Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Seine harte Männlichkeit schien dann weicher, gleichsam gebändigt. Scheu und schnell blickte Jakobe nach der Tür des grünen Zimmers. Der Kerzenschein tanzte auf der dunklen Holzschnitzerei der Galerie, warf zuckende Schatten über die alten Bilder im Korridor und schuf eine geheimnisvolle Unsicherheit von Hell und Dunkel mitten in dem stillen, schlafenden Haus.

»Du bist schön, Jakobe,« murmelte Philipp Emanuel. »Und jetzt muß der alte Papa wohl gute Nacht sagen?«

Die grauen Augen waren hell und jung. Er legte den Kopf in den Nacken: »Hast du etwas dagegen, wenn ich noch eine Tasse Tee bei dir trinke? Schirlitz, drücken Sie ein Auge zu, Sie fromme Seele!«

»Aber bitte, Papa.« Verwirrt öffnete sie die Tür zu ihrem Sitzzimmer und drehte das Licht an.

»Also Tee, Schirlitzchen, hierher.«

Vergnügt hielt er in dem kleinen, lila und weiß gehaltenen Raum Umschau: »Mein Herr Sohn hat's gut.«

Er dehnte die starken Arme.

Jakobe senkte schnell den Kopf, klapperte mit den Löffeln und schwieg. Dann kam der Tee.

Philipp Emanuel stellt die Brauen steil. Sein Blick war jetzt scharf und streng.

»Vertragt ihr euch nicht?« fragte er kurz. Und als keine Antwort kam, sagte er geduldig, mit schulmeisterlichem Nachdruck: »Ja, siehst du, Jakobe, ihr Frauen habt doch so viele kleine Mittel. Weißt du sie auch zu brauchen? – Noch ein Stück Zucker, wenn ich bitten darf, liebes Kind.«

Mit der Tasse stand er am Ofen und strich die feingliedrige Hand über das volle dunkle Haar. »Wenn er gerne mit dir da drüben Musik treiben will, warum tut er es dann nicht?«

»Du magst es ja nicht.«

»Ich? Muß er mich denn fragen?«

Jakobe beugte sich vor und sah aus weit offenen Augen auf den Geheimrat.

»Ein Williguth tut, was er will. Hab' es auch so gehalten, selbst wider Johann Sebastian im ›Blauen Herrgott‹. Da wollte ich nach Paris und hatte keinen Pfennig. Und Vater gab mir nichts. Paris, das schien ihm sündhaft und aller schlimmen Lockungen voll. Nach Herrnskretschen sollte ich, als Dorfarzt. Da packte ich Mutters perlengestickten Fußschemel und schwang ihn wider Johann Sebastian Williguth. Auftrumpfen muß man uns, hörst du, Jakobe?«

Wie ein Spieler die offenen Karten hinwirft, weil er seine Stärke kennt. Wieder fühlte Jakobe die bange Unwirklichkeit rundum, das Maskentragen voreinander und vor sich selbst »Vergiß nicht, Kind, daß ich den Fußschemel wider Johann Sebastian schwang, und es war nicht zum Scherz.« Mit der Tasse zog er einen Bogen durch die Luft, mit genau derselben Bewegung, die Meister Williguth hatte, als er sein Geschenk überreichte. Die grauen Augen zwinkerten vertraulich.

Da nahm Jakobe allen Mut zusammen: »Was soll ich tun, Papa?« Weiter kam sie nicht. Philipp Emanuel setzte hart die Tasse hin: »Bitte noch etwas Tee. Was hörst du von deiner Mutter?«

»Papa erzählte, daß für Ende April ein Gastspiel in Brüssel geplant ist. Im Juni singt Mama wieder in Convent-Garden.«

»Ja, die Miriam! Da erntet der Lewis wieder einen Haufen Geld.« Und er zeigte die starken gelben Zähne. Sein Blick streifte beinahe mitleidig die Schwiegertochter. »Ja, die Miriam,« wiederholte er bewundernd. Er hielt die Fäuste vor sich hin, als müßte er alles Schwache dazwischen erdrücken. Dann lächelte er. »Na ja, Frauchen! Jeder ist anders. Mir bist du recht, wie du bist. Hell und fein und schlank. Und jetzt endlich gute Nacht! Da schwatzt man und glaubt, alles mit Worten einrenken zu können, und ist doch nur ein Pfuscher vor dem lieben Herrgott, oder wie man das Ding schon nennen will.«

Ganz wie sein Vater Johann Sebastian sprach er jetzt, die großen Augen schimmerten schier schwärmerisch wie einst die Augen der Williguths, die Pfeifer und Spielleute und bibelfeste Bauern in Thüringen und im Niedersächsischen waren, bieder, gierig, weitverzweigt, mit starken Ellenbogen, eisenhart in ihrer Zusammengehörigkeit. Mit genau denselben Augen bewachte der Seydlitzkürassier Johann Ambrosius seit heute den Schlaf des kleinen Elias Williguth.

Gott sei Dank, da bin ich endlich wieder, mein Herzblatt!«

Wie ein Hornruf klang es, und mit königlicher Gebärde zog die Gräfin Forcade ihre Tochter ans Herz. Nur den Riesenhut mit dem mächtigen Reiherstoß brachte sie schnell durch eine kurze Kopfbewegung in Sicherheit. Und ihre linke Hand raffte vorsichtig die schillernde violette Seide über dem nicht allzukleinen Fuß. Sonst aber tauchte die große Sängerin ganz in Mütterlichkeit unter. Jeder Atemzug warf die schweren Brüste auf und nieder, und die schwarzen Augen flackerten. Der rote breite Mund mit der knappen Oberlippe, die gerne über den starken Zähnen hoch sprang, hielt nicht still. Miriam Forcade hatte stets das erste und das letzte Wort.

Erregt, mit großen, runden Theatergesten schritt sie durch das Speisezimmer, in dem eine warme Maisonne Goldfäden über die dunkle Eichentäfelung spann und blitzende siebenfarbige Steinchen in das Glaswerk des venezianischen Lüsters hängte. Auf dem dunkelblauen Teppich lagen wie schimmernde Honigwaben die hellen Vierecke, die die Sonne aus den Fenstern schnitt.

»Ich bin gerädert, Jakobe. Futschikato, hin, hin! Dieser erbärmliche Schlafwagen! Man sollte die Kerle ersäufen. Also, ich sage dir nur, die Aida in Brüssel, na, die schmiß ich ihnen hin, daß die Bestie unten im Parkett miaute vor Entzücken. Du verlierst einen Kamm aus der Frisur, Jakobe. Dein Haar ist übrigens so vorteilhafter. Es hat jetzt auch mehr Glanz. Höchste Zeit war es schon. Du warst immer ein entsetzlich verworrenes Mädel. Bist ja jetzt noch ein halbes Kind.«

Und Miriam lächelte wie eine junge, o ganz junge Mama. Jakobe wollte jetzt endlich antworten, aber Miriam schnitt ihr mit hochgehobenen Fingern das Wort ab. Ganz wie der Geheimrat warf sie den Kopf zurück und stampfte mit dem Fuß. Dann stellte sie ungeniert das Bein auf einen Stuhl, schob die Röcke hoch und zog den Strumpfträger zurecht:

»Meine Wade kann sich sehen lassen, was, Jakobe?«

Die junge Frau wurde rot wie ein kleines Mädchen. Ihre Mutter hatte so gar keine Zartheit, alle Dinge benannte sie um eine Oktave höher als andere Menschen.

»Renate macht es mir darin nach. Aber ich kann das kleine Mädel doch noch keine langen Röcke tragen lassen. Überhaupt Renate! Die Schirlitz soll ihr heute keinen Kuchen in die Kinderstube schicken, sie ist in Strafe. Denke bloß, da bringe ich ihr einen süßen weißen Spitzenhut mit und eine wundervolle Puppe mit dem Trousseau einer Prinzessin. Und dieser Balg von einem Kind heult und macht mir eine tragische Szene. Und ich muß doch morgen singen! Lache nicht, Jakobe, wenn ich zornig bin! Diese Williguths machen dich noch ganz plebejisch!«

Die Gräfin Forcade schrie wie eine Marktfrau. Hochmütig sah sie auf die Tochter hinab und räkelte sich im Gefühl ihrer rassigen Fülle, daß das enge Korsett krachte.

»Also Renate! Ja, einen Fächer hätte sie gewollt, der eitle Affe. Der Spitzenhut ist ihr zu kindisch. Sie trägt ihn nicht. Ich soll ihn lieber Witte schenken.«

»Aber, Mama, sieh doch endlich ein, daß Renate reichlich fünfzehn ist ...«

Miriam lief schon wieder durch das Zimmer. Sie zog die dicken, an der Nasenwurzel zusammengewachsenen dunkelblonden Brauen hoch, in denen Goldstäubchen glitzerten.

»Wozu soll ich mich stets mit euch ärgern? Sage mal, wozu?« Mächtig schwoll die Stimme, umsonst bezahlte man sie nicht mit Gold. Der ganze sonnenhelle Raum war erfüllt von ihrem Groll. Die Scheiben zitterten. Miriam sah es und nickte befriedigt, ja, sie sang noch alles in Grund und Boden, alles freche junge Volk, das sich mausig machen wollte.

Sie rannte in den Salon. Das Speisezimmer war ihr schon zu klein. Mit dem langen tragischen Schritt einer gefangenen Löwin, der auf der Bühne so todsicher wirkte, durchmaß sie die kurze Entfernung zwischen zwei der großen blauen Deckelvasen. Jakobe kam ihr geduldig nach.

»Ja, wozu, frage ich! Wozu plage ich mit meinen Töchtern? Schließlich ist ja euer guter Papa da. Aber, Gott sei's geklagt, so'n alter Herr –.« Sie stützte den Kopf in beide Hände und stemmte die Ellenbogen auf das schwere schwarze Wandschränkchen mit den dicken, geschnitzten Fruchtschnüren. So beschaute sie sich eine Weile in dem runden schwarzgerahmten Spiegel an der lichtrosa Wand. Wie ein trotziges Kind, nur in den dunklen Augen lauerte feige Angst und suchte nach Falte und Runzel. Jakobe stand steif hinter ihr. Sie wußte genau, daß Mama jetzt eine Bestätigung ihrer Schönheit erwartete, und fand kein Wort. Alles, was man von ihr herrisch verlangte, konnte sie nicht geben. Immer waren ihre Hände karg, wenn man gierig nach ihnen griff.

Miriams Blicke im Spiegel funkelten in heimlichem Zorn.

»Ich soll Großmutter sein? Blödsinn!« Sie lachte gezwungen. Unter dem linken Auge saß ein Krähenfuß. Miriam blinzelte, wie stets, wenn sie sich selbst betrog. Sie wandte jäh den Kopf, daß der Reiherstoß ins Tanzen kam, und schob das starke Kinn vor. »Kindisch wird er, euer guter Papa. Er ist ja auch dreißig Jahre älter als ich.«

»Aber Mama –.«

Miriam stampfte auf: »Verschone mich mit dieser dummen Haarspalterei. Auf ein paar Jahre kommt es schon nicht an. Ich nehme ja alle Rücksicht auf seine Marotten. Aber heute hätte ich fast die Geduld verloren. Glaubst du, er hätte Renate für ihre Unart bestraft? Ja, Kuchen. Gelacht hat er, Jakobe, gelacht, bis ihm der Kopf wackelte. Der Hut sei wirklich für ein Baby. Und Renate habe seit zwei Jahren keine Puppe mehr angerührt. Dieses dumme kleine Schulmädel mit ihren elf oder zwölf Jahren! Schweig still, Jakobe! Gestern noch schlief sie im Gitterbettchen und aß Milchbrei. Ich habe geschäumt vor Zorn!«

Pathetisch rollten die Worte wie in einem veralteten Konversationsstück aus des seligen Sardou bester Zeit. Der tragische Schritt stürmte wieder durchs Zimmer, daß die blauen Kang-He-Vasen ins Schwanken kamen.

»Und vorhin erst, nein, es nimmt kein Ende mit diesem Teufelsbalg. Also, ich gehe mit ihr durch den Fontainengarten, Herren grüßen, Backfische schmachten mich an, du kennst das ja, Jakobe. Gut. Da kommt der kleine Rothenwolff, wir plaudern von Brüssel, das er genau kennt. Renate schneidet gelangweilt Grimassen. Bei ihrem unregelmäßigem Gesicht hat sie das ganz und gar nicht nötig. Ich kneife sie endlich in den Arm. Sie lächelt harmlos und kaut am Zopfband. Und auf einmal macht sie dem kleinen Rothenwolff Augen, Augen, sage ich dir! Kokettiert aufs schamloseste mit diesem jungen Menschen. Achatz Rothenwolff amüsiert sich königlich, natürlich auf meine Kosten. Ich bin so'ne Art Gouvernante, die das gnädige Fräulein behütet! Na, ich habe ihr gründlich die Meinung gesagt. Trägt kurze Röcke und benimmt sich wie eine Kokette!«

Die Gräfin Forcade saß mit übergeschlagenen Beinen in einem Fauteuil und rauchte dünne, maisgelbe russische Zigaretten. Achtlos warf sie die Asche auf den Teppich, die abgerauchten Stümpfe reichte sie Jakobe, die sie sorgsam in den Aschenbecher trug. Aber die silberne Schale in Jakobes Hand zitterte. Sie kannte ihre Mutter und hatte selbst an Leib und Seele erfahren, was es hieß, die junge, hübsche Tochter von Miriam Forcade zu sein. Das vergaß man nicht.

Wie eine erzürnte Löwin saß Miriam in der warmen Maisonne, die breit und voll über sie und Jakobe hinflutete. Als goldenes Wölkchen hing der Zigarettenrauch in dem zitternden Glanz.

 


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