischof hatte Innocentia an dem Morgen seiner schönen Rede ein Bauernmädchen dicht vor den Mauern der Stadt zerrissen und alle Kirchengänger wußten das, als Ithacius seinen Panegyricus hielt. Er hatte die Rede eben schon gelernt, der arme Mann, was wollte er machen? Ganz gegen Ende flickte er dann ein Gebet an, Gott möge nun auch dem Wüthen des freigelassenen Unthiers steuern, das auf Antreiben des bösen Satans die Milde des Kaisers mißbrauchend, Kinder zerreiße. Ich konnte es kaum erwarten, bis er seinen Segen sprach, dann holte ich meine Hunde, trieb die Bestie auf und erlegte sie noch desselben Abends mit dem Jagdspieß. Ich werfe jetzt auf dreißig Schritte.«

»Das war brav gehandelt, mein Augustus. Aber du sagtest vorhin, man rede Uebles von mir im Lager?«

»Ach ja, das Lager!« sagte der junge Mann und fuhr mit der Hand über die kurz geschnittenen schwarzen Haare und seine seinen Lippen kräuselten sich ironisch. »Ich muß natürlich im Prätorium wohnen, des Beispiels halber. Und die Soldatensuppe! Ich gönnte sie dem Ithacius. Ueber dich – nun ja, Syagrius sagte, du hättest einem Kundschafter durchgeholfen, der unsere Castelle ausforschte.«

»Das habe ich.«

»Hm, und was meinst du, daß mein Vater dazu sagen wird?«

»Er wird mich loben.«

»Nun, da bin ich begierig.«

»Und was hat deine Herrlichkeit sonst getrieben?«

»Ich habe auch gekundschaftet.«

»Mit Erfolg?«

»Mit einer Spürkraft, als ob ich des Syagrius Nase hätte«, und der Jüngling fuhr mit der Hand über die seine, als ob er sich vergewissern müsse, daß das Uebel nicht anstecke. »Erstens habe ich herausgebracht, daß Syagrius aller guten Mannszucht zuwider sich gallischen Wein im Lager hält, der ihm noch zudem schädlich ist und auf seine Galle wirkt. Ich sagte ihm, wenn ein Thurm einen unverhältnißmäßigen Erker habe, müsse man denselben nicht auch noch roth anstreichen. In der That ist seine Nase schon rothglühend, ich glaube, wenn er sie in's Wasser hält, zischt es, und weißt du, daß er dieses Ding auch noch für eine Römernase ausgibt?« Rothari lachte. »Also erstens Syagrius' Wein, denn seine Nase entdecktest du doch wohl schon früher?«

»Zum zweiten habt ihr hier eine Grotte des Mithras.«

»Hier am Nicer?«

»Hundert Schritte von diesem Hause.«

»Wirst du sie zerstören lassen?«

»Ich, ich werde die Mysterien mit begehen.«

»Du bist ja Christ.«

»Pah, die Familie des Augustus muß sich mit allen Religionen halten. Mein Vater ist so zu sagen Nicäner, doch hat er streng befohlen, jede Partei in ihrem Besitzstande zu schützen. Justina hält mit den Arianern, weßhalb die großen Kirchenlichter Martinus, Ambrosius und Ithacius ihr gar nicht gewogen sind. Ich habe vom Vater die Weisung, mich mit den Heiden zu stellen, um auch sie an unser Haus zu ketten. Der Augustus geht in die Basilica, die Augusta hält arianischen Hausgottesdienst und der Cäsar besucht die Grotte, so führen wir sie alle an der Nase herum. Valentinian nennt das dynastische Politik.«

»Du hast dich also in den zwei Stunden schon ganz heimisch gemacht«, erwiderte Rothari ablenkend.

»Ich habe mich sogar schon verliebt.«

»Beim Hercules, du hast deine Zeit nicht verloren. Welch fleißiger Jüngling! Wie sieht sie denn aus, deine neuste Liebe?«

»Ich sage dir, genau wie die zehnte Muse.«

»Haare?«

»Schwarze Schlangen, wie die Medusa.«

»Hat sie auch Augen?«

»Augen wie Velleda, Märchenaugen, schwarzes Licht, Styx mit Olymp im Hintergrunde. Solche Augen hatte Persephone, die Sibylle von Cumä, Dido von Karthago, Medea von Kolchis, Pythia und Semiramis.«

»Kassandra hast du vergessen«, sagte Rothari trocken. Dann aber ward ihm unbehaglich. Ein Argwohn stieg in ihm auf, Gratian möchte nicht seinetwegen nach diesem Hause gekommen sein. Liebte nicht auch er seit einer halben Stunde eine Sibylle und Medea? In diesem Augenblicke aber hörte man draußen das Blasen von Signalen. »Heiliger Jupiter und Maria«, rief Gratian, »das ist gewiß Syagrius. Schon den ganzen Mittag hetzt der Knirps unsere braven Truppen hinter deinem Kundschafter her, den du hast laufen lassen.«

»Syagrius?« sagte Rothari und erbleichte vor Zorn. »Der Comes läßt den Mann frei und der Notar verfolgt ihn?«

»Ja, Arator wird es übel nehmen. Das ist nun einmal die Laune meines Vaters, immer zwei Befehlshaber nebeneinander zu stellen, die sich dann regelmäßig in die Haare gerathen.«

»Darum gehen auch unsere Angelegenheiten so herrlich vorwärts«, lief Rothari zornig.

»Er meint, so verhindere er Zettelungen und Verschwörungen. Aber ich muß fort in's Lager. Den Untergang der Sonne habe ich nun schon verpaßt.«

»Die Sonne ist hinunter, Augustus, das ist nicht zu läugnen«, sagte Rothari, indem er lächelnd zu dem Nachthimmel emporschaute, an dem bereits die Sterne glänzten.

»Also lebe wohl, Barbar, morgen komme ich wieder zu dir und zu Medea.« Mit dem Panzer klirrend ging der junge Fürst hinaus, während der Germane ihm höflich, aber mit einer bösen Falte auf der Stirne bis vor den Garten das Geleit gab. Das Dunkel der Nacht verbarg Rothari's finstere Miene und arglos schwang sich der gutherzige Knabe auf's Roß und trabte von dannen.


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