Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Neuntes Kapitel.

Ueber Alta Ripa lag nunmehr Ruhe. Der Rhenus rauschte hinter dem Palaste seine alte Weise und von den Wällen her schallte der einförmige Schritt der Ronden oder der Anruf der Wachen. Der Nachtwind wimmerte in den langen Gängen und heulte dann wieder laut auf, wenn er sich zwischen den hohen Wänden verfing. Jedes Geräusch verzehnfachte das Echo der weiten Gewölbe und es hallte wie Donner, wenn unten im Hofe die Posten sich ablösten. Die Bewohner des weiten Gebäudes schienen alle zur Ruhe gegangen zu sein, Nacht und Schlaf begrub Stadt und Burg. Nur in dem Fenster des Thurmgeschosses, wo Justina wohnte, zitterte ein Lichtschimmer, der weder von einer Lampe noch von einem Kohlenbecken herrühren konnte. Ein flackernder Schein flimmerte dort wie von einer Opferflamme. In der That war in dem Gemache der Kaiserin auf einem Dreifuß eine mystische Flamme entzündet, die in dem hohen, aber engen Gelasse zitternde Ringe an die Wände malte. Unter dem Altar war eine Tafel mit allerlei Zaubergeräthe ausgebreitet und um dieselbe saß die Kaiserin mit drei Frauen. Die Eine war Jetta, die ihren Vater allein gelassen hatte, weil Justina sie tief in der Nacht nach dem verrufenen Thurmgemache entbot. Sie glaubte, für ihr kühnes Eindringen in den Staatsrath des Kaisers stehe ihr ein Verweis auch von Justina's Seite bevor, aber sie war unmuthig und entrüstet, als sie die Kaiserin eifrig beschäftigt fand, ihre kabbalistischen Berechnungen vorzubereiten, die Justina immer dann anstellte, wenn sie durch irgend ein Zeichen erschreckt worden war.

Neben der Kaiserin saß eine bleich und leidend aussehende Frauengestalt, nicht viel älter als Jetta, aber mit den Zügen eines tiefen Seelenleidens in dem verfallenen Antlitz. Es war Fulvia, die Gattin eines plötzlich von Wahnsinn befallenen Centurio, der auf einem einsamen Gehöfte, der Villa ad Rosas, in der Ebene draußen hauste. Auch sie schien wider ihren Willen hierher gelockt und schaute müde und abgespannt dem Treiben der alten Phorkyas zu, die am Boden kauernd Blätter mit seltsamen Bildern und Ziffern vor sich ausbreitete, während sie geheime Formeln halblaut murmelte. Ein unheimliches Leben war in der Greisin erwacht. Gleich dem Nachtthier, das am Tage blöde und unsicher einhergeht, um mit einbrechender Dunkelheit Kraft und Sicherheit zu gewinnen, so bewegte die Alte sich jetzt fest und rasch, als ob sie die Last der Jahre abgeschüttelt hätte. Mit erstaunlicher Schnelligkeit breitete sie die Tafeln und Steine in seltsamen Combinationen vor sich aus, bis sie endlich die Hände ruhig übereinander legte und mit dem einen hörnenen Auge aufblickend, mit gleichgültiger Stimme sagte: »Es ist die Stunde.« Die Andern schwiegen. Die obere Leitung schien hier der alten Sklavin zuzustehn, der auch Justina sich fügte. ... »Drei Fragen sind gestattet, wähle«, sagte sie der Kaiserin. »Frage, ob mein Sohn herrschen wird?« erwiderte die schöne Frau. Die Augen der Greisin blickten nun auf Jetta: »Forsche nach Rothari's Loos«, flüsterte diese mit matter Stimme. Zuletzt wendete die Alte sich zu der bleichen Frau. Ein Seufzer und ein leises Schütteln des Hauptes war die einzige Antwort der Traurigen. »Nun, Fulvia«, sagte Justina scharf.

»Ich bin gekommen, Augusta, weil du es befahlst. Aber seit mein Mann wahnsinnig ward von dem Liebestrank, den wir hier brauten« – – –

»Beweist nicht auch dein Fall Hekate's Macht?« unterbrach sie Justina mit hartem Tone.

»Gewiß«, erwiderte die Bleiche sanft, »aber ich habe gelobt, die nicht mehr in Bewegung zu setzen, die ich nicht zügeln kann, wenn ich sie aufgestört.«

»So lasse sie«, sagte die Kaiserin ärgerlich zu Phorkyas.

»Niemand darf müssig zuschauen«, erwiderte die Greisin trocken.

»So gehe!« gebot Justina in schroffem Tone und Fulvia erhob sich sofort. Aber Phorkyas vertrat ihr die Thüre. »Niemand darf nach Beginn der Beschwörung das Gemach verlassen«, sagte die Alte gebieterisch. »Bleibe, wir wollen dich dämpfen. Sieh diesen Stein hier fest an«, wendete sie sich an die Kranke, die willenlos wieder auf ihren Schemel zurückgesunken war. Die Alte hielt ihr einen blinkenden Talisman entgegen. »Unverwandt!« Die bleiche Frau that, wie sie geheißen. Langsam hielt die Hexe den glänzenden Stein höher und höher. Die Blicke der blassen Matrone folgten gehorsam dem Talisman und wurden stier. Nun bewegte Phorkyas ihre braunen knochigen Hände geheimnißvoll über dem Haupte der Fascinirten und strich dann leise ihre Schläfen. Alles Blut wich aus dem Angesicht der Gequälten und sie ward starr wie eine Leiche. »So, nun ist sie unschädlich.« Mit mehr Kraft, als man der Greisin zugetraut, ergriff sie die in tiefe Bewußtlosigkeit Gesunkene und trug sie nach einem zurückliegenden Polster. Es war schauerlich zu sehen, wie die alte Hexe, der die Strähnen wirr über das Antlitz hingen, die scheinbar Todte dahinschleifte. Selbst Jetta überlief ein Schauder.

»Die dritte Frage!« gebot Phorkyas, indem sie zu dem Dreifuß zurückkehrte.

»Wen soll Jetta freien?« sagte Justina. Jetta wollte abwehren, aber beide machten ihr Zeichen zu schweigen.

»Soll ich das Mondlicht an der Wand befragen oder das Wasser im Sieb? Die Sephirot oder die Mütter?«

»Wir wollen abwechseln«, sagte Justina. »Nimm erst die Zahlen. Frage du nach meines Sohnes Zukunft, Jetta!«

Die Alte reichte Jetta ein Kästchen mit Steinen und Täfelchen. Diese legte die Einen und Andern erst strahlenförmig, dann quer, dann senkrecht, bis die Buchstaben und Zahlen zu Reihen sich fügten. Dann rechnete sie. »Valentinian II. wird herrschen«, sagte sie leise. Justina prüfte die Rechnung und mit einem Seufzer der Erleichterung zog sie die Steine ein. Phorkyas wiederholte den gleichen Proceß. »Rothari wird leben«, sagte sie nach kurzer Frist.

»Wen soll Jetta freien?« fragte Justina, indem sie hastig nach den Steinen griff. Jetta barg unmuthig das schöne Haupt in beiden Händen, die Alte starrte in die Flamme, während die Kaiserin das Kästchen in den Schos nahm und die Steine, einen nach dem andern, vor sich ausbreitete. Aber sie besann sich lang und schien weniger sicher als die Andern. »Syagrius«, sagte, endlich Justina zögernd.

Jetta fuhr auf. Sie wollte protestiren, aber sie erschrak, denn hinter Justina stand die Frau des Centurio, geisterbleich, mit todtenartigen Augen und schüttelte mit dem Haupte, als ob die Rechnung nicht stimme.

»Fulvia!« rief Jetta jetzt, um die Kaiserin aufmerksam zu machen.

»Sie ist zu früh erwacht, wir müssen schließen«, sagte nun auch Phorkyas, hinter die Kaiserin deutend. Justina schaute um und maß die Wiedererstandene mit unwilligen Blicken, aber sie schwieg. »So sei es«, sagte sie dann. »Räume die Dinge weg.« Und Phorkyas hob einen Stein aus dem Mosaikboden. Eine geräumige Oeffnung kam zum Vorschein, in dem sie ihre Kasten, Phiolen und Futterale barg. Dann zündete sie eine Lampe an, löschte die Flamme und stellte den Dreifuß in die Ecke, vor die sie ein Polster rückte. So sah das Gemach wieder aus wie jede gewöhnliche Stube. Mit tiefer Neigung verabschiedeten sich die Frauen von der Augusta. Als Jetta aber vor der Thüre die Bogen der Galerie entlang ging, schmiegte die bleiche Fulvia sich an sie. »Glaube ihr nicht, sie hat zwei Steine beseitigt und die Zahlen gedreht. Die erste Chiffre gleich war R, sie aber kehrte das S nach oben. Ich sah es deutlich.« »R«, sagte Jetta nachdenklich. Die bleiche Freundin umschlang sie und gefolgt von Phorkyas, suchten die beiden Frauengestalten die ihnen zugewiesenen Gemächer.


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