Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Drittes Kapitel.

Während der Römer und der Germane in solchen Gesprächen den Mons Piri emporstiegen, ruhten auf der innern Seite des Rings, der den Gipfel umgab, zwei Alamannen. Zwischen den blühenden Hecken hatten sie sich bequem auf den von der Sonne durchwärmten Steinen hingestreckt, als ob sie von einer mühsamen Wanderung rasteten. Kurze Lederhosen hingen ihnen um die Lenden, der Oberkörper war nackt; den Mantel von Wolfsfell, der sonst den Rücken deckte, hatten sie abgeworfen, um auf ihm zu schlafen. Jetzt gaben sie sich bequem dem Genuß der Sonnenwärme hin und starrten behaglich in den tiefblauen Himmel. Der Pack von Fellen, der neben ihnen lag, ließ vermuthen, daß sie Händler waren, die ihre barbarische Waare nach Gallien trugen. Der Jüngere erhob sich jetzt und reckte die jungen Glieder, um sie wieder geschmeidig zu machen. Schlank wie eine Tanne stand er da, mit seinen gelbblonden Haaren und hellen blauen Augen ein rechtes Bild des alamannischen Stamms. Der Aeltere rührte sich nicht, aber ein Blick väterlichen Wohlgefallens fiel auf den schmucken Knaben.

»Wie viele Jahre, Vater, ist es jetzt, daß der Römer über den Rhenus kam und mit uns Krieg führt?« begann der Jüngling die Unterhaltung.

»Das ist schon lang, Hortari«, sagte der bärtige Held, indem er sich behaglich dehnte. »Als der erste Augustus herrschte, nahmen sie Rhätien bis zum Danubius und gegen Mitternacht gingen sie über den Rhenus, da wo er dem großen Wasser zuströmt und drangen dann landaufwärts bis zum Taunus vor. Da sahen die Sueven von Rhätien, von Gallien und vom Mönus her sich dreifach umfaßt von dem treulosen Rom und es ward ihnen unheimisch im Lande ihrer Väter. Darum sammelte König Marobod sein Volk und zog nach Sonnenaufgang und stiftete in Boheim ein mächtiges Reich. Die Römer aber bauten den Pfahlgraben vom Danubius zum Rhenus und schlugen das verlassene Land zu ihrem Gebiete. Aus Rhätien und Gallien kamen nun Welsche aller Stämme und bauten die Felder. Bald war kein Fleck, den sie nicht bestellt hätten und sie saßen in ihren Städten, wo sie sich aufeinanderdrängten wie die Immen und wimmelten wie die Ameisen. Wir aber ließen sie gewähren wohl zweihundert Jahre. Da hatten sie einen Kaiser, den sie Caracalla nannten, der war tückisch wie Loki's Wolf, so daß er sogar seinen eigenen Bruder tödtete, wie ihr erster König auch gethan hat. Es sind jetzt gerade hundertundfünfzig Jahre, da überfiel er am Mönus jenseits ihres Grenzwalles einen Stamm der Sueven, der friedlich sein Land baute, metzelte Weiber und Kinder nieder und verbrannte ihre Hütten – und das Alles nur, damit er sich Germanicus nennen und einen Triumph feiern könne. Da ward der große Bund der Alamannen gestiftet, um Rache zu nehmen an dem treulosen Rom. Der fünfte unseres Stammes vor mir begann diesen Krieg und du, der Siebte, wirst ihn nicht enden. Herüber und hinüber schwankte das Kriegsglück, aber ihr Pfahlgraben ward durchbrochen, ihre Burgen verbrannt, bald standen wir drüben in Gallien und plünderten ihre Städte, bald zogen sie sengend und brennend durch unsere Wälder, aber wir warfen sie immer wieder nach Gallien zurück. Erst in den letzten Jahren geht es nicht mehr wie es sollte. Als du ein vierjähriges Knäbchen warst, verloren wir bei Argentoratum eine große Schlacht. Die Römer hatten einen tapfern und verschlagenen Führer, Julian hieß er, aber sein Kaiser traute ihm nicht und rief ihn ab. Auch der, der jetzt herrscht, ist ein tapferer Mann. Dort drüben am Rhenus liegt die Burg auf unserem Ufer, die er gebaut hat, dort siehst du die Stadt der Nemeter, wo er eine feste Brücke geschlagen und nun wollen sie sich auch hier einrammen, wie ich fürchte. Deßhalb bin ich hier heraufgekommen, um zu sehen, was sie treiben. Aber, Hortari, mein Knabe, nun hast du geruht von unserem harten Marsche, jetzt schlage dich allein durch die Wälder. Sie könnten uns erkennen, wenn wir zusammen blieben. Ist man nicht zu dreien, daß man sich durchschlägt, so geht besser jeder für sich. Halte dich hier oben bis zu dem alten Birnbaum, dann krieche durch die Büsche bis du den Hochwald erreichst, der dich deckt. Von dort gehst du immer gegen Osten bis du Hütten unseres Volkes triffst, sie können nicht fern sein; dort sagt man dir leicht, wie du zu gehen hast.«

Noch hatte der Aeltere nicht geendet, als jenseits des Walles Schritte hörbar wurden. »Rasch, rasch!« sprach er, »sie kommen, eile.« Der Knabe griff nach seinem Speere, noch einen grüßenden Blick warf er aus seinen hellen Augen auf den Vater, dann tauchte er in die Büsche, während dieser auf seine Wolfsschur zurücksank. Hinter ihm klomm es langsam in die Höhe, man hörte Steine unter den Füßen der Stehenden rollen. Es schienen ihrer zwei. »Was treibst du hier?« hörte der Germane jetzt eine herrische Stimme fragen.

»Felle, Felle«, antwortete er, indem er auf seinen Bündel deutete, als ob er die Sprache des Römers nicht verstehe.

»Trolle dich, sonst könnten die Soldaten dein eigenes Fell gerben«, erwiderte Arator von oben her und der Germane nahm seine Waare; aber er mußte die Warnung nicht verstanden haben, denn er strebte aufwärts zu den Plätzen der Arbeiter.

Dort hatte soeben ein Hornsignal das Zeichen zur Ruhe gegeben und einer der Soldaten nach dem andern warf sein Werkzeug zur Seite. Die Meisten suchten in der Bauhütte selbst Ruhe und Schatten. Manche streckten sich im hohen Waldgras auf's Ohr und ließen die durch Staub und Arbeit erhitzten Lungen von der köstlichen Waldluft durchströmen, die Uebrigen schliefen oder holten ihren Mundvorrath hervor und stärkten ihre matten Seelen. Nur zwei sehnige Gestalten, die einen großen Eckstein aus einem gewaltigen Felsblocke heraus arbeiteten, fuhren fort zu hantieren, als ob sie das Zeichen zur Ruhe überhört hätten und das Treiben der Uebrigen sie nichts angehe. Dennoch schienen sie aufeinander zu warten, wer zuerst das Werkzeug weglege und finstere, feindselige Blicke gingen zwischen ihnen hin und wieder. Den Blonden kennen wir bereits, Lupicinus, der gestern sich Vulfilaich beim Ordnen von Rothari's Habe hülfreich erwies. Er ward des Wettstreits in der Pflichterfüllung zuerst müde. Mit einem verächtlichen Blicke auf den dunkelfarbigen Genossen warf er das Eisen bei Seite und trat an ein Kohlenfeuer, an dem zwei Töpfe brodelten. Den einen schob er zur Seite, den andern nahm er an sich, um sich mit Andacht über den mit Speck gewürzten Kohl herzumachen. Sein Genosse, der Römer Salvius, arbeitete mit höhnischem Lächeln weiter. Endlich aber wandte auch er sich dem Mahle zu, wie er nun aber sah, daß ihm Luvicinus seine Speisen vom Feuer gerückt, brach er in zornige Scheltreden aus und da im gleichen Augenblicke der Frevler den eigenen Topf wieder auf den Rest der Kohlen stellen wollte, trat er nach ihm, der Topf zerschellte und der Inhalt ergoß sich auf das Feuerchen, das zischend verlöschte. Alsbald lagen sich auch die beiden unholden Gesellen in den Haaren und drangen mit Scheltreden und Püffen aufeinander ein. Die übrigen Arbeiter schienen dieses Schauspiel schon gewöhnt zu sein, denn sie ließen die beiden Kämpfer ruhig gewähren. Aus der Bauhütte kam ein Dutzend Anderer lachend hervor, und an die Holzwand gelehnt, schauten sie behaglich, wie beim Gladiatorenspiele, dem Zweikampfe zu. Während so alle Aufmerksamkeit der Soldaten auf dieses aufregende Schauspiel gerichtet war, ging der fremde Händler ungestört durch die Baustätte hin und wieder, indem seine scharfen und klugen Augen herüber und hinüber spähten. Zuletzt setzte er sich in den Schatten eines Strauchs, von wo er ungestört die ganze Anlage mustern konnte. Inzwischen aber hatte des Feldhern scharfes Ohr in der Ferne vernommen, wie das wohlgefällige Klingen des Meißels häßlichem Geschrei gewichen war. Festen Schrittes stieg der greise Held den zweiten, innern Steinwall hinan und eilte, Rothari hinter sich lassend, der Bauhüte zu. Dort schien eben der dunkle Salvius den wuchtigen Schlägen seines blonden Gegners zu erliegen. Der tückische Romane hatte zuerst nach Lupicinus' Gesicht gezielt und ihm dann rasch einen Stoß auf die Brust gegeben, daß Lupicinus taumelte. Aber alsbald richtete der Blonde sich wieder auf und ein Hagel von wohlgezielten Schlägen fiel nun auf das schwarze Haupt des Welschen, gegen die sich dieser vergeblich zu decken suchte. Da blitzte der rothe Mantel des Feldherrn durch die grünen Büsche. »Was geht hier vor?« fragte Arator's herrische Stimme und sein Adlerauge suchte flammend im Kreise umher den Aufseher. »Der Comes! so ruht doch, der Comes!« rief es von allen Seiten. »Bei den Schmerzen der Gottesgebärerin, so ruht doch!« »Beim Hercules, seid ihr wahnsinnig?« »Daß Mithras euch mit seinem Geschosse treffe, wollt ihr still sein«, so tönten die Zurufe wirr durcheinander. Der Aufseher trat verlegen vor. Er zuckte unmuthig die Schultern, dann sprach er kleinlaut: »Die beiden Christianer hassen sich, weil der Eine zum Bischof hält, der Andere zum Presbyter, aber Salvius ist es, der immer den Streit beginnt, man sollte ihn sammt seinem Presbyter über den Rhenus schicken, eher wird kein Friede hier.«

»Höre ihn nicht, Herr«, erwiderte zornig ein bleicher, langaufgeschossener junger Mensch. »Gaius ist ein Götzendiener. Schon als wir drüben am Berge Melibocus die Säule des Augustus bearbeiteten, von der der Ueberfall der Alamannen uns vertrieb, hat er dem Dämon des Berges Mysterien gestiftet, in die er Jeden aufnahm, der ihm zwölf Zwiebeln gab. Selbst die Jungfrauen und Frauen ladet er zu den saubern Festen seines Götzen Melibocus. Du kannst noch den Altar sehen, den er den Teufeln dort errichtet hat.«

»Schweige doch du, verruchter Priscillianist«, erwiderte der Angegriffene, »man weiß ja, was ihr in euern Convention treibt. Euch sollte man einmal dem Richter vorführen.«

»Es ist wahr«, riefen nun wieder des Gajus Anhänger, »man müßte etwas thun gegen die Jünger des Priscillianus.«

»Nein, Salvius ist es, der die Leute hintereinander hetzt«, rief dagegen eine Minderzahl um so lauter.

»Schweigt«, befahl der Comes unwillig. »Wer mit einer Silbe murrt, wer nur die Miene verzieht, soll mir ein halbes Jahr am Munimentum zu Alta Riva schanzen. Kann Gajus besser Mysterien leiten als Ordnung bei der Arbeit halten, so werde ich die Aufsicht einem Andern geben. Zur Strafe aber für euern Unfug arbeitet ihr alle heute bis zum Untergang der Sonne. Ihr wißt, daß ich euch den Streit über den Glauben verbot, hier unter den Schwertern der Alamannen.« Ernster noch wandte er sich dann an die beiden Streiter selbst: »Wie mögt ihr«, redete er Salvius und Luvicinus an, »die ihr beide als brave Soldaten den Ehrenkranz empfinget, euern Ruhm durch solche elende Händel schänden. Ueberlaßt das den Priestern und damit ihr euch wieder aneinander gewöhnt, wie vordem, da ihr der Stolz der ganzen Cohorte wäret, marschirt ihr hinüber nach dem Mons Valentiniani und übernehmet die Wache auf dem Wartthurm. Wenn ihr vierzig Tage miteinander hausen müßt, so werdet ihr euch auch wieder vertragen lernen. Evocatus, löse die Posten drüben ab, Salvius und Lupicinus haben die Wache jenseits des Nicer.« Der Angeredete winkte den beiden Faustkämpfern von vorhin, sie nahmen ihre Waffen und das Schwert vor dem Comes senkend schritten sie den Waldpfad abwärts, während der Comes zu seinem Begleiter zurückkehrte. Er fand Rothari bei einer kleinen Kapelle des Mercur, die die Soldaten wieder hergestellt hatten und auf der mit halbverwitterter Schrift zu lesen war Mercurio Cimbrio. »Wer waren die Burschen?« sagte der Germane, als Arator wieder kam, »sie schlugen sich gut.«

»Du wirst es nicht glauben, es waren dieselben, von denen ich dir vorhin erzählte, Salvius und Lupicinus, die bei Solicinium den Angriff so tapfer eröffneten, daß mir noch heute mein altes Soldatenherz lacht, wenn ich daran denke.«

»So sind sie nur Freunde in der Schlacht und sonst sich gram?«

»Mit nichten, mein Held! Von Kindesbeinen auf haben sie sich geliebt, die Häuser und Aecker ihrer Väter stoßen aneinander. Sie haben als Kinder, erzählte mir Lupicinus einmal, an demselben Sandhaufen gesessen, sie haben als Knaben gemeinsam im Walde den Vögeln nachgestellt und am schilfigen Ufer des Nicer nach den Fröschen geworfen. Sie haben gemeinsam den Dienst des Augustus gesucht und in der Schlacht Schulter an Schulter gefochten.«

»Nun – und was entzweite sie denn?« »Was die ganze Welt entzweit!« erwiderte der Comes mit einer verächtlichen Gebärde. »Der Eine verehrt den wesensgleichen Gott von Nicäa, der Andere den wesensähnlichen Halbgott von Philippopol, der Eine hält zum Presbyter, der Andere zum Bischof.«

»Daß doch alle Presbyter und Bischöfe in Hel's Reich säßen oder Fenrir's Wolf sie verschlänge, der sogar Sonne und Mond verdaut!« zürnte der Germane. »Wenn deine Götter gegen Christenpriester gut sind«, sagte Arator scherzend, »habe ich nichts dawider. Die meinen haben mir nicht von ihnen geholfen. Aber da hast du nun ein Bild meiner Aufgabe. Mit Leuten, von denen jeder den Andern haßt, soll ich Valentinian's gewaltige Plane verwirklichen und das Geheimniß hüten, während Arianer hüben und Arianer drüben enger zu einander stehn als Römer zum Römer, wenn der Eine ein Nicäner und der Andere ein Anhänger des Areios ist.« »Die Gläubigen des neuen Gottes«, sagte Rothari, »schlagen sich Beulen, inzwischen stellen die Verehrer der alten Götter ihre Heiligthümer wieder her«, und er deutete lächelnd auf das Heiligthum des cimbrischen Mercur.

Aber es war, als ob dieser Morgen sofort auf's Neue des Feldherrn Klage über die Uneinigkeit der Seinen bestätigen wolle, denn nunmehr begann bei der andern Bauhütte ein neuer Lärm. »Das ist Syagrius' Stimme«, sagte Arator unmuthig, »des giftigen Notars, der zwar vom Kriege gar nichts versteht, aber dennoch den Festungsbau leitet, weil Valentinian es für klug hält, eine Aufgabe niemals einem Einzigen zu vertrauen.«

»Dieser kleine Mann, der den Kopf im Nacken trägt wie ein Fischreiher, ist der berühmte Notar? Er ging uns vorhin sichtlich aus dem Wege.«

»Er liebt mich nicht und ist erbost, daß der Hof in dir nun noch einen dritten Herrn sendet. Nicht den Bau, mich sollte er beaufsichtigen. Zum Glück hat er sich alsbald sterblich in Jetta verliebt und 'den schönen Augen meiner Tochter verdanke ich es, daß nicht Verdruß mein tägliches Brot ist. Aber laß uns hinüber, das Schelten nimmt ja gar kein Ende.« Nur wie zufällig, um den zürnenden Syagrius nicht zu reizen, näherten sich Arator und Rothari dem Schauplatz des neuen Zankes und sahen aus der Ferne schon, wie der Notar zornig auf die Soldaten hineinredete, während der vorhin von Arator weggewiesene Germane, ohne sich um die Aufregung des kleinen Mannes zu kümmern, seine Felle zum Kaufe vor den Soldaten ausbreitete. »Wir sind verweichlicht«, sagte der Comes, »seit wir das diesseitige Germanien räumten. In demselben Lande, in dem dem Soldaten vordem ein Hirschfell genügte, das er dem Waidthier selbst von den Rippen zog, verlangt er jetzt gewärmte Hütten. Und nachdem ich ihnen die Zelle heizbar gemacht, reißen sie sich noch um die Pelze dieses Bärenhäuters.«

»Laß diesen Menschen verhaften, Comes!« rief in diesem Augenblicke der rothbärtige Notar, »er ist gekommen, um zu kundschaften.«

»Wie so das, er versteht ja kein Wort unserer Sprache?« erwiderte der Comes gutmüthig.

»Eben darum. Ich sah ihn gestern zu Alta Ripa, da verstand er diese Sprache vollkommen und scherzte wie ein römischer Quinte mit den Soldaten.«

»Bist du sicher, daß es derselbe war?«

»He«, rief Syagrius, »du eichelfressendes germanisches Schwein, das du am Tage deiner Geburt zum ersten und letzten Male gesäubert wurdest, als deine Mutter dich ableckte, warst du gestern in Alta Ripa?«

»Ja, Herr.«

»Und ist dir dein Latein in den Nicer gefallen, als du herüberschifftest?«

»Die Leute kaufen besser, wenn man etwas einfältig thut«, erwiderte der Germane treuherzig.

»Dir ist's nicht um Geld zu thun, sonst machtest du andere Preise«, zürnte der Rothe.

»Verzeihe, Herr«, erwiderte der Händler unterwürfig. »Ich sehe, dich täuscht man nicht. Ich bin wirklich nur darum heraufgestiegen, um den heiligen Birnbaum zu besuchen, an dem meine Väter geopfert haben. Dort wollte ich ein Gelübde thun.«

»Flausen«, sagte der Notar. »Hier triebst du dich herum und der heilige Baum steht dort drüben, so lang er noch steht. Sage deinen Bärenhäutern, wir würden ihn fällen, damit uns keiner mehr hierher schleicht.«

»Sage das nicht«, schaltete Arator jetzt ein, »denn der Augustus verbot, heilige Bäume zu schlagen, mein Freund scherzte nur.« Aber Syagrius brauste auf bei dem Widerspruch: »Sieht dieser Mensch aus, als ob er zum Gebete hierherauf gestiegen wäre? Wirst du ihn festnehmen oder nicht?«

Aber auch der Fremde richtete sich jetzt mächtig in die Höhe. Sein Auge funkelte zornig und mit nur halb verhaltener Wildheit sprach er: »Du hast ganz Recht, Römer, mich trieb etwas Anderes, was ich ungern enthülle. Hier«, rief er und er reckte den mächtigen Arm nach dem Steinwall aus, »hier fielen vor zwei Jahren meine greisen Eltern, da der Römer auch weiße Haare und schwache Frauen nicht schont. Hier«, und er deutete nach unten, »traf ein Pilum mein Weib, hier zerschmetterte ein Stein das Haupt meines einzigen Mädchens. Ich allein bin übrig geblieben«, und ein Auge voll Trotz begegnete bei diesen Worten dem Blicke des Notars. »Ich war gekommen, auf dem Walle, von dem ihr mein Glück gestürzt habt, zu weinen. Ich wäre dann weiter gegangen, hätte mich nicht Dieser weggewiesen.«

»Bringe ihn in Verwahrung«, wiederholte der Notar. »Ich glaube kein Wort von der ganzen rührenden Geschichte. Ich weiß, was er hier suchte.«

Der Comes bewegte unschlüssig sein graues Haupt, indem er unablässig den Barbaren betrachtete und sein Bild mit alten Erinnerungen zusammen zu halten schien. Es war, als ob er innerlich uneins sei. Da trat Rothari vor. »Ich kenne diesen Tapfern. Er kam schon früher nach Treveri und handelte mit Fellen. Dieser Wolfspelz, den ich trage, ist aus seiner Mache. Seitdem ist der arme Mann zurückgegangen; sein Unglück hat ihn verwirrt. Laßt ihn ruhig ziehen.«

»Willst du diese Bürgschaft vertreten vor Valentinian?« sprach der Notar scharf und lauernd.

»Vor ihm und Jedem«, erwiderte Rothari, indem er mit dem Schafte seiner Lanze zornig aufstieß, daß der Fels dröhnte. Da verfärbte sich der kleine Staatsmann und trat zurück. Der Comes hatte sich inzwischen wieder gesammelt: »Bitte, Rothari«, sprach er leise, »gib dem Manne das Geleit, mache ihn zutraulich und erkläre ihm, daß wir hier Bausteine hauen für Alta Ripa, nichts als Bausteine.« Rothari lächelte und schloß sich an den Fremden an. Der Comes nahm den Notar an seine Seite. So kamen sie auseinander. Der Germane packte seine noch übrigen Felle zusammen, nahm den Ballen auf den Rücken und schritt mit mächtigen Schritten vorwärts. Man sah, wie ihm daran lag, mit heiler Haut aus dieser übeln Lage zu entkommen. Als sie die Soldaten hinter sich hatten, blieb Rothari stehen und sagte leise: »Hat dich Wodan verwirrt, König Macrian, daß du dich selbst in das Nest des Adlers wagst?«

»Und welcher von Elberich's Zwergen hat dich berückt, Vadomar's Sohn, daß du die Kette des Adlers trägst? Die Pflicht der Blutrache ist auf dir für Bithikab´s Haupt und du bist der Geselle seiner Mörder.«

»Mich bindet kein Band mehr an meine Sippe. Du weißt, was mich von euch trieb; damals ging ich im Zorne, heute hält mich ein heiliger Eid, mich hält die Liebe zu Rom, das noch immer tausendmal mehr taugt als ihr, ich hab's erfahren. Aber wie weit muß es mit den Mannen meines Volks gekommen sein, wenn sie dulden, daß ihr König selbst auf Kundschaft ausgeht!« Und er stieß eine höhnische Lache aus.

»Die Augen des Königs sind heller als die Augen des Knechts«, erwiderte der Andere.

»Ja wohl, träge Knechte sind sie.«

»Nein, Rothari, ich sprach unwahr. Aus anderem Grunde kam ich selbst. Die Augen des Vaters sehen Wege, wo ein Fremder keine sieht. Ich entführte meinen Knaben.«

»Das hörte ich, aber wo ist der blonde Hortari?«

»Nachdem ich seine Kette gelöst, ließ ich den jungen Falken fliegen. Er findet schon selbst den Weg zu den Bergen. Einer stiehlt sich sicherer durch als zwei. Auch mußte ich das neue Bollwerk am Rhenus mir noch betrachten, wo mich diese rothe Eule gestern sah, die mich fast verderbt hatte. Auch das wollte ich wissen, was sie auf diesem Berge des Unheils treiben? Das gibt wohl ein Kastell?«

»Bausteine für Alta Ripa«, sagte Arator.

»Und das glaubst du? Die Steine so schön gereiht und die Meßschnur daneben. Glaube es, wer euch traut. Doch wir können's ja abwarten. Wie viel Leute liegen in dem Lager am Nicer?«

»Mehr als dir lieb sein wird, wenn du uns besuchst. Auch mich wirst du treffen und das Schwert, das einst Vadomar führte. Willst du dagegen als Freund mit Valentinian verhandeln, so sprich. Ich habe Vollmacht.«

Der König warf seinen Ballen zur Seite, schnürte ihn auf und zog eine kurze Streitaxt aus den Fellen, die er fest zur Hand nahm. Ein Ruck mit seinem Haupte und die in's Antlitz gestrichenen Haare flogen rückwärts. »Sage Valentinian«, rief er, »ich verhandle mit keinem Mörder und Meineidigen. Vithikab hat er gemeuchelt und die beschworenen Verträge hat er gebrochen. Ich werde warten, ob er auf dem Berge dort oben seinen Eiden zuwider ein Kastell baut? Dann werden wir über ihn kommen wie Donar's Blitz aus dunkler Wolke. Sie zeigten's uns ja, wie man solche Berge stürmt. Man stellt zehn gegen Einen, dann läßt sich alles erzwingen, auch der Zugang zu Hel's Thor. Dir aber, Vadomar's Sohn', sage ich nochmals, kehre heim zu deinem Volke. Warte nicht bis du die Tücke der Welschen erfahren. Laß dich nicht verblenden durch den glänzenden Schein. Deine Sippe hat dich roh übervortheilt, die Welschen werden dich fein betrügen, dein Mark dir aussaugen, das Blut dir vergiften, du wirst Gräuel kennen lernen, von denen ein Alamanne auch nicht einmal träumt.« Rothari schüttelte zur Antwort nur unmuthig das jugendliche Haupt. »Wie du willst«, sagte Macrian. »Du wirst es bereuen. Ich sah manchen durch ein böses Wort des Bruders verjagt, der es sich dann gefallen ließ, daß Fremde ihn mit Füßen traten. Auch du wirst das erfahren und wirst einst heimkehren wollen zu der Halle deiner Väter und dann will ich's dir danken, daß du mich heute nicht verriethst.« Rothari lächelte, aber er sprach voll Ehrfurcht: »Lebe Wohl, mein König.«

»Lebe wohl, mein Held.«

Langsamer, als er gekommen, kehrte Rothari aus dem Walde zurück, nach welchem er Macrian geleitet hatte, und nicht, daß es jetzt bergauf ging, verzögerte so oft seine Schritte. Macrian's Wort hatte sein Herz im Innersten getroffen. Ihm war, als müsse er dem Könige folgen und heimkehren zu den dunkeln Blockhäusern seines Volkes, von dem er einst im Zorne sich geschieden. Wie Schweres er auch dort erfahren, er hatte es verwunden und ohne Groll hätte er wieder einziehen mögen in dem Hofgut zwischen dem SpechtshardSpessart. und dem Wodanwalde. Aber indem er des Königs Mahnung bedachte, traten glänzende Bilder der römischen Welt vor sein inneres Auge: christliche Basiliken, hellenische Tempel, römische Theater und alle Herrlichkeit der alten Cultur, in deren Glanz sein empfängliches Gemüth sich berauscht. Er gedachte der Stunde, des Höhepunktes seines ganzen Daseins, als er zu Rom am Altare des höchsten und besten Jupiter geopfert, – und nun zurück zum Eichenhaine, zum stumpfen Brüten unter heiligen Bäumen, in schaurigen Nächten, zur Pferdebrühe, das konnte er nicht! Seit bald hundert Jahren hatten die Alamannen den diesseitigen Theil von Obergermanien an sich gerissen und was hatten sie gemacht aus dem einstmals blühenden Lande! Die Tempel und Altäre waren zerschlagen, die Städte zerfielen wie von selbst, da niemand da war, sie zu unterhalten. Die kunstfertigen Romanen waren weggezogen nach jenseits des Rhenus, ein Haufe wehrloser, armer Colonen hatte sich hinter die Mauern geflüchtet, wo sie sich vor den Mißhandlungen der umherstreifenden, plündernden Barbarenhorden aneinander drängten wie Schlachtschafe und während diese herabgekommenen Städter aus ihren trüben Cisternen Fieber und Seuchen schöpften, ergossen die alten Wasserleitungen, die niemand unterhielt, ihre kristallenen Strahlen in das Feld und versumpften fruchtbare Ebenen zu Rieden, Brüchen und Moosen. So sah es allenthalben aus im weiland blühenden Decumatenlande. In Villen und Gehöften hausten Eulen und Füchse der die Pferde der Bauern stampften die Mosaikböden einer bessern kunstfertigen Zeit. Dagegen, wie rasch war das Thal am Eintritt des Nicer in das des Rhenus emporgeblüht, seit Valentinian diesen Streifen bis zu den Bergen sich von Macrian hatte abtreten lassen. Er wußte, daß der kriegsgewaltige Fürst daran dachte, die ganze Ebene vom Mons Taunus bis nach Rhätien zurück zu gewinnen. Für einen solchen Plan zu kämpfen lockte ihn mehr als das angeborene Vorurtheil der Stammverwandtschaft und des Blutes. Dazu hatte eine neue Heimath sich ihm aufgethan in den Offenbarungen der römischen Religion. Apollo, Mithras, Christus waren ihm nur die Repräsentanten derselben hehren, lichten Himmelswelt gegenüber den schaurigen, zerflossenen Wolkengestalten der heimischen Gottheiten, die seine Jugend geschreckt hatten. Ihm gefiel es, wenn die weißgekleideten Söhne und Töchter des römischen Adels, den Lobgesang singend die Treppen zum Apollotempel hinaufwallten, ihn erbaute es, wenn in der Basilica der Bischof dem Aufzug der Gläubigen in der Stola voranschritt, während Kirchenfahnen flatterten und ein bunt gekleideter Klerus mit dem Weihwedel hantierte, räucherte und psalmodirte. Vor Allem aber hatten ihn die Schauer der Mithrasgrotte durchschüttelt, über deren erste Weihen, die er erhalten, ein siebenfach heiliger Schwur ihm den Mund schloß. Danach stand sein ganzes Verlangen, tiefer einzudringen in jene Geheimnisse, deren sinnvolle Symbole sich damals vor ihm aufgethan. Es war ihm gewesen, als ob eben der Schleier sollte aufgezogen werden, der die Tiefen der Natur, die Mysterien des Lebens, die Geheimnisse der Gottheit bedeckte. Da rief ein Befehl des Augustus ihn aus der Hauptstadt ab. Er verließ Rom, aber seine ganze Seele schmachtete danach, wieder in der Mithrasgrotte zu stehen und von dem mit der goldenen Mütze gekrönten heiligen Vater das lösende Wort zu vernehmen, das dem ehrwürdigen Greise in jener Schicksalsstunde schon auf den Lippen lag. Das Alles stieg jetzt wieder auf in Rothari's Seele. Volk und Religion stritten um seinen Besitz, aber er hatte ja lang sich entschieden. Seine Seele war römisch, nur der Körper mit den blonden Haaren und blauen Augen war Alamanne, so wähnte er.

Als Rothari, solche Gedanken im Herzen, aus dem Walde nach den Bauhütten zurückkehrte, kam ihm Arator von Weitem entgegen und fragte eifrig, was er mit dem Händler geredet?

»Was du mich hießest. Auch wies ich ihm die nächsten Wege«, gab Rothari einsilbig zur Antwort.

Gern hätte der Comes noch weiter geforscht. Er drängte eine Frage sichtlich zurück. Fast schien es, als habe auch er ein Geheimniß auf der Seele, das ihn bedrücke. Jeder in seine Gedanken vertieft, stiegen sie den Bergpfad wieder hinunter. In der Mittagssonne leuchtete die grüne Ebene wie Smaragd und an dem blauen Maienhimmel schwammen die weißen Wolken wie silberne Schiffe, deren leuchtende Segel sich immer höher aufblähten und mit jedem Windhauche sich anders stellten. Umträumt von dem holden Summen und Weben des Frühlings, schritten die beiden Krieger unter Blüthenbäumen dahin bis der Greis an dem ersten Hause des Dorfes seine Schritte hemmte. Die Thüre öffnete sich und auf dem Steinfließe las Rothari: »Sei gegrüßt, der du kommst mit aufrichtigem Herzen.« Da machte der Jüngling Halt und seine Augen suchten die des Comes, der seit dem Vorgang auf dem Berge einsilbig und wie bedrückt von schwerer Sorge neben ihm hergeschritten war. Auf seine Lanze gestützt schaute der Germane dem älteren Manne bescheiden, fast bittend in die Augen. Befremdet sah Arator seine Bewegung: »Du zauderst?«

»Ehe ich mein Haupt berge unter deinem gastlichen Dache«, sagte Rothari, »muß ich meine Seele entlasten. Der Spruch hier mahnt mich, dich nicht zu täuschen.«

Ruhig und vornehm sah der Römer dem jungen Manne in sein erröthendes Antlitz. »Der, den du auf mein Zeugniß entließest«, sagte Rothari, und seine Stimme klang befangen und seine Worte kamen stoßweise, »war Macrian.«

Arator lächelte: »Ich wußte es.«

»Du wußtest es?« sagte Rothari erstaunt, »und ließest ihn ziehen?«

»Keinen Andern hätte ich unter so verdächtigen Umständen entlassen, aber den König festhalten hieß den Krieg eröffnen. Die alamannischen Wölfe hätten seine Spur verfolgt, selbst wenn ich ihn nach Augusta Treverorum hätte schicken wollen. Welchen Dank glaubst du, daß mir Valentinian zollen würde, bescheerte ich ihm ungeheißen den Krieg mit den Alamannen? Was sollte ich auch mit dem König? Ob die Barbaren unter Macrian, Rando oder Chnodomar uns anfallen, gilt uns gleich; ihre Herzöge gleichen sich wie ein Wolf dem andern, wir aber wollen den Krieg verschieben bis dort oben das Kastell gebaut, das Bollwerk vor Alta Ripa vollendet und die Mauern von Lopodunum geflickt sind, dann mögen sie kommen. Jetzt aber käme uns der Krieg zu früh, zumal wir von den Quaden bedroht und der Burgundionen nicht sicher sind.« Rothari staunte. »Das, junger Freund, ist Staatskunst. Die Staatskunst von heute«, fügte Arator dann wehmüthig hinzu. »Wir sind nicht mehr das alte Rom und ich bin nicht Camillus.«

»Also zürnest du nicht, daß ich dich zu täuschen versuchte?«

»Syagrius gegenüber war es mir sogar lieb, daß du das Wagstück auf dich nahmst. So danke ich dir für die Täuschung und danke für dein Geständniß, das das Vertrauen zwischen uns befestigt. Und nun sei im Hause Arator's willkommen.«


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