Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In der Halle warteten die zwei Frauen. Starre, trockene Augen ohne Glanz gingen in die Finsternis, in die nur durch das Oberlicht der Tür der Schimmer einer Gaslaterne fiel, ein Heller Kreis im Dunkel. Boabdil knurrte. Schritte knirschten auf dem hartgefrorenen Schnee.

»Draußen geht einer auf und ab,« murmelte die Schirlitz und rasselte mit dem Schlüsselbund, wie um ihre dienstwillige Gegenwart darzutun. Sprungbereit stand Boabdil knapp an der Tür und bellte. Über ihn weg griff die Hand der Schirlitz. Das Schloß kreischte, weißes Licht prallte herein.

»Guten Abend, Frau Pastor,« sagte Aurelius Schückedanz und schwang den Hut. Zwei erschreckte Gesichter verbargen sich hinter einem Alltagslächeln.

»Sie warten auch?« fragte die Schirlitz und zog fröstelnd das dicke Wolltuch enger.

Dann klappte das Tor zu, und die Schritte trabten wieder über den Schnee. Die schwere Stockuhr zerhackte die Zeit.

Endlich stieß Heinz Williguth die Tür auf. Im Schimmer von Schnee und Laterne erkannte er die beiden Frauen.

Mit gesenktem Kopf starrte er sie an.

»Ist er daheim?«

»Du willst doch nicht –?« stammelte Jakobe und faßte den Arm der Schirlitz.

»Nein, ich will wirklich nicht,« höhnte er, »du kannst ganz ruhig sein.«

Er warf Hut und Mantel auf die Wandbank. Jakobe kam ihm entgegen. Er wehrte kurz ab.

»Wenn du mir etwas zu sagen hast, Jakobe, brauchst du es mir nicht gerade durch den Esel Schückedanz bestellen zu lassen.«

Einen Augenblick stierte er geradeaus. Niemals glich er seinem Vater mehr als jetzt.

»Ich wußte es übrigens schon. So etwas ist ein Fressen für die Kerle.«

Er schnellte den Arm durch die Luft: »Nur sein Sohn. Das ist es! Gute Nacht, Jakobe. Ich habe genug von euch allen.«

Sie blickte ihn furchtsam an und schritt schleppend, mit gesenkten Schultern, die Treppe hinauf.

Dann lachte der junge Williguth.

»Na, siehst du, alte Frau, deine schöne Handschrift hat auch nichts genützt. Zerrissen hat er sie.«

Der Mund hing schlaff in den Winkeln.

»Ach nein,« sagte die Schirlitz.

»Ja, er schleppt mich nach wie eine Kette am Fuß.«

Er saß auf der Wandbank und trommelte mit den Absätzen.

»Du wirst eine neue Arbeit machen,« beharrte Flora Schirlitz und lächelte schon zuversichtlich.

»Glaubst du?«

Heinz beugte sich hinab zu Hund Boabdil und streichelte das glatte, dunkle Fell. Die Schirlitz erschrak. Sonst hatte er nie etwas für das Tier übrig. Jetzt aber hob er sogar den zappelnden Boabdil hoch und legte Kopf an Kopf. So einsam war er.

 

Geheimrat Williguth frühstückte heute nicht im »Blauen Herrgott«. Steif saß er daheim und strich sorgsam Butter aufs geröstete Brot. Die kalten grauen Augen hafteten an der Tür.

Jakobe rührte sich nicht.

Mit breitem Lächeln grüßte er dann den Sohn: »Na, den Ärger schon verschlafen?«

Kräftig schüttelte er die Hand. In den Augen aber stand die Angst. Heinz stopfte den Mund mit Butterbrot voll, um nicht antworten zu müssen.

Philipp Emanuel streifte Jakobe mit unwilligem Blick. Warum half sie ihm nicht?

»War die Arbeit wirklich so schlecht?«

Heinz Williguths Augen bettelten jetzt. Der Vater warf den Arm geringschätzig aus und zog die Finger in immer engerwerdenden Kreisen an sich: »Nur unreif. Zum Schluß geschleudert.«

Hell lachte er auf: »Jakobe hat dich den letzten Sommer zu lange allein gelassen. Da waren lauter verliebte Gedanken in dir. Und das taugte nicht. Ja, ja, ihr junges Volk!«

Die Augen drohten beinahe: So lacht doch! Aber Mann und Frau senkten die Köpfe. Keiner fand ein liebes Wort.

Scharf sagte der Geheimrat: »Du weißt doch, Jakobe, daß Heinz Sahne zum Tee nimmt.«

Und stellte verdrossen den Zwang zwischen sie.

Dann fuhr er mit Heinz nach der Klinik. Mißvergnügt hockte Boabdil neben dem Kutscher. Er haßte Veränderungen. Im Fontainengarten tat der Winter sein Werk. Spitze Eiszapfen, die jede Erschütterung löste, klirrten überall. Das gelbe Barockschlößchen schien ein überzuckerter Tafelaufsatz, wie ihn Robert Williguth nicht trefflicher hätte herstellen können. Reiter galoppierten die Allee entlang, Dampf wirbelte von den Pferden. Jeder Hufschlag warf Eisblätter auf.

Plötzlich rief der Geheimrat dem Kutscher zu: »Rechts abbiegen!«

Heinz schaute auf. Da ritten drüben Nikolaus und Renate Forcade. Sie winkte lachend mit der Hand. Aber da liefen die Rappen schon auf Seitenwegen. Das Spießrutenlaufen begann. Man wich den Menschen aus und grub sich ein mit seiner Schande. Heinz dankte dem Vater die kluge Rücksicht nicht, biß die Lippen aufeinander und kniff die Augen ein.

Arm in Arm schritten sie dann durch die Klinik, Philipp Emanuel trug den Kopf hoch, gebärdete sich laut und lärmend und lauerte, ob irgendwo einer lachte oder nur tuschelte. Wie ein Tier verteidigte er sein Junges. Scharf traf heute sein Tadel, und er fragte wieder und wieder: »Was meinst du, Doktor Williguth?«

Aber Heinz gab einsilbige Antworten. Überall spähte er nach Mitleid oder Spott.

Nach der Morgenvisite besprach Philipp Emanuel mit Schückedanz die Fälle, die in der heutigen Vorlesung dargestellt werden sollten. Plötzlich zerriß ein Zucken das kalte, beherrschte Gesicht. Die Stimme grollte: »Warum haben Sie ihm nicht geholfen, Schückedanz?«

Aurelius riß Mund und Augen auf und schnappte nach Luft.

»Man kann so etwas unauffällig tun, Schückedanz.«

Das Papier raschelte in den zornigen Händen.

»Man kann doch nicht,– – – er hätte es ja auch nicht gewollt, Herr Geheimrat!«

»Unsinn, durchs Gymnasium haben Sie ihn doch auch geschleppt!«

Rücksichtslos hieb er auf den Tisch: »Heinz ist mal kein starker Mensch. Wozu habe ich Sie den ganzen Sommer hier gelassen?«

»Ich wußte nicht– –,« stammelte der verwirrte Schückedanz.

»Muß ich alles hinaus schreien, wenn ich etwas will?«

Steilrecht standen die Brauen. Sein grimmiges Lächeln stellte Aurelius Schückedanz als unnützes Gerät in den staubigen Winkel.

Geduckt und zitternd stand der Kleine, bewegte lautlos die Kiefer und schielte ängstlich nach der Tür. Dann aber packte ihn plötzlich der uralte Pastorenzorn, der von so vielen Dorfkanzeln über die harten Bauernschädel hingeprasselt war, wenn irgendwo ein Schückedanz endlich doch an seiner Langmut Ende kam. Mit den kurzen Atmen fuchtelte er dem erstaunten Geheimrat ins Gesicht: »Wenn einer wie der üble Satan hinter jeder Schürze her ist, dann läßt man ihn nicht den ganzen langen Sommer allein!«

Einen Augenblick funkelte Philipp Emanuel drohend mit zornigen Augen, dann zuckte ein ganz stiller, ein wenig selbstgefälliger Hohn über sein schönes, willensstarkes Gesicht.

Der kleine, häßliche Schückedanz!

Seine Stimme klang tief und gar nicht verärgert, als er jetzt leichthin sagte: »Sie sollten wirklich den Ruf nach Marburg annehmen.«

Schückedanz erschrak.

Der Geheimrat sah ihn nicht einmal an: »Den nächsten Fall, wenn's beliebt!«

 

Jakobe saß in dem kleinen Salon zu ebener Erde, der einst ihr Schlafzimmer gewesen war. Langsam stickte sie an einem von den vielen, vielen Tupfen des weißen Mullkleidchens, das niemals fertig wurde. Bleiches Winterlicht spielte an den mit grauer Seide bespannten Wänden und auf dem reichen braunen Haar von Jakobe Williguth. Das heiße Gesicht hatte sie tief auf die Arbeit gesenkt.

Philipp Emanuel zerknitterte ungeduldig die Zeitung. Da blickte sie auf, in seine harten und strengen Augen.

Verdrossen und lauernd fragte er: »Was wollte meine Schwester Gundl bei dir?«

Er zögerte einen Augenblick: »Weiß sie schon –?«

»Ja, Papa.«

Schnell beugte sie sich wieder über die Stickerei. Der Geheimrat schritt bedächtig auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Von ganz weit her kam Wittes lustiges Kreischen und ein Bellen Boabdils. Die schweren Schritte der Schirlitz trabten im Stockwerk, von der Küche klang gedämpft und eintönig ein Klopfen und Rasseln. Im Garten knisterte der Frost.

»Ja, ja, die gute Gundl,« sagte Philipp Emanuel mit seinem Spott.

Jakobe legte die Arbeit fort und wartete. Er sah ihr nachdenklich ins Gesicht, dann lächelte er unmerklich und strich über ihre Hand, die den Ehering trug.

»Es ist nicht immer leicht, Frauchen.«

Jäh und unvermittelt stellte er die Worte und schloß knapp die Lippen. Es wird noch alles gut, dachte Jakobe und fühlte sich geborgen, wie lange nicht.

Da zerriß der breite Williguthsche Hochmut wieder alles Feine und Stille: »Mein Sohn, es ist nicht zu denken!«

Wuchtig stieß er das Kinn vor und verbarg seine heimliche Angst.

»Was weiß also die kluge Gundl?«

»Sie meint, daß du ihn fortlassen– – .«

»Unsinn!«

Er stampfte zornig auf: »Ich will nichts hören.«

Plötzlich lächelte er geheimnisvoll. Wie er sonst Boabdil ein Stück Zucker reichte, hielt er Jakobe einen orangegelben Zettel hin: »Da! Die beste Loge, die zu haben war. Mach' dich schnell fertig, kleine Frau! Dein Allerschönstes. Justament heute. Und Gottesdank soll Heinz' und mein Frackzeug herauslegen.«

Ein lauernder Blick ging Jakobe nach, die mit leicht gebeugtem Rücken schon an der Tür zum Spielzimmer stand.

»Nach der Oper seid ihr beide meine Gäste.« Und sein Arm verschenkte ein kleines Königreich.

 


 << zurück weiter >>