Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Unermüdlich wirbelte der Tanz. Würdig und verweisend blickten der heilige Christoph und Johann Ambrosius Williguth auf das leichtsinnige Volk. Mitten darin Jakobe, von einem Arm in den andern, in beinahe fieberhafter Unermüdlichkeit. Der bedächtige Giacomo rätselte an ihrer Tollheit. Just unter dem Konterfei des Seydlitzkürassiers drehte er sie auf und ab.

Sie schloß die Augen und machte die Lippen schmal.

In der Tür zum Salon stand Heinz und sah ihr nach, mit einem fast schadenfrohen Lauern. Dieser lässige, ein wenig müde Hochmut sollte in Marburg ein heilsames Fegefeuer finden. Er lachte voll grausamer Schwäche, daß er seines Vaters Haus leer und dunkel machen konnte.

Albine Williguths Stimme schreckte ihn auf: »Die Mädchen sind so glücklich.«

Die häßliche Frau lächelte und schob die Miniatur des Kardinals Eusebio zurecht. Albine und Heinz blieben allein, abseits von den anderen, und er hörte geduldig zu, wie sie von ihren Kindern plauderte. Margaret Williguth tanzte mit Schückedanz vorüber, ein ungleiches Paar, an Wuchs und Wesen. Albine tastete vertraulich nach ihres Neffen Hand: »Hat er Aussichten?«

Sprach wie alle Mütter, die Hochzeitskuchen riechen, ganz rot vor Freude und Bangnis.

»Na, und wie, Tante.«

Schweißperlen lagen auf den erhitzten Frauenschultern, feiner Staub hing in der Luft und der Geruch von halbwelken Blumen und verbranntem Wachs. Die strenge Würde dieses Hauses wich einer behäbigen Ausgelassenheit. Manchmal stampfte ein Fuß, ein grelles Lachen flog auf, ein Kopf neigte sich tiefer, in sonst ruhige und ernsthaft prüfende Augen kam ein Flackern. An den Fenstern rüttelte der Frühlingssturm.

Und er pfauchte lau und fiebrig in die Halle, riß die Spitzentücher der Frauen los und wirbelte Locken auf, als der letzte Geigenstrich verklang und es an den Abschied ging. Schückedanz lief und schleppte Garderobe für Friedemann Williguths Frauenvolk, breitete Mäntel aus und schob derbe Füße in geräumige Überschuhe. Und lächelte dem warmen Wind entgegen, der ihm den Zylinder vom Kopfe riß.

Krummbeinig sprang Simon Gottesdank und heuchelte greisenhafte Gebrechlichkeit, machte hohle Hände und guckte scharf, was da hineinkam.

Auf der Treppe stand Miriam Forcade, hoch und eigenherrlich, mit blitzenden Augen, sie roch den Frühling in seiner herben Kraft. Halb offen war der schwere Mund.

»Wer geht heim in einer solchen Nacht!«

Mit durstigen Lippen lächelte sie rundum und wußte stolz, jetzt dachte jeder: Salome.

Auch um den Mund von Karl Maria Tredenius lag habgierige Sehnsucht. Warm rieselte es im Blut, mit wilden und gewaltsamen Stimmen lockte die Lenznacht. Wie zum Wettlauf bog er sich vor, vergaß Frau und Kinder und horchte nur, wie der Sturm in die Bäume griff. Er zog die Uhr: »In zwei Stunden ist Sonnenaufgang. Miriam, wir fahren nach Blauenkirchen!«

Schon lief er die Treppe hinab und suchte eine Droschke, die Romantik voll zu machen.

Miriams Nasenflügel spannten sich, um die Lippen trat ein beinahe frommes, kindliches Lächeln. Der Wind kehrte im Wirbel welkes Laub vor ihre Füße, da stampfte sie darauf. Von feuchter Erde kam ein schwerer Duft. Am Himmel zuckten die letzten Sterne, der Sturm strich langsamer und wollte die Flügel falten. Das Land wartete auf den Morgen. Als schwarzes Gitterwerk starrten die Bäume und trugen schwer an ihren prallen Knospen.

Nikolaus Forcade lächelte Gundl Tredenius zu: »Du lieber Gott, mit aller Gewalt will das noch einmal jung sein!«

Schier mitleidig schüttelte er den Kopf.

Da humpelte die Droschke schon in die Nacht, ein plumper Knochengaul zog die zwei, so die ewige Jugend suchten.

Ein Brüllen zerriß die Stille. Die laue Nacht trieb die Raubtiere im zoologischen Garten auf.

 

Der Geheimrat verschloß die Schnäpse, hob prüfend und mit langsamen, sicheren Bewegungen die dunklen Flaschen und rückte die Etiketten nach vorn. Blaue Rauchschwaden wehten durch die offenen Fenster in die laue Nacht. Die Wagen mit den letzten Gästen klapperten durch den Fontainengarten. Wieder kam das kurze, scharfe Brüllen der wilden Tiere. Unwillig reckte Philipp Emanuel die Hand, als wollte er solchem sinnlosen Ungestüm Einhalt gebieten.

Hastig und unordentlich trug Heinz die Aschenbecher aus den Zimmern zusammen und leerte sie in den Topf aus Tulasilber. Auch er hörte das Brüllen, halb geduckt, wie einer, der selbst losbrechen will.

Mit einem Ruck wandte er den Kopf: »Schückedanz geht also nach Marburg?«

Der Geheimrat schob die Brauen steil: »Allerdings. Ewig kann ich ihn ja nicht bei mir behalten.«

Der Schlüssel schrie im Schloß. Zögernd und verdrießlich wartete Philipp Emanuel. Er hörte den schweren Atem seines Sohnes.

»Kann ich mal offen mit dir sprechen, Papa?«

»Warum nicht?«

Der Geheimrat setzte sich und faltete die Hände im Schoß. Um den Mund lag ein mißtrauisches Lauern.

»Ich bin hier nicht glücklich, Papa. Du hast ja daran keine Schuld. Und da denke ich, es wäre am besten, wenn ich mit Schückedanz fortginge, wenigstens für einige Zeit.«

»So?«

Auf Philipp Emanuels Stirn grub schon der Zorn seine Falten. Er senkte den Kopf und starrte zu Boden. Der Starke begriff den Schwachen nicht.

In Heinz' Augen aber sprang der Trotz auf, das einzige Erbe vom Vater. Er hieb die Fäuste auf den Tisch: »Hier bin ich nur dein Sohn!«

Die großen grauen Augen leuchteten hart: »Und in Marburg wird das anders sein?«

Und dann mit seinem Spott: »Da willst du so gleichsam bei Nacht und Nebel davon? Aber du selbst gehst ja mit, mein Junge.«

Höhnisch lachte er auf. Er haßte Zickzackwege, weil er mit sich selbst nie im Widerspruch war. Unmutig legte er den Kopf zurück und musterte Heinz von oben bis unten.

»Mit Schückedanz also glaubst du Schritt halten zu können, Heinz Williguth? Und Jakobe?«

Ein grimmiges Lächeln ging um seinen Mund.

Der junge Williguth hob den Blick, darin drohte ein häßliches Licht.

»Die wird entscheiden müssen zwischen mir und dir.«

Beide erschraken.

Der Geheimrat stieß den Stuhl, auf dem er gesessen, mit einem Fußtritt fort, daß er kopfüber in den Zimmerwinkel fuhr, und warf die Hand durch die Luft: »Jakobe ist mir zu gut für deinen verzettelten Willen. Merk auf, was ich dir sage: Mir und meinem Hause kannst du entlaufen, dir selbst aber nicht!«

Mit der Faust zog er gleichsam einen dicken Strich und schloß das Konto seines Kindes ärgerlich ab. Jetzt war er ganz Philipp Emanuel Williguth, der seinen Willen als Herrn über alle Menschen setzte. Drohend stand der Haß zwischen Vater und Sohn.

»In die Lästermäuler der kleinen Stadt zerrst du mir meinen Namen nicht.«

Nur der Tisch trennte sie jetzt, ihr keuchender Atem traf sich, die grauen Augen packten einander. Der Geheimrat senkte den Kopf, die Zähne knirschten.

»Einmal bin ich rot vor Scham geworden für dich, als diese Kerle mir deine Arbeit höhnisch ins Gesicht warfen. Ein zweitesmal wäre mir zuviel. Ich traue dir nimmer, daß du allein ans gute Ende findest.«

Schwer kam Wort nach Wort, wie wenn einer Steine wirft.

Messerscharf schnitt Heinz' Stimme in das grausame Schweigen: »Die Frau nimmst du mir, die Kinder, alles. Bettelarm hast du mich gemacht und hast nur noch die schöne Leichenrede für mich übrig.«

Hochaufgerichtet stand Philipp Emanuel, mit kalten, unbarmherzigen Augen.

»Krepier', wenn du nicht leben kannst!«

Da sprang Heinz los. Brust an Brust, und hörten nicht, wie die Tür klappte.

Grau und hager stand Flora Schirlitz, hob die gichtknotigen Finger und sagte mit erschrockener Stimme: »Die Kinder!«

Aber mit bitterbösem Blick auf den Sohn schlug Philipp Emanuel die Faust vor die Brust: »Heimtücker und Neider im eigenen Hause! Pfui Teufel!«

Stumm ging der junge Williguth.

»Herr Geheimrat!« stammelte die alte Frau und rückte zitternd näher.

Philipp Emanuel wies in den Garten: »Dort geht er jetzt.«

Dann blickte er plötzlich gramvoll und legte die Hand vor die Augen. Ein wildes Röcheln rang aus der breiten Brust.

Er aber warf den Kopf hoch und lächelte seltsam: »Es gilt am Ende doch nur Vorwärts!«

Die Schirlitz wußte nicht, zu wem er jetzt sprach. Langsam wandte er sich zu ihr: »Ich will zu den Kindern!«

Mitten auf dem Wege stockte er, als hielte ihn etwas zurück. Vorgeneigt zögerte er. Dann schüttelte er den Kopf und drückte die Klinke nieder. Er glaubte nicht mehr, daß es da etwas zu ändern gab.

Der Knochengaul schleppte das romantische Paar in die Nacht, langsam und gemächlich, wie man aus dem grobgriffigen Leben in blaue Träume hinübergleitet. Der Kutscher döste und ließ den struppigen Kopf auf die Brust sinken. Das Rößlein wußte auch allein den Weg. Schnurgerade Alleen entlang holperte die Karre. Der Wind schlief in der Heide. Es begann wieder zu frieren, die Hufe rissen schon Eisklumpen auf. Frost war in der Luft, ehe der Morgen sich aufmachte. Rechts und links in den Mulden lag noch knietief der Schnee. Dampfwolken wirbelten von dem Klappertier, das vorsichtig die rheumatischen Beine setztet Der Kutscher, schnarchte wie ein Sägewerk.

Aneinandergeschmiegt wie Bub und Mädel saßen die zwei im Wagen, hatten die Hände verschlungen und lachten leise, wenn ein Stoß des Rumpelkastens sie enger Leib an Leib rückte. Und dann küßten sie sich, wie ganz junges Volk, ihr schon stockiges Blut verlor alle Schwerfälligkeit und sprang schnell durch die etwas verkalkten Adern. Ihre Hände winkten durch die offenen Fenster hinaus, und im Dunkel sah sie nichts von Falten und Runzeln.

»Weißt du noch – –?«

»Damals, als wir beide – – –?«

»Ach, ja.«

So wühlten sie im alten Kram der Erinnerung und zogen bunte Bändchen aus verstaubten Schubladen. Mit einem Ruck blieb der Gaul stehen, weil er nimmer weiter wußte. Der Lenker erwachte, rieb den Schlaf aus den Augen und blinzelte in das träge Flackern der Petroleumlaternen, die hier draußen in der dörflichen Einsamkeit Dienst taten. Ein Milchwagen ratterte heran, ein derber Gruß, dann verschwand das Licht um die Ecke.

In der Kutsche der ewigen Jugend gähnte jemand.

Kinnbacken klappten auf und zu. Dann ein lustiges Lachen, und das Scharren von Füßen, die sich wohlgemut in Müdigkeit streckten. Ein blasses Gelb war jetzt im Grau des Himmels.

Der Kutscher hielt Morgenandacht mit der Schnapsflasche. Dann hob er die Zügel und ließ den Gaul in Zotteltrab fallen. Und drüben lag Blauenkirchen im verdrossenen Dämmer des Februartages, der nur langsam und widerwillig die Schlafmütze abtat. Steifbeinig kletterte der Fuhrmann vom Bock und guckte in den Wagen. Aneinandergelehnt schlief man. Karl Maria saß der Zylinder schief.

»Ihr gehört ins warme Bett, ihr alten Narren,« entschied der Rossebändiger und lenkte zurück zur Stadt.

Da lief ihm der helle Morgen nach und streute goldene Flecke auf das abgeschabte braune Pferdefell. Über den purpurnen Schnee sprühte das Licht. Vollgesogen vom eigenen Schattenblau standen die Fichten in tiefschwarzer Kulisse, an den Stämmen aber huschte braunrote Helligkeit. Überall knisterte der Frost. Der Winter nahm gelassen dem vorwitzigen Frühling die Zügel der Herrschaft wieder aus der Hand. Mit allen Farben pinselte der Morgen. Sattviolett malte er jeden Stamm, feuerrot die braune Rinde weiter oben, zartgrün den Baumbart.

Erst hoch in den nackten Ästen endete das Farbenspiel.

Im Wagen aber schlummerte das romantische Paar und war jetzt im Wunderland, wo es nicht Falten und Runzeln gab. Erst das Straßenpflaster zerstieß ihre Seligkeit. Rechts und links fuhr ein Kopf in die Morgenfrische. Der Wagen polterte durch die engen Winkelgassen mit den Hans Sachshäuslein. In kleine Fenster legte die Sonne ihr Licht.

»Es ist nichts mehr mit der Jugend,« sagte schlaftrunken und fröstelnd der Geiger Tredenius und hielt die Hand vor den Mund, weil das Gähnen gar nimmer aufhören wollte.

Miriam lachte trotzig.

Da kam die Sonne herein und war unbarmherzig mit Falte und Krähenfuß. Karl Maria streckte sich sogleich wohlgefällig in pharisäischer Selbstzufriedenheit. Die Miriam war wirklich nimmer jung. Er bedauerte sie heimlich und gab ihr das falsche Mitleid des noch aufrechten Mannes für das welkende Weib.

Miriam aber klammerte sich an den Gedanken, heut abend, wenn ich singe, glaubt man mir wieder alles. Sie warf die Lippen auf und saß wie eine Siegerin.

So kehrten sie aus der Romantik heim.

Frostweiß schimmerten die kleinen Parks, blau auf Goldgrund spannte sich der Himmel, schwarze Rauchfahnen wehten mitten hinein. Von den Türmen wirbelten Tauben in die silberne Luft. Knisternd rieben Eisschollen an den Pfeilern der großen Brücke.

Bald darauf bückte sich Frau Gundl, schob dem etwas schwermütigen Eheherrn die bequemen, samtgefütterten Hausstiefel zurecht und verbarg so ihr leises Lächeln.

Behaglich schaute Karl Maria dem Rauchwölkchen zu, das aus dem Teekessel purrte. Dann sagte er bedächtig: »Ja, ja, die gute Miriam wird alt.«

 


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