Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Achtes Kapitel.

Es war eine enge, vertrauliche Welt, diese römisch angelegten Städtchen mit den nach der Straße fensterlosen Häusern und den schmalen Gassen, von denen die breitesten eben nur breit genug waren, daß zwei Karren noch sich ausweichen konnten, die kleinen so eng, daß die Arme eines Erwachsenen beide Mauern streiften. Die Fenster und Thürme der Häuser gingen, das eine Thor abgerechnet, nach innen und in den unbedeckten Höfen und gedeckten Hallen lebte es sich behaglich genug. In der Mitte der Stadt war das Forum, auf welchem zwischen der Curie und der Basilica meist irgend ein berühmter Mann in Erz oder Marmor stand oder ritt. Hier in Alta Ripa sollte seine Stelle eine hohe Siegessäule vertreten, die eben in den Syenitbrüchen des Melibocus gemeißelt ward, nachdem der Krieg eine Weile die Arbeit unterbrochen hatte. Die Basilica hatte der Kaiser dem orthodoxen Bekenntniß zugewiesen, während in dem benachbarten Lopodunum ein arianischer Bischof residirte. Das stattlichste Gebäude aber war das Bollwerk, das dem Kaiser zugleich als festes Schloß diente. Der gewaltige Quaderbau, mit wohlgegliederten Rundfenstern und einem glänzenden Bleidach, bildete ein Glied in dem Mauerringe, der den Bergen der Alamannen trotzig seine Zinnen entgegenkehrte. Palatium und Propugnaculum zugleich, bestand das mächtige Gebäude aus zwei vierstöckigen Thürmen, die nach der Außenseite in einem Halbkreis über die Stadtmauer vortraten. Den Raum zwischen beiden Thürmen füllte ein fester Mittelbau, der im Erdgeschosse die Thore, in den zwei folgenden Stockwerken die die Thürme verbindenden Gänge und geräumige Hallen und Zimmer enthielt. Durchbrach der Feind das Thor, so befand er sich in einem geschlossenen Hofe, wo er von den Galerieen mit Geschossen überschüttet ward und ehe er den hintern Ausgang zu erzwingen vermochte, hatten die Bewohner der Stadt Zeit, über den Rhenus zu entweichen. Den hintern Theil des Hofes schloß ein gewaltiger Kuppelbau ab, dessen vergoldetes Kupferdach weit hinausgleißte in die Ebene. Von hier aus betrat man die kaiserlichen Gärten, die sich zur Seite der Stadt bis an den Rhenus erstreckten, dessen eiligen Lauf das Auge erst recht zu messen vermochte, wenn es die grünen Wellen hinter den starren Birken- und Weidenstämmen pfeilschnell dahinschießen sah. Wie die unerschöpfte Fülle Tag für Tag hier vorüberrauschte, unermüdet, ungemindert, unwiderstehlich, von Jahrtausend zu Jahrtausend, mochte dem Menschen, dem Sohne der Stunde, wohl der Gedanke kommen, daß hier ein Gott sei. Eine der nie versiegenden, nie stockenden Adern des Weltalls lag vor ihm offen, die die Wolken zum Meere leitete, damit sie wieder Wolken würden. Vor den Schanzen des Munimentum zogen sich die Gräben und das alte sumpfige Bett des abgeleiteten Nicer hin, das in das Befestigungssystem hineingezogen worden war und diese Wasserburg nahezu uneinnehmbar machte. Derjenige, der die Pläne zu dieser Feste entworfen hatte, war kein Geringerer als Valentinian selbst, was seine Höflinge ihm hoch anrechneten. »Ich war zugegen, ehrwürdiger Augustus«, sagt Symmachus in seiner Lobrede auf den Kaiser, »als du die Waffen niedergelegt, die Risse für die Fundamente entwarfst, und deine glückliche Rechte mit Bauarbeiten beschäftigtest.« Der Erfolg hatte des Kaisers Bemühungen gekrönt. Alta Ripa war der Platz auf dem rechten Ufer des Rhenus, der am längsten in den Händen der Römer blieb.

In dem nördlichen Thurmgemache jenes massiven Baues saß eine schöne, blühende Frau, die das dreißigste Jahr noch nicht erreicht hatte und zu ihren Füßen spielte ein Knabe. Die vornehme Frauengestalt war die schöne Syrakusanerin Justina, Valentinian's zweite Gemahlin, ein Weib von südlichem Typus. Aeußerlich kalt und stolz, innerlich heiß und leidenschaftlich, abergläubisch und grausam, einsilbig und doch von beredter Augensprache, zurückhaltend und wollüstig, beschränkt und doch zugleich schlau berechnend, war sie eine ächte Tochter Siziliens. Vorherrschend unter diesen sich widersprechenden Eigenschaften war der Aberglaube, den sie auf der heimathlichen Insel frühe eingesogen und in dem sie glänzend erfüllte Weissagungen nur immer mehr bestärkt hatten. Ihre dunkeln, harten Augen schweiften heute unruhig durch die kleinen Bogenfenster hinüber nach der blauen Doppelkuppe des Mons Piri und wieder nach der andern Seite zurück nach dem Vosegus Mons und schauten dann wieder starr dem Rhenus nach, als ob sie von irgend einer dieser Weltgegenden eine wunderbare Hülfe erwarteten. Man sah, daß dieser schöne Weiberkopf voll Sorgen, Plänen und Projecten stecke und doch nicht wußte, wo anfassen, um zum Ziele zu kommen. Sie war ihrem Gemahle in das Land der Barbaren gefolgt, damit nicht auch sie durch ein schöneres Weib gestürzt werde, so wie sie selbst die erste Kaiserin durch ihre Schönheit vom Throne gestoßen hatte. Alle Künste der Ueberfeinerung hatte sie in das Lagerleben mitgebracht, denn sie wußte, daß gerade darin ein Reiz mehr lag für Valentinian's plumpe Soldatennatur. So hatte sie auch hier eine Fülle von Teppichen an den Wänden und auf dem Boden ausgebreitet; schwellende Divans umgaben sie und allerlei kostbare Schalen und kunstvolle Figuren standen auf den Tischen. Aber sorgenvoll neigte die schöne Frau ihr mit Goldstaub gepudertes braunes Haupt, dessen aufgebundene Haare den herrlichen schlanken Hals zur Geltung kommen ließen, und streichelte die braunen Locken ihres dunkeläugigen Knaben. Ihr Stiefsohn, Gratian, war nicht nur Cäsar, sondern durch Valentinian's Machtgebot auch Augustus und Mitregent geworden und ihr Söhnlein war leer ausgegangen. Zwar war Gratian harmlos und gutmüthig, in ihren Augen fast läppisch, aber wenn er einst Alleinherrscher wurde, konnte er es ihr verzeihen, daß sie seine Mutter verdrängt hatte? Würde er ihrem Söhnlein Antheil gönnen an der Herrschaft, oder waren sie beide dem Verderben geweiht, wie es in dieser verwildernden Zeit immer häufiger barbarische Sitte ward, sich der Verwandten mit gefährlichen Ansprüchen zu entledigen? Das Alles drückte auf dem argwöhnischen Geiste der harten Frau und wenn sie in den Armen Valentinian's dessen rohe Scherze erduldete, schoß es ihr durch den stolzen Sinn: »Ich bin ihm doch nur sein Kebsweib, sonst hätte er auch mein Söhnchen zum Cäsar gemacht.« Hatte sie diese Reihe von Möglichkeiten zu Ende gedacht, so zermarterte sie ihr Haupt wieder mit einer andern, die damals freilich durchaus nicht außerhalb des Bereichs des Wahrscheinlichen lag. Wer wollte dafür stehen, daß nicht heute oder morgen ein Soldatenaufstand dem Regimente der kaum begründeten Dynastie ein Ende machte? Was sollte dann aus ihr werden? Da war denn der abergläubischen Tochter Siziliens der Verlust von Valentinian's Goldhelm ein böses Omen. Das Reich hatte schon mehrere Söldnerkaiser erlebt, sollte dieses Ereigniß und ihre eigenen schweren Träume etwa einen germanischen Imperator bedeuten? Von solchen Aengsten gepeinigt, verfiel die müssige Fürstin immer tiefer der abergläubischen Sucht, die Zukunft erforschen zu wollen; sie füllte ihre Gemächer mit allerlei Zaubergeräthe und verrufene Weiber und bleiche Magier, die jedermann sich fern hielt, huschten im Zwielicht durch die geheimen Zugänge des Palastes. Wohl schalt Valentinian, wenn er sich des Abends die Beine an einem mystischen Dreifuß anstieß, der versteckt unter dem Ehebett gestanden oder des Morgens magische Rollen unter den Polstern ihres Lagers entdeckte. Aber in düstern Stunden nahm er selbst zu ihrer Kunst seine Zuflucht und brütete gemeinsam mit ihr über ihren kabbalistischen Rechnungen. In ähnlichen düstern Grübeleien war das schöne Weib auch heute versunken, als eine ihrer Frauen meldete, Bischof Anaklet von Lopodunum, der schlaue Arianer, wünsche ihr seine Aufwartung zu machen. Müde und verdrossen nickte Justina Gewährung, doch schien der Besuch sie nicht eben zu freuen.

Der Teppich, der den Eingang verhängte, ging auseinander und der hochgewachsene kahlköpfige Anaklet erschien durch die Thüre. Sein demüthig verschmitztes Lächeln zeigte an, daß er nicht zum ersten Male hier eintrat. Ueber dem weißen Priestergewand mit den weiten offenen Aermeln trug er einen violetten Ueberwurf und darüber die mit dem Kreuze gezeichnete goldene Schärpe. In der Hand hatte er ein elfenbeinernes Kreuz, das er, ein Knie beugend, der Kaiserin darreichte, die es inbrünstig küßte und dann zurückgab. »Wie sieht es aus, ehrwürdiger Anakletus, an den Grenzen der Barbaren«, sagte die Augusta, indem sie ihm winkte, sich zu erheben, »hat das wahre Evangelium des Areios seine Heerde gemehrt, oder sind die Nicäner auch hier stärker geworden, wie überall im Westreich?« »Noch stehen die wahren Knechte Gottes siegreich, die dem Vater die Ehre geben und ihn als Schöpfer preisen, auch als Schöpfer des Sohns, aber der böse Feind jagt überall nach den Lämmern meiner Heerde und die Herzen aller Frommen sind tief betrübt, daß durch den erhabenen Augustus die Basilica dieser Stadt, die sein Hoflager im obern Germanien geworden ist, dem Schleicher Theodulos zugewendet wurde, der dem Sohne gibt, was des Vaters ist.«

»Das läßt sich zur Zeit nicht ändern, ehrwürdiger Vater«, sagte Justina trüb. »So lang Ithacius Bischof des Palastes ist, werden auch an den Orten, wo der Augustus residirt, Leute seines Irrglaubens eingesetzt werden. Uns bleibt dafür das Landvolk und das Heer.«

»Aber gerade beim Heere, erhabene Frau, sucht man uns zu verdrängen. Du weißt, daß die germanischen Hülfsvölker alle unserem wahren Glauben huldigen, unlängst aber erfuhr ich, daß ein wüthender Heide, der die Priester unserer Kirche mit den Ruthen des Lictors aus dem Lager zu ArgentoratumStraßburg zu verhandeln. Das ist die Ursache, die mich zu dir führt, deine Verwendung zu erbitten. Alle Brüder, die längs des Rhenus wohnen, die heiligen Bischöfe von Tabernä, Aquä Aureliä, Noviomagüs, Borbetomagus und Mogontiacum,Zabern, Baden, Speier, Worms und Mainz. haben in einem gemeinsamen Schreiben mich gewarnt vor diesem Wolfe, der Hand angelegt hat an den Gesalbten des Herrn.«

»Sollte das Rothari, der Alamanne sein?«

»So lautet sein unheiliger Name.«

»So beschwert euch bei Valentinian.«

»Wir sind bang, der erhabene Augustus möchte es billigen, daß der Barbar die Priester aus dem Lager wies, auch fürchten wir Cäsar Gratian.«

»Was hat der Cäsar damit zu schaffen?« fragte jetzt Justina aufmerksam, indem sie ihre großen schwarzen Augen auf das verschleierte Gesicht des Priesters richtete, der verlegen die seinen niederschlug.

»Nun, er hat mit eben diesem wilden Heiden Blutbrüderschaft getrunken und ist darum gehalten, ihn gegen jede Gefahr zu decken.«

»Blutbrüderschaft?« fragte die schöne Frau. »Was ist das?« und ihr mütterlicher Arm zog den spielenden Knaben an sich, als ob sie eine Gefahr für ihn in der Ferne ahne. Dem Priester entging die Bewegung nicht, obwohl er sein Auge nicht aufschlug.

»Eine barbarische und höchst gottlose Sitte«, sagte er salbungsvoll, »den gräulichsten Mysterien vergleichbar. Die dieses unheilige Bündniß eingehen, verletzen sich ihren Arm, den Gott geschaffen und lassen gemeinsam ihr Blut in ein und denselben Becher Weines träufeln, dann trinkt ein jeder die Hälfte des Kelches, indem sie sich schwören, in jeder Gefahr sich beizustehn und« – setzte er mit einem schaudernden Seufzer hinzu – »jeden wegzuräumen, der dem Andern im Wege steht.«

Justina riß ihren Knaben an sich und bedeckte ihn mit Küssen. »Dich, dich will er tödten, der Blutbruder Gratian's.« Aber das Kind wendete sich ab und kehrte sich zu dem Priester: »Du sagst Böses von meinem Bruder Gratian. Ich liebe Gratian, er ist freundlich und spielt mit mir. Dich aber habe ich nicht lieb, du hast ein böses Gesicht. Gehe fort, ich glaube, daß du lügst.«

Justina legte rasch dem Knaben die Hand vor den Mund, aber sie erröthete, während der würdige Anaklet verlegen sagte: »Die arme Unschuld. Doch war ich ja weit entfernt, dem Cäsar Böses nachzureden. Nur wenn dieser Rothari fern gehalten werden könnte...«

Justina erhob sich. »In Angelegenheiten des Heers«, sagte sie, »kann ich mich nicht mischen. Doch will ich deine Wünsche im Gedächtniß behalten und damit du siehst, daß ich thue, was ich kann, nimm hier diese Gabe für das Gotteshaus zu Lopodunum.« Mit diesen Worten griff sie in ein Gefäß und reichte ihm etliche Goldmünzen. Er nahm das Geld mit demüthigem Danke, dann ließ er sich wiederum auf ein Knie nieder und bot der Augusta das Kreuz, das sie küßte. »Der Herr sei mit dir«, murmelte er noch und verschwand hinter dem Teppich.

»Du sollst dem alten Manne kein Geld geben«, sagte ihr Knabe, »er ist bös und Gratian ist gut.«

»Wer weiß, mein Kind«, seufzte Justina, »wer dir gut ist außer deiner Mutter?« und sie beugte sich über den Knaben, den sie mit heißen Thränen überströmte. »Einen Barbaren zum Blutbruder«, sagte sie, »oh ich will die Sibylle befragen, ob sie dich morden?« Alsbald nahm sie ein Wachstäfelchen aus einer Truhe und schrieb etliche Worte; dann rief sie die Kammerfrau und gab ihr das Geschriebene. Ihr Söhnchen aber kletterte an ihr empor und begann so holdes Geplauder, daß auch ihre Thränen versiegten und nur wenn sie ihn stürmisch an ihr Herz zog und ihn mit Küssen bedeckte, dann sah man in ihrer Freude die Angst, die die Frucht einer durch Schuld erworbenen Krone war. Mit einem befriedigten Lächeln stieg dagegen Anaklet die Hintertreppe der Kaiserin hinab, indem er unter seinem Priesterüberwurf fröhlich mit den erhaltenen Golddenaren klimperte. Aber seine Stimmung verdüsterte sich, als er um eine Säule biegend auf der breiten Vordertreppe den nicänischen Hofbischof Ithacius gewahrte. Breit und voll Majestät stieg der Gewaltige die Treppe empor. Seine langärmlige weiße Tunica saß straff auf dem feisten Körper, das breite Cingulum schob sich hin und her auf dem runden Leibe, ohne irgendwo eine Vertiefung zu finden, wo es hätte haften können. Auch das Kinn ging würdevoll fast ohne Senkung zur Brust über. Auf den jungen Vulfilaich gestützt, schritt er behaglich den Gemächern des Kaisers zu und sein volles Gesicht strahlte von Amtsgnade, wenn er den rechts und links ausweichenden Höflingen den Segen ertheilte. »Die Fetten im Lande verzehren mich«, murmelte der hagere Anaklet, »aber sie mästen sich zum Schlachttag«, und gehobenen Hauptes ging er mit einem giftigen Blicke an dem glücklicheren Amtsbruder vorüber. »Wieder einer dieser falschen Brüder, die in die Häuser schleichen und fangen die Weiblein, die mit ihren Sünden beladen sind, indem sie ihnen predigen, wonach ihnen die Ohren jucken«, sagte der fette Bischof zu dem jugendlichen Begleiter. »Doch wir werden ihm die Hintertreppen zu verlegen wissen. Hier, mein Sohn, bleibe bis ich dich rufe, dann trittst du ein. Du antwortest aber nur, was man dich fragt. Alles andere Reden ist gefährlich in der Höhle des Löwen.«

Damit ging Ithacius auf die Gemächer des Kaisers zu und gebot dem Velarius, ihn zu melden. Nach einer Weile rauschte der Teppich zurück und nachdem der Bischof etliche Säle durchschritten hatte, stand er Valentinian gegenüber. Er verneigte sich tief vor dem Augustus, aber der Riese schien heute unwirsch. Als ob er den dicken Prälaten übersähe, ging er auf und nieder und schaute durch die runden Fenster nach der blauen Bergkette hinüber und auf die Festungswälle unten. Dem beleibten Ithacius ward das Stehen sauer, aber er wartete bis der Kaiser sich seiner erinnerte. Der Schlaue wußte, was den kolossalen Recken gleich einem Bären in dem Gemache hin und wieder trieb und sein Anliegen paßte zu diesem Geheimniß. »Was bringst du?« fuhr plötzlich der Imperator den dicken Herrn an, als er sich dessen am wenigsten versah, so daß der Bischof doch zusammenschrak, denn der schielende Blick des Herrschers schien heute gefährlicher als jemals. »Verzeihe, erhabener Augustus, wenn ich deine Sorgen um das Staatswohl einen Augenblick ablenke auf eine Frage der Kirche. Du weißt, wie großen Vorschub nach dem Untergang des verruchten Julian meine Brüder deiner Herrschaft gethan haben. Daß Gallien und Hispanien dir huldigten, verdankst du uns.«

»Wie oft soll ich dies unverschämte Lied noch hören, Ithacius. Sage, was du willst oder gehe.«

»Ich will Genugthuung«, sagte der Bischof. »Siehe hier die Briefe meiner Brüder von Colonia Agrippina, Bonna, Rigomagus, Confluentes, Bingum, Bonconita, Mogontiacum, Borbetomagus, Alta Ripa, Noviomagus und Argentoratum,Köln, Bonn, Remagen, Coblenz, Bingen, Oppenheim, Mainz, Worms, Altrip, Speier, Straßburg. die sich über eine Schandthat beschweren, die selbst den Rhenus erröthen macht. Im Lager zu Argentoratum erfrechte sich ein Presbyter der Arianer einzudringen, um für seine gottverfluchte Irrlehre Umtriebe zu machen, indem er vorgab, die germanischen Hiilfstruppen seien von rechtswegen Glieder seiner Heerde. Der Bischof von Argentoratum, der am wahren Glauben hält, war natürlich, wie seine Pflicht gebot, alsbald zur Stelle, um zu zeugen gegen den Wolf im Schafskleide. Da, als beide im Zwiegespräch miteinander begriffen waren und die Herzen der Soldaten sich sichtbarlich der rechten Lehre zuneigten, erscheint dein Legat Rothari, dem du den Auftrag gegeben hattest, die Garnisonen zu bereisen. Erst gebietet er barsch den Priestern zu schweigen, dann weist er sie weg und als der Bischof erklärt, nur der Gewalt werde er weichen, läßt der gottlose Heide beide, den guten Hirten und den falschen Propheten mit Stockschlägen aus dem Lager treiben.«

»Ich habe die Religionsgespräche in den Kasernen verboten, Rothari that nur, was seines Amtes war.«

»Einen Bischof zu schlagen ist nicht seines Amts. Die Kirche Galliens wird solche Erneuerung der Glaubensverfolgung nicht ruhig tragen und deine Weisheit wird uns nicht gegen einen Aufrührer und Verschwörer, einen Spion der Alamannen und Spötter gegen deine eigene Majestät das Recht weigern.«

»Also nunmehr wären wir bei der Sache. Du hast noch eine Anklage gegen Rothari. Sie lautet?«

»Ich muß dich an ein Ereigniß erinnern, an das du nicht gern erinnert bist. Du weißt, wie in der großen Alamannenschlacht die göttliche Gnade dich errettete gleich einem Brande aus dem Feuer, während dein Kämmerer mit deinem Helme verschwand.«

Valentinian's Angesicht färbte sich purpurn und sein Auge schoß Blitze, die um so unheimlicher erschienen, als der Bischof nicht wußte, ob der Schielende ihn anschaue oder die Wand. Doch fuhr er fort: »Dieser, dein verlorner Helm prangt als Trophäe in der Halle von Rothari's Sippe und er hat Auftrag ertheilt, den Helm für ihn selbst zu erwerben,«

Der Kaiser fixierte den dicken Prälaten, indem sein eines Auge nach der Wand, das andere nach der Decke starrte.

»Wer sagt das?«

»Der Herr hat Gnade gegeben und das Herz von Rothari's Bruder dem Evangelium zugewendet, so daß er Mönch ward. Er selbst kann dir Alles bestätigen.«

»Also seit er Christ ist, ist er bereit seinen Bruder zu verrathen?« sagte der Kaiser höhnisch.

»Er weiß nicht, daß sein Bruder strafbar handelt. Ohne Ahnung davon erzählte er mir den Auftrag, den ihm Rothari gegeben.«

»Ach so! Du mißbrauchst einen Arglosen, stürzest durch sein Zeugniß den Bruder in die Grube und ihn in Verzweiflung und dann hast du ein paar Sprüchlein bereit, um solche Schurkerei zu rechtfertigen?«

Eine heiße Zornröthe überflammte das fette Angesicht des Bischofs, aber er bezwang sich und sagte voll Würde: »Ich schwieg, um einen Verräther zu entlarven, der sich deinen Helm nicht zum Spiele aufsetzt, sondern als Diadem.«

»Beweise, Beweise!« brüllte Valentinian jetzt zornig und die Adern an seinen Schläfen schwollen. Der Bischof ging zur Thüre und sagte dem Centurio der Wache ein Wort. Bald darauf erschien, geleitet von dem Krieger, der bleiche, struppige, junge Mönch, der dem Kaiser erhobenen Hauptes gegenübertrat. Vor den Mächtigen nicht zu zittern, sondern unverzagt und tapfer auch vor den Göttern der Erde zu zeugen, war die oberste Regel seines Standes. Der Kaiser warf einen seiner schrägen, zornigen Blicke nach ihm, dann sagte er: »Du warst der Laffe, der gestern den Zuruf der Menge mit seinem Gekrächze unterbrach?«

»Ich bin gesandt, die Gewaltigen zur Demuth zu mahnen, daß sie sich nicht Götter dünken und der Engel des Herrn sie nicht schlage, wie Herodes Agrippa, den die Schmeichler mit Heilruf ehrten und dann fraßen ihn die Würmer.«

»Und ich bin gesendet, um freche Buben zu züchtigen!« rief Valentinian zornig. »Centurio, führe diesen Menschen hinaus und lasse ihn peitschen bis ihm der Dünkel ausgetrieben ist, dann bringe ihn wieder.«

Der junge Mönch erbleichte. Sein Blick ging nach den Fenstern als denke er an Flucht, dann wendete er sich hülfesuchend nach Ithacius. Der aber machte ihm eifrig ein Zeichen zu gehen, um Schlimmeres zu verhüten. Gehorsam schloß Vulfilaich sich dem Centurio an und ging wie ein Lamm zur Schlachtbank.

»Bedenke, es ist Rothari's Bruder, den du mißhandelst«, flüsterte der Bischof. Valentinian machte eine Bewegung, als wolle er den Centurio zurückrufen.

»Ein heiliger Mann, ein Mönch« –

Der Zusatz verdarb Alles. »Eben darum«, sagte Valentinian. »Ich werde der Frechheit dieser Zunft endlich ein Ziel setzen. Also wie war es mit dem Helme? Was fürchtest du?« fügte er dann barsch hinzu. In dem dicken Prälaten kämpfte die stille Wuth, daß der Kaiser seine Klage über körperliche Züchtigung eines Bischofs mit Auspeitschung eines Mönches beantworte und die Furcht, es könnte am Ende ihm selbst etwas Unliebsames widerfahren. Die letztere Erwägung behielt doch die Oberhand und unterwürfig begann er: »Deine Erlauchtheit weiß, welcher Glaube sich knüpft an den Besitz des augustischen Goldhelms, und welchen Eindruck es auf das Heer machen wird, wenn eines Tages Rothari ihm in der leuchtenden Zier entgegentritt, die sein Augustus in der Schlacht verlor.«

»Wer sagt euch, daß er das will?« zürnte der Kaiser. »Wenn er das Beutestück zurückkauft, mit dem seine Brüder sich brüsten, ist er mein Freund. Ihr aber, hochwürdige Herren, die ihr meint, ich sei ein Bogen in eurer Hand, auf den ihr Pfeile legen und mit dem ihr zielen könntet, auf wen ihr wollt, ihr irret. Ist Rothari Heide, so hat er das mit dem kommenden Weltrichter auszumachen, ist er Hochverräther, so werde ich ihn strafen. Du aber, menge dich nicht in Dinge, die nur mich angehn.«

»Verzeihe, wenn mein Eifer, dir zu dienen, zu weit ging«, erwiderte Ithacius kalt. »Ich sah nur, daß es ein Germane war, der Arianer Merobaudes, der Macrian 's Sohn aus Mogontiacum entführte, ich sah, daß es der Heide Rothari war, der Macrian entschlüpfen ließ, und der die Insignien der Herrschaft an sich zu bringen trachtet. Da deine Sache die Sache der orthodoxen Kirche ist, kam ich hierher, wo ich den Schmerz hatte, dem Wolfe Anaklet auf der Treppe der Kaiserin zu begegnen, aber ich that meine Pflicht; wenn Valentinian endet wie Julian und Jovian – ich bin es nicht, von dem der Herr diese Seele fordern wird.«

»Gewiß, ihr versteht euch auf Schüsse in den Rücken und Kohlenbecken und Kalkdunst, wie euch Julian und Jovian bezeugen können. Ihr überlegt euch wohl schon, an welcher wunderbaren Fügung auch ich plötzlich vom Schauplatz abtreten soll, deine Drohungen zeigen es!... Stümper, die ihr seid. Wozu braucht ihr mich, wenn euch Rothari im Wege ist? Betet ihn todt, wenn ihr könnt. Könnt ihr das nicht, so verlohnt es sich überhaupt nicht, euch mehr zu fördern, als Arianer und Priestercollegien, die auch nichts können.«

»Ferne sei es von den Dienern des Friedens, die Hand auszustrecken gegen das Leben des Sünders, ehe alle Mittel versucht sind. Da, wo wir das Schwert am Platze achteten, gegen Priscillianus und seine verruchte Sekte, hast du es uns verweigert, wo du uns die Wege frei gibst, ruft eine höhere Stimme, stecke ein dein Schwert Petrus. Meine Mission ist erfüllt. Ich habe dir das Unkraut gezeigt, das in deinem Garten wuchert, siehe nun du zu, ob du Feigen ernten wirst von dem Dornbusch. Als der Herr Pharao verderben wollte, verstockte er ihn vorher. Ich fürchte sehr, daß diese Schrift auf dich weissagte.«

Der Kaiser schwieg. Die Bischöfe des Reichs waren es fast allein, die in diesem Tone zu ihm zu sprechen wagten und er hatte Ursache, diese Anmaßung zu tragen. Verdrießlich ging er auf und ab und der bunte Mosaikboden knirschte unter seinem stampfenden Schritte. Offenbar wollte er mit seinem letzten Worte warten, bis er den Mönch würde verhört haben. »Herein mit ihm«, fuhr er den Centurio an, der jetzt allein zurückkehrte. Der aber zuckte verlegen die Schultern. »Verzeihe, erhabener Augustus. Solcher Gewandtheit versah ich mich bei dem schwächlichen Knaben nicht – er entwischte. Wir führten ihn hinab nach dem Rhenus, damit sein Geschrei nicht die Ohren der Augusta beleidige, plötzlich sprang er vom Damme und versank in den grünen Fluthen. Wir eilten sofort am Ufer abwärts, um ihn zu greifen, wenn er wieder auftauche, aber der heilige Mann schwimmt wie eine Fischotter. Stromaufwärts tauchte er in der Mitte des Rhenus wieder empor und verschwand dann auf's neue. Nach einer Weile sahen wir ihn dann drüben im Schilfe sich bewegen. Ich habe sofort Schiffe hinübergeschickt und flog nur hierher, um dir das Geschehene zu melden.«

»Ich rathe dir«, sagte der Kaiser kalt, »deinen Gefangenen noch heute wieder zu greifen, sonst lege den Helmbusch ab und klopfe Steine auf dem Mons Piri.« Der Centurio erbleichte und verschwand so rasch er konnte mit stummem Gruße durch die Thüre. Valentinian aber wendete sich verdrossen an den Bischof. »Der Aerger haftet an dir wie dein Schatten, er kommt bald vor dir, bald hinter dir, bald mit dir, aber er bleibt nie aus, sobald ich dich sehe. Den Tag hast du mir wieder gründlich verdorben und schließlich wird es mit dieser Geschichte steh«, wie mit hundert andern, mit denen du mich quältest. Sie zerfließen in nichts, sobald man sie prüft. Gehe und versammle den Staatsrath. Dort magst du deine Klagen anbringen.« Damit kehrte der Riese dem Prälaten geringschätzig den Rücken. Der dicke Priester wiegte wie bedauernd sein mächtiges Haupt. Dann schritt er hinaus zum Kämmerer, um dem Gebote des Kaisers zu genügen. Während der Staatsrath bei vorgerückter Mittagsstunde in der gewohnten Eckstube des Palastes sich versammelte, ging Valentinian in tiefen Gedanken in seinen Gemächern auf und nieder. Sollte das verlorene Symbol der Herrschaft sich wirklich in den Händen dieses Germanen befinden, den schon die Natur um eines Hauptes Länge über alle andern Männer erhöht hatte? Sollte er damit umgehn, dieses Symbol hierher zu schaffen, um es zur Hand zu haben? Es war nicht denkbar. Der Bischof log oder Rothari's Bruder hatte ihn zum Besten. »Was hülfe es auch, Rothari zu beseitigen«, dachte er, »es hat noch keiner seinen Nachfolger hingerichtet. Ob mich der beerbt oder ein Anderer!« Aber daß der plumpe Heuchler Ithacius an seine wundeste Stelle zu rühren wagte, um sich Genugthuung zu verschaffen für die Schläge, die einer seiner Genossen erhalten, daß er seinen Kaiser hetzen wollte wie einen Molosserhund, das reizte den Gewaltigen. Zornig rief er für sich: »Mag dein Bischof seine Prügel behalten – ich werde darum mir die Germanen der Leibwache nicht entfremden.« Aber ein böser Zweifel an des Alamannen Treue haftete dennoch in seiner Brust. Die eigenmächtige Entlassung des gefürchteten Königs, die Flucht des vergeiselten Hortari, die geheimen Zusammenkünfte mit dem alamannischen Mönche – man brauchte kein argwöhnischer Tyrann zu sein, um bei solchen Zeichen zu stutzen. »Genaue Ueberwachung thut noth, wehe ihm, wenn ich den Helm wirklich bei ihm finde!« sagte Valentinian leise. »Thor, der ich war, daß ich ihm damals aus der Grube half. Nun muß ich eine neue Mica suchen, während ich schon halb seiner los war.« In einem Gemache zur Seite, dessen Thüre sich nach dem weiten Bogengange des Hofes öffnete, traten inzwischen die Vertrauten des Kaisers zusammen: Justina, ihr Söhnchen an der Hand, und Gratian, Merobaudes und Arator, Gratian's ehemaliger Mentor Ausonius und der Staatssecretär Syagrius, der Bischof Ithacius und der Dux Hermogenes. Während Gratian harmlos mit seinem Brüderchen spielte und für einen Augenblick wieder durch den Zauber seiner Liebenswürdigkeit den Argwohn Justina's verscheuchte, maßen die andern Rathgeber des Kaisers sich mit kalten feindlichen Blicken. Hatte doch Valentinian den Grundsatz, die höchsten Gewalten nie zwischen Freunden, sondern nur zwischen Gegnern zu vertheilen. Der Augustus trat ein und ließ sich auf einem Sessel neben Justina nieder. »Deine Klagen!« sagte er dann mürrisch zu Syagrius. Der Notar erzählte scharf und schneidend seine Erlebnisse auf dem Berge, seinen Verdacht gegen den angeblichen Pelzhändler, seine dringende Warnung, Arator's Leichtsinn und Rothari's Verrath. Von Zeit zu Zeit unterbrach ihn der Bischof mit halb unterdrückten Ausrufen der Entrüstung, denen der behäbige Ausonius mit dem gutmüthigen fetten Antlitz und den leicht gerührten kleinen Mausaugen, ebensooft mit beschwichtigenden Lauten des Zweifels parirte. Immer mehr redete der Notar sich in die Hitze, seine große Nase glühte, seine Beredtsamkeit ward immer herrischer und mit dem Antrag auf einen Hochverrathsproceß gegen den verrätherischen Alamannen setzte er sich nieder. Daß Syagrius so weit gehen werde, hatte von den Anwesenden keiner erwartet. Die Sache sah sich jetzt viel ernster an als zuvor und Todtenstille herrschte in dem halbdunkeln Saale. Der Erste, der für Rothari das Wort ergriff, war Arator. Er erklärte, Rothari habe ihm alsbald nach der Flucht des Königs mitgetheilt, wer der Flüchtling gewesen. »So, so« – schaltete Syagrius ein, der nunmehr eine völlige Verschwörung witterte. Aber Arator fuhr gelassen fort, er habe Rothari's Gründe gebilligt, denn Macrian wäre als Gefangener eine Verlegenheit gewesen und kein Gewinn. Salbungsvoll erhob sich nun der Bischof. Er zeigte, wie Gnade zu üben das Vorrecht Gottes sei und seines Stellvertreters auf Erden, des Kaisers. Er beklagte, daß Valentinian um diese Gelegenheit zur Gnade an Macrian betrogen worden sei von einem alamannischen Söldner. Aus des Kaisers Gnade aber würde die liebliche Frucht des Friedens hervorgesproßt sein und diese Saat habe Rothari zertreten. Nicht unbedacht, sondern um dem Barbarenkönige einen Dienst zu thun und sich den Rückzug zu den Feinden Roms zu sichern, habe er gehandelt. »Lasse sich doch niemand durch diese Treuherzigkeit der Barbaren täuschen«, rief er. »Mit ihrer gutmüthigen Freundlichkeit sind sie schlauer als mancher Grieche, dessen verschlagenes Spitzbubengesicht die Leute vor Schaden warnt. Man kann blonde Haare und blaue Augen haben und doch ein großer Schurke sein.« Als Diener des guten Hirten sei er ein Mann des Friedens, aber als Rathgeber des Kaisers stimme er für den Tod.

Nun aber brach der arianische Comes Merobaudes zornig gegen den Nicäner Ithacius los, der hier nur seinem Glaubenshasse fröhne. So wie Rothari's Vollmacht gelautet, habe er ein Recht gehabt zu handeln, wie er gethan, möge man die Handlung selbst klug oder thöricht nennen. Rothari werde von den germanischen Hülfstruppen vergöttert. Wenn man sich an ihm vergreife, stehe er für nichts. Mit Ausnahme der Bataver Reiter, polterte er heraus, würden alle Germanen abziehn. Der Dux Hermogenes bestritt das, ohne darum zur Härte treiben zu wollen. Dann redete der feiste Ausonius ein Langes und Breites. Er lobte den würdigen Bischof und den weisen Arator, er pries die Schneidigkeit des Syagrius und die soldatische Einsicht des Merobaudes, er citirte die Dichter und die alten Senatsbeschlüsse und fand schließlich, daß Rothari zwar sehr kühn gehandelt habe, daß es aber doch außerordentlich angenehm sei, daß man heute sich noch nicht im Alamannenkieg befinde. Denn wie sehr sei er gestern bei den Feuerzeichen erschrocken und wenn er sich erzählen lasse, in welchem Zustande die Truppen des Syagrius bei dem Lager am Nicer angekommen seien, wie sie sich fast gegenseitig in den Strom stießen, um nur rasch das Thor zu erreichen, dann müsse er, obwohl er kein Soldat sei, stark bezweifeln, daß es gut gewesen wäre, die Alamannen durch Wegfangen ihres Königs zu reizen. Gratian lachte bei diesen offenen Geständnissen seines Mentors, aber Merobaudes nahm sich der Truppen an und nun neigte Justina ihm zustimmend ihr schönes Haupt. Das nahm der Bischof zum Anlaß, nochmals gegen Rothari zu zeugen und Justina ermuthigte auch ihn durch vielsagende Blicke. Auch Syagrius wiederholte seine Anträge, der Kaiser aber saß stumm und nagte an seiner Unterlippe. Es war nachgerade dunkel geworden im Saale. Der Mond kam am Himmel zum Vorschein und warf mitten in den Saal ein weißes Streiflicht. Die Atmosphäre ward immer beklommener und es schien die Zähigkeit der Ankläger gegen die matte Vertheidigung die Oberhand zu behalten. Gern hätte Gratian für seinen Freund gezeugt, aber nach dem strengen Gebote seines Vaters sollte er ein für allemal im Staatsrathe nur zuhören und ein Wort seinerseits konnte darum alles verderben. So hielt er sein Brüderchen in den Armen, das längst ermüdet eingeschlafen war. Als der hartnäckige Ankläger seinen Antrag wiederholte, gab auch er die Hoffnung auf. Nur an die Gnade des Vaters gedachte er sich zu wenden, sobald die Sitzung zu Ende wäre. Der Kaiser richtete sich endlich auf. In seinem Antlitz stand nichts Gutes zu lesen. Die ihn kannten, erwarteten ein furchtbares Urtheil, während er doch nur unmuthig Justina mit dem Kinde wegschicken und Fackeln befehlen wollte, aber es kam nicht dazu. In diesem Momente nämlich rauschte der Teppich, wie von einem Windhauche bewegt, auseinander. In den Saal wehte es herein, da, wo der Mondschein einen hellen Streifen bildete, sahen die Versammelten plötzlich eine helle Gestalt stehen. Ein schlichtes weißes Gewand wallte ihr vom Halse bis zu den Füßen, unter dem Busen war es aufgenommen durch einen von den Falten überdeckten Gürtel, auch das Purpurband der freien Römerin um die Stirne sah man im Dämmerlichte strahlen. Mit festem Schritte, hoch aufgerichtet, trat die Erscheinung hart vor den Augustus. Sie erhob den vollen weißen Arm und sprach mit ernster, tiefer Stimme: »Ich habe ein Wort des Gottes an den Augustus.«

»Jetta!« wollte Arator rufen, aber bereits hatte die Gottgesandte begonnen:

»Heut' wäg' doppelt die That, denn zwiefach werden die Folgen,
Wenn in das Zeichen des Zwillings tritt bei regierende Stern.
Einen willst du ermorden, zwei werden's im Zeichen des Zwillings,
Oder den Einen beglückend machst du der Glücklichen zwei.
Denke des herrschenden Sternes, der zwiefach läßt alles gedeihen,
Sei es dir selber zum Heil, sei es den Andern zum Fluch.«

Die geheinmißvolle Stimme war verklungen, aber unbeweglich stand die dämmernde weiße Gestalt wie zerfließend im Mondlicht. Justina riß schaudernd ihren Knaben an sich. Wer konnte das zweite Opfer sein, das die Conjunctur verlangte, als ihr Söhnlein, auf das für sie sich alles und jedes bezog. Aber nun nahm Jetta gelassen den frei gewordenen Schemel und setzte sich voll Würde zu den Füßen der Augusta nieder, die schaudernd von ihr wegrückte.

»Heidnischer Lug und Trug!« polterte Ithacius mit mächtiger Stimme. »Gräuel über Gräuel! In den Staatsrath des Augustus drängen sich besessene Weiber mit der Botschaft ihres Dämons.«

Jetta strich gleichmüthig die Falten ihres Gewandes zurecht und schaute den Bischof an, als ob seine Worte nicht sie angingen. Aber bereits war Gratian aufgesprungen und helle Entrüstung glühte in seinem frischen Knabenantlitz. Die Nähe der Geliebten gab ihm Muth: »Lästre nicht, Priester!« rief er. »Die Seherin redet die Wahrheit und nichts als Wahrheit. Ich habe mit Rothari Blutbrüderschaft getrunken und sein Schicksal zieht das meine nach sich. Geht er in's Exil, ich muß ihm folgen. Stirbt er, sterbe ich, so lautet der Eid, ich werde ihn halten.« Hastig hatte der Jüngling die Worte hervorgestoßen und fiel nun wieder so gewaltsam in seinen Stuhl zurück, daß der kleine Valentinian erwachte und zu weinen begann.

Valentinian hatte dem Allem ruhig zugeschaut. Innerlich war er Jetta dankbar, sie bahnte ihm einen Rückzug. Selbst sein Aberglaube regte sich. Er kannte den Spruch der Chaldäer und war froh, an ihn gemahnt zu werden. Conjuncturen waren ihm etwas und diese hatte er übersehen. Langsam erhob er sich. »Ich habe dich verwöhnt, mein Kind«, sagte er mild zu Jetta. »Hast du Botschaften dieser Art auf dem Herzen, so mußt du sie mir in der Stille bestellen, aber nicht im Staatsrath.« Jetta erröthete, aber keine Bewegung verrieth, wie sie innerlich den Verweis aufnahm. Lauter fuhr dann der Kaiser fort: »Ihr Herren gefallt euch heute alle in Uebertreibungen. Was soll der Lärm um Entlassung eines Bauern. Mir handelte es sich um einen Verstoß gegen die Disciplin, nicht um ein Staatsverbrechen. Ruft Rothari, daß ich der Sache ein Ende mache. Ich werde ihm selbst das Nöthige vorhalten. Im Uebrigen hat Jetta ganz recht. Es ist heute kein Tag zu großen Entschließungen.«

Aber der herrschsüchtige Priester hatte nun alle Fassung verloren. »Wenn über das Schicksal des Reichs mondsüchtige Weiber entscheiden«, sagte Ithacius grimmig, »und astrologischer Wahnwitz, so werde ich nicht mehr im Staatsrathe des Augustus erscheinen.« Da wendete Valentinian sich majestätisch dem eifernden Prälaten zu. »Nein«, sagte er kalt, »du hast ihm heute zum letzten Male beigewohnt. Ich will den ehrwürdigen Bischof von Ossonuba nicht länger seiner Heerde entziehen«, fügte er mit kaltem Hohne hinzu. »Die Canones der Apostel haben angeordnet, daß ein Bischof bei seinem Gotteshause bleibe. Wichtige Verhandlungen mit der hispanischen und gallischen Kirche haben uns genöthigt, den ehrwürdigen Ithacius der Basilica zu Ossonuba für einige Zeit zu entziehen. Nunmehr aber können wir uns ohne ihn behelfen und wünschen, daß er schon morgen in aller Frühe nach seinem Bischofssitze abreise.« Betroffen schaute der beleibte Priester in dem Kreise rings umher; aber er begegnete nur spöttischen, schadenfrohen Mienen.

»Ich werde gehen«, sagte er trotzig. »Wer Zauberei und Astrologie zu seiner Stütze wählt, kann die evangelischen Rathschläge rechtgläubiger Bischöfe freilich entbehren. Nur fürchte ich, daß die gallischen und spanischen Synoden eine minder freundliche Sprache führen werden als der milde Ithacius, der sich gerne scheidet von dem Hofe und der Zauberei.« Würdevoll verschwand der dicke Prälat durch die Thüre.

Ein helles Lachen Gratian's folgte ihm, in das die Andern laut einstimmten. »Suche Rothari«, sagte Valentinian ärgerlich, »und schicke Lichter. Das Mondlicht irrt das Hirn. Mir selbst ist es ganz graulich geworden vor Arator's schönem Kinde.« Die Fackeln wurden gebracht, in die zackige Krone eines hohen Candelabers eingeschraubt und füllten mit traulichem rothem Lichte das schöne Bogengemach. Freundlich schaute jetzt alles aus und friedlich. Die Herren im Kreise, die im Mondlicht wie bleiche Todtenrichter sich ansahen, ließen sich in behagliches Plaudern ein. Der Dichter umarmte den Comes Merobaudes und erzählte ihm von einer neuen Fischsorte, die er im Nicer entdeckt habe und die gleichfalls eßbar sei. Syagrius nahte sich Justina, bei der er am wenigsten Abneigung gegen sein Vorgehen voraussetzte. Endlich erschien Gratian wieder, aber ohne den Alamannen. »Rothari«, sagte er, »hat vor einer Stunde die Decke auf sein Pferd geworfen und ist weggeritten, da er nicht gewohnt sei, halbe Tage im Vorzimmer zu warten.«

»Nun werden wir ihn an der Spitze der Alamannen wiedersehen«, rief Syagrius und ein funkelnder Triumph leuchtete aus seinen harten Augen.

»Entschuldige, wackerer Notar«, sagte Gratian von oben herab, »mein Freund sagte, er reite nach Arator's Villa und jenen Weg hat er eingeschlagen.«

»Da werden wir uns herablassen müssen ihm dort unsere Meinung zu eröffnen«, sagte Valentinian mit leiser Ironie. »Also Arator, ich bin dein Gast in den nächsten Tagen. Ihr aber, edle Herren, bedenkt, daß wir einig sein müssen hier an der Grenze des Reichs. Vergeht, was hier gesprochen wurde und denket nur an eines, an das auch ich allein denke: an Rom.«

Die Herren verbeugten sich und während Justina mit ihrem schläfrigen Knäblein auf Valentinian zuschwebte, entfernten sich die Andern. Gratian aber schloß sich Arator und Jetta an, die seine Schmeicheleien mit vornehmem Gleichmuth hinnahm.

»Wann wirst du diese traurigen Künste lassen?« sagte Arator zu seiner Tochter, »und aufhören dich in Dinge zu mengen, die nur die Männer angehn?«

»Wenn einst das Recht auf Erden einen so geordneten Gang geht, wie droben die ewigen Sterne«, erwiderte Jetta ruhig, »dann brauchen die Frauen nicht mehr in den Sternen zu lesen; aber Weib oder nicht, ich werde niemals ruhig zusehen, wie die Bosheit triumphirt.«

»Ich fürchte, der Knabe wird demnächst diese traumwandelnde Velleda freien wollen«, sagte der Kaiser zu Justina, »dann wird vollends nichts aus der Heirath mit der Tochter des Constantius, die er von Monat zu Monat hinausschiebt.«

»So verheirathe Jetta mit Syagrius«, erwiderte diese. »Das stiftet Frieden zwischen dem Notar und Comes und irgend eine Entschädigung sind wir Syagrius schuldig für seinen treuen Willen.«

Valentinian lachte. »Wenn du das vermagst, lasse ich es mir gefallen. Da ich die schönste Frau des Reiches besitze, mag ich auch meinen Dienern etwas Gutes gönnen. Du magst es einfädeln, meine Hände sind zu plump für so feine Arbeit.« Justina neigte zustimmend ihr schönes Haupt, das die gesuchten Lippen des Herrn auch mit einem gnädigen Kusse beglückten. Noch ließ der kaiserliche Riese liebkosend die gewaltige Hand über das Haupt seines müden Söhnleins gleiten, dann schritt er hinaus. »Er liebt uns nicht, nicht mehr wie sonst«, murmelte sie. »Heute war der Tag nicht für Rothari, darin hat Jetta Recht. Aber eines muß ich haben, den Helm oder sein Haupt, beide dürfen sich nicht finden.«

Valentinian aber, als er den Säulengang draußen betrat, sah im Mondenschein eine zusammengekrümmte Gestalt kauern, die ein unheimlich glänzendes Auge nach der Thüre richtete, als ob sie jemanden erwarte. »Ist denn des Spukens kein Ende in diesem verwünschten Palatium?« murrte der Kaiser. »Wie viele Schatten gleiten denn durch diesen öden Raum? Wir sind Wodan's Zauberwalde nah und wie Drusus einst tritt mir der Alraunen eine entgegen oder ist es ein Nachtgebilde der Wegegöttin? So rede!« rief er, indem er dem Phantome näher trat. Dann schlug er eine rohe Lache auf: »Du, du bist es, alte Hexe! Wandelst du noch immer im Lande der Lebendigen, verruchteste unter Hekate's Töchtern? Deine Geheimnisse wären im Grabe am besten bewahrt.«

»Das Grab ist nicht stiller als Phorkyas' Mund. Dreimal lag ich drinnen«, flüsterte die Alte irrsinnig vor sich hin, »aber es hat mich nicht behalten, weil ihr mich braucht. Und ich diente euch gut«, kicherte sie wahnwitzig in sich hinein, indem ein Wetterleuchten der Befriedigung ihr zerrissenes Angesicht in tausend neue Falten kräuselte.

»Bist du mit Jetta gekommen?« fragte der Kaiser, der nicht wußte, ob er es mit einer Tollen oder einer verschmitzten Gauklerin zu thun habe.

»Nein«, krächzte Phorkyas, »Jetta kam mit mir. Mich hat die Kaiserin entboten, da wollte Jetta mit, weil sie uns nicht traute.«

»Also daher ihre Kunde?« sagte Valentinian. »Meinethalben! Aber vergiß nicht, daß man in deinem Handwerk ein gebrauchtes Werkzeug gern zerbricht, und kreuze mir nicht wieder ungerufen die Wege.«

Verzagt drückte die Alte sich in die Ecke. Sie, die vor nichts scheute, zitterte vor diesem schielenden Auge. Aber sobald der Imperator vorüber war, huschte sie in die Gemächer der Augusta.


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