Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Achtzehntes Kapitel.

Der Krieg mit den lentischen Alamannen zog sich in die Länge. Rothari's Vermittlung gelang es zwar, die Könige des Breisgau's von dem Bündnisse mit Roms Feinden zu lösen und indem er selbst durchaus als Alamanne auftrat, die Schaaren seiner germanischen Hülfsvölker zu verdreifachen, aber den ganzen Sommer über wurde bald diesseits bald jenseits der rätischen Grenze gefochten und bei einbrechendem Winter waren die Lentienser um so weniger zum Frieden geneigt, als sie gerade in der rauhen Jahreszeit sich den verweichlichten Römern überlegen fühlten und sicher darauf rechneten, das Zufrieren des Rhenus zu vortheilhaften Streifzügen nach Gallien benützen zu können.

So saß Jetta einsam unter ihrem Strohdach, ausschließlich mit der Pflege ihres Knäbleins beschäftigt. Aber das Kind wollte nicht gedeihen. Bleich und schwach hing der Knabe an der Brust der Mutter und seine blauen Augen schienen etwas zu suchen, worauf er ein Recht habe und was ihm niemand bot. Ein schmerzlicher Ausdruck lag stets in dem kleinen, verschrumpften Angesichte, und erzählte von stetem Unbehagen des armen Wesens, dessen Fäustchen sich oft zornig ballten.

Um so behaglicher hatte die alte Phorkyas sich auf dem Buhle eingerichtet seit Rothari fort war. Sie saß bei Jetta, erzählte von deren Kindererlebnissen, und wer ließe sich nicht gern von der eigenen Jugend berichten, von Eltern und Großeltern und wenn die Alte dann zu deliriren und phantasiren begann und die Grenze zwischen Erinnerung und Traum schwer zu ziehen war bei den Schilderungen der bösen Greisin, es war für Jetta doch eine Zerstreuung in der tiefen Einsamkeit, in der sie lebte, diesen Erzählungen aus alter Zeit zu lauschen. Auch grausenhafte Geschichten aus ihrer Zaubererfahrung wußte die Alte mitzutheilen, wie Justina in ihrer Gegenwart nur durch ihr Wort Vipern den Rachen aufgesperrt, zerschnittene Schlangen wieder heil zusammengefügt und über eine Leiche gebeugt, dem Todten Aufträge an die Unterwelt in den Mund gesprochen habe, die dieser ausgerichtet, wie der Erfolg erwies. Jetta ließ die Wahrheit dahingestellt, obwohl sie, Justina solche Dinge wohl zutraute. Als auch dieses Thema erschöpft war, begann Phorkyas Kräuter und Wurzeln einzutragen, lehrte Jetta ihre Namen und Kräfte und diese schrieb sich auf einer mit allerlei kabbalistischen Zuthaten verbrämten Rolle die Art und Weise auf, wie jedes Kraut zu gebrauchen und jeder Trank zu bereiten sei. Es war das wohl der reellste Theil der Zauberkunde der Alten, wie Jetta später noch einsehen lernte. Die Knechte aber bekamen das Joch der alten Phorkyas zu fühlen. »Der ist noch kein Zahn ausgefallen«, pflegten sie zu sagen, denn sie empfanden die bissigen Bemerkungen der Greisin und scheuten ihr böses Auge.

Die schlimmsten Tage aber waren über den unmündigen bepelzten Genossen des Hauses mit Rothari's Entfernung hereingebrochen. Phorkyas' erste Sorge war gewesen, den Wolf, den sie verabscheute, an die Kette zu legen. Hätte sie nicht anderseits seines Schutzes bedurft, sie würde die Abwesenheit des Herrn benutzt haben, ihn zu vergiften. So lag der Wolf ingrimmig in seiner Hütte und betrachtete die Welt von einem neuen Standpunkte. Jeden, der vorbeiging, flehte er heulend um Befreiung an, aber er mußte erfahren, daß Menschen kein Erbarmen kennen mit den Qualen der Kreatur. In Folge dessen warf er einen Haß auf das ganze Geschlecht und wenn er sich auch gewöhnt hatte, die Hausgenossen schweigend, zu dulden, so sprang er doch bei jedem neuen Individuum der verhaßten Gattung wüthend in die Höhe und heulte vor Schmerz, daß er es nicht zerreißen durfte. Besonders zürnte er den Arbeitern, die große Lasten auf dem Kopfe trugen. Es erschien ihm durchaus unsinnig, daß solche Massen auf so dürftiger Stütze und zwei Beinen dahinwandelten. Auch daß der Mond des Nachts in der Luft umherschwamm, hatte nicht seinen Beifall und stundenlang konnte er ihn darum anheulen. Nannte ihn dann die alte Phorkyas ein dummes Thier, so war er innerlich entrüstet, denn er war im Gegentheil der Ueberlegenheit der Vierfüßler sich bewußt, auch der geistigen. Verstand doch er vollkommen richtig, was die Menschen zu ihm sagten: »Fass, los, bringe, gehe, komm, trage, hüte, leg' dich«, die Menschen aber hatten die Bedeutung seines Bellens und Heulens offenbar noch immer nicht begriffen. Wollte er trinken, so brachten sie ihm salziges Fleisch, quälten ihn die Mitbewohner und Hausgenossen seines Pelzes, so gaben sie ihm Schläge. In langen und bitteren Erfahrungen mußte er sich überzeugen, daß diese Blaßgesichter durchaus nicht zu den bildungsfähigen Säugethieren zu zählen seien, »Da sind sie stolz auf ihre Sprache«, murrte er, »und verstehen sich doch selbst nicht. Hat aber je Einer die Zeichen mißverstanden, die ein Hase mit seinen Ohren macht, wenn er sie legt oder stellt oder die Mimik meines Schweifes? Bücher freilich, wie die Domina, kann ein Wolf nicht lesen, aber im Angesichte der Menschen und Thiere liest er viel besser als sie.« Moralisch vollends fehlte den Menschen jede Selbstbeherrschung. Hatte nicht er die schwere Kunst gelernt, den niedergeworfenen Feind nicht zu verletzen bis Rothari es befahl, so große Ueberwindung ihn das oft auch kostete? Die Menschen dagegen, seit er gefesselt war, stachen und warfen nach ihm mit Prügeln und Steinen und warum? – weil er heulte, wenn er Schmerz empfand. Aber war das eine Antwort? In Folge solcher Erfahrungen schloß sein Herz sich zu und ein grimmiger Unwille gegen die Zweibeinigen zog in ihm ein. Auf ihr Mitgefühl war nicht zu rechnen, so dachte er über andere Mittel der Befreiung nach und von einem ganz bestimmten Momente an hörte sein Heulen auf. Kein Zeichen seines Unmuths ward mehr vernommen, höchstens daß er mit seiner Kette rasselte oder mit der Ruthe die Hütte peitschte, was in der Nacht laut und polternd klang. Des Tags aber lag er ruhig im Hintergrunde seines Häuschens, aus dem die grünlich leuchtenden Augen unheimlich hervorglühten. Das Geheimniß dieses Umschwungs seiner Stimmung verrieth er niemanden. Er hatte sich endlich selbst geholfen. Als Jetta ihn einst besuchte und tröstete, warf er sich vor ihr nieder und rieb so kläglich seinen Hals am Grase, daß sie sich seiner Schmerzen erbarmte und das Halsband lockerte, in der Meinung, es sitze zu fest. Von da an wußte der Wolf kunstfertig den Riemen mehr und mehr zu erweitern und allmählig lernte er auch mit saurer Mühe, seinen Kopf durch das Halsband heraus- und hereinzuschieben. Sobald es im Hause still geworden war, entledigte er sich seiner Kette, kroch zu einer versteckten Stelle des Palissadenzauns, wo er sich einen kunstgerechten Laufgraben nach dem Vorbilde der römischen Soldaten und ihres Vegetius angelegt hatte. Durch diesen entrann er fröhlich in's Freie. Ein frohes Leben in den Wäldern begann nun für ihn. Bald jagte er auf dem Mons Valentiniani, bald schwamm er durch den Nicer, um sich seines Ungeziefers zu entledigen, bald stahl er in den Villen der Reichen ein Huhn, bald schreckte er die römischen Wachen in der Nähe des Lagers. Dabei hielt er sich aber streng an die Regel aller gewitzigten Diebe, das eigene Revier sauber zu halten, so daß nicht der Schatten eines Verdachts auf ihn fiel, auf »das gute Thier«, wie Jetta sagte, das sich wie ein Lamm in sein Schicksal ergeben und das bei Nacht und Tag still und fromm an seiner Kette lag, ohne mit einem Laute über sein hartes Schicksal zu murren. So wußte er schlau die Vortheile eines freien Vagabundenlebens mit den Vorzügen eines geordneten Nahrungsstandes zu vereinigen. Aber er selbst war doch nicht ganz zufrieden mit seiner Rolle, weil er fand, daß der specifisch menschliche Hang zur Heuchelei ihn übel kleide. Auch eine andere Erfahrung warf einen Schatten auf sein neues Glück. Zuweilen wollte der Zufall, daß er beim Jagen draußen von Brüdern seines Stammes erwischt ward. Dann wurde er übel gezaust, da diese sofort es heraus hatten, daß er ein Menschendiener, gezähmt und elend verweichlicht sei. In großen Sätzen entrann er in solchen Fällen nach dem Hofe und die gesenkte Ruthe wehmüthig nach innen krümmend schlich er beschämt in seine Hütte. »Wenn nur meinesgleichen eben so blödsinnig wäre«, dachte er dann, »wie diese albernen Menschen. Die wissen nur das, was man ihnen ausdrücklich sagt, während meinen Brüdern ein Athemzug genügt, um mit scharfen Sinnen meine ganze Geschichte, meine Vergangenheit und meine Grundsätze auszuspüren.« So machte er die Erfahrung, daß es auch seine Unbequemlichkeiten habe, einer höheren Rasse anzugehören, und in solchen trüben Stunden beneidete er den mit seiner Pflege betrauten Lupicinus um sein friedliches Dasein innerhalb eines leicht zu täuschenden schwachsinnigen Geschlechts.

Auf diese Weise gingen den Genossen des Blockhauses die Tage unter den verschiedensten innern Erfahrungen vorüber. Bereits färbten die Ahornkronen vor der Strohhütte an der Spitze sich roth und gelb und die Heimchen sangen laut ihr zirpendes Lied über den gemähten Wiesen. Jetta aber saß noch immer auf dem Bühl, zuweilen besucht von der bleichen Frau des kranken Centurio und den Dienerinnen aus Arator's Hause – von Männern nur dann, wenn einer aus dem Felde zurückkam, um seine Wunden zu pflegen oder Transporte aus dem Lager nach dem Kriegsschauplatze am obern Rhenus zu geleiten. Diese erzählten ihr von Rothari's Tapferkeit und wie er an der Spitze seiner germanischen Hülfstruppen sich selbst ganz als Germane trage, was schreckhaft anzusehen sei.

Eines Abends, als die Sonne eben nach dem Bosegus Mons sich herabsenkte und die Ebene von violettem Lichte übergossen vor Jetta's Auge lag, saß sie, ihr Kind stillend, bei dem Brunnen vor dem Hause, als ein Männerschritt sie aufstörte. Als sie umblickte, stand ein verwilderter junger Geselle mit wirren blonden Haaren und blondem Barte neben ihr, der unverwandt nach dem Knäblein starrte, das mit langen Zügen aus der Mutterbrust trank, bis Jetta unwillig sich verhüllte. Als sie des Fremden aus einem langen, härenen Gewände und einem Schaffelle bestehende Kleidung näher betrachtete, schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, der Besucher möchte am Ende gar der Bruder ihres Gatten sein, von dem ihr Rothari mit Liebe und Mitleid erzählt hatte. So verfallen und unheimlich hatte sie sich Vulfilaich nicht gedacht und auch Rothari würde ihn nicht wieder erkannt haben, eine solche Veränderung war mit dem Jüngling in dem einen Jahre vorgegangen, in dem er als Schüler der Bischöfe und Mönche, dann als Landfahrer und Einsiedler gehaust hatte. Eckig traten die Backenknochen aus dem abgemagerten, bleichen Gesichte hervor, die Augen waren eingesunken und von tiefen Schatten umgeben. Scharfe Falten um den Mund gaben dem Antlitz den Ausdruck unendlicher Bitterkeit. Eine gebrochene Jünglingsgestalt wankte er einher, gleich einem Wahnsinnigen verzehrt von einem inneren Feuer. Jetta zog sich fast ängstlich gegen das Haus zurück, aber mit dumpfer, gleichgültiger Stimme fragte der Fremde, wann wohl Rothari zurückkehren werde. »Vor dem Winter gewiß nicht«, meinte Jetta, »und dann ist ungewiß, ob der Krieg alsdann zu Ende sein wird.« Ob er wolle, daß sie durch den nächsten Boten an Rothari etwas bestelle? Er habe nichts zu melden, sagte er dann, als daß er nichts ausgerichtet, da Rando, an den ihn Rothari gesendet, während des Krieges sich in keine Verhandlungen einlassen wolle. Jetta fragte, ob sie den Bruder ihres Gatten mit Speise und Trank erquicken dürfe? Er nickte trübe mit dem Haupt und als Phorkyas Milch und Brot gebracht hatte, verzehrte er langsam sein Mahl, unverwandt Jetta's Arme anstarrend, deren volle Schönheit das ärmellose Kleid dem Auge preisgab. Die Sonne neigte sich und unter dem Vorwande, ihr Kind zur Ruhe zu bringen, ging Jetta in's Haus und schickte ihm einen Knecht, der, falls er obdachlos sei, Rothari's Bruder in dem Nebenbau eine Unterkunft für die Nacht bieten sollte. Vulfilaich gehorchte dem Rufe schweigend. Aus der Wolfshütte aber folgten zwei glühende Augen mißtrauisch dem Fremden und der Wolf beschloß unter diesen besondern Umständen heute das Haus nicht zu verlassen. Der Mönch aber schritt schweigend nach dem ihm angewiesenen Gemache, wo er sich ermüdet und traurig auf eine Bank hinstreckte, »Herr«, betete er, »Versuchungen ergehen über mich bis zum Verzagen. Unstet wandere ich über die sündenbefleckte Erde, selbst ein Sünder. Ich wollte die Heiden bekehren zu deinem heiligen Namen und sie verlachten mich. Ich wollte die Altäre der falschen Götter umstürzen und meine Kraft war zu schwach. Wie einen tollen Hund haben sie den Königssohn verjagt, der dich, den König, verkünden wollte. Meine Seele ist ermattet von all' den eitlen Worten, die ich hörte. Wohin ich schaue, sehe ich Götzendienst, Eitelkeit und Sünde. Ach, nicht zum Sehen hast du mir diese Augen gegeben, sondern zum Weinen über alle Gräuel in mir und außer mir. Von mir stehet geschrieben: Ich mische meinen Trank mit Thränen bei Tag und bei Nacht. Und nicht mit der Bosheit der Menschen allein habe ich zu kämpfen. Der Satan selbst schlägt mich mit Fäusten und wenn meine müden Augen sich zuthun, erscheinen seine bösen Geister und schrecken mich, verlocken und versuchen mich, daß meine Seele oft verzagen und verzweifeln will. Meine Harfe ist ein Klagen geworden, sagt der Prophet, und meine Pfeife ein Weinen. Herr, nimm hin meine Seele, ich bin nicht besser als meine Väter.« Still und geduldig lag der Mönch auf dem harten Boden, die Polster verschmähend, die an der Wand gebreitet waren. Aber nur unruhige, unterbrochene Träume gaukelten vor seinen halbwachen Sinnen. Oft schon hatten ihn die bösen Dämonen besucht als wilde Thiere oder schöne Frauen, aber so deutlich wie heute, hatte er die Nähe des Fürsten der Finsterniß noch nie vernommen. Bald hörte er ein Wimmern, Heulen und Winseln der verdammten Seelen. Dann klopfte es wieder wie mit Fäusten an die Holzwand, als ob der Teufel sein begehre, er hörte deutlich das Rasseln der Kette, mit der Satanas gebunden ist und das Knirschen seiner Zähne. Sank dann der Schlaf auf seine Augen, so umgaukelten üppige Träume seine Sinne. Er lag wieder an der warmen Brust der blonden Alamannin, die ihn am Ufer des Nicer gepflegt hatte. Jetta's weiße Arme umschlangen ihn und wenn er auffuhr, hörte er deutlich wieder das Poltern und Kettengeklirre des bösen Geistes, der ihm alle diese sündhaften Gedanken zuschickte. Aber wie eine unwiderstehliche Gewalt scheuchte es ihn vom Lager auf. Koste es sein Leben und seiner Seelen Seligkeit: er mußte hinüber nach dem Hause, wo das schöne Weib lag und horchen, ob er ihren Athem hören, ob er ihre blühende Gestalt im Schlafe belauschen könne. Der Mondenschein lag voll und hell über dem Hofe, der ihn von Jetta's Hause trennte. Er sah Rothari's Waffen aus der Halle flimmern und glänzen. Vielleicht war die Thüre nach dem Saale offen und vom Saale führte die Treppe nach oben. Wider Willen, mit klopfendem Herzen und stockendem Athem trat er hinaus. Es war Sünde, aber er mußte, wenn nicht eine höhere Macht den Zauber brach. So kam er bis zu der Holztreppe jenseits des Hofes, da glühten ihm zwei leuchtende grüne Augen entgegen, der böse Feind in Gestalt eines Wolfes trat ihm knurrend entgegen, er fühlte sich niedergerissen, die Stücke seines Gewandes flogen von ihm, da nahm er alle Kraft zusammen, der Arge ließ von ihm ab und zitternd fand sich der Mönch wieder in seinem Gemache, wo er sich zur Erde warf, eine Geisel hervorholte und seinen nackten Rücken geiselte, bis das warme Blut an seinem Leibe herablief. So lag er, als ein heller Schein über dem Mons Valentiniani den nahenden Morgen kündete. Schuldbewußt wagte er es nicht, das Erwachen der Hausgenossen zu erwarten. Sein Schaffell über sich werfend, schritt er in die Morgenluft hinaus. Als er an der Hundehütte vorüberging, und der Wolf seine Zähne fletschte, kam ihm wohl der Gedanke, das Rasseln und Winseln, das er gehört, sei am Ende von hier ausgegangen. Aber als ihn das Thier mit flimmernden Augen starr ansah, erkannte er in dem Wolfe den Dämon. Er riß den Balken von Thore und entfloh in den dämmernden Morgen. Die frische Herbstfrühe streute glänzende Thautropfen über Rasen und Büsche. Der junge Mönch streifte sie von den Zweigen, indem er auf's gerathewohl vorwärts stürmte, einen trocknen Platz zu suchen, wo er sich niederlegen könne, da ihm das schmerzende Haupt zu springen drohte. Vielleicht daß jene Felswand, über dem Walde überhängend, ihm Schutz gewährte? Eine Weile suchte er hin und wieder; da, als er einige Zweige zurückbog, fand er den Eingang zu einer Höhle. Es war dieselbe, in der der Dämon war zur Welt geboren worden, vor dem er floh. Die Höhle war trocken und mäßig erhellt von einem angenehmen Dämmerlichte, wie es die Reflexe des rothen Sandsteins zurückwarfen. Der Eingang schien wie künstlich verhängt durch einen leuchtenden grünen Vorhang, der im Winde schwankte, wenn die dichten Buchenzweige hin und wieder wehten. Ein geräumiger Felsendom wölbte sich nach innen zu und mündete zur Linken in einen trocknen und dunklen Gang, wie gemacht für das Ruhelager eines Anachoreten. Dankbar warf sich Vulfilaich nieder. Er hatte gefunden, was er lang vergeblich gesucht. Im ganzen Thale des Rhenus war keine Höhle wie diese so geeignet, abgeschieden von der Welt, den Frieden seiner Seele zu bedenken. Hier wollte er sich niederlassen, beten, sich kasteien, den Heiden predigen, Götzenbilder zerstören und allen verborgen sich dann wieder hierher zurückziehen, um im Gebete Kraft zu sammeln zu neuem Kampfe. Er reinigte die Höhle von den unreinen Resten der letzten Bewohner, trug aus dem Walde dürre Reiser zusammen, entstammte mit geschickter Hand trocknes Moos durch einen Funken, den er dem Stahle entlockte und Vertrieb durch Gebete und Rauch die bösen Dünste und bösen Geister. Nachdem der bläuliche Qualm sich langsam verzogen hatte, legte er sich im Innern der Höhle nieder und versank in festen tiefen Schlaf.

Jetta war am andern Morgen nicht wenig erstaunt, zu vernehmen, daß Vulfilaich ohne Abschied weiter gezogen sei, zumal Phorkyas meldete, sie habe sein Lager unberührt, die Diele mit Blut befleckt und Theile seines Gewandes im Hofe zerstreut gefunden. Aber welches Unglück konnte ihm in dem wohlverwahrten Hause zugestoßen sein? So beruhigte sie sich, indem sie den seltsamen Abschied der gewöhnlichen Absonderlichkeit dieser Mönche zuschrieb und war froh, daß sie den unheimlichen Besuch so rasch wieder los war. Auch währte es nicht lang, so berichtete Lupicinus, er habe Vulfilaich im Walde gesehen, aber derselbe habe jede Erinnerung an ihre frühere Begegnung rauh zurückgewiesen. Schließlich habe er doch um einen Spaten und um ein Beil gebeten und beides habe Lupicinus dem Bruder seines Herrn nicht verweigert. Jetzt sammle der Mönch Beeren, Moose und Wurzeln und Lupicinus vermuthete, er werde wohl in irgend einer Kluft sich eine kleine Hütte zimmern wollen wie der Klausner, der vor Jahren drüben auf dem Mons Piri gehaust und allen Menschen befreundet gewesen sei, bis man ihn eines Morgens von bösen Buben erschlagen vor seiner Zelle gefunden habe. Jetta schüttelte ihr Haupt über das Alles, aber sie fand nicht, daß es ihre Sache sei, sich weiter um einen solchen wunderlichen Heiligen zu kümmern.

Mit einem Schlage brach in diesem Jahre der Winter herein. Ueber Nacht erhob sich ein kalter Novembersturm und fegte die Blätter von den Aesten, während die gefrorenen Fluren vom Reife erglänzten. Regen und Schnee umwirbelten die dunkle Strohhütte und in Erinnerung dessen, was sie im vorigen Jahre in dem dumpfen Raume erduldet, ward es der Römerin bald unlustig in dem einsamen Hause. Der Wind rüttelte bei Tag und bei Nacht an den Fenstern, ganz in der Nähe hörte man den bellenden Ruf der Wölfe und seit Rothari mit den Hunden sie nicht mehr hetzte, streiften sie wieder bis nah an den Bühl. Dazu ward Phorkyas nicht müde zu versichern, daß für das zarte Knäblein die Luft unten am sonnigen Abhang in den steinernen geheizten Zimmern heilsamer sein würde als auf dem Hügel, den der rauhe Ostwind bestrich. So packte schließlich Jetta ihre Habe zusammen, befahl das Haus den Knechten und kehrte in ihre väterliche Wohnung zurück. Wie glücklich fühlte sie sich mit einem Male in den hellen Höfen, den warmen Stübchen, zwischen den freundlichen Bildern an den Wänden, die sie wie in vergangenen frohen Jahren anlachten und nach denen ihr Knäblein mit schwachem Lächeln die Händchen ausstreckte. Jetzt erst kam ihr zu Bewußtsein, wie geistig arm ihr Leben oben in dem Blockhaus gewesen. Mit der Gier einer Ausgehungerten stürzte sie sich über die lang entbehrte Büchersammlung und bald hatte sie über Plato, Plutarch und Epiktet alles Andere vergessen. Zu Anfang des neuen Jahres kamen Statius und Nasica vom Kriege heim. Der dicke Statius war leicht blessirt, Nasica erklärte der Ruhe zu bedürfen. Beide waren glimpflich vom Feldzuge ausgeschlossen worden, da sie, der Eine durch Nachlässigkeit, der Andere durch Feigheit Anstoß gegeben hatten; doch hüteten sie sich wohl, diesen Grund ihrer Rückkehr Jetta zu verkünden. Die beiden Vettern waren freilich zwei unerfreuliche Menschenkinder, aus denen Jetta sich nie viel gemacht, aber auch sie trugen noch immer etwas von dem Stempel der Vornehmheit, den der Romane vor dem Germanen voraus hat. Einsam und gelangweilt ließ Jetta sich die Huldigungen der leeren Menschen gefallen und bald war wieder jener nichtige, lärmende Ton zwischen der schönen Frau und den jungen Leuten im Gang, den Jetta in dem früheren Lagerleben um des höheren Zweckes willen geduldet hatte, und der jetzt wenigstens dazu gut war, ihr die Langeweile zu verscheuchen. Ihr ernster Geist bedurfte eines Gegengewichts und hatte sie sich einmal eingelassen auf Scherze und Possen, so übertraf ihre wilde Ausgelassenheit leicht alle Andern. Für ihre Phantasie war es eine Versuchung, sich in tolle Situationen zu werfen. Dieses Streben, stets etwas darzustellen, jedes Ereigniß phantastisch zu nehmen, war ihr großer Reiz, es war aber auch ihr Fehler, den sie vor Rothari hatte verbergen müssen, dem nichts mehr zuwider war als solcher Lärm um nichts. Indem sie sich im Umgang mit den alten Genossen auf's neue diesem Triebe rückhaltslos überließ, kehrte ihr die frühere Luft am Leben und Lärmen wieder und gab ihr zugleich die alte Frische und Elasticität ihres Geistes zurück. Jetzt erst ward sie gewahr, wie sehr Rothari durch seine geistige Schwere und Unbeweglichkeit sie niedergedrückt hatte. So glich Jetta einer Sängerin, die ihre verlorene Stimme wieder erhalten. Vom Morgen bis zum Abend ergoß sich ihre herrische Beredtsamkeit. Jetzt war sie wieder ganz Römerin, die Jetta von ehedem. Doch ging ihr Leben keineswegs in Scherzen und Lachen auf. Unermüdlich war sie in den beiden Dörfern diesseits und jenseits des Nicer unterwegs, um den zurückgelassenen Frauen und Kindern der Soldaten beizuspringen, sie stärkte im Lager selbst die Verwundeten, die vom Kriegsschauplatze hierher verbracht worden waren, durch ihren Zuspruch, sie erhielt in der ganzen Umgegend die Stimmung der römischen Colonen aufrecht. Es war eine Freude zu sehen, wie die Gesichter der alten Graubärte in den Soldatenhütten aufleuchteten, wenn des Feldherrn Tochter bei ihnen eintrat und wie in den bürgerlichen Niederlassungen groß und klein Jetta umstand, wenn sie kam, einen neuen Sieg zu verkünden.

Nur Eines lastete auf ihr: ihr Knabe machte ihr Sorge. Langsam wuchs er heran und schaute bleich und trüb mit seinen hellblauen Augen in die Welt. Die Alte wußte täglich ein neues Mittel, seine Kräfte zu heben. Sie hatte Weintränkchen und Kraftbrühchen bereit, Salben und Einreibungen, Kräuterbäder und Abwaschungen. So wechselten Abhärtung und Verweichlichung bunt durcheinander, wie es die Einfälle des unerfahrenen jungen und die unbeschäftigte Langeweile des alten Weibes mit sich brachten. Das Kind ward größer aber schmaler und müder. Ein weinerlicher Zug war wie festgeheftet auf dem kleinen, gelben Angesichte als Anklage der fortgesetzten Mißhandlungen, mit denen eine unverständige Liebe es heimsuchte. Im Frühjahr kam auch Arator und des Vaters ernste Gegenwart verscheuchte die Vettern rasch, da der greise Soldat seinen Verwandten nicht verhehlte, was er von ihren Leistungen im Feldzuge halte. Auch Jetta's Gedanken kehrten jetzt häufiger zu Rothari zurück, von dessen Lobe Arator voll war. Kaum daß im März die Lüfte milder wehten, zog sie, der Ankunft des Gatten gewärtig, nach dem Blockhaus, wo der Wolf mit tollen Sprüngen der Freude, die Knechte mit gewohnter Ehrfurcht sie empfingen. Sie fand alles in bester Ordnung; kein Faden fehlte und Jetta ließ der Treue und Arbeitsamkeit des alamannischen Gesindes alle Gerechtigkeit widerfahren. So nahm auch sie die frühere Lebensweise wieder auf, aber ihres Gatten harrte sie vergeblich. Als die Primeln im Walde in gelben Büscheln sich über das dürre Laub hervorarbeiteten, die Narcissen vor dem Hause blühten und die Blutströpfchen des Adonis, da dachte sie, Rothari sei nicht ferne. Aber die Veilchen kamen und die blauen Sterne der Vinca, der Holder duftete süß, die Rosen glühten und die Jasminhecken bestreuten sich mit weißen Sternen, in den Büschen sang die Nachtigall ihr schmelzendes Lied und Rothari war noch immer nicht gekommen. Statt seiner hatten die welschen Vettern Statius und Nasica es in Rothari's Haus sich bequem gemacht. Sie ritten Rothari's Pferde auf steinigen Pfaden und brachten sie des Abends abgetrieben und wundgeschlagen wieder, so daß die germanischen Knechte den welschen Thierquälern fluchten. Sie reizten den Wolf an der Kette, bis er durch Anstrengung sich loszureißen sie zum Rückzug zwang. Sie nahmen Rothari's Waffen von der Wand und höhnten die barbarische Arbeit. »Wer weiß, Statius, ob du den Bogen spannen kannst, wenn Ulysses heimkehrt«, spottete Jetta. Die Vettern nannten sie deßhalb Penelope und die einsame junge Frau, unbeschäftigt und gelangweilt, wie sie war, ließ es sich gefallen. Es entsprach ihrem phantastischen Sinne, auch ein Mal ein Stück der Odyssee durchzuspielen, nachdem sie lang genug von der Iliade geträumt. An Verachtung für die Schaar der Freier fehlte es ihr auch nicht und lästig machten diese sich gleichfalls. Kein Beutestück Rothari's blieb von ihren Händen unbelastet und mit seinen germanischen Waffen feierten sie mehr als einen Maskenscherz. Zuweilen hätte Jetta ihrem Treiben gern gesteuert, aber sie bedurfte der Vettern, wie sehr sie auch ihre Leichtfertigkeit haßte, zu ihren Missionen im Lager. Aufträge waren zu besorgen im Dorfe und in den Soldatenhütten. Sie rechnete auf ihre Begleitung, wenn sie oft spät erst von den Besuchen bei den Armen und Verwundeten zurückkam. Die kleinen Freuden, die sie den Soldaten im Lager bereitete, konnten nur sie vermitteln. So tröstete sie sich, daß wenn auch Nasica und Statius jetzt ihre Tage vergeudeten und im letzten Kriege keine Lorbeeren gepflückt hätten, beide doch, durch ihren Umgang gefördert, nunmehr ernstlich gesonnen seien, künftig ihren Mann zu stellen. Die Besserung der jungen Verwandten erschien ihr als ein Theil ihrer hohen Mission, von der sie jetzt wieder träumte wie in den Tagen, bevor sie Rothari's Weib ward. Bei genauerer Selbstprüfung würde sie freilich erkannt haben, daß sie in diesem Umgang fast mehr Schülerin als Lehrerin war. Der unausgesetzte Spott ihrer Vettern über Rothari's Germanenthum, über die Bauernhütte und das barbarische Geräthe machte ihr größeren Eindruck als sie sich selbst gestand und sie war fest entschlossen, dieses Leben im Alamannenhofe nicht fortzusetzen. Wollte Rothari nicht in der Mitte der Genossen drunten beim Lager wohnen, so mochte er ihr hier oben ein römisches Haus bauen, wozu Werkleute in Atta Ripa und Noviomagus zu finden waren, aber auf die Bedürfnisse ihrer Jugend, ihres Schönheitssinns, ihres Auges, ihres Geistes wollte sie nicht länger verzichten. Vor allem aber sollte auch ihr Sohn nicht im Blockhause aufwachsen. Natürlich bestärkten sie die Vettern in ihren Plänen. Sie suchten mit ihr bereits den besten Platz zur Anlage einer neuen Villa aus und über das Brett von glattem Lindenholz gelehnt, halfen sie Jetta Baupläne und Risse zeichnen, bis sie auch davon gelangweilt zu Rothari's Waffen zurückkehrten.

Wieder war in dieser Weise ein Tag vergeudet worden, da ertönte eines Abends im Mai, als die Sonne hinter dem Vosegus Mons versank und die ganze Ebene des Rhenus in goldenem Lichte erglänzte, das »Heilo, Sigo« der germanischen Knechte, während der Wolf ein fröhliches Geheul ausstieß und an seiner Kette zerrte. Der dicke Statius, einen von Rothari's Helmen auf dem Haupte und den barbarischen Schmuck König Vadomar's um den Hals, reckte den Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, was es gebe und kehrte dann von dem Zornblick des Ankömmlings getroffen in raschem Laufe nach der Halle zurück, wo er Jetta zuflüsterte: »der Barbar, dein Gemahl, steht draußen.« Eilig entledigte sich der Andere des Bärenfells, das er um sich geschlungen, während Jetta, das Kind auf dem Arme, zur Thüre schritt. Auf der Treppe trat ihr ein reckenhafter Germane entgegen, das lange blonde Haar in einem gewaltigen Knoten mitten auf dem Haupte zusammengeflochten und mit einer flammrothen Hauptbinde zusammengeknüpft. Von der Oberlippe hing der gewaltige Schnurrbart über das kahle Kinn, den Hals umgab eine schwere Kette, von dem nackten Arme glänzten die goldenen Spangen, die er den erschlagenen Feinden abgenommen. Der germanische Streitmeißel in der Hand, Beinkleider von Hirschleder und das Bärenfell auf dem Rücken, vollendeten das Bild eines Wilden. Jetta fuhr zurück, als habe sie einen Schlag in das Angesicht erhalten. »Was zitterst du, Jetta«, sagte Rothari bitter, »sogar deine Vettern lieben ja, wie ich sehe, die Kleidung meines Volks.« Die Knechte hatten ihn bereits von dem Treiben der Verwandten in Kenntniß gesetzt. Er warf einen finstern Blick durch die Thüre, aber Statius und Nasica hatten für gut gefunden, durch eine hintere Pforte zu entweichen. Mit einem mitleidigen Wiegen des Kopfes betrachtete Rothari dann sein Knäblein, das furchtsam, das kleine Haupt abwendete und zu weinen begann. Er nahm es nicht, denn er fürchtete, das zarte Ding zu zerbrechen. Jetta gab es der Alten, deren böses Auge Rothari's Zornblick höhnisch zurückgab, die junge Frau aber folgte dem Gemahle in's Haus. Hier nahm sie ihm still den schweren Pelz von der Schulter, löste die barbarischen Spangen von den Armen, strich ihm den Bart von den Lippen, die sie küßte und mit der Hand über den entsetzlichen Haarknoten auf dem Haupte fahrend, fragte sie mit einem bittenden Blicke: »Muß das so bleiben?«

»So lang ich die Germanen im Felde führe, ja«, erwiderte er. »Nur die Sklaven gehen bei unserem Volke geschoren, und was ihr einen Cäsarenkopf nennt, würde bei uns ein Sklavenschädel heißen. Ist der Krieg zu Ende, so opfern wir die blonden Locken Aphrodite und verstecken die nackten Arme unter der Toga.« Die Aussicht als Gattin dieses Häuptlings unter ihrer Sippe zu leben, den täglichen Spottblicken der Vettern, des Notars und des jungen Augustus preisgegeben, entsetzte Jetta, aber es regte sich in ihr etwas wie ein böses Gewissen über die Scherze, die sie Nasica und Statius verstattet hatte und für heute schwieg sie. Auch fiel ihr ein, wie sie einst in dem Buche der Christen von einem Helden gelesen, dem sein Weib die Haare kürzte, als er schlief. So wollte auch sie sich verhalten und sie gab sich.


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