Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Dreizehntes Kapitel.

Ueber die eilende Naha,Nahe. da Morgennebel sie deckte,
Kam ich und schauete stolz die neuen Mauern von Vincum.Bingen.
Alsdann den einsamen Weg durch Wald und Oede betretend,
Sucht' ich vergeblich umher nach Spuren von menschlichem Anbau.
Durch Dumnissus, das dürre, mit ringsum dürstender LandschaftHunsrück.
Ging ich hindurch, wo slavische Knechte den Boden beackern.
Auch NoviomagusNeumagen. endlich im vorderen Lande der Belgen
Sah ich, die herrliche Burg des vergötterten Constantinus,
Reiner ist hier den Gefilden die Luft und Phöbus verschickt nicht
Durch das Geäste des Waldes gebrochenes grünliches Zwielicht,
Sondern zu schauen den Lichtglanz gönnt er dem fröhlichen Auge,
Gleichwie das Bild und die Zier Burdigala's,Bordeaux meiner
geschmückten Heimath traf mir das Herz der hold einschmeichelnde Anblick.
Ragende Villen dahier, auf hangenden Ufern gegründet,
Dort von Reben umgrünete Höhen des Liber, dazwischen
Rinnend in murmelndem Laufe die leise gleitende Mosel.
Sei mir gegrüßt, o Strom, den Fluren loben und Pflanzer,
Dem die Belgen die Stadt, die des Thrones gewürdigte danken,Trier.
Strom, deß' Hügel umher bepflanzt mit duftendem Bacchus,
Strom mit dem prangenden Saume der grün umgürteten Ufer,
Schiffbar gleichwie das Meer. Wo abwärts eilen die Wogen
Trägst du behende den Kahn, weil Ruder die Wellen dir schlagen,
Stromauf an strafferem Tau schleppt ihn der Nacken der Schiffer,
Dann erstaunest du selbst ob der weißlich schäumenden Rückfluth,
Meinest gehemmet mit Mühe den eigenen Lauf zu verfolgen.Das Obige ist nur ein Auszug aus Antonius' schönem Idyll. Wir verweisen auf Böcking's treue Übersetzung.
Lieblicher Fluß, dich umgibt nicht moorerzeugetes Röhricht,
Noch auch deckest du träg mit ekelem Schlamme die Ufer;
Rein gelanget der Fuß bis hin zur vordersten Welle.
Hier glänzt körniger Sand an dem leichtbespülten Gestade
Und nicht bleibet zurück die Gestalt eindrückender Tritte.
Durch den Spiegel der Fluth zeigt deine krystallene Tiefe,
Wie sich kräuselt der Sand, durchfurcht von leiser Bewegung,
Wie die Gräser gebeugt auf grünlichem Boden erzittern
Und wie gelblicher Kalk und Kiesel blinken am Grunde,
Solcherlei Bild wohl kennen die Kaledonischen Briten,
Wenn das ebbende Meer entblößt das grünliche Seegras,
Rothe Korallen und muschelentkeimt hellschimmernde Perlen.«

Also las Jetta; auch die Aufzählung aller eßbaren Fische, die des Ausonius wichtigstes Anliegen war, vergaß sie nicht. Schalkhaft blickte sie den Dichter an, als sie den wohlschmeckenden Hexameter las:

»Auch dich preis ich, o Salm, mit dem röthlich schimmernden Fleische.«

»Das Wasser läuft mir im Munde zusammen«, spottete Gratian. Aber Jetta fuhr fort:

»Und die Forelle, den Rücken besprengt mit den purpurnen Sternlein.«

Nach den Fischen kam dann das Lob der Reben, die an den Hügeln des gepriesenen Flusses wuchsen, nebst der Vergleichung, die der Dichter zwischen dem Weine der Mosella und dem von BurdigalaBordeaux. anstellt.

»Dorten der Wandrer,
Schreitend am flachen Gestab' und im Kahne gleitend der Schiffer
Singen den säumigen Winzern ein Schmählied, das schallend zurückgibt
Hallender Fels und der flüsternde Wald und die wogende Strömung,
Doch nicht Menschen allein ergötzt die prangende Landschaft.
Sage erzählt, wenn mitten am Himmel glühet die Sonne,
Satyre dann, am gemeinsamen Strom, und die grünlichen Nixen,
Feieren Reigen, gesellt, weil einige Stündchen vergönnet
Jetzt nicht gestört von der Menschen Gedränge, die glühende Hitze;
Und im Gewoge der Wellen dann hüpfen und schäkern die Nymphen,
Uebergießen der Satyre Haupt, und den linkischen Schwimmern
Schlüpfen sie weg aus den Händen, und welche getäuscht
nach den glatten Körperchen haschen, umsahen nur lautere Wogen für Leiber.
Aber es sei mir, was keiner erblickt, noch schauend erkannt hat,
Nur theilweis zu verkünden erlaubt. Umhüllt in dem Strome
Bleib' uns bewahrt das geheim' Ehrwürdige, das ihm vertraut ist.
Doppelt zu schauen die Pracht ist vergönnt, wenn den schattigen Hügel
Spiegelt der bläuliche Fluß. Von Belaubung scheinen zu grünen
Gleitende Wellen und rebenbepflanzt die lautere Strömung.
Anhöhn schwimmen in rieselnder Wog', und es gleitet der Schiffer
Mitten hindurch, wo im Flusse das Bild des Hügels verschwimmet.
Lieblich erscheint auch dem Blick dies andere glänzende Schauspiel,
Wenn in der Mitte des Stroms umruderte Nachen im Wettstreit
Nun sich in mancherlei Wendungen drehn, an dem grünen Gestad nun
Sprossende Hälmchen bestreifen auf niedergemäheten Wiesen,
Während sich hinten im Kahn, auch vornen geschäftige Steurer
Tummeln, und Knaben zuhauf umschweifen den Spiegel des Flusses.
Auf dem Cumäischen Meere beschauest du solcherlei Treiben,
Wenn sie des Krieges Getös nachahmen in fröhlichem Schlachtspiel
Und wohl hundert Gesellen die blinkende Fläche durchkreuzen:
Jugend und Wellen und Kähne mit buntbemaleten Schnäbeln.
Wenn nun diese die Sonne begoß mit der Gluth Hyperion's,
Spiegelt der Knaben Gestalt sie wieder im hellen Krystalle,
Aber verkehrt zeigt dann sie das Bild gebogener Körper;
Wie sie rechts sich und links in raschen Bewegungen tummeln,
Und ausgleichen die Mühe, der Reih' nach wechselnd die Ruder.
Selbst am eigenen Bilde ergötzt sich die schiffende Jugend,
Staunend, wie sich im Fluß abspiegeln die täuschenden Formen.
Aber wo leicht das Gestade heranzugehen gestattet,
Sucht die verheerende Schaar ringsum in der Tiefe des Flusses.
Ach, wie schirmet euch, Fische, des Stroms Schos heute so wenig!
Der zieht weit aus der Mitte der Fluth das triefende Wurfgarn,
Schleift in geknoteten Netzen heraus die bethöreten Schaaren;
Dieser dagegen, wo ruhigen Laufs hingleitet die Woge,
Lenket das schwimmende Netz, das Korkholzstückchen bezeichnen;
Jener vom Felsen geneigt zu den unten strömenden Wellen,
Senkt die gebogene Spitz' der geschmeidigen Ruthe hinunter,
Werfend die Angel, verseh'n mit lebenbedrohendem Köder;
Wenn, unkundig der List, nun der wimmelnde Haufen der Fische
Sie mit dem Maule gefaßt, und hinten im klaffenden Schlunde,
Aber zu spät nun, die Wunde gefühlt des verborgenen Eisens,
Kunden sie selbst es durch Zappeln und kräuselndes Beben der Welle.
Eilig mit schwirrendem Zug hinschleudert die zappelnde Beute
Seitwärts der feurige Knab'. Es begleitet den Aufschwung der Angel
Lautes Geschwirr, gleichwie von der Gert', im Freien geschwungen
Sauset die Luft, und der Wind hinziehenden Schlages ertönet.
Schnellend empor von dem trocknen Gestein springt triefend die Beute,
Von des strahlenden Tags todbringenden Pfeilen geängstet.
Schon in matteren Schlägen erzucket der sterbende Körper,
Und hinstarret der Schwanz, zuletzt nur krampfig erbebend:
Klaffend stehet der Schlund; die Luft, die sie schnappend geathmet,
Stößt die ersterbende Kiem' jetzt aus in dem Hauche des Todes.

Noch las Jetta mit ihrer melodischen Stimme den Preis der Villen, die auf dem Damme des Ufers oder der Höhe der Rebberge sich erheben, die in den Fluß selbst ihre Fundamente vorschieben und deren Hallen im Wasser sich spiegeln, während die Bäder mit rauchendem Schlote zum Spiele der Wannen und der Badesäle laden. Endlich aber neigte sich der Lauf der Verse, wie der der Mosella selbst, dem Ausgang zu:

Rhenus, den bläulichen Schos, das krystallene Fluthengewand nun
Breite du aus, und gewähre den Raum zuströmenden Wellen,
Daß dich mehre verbrüderter Strom; nicht Lohn in den Wogen
Wird dir allein, denn wallend daher von den Mauern der Hofstadt
In vereintem Triumph erschauete Vater und Sohn sie,
Welche die Feinde verjagten vom Nicer und Lopodunum
Und der Quelle des Ister, die Roms Annalen nicht kennen.
Jüngst des beendeten Kriegs kam dieser Bericht mit dem Lorbeer.
Andr' und andere bringet er bald. Ihr, wallet gemeinsam,
Und mit gedoppeltem Strom drängt fort die purpurne Meerfluth.
Heg' auch geringer zu scheinen, nicht Sorg', o prächtiger Rhenus,
Nicht ist höhnisch der Gast; und ewig dauernder Name
Wird dir werden. Du sicher des Ruhms, umarme den Bruder;
Reich an Fluthen, an Nymphen auch reich, und geräumig euch beiden,
Wird dein Bett, auch getheilt, in Zwillingsufern noch breit sein,
Und die gemeinsame Fluth ausströmen in mancherlei Mündung.«

Damit ließ die schöne Leserin das Buch sinken und rollte es mit ihren schlanken, weichen Händen anmuthig zusammen. »Dank, Dank!« riefen die Männer. »Noch nie sind mir des Ausonius Verse so schön erschienen«, fügte Gratian mit einem heißen Blicke auf Jetta hinzu.

»So, wie unser Freund es hier geschildert«, sagte die Jungfrau, »sah es, ehe die Alamannen kamen, auch am Nicer aus. Schafft, ihr Herren, daß dieses Thal einen ähnlichen Sang verlohne, wenn man einst unsere Urne in das Columbarium beim Rosenhofe stellt. Dafür wollen wir leben und sterben!« und sie reichte den beiden neben ihr sitzenden Genossen die Hände, während sie Ausonius freundlich zuwinkte. »Aber weißt du, was mir an deinem Gedichte mißfällt?« wendete sie sich dann zu dem Dichter. »Das ist im Eingang die verächtliche Schilderung des Waldes mit dem Gegitter der dichtverschlungenen Zweige. Wer mein Gemahl sein will«, sagte sie mit einem feinen Lächeln, »muß den Wald lieben und den Krieg und die Jagd, denn ich gehöre zum Geschlechte der Amazonen.« Ausonius seufzte und fühlte seine zerschlagenen Glieder auf's neue. »Den Wald lieben!« rief er unmuthig. »Welcher Römer, der Varus' Schicksal kennt, vermöchte Germaniens Wälder zu lieben? Ueberfiel nicht sogar den tapfern Severus, als er nördlich vom Venetersee in das Grauen der Wälder eingedrungen war, solcher Schauder vor diesem Irrsal, daß er die Wegführer bestach, auszusagen, sie hätten sich verirrt, nur um auf gute Weise aus diesem Entsetzen der Wildniß umkehren zu können und wie ging das Herz ihm auf, als er den blauen See und die liebe Sonne und den Schnee der rätischen Alpen wieder vor sich sah. Ich bin nicht besser als des Constantius tapferster Feldherr. Sehe ich ringsum nur dieses unheimliche Dickicht, die dämmernden Schatten, höre die Fichten rauschen, den Strom in der Ferne tosen, während die Sonne kaum einen Strahl hereinschickt in das grüne Dämmerlicht, dann ist mir's wie dem Kinde im Dunkeln. Nicht nur meine Rüstung rostet in diesem Nebellande, auch mein Muth. Wo die Sonne nicht hell scheint, bin ich nur halb Ausonius.« Rothari lachte über dieses aufrichtige Geständnis des tapfern Römers, als dieser jedoch die Stirne kraus zog, sagte er begütigend: »Edle Jetta, mich dünkt, die schönsten Verse unseres Freundes hättest du uns noch vorenthalten?«

»Wie du gewollt hier, Paulus, hast du alle Vers' auf Bissula,
Die zu meines suev'schen Mädchens Lob ich scherzend dichtete?«

fragte Jetta schalkhaft.

»Bissula singen wir hier, doch vorher trinke!«

» Ante bibas!« rief Gratian und goß Rothari einen vollen Becher ein, während Ausonius' Züge sich bedenklich verfinsterten. Aber unerbittlich fuhr Jetta fort:

»Bissula, jenseits des frostigen Rhenus gezeugt und erzogen.
Bissula, die du erblüht, nah des Danubius Quell:Bei Donaueschingen.
Einst gefangen im Krieg ist Siegerin sie in der Liebe,
Hohe Wonne für den, welchem zur Beute sie ward.
Römerin so durch Bande der Freundschaft bleibt sie Germanin,
Blieb doch des Auges Blau, blieb doch das röthliche Haar.
Zwiefach erscheinst du uns jetzt, denn es schmücken mit doppelter Anmuth
Latiums Sprache den Geist, suebischer Reiz die Gestalt.«

»Süßes Kleinod!« recitirte nun Gratian boshaft:

... »Wonne und Lieb und Gesang und einzige Freude,
Die als Barbarin die Schaar römischer Mädchen besiegt.
Bissula, bäuerlich klinget dein Name, du Tochter Germaniens,
Wunderlich dünket dem Römer das Wort, mich kitzelt's im Ohre.«

»Das ist das Beste, was er gedichtet! Als Sänger Bissula's wird er leben, wenn seine Mosella längst vergessen ist«, sagte der Jüngling pathetisch.

»Auf das Wohl von Bissula's Gatten!« rief Jetta und die Becher wurden gefüllt und geleert bis zur Neige.

»Er hat mitgetrunken!« rief Gratian. »Er scheidet aus aus der Schaar der Freier!«

»Da thust du wohl, mein Freund«, rief Jetta, indem sie Ausonius die schöne Hand bot. »Was würde die Nachwelt sagen, wenn es hieße: so hat er die liebliche Bissula besungen, und dann lief er einem reichen Mädchen nach, das ihn zu gerechter Strafe zu Tode hetzte. Ausonius, denk' an deine Ruhe, denk' an die Nachwelt! Du bist ein angenehmer Jünger Epicur's, aber da dir deine Ruhe so lieb ist, darfst du dich nicht einem Wirbelwinde wie Jetta verbinden.«

Ausonius schwieg noch immer, aber er bedachte, wie viel er schon an dem einen Tage herumgehetzt worden war. Doch trat er den Rückzug langsam an, wie einem Staatsmanne ziemte. »Das ist ja eine völlige Verschwörung, ihr Herren«, sagte er pustend. »Aber, daß ich's gestehe, den ganzen Morgen schon war mir's elend zu Sinn, da ich den Jammer der guten Bissula bedachte. Gestern, so lang sie zankte und tobte, kannte ich kein Erbarmen. Ich kehrte in meine Wohnung, aus der mich ihr Geschrei vertrieben, mit dem festen Vorsatze zurück, bei der ersten Scene, die sie mir mache, sie sofort aus dem Hause zu schicken. Aber sie lag still auf ihrem Bettlein und wagte kein Wort. Dieser lautlose Jammer, ich gestehe es, rührte mich tief. Oft fürchtete ich, sie habe am Ende Gift genommen, da sie einen Krug neben sich hatte, aus dem sie jedesmal trank, sobald das Schluchzen wieder hervorbrechen wollte. Als ich dann diesen Morgen erwachte, schlief sie noch, aber sie sah so rührend aus in ihrem Schmerze, daß ich mich kaum enthielt sie zu umarmen und um Vergebung zu bitten für meine Härte.«

»So lieb ich dich, mein Freund, du bist ein guter Mensch, nicht blos ein großer Dichter. Für das erste neue Gedicht an Bissula werde ich dir aus meinem eigenen Garten einen Lorbeerkranz flechten und du weißt, wie ich damit geize. Aber jetzt lasse die arme Kleine nicht länger schmachten. Phorkyas!« sie klatschte in die Hände, »lasse den Wagen rasch richten. Ausonius wird fahren, ich folge auf dem Pferde. Ihr mögt zu Fuß gehn.«

So brach man auf. Jetta bestieg ihr Pferd. Ausonius begab sich mit den Dienern hinab nach dem Wagen. Rothari und Gratian schritten neben dem Zelter Jetta's den Waldpfad entlang und das Auge der Männer hing mit Bewunderung an der hohen Gestalt der schlanken Reiterin, die hier mit geschickter Hand einen Zweig zur Seite bog, dort mit gewandter Bewegung einem Aste ausbeugte.

»Syagrius und Ausonius wären wir los«, flüsterte Gratian dem Alamannen zu. »Nun steht die Wahl nur noch zwischen uns und damit du siehst, wie ernst ich es nehme mit unserem Bunde, so trete auch ich zurück. Jetta sei dein!«

Rothari wollte mit einem Scherze erwidern. Als er aber sah, daß eine Thräne an Gratian's Wimpern hing, fuhr er dem Knaben zärtlich über die kurzgeschorenen Haare und sagte: »Mein guter, treuer Gratian!« Stumm schritten sie ihren Waldweg weiter und Jetta war auf ihrem ungeduldigen kleinen Zelter ein Stück voraus, als das Thier plötzlich zu schnauben begann, seine Mähne sträubte und einige Schritte rückwärts that. Im selben Augenblicke sah Jetta mitten auf dem Saumpfade die Wölfin vor sich. Ihre Pfoten krallte die Bestie in ein todtes Reh, das ihr zu schwer war, um es wegzutragen, aber die grünlich leuchtenden Augen des Unthiers zeigten, daß es keineswegs gewillt sei, seine Beute aufzugeben. Jetta's Pferd warf den Kopf in die Höhe; mit weit aufgerissenen Nüstern stemmte es sich rückwärts, um den Ansprung der Bestie zu erwarten. Da hatte Rothari mit scharfem Auge an der Unruhe von Jetta's Thier erschaut, daß irgend ein Hinderniß im Wege sein müsse. Rasch sprang er auf den Abhang, um zu sehen, was vor sei. Mit Grauen und Entzücken erfüllte ihn der Anblick, der sich ihm bot. Während die Hand der Reiterin das scheuende Pferd durch Streicheln beruhigte, genügte ihr flammender Blick, die Wölfin zu entwaffnen. Die Bestie fletschte ihr weißes Gebiß, aber sie wagte keinen Schritt nach vornen. Auf's neue sah Rothari eine Probe der magischen Gewalt des zauberkundigen Weibes. Wie fascinirt stand das Unthier vor der wehrlosen Jungfrau und der Alamanne konnte den Augenblick berechnen, in welchem der feige Gegner knurrend seinen Raub im Stiche lassen werde, allein in Flucht geschlagen von diesem flammenden Auge. Er wollte Jetta dieses Sieges nicht berauben. So begnügte er sich, seinen Jagdspeer zu fassen, um das Thier zu fällen, sobald es sich gewendet. Allein Gratian hatte indessen, zitternd vor Aufregung, seinen Bogen herabgerissen. Er zielte und traf geschickt wie immer, aber dem Pfeile die volle Kraft zu leihen, hatte ihm die Ruhe gefehlt. Die Spitze hing im Schulterblatte der Wölfin fest, diese aber gereizt fuhr gegen das Pferd, das sich bäumte und mit dem Vorderhufe das Haupt der Wölfin traf. Beide Männer sprangen hinzu. Gratian fing Jetta auf, die geschickt von dem scheuenden Roß herabglitt. Rothari war mit einem Satze hinter der Wölfin her und verschwand ihr folgend in den Büschen.

»Höre, mein Cäsar«, sagte Jetta mit ihrer ruhigen, tiefen Stimme zu Gratian, »deine Pfeile treffen, aber sie ritzen nur. Das kann gefährlich werden für deine Freunde.«

»Du hast recht«, erwiderte Gratian beschämt. »Selbst dein Pferd hat dich geschickter vertheidigt als ich. Ich hätte wohl besser gethan, mich auf das Zuschauen zu beschränken wie der Germane.«

»Rothari's Ruhe macht mich stolz. Er wußte, daß ich der Hülfe nicht bedurfte.«

In diesem Augenblicke ertönte ganz in der Nähe Rothari's Jagdhorn. Er stand offenbar in den nächsten Büschen. Jetta ließ das Pferd den herbeieilenden Dienern und ging gewandten Schritts über die mosigen Steine, durch Farren und Hecken dem Tone nach, gefolgt von Gratian, der des Lautes wenig froh schien. An einer hohen Felswand, die ein geräumiger Grasplatz und mäßiges Buschwerk umgab, fanden sie den Alamannen, der ein zappelndes junges Wölflein am Schopfe hielt und ihm mit einem seiner Jagdriemen das Maul verkörbte. Nachdem er so den kleinen Feind unschädlich gemacht, legte er ihm mit einem zweiten Riemen ein Halsband an, während er zugleich durch freundliches Streicheln und Kosen das erschreckte Thier zu beruhigen suchte. Näher tretend, sah Jetta die Wölfin todt an der Erde liegen, mit einer blutenden breiten Wunde vorn an der Seite. Drei junge Wölfe lagen erschlagen daneben. »Einer ist mir entwischt«, sagte Rothari lachend. »Eine Jagd wie diese verdient es nicht besser.«

»Wo hast du das Lager entdeckt?« fragte Jetta. Rothari bog mit seinem Speere etliche Zweige vor der Felswand zur Seite, so daß der Eingang einer Höhle sichtbar ward. Neugierig kroch Gratian hinein, um eine Nachlese zu halten. Die Pforte war nieder und die herabhängenden Aeste und Wurzeln verdeckten sie völlig. Im Inneren aber wurde die Höhle geräumiger. Menschliche Kunst hatte ihr nachgeholfen. Schon manchem Flüchtling vor Alamannen oder Römern mochte sie zur Zuflucht gedient haben, ehe die Wölfin das verlassene Asyl sich zugeeignet hatte. Der scharfe Geruch des Wolfslagers trieb aber den jungen Cäsar rasch wieder zurück an die Luft. »Ich habe nichts gefunden als diese Spolie«, sagte er, indem er Jetta den Flügel eines Huhns zu Füßen legte.

»Von meiner Lieblingshenne«, rief Jetta klagend. »Arme, gemordete Galla, jetzt hättest du Ruhe vor deinen Feinden.« Sie pflückte eine Feder ab und warf dann den Fittich zur Seite. Rothari's Horn rief nun die Knechte herbei, die neugierig und froh die erlegte Beute umstanden. Jagdglück macht Herren und Diener zu Freunden. Die Sklaven prüften der Wölfin Gebiß und maßen ihre Länge, sie lobten Rothari's sichern Wurf und spielten mit dem kleinen Gefangenen. Endlich luden sie die Beute auf. Der Eine nahm das Unthier über die Schultern, der Andere trug die drei todten Wölflein gleich erlegten Hasen auf dem Rücken, ein Dritter schleppte das Reh herbei, das Jetta der Wölfin abgejagt hatte. Dann wollten sie lachend das Wölflein aufpacken, aber der Kleine schnappte ihnen mit scharfen Zähnen nach den Fingern. »Wann werden Römer und Gallier wohl lernen, wie man Thiere behandelt?« lachte Rothari und er kraulte dem Wolfe mit zwei Fingern den Nacken und das Ohr. Das Thierchen hielt behaglich still, schmiegte sich an Rothari's Beine und leckte ihm dankbar die Hände. Nachdem er einem der Knechte gezeigt hatte, wie er das Wölfchen tragen und durch Streicheln beruhigen müsse, zogen die Diener voraus und Jetta schickte sich an, ihr Pferd wieder zu besteigen. Rothari aber ergriff kühn die zarte Gestalt und setzte sie mit sicherer Hand in ihren Sattel. Die Jungfrau hatte es lächelnd geduldet und ihre Wange streifte beim Aufheben leicht die Wange des Germanen, der ihr nun die Zügel reichte und die Falten ihres Gewandes zierlich zurecht strich. Gratian ward bleich. »Also so weit seid ihr bereits«, dachte er und im bittern Unmuthe über die thörichte Rolle, die er selbst gespielt, blieb er zögernd hinter den beiden Andern zurück, die sich fröhlich über die Erziehung des jungen Wolfes unterhielten, den Rothari für die Herrin vollkommen zu zähmen versprach. Nach einer Weile hielt jedoch Jetta ihr Pferd an. Sie mochte ahnen, was in Gratian's Herzen vorgehe und um ihn zu versöhnen, bat sie Rothari, zu warten, damit nicht auch er wie Syagrius und Ausonius ihnen verloren gehe. Während sie so standen und zurückschallten, schwirrte es durch die Luft. Ein Zischen und ein Schlag erfolgte; in der Buche, an der Rothari stand, stak zitternd ein Pfeil. »Das galt mir«, sagte der Alamanne. »Das Geschoß flog mir hart am Auge vorüber.« Er schaute scharf nach der Richtung, von der der Schuß gekommen, aber es regte sich nichts. Jetta beugte sich von ihrem Pferde nach der Buche hinüber und zog den Pfeil aus dem Stamme. In diesem Augenblick kam Gratian um die Ecke und Jetta reichte ihm den Pfeil. »Soeben ward auf deinen Freund geschossen«, sagte sie schreckensbleich. Auch Gratian verfärbte sich und griff hastig nach der dargebotenen Waffe. Die Spitze war klein aber scharf und mit Kupfer umschlossen. Der Bart war eine Reiherfeder, das Holz fest, aus polirtem Kirschbaum.

»Es ist römische Arbeit«, sagte Rothari. »Kein Alamanne schießt mit solchem Spielzeug.«

»Wenn nur die Hunde da wären, daß wir nach dem Schurken fahnden könnten«, rief Gratian. »Aber es war kein Römer, der dies Eisen schliff. Aus Damascus oder Antiochien mag es stammen. Hüte dich, die Spitze ist vergiftet. Beim Hercules, wo sah ich solche Pfeile!«

»Es ist Syagrius' Geschoß«, sagte Jetta düster. Rothari zerbrach lächelnd den Pfeil und warf ihn in die Büsche. »So fahre hin, Syagrius' Rache!« Doch Gratian schüttelte das Haupt: »So feig handelt der Grieche nicht; auch musterte ich seinen Köcher. Er schießt mit ausgegossenen Rohren.«

»Halte Jetta's Pferd«, sagte Rothari plötzlich. »Dort bewegt sich der Busch, vielleicht daß ich den versteckten Schützen doch noch ertappe.«

Schweigend und kummervoll saß Jetta auf dem Zelter, der still und erschrocken stand, während Gratian ihm die Hand am Gebisse hielt und ihm den Hals streichelte. »Warum traust du Syagrius so Schlimmes zu?« fragte er endlich seine schöne Gefährtin.

»Ihm traue ich alles zu«, sagte Jetta mit plötzlich hervorbrechender Leidenschaft, »er wird Rom noch verrathen. Wenn man erst die Begeisterung lächerlich findet, so bleibt nichts mehr übrig. Man ist dann zu allem fähig, weil man an nichts mehr glaubt.«

Gratian ward nachdenklich. »Der Urheber der gefiederten Botschaft«, sagte er endlich, »ist der Notar nicht, aber vielleicht der Besteller. Darin könntest du Recht haben.« Auch Jetta versank in tiefes Sinnen. Aber sie schüttelte die schweren Gedanken ab. »Wer weiß«, tröstete sie sich. »Vielleicht hängt auch alles ganz anders zusammen.« Nach einer Weile kam Rothari wieder. Er hatte niemanden entdeckt als die alte Phorkyas, die hinter den Dienern zurückgeblieben war. Mehr als je hatte sie ihm den Eindruck einer Verrückten gemacht. Jetzt folgte sie hinter dem Pferde und den beiden Begleitern, verlor sich aber bald wieder in den Büschen. Jetta spähte unablässig nach allen Seiten, als fürchte sie einen zweiten Angriff, aber Rothari beruhigte sie. »Reden wir nicht davon, aber behalten wir die Augen offen.«

»Du hättest den Pfeil nicht wegwerfen sollen«, sagte Jetta.

»Um Sperlinge zu schießen war er gut genug«, erwiderte Rothari, »aber Pfeile, die tödten, sehen anders aus.«

Kurz vor dem Lager stießen sie wieder auf die Knechte, die die Pferde vom Bühl hierher geführt und während Gratian und Rothari aufstiegen, erblickten sie auch Syagrius, der vom Walde zurückkehrte. »Warum hast du uns so früh verlassen?« redete ihn Rothari an, um Jetta zu zeigen, daß er ihren Verdacht nicht theile. Der Grieche warf die Römernase stolz gen Himmel. »Andere«, sagte er hochmüthig, »eignen sich besser dazu, einem gestohlenen Huhne nachzulaufen als der Notar des Kaisers.«

»Da hast du recht«, erwiderte Rothari kalt. »Ist man aber wegen eines gestohlenen Huhnes nun einmal ausgezogen, so muß man ohne den Hühnerdieb nicht heimkehren, und wäre es nur, um zu zeigen, daß man auch im Walde sein Ziel nicht verfehlt.« Damit gab er seinem Rosse die Sporen und sprengte zu Jetta. Auch er war nunmehr geneigt, den Griechen für den versteckten Schützen zu halten.


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