Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Siebzehntes Kapitel.

Wenn Rothari seine junge Ehe mit einem Wortbruche an der Geliebten begann, so war er doch fest überzeugt, nur das ungeziemende Verhalten der römischen Vettern und Jetta's eigene thörichte Conspirationen trügen daran Schuld. Aber so sehr er in seinen Gedanken Jetta belastete, was in seinem Innern vorgegangen, war im Grunde doch nur ein natürlicher und unvermeidlicher Proceß, die Reaction seines germanischen Blutes gegen die römische Sitte. Das Leben des Stamms hatte sich empört gegen die Launen des Individuums, das die Gattung in sich vergewaltigen wollte. Rothari hatte sich zum Römer geträumt, aber bei der ersten ernsten Probe schlug der Germane wieder durch. Wie jeden Vogel der Instinct treibt, sein Nest so zu bauen, daß es seiner Art gemäß ist – die flüchtige Schwalbe klebt es an das Dach, die kleine Grasmücke polstert es im Rasen, der argwöhnische Rabe sticht es als Dornkranz in die höchsten Wipfel – so folgte auch Rothari dem unbezwinglichen Triebe der Natur, die ihn hausen hieß, wie Vater und Mutter vor ihm im hercynischen Walde gehaust hatten. Er brauchte eichene Böden, die nicht splitterten unter seinem Heldenschritte, breite Bänke an den Wänden, wo ruhende Helden sich dehnen konnten, dunkle Wände, die die müden Sinne nicht reizten mit unruhigem Bildwerk. So kündigte er schon am ersten Morgen seiner jungen Ehe dem Vater seiner Gattin an, er werde auf Jetta's Gütchen einen Bau aufrichten, um so den Wartthürmen jenseits des Nicer näher zu sein. Dieser wies besorgt darauf hin, wie vielen Gefahren er Jetta dort aussetze, aber Rothari erwiderte kurz, er werde das Haus befestigen und ohnehin kränke kein Alamanne Rothari's Gattin. Arator schwieg, aber um so lauter lärmten die Vettern und Freunde.

»Das gleicht seiner einsamen Wolfsnatur«, rief Gratian, als er von Rothari's Plane hörte, sich auf dem Bühle anzubauen. »Ich dachte doch stets, der Barbar werde früher oder später in ihm zum Durchbruch kommen. Nun soll die schöne Frau in einem einsamen Blockhause sitzen, bewacht von einem Wolfe.« Und er warf einen verstohlenen Blick nach seinen mageren Beinen.

»Gestatte es nicht«, suchte der bleiche Nasica Arator aufzuhetzen. »Der Bühl liegt zu weit vom Wartthurme, um von dort gehütet zu werden und zu fern von der Brücke, um einen raschen Rückzug zu erlauben. Der Barbar gibt sein eigenes Weib vollkommen preis.«

Aber Arator schwieg und zuckte die Schultern. Er sah in Rothari's Übersiedelung in eine Barbarenhütte den Anfang des Rückfalls, vor dem er Jetta gewarnt hatte. Eingreifen wollte er nicht, zumal Jetta viel zu stolz war, um über ihren Gatten zu klagen. Aber wenn in dem Landhause Arator's die Verwandten sich entrüsteten, an einem anderen Orte erregte Rothari's Entschluß großen Jubel. Die alamannischen Knechte auf dem Bühle strahlten vor Glück, als sie hörten, daß Rothari nach germanischer Weise zu hausen begehre. Ihr Eifer zu graben, zu untermauern, zu bauen verzehnfachte sich, weil es eine Strohhütte war, die sie bauten. Pfahl neben Pfahl wurde senkrecht eingerammt, die einzelnen Pfähle mit Flechtwerk verbunden und mit Moos gepolstert und schließlich die innere Wand mit glatten Bohlen verkleidet. Die Balken richteten und schichteten sich fast von selbst, und bald prangte der grüne Maienbaum auf dem Giebel. Die Pfriemen und Farren, das Dach zu decken, wurden fast unsichtbar bei Tag und bei Nacht herzugetragen. In unglaublich kurzer Frist stand der weite, stattliche Holzbau fertig, umgeben von schützendem Graben und mächtigen Pfählen, von außen heiter getüncht, von innen wohlgeölt und glänzend abgerieben. Ein helles »Heilo, Sigo« empfing die schone Frau, als sie zum ersten Male kam, ihr neues Haus zu besuchen. Zwischen Eichen und Buchen erhob sich ein mächtiger Holzbau mit weit oben angebrachten Fenstern, die breiter als hoch waren. Das Dach sprang stark hervor, um die längs der Wand aufsteigende Treppe zu decken sammt der hölzernen Laube, die an der Seite des Hauses herlief. Durch die vordere Thüre trat man sofort in den weiten Saal, in welchem ein langer Tisch für das Gesinde aufgestellt war, überhöht von dem Hochsitz des Herrscherpaars; denn als rechter Edeling dachte Rothari hier zu thronen. Im Hintergrunde sah man den Heerd und den Aufgang zu der Kammer der Hausfrau. An die Rückseite des Hauses gegen die grüne Bergwand lehnte sich die Halle, an deren Balkensäulen Rothari's barbarische Waffen und römische Beutestücke prangten, denn hier dachte er nur Männer seines Stammes, die wie er im Heere des Augustus dienten, beim Trinkhorne und der Methkufe zu versammeln. Das Alles schaute Jetta fremd und seltsam an, aber es mißfiel ihr nicht. Sie kam sich nur wie vertauscht vor. Hatte sie nicht Rothari geheirathet, um ihn zum Römer zu bilden? Nun war vielmehr sie, ehe sie es gedacht, zum Barbarenweibe geworden. Aber es war eigen, diese Kraft der Herrschaft imponirte ihr. Eine Frau liebt im Manne vor allem den Mann und den hatte Rothari sie kennen gelehrt. Selbst ihr Haupt trug sie etwas mehr geneigt als zuvor und ihr Auge hatte zuweilen einen schüchtern fragenden Ausdruck, der ihm früher völlig fremd gewesen war. So ließ sie auch heute sich von dem freudigen Bauherrn den Zweck jeder Einrichtung erklären und nahm selbst das Fremdartige und Unvollkommene hin, ohne zu widersprechen. Nachdem beide das Haus besichtigt und freundlich mit den Knechten geredet hatten, wollten sie wieder zum Nicer hinabsteigen, aber am Brunnen vor dem Hause erhob sich ein schlanker, bleich aussehender junger Alamanne, der bescheiden vor Jetta und Rothari hintrat.

»Sieh da, Lupicinus, so weite Gänge wagst du schon mit deiner kaum geheilten Wunde«, fragte Jetta freundlich. »Wie geht es?«

»Dank, edle Frau«, erwiderte der Alamanne, »ich bin gesund, aber zum Soldaten bin ich nicht mehr zu verwenden, weil ich den Helm nicht mehr tragen kann. Der Kopf schmerzt, sobald ich warm werde. Da wollte ich den Herrn fragen, ob er einen Diener gebrauchen könne, der ihm das Haus in Ordnung hält und auf die Sklaven achtet.«

Jetta sah bittend zu Rothari empor, doch dieser zögerte. »Ich sah dich nur einmal«, sagte er dann, »als du mit Salvius dich rauftest wegen eueres Glaubens. Was mich angeht, so lasse ich jedem seine Götter, aber im Hause halte ich auf Frieden.«

Lupicinus erröthete. »Ich will zu meinem Gotte beten, wie meine Mutter es mich gelehrt«, sagte er bescheiden, »aber, sei gewiß, Herr, daß ich keinen Zank mehr anrichte. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber durch das Loch, das Macrian mir schlug, ist der Eifergeist entwichen, der damals so gewaltig in meinem Kopfe rumpelte.« Rothari und Jetta lachten. Lupicinus aber schaute sie treuherzig an, indem er mit der Hand verlegen nach dem Ohre fuhr. »Glaube, Herr, es kommen einem gar seltsame Gedanken, wenn es an's Sterben geht. Ich werde es nie vergessen, wie mir war, als ich im Walde lag und die Morgenfrische mich weckte aus meinem Todtenschlafe. Deutlich glaubte ich wahrzunehmen, daß der grimmige König noch immer hinter den Büschen lauere, der mich mit dem Vogelrufe lockte und dann mich niederschlug. Ich sah wieder und wieder seine gräßlichen Augen und das geschwungene Beil. Aber so oft ich auch zusammenschrak, er kam nicht. Dann fing ich an zu frieren und ward starr. Nur der Kopf war ganz hell und die Augen sahen deutlich. Als die Sonne heraufkam, fing es an sich zu regen im Walde. Der Specht klopfte an den Stämmen, der Kibitz rief im Grase, scheue Rebhühner trippelten durch die nassen Hecken. Dann kam es geflogen, schwarz, mit langem Schnabel, und setzte sich mir gegenüber auf einen Ast. Es war eine Krähe. Mit grimmigen Blicken faßte sie mich in's Auge und schlug mit den Flügeln und krächzte, kräh, kräh, und ihr Schnabel ward länger vor Gier und wieder schrie sie. Da rauschte es nochmals und zwei andere Krähen kamen und die schrieen auch und starrten mich an mit ihren rothen Augen und reckten ihre Schnäbel. Und nun schrieen sie alle drei kräh, kräh. Und bald ward der Himmel schwarz von dem Geziefer und das lärmte und krächzte und alle warteten nur auf mein Abscheiden. Immer tiefer flogen sie herab von Zweig zu Zweig, jetzt saßen sie bereits am Boden und liefen ganz nahe heran und sahen mich bös von der Seite an mit ihren zornigen Augen, als zürnten sie, daß ich ihnen so lang vorenthalte, was ihr gutes Recht war. Mit einem Male krachte es in den Zweigen und ich dachte, nun kommen die Wölfe und befahl meine Seele den lieben Heiligen. Da flog die ganze höllische, schwarze Schaar plötzlich auf und verschwand mit häßlichen Klagerufen hinter dem Eichwald. Vor mir aber standen die Kameraden, die mich gesucht hatten und sie luden mich auf und trugen mich weiter. Im heidnischen Hause aber ward ich so freundlich gepflegt, als ob ich bei Vater und Mutter wäre. Damals hatte ich Zeit nachzudenken, was bei dem Streite zwischen Salvius und mir herausgekommen war. Eigentlich verstanden wir gar nicht, um was wir zankten. Es ärgerte ihn nur, daß ich anders wollte als er. Darüber waren wir auf den Wartthurm gekommen und in's Unglück. Als ich nun wieder heil war, gelobte ich meinem Gotte, ich wollte den Zorngeist von mir thun und nach dem Worte der Schrift handeln, das sagt, die rechten Jünger sind nicht, die sagen: wesensgleicher Herr oder wesensähnlicher Herr, oder Herr, Herr, sondern die die Liebe üben, die Samariter und Zöllner öfter haben als Leviten und Priester. Doch das gehört nicht hierher«, unterbrach er sich. »Ich habe das nur damals so gedacht, als ich krank war.«

»Er war immer ein braver Soldat«, sagte jetzt Jetta, »bitte, nimm ihn.«

Rothari lachte und nahm den jungen Invaliden in Gnaden an, da er eine so mächtige Fürsprache gefunden habe. Lupicinus solle sofort in dem neuen Hause bleiben als Beschließer. Zunächst werde er keinen Genossen hier haben als den Wolf, den möge er pflegen und ihn an sich gewöhnen. Sobald alles fertig sei, folge die Herrin nach. So geschah es. Schon Ende des Augustmonats hielt Jetta oben ihren fröhlichen Einzug und brachte ihre alte Amme mit sich. Darüber runzelte Rothari freilich seine Stirne, aber er wagte nicht, nach so vielen Opfern, die Jetta ihm gebracht hatte, sie auch noch von der alten Dienerin zu scheiden. Hinter der Herrin folgte ihre Mädchenhabe in Kisten und Körben. Das Herrengemach des jungen Ehepaares füllte sich mit Büchern und Rollen und wunderlich stand zwischen den eichenen germanischen Bänken römisches Geräthe umher. Aber Jetta war glücklich und ihr Held mit ihr. Den alten Genossen von Jetta's Jugend war es freilich fast unerklärlich, daß Arator's minervagleiche Tochter, die sich bis dahin nur mit Dichtern und Philosophen, mit politischen Projecten und magischen Studien beschäftigt hatte, den schlichten Soldaten so schwärmerisch lieben konnte, der ihre Gaben mehr unterdrückte als anregte und den hohen Flug ihrer Gedanken vielleicht nicht einmal verstand. Aber das Herz sucht in der Liebe nicht, was es selbst hat, sondern was ihm fehlt. Zumal geistig reizbare Naturen haben Stunden, in denen sie ihrer selbst und ihres eigenen Wesens vollkommen überdrüssig sind und darum werden sie von dem, was ihnen ähnlich ist, am wenigsten verführt. So ging es Jetta. Gerade ihr unruhig erregtes Gefühl, der durch tausend Grübeleien zermarterte Kopf, ruhte gern an dem Herzen des festen, seiner selbst gewissen Mannes, der einen klaren Lebenszweck gelassen verfolgte und in jedem Schritte seine Tüchtigkeit erwies. Manchen Morgen saßen die Gatten vor dem Hause in der warmen Septembersonne, er schnitzte an einem Pfeile, sie las in ihren kabbalistischen Büchern und der Wolf kratzte die Erde mit den Hinterfüßen. Gelbschnäbelige Amseln huschten hart am Boden hin durch die Büsche und die jungen Vögel flatterten zwitschernd von Zweig zu Zweig. Wie träumend suchte die weiche Hand der schönen Frau dann zwischen dem Lesen das blonde Haupt des Gatten. Die blauen freundlichen Augen des Germanen tauchten glückselig in die unergründliche Nacht der schwarzen Augen der Römerin und ein langer heißer Kuß beschloß diesen stillen Austausch der Seelen. Oft durchstreiften die Beiden auch den stillen Buchwald, wenn die Morgensonne glänzende Streiflichter zwischen die alten weißen Stämme warf, während im Moose die Farren wie Siegespalmen im Morgenwinde winkten und die Glockenblumen ihr blaues Köpfchen schaukelten. Wie freute sich Rothari dann an der Andacht, mit der die Tochter der Städte dem Treiben der Vögel lauschte oder den Athem anhielt, wenn in der Ferne ein Rudel Rehe über die Wiese zog. Jetta hatte die frischen grünen Berge des Wodanwaldes, von denen hundert geschwätzige Bäche zum Nicer hinabeilten, stets höher geschätzt als Italiens vertrocknete Herrlichkeit, jetzt aber lehrte sie Rothari die nordische Natur auch tiefer verstehn. Er zeigte ihr, wie Wodan als Gott des Himmels in blauem Mantel throne über dem All. Ihm sind Wolf und Rabe heilig, die Thiere des Schlachtfelds. Auch den Mythus erzählte er ihr, warum der Gott nur ein Auge habe, die Sonne, weil er das Andere Mimrir verpfändete, dem Riesen des Wasserbrunnens, um so auch die Kunde der Unterwelt zu erhalten; nur wenn sein himmlisches Auge über einem Wasser steht, kommt auch das den Untern verpfändete zum Vorschein. Ein andermal zeigte ihr Rothari an einer sonnigen Waldecke die Eberesche mit ihren rothen Beeren, die dem Gotte des Blitzes mit dem rothen Barte, Donar, geweiht ist, dem auch das Eichhorn und der Fuchs nach ihrer Farbe zu eigen sind und er erzählte ihr von Zin, dem Gotte des Krieges, der nur einen Arm hat, wie das Schwert nur eine Klinge. Jetta's bewegliche Phantasie träumte sich gern für eine Weile hinein in die tiefsinnigen Mythen des nordischen Himmels. Wenn der Sturm durch den Buchwald brauste, fühlte sie an ihrer Wange den Flügelschlag des Riesenadlers, der am Ende der Welt den Sturm erregt. Es machte ihr Eindruck, zu hören, daß die Welt ein großer Baum sei, an dessen Wurzeln Loki's schwarze und weiße Maus nagen, Nacht und Tag, bis einst die Esche zusammenstürzt. Sie glaubte, daß hinter den blauen Bergen im Osten Asaheim liege, nach dem der Regenbogen hinaufführt und wo Iduna dereinst ihren Helden mit dem Methhorn empfangen werde. Im Walde suchte sie Baldur's blaue Blume und achtete darauf, ob der Hase von der Rechten oder Linken ihren Weg kreuze. Auch daß die Felsen am Wege das Gebein des Urriesen seien und der Menschen Gedanken aus dem Nebel der Urzeit stammten, ließ sie sich gerne gefallen. In solchen Gesprächen saßen die Gatten oft bei dem plätschernden Brünnlein vor ihrem Hause bis die Sterne heraufzogen und die weiße Straße sichtbar ward, auf der die Götter ihre silbernen Kühe trieben. Das beliebteste Ziel von Rothari's und Jetta's Wanderungen war aber ein einsamer Waldteich, der eine halbe Stunde hinter dem Bühle lag. Die hohen Buchen und Erlen hingen ihre Aeste andächtig in das stille, grüne Wasser, die Sonnenflecken schwammen wie Märchenaugen auf dem beschatteten Weiher, es war die Poesie der Waldeinsamkeit, wie sie kein Dichter schöner träumte. Dort langte Jetta, von Rothari's festem Arme gehalten, nach der bleichen Wasserrose und flocht sie ihm und sich um's Haupt oder pflückte die kleine blaue Blume, die an den Ufern wucherte. »Oh du germanischer Wald!« rief sie glücklich einst aus. »Alles bin ich müde geworden nach kurzer Zeit, die blaue Woge von Bajä, die reine Linie der Albanerberge, nur dich nicht, grüner Hain mit deinen spielenden Lichtern und flüsternden Schatten!« Dann preßte Rothari sie heiß an sich und selig schaute die schöne Frau in der reinen Quelle das Spiegelbild ihres Glückes.

Nur einer war im Blockhause, dem dieses Idyll durchaus nicht gefiel und der sich zusehends vernachlässigt fühlte, während Herr und Herrin so gänzlich sich selbst lebten. Es war das der Wolf. Zum ersten Male gab es für ihn in dem Leben Rothari's Augenblicke, die er durchaus nicht verstand. Waren Gatte und Gattin in gutem Einvernehmen, so sprangen sie nicht, wie er für schicklich hielt, hin und wieder und rissen sich mit den Zähnen am Ohre, sondern sie saßen still in der dichten blühenden Bohnenlaube hinter dem Hause und schauten zum Himmel empor oder sahen sich in die Augen, drückten die Lippen aufeinander und machten mit denselben ein kleines Geräusch, das sie von Zeit zu Zeit wiederholten. Das alles schien ihm so eintönig und traurig, daß es ihn erbarmte. »Vermuthlich«, so dachte er, »sind sie beide krank«, und wenn jenes seltsame Gebahren mit den Lippen sich wiederholte, so fing er an zu heulen, denn die Sache war ihm durchaus nicht geheuer. Mit der Zeit fand doch auch er wieder seine Stelle. Wenn Rothari die einsamen Wartthürme auf den Vorbergen des Wodanwaldes besuchte oder jenseits der Grenze Verhandlungen mit den Alamannen führte, dann war das hohe zottige Thier sein einziger Begleiter und ein verläßlicher Kampfgenosse, der schon durch sein trüb blutiges Auge jeden Gegner schreckte. An der Grenze selbst blieb es aber merkwürdig stille, seit der Germane ihre Hut übernommen hatte. Früher, wenn ein Alamanne in der Nähe der Wartthürme sich zeigte, wurde er niedergeschossen, jetzt kamen die Häuptlinge oft zum Besuche zu Rothari. Wilde, bärtige Gesellen mit halb germanischer, halb römischer Bewaffnung, saßen sie um Jetta's Heerd und tranken von dem Methe und aßen von dem Hirsche, den Rothari's Knechte für sie zubereitet hatten. Jetta schauderte vor ihren barbarischen Namen: Chnodomar, Rumorid, Richomer, Bauto, Fraomar, Bitherid, Hortari, Fullofaudes und Balchobaudes, aber bald lernte sie doch so viel von ihrer Sprache, daß sie scherzende Worte mit ihnen wechseln konnte und obwohl sie klagte, daß ihr Hals schmerze und sie Kinnbackenkrampf von Rothari's Sprache davontrage, machte es ihr doch Freude, daß ein neues Gebiet für ihren lebendigen, lernbegierigen Geist sich hier aufthat. Als sie so einst mit einer ganzen Schaar von Häuptlingen vollkommen geläufig in ihrer Sprache geredet, scherzte ihr Gemahl, nun sei sie ihrem Ziele ganz nahe, neun Könige der Alamannen zu ihren Füßen zu sehen. Sie wußte nicht, warum dieses Wort sie wie bitterer Spott berührte. Ein Ehemann, der besitzt, scherzt freilich anders, als ein Liebender, der wirbt, aber es war nicht das allein. Sie hatte in der That von einer andern Unterwerfung der Alamannen geträumt und ward gewahr, daß sie in Gefahr sei, sich selbst zu verlieren. Auch kam ein Abschnitt ihres Lebens, der sie an die ersten Ideale desselben ernstlich erinnerte. Wie auf einen Tag ließ sie alles Spielen mit germanischen Vorstellungen fallen und ward gegen Rothari's Scherze dieser Art immer mehr empfindlich. Als er befremdet fragte, warum ihr plötzlich alles germanische Wesen entleidet sei, legte sie die Hand auf das Herz und sprach mit niedergeschlagenem Auge: »Ich wünsche, daß mein Sohn ein Römer werde.« Rothari aber küßte sie, indem er sagte: »Und weißt du so sicher, daß es ein Sohn ist?« Als sie aber zur Antwort auf ihre magischen Rollen deutete, runzelte er die Stirne. Ein hartes Wort lag ihm schon auf den Lippen, aber die zarte Frau bedurfte der Schonung, das war's, warum er den Tadel zurückhielt.

In den Tagen des süßen Liebesglücks hatte Jetta immer seltener sich mit ihren kabbalistischen Büchern zu schaffen gemacht, zumal sie Rothari innig bat, der schwarzen Künste sich zu enthalten. Ihr Gatte hatte aufgehört, an dieselben zu glauben. Um Jetta auf die Probe zu stellen, hatte er ihr bald nach der Hochzeit eine Aufgabe gegeben, die jede der Zauberfrauen seines Landes spielend gelöst hätte. Jetta hatte sie nicht bestanden. Seitdem hielt er sie nicht mehr für eine Meisterin ihrer Kunst und war damit auch vollkommen zufrieden. Um sie davon zu überführen, ließ er sie zuweilen wegen der Gunst des Wetters oder des Ausfalls der Jagd ihre Rollen befragen und triumphirte dann, wenn sie sich irrte. Ihr aber konnte kein Mißerfolg den Glauben an ihre Wissenschaft erschüttern. War sie doch überzeugt, daß so viele Geheimnisse hinter dem Schleier der Sichtbarkeit durcheinander spielten, daß sehr leicht eine unberechenbare Strömung ihre Rechnungen kreuzen konnte. Vor Allem aber handelte es sich ihr viel mehr um eine mystisch tiefsinnige Befriedigung ihres philosophischen Triebs als um praktische Versuche, die ihr vielmehr als Mißbrauch des heiligen Wissens erschienen. War doch in ihrem eigenen Leben des Wunderbaren zu viel, als daß sie an ihren höheren Kräften hätte zweifeln können. Hatte ihr nicht Phorthas, dem Verbote des Vaters zum Trotz, in Argentoratum die schwindelnde Zinne der Burg gezeigt, auf der sie im Mondlicht einst sicheren Fußes gewandelt war? Hatte sie nicht, als am Rhenus keine Seele eine Ahnung davon hatte, über Länder und Meere hinweg Julian liegen sehen, den Pfeilschuß im Rücken, den eine verrätherische Hand entsendet? Nur den Mörder selbst konnte sie nicht erkennen, denn der stand im Schatten. Kehrte sie darum doch von Zeit zu Zeit zu ihren Studien zurück, so warf ihr Rothari vor, daß sie über den Künsten des Ueberirdischen oft im Hause das Nächstliegende übersehe. Er spottete, daß sie den Mann im Monde besser kenne als die Sklaven, die er ihr zugebracht und daß Phortyas' Zaubertränke kräftiger seien als ihre Suppen. »Das Zaubern ist ganz schön«, sagte er spöttisch, »aber was fängt man zu Haus damit an?« »Weissage mir, ob dein Thier ein Wolf ist oder eine Wölfin?« höhnte er sie einst im Uebermuthe. Durch den Namen verführt, machte Jetta zu seinem großen Gelächter die Wölfin zu einem Wolfe. Von da ab wollte er von ihrer Weisheit durchaus nichts mehr hören. Aber es war damit auf einem Punkte eine Scheidung zwischen ihnen eingetreten, obwohl noch keines von beiden dachte, dieser Punkt könne sich zum Risse erweitern.

Als der Wald sich roth und gelb zu färben begann, griff Rothari öfter zum Jagdspieß und bereits war des Wolfs Erziehung so weit gediehen, daß er den Herrn auf die Jagd begleiten durfte. Auch war er kein Spielverderber. Schlau beschlich er die gesuchte Beute und hütete die erlegte. Was ihm zur Bewachung vertraut war, war gefeit, wehe jedem, der daran rührte. Nie verdarb er, wie die Hunde, durch unzeitiges Kläffen dem Herrn die Jagd, aber wenn er ein Wild aufgetrieben oder einen Feind gestellt hatte, kündete sein hohles Gebell in charakteristischer Weise die Art des Gegners. Bald kamen sie dann mit Hasen und Kaninchen zurück, die Rothari's sicherer Pfeil in dem Sande der Ebene, zwischen dem Kieferngestrüpp, erlegt hatte, bald mit einem fetten Dachse, den er auf den Bergen jenseits des Nicer ausgegraben; oder sie stiegen höher hinauf, um den Auerhahn und das Birkhuhn für Jetta's Heerd zu erschleichen. Als der Schnee seine weiße Decke über die Erde gestreut, drang Rothari tiefer in entlegene Jagdgründe, wo er den Spuren des breitschaufligen Elch folgte und den gemahnten Wisent oder Auerochsen, oder die Heerden breitköpfiger Büffel beschlich, die in den Waldsümpfen sich wälzten. Die erbeuteten Felle verarbeiteten dann Rothari's Knechte zu Pelzen und Häuten und die Halle des Helden auf dem Bühl füllte sich mit stolzen Geweihen an den Wänden und warmen Teppichen und weichen Polstern. Aber während der Germane der Leidenschaft seiner Nation nachging, fühlte Jetta sich allein in dem einsamen Blockhaus. Wohl hatte sie in ihren Büchern eine Zerstreuung, die Andern abging, aber ihre reiche innere Begabung verlangte danach, sich auszusprechen. Ihre Phantasie war stets geschäftig, in ihrem Herzen war eine große Fähigkeit zu lieben, ihr Geist war unerschöpflich in Plänen und Projecten – aber eben darum sehnte sie sich nach einem lebendigen Austausch, und kehrte der Germane müde von der Jagd zurück, so war ihr sein Schweigen lästig und ihm ihr Reden. Gerade die geistig begabten Menschen sind es, die eine theilnahmlose Gesellschaft langweilt, die ein Bedürfniß der Zerstreuung haben, denen ein einförmiges Leben nicht genügt. So kam es, daß Jetta zwar nach wie vor ihren Gatten liebte, aber dennoch weniger glücklich war. Ihn verdroß diese geistige Bewegung ohne Zweck als nutzloses Geräusch und sie krankte an ihrer Kraft, der zur Bethätigung der Gegenstand abging. Blaß und schwermüthig saß sie in dem dunkeln, einsamen Blockhause, das tief mit Schnee überdeckt war. Auch körperlich vermißte sie die reine Luft und die warmen Böden und Bäder des römischen Hauses, hier, wo ihr der Heerd mit seinem Qualme die Augen beizte und dennoch die Füße nicht warm hielt. Sie kränkelte und die Hoffnung, die sie unter dem Herzen trug, schuf ihr eben so viele schwarze Sorgen, wie sie Rothari mit stolzen Träumen füllte. Natürlich kam der alte Aberglaube wieder mächtig über sie, seit sie sich Mutter fühlte. Was sollte sie auch thun an den langen Winterabenden, als die Aspecten ihres Kindes berechnen und sorgen, daß alles zur rechten Stunde geschehe? Das Eine that sie am Neumond, das Andere am Vollmond und nichts geschah ohne Rücksicht auf Conjuncturen. Betraf sie Rothari über diesen Künsten, so waren Zerwürfnisse unausbleiblich. Anfangs redete er ihr freundlich zu, bis er ihr endlich dies Treiben barsch verwies und sie schließlich ernst bedrohte. Schon häufig waren über diesen einen bösen Punkt Zerwürfnisse zwischen ihnen entstanden, aber erst jetzt beharrten beide Theile starr auf ihrem Willen. Dem Schelten des Gatten setzte sie Schweigen entgegen, aber sie schritt dann Tage lang mit dem stolzen Schmerze einer Niobe durch das Haus, als ob ihr Apollo's Pfeile durch das Herz gegangen wären. Natürlich, daß auch des Gatten Unmuth durch dieses Gebühren sich steigerte und als er in einer Nacht wieder geweckt von einem unerklärlichen Geräusche emporfuhr und Jetta nicht an seiner Seite fand, beschloß er, ihre Cirkel ein für alle Mal zu zerstören. Leisen Schritts ging er die Treppen hinab nach dem braun getäfelten Saale, in welchen der Mond hell durch die breiten viereckigen Fenster schaute, Tische und Bänke mit seinem silbernen Lichte überglänzend. Zornig schritt er auf Jetta zu, aber sie schien ihn nicht zu hören. Mit geschlossenen Augen, die Hände gegen das Mondlicht ausgebreitet, ging sie wie träumend dahin, jetzt war sie mit einem Schritt auf dem erhöhten Sitze am Fenster, sie schwang sich empor und verschwand. Rothari graute. Wie von einer unsichtbaren Gewalt gebunden, stand der Germane eine Weile. Dann stürzte er hinaus, sie zu suchen. Nirgends eine Spur. Da wimmerte der Wolf in seiner Hütte und seinem Blicke folgend sah er Jetta auf dem Firste des Hauses einherschreiten, immer das Angesicht dem Monde zugewendet. Entsetzt eilte er in's Haus zurück, um sie vor Sturz zu bewahren. Aber als er die Kammer betrat, sah er sein Weib bereits leise und lautlos, wie das Mondlicht selbst, durch die Dachluke herniedersteigen, sie hing sich an das hohe Fenster, erreichte den Boden, kehrte zu ihrem Lager zurück und als Rothari sich über sie beugte, lag sie in festem Schlafe. Ruhig und tief gingen ihre Athemzüge, an Verstellung war nicht zu denken. Bekümmert und voll abergläubischen Schauders setzte der Germane sich auf sein Lager und starrte auf die Schlafende, unwissend, wie er diese Erscheinung, eine Krankheit höherer Civilisation, sich deuten solle. Hatte ein Dämon Gewalt bekommen über sein Weib zur Strafe ihres ständigen Umgangs mit der Geisterwelt? Stand sie unter einem höheren göttlichen Zwange und hatte er das Gefäß solcher Wunder, seit es sein eigen war, sträflich verkannt und mißachtet? Er wußte nicht, was er von dem allem halten sollte, was er soeben mit Augen gesehen. Sein Glaube an ihre Kunst stellte sich nun wieder her, aber er schauderte vor einem Weibe zurück, das den Walkyren gleich im Monde dahinschwebte und durch die Fenster fliegend, als hätte sie Freya's Federhemd entlehnt, über das Dach zu ihm zurückkehrte. Zu schelten wagte er sie jetzt nicht mehr. Fand er sie bei der Heimkehr an dem Granitblocke sitzend, den sie sich zum Altare gesalbt und bekränzt hatte, wie sie starr in die Flammen schaute, um aus den züngelnden Figuren die Zukunft zu erforschen, so hielten Grauen und Mitleid das tadelnde Wort zurück. Aber unmuthig ging er dann am Morgen an ihr vorüber und schien sie nicht zu sehen. Höchstens auf Phorkyas entlud sich sein Unwille. Jetta's eigene Stimmung aber wurde immer trüber und thatloser und Rothari mied gern die Räume, in denen ein ewiges Seufzen hauste. Dem kräftigen Manne war es widrig, daß sie aus ihrem Zustand ein solches Recht zu Klagen schöpfte, während die Weiber seines Volkes im gleichen Falle ihrer Arbeit wie sonst nachgingen, auf dem Felde gebaren und nach wenigen Tagen ihre Geschäfte wieder aufnahmen. Was wußte er, wie es der vornehmen Römerin zu Sinn war, wenn sie in den Winkeln umhersaß, zerschlagen an Leib und Seele. Ihr war, als ob der ganze Zauberhimmel der Ideale mit ihrer Heirath zerflossen sei und sie fühlte sich innerlich wie erstorben. Zuweilen legte sie die Hand unter ihr Herz und dachte, es wird ein Sohn sein, der wird ausrichten, was ich vergeblich erstrebte. Auf ihn will ich meine hohen Pläne vererben, die nicht für ein Weib waren. Dann malte sie sich ihren künftigen Tullius aus mit Römernase und streng geschlossenen Lippen und scharfem Adlerblick, der in die Ferne späht. Ein Staatsmann schon in der Wiege sah sie ihn deutlich vor sich. Rothari, des Aechzens und Seufzens müde, war jetzt meist im Lager und betrieb beim Herannahen des Frühlings den Umbau der Wartthürme und die Besserung ihrer eilig gebauten Mauern. Den trübsten Gedanken überlassen ging Jetta ihrer schweren Stunde entgegen und statt des Gatten saß Phorkyas bei ihr und murmelte seltsame Reden, erzählte von alten Dingen, bei denen sie sich einbildete, zugegen gewesen zu sein, spann Zukunftspläne und war unerschöpflich in Mittheilung von Geheimmitteln, durch die Jetta den gefürchteten Tag glücklich überstehen könne.

An den Iden des März tönte das schwache Schreien eines Knäbleins aus der Kammer Jetta's in den Saal hernieder. Bleich und erschöpft lag die junge Frau und wartete der Tageshelle, um den jungen Römer zu sehen, den sie am Todestage Julius Cäsar's geboren. Als sie aus ihrem ersten Schlummer erwachte, war es hell und sie ließ das Kind sich reichen. Es war blond und schaute sie fremd an mit hellen blauen Augen. Erschrocken fast fiel die junge Mutter in die Kissen zurück. »Phorkyas«, rief sie, »ich habe einen Alamannen geboren.« Leise weinte sie vor sich hin, aus Aufregung mehr als wirklichem Kummer. »Oh«, sagte die Alte, »ruhig, ruhig, mein Täubchen. Die Härchen, die färben wir schwarz und Phorkyas weiß auch ein Mittel, dem Knäbchen dunkle Augen zu schaffen« . . Entsetzt fuhr Jetta auf. »Ich verbiete dir, an das Kind zu rühren«, rief sie, und als ob sie es vor der Alten sichern müsse, legte sie es zwischen sich und die Wand und indem sie es weinend an sich drückte, drohte sie: »Du bist des Todes, wenn du ihm ein Haar krümmst.« Phorkyas schwieg und Jetta sank wieder in heilsamen Schlaf. Plötzlich erwachte sie aber, da sie fühlte, daß zwei Hände nach ihrem Kinde griffen. Entsetzt fuhr sie auf, während ein alter Knecht das Knäblein über sie weg hob und ein Anderer einen Schild bereit hielt. »Was wollt ihr, was thut ihr?« rief die Kranke voll Schrecken. »Auf dem Schilde muß es dem Herrn dargebracht werden«, riefen die Knechte. »Laßt mein Kind!« rief die Mutter entrüstet. Da trat Rothari ein und nahm das Knäblein liebreich in seinen Arm und wie er lächelnd auf das kleine Wesen niederschaute, kehrte auch Jetta's Ruhe wieder und verlangend streckte sie die heiße feuchte Hand ihrem Herrn und Gebieter entgegen.

So führte das gemeinsame Glück noch einmal diese sich fremd gewordenen Herzen zusammen. Als die milde Sonne des Frühlings auf dem Jettenbühle lag, den Granitsand wärmend, der sauber um das Blockhaus gebreitet war, saß das glückliche Paar, ihr Knäblein im Korbe neben sich, auf dem Eichstamm, der dem Hause gegenüber zum Sitze gelegt war, während der Wolf sich vergnüglich des warmen Sandes freute. Silbern ergoß daneben das Brünnlein seinen hellen Wasserstrahl in einen gehöhlten Holztrog zur Tränke für die Pferde. Jetta lehnte ihr schönes Haupt an die Schulter des starken Mannes und seine blauen Augen sahen zärtlich auf sie nieder, während sein nerviger Arm die zarte Gestalt umfaßte. Der Sonnenschein lag hell auf der gelb geblümten Wiese, bunte Falter flogen von Blüthe zu Blüthe, Jetta's Blicke aber folgten träumerisch dem Laufe des Flusses und hingen an den blauen Bergen des Vosegus Mons, der heute so hell herüberschaute, daß Rothari's scharfes Auge die einzelnen Flecken und Villen des Abhangs deutlich erkannte.

»Wenn ich nun gehe«, sagte Rothari, Jetta an sich ziehend, »willst du wieder hinüberziehen in die Nähe des Vaters, oder hast du dich an die braune Barbarenhütte gewöhnt, so daß du auch allein hier bleibst, bewacht von unserem treuen Thiere?« Der Wolf richtete verständnißvoll sein Angesicht dem Herrn zu und stieß ein fröhliches, Helles Bellen aus. »Ich bleibe, mein Freund«, sagte sie innig, »aber mich ängstet dieser Krieg, konnte er nicht vermieden werden?«

»Meine brisgovischen und lentischen Vettern wollen die Feste Robur nicht dulden, die Valentinian an der großen Krümme des Rhenus gebaut hat, so wie Macrian zürnt, daß wir hier oben uns eingraben. Zum Glück sind beide verfeindet, sonst würde ich dich nicht hier lassen können. Es wird ein heißer Kampf werden, aber im Herbste denke ich, kehre ich wieder.«

»Ach wenn du nur wiederkehrst, alle Zeichen weisen nach unten.«

»Mein theueres Weib«, sagte Rothari herzlich, »laß das, und wenn ich wiederkehre, so sorge, daß ich diese fluchvollen Rollen nicht mehr finde. Begrüße mich mit der Nachricht, du habest sie verbrannt.« Jetta schüttelte leise das Haupt.

»Du siehst doch, daß dieses Wissen dich nicht glücklicher macht.«

»Wir sind nicht hier, um glücklich zu sein«, sagte sie trübe, »sondern den Willen der Götter zu erforschen.«

»So gehe mit den Lichtgöttern um, nicht aber mit den Untern.« Und er machte eine Gebärde, als wolle er ein Unheil abwehren. Als sie schwieg, fuhr er unmuthig fort: »Dann schaffe die Alte weg: Phorkyas ist es, die dich fort und fort an diese traurigen Künste erinnert. Sie hat den bösen Blick, mir graut vor ihrem Auge. Wenn ich am wenigsten an sie denke, taucht sie plötzlich aus irgend einem Busche empor oder huscht um eine Ecke und stets ist mir dann die Stunde verdorben. Im Hause schleicht sie wie eine gebrechliche Greisin und doch sah ich sie schon Lasten heben, daß ich erstaunte, wie ihre Zaubermittel sie stärken. Zuweilen erscheint sie mir wie wahnwitzig. Jüngst hörte ich ein Aufschlagen von Pfeilen an der Eichwand und dachte, ein Knecht übe sich im Schießen, wie ich mich aber zum Fenster hinausbeuge, sehe ich die Alte mit einem kleinen, zierlichen Bogen hantieren. Ich rufe ihr zu, mir Pfeile und Bogen zu weisen, da erschrickt sie, als sei sie bei einem Morde erwischt. ›Ich wollte nur sehen, ob ich auch hätte ein Soldat werden können?‹ krächzte sie dann und dabei begann sie hölzern zu lachen. Mich ekelte und ich wandte mich ab. Nachher wunderte mich doch, woher sie Pfeile und Bogen hatte?«

Jetta horchte mit zunehmender Verwunderung auf diese Erzählung und schüttelte leise das schöne Haupt. Nach einer Weile sagte sie aber: »Bei manchen Beschwörungen werden die Entfernungen mit Bogenschüssen abgemessen; möglich, daß sie dazu sich übte.«

»So entferne die Hexe aus unserem Hause! Gewiß, sie bringt uns kein Glück. Auch von dem Wolfe mußte ich sie schon befreien, der sie niedergerissen hatte, weil sie sich mit meinen Waffen zu schaffen machte.«

»Sie sagte mir, sie hätte sie feyen wollen.«

»Ich will ehrliche Waffen und keinen Zauberspuk«, sagte Rothari zornig. »Ich hoffe, bis ich wiederkehre, hat der Tod mich von ihr erlöst, oder ich erlöse dich von ihr auch gegen deinen Willen.« Aber Jetta umschlang den Zürnenden mit weichen Armen: »Vor einem alten Mütterchen fürchtet sich mein Held?«

»Nicht für mich, aber für dich.«

»Ich bin ihr einziger Schutz auf Erden, was sollte sie mir anhaben?«

Rothari's Beredtsamkeit war vergeblich. Als er am andern Morgen kam, um seinem Weibe das letzte Lebewohl zu sagen, saß Jetta mit ihrem Kinde in der Laube bei der Thüre, während die Alte bei seinem Nahen rasch um die Ecke verschwand. Das Kind, das Jetta an der Brust hing, erschien ihm klein und schwach, wie sterbend. Andere Pflege war hier dringend geboten. Aber in dieser Abschiedsstunde wollte er Jetta nicht kränken. Er küßte beide, sprang auf sein Pferd und sprengte über die Wiese, während aus einem Fenster des Dachs die alte Phorkyas ihm böse Zeichen und Flüche nachschickte. Rothari aber schaute noch einmal mit einem Ausdruck tiefer Sorge auf die zarte Gestalt Jetta's und ihr Knäblein zurück. »Wird das ein Held werden, den eine so zarte Mutter genährt hat?« dachte er beklommen und unmuthig gab er dem Rosse die Sporen.


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