Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Sie fanden ihn tot mit einer Hure, der Blut und Schminke das Gesicht verklebten. Der Arzt der Rettungsmannschaft wartete, die Kappe in der Hand.

Philipp Emanuel schob die Brauen hoch: »Man bringe dieses unbekannte Weib fort! Sie hat nichts mit meinem Sohne zu schaffen.«

Alle sprachen jetzt auf ihn ein, der keine Frage hatte, erzählten, wie Heinz Williguth mit jener Frau im dicken Nebel von der Straßenbahn niedergestoßen worden sei, überboten sich in Bedauern und Teilnahme, flüsterten den Namen eines schielenden Gäßchens und blickten sich bedeutsam an, weil der Geheimrat hochmütig schwieg und nur einmal mit dem Fuß nach der weiblichen Leiche stieß, als wollte er sie von seinem Sohne trennen. Es war aber zugleich Zorn gegen den Toten, daß er ihm diese letzte Schmach angetan und daß ein Williguth das Leben von sich geworfen hatte.

Langsam, wie im Streit mit sich selbst, sagte er dann: »Ich möchte allein sein.«

Als auch Schückedanz gehen wollte, hielt er ihn plötzlich fest, mit einer schmerzlichen, bittenden Bewegung, saß alt und kummervoll vor dem Toten, frei von allem Stolz, hatte aber selbst jetzt keine Tränen. Nach einer Weile hob er den Kopf, wieder das Leuchten in den grauen Augen.

»Er war ein schöner Träumer zwischen Schlaf und Wachen.«

Und er nickte, weil er diesem Schicksal einen Namen gegeben und es jetzt als harte Notwendigkeit hinnahm.

Dann brachte er Heinz Williguth heim und tat alle Schritte, welche dies Ereignis erforderlich machte, stand lange Hand in Hand mit Flora Schirlitz und sagte endlich in verkniffenem Gram: »Ja, er hat nimmer zu uns heimgefunden.«

Erschrocken blickte die alte Frau auf ihre Finger, an denen Philipp Emanuels Tränen hingen.

Sie wuschen und kleideten den Toten, und Simon Gottesdank wischte über die Lackschuhe und rieb sie blank. Dann legte er in steifer, gewohnheitsmäßiger Hantierung Pelz und Hut zurecht, wie an den vielen Abenden, da Heinz Williguth lachend oder zornig aus seines Vaters Haus gelaufen war.

Und plötzlich sahen sie einander an, in einem starren Grauen, als wüßten sie erst, daß ein Toter vor ihnen lag.

Als der Geheimrat später durch die nebelerfüllte Allee fuhr, kam aus dem verstummten dunklen Hause das langgezogene Geheul Boabdils, der sich vor dem Tode in einen Winkel verkrochen hatte.

 

In die dämmerige Stille des kleinen lavendelblauen Teezimmers polterte Miriams Zorn. Kurze, schnelle Schreie, dann rollendes Pathos, das mit geballten Fäusten die Worte von sich stieß.

»Seid ihr denn ganz verrückt mit Renate? Aber sie ist mein Kind, und ich will nicht, heute nicht, und morgen nicht, und niemals!«

Nikolaus Forcade saß mit seltsam vergnügtem Lächeln, strich bedächtig den Bart und gab keine Antwort.

Wieder stemmte Miriam Italiener aus der engen, schwarzen Judengasse die Arme in die Hüften und schrie wie ein Marktweib: »Ich prügle sie tot, wenn sie zum Theater läuft!«

Hochaufgerichtet stand sie, das Kinn vorgeschoben, daß die Backenknochen breit aufsprangen. Sie ballte die Hände und öffnete sie wieder. In ihren Augen war der Haß.

Forcade duckte sich unter diesem Blick.

Da glitt ein schmales Lächeln um ihren gewalttätigen Mund. Und sie nickte beinahe lustig mitten in ihrem Zorn, legte aber gleich wieder trotzig den Kopf zurück, als jetzt Philipp Emanuel ins Zimmer trat und ohne Gruß von einem zum andern blickte.

Mißtrauisch krallte sie die Finger in seinen Arm: »Hat etwa Renate auch dir den Kopf verdreht?«

Er starrte geradeaus und schüttelte unwillig den Kopf.

Hochmütig warf Miriam die Hand durch die Luft: »Siehst du, Forcade, er denkt wie ich.«

Schwer und zögernd setzte der Geheimrat Wort an Wort:

»Mir scheinen diese Dinge von geringerer Bedeutung.«

Und beinahe verwundert sah er in die hurtige Leidenschaft dieser zwei Menschen, die um das Schicksal ihres Kindes stritten. Wie einer, der keine Zeit mehr hat, Gleiches zu tun.

Da schrie die Gräfin Forcade: »Würdest du vor deinem Sohn zu Kreuz kriechen, Philipp Emanuel?«

Er kreuzte die Arme und senkte den Kopf: »Mein Sohn ist nicht mehr.«

»Was ist er nicht?« schrillte Miriam in bissiger Schärfe, als witterte sie neuen Ärger, »was soll das wieder heißen?«

Der Graf aber beugte sich vor und tat einen einzigen Blick in Philipp Emanuels Augen. Stumm hob er dann die Hand.

Da stand die Wahrheit hart und kalt mitten unter ihnen.

Drohend warteten die grauen Augen Philipp Emanuels.

Als aber der zornige Schmerz Miriams ihm die Worte ins Gesicht schleuderte: »Du bist schuld, du ganz allein!« wehrte er sich nicht, wandte nur langsam den Kopf zu Nikolaus Forcade, mit einer geduckten, fast ängstlichen Bewegung.

»Willst nicht du es Jakobe sagen?«

Dann saßen sie einander gegenüber, Miriam Forcade und Geheimrat Williguth, und verdrossenes Alter war in ihrem Schweigen.

Plötzlich streckte er bittend die Hände aus: »Hast du noch den Mut, Renate zu zwingen?«

 

Wieder kamen die Williguths, würdig und ernst, ohne Tränen, in einem steifen, beherrschten Leid, als wollten sie ihre starken Leiber um den Toten stellen und jede fremde Neugier fernhalten. Stumm schüttelten sie sich die Hände und bildeten einen Kreis in dem verhängten Zimmer, wo Heinz Williguth zwischen Blumen und Lichtern lag. Sie küßten Witte und Elias und strichen mit ungelenken Fingern über die Kinderköpfe. Kein Vorwurf und keine Frage wurde laut, aber auch kein verzweifeltes Schluchzen, nur die blauen und grauen Augen sahen manchmal in ungläubiger Verwunderung aufwärts, als wäre ihnen allen bitter unrecht geschehen. Jakobe wichen sie aus, weil sie, verwirrt und absonderlich, wie die Dinge einmal lagen, mit ihrem willenlosen Schmerz nichts anzufangen wußten, blickten aber strenge und unwillig, wenn die Witwe die Knaben heftig an sich riß, und nur die Furcht vor dem Geheimrat verbot das harte Wort, das ihnen auf den Lippen saß. Witte und Elias waren doch Williguths und gehörten der Familie. Bedeutsam nickten sie sich zu und legten schweigend Beschlag auf Philipp Emanuels Enkel. Und wieder standen sie in zornigem Erstaunen, daß Schlimmeres als Krankheit und Tod einen aus ihrem Kreise gerissen hatte, ihre plumpen Hände zogen wie zum Hohn die große, ein wenig gewaltsame Gebärde aller Williguths, wenn sie den Menschen Grenzen absteckten und mit dem Herrgott nicht einer Meinung waren.

Die beiden Uralten hielten allein die Leichenwacht, saßen schwer und traurig um den Sarg und blickten aus trüben Greisenaugen auf das scharfe, wachsbleiche junge Gesicht von Heinz Williguth, der ihnen sein ganzes Leben lang fremd und unverständlich erschienen war, unstet und ohne festgegründete Sicherheit.

Apollonia legte die breiten, raschelnden Kranzschleifen glatt und putzte sorgsam die Lichter, Johann Sebastian sah mit kindischer Verwunderung, daß die Haare am Kinn des Toten noch wuchsen, als wäre noch nicht alles Leben zu Ende. Er reckte sich hoch in seinem ungebrochenen Alter und faltete andächtig die Hände.

Als nun der Adjutant des Prinzen Elias einen Kranz niederlegte und Apollonia laut und bedächtig die Inschrift vorlas, riß Johann Sebastian die Schleife ab und warf sie zu Boden.

»Genug der Lüge!«

Er wies zur Tür und stampfte zornig auf. Gotteslästerung dünkten ihm die gutgemeinten Worte, die seinem Enkel eine fromme Lüge ins Grab mitgeben wollten.

Dann kam die Nacht.

Der Geheimrat saß zwischen seinen Eltern, die seine Hände hielten und in karger Zärtlichkeit streichelten.

Apollonia hob den Daumen und zeigte grämlich nach dem Toten: »Warum nur?«

Und da gab Philipp Emanuel preis, was er in trotziger Eigenherrlichkeit vor aller Welt verschwieg, daß er längst die Rechnung seines Sohnes abgeschlossen und an kein Besserwerden geglaubt hatte, so daß der Tod als schneller und fast willkommener Löser verwirrter Dinge vor seinem Herzen stand. »Heinz war nicht stark genug zum Leben.«

Das blieb seine einzige Rechtfertigung.

Die beiden Alten aber begannen leise und tastend von Witte und Elias zu sprechen, als suchten sie die Brücke zu einem helleren Ufer.

 

Dicht hing der Nebel um Heinz Williguths Grab, wurden selten weniger Tränen vergossen, und war doch ein echter Schmerz.

Aurelius Schückedanz allein weinte.

Der Geheimrat gab ihm stumm die Hand, und so standen sie wie zwei, die allein um eine verborgene Wahrheit wissen.

Schückedanz blickte mitleidig in Philipp Emanuels kalte graue Augen: »Nun kann ich doch nicht fort!«

»Bedenken Sie alles in Gelassenheit, da Sie doch selbst ein Haus gründen wollen, und es heißt, Geheimrat Williguth habe grobe Fäuste.«

»Ich bleibe.«

Da warf Philipp Emanuel den Kopf zurück: »Und wie immer, so fortan.«

Die ersten Schollen polterten ins Grab.

 

Miriam Forcade stand vor dem Spiegel und ordnete ärgerlich die Falten ihres Trauerschleiers. Hart und eckig war ihr Mund: »Ich fürchte, daß ich alt werde.«

Nikolaus Forcade legte langsam Scheite in den Kamin. Knisternd brannte das Holz an.

»Willst du wieder zu uns zurück, Jakobe?«

Der Geheimrat straffte den Leib und hatte ein drohendes Funkeln in den Augen.

Forcades Stimme wurde scharf und zornig: »Jetzt möchtest du das Spielzeug streicheln, das du selbst zerbrochen hast.«

Philipp Emanuel stand mit hängenden Armen und wartete.

Jakobe blickte sich um, zögernd und suchend, in einer stillen Gefaßtheit, in der viel Staunen lag. Dann schob sie die Finger unter Philipp Emanuels Arm: »Sei nicht böse, Papa, ich muß hier bleiben.«

Ein ganz schmales Lächeln ging um des Geheimrats Lippen.

 


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