Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Rufe der Kaiserin hatten Hülfe herbeigezogen, aber die, die in diesem Augenblicke ihr die unerwünschteste war von allen. Gratian, im Begriffe zur Jagd zu ziehen, hörte auf dem Gange das Schreien der Kaiserin und flog die Treppe hinauf zu ihren Gemächern. Justina, aus einem Schrecken in den andern fallend, kehrte mit neuen gellenden Hülferufen um und verschwand durch die entgegengesetzte Thüre des Ganges. War es doch der Blutbruder des mörderischen Alamannen und ihr eigener Feind, der ihr bewaffnet entgegentrat. Sie meinte in diesem Augenblicke wirklich, Gratian stehe mit Rothari im Complott und der Jagdspieß in seiner Faust gelte ihrer Kehle. Befremdet folgte der junge Augustus der Fliehenden und während Rothari die vordere Treppe hinabstieg, kehrte er durch die ganze Flucht der Gemächer der Kaiserin zum Eingang zurück, ohne zu entdecken, was denn Justina so erschreckt habe. Da erblickte er unter der Thüre des letzten Gemaches, das Rothari soeben verlassen hatte, den Leichnam der alten Phorkyas. »Hat ein Dämon die Hexe erschlagen, während sie ihrem dunkeln Handwerk oblag oder starb sie am Anblick der Schrecken, die sie selbst citirt?« sagte Gratian kopfschüttelnd. Seine Waffe fester fassend stieg er über die Leiche hinweg und betrat die geheime magische Werkstätte. Das Erste, was sich seinem Auge darbot, war das von der Lampe beleuchtete Haupt des kleinen Tullius, das Gratian mit einem Laute des Abscheues zur Seite schob. Dann musterte er die mystischen Schalen, Pfannen, Würfel und Amulete. Auch die ausgehobene Platte auf dem Estrich entging dem scharfen Auge des Jägers nicht und er erkannte alsbald, daß hier die geheime Vorratskammer Justina's sich berge, aus der alle diese Gräuel entnommen waren. Mit einem grimmigen Lächeln machte sich der Jüngling daran, dieselbe auszuräumen, um dem Auge Valentinian's den ganzen Umfang dieses nächtlichen Treibens zu enthüllen. Unwillig ließ er die Unzahl von Fläschchen und kleinen Töpfen durch seine Hände wandern, die Todtengebeine, Skarabeen, bemeißelten Steine und gravirten Metallplättchen, bis ein Bündel von Pfeilen seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihm war, als ob er diese Waffen schon irgendwo gesehen, und plötzlich kam ihm auch die Erinnerung wieder. Ganz dasselbe kleine Geschoß mit dem grauen Reiherbarte sah er in der Buche bei der Höhle zitternd stecken, wo Rothari die Wölfin erlegt hatte. »Die muß ich Rothari zeigen«, sagte er, »vergleichen wir sie mit dem Geschoß, das jüngst wieder nach dem Einsiedler auf dem Bühle versendet worden ist.« Hastig raffte er die Pfeile zusammen und ließ den ganzen Bündel in seinen eigenen Köcher gleiten. Nachdem er sich dann überzeugt, daß das Versteck nunmehr geleert sei, breitete er den ganzen Zauberkram ringsum auf dem Tische und den Polstern aus, wartend bis jemand käme, den er nach dem Kaiser senden könne. Aber Valentinian trat selbst ein, die bleich dahinwankende Justina mit seinem Arme stützend. Schon im Nebenzimmer hörte Gratian, wie die Kaiserin Valentinian voll Leidenschaft bestürmte. Vor ihren Augen, in ihren eigenen Gemächern, habe Rothari Jetta's Dienerin erwürgt, wobei sie mit zwei Worten auf die Todte und Jetta alle Schuld des magischen Treibens ablud. Auch sie habe Rothari tödten wollen und mit gefälltem Speere habe Gratian sie verfolgt. Weiter kam sie nicht, da Gratian nunmehr selbst mit einem Blicke voll Verachtung aus dem kleinen Gemache hervortrat. Er riß den Vorhang zurück, daß die Tageshelle grell hereinfiel auf die nächtlichen Gräuel. Von Entrüstung glühend sprach er dann zu Valentinian: »Ehe du urtheilst, siehe mein Vater, wie die erhabene Kaiserin ihre Gemächer ausgestattet hat. Siehe hier, das Haupt eines erst jüngst geschlachteten Kindes, Rothari's Kind ohne Zweifel.« Valentinian fuhr zurück, als ob er die Meduse gesehen und vor seinem schielenden Blicke sank Justina zitternd auf ein Polster.

»Deine Erlauchtheit wußte wohl nicht, daß das Edict des Kaisers die Aufbewahrung solcher Dinge mit dem Feuertode bedroht?« sagte Gratian mit unverhehltem Hohne. »Auch möchte ich dir rathen, deine mystischen Karten künftig besser zu mischen, ehe du sie weglegst. Sieh hier E.N.T.I.N.I.A., das hieß doch wohl Valentinianus?«

»Mein Sohn war gemeint«, hauchte Justina.

»Richtig, mein armes Brüderchen, dessen Herz du schon jetzt mit Argwohn gegen mich füllst, damit der Krieg um die Herrschaft nur ja nie ende ... Doch deine Augen suchen etwas. Du vermissest wohl die vergifteten Pfeile? Ich bedauere. Rothari will erst vergleichen, ob sie nicht mit gewissen kleinen Geschossen Aehnlichkeit haben, die ihm zweimal aus dem Dunkel zugesendet worden sind.« Justina erbleichte auf's neue und fing an sich in Krämpfen zu winden.

»Wahnsinnige!« rief jetzt Valentinian, noch immer starr von dem, was er vor sich sah. »Wenn Rothari dieses Haupt auf eine Lanze steckte, in's Lager ritt und dort vor den Germanen ausrief, was du gethan, wie lange glaubst du, daß unsere Herrschaft noch währte? Ich rathe dir, seinen Mund mit Schwüren zu schließen, ehe er die Soldaten zum Kampfe gegen uns aufruft und wenn du auf den Knieen seine Verzeihung erflehen müßtest! Gehe, ehe mein Zorn entbrennt, gehe, es könnte mich gelüsten, dein Haupt von dem schlanken weißen Halse zu hauen und es dem Germanen zur Sühne zu senden. Fort, fort«, rief er zornig, als Justina sich vor ihm niederwerfen wollte – »du bist eine Gefangene, bis ich selbst dir die Freiheit wiedergebe, wahnwitzige Megäre!« Langsam und mit wankenden Knieen entfernte sich die Schuldbeladene, indem sie sich zitternd an den Wänden hinschob. Gratian stand als stummer Zeuge bei dieser häßlichen Scene. Er selbst hätte an des Vaters Stelle Justina mit einem Faustschlage zermalmt, aber Valentinian's Kälte imponirte ihm auch wieder. Er sah auf's neue, wie der Kaiser, der über kleine Reizungen oft maßlos zürnte, alsbald Kälte und Fassung gewann, sobald eine ernste Gefahr ihr Haupt erhob.

»Rufe den Velarius!« gebot Valentinian nunmehr seinem Sohne. »Ich werde diese Stube der Gräuel verschließen lassen für ewige Zeiten.« Als Gratian mit dem Beamten zurückkehrte, sagte Valentinian, auf die Leiche der alten Phorkyas deutend, mit majestätischer Gebärde: »Gerechte Strafe hat hier eine alte Sünderin ereilt; wirf ihre Leiche in den Rhenus. Diese Dinge hier verbrenne, ohne daß die Diener sie schauen. Das Kinderhaupt magst du im Garten begraben und sieh, wie du seinen Dämon sühnest. Du haftest mit deinem eigenen Kopfe für das strengste Geheinmiß.« Der Beamte verneigte sich und der Kaiser verließ mit dem Sohne das Gemach, um nach Rothari zu spähen. Seine Rechtlichkeit empörte sich gegen den Gedanken, so sehr in Nachtheil gerathen zu sein gegen einen Mann, den er haßte. Er wäre gern Rothari's ledig gewesen, aber daß Justina so schwer gegen den Germanen gefrevelt, band ihm nun wieder die Hände, denn es war eine der besten Seiten in des Kaisers Natur, daß er nur da wüthete, wo er selbst seine Härte für Gerechtigkeit halten konnte. Aber wenn er hier allen Verdacht, den er gegen Rothari hegte, in die Wagschale warf, sie schnellte in die Höhe vor dem Gewichte der Thaten, die sein Weib an diesem Manne verübt. Auch wenn die Gräuel, mit denen Justina sich besudelt, ihn nicht gegen das teuflische Weib empört hätten, sie hatte sein vermeintliches Recht an Rothari in Unrecht verwandelt und das konnte er selbst ihrer Schönheit nicht verzeih«.

Aber das Gewitter, das sich über dem Haupte der sündigen Justina aufgethürmt hatte, kam nicht zur Entladung. Die Vorsehung, die oft lange Rechnungen auflaufen läßt, ehe sie die Schulden eintreibt, hatte auch Justina einer späteren Abrechnung aufbewahrt. Für jetzt war über dem Wodanwalde eine andere Wolke aufgestiegen, die des Kaisers Gedanken von dem frevelnden Weibe abzog. Als Valentinian nach dem Hofe des Palastes hinabstieg, um eine scheinbar zufällige Begegnung mit Rothari herbeizuführen, sah er sich plötzlich umringt von einer Schaar unbewaffneter Alamannen, die in wilden Klagerufen sein Erbarmen anriefen. »Auch das noch«, murrte Valentinian und die Ader auf seiner Stirne schwoll und sein schielendes Auge schaute tückisch. »Unsere Söhne, Augustus«, riefen die Germanen. »Gib die Kinder, die Geiseln!« tönte es immer wieder aus dem Gewirre alamannischer Reden, die er nicht verstand. Hoch richtete der Gewaltige sich auf und winkte Ruhe. Da trat einer der wilden Gesellen hervor. Der Reif des Alters lag bereits auf seinen Haaren, kluge blaue Augen funkelten unter den buschigen rothen Brauen. Trotz des unscheinbaren Harnischs von Leder und des zerfetzten Mantels von Schaffellen gebot seine Haltung Ehrfurcht. Des Lateinischen war er mächtig, wie viele dieser Recken, die abwechselnd dem einen Cäsar als Söldnerführer gedient und dann wieder gegen den andern gefochten. »Du siehst uns hier, zehn Edelinge unseres Volks«, begann der graubärtige Held, »die wir bei Abschluß des Friedens dir unsere Söhne als Geiseln dafür gaben, daß die Alamannen den Frieden halten würden. Wir haben ihn gehalten. Geiseln von dir forderten wir nicht, da wir deine Angriffe nicht fürchten, aber wir dachten, du würdest auch selbst den Vertrag achten und nicht uns zwingen, zum Schwerte zu greifen. Bis zu den Bergen sollte das Land dein sein, von den Bergen an unser. Du aber bautest erst hölzerne Warten auf diesen Bergen und sagtest, du müssest die Ausgänge der Thäler hüten gegen die Grenzläufer, die auch ohne Auftrag des Volks deine Höfe plünderten. Wir ließen es hingehn, denn, dachten wir, ein hölzerner Thurm ist rasch verbrannt. Aus dem Holze ward bald Stein und nun hast du dort oben auf dem heiligen Berge, den ihr den Mons Piri nennt, ein Castell zu bauen begonnen. Unser König sagte dir, daß das den Krieg bedeute. Du aber fährst fort, dein Wort zu brechen. Du willst den Krieg. Ist es dein Wille, den Vertrag zu lösen, den du beschworst, so gib uns unsere Söhne wieder. Vertrauend auf deine Eide haben wir sie dir gegeben; daß du uns nöthigen würdest zu neuem Kampf, konnten wir nicht erwarten.« Ruhig und bescheiden hatte der Alte geredet, treuherzig fast, auf eine Loyalität bauend, wie sie der Alamanne gegen den Alamannen voraussetzt. Nun aber begannen die Andern wieder ihre Rufe: »Unsere Söhne!« »Meinen Knaben!« »Halte deine Eide, Augustus«, tönte es wild durcheinander.

Valentinian hatte mit finsterer Miene dem Sprecher der Barbaren zugehört. Daß die Sache sich genau so verhielt, wie der Germane sagte, konnte er durchaus nicht läugnen. Aber die Bedenken der Rechtlichkeit, die Valentinian einem Waffengefährten wie Rothari gegenüber fühlte, schwiegen hier gänzlich. Hier handelte es sich um Politik, um das Reich, um die Feinde Roms und wie er in ähnlichen Fällen sogar den Meuchelmord gut geheißen hatte, falls er das feindliche Volk damit tödtlich zu treffen meinte, so scheute er auch jetzt nicht vor treuloser Gewaltthat zurück. Je mehr er sich aber im Unrecht fühlte, um so zorniger brach er los. Statt auf die Bitte der Edelinge zu erwidern, schalt er auf die Treulosigkeit der Lentienser, die ihn am obern Rhenus zum Kriege genöthigt hätten. Den Geiseln wolle er nichts zu Leide thun, falls ihr Volk den Frieden halte, aber stärkere Garantieen brauche die Sicherheit des Reiches als die Hälse ihrer Söhne. Er müsse den Thalausgang des Nicer in seiner Hand haben, auch wenn es den Barbaren eines Tages gefalle, ihre Geiseln preiszugeben.« Die Gesandten verstanden von, dem Allem nur, daß der Cäsar ablehne. »Unsere Söhne gib uns, Meineidiger, unsere Kinder«, riefen sie in wildem Schmerze. Aber Valentinian blieb kalt und schüttelte zornig sein böses Haupt. Da brachen die Barbaren in ein so zügelloses Klagen aus, die Namen ihrer Kinder rufend und Roms Verrath verfluchend, daß die Wände des Palastes davon wiederhallten. Bittend neigte sich Gratian vor seinem finstern Vater und sprach: »Gib ihnen ihre Knaben und laß morgen das Spiel der Waffen beginnen.« Aber nur ein: »Schweige!« brüllte der Augustus ihm zu, daß der Jüngling bleich zurücktrat und traurig sich an einen Pfeiler lehnte. Die Alamannen aber stürzten unter lauten Weherufen zum Thore, den Tod ihrer Söhne bejammernd. Unter Flüchen und Verwünschungen warfen sie sich auf ihre sattellosen Pferde und jagten wild über die Ebene nach den Bergen, bis sie den Blicken der Römer entschwanden. Mürrisch, mit sich selbst und den Seinen zerfallen, zog sich Valentinian in seine Gemächer zurück, wohin er den Notar Syagrius entbot, der ihm diese Maßregel der Staatsklugheit hauptsächlich empfohlen hatte. Gratian schüttelte traurig sein Haupt. Ein Krieg, der mit einer solchen Handlung des Verraths begann, schien ihm wenig Gutes zu verheißen. Die Luft der Lüge und Gewaltthat in diesem Hause drückte seinen offenen und frommen Sinn. »Der Vater ist ein Anderer geworden in Justina's Armen«, seufzte er. »Es geht hier zu wie in der Burg des Juden Herodes.« So pfiff er seinen Hunden und stieg nach dem Ufer des Rhenus hinab, um auf der Jagd in dem Schilflande sich den Unmuth in seiner Weise zu vertreiben.

Auch eine andere Zeugin hatte diesem empörenden Schauspiele mit ähnlichen Gefühlen gelauscht wie der junge Augustus, die trauernde Jetta. Hinter den Vorhängen ihres Gemachs, das auf den Hof hinausging, war sie fast wider Willen gezwungen gewesen, die Verhandlungen der Germanen bei Valentinian mit anzuhören und die Abscheulichkeit des ganzen Vorgangs rüttelte sie zum ersten Male auf aus ihrer Agonie. »Nur fort aus dieser Burg der Lüge und des Verraths«, rief sie ihrem Vater zu, der vom Standlager herübergekommen war, um sie zu trösten. »Ich will nicht länger Justina's Brot essen, nicht vor diesem wortbrüchigen Tyrannen mich beugen. Ich will mich demüthigen vor meinem Gatten und so lang ihm zu Füßen liegen, bis er mir das Unheil vergibt, das ich über uns beide gebracht habe.« Der Greis zog seine Tochter an's Herz und nachdem sie sich ausgeweint, versprach er Jetta, sie nach der Villa am Mons Piri zurückzubringen, sobald er sich bei dem Augustus beurlaubt und in dem Namen der Tochter für eine Gastfreundschaft gedankt habe, die sie so theuer bezahlt hatte. Arator fand den Augustus in Berathung mit Syagrius. Er war offenbar in gedrückter, argwöhnischer Stimmung. »Auch ich will mich hinüberbegeben«, sagte er in seiner mürrischen Weise zu Arator, »und sehen, wie weit das Castell auf dem Berge gefördert ist und wie es aussieht in euerem Lager. Kommt es zum Kriege, so werde ich von Mogontiacum aus gegen die Ortschaften der Barbaren im Taunus vorbrechen und dadurch Macrian nöthigen, sich dorthin zu wenden. So lang müßt ihr ihren Ansturm aushalten. Unter euch selbst aber muß Eintracht und Frieden sein, wenn der Kampf glücklich enden soll. Um das Meine dabei zu thun, werde ich Justina mit hinübernehmen nach dem Zehnthof, damit sie deinem Eidam ihr Vergehen abbitte.« Arator verstand dieses Wort nur halb und er staunte, daß Valentinian Justina's Schuld an dem Tode des Kindes so unumwunden zugebe. Als der Comes schwieg, sagte Valentinian in scharfem Tone: »Rothari darf jetzt nicht fort in dem Augenblick, in dem der Krieg mit Macrian vor der Thüre steht. Er weiß zu viel von uns, als daß wir ihn in das Lager der Alamannen entlassen könnten. Halte ihn durch Güte oder ich halte ihn mit Gewalt. Ihr haftet mir beide«, sagte er zu Syagrius sich wendend, »für sein Verbleiben.« Der Notar neigte sein Haupt und es schien Arator, als ob der Gegner ein hämisches Lächeln unter seinem rothen Barte verberge.

Während diese Verhandlungen im Palatium zu Alta Ripa spielten, herrschte in Rothari's Blockhaus auf dem Bühle ein geschäftiges Leben. Umringt von Kisten, Säcken und Bündeln stand Lupicinus vor dem Hause und regierte mit jugendlichem Eifer die Knechte, denn er war geheißen worden, das gesammte Eigenthum seines Herrn nach dem Nicer hinabzuschaffen, wo etliche Kähne der Alamannen es aufnehmen würden. Der Herr, erzählte er den aufhorchenden Leibeigenen, verlasse den Dienst des Augustus und kehre in die Halle seiner Väter zurück.

»Und geht die Domina mit?« fragte ein feingliedriger kleiner Gallier.

»Das mag der heilige Bartholomäus wissen«, sagte Lupicinus. »Man sagt, sie habe selbst ihr Kind zu Tode gezaubert – oder war es Phorkyas, die jetzt den Rhenus hinabschwimmt, die alte Hexe – und der Herr habe im Zorne sein Weib verstoßen.«

»Es sieht ja hier aus, als ob ihr von hinnen weichen wolltet«, ertönte nun die wohlklingende Stimme eines jungen Mannes am Thore, »was sollen diese Rüstungen?« Lupicinus schaute auf und sah einen Alamannen in einfacher Tracht, der unter dem Mantel einen großen Pack trug, den er sorgsam hütete.

»Soll ich meinen Augen trauen oder nicht?« fragte Lupicinus, »aber wenn mich der Böse nicht äfft, so bist du Vulfilaich, des Herrn Bruder.«

»Der bin ich, guter Lupicinus, und ich suche Rothari.«

»Der Herr ist unten im Lager, wohin ihn Arator entbot im Namen des Kaisers.«

»Dann werde ich dort ihn suchen, denn sprechen muß ich ihn. Aber diese Last lasse ich hier. Hüte den Bündel wohl, es ist deinem Herrn viel daran gelegen.«

Lupicinus wollte ihm den Pack abnehmen und sagte: »Das sieht ja ganz wunderlich aus mit seinen Ecken und Spitzen;« aber Vulfilaich lieferte ihm den geheimnißvollen Gegenstand nicht aus. Selbst ging er nach dem Saale und setzte ihn dort auf den Tisch. »Nun«, begann Lupicinus, »du bist des Höhlenlebens müde, du frommer Mann, und trägst dich wieder wie unser Einer?«

Der schwache Schimmer eines Lächelns ging über das bleiche Antlitz des Mönches, dann sprach er: »Ich bin, der ich war, und mein Herr ist derselbe. Er hieß mich diesen Gang antreten, nun kehre ich zu meinem Orte zurück bis er mich wieder ruft.« Lupicinus hätte gern noch mehr erfahren, wo Vulfilaich gewesen und was er gebracht habe, aber inzwischen war der Wolf des Mönches ansichtig geworden und begann zu heulen, an seiner Kette zu zerren und sich so unsinnig zu gebärden, daß der Mönch rasch den Hof verließ. Auch ihm schien die Erinnerung an die letzte Begegnung mit diesem Thiere wenig erfreulich. Erst vor der Thüre wendete er sich nochmals zurück und rief: »Daß mir keiner den Pack öffne, den ich gebracht, es würde den Herrn sehr erzürnen.« Natürlich bedurfte es nur dieser Warnung, um sämmtliche Knechte nach dem Saale zu führen, wo Vulfilaich sich seiner Last entledigt hatte. Neugierig umstanden sie den seltsam geformten Bündel.

»Es ist ein Hirschgeweih«, sagte der Eine.

»Dazu ist es viel zu schwer«, erwiderte Lupicinus, indem er die Last in die Höhe nahm.

»Hm, schwer ist es nicht«, sagte ein Dritter, »aber es fühlt sich glatt an, wie ein Prunkgeräth.«

»Dann muß es geputzt werden«, meinte der Erste wieder.

»Wir sollen die Sachen einpacken«, entschied Lupicinus, den gleichfalls die Neugier plagte, »da muß ich wissen, ob das Ding noch ganz oder schon zerbrochen ist, damit nicht die Schuld auf uns falle. Gib mir dein Messer, Gallier!« So löste er die Hüllen und ein allgemeines Zeichen des Staunens und Entzückens brach aus dem Munde der Knechte, denn zum Vorschein kam ein getriebener goldener Helm mit schön gearbeiteten erhabenen Figuren und strahlend von Edelsteinen.

»Welche Rubine!« rief der Eine. »Diese Topase! Sieh den Smaragd und den Carneol!« »Aber da, das Band hängt herunter, der Stift ist ab«, sagte Lupicinus.

»Gut, daß wir ihn nicht so weiter gehen ließen, das Band wäre zu Grunde gegangen. Was die Figuren nur vorstellen?«

»Es ist die kluge Pallas, die den tobenden Ares bändigt«, sagte der Gallier, stolz auf sein höheres Wissen. Die Alamannen schauten ihn auch staunend an. »Das Bild will sagen«, fuhr der beredte Sklave fort, »die wilde Kraft der Barbaren kann nur bezwungen werden durch höhere Kriegskunst, durch die besonnene Strategie der schlachtendenkenden Pallas. Ueber beiden aber stehet das Schicksal, dessen Hand hier aus den Wolken greift.«

»Du bist ein kluger, alter Knabe«, sagte Lupicinus wohlwollend zu dem Gallier. »Mich wundert, daß der Herr dich nicht zu seinem Notare macht. Aber er haßt die Bücher.« Der Gallier seufzte. »Rasch, rasch«, sagte Lupicinus. »Der Herr kommt.« Er wollte geschwind den Helm wieder einpacken, aber der Wolf auf dem Hofe ward laut und man rief nach dem Schaffner. Lupicinus schob darum für jetzt die Hüllen an die Erde, deckte ein Tuch über den glänzenden Goldhelm und ging mit den Knechten nach dem Hofe, wo sie Rothari trafen. Diesem erstattete Lupicinus seinen Rapport und Rothari erwiderte, die Reise sei um zwei Tage verschoben, doch bleibe alles zum Aufbruch gerüstet.

Der Held schien zerstreut und verstimmt. Es war offenbar, daß der Aufschub ihn keineswegs freute. Rothari hatte eine lange Unterredung mit Arator gehabt, die zunächst Jetta betraf. Mild, aber in festem Tone, trug er dem Vater seine Klagen gegen Jetta vor, ihre dunkeln Künste, die Entführung des Kindes, die Blendung ihres Gatten und ihre Schuld an dem Tode des Knaben. Arator hatte dem nichts entgegenzusetzen. Um geringeren Anlasses willen schieden sich vornehme Römer von ihren Weibern und Rothari konnte Jetta strenger Strafe überantworten, wenn man ihn reizte. Auch war der Comes zu stolz, seine Tochter dem Barbaren aufzudrängen. Innerlich freilich traf ihn Rothari's Härte tief, denn er wußte, daß dieser Schlag die gebeugte Gattin, die einsam drüben bei dem Marmorbrunnen seiner Villa saß, vollends niederwerfen werde. Die Worte Rothari's schienen ihm aber nicht unwiderruflich. Wenn es Valentinian gelang, den Alamannen festzuhalten, so war die Versöhnung der Gatten doch nur eine Frage der Zeit. Es lag so viel Erbarmen, so viel Schmerz in Rothari's schlichten Worten, daß Arator die Hoffnung für sein Kind nicht aufgab. Es galt nur Rothari's Reise hinauszuschieben. So rückte er denn mit der Forderung des Augustus heraus, Rothari dürfe jetzt bei Ausbruch des Krieges nicht das Heer verlassen. Aber Rothari fragte stolz, wer ihn daran hindern wolle? Die Augusta habe an seinem Kinde gefrevelt, schlimmer als Arator wisse und er ihm enthüllen wolle, Valentinian habe ihn schwer gekränkt, zwei Mal habe ein verkappter Meuchler auf ihn geschossen und kein Vertrag binde ihn an Rom. Arator freilich widersprach und Rothari wollte ihm den letzten und schrecklichsten Grund, der ihn vom Hofe schied, nicht nennen. Durch ihn sollte Jetta das Grauenvolle nicht erfahren und in der Leiche seines Kindes fühlte er sich selbst geschändet. Zudem, wenn Justina läugnete, wie sollte er ihr Verbrechen beweisen? Die einzige Zeugin war stumm wie die Fische, die ihre Leiche auf dem Grunde des Rhenus beschnupperten, wo sie die Strudel hin und wieder wogten. Als Arator sah, daß er Rothari zum Bleiben nicht bestimmen könne, verlangte er einen heiligen Eid, geleistet vor den Führern des Heeres, daß Rothari nicht gegen Rom fechten werde. Dieser erklärte, daß er sich an dem Kriege betheiligen wolle, den die Alamannen an ihrer Nordgrenze gegen die Burgundionen führten, wegen der Salzquellen, die beide Völker sich bestritten.Die Salzquellen von Schwäbisch Hall im Kocherthale. Der weiland römische Pfahlgraben schied damals Burgundionen und Alamannen in diesen Gegenden.

Er sei bereit, drei Jahre keine Waffen gegen Rom zu tragen. In jeder Form, die Valentinian gefällig sei, wolle er dieses Gelöbniß bekräftigen. Damit schied er von Arator ohne Gruß für Jetta. Aber in seinem Innern war er so einig nicht mit sich, wie er äußerlich schien. Sein Herz hing noch immer mit einem starken Faden an der Frau, in deren Armen er die höchste Seligkeit der Erde genossen, deren tiefer Blick ihn auch jetzt noch verfolgte wie ein geheinmißvolles Räthsel, deren Anmuth und Majestät er nie tiefer empfand als in dem Augenblicke, in dem er nach den rauchigen Hütten seines Volkes sich zurückwendete, nach denen nie eine Grazie und keine von allen neun Musen sich jemals verirrt hatte. Aber Jetta zu den Alamannen nehmen? – Was sollte sie dort? Ihm zum zweiten Mal das Leben verderben? »Man führt nicht dieselbe Tragödie zwei Mal auf«, seufzte er. »Diese römische Welt gleicht einem glänzenden Theater, in dem man ein abscheuliches Stück spielt. Unsere Höfe aber sind überhaupt keine Bühne. Wie würde sie sich dort allein fühlen, sie, die Tag für Tag der Zuhörer, Zuschauer und des Applauses bedarf.« Das Alles war ihm völlig klar, aber er seufzte.

Kurz nachdem Rothari das Lager verlassen, traf der Kaiser dort ein. Er hatte mit Syagrius das Castell auf dem Berge besichtigt und war mit dem Stande der Arbeit zufrieden. Da alle Steine und Quadern in langer Vorbereitung zurecht gehauen waren, konnte das ganze Werk in wenig Wochen vollendet stehn. Valentinian lobte Syagrius' Leistung und kehrte zu den Befestigungen am Nicer zurück. An der Porta Decumana kam ihm Arator entgegen, um ihm über Rothari's Pläne zu berichten. Aber der Kaiser schüttelte das Haupt noch ehe Arator geendet. »Der Alamanne bleibt, und da ich nun doch einmal hier bin, werde ich selbst mit ihm reden.« Sofort saß er im Sattel und ritt allein hinüber nach dem Bühle. Zu dem, was er mit Rothari zu verhandeln hatte, brauchte er keinen Zeugen. Die Strafe für Justina's Verbrechen, die er nicht fand, sollte Rothari selbst bestimmen und indem er Justina züchtigte, verhinderte er Rothari's Entweichen. Das Alles war nur die kalte Berechnung eines Tyrannen, dem im Grunde doch nichts wichtig erscheint, als seine Herrschaft, aber er selbst war geneigt, sich diesen Schritt als Großmuth anzurechnen. Konnte er doch Rothari nach Spanien schicken, wie es in ähnlicher Lage Julian mit Rothari's Vater Vadomar gemacht. Er konnte ihn niederstoßen lassen, wie Constantin unbequeme Feldherren zu beseitigen pflegte. Statt dessen bot er ihm Sühne. Aber es war nicht nur Großmuth, die ihn so handeln hieß. Von allen jenen starken Mitteln fürchtete er einen schlechten Eindruck auf die Germanen im Heere. Sollten sie sagen: Justina tödtete Rothari's Kind, zerriß seine Ehe, versuchte ihn zu morden und nach dem Allem schickt ihn der Kaiser in das Exil oder in den Tod? Das sah häßlich aus und mußte die germanischen Hülfsvölker erbittern. Es war freilich ein saurer Gang für den gewaltigen Imperator und seine Züge wurden düsterer je näher er dem Hause des Alamannen kam.

Dieser hatte inzwischen seinen Saal betreten, wo er in ernste Gedanken versunken zwischen den aufgestellten Kisten und Körben hin und wieder ging. Noch einmal betrachtete er den verödeten Schauplatz seines geschwundenen Glücks, den die Abendsonne durch die kleinen Fenster mit ihren goldenen Strahlen überglänzte. Der Kampf, ob er sich von Jetta scheiden könne, begann auf's neue. Wenn er nun in einem andern Theile des Reiches Kriegsdienste nähme, dachte er. Dort würde Jetta in ihren Lebensgewohnheiten bleiben und die Trennung wäre ihnen beiden erspart. Aber würden sie glücklicher sein bei einem zweiten Versuche? »Nein, nein, nein!« rief er endlich. »Soll ich der kaiserlichen Furie dienen, die mein Kind geschändet? Meine Rache habe ich der Bundestreue und Gratian geopfert, aber soll ich erst noch warten bis ein dritter Pfeil dies Herz traf, das die Mörder zwei Mal verfehlten? Soll ich noch neue Gräuel kennen lernen zu denen, die ich gestern geschaut? Fluch auf dieses treulose, meineidige Geschlecht! Ich will heimkehren zu meinem Volke!« und er schlug mit mächtiger Hand auf den Tisch, so daß das Tuch von dem Goldhelme niedersank.

Wie rothes Feuer sah er es plötzlich aufleuchten vor seinen Augen. Die blanke Kuppel des Helms schoß helle Strahlenbüschel durch den dämmerigen Saal. Die Edelsteine funkelten wie rothe und grüne Sterne, die niedersinkende Sonne spiegelte sich in dem gleißenden Golde und die sonst so dunkle Stube des Alamannen erstrahlte in wunderbarem, magischem Lichte. Geblendet stand Rothari vor diesem Anblick. War das ein Zeichen? Stolz nahm er den Helm: »Dich wollte ich dem meineidigen Augustus zurückstellen, der vielleicht morgen schon zehn junge Edle meines Stammes schlachtet, nachdem er uns die Treue gebrochen. Nein, nun werde ich ihn tragen. Freue dich, Valentinian, wenn ich in drei Jahren mit dir fechten darf, dann sollst du mich schauen in deinem eigenen Schmuck und dann weh dir, meineidiger Kaiser!« Er setzte den Helm sich auf und ging in demselben stolz im Saale hin und wieder. Es war, als ob eine lodernde Gloriole das furchtbare Haupt des Recken umgebe, so zückten die Lichtstrahlen feurig nach allen Seiten. Dieses Spieles endlich müde, wollte Rothari das Band befestigen, das auf der einen Seite herabhing. Als er damit nicht zum Ziele kam, rief er den Schaffner. Lupicinus nahm den Zierrath auseinander und während er den Stift festdrehte, sagte er: »Der Augustus sah so seltsam aus, als er ging und blieb so kurz?«

»Wo?« fragte Rothari.

Der Schaffner sah ihn betroffen an. »Wo sahst du Valentinian?« wiederholte der Germane.

»Nun, er kam hier die Treppe herunter, nachdem er kaum am Thore gefragt hatte, ob du drinnen seist?«

»Valentinian war hier?« fragte Rothari ungläubig. »Ich hielt selbst sein Pferd, aber nach wenigen Augenblicken kam er zurück. Er schien zornig zu sein und vor dem schielenden Blicke, mit dem er mich anstierte, wich mir alles Blut zum Herzen. Er aber sprang auf sein Pferd und ritt wie rasend den Berg hinunter.« Rothari schwieg. Der Kaiser vor seiner Thüre ohne einzutreten, das bedeutete nichts Gutes. Sollte er ihn im Helme belauscht, den Helm als den seinen erkannt haben? Wohl möglich. Dann, Rothari, hüte dich vor deines Kaisers Rache! Aber war es auch glaublich? Möglicher Weise hatte es den launischen Tyrannen gereut, daß er den ersten Schritt der Versöhnung thun wollte. Sicher, daß der Jähzornige sich nicht so ruhig wieder entfernt hätte, wenn er Rothari in seinem Goldschmuck überraschte. Daß er ihn dann hinterrücks niedergestochen, wäre viel wahrscheinlicher. Einen Augenblick dachte Rothari daran, ob er ihm den Helm nicht schicken solle? »Nein, das wäre feig. Noch gestern konntest du das, heute wäre es gegen deine Ehre ... Aber Vorsicht, die Augen offen!« Am folgenden Morgen erschien Arator wieder. Der ehrwürdige Greis war noch ernster als sonst, als er Rothari den Bescheid des Kaisers bestellte. Valentinian zürne, sagte er, daß Rothari den Frieden seines Palastes durch eigenmächtige Bestrafung der Phorkyas gebrochen und seine Gattin beleidigt habe. Auch seinen Eiden, die Waffen drei Jahre nicht gegen Rom zu erheben, lege er geringe Bedeutung bei. Nur mit Mühe habe er den Augustus zu einem Vergleiche bestimmt. Rothari solle durch die Bluttaufe der Taurobolien sich entsühnen von der Blutschuld, die er auf sich geladen und in der Grotte mit dem Empfang der letzten Weihen den Friedenseid leisten. »Du weißt, daß morgen die großen Feste des aus dem Steine Gebornen beginnen. Dort sollst du dich durch hohen Schwur und Handschlag binden und in heilige Gluth Trankopfer gießen unter Fluchbetheuerung.«

Rothari schaute Arator fest in die Augen. Die Falle schien ihm so plump, daß er nur Hohn für diese Menschen empfand. Aber Arator hielt offenen Blicks das prüfende Auge des Germanen aus. »Er wenigstens scheint nichts Arges im Schilde zu führen«, dachte Rothari. »Aber, daß ich die Grotte nicht lebendig verließe, ist sicher.« »Setzen wir List gegen List«, war dann seine weitere Erwägung. »Ich unterziehe mich den Taurobolien und sind sie dann sicher gemacht, so reite ich vor den Mithräen heimlich von dannen. Mein Versprechen halte ich deßhalb doch, ob ich es Arator allein in meinem Hause gelobte oder ihnen allen in den Schrecken der Grotte.« Ohne eine bestimmte Zusage zu geben, fragte er deßhalb: »Wo sollen die Taurobolien begangen werden?«

»Am Steine des Giganten«, erwiderte Arator.

»Und wer wird mir zur Seite stehen?«

»Wähle selbst deine Begleiter.«

Rothari besann sich eine Weile, dann sagte er: »Gratian und dich.«

»Ich leite das Opfer als Pontifex«, erwiderte Arator.

»So schlage mir einen Begleiter vor«, sagte Rothari.

»Ist mein Neffe Nasica dir recht?«

»Der ist treulos«, dachte Rothari, »aber ein Schwächling. Er wird nichts wagen.« Um also Arator nicht zu kränken, stimmte er bei. Beide kamen nun überein, daß an diesem Abende der Akt der Entsühnung, in der folgenden Nacht das Gelöbniß in der Grotte vor sich gehen solle. Sobald der Comes sich entfernt hatte, befahl Rothari den Sklaven, sein Eigenthum, den Goldhelm inbegriffen, nach dem Nicer hinabzubringen und auf den bereitliegenden Kähnen einzuschiffen. Er selbst gab in den Wirthschaftsräumen noch Weisungen, wie es mit Pferden und Thieren zu halten sei. Alles bleibe zu Jetta's Verfügung, auf deren Grund und Boden er das Haus gebaut. Das Wohnhaus werde er abschließen und Jetta die Schlüssel ausliefern. Am Mittage kehrte Lupicinus vom Nicer zurück. Niemand hatte sich der Einschiffung der Güter widersetzt, die beim Takte der Ruder langsam aber sicher den Nicer aufwärts schwammen und jetzt vielleicht schon außer dem Machtbereiche des Kaisers waren. Rothari sah darin ein gutes Zeichen. Vielleicht hatte er doch Valentinian mit seinem Argwohn zu viel gethan.

Das Haus war nun bestellt und nur den Schlüssel mußte er noch verwahren. Sobald die Diener sich entfernt hatten, löste Rothari den Wolf von seiner Kette, der mit fröhlichen Sätzen den Herrn umsprang. Der Alamanne liebkoste ihn und nahm ihn mit in den Saal, dessen Fenster er von innen verwahrte. Dann verriegelte und verschloß er die Thüre und zeigte dem Wolfe den Schlüssel. »Hüte, Wolf, hüte«, sagte er zu dem Thiere, das zornig knurrte. Dann schritt er mit dem Getreuen dem Walde zu, den Schlüssel stets vor ihm her in der Hand tragend. An dem Waldteiche, wo er mit Jetta so oft gewesen, machte er Halt. Wehmüthig ließ er sein Auge hinschweifen über die stille Stätte eines versunkenen Glücks. Dann nahm er vor einem Moospolster, auf dem er oft mit Jetta gesessen, eine große Steinplatte hinweg. »Hüte, Wolf, hüte«, sprach er wieder und brachte den Schlüssel an den Platz, worauf er die Steinplatte darüber legte. Der Wolf aber knurrte, als werde er jeden zerreißen, der auch nur zu nahen sich erfreche. »Leg dich, hüte«, befahl Rothari wiederum, worauf das gewaltige Thier sich gehorsam auf der Platte niederwarf. Nach einer Weile ertönte vom Waldesrande ein Pfiff, worauf der Wolf in großen Sätzen dahinschoß, bis er seinen Herrn eingeholt hatte. Als er den Bühl wieder erreicht, setzte sich Rothari, von all der Arbeit und all dem Leide müde, still vor sein Haus, Gratian und Nasica erwartend, die ihn der Abrede gemäß zu dem Opfer abzuholen hatten. Im innersten Gemüthe war ihm noch immer, als ob sich irgend etwas ereignen müsse, was ihm Jetta wiederum zuführe. Diese unklare Hoffnung hielt ihn fast mehr als sein Wort, das ihn an diese Wortbrüchigen nur locker band. Vielleicht war es unklug, nicht sofort zu fliehen. Aber was konnte ihm bei einem Opfer zustoßen, bei dem Arator und Gratian ihm zur Seite standen? Und so seltsam es war, auch das mystische Verlangen, zum Abschluß seines Lebens in der Fremde jene höchste und wirksamste Sühne zu empfangen, wirkten auf seinen frommen Sinn. Ja selbst die letzte Weihe der Grotte hätte er sich gern ertheilen lassen, wäre er sicher gewesen, wieder zum Tageslichte zurückzukehren, falls er sie betrat. Aber in den Prüfungen der Mysterien konnten ihn weder Arator noch Gratian beschützen; die Schwerter, mit denen man dort den Muth erprobte, waren scharf und niemand konnte dafür einstehn, wer sie führe.


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