Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Heiß und schwül blieb der Sommer, die Williguths aber seufzten nicht und trugen beharrlich des Lebens wundersame Bürde, jeder nach seiner Art. Witte in Zoppot ordnete eifrig seine Muscheln und baute regelmäßige Sandburgen, die er dann zornig gegen das Meer verteidigte, wenn der Sturm auf Wogenkämmen anritt. Er hielt fest, was er einmal hatte. Jakobe saß in ihrem Strandkorb, Tag um Tag, und stickte gleichmütig Tupfen um Tupfen in das weiße Mullkleidchen, das einst für Witte bestimmt, erst jetzt, da Jakobe vergeblich auf den Ruf aus der Heimat wartete und so reichlich Zeit hatte, der Vollendung entgegen wuchs und nun den kleinen Elias zieren sollte, der aus großen runden Kinderaugen das unendliche Meer beguckte und täppisch nach dem Ungreifbaren griff, auch er ein Williguth. Manchmal flatterten Papierschnitzel wie verwehte Schmetterlinge über den sonnenheißen Sand, wenn Jakobe Heinz Williguths knappe, nichtssagende Briefe zerriß. Dann lächelte sie hochmütiger als sonst über die bewundernden Männerblicke ringsum und wunderte sich, daß ein anderer nicht nahm, was doch nur auf das Genommenwerden wartete. Der Geheimrat aber wandelte lächelnd zwischen Gräfinnen und Fürstinnen, wie einst Goethe auf der Promenade von Karlsbad, und schrieb schulmeisterliche Briefe nach Hause, die Stein auf Stein zu einer Mauer bauten. Er lobte Wittes strengen rechtschaffenen Ordnungssinn, lehrte ihn die Namen aller Muscheln und Krebslein und zog schnurgerade Striche im Sand, wo dann Witte seine Burgen türmte. Und Philipp Emanuel freute sich, daß sein Blut nicht ganz aus der Art schlug. Nicht jeder war so klug und zweckbewußt wie sein kleiner Enkel.

Gleich der starke Giacomo liebte, mehr als ihm gut war, grellere Farben und derbere Genüsse. Er tat seiner Menschlichkeit in Herkulesbad vollauf Genüge. Rumäninnen und Ungarinnen eroberten der Reihe nach sein Herz und manche sogar seine Brieftasche. Man lebte gar rasch und betäubend im grünen Czernatal. Umsonst saßen nicht in Ada Kaleh, mitten in der Donau, noch Türken um die schlanke Moschee. An der Grenze des Orients hatte das Blut schon schnelleren Schlag. So liebten die pfiffigen Frauen den reichen und dummen Schwaben. Aber der war ein Williguth, den kein verwirrendes Wunder aus der Fassung brachte, und in den Nächten, wenn die Zigeuner Trunkenheit in alle Mieder fiedelten und schlanke braune Offiziersfrauen mit prahlerischen Abgeordneten tanzten, die nur von der Politik lebten, begann für ihn das Treiben der verschlossenen Zimmer, wo das Hazard den Vorsitz führte. Und da holte sich Giacomo Williguth sein Geld wieder von den Männern, deren Frauen es ihm abgeschmeichelt hatten, mit Zins und Zinseszins. Denn er war das Finanzgenie der Familie, auf breitem Stock gewachsen, mit Fäusten, die stets im richtigen Augenblick zugriffen. Mitten in heißen Küssen konnte er plötzlich kalt und nüchtern erwägen, ob der holde Unsinn auch das schöne Geld wert sei. Dann hatte er dasselbe Lauern in den Augen wie sein Bruder Philipp Emanuel.

Ganz anders als der üppige, etwas lärmende Giacomo trieb es der Geiger Tredenius. Der saß in seiner kleinen, alten »Adlerburg«, nicht weit vom »Blauen Herrgott«, und spann sich in Arbeit ein. Keiner durfte ihn stören, wenn er mit sich zu Gericht saß und die Geige oft in die Sommernacht hinausklang und noch nicht schwieg, wenn die Sonne die schläfrigen Sterne beiseite schob. Auch Karl Maria besaß den Trotz und die Verbissenheit der Williguths und die schrankenlose Hingabe an sich selbst. Vielleicht noch rücksichtsloser als die andern, denn bei ihm klang noch etwas mit: Der Kampf um die ewige Jugend. Fand er sein Spiel verrostet oder allzugrell, dann quälte ihn dies Nichtbezwingenkönnen aller Schwierigkeit weit weniger als der Gedanke: Du bist alt geworden. Da duldete er nicht einmal Frau Gundl um sich. Ihre behäbige großmütterliche Fülle war ihm eine verhaßte Mahnung an einstige Schlankheit, und das leise silberne Grau in ihrem Blond trieb ihn heimlich und gereizt vor den mitleidlosen Spiegel. So saß die verbannte Gundl geduldig mit der Familie Krusemann in Bad Schachen, paßte auf die torkelnden Enkel und häkelte blütenweiße Mützchen und Jäckchen für das Nächste, während Gottlob Krusemann in Hemdärmeln an der Korrektur seiner aus tiefster Seele gezeugten Gedichte feilte, die durch Gundls gutmütige Freigebigkeit endlich einen reichbezahlten Verleger gefunden hatten. Und nun wartete Gottlob auf den Lorbeerkranz. Linchen aber ließ sich den Hof machen und ihre blonde rotwangige Üppigkeit von einem alten Redakteur bewundern, der die Gedichte sicherlich in Erinnerung an Lines Zuvorkommenheit höchst günstig besprechen mußte, wie die wackere Frau aus der berechnenden Familie der Williguths inständig hoffte. So raffte das brave Geschöpf standhaft und indezent die Röcke und lernte ein verruchtes Lächeln. Und Gundl lächelte mit. Sie hatte Sinn für Humor und schaute gern in der Menschen wunderlich Wesen.

Johann Sebastian aber und sein Weib verließen den »Blauen Herrgott« auch im Sommer nicht. Sie fürchteten, in der Fremde zu sterben, und glaubten an Wohlergehen nur in der Heimat. Auch konnte allzuleicht in ihrer Abwesenheit der Garten vernachlässigt oder ein Fenster vom Wind zerbrochen werden, wenn die zwei eisgrauen Dienstmädchen allein das Regiment führten. Die beiden Alten trauten nur sich selbst. So strickte Apollonia unablässig Strümpfe für den Winter, in möglich geschmacklosen Farben und recht dick, weil kalte Füße die Wurzel alles Übels waren, und die lieben Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen in ihren Sommerfrischen zitterten schon jetzt im Gedanken an diese Gaben, denn die gute uralte Dame machte nicht viel Federlesens, hob ohne Zagen die Röcke aller Williguthfrauen und überzeugte sich persönlich, ob ihre warmen Strümpfe auch wirklich getragen wurden. Johann Sebastian aber saß im Garten und wartete auf das erste Gelb im grünen Mantel des Sommers. Das war seine bescheidene Freude. Er liebte diese Zeit, da der Herbst die gelbroten Finger aus allen Büschen streckte, weil er am Welken ringsum seine eigene Lebenskraft immer aufs neue erkannte und stolz war, daß Gehör und Gesicht noch immer jung blieben und die Muskeln zu jeder Arbeit brauchbar. Manchmal trieb er auch Musik und lud dazu Heinz Williguth in den »Blauen Herrgott«. Der kam gern, denn er liebte die absonderliche, bunte Welt bei den Großeltern, die rund und reich war und dem alten Herrgott in Treuen diente. Da kam selbst seine flackernde Unruhe, die alle Kerzen an beiden Enden brannte, in ein beschauliches Besinnen, da lebte er wenigstens für kurze Stunden in einem Reich von Licht und Wärme. Denn seine Arbeit an der Klinik und daheim tat er jetzt wieder ohne die rechte Freudigkeit, wie einer Steine in einen Brunnen wirft und doch weiß, daß er ihn niemals ganz ausfüllen kann. Trotzig ließ er des Vaters mahnende und auch zornig fordernde Briefe in einem Winkel verstauben und schrieb nur knappe Antworten, hinter denen er seine tatenlose Zerrissenheit versteckte. Schückedanz aber schüttelte in geschäftiger Bedrücktheit den kahlen Kopf und schlich umher wie ein armer Sünder, der Angst vor dem Tage hat, da man von ihm Rechenschaft fordert.

 


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