Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der Galerie kam ein lautes Bellen Boabdils. Jetzt schrie Witte drein. Schrill schlug die Kinderstimme in die Sonnenstille des rosenroten Salons. Und jetzt ein hohles, langgezogenes Heulen, wie ein Gespenst um seine verlorene Seele klagt. Mit einem Ruck schnellte die Gräfin hoch. Die glimmende Zigarette flog zu Boden. Mit drei Schritten war Miriam an der Tür, riß sie auf und lauschte. Wieder das Heulen, Wittes Jubelschrei und Boabdils Hundebaß. Mit geballten Fäusten stand die Gräfin Forcade, wie zum Sprung geduckt. Ihre starken Nasenflügel bebten in verhaltenem Zorn. Sie kannte diese Stimme, halb die eines Kindes und halb die einer Frau. Ein silbernes Schwingen war darin, wie von alten Kirchenglocken. Jetzt stürmte Miriam in die Halle und blickte drohend zur Galerie. Oben schimmerte ein weißes Bettlaken, nach dem Boabdil sprang und schnappte. Witte stieß in Johann Sebastians Trompete und schrie dazwischen: »Die Tut-Ursel! Die Tut-Ursel!« Wieder erscholl das Heulen, scharf moduliert wie ein Eulenruf

»Renate!«

Das Laken bewegte sich, tappend und zerrend, ein dunkler Zopf flog heraus und schwang auf und ab, noch einmal heulte das seltsame Gespenst. Dann schaute Renate Forcade aus lustigen Braunaugen auf die erzürnte Mama.

»Was erfrechst du dich?«

Augenblicklich schob das Mädel die buschigen Brauen zusammen und ließ die kurze Oberlippe über die blanken, kräftigen Zähne hochspringen. Halb scheu und halb trotzig kam die Antwort: »Ich spiele mit Witte die Tut-Ursel. Er ist der wilde Jäger.«

Und der Kleine drückte das runde Gesichtchen durch das Holzgeländer und schrie: »O, Tut-Ursel heult gut, so gut!«

Jakobe legte hochmütig den Kopf zurück, wie es der Geheimrat tat, aber sie wußte nicht, daß es genau dieselbe Bewegung war.

»Papa will nicht, daß du Witte Gespenstergeschichten erzählst. Er schläft dann nicht und fantasiert von deinem tollen Zeug.«

Renate lachte nur. Und der kleine Trotzkopf zerrte aus Leibeskräften an dem Bettlaken und wiederholte: »Tut-Ursel ist brav, sehr brav.« Wieder blies er in seine Trompete. Jakobe stieg eine leichte Röte in die Wangen. Und weil sie den Mut zum Angriff nicht hatte, verschanzte sie sich hinter der Strenge und Überlegenheit der älteren Schwester: »Du benimmst dich wie ein dummes Schulkind, Renate.«

»Wenn ich so kurze Röcke tragen muß, kann ich doch nicht erwachsen tun,« seufzte Renate und schob schier wehmütig ein rundes Bein nach dem andern über die Balustrade.

Miriam wetterte los: »Willst du gleich zurück!«

Aber plötzlich lachte sie, grob und gesund, daß alle Nähte krachten: »Nein, dieser infame Fratz! Ist sie nicht kostbar?«

Mutterstolz klang in ihrem Groll und Freude über eine kleine Ähnlichkeit mit sich selbst.

»Mimi zerspringt! Klopf sie feste, Mama! Hinten!« schrie voll zarter Besorgnis Witte Williguth und klatschte in die Hände. Mitleidig blickte Renate in ihrer unreifen Zwitterart zwischen Kind und Mädel auf die dicke Mama, die Witte Mimi nannte statt Großmama. Aber Miriam war schon wieder zornig. Das enge Korsett schnitt in alle Rippen, und sie hatte keinen freien Atem: »Renate, wenn du jetzt nicht sofort 'runter kommst und Jakobe um Verzeihung bittest für deine blödsinnige Lärmmacherei, kriegst du eine Ohrfeige, daß dir Hören und Sehen vergeht.«

Sie stemmte die Arme in die Hüften und schrie wie ein Marktweib. Das war die Miriam Italiener aus der engen, schwarzen Judengasse in der Altstadt, wo ein ewiger, stickiger Geruch von alten Kleidern und ungewaschenen Menschen die Luft verdarb.

»Komm, Witte,« sagte Renate kühl, ohne die erregte Mama zu beachten, »ich werde dir jetzt den Großen Papa, den Klaus und die Mimi spielen.«

»Was heißt das?« pfauchte Miriam.

»Ich spiele ihm Theater vor. Sonst nichts, Mama.«

Blick traf auf Blick. Ein Messen und Abwägen und dann ein vorsichtiges Ausweichen. Miriam Forcade stand hochaufgerichtet, das Kinn vorgeschoben, die Finger in die violette Seide verkrallt, in ohnmächtigem Zorn. Breit und wuchtig sprangen die Backenknochen vor. Sie ballte die Hände und öffnete sie wieder, noch immer war das Zucken um ihren Mund. Den letzten Blick Renates konnte sie nicht vergessen, der blieb jetzt bei ihr, alle Tage, das wußte sie. Das erste furchtsame Losreißen, in dem noch ehrliche Trauer ist. Einst hatte auch sie so geblickt, nicht anders, vor langer Zeit, als ihre Eltern noch lebten, die braven Trödler in der Judengasse. Damals waren die alt gewesen und sie jung. Sie ließ die Hände sinken. Dawider half keine Faust. Das Grauen kam über sie, daß sie dies Kind geboren, das ihr nun widerstrebte.

»Du sollst dich nicht ärgern, Mama. Denke doch an deine Stimme!« sagte Jakobe unsicher.

»Ja, diese Renate! Du hättest dazu nie den Mut gehabt.«

Jakobe erschrak.

»Sie wird schon wieder vernünftig werden, Mama.«

»Die? Nie!«

Voll grimmiger Sicherheit.

Von droben kam das Jubeln Wittes und scharf und deutlich die unfertige Mädelstimme, kreischend und sich überschlagend, in nachgeäfftem Zorn: »Sie gottverdammte Gans, zerren Sie nicht so an meinem Haar! Könige bettelten darum, es nur küssen zu dürfen.«

Blaß und still standen die beiden Frauen und blickten sich an.

»Jetzt spielt sie mich,« murmelte Miriam.

Die Fenster waren nimmer golden. Apfelgrün stand der Maiabendhimmel davor.

Miriam ließ Renate zum Abendessen da. Harmlos und vergnügt saß sie zu Tische, wie immer, wenn ihre Mutter gerade nicht die Zuchtrute schwang. Auch der Geheimrat war guter Dinge. Renates keckes Zupacken behagte ihm, vielleicht, weil er selbst als Junge plump und linkisch vor Welt und Menschen gewesen war. »Ja, das Frauenzimmerchen hat den Teufel im Leibe,« sagte er gemächlich, als die Kleine ungestüm Jakobes Weinglas umstieß, nach dem sie gerade in verbotener Gier langte. Ein rotes Bächlein verzierte das Tischtuch. Jakobe und die Schirlitz blickten sich an. Nie wurde ihnen solche Nachsicht zuteil. Und Philipp Emanuel zwinkerte noch boshaft, wie um den Unterschied fühlen zu lassen.

»Kommt denn Heinz überhaupt nicht nach Hause?« fragte Renate und kaute an ihrem Zopfband, weil sie jetzt doch ein wenig Angst vor dem Geheimrat hatte. Jakobe entriß ihr das Kauobjekt und schlug sie zornig auf die Hand. Ganz rot war ihr feines Gesicht.

Philipp Emanuel aber blickte belustigt: »Heinz hat Nachtdienst. Der hat's nicht so gut wie du!«

»Na, was das betrifft –.«

Ein Blick ihrer Schwester schnitt Renate das Wort ab.

»Hat es wieder was gegeben?« fragte der Hausherr und warf dem gierig bettelnden Boabdil einen Brocken hin. Er lachte über das ganze Gesicht, als Jakobe in kaltem Schulmeisterton von der Tut-Ursel erzählte. Renate lehnte sich in ihren Stuhl zurück, daß Sitz und Mädel in bedrohliches Schwanken gerieten, und sagte keck: »Soll ich dir mal zeigen, wie du's machst, Onkel Philipp?«

»Bitte,« ermunterte der Geheimrat mit lustigen Augen.

Da sprang Renate auf, streckte und straffte den rundlichen Leib zu schier stattlicher Höhe, setzte die Augen geradeaus, stampfte gewichtig auf und schob die rechte Hand zwischen die Blusenknöpfe.

Die Schirlitz wurde grün vor zorniger Angst.

Renate aber stelzte durchs Zimmer, drückte das Kinn vor und brummte im Ton einer unheimlich falschen Gutmütigkeit: »Ist alles zum Whist bereit?«

Und nach einer Weile: »Wie geht es den lieben Kleinen? Ach ja, es war ein arbeitsamer Tag. Und nun, Schirlitz, keine Renonce, das bringt die Galle in Wallung.«

Steif und starr stand sie da und hielt den Blick gesenkt, wie Philipp Emanuel oft stand, wenn er ungeduldig auf die Erfüllung seines Willens wartete.

Der Geheimrat schmunzelte: »Frech ist der Dachs.«

Gutgelaunt zog er sie am Zopf. Und dann gab er Renates Keckheit den Preis vor dem willigen Schweigen der anderen: »Aber Mut und Schmiß hast du. Das gefällt mir. Und ist doch kein Tropfen Williguthblut in dir.«

Er streifte Jakobe und die Schirlitz mit einem schnellen Blick. Zwischen hell und dunkel lächelte er dann: »Es ist Zeit, daß du heimkommst. Schirlitz, den Wagen für Komtesse Forcade, und Sie selbst nehmen ein warmes Tuch, solche wilde kleine Mädchen kann man nicht allein durch die Mainacht fahren lassen.«

Die Rappen trabten durch den Fontainengarten. Da war Duft und Ruch von frischem Gras und umbrochener Erde. Wie eine blaue Glocke stand der Nachthimmel. Renate drückte sich an das graue Wolltuch der Schirlitz.

»Jetzt soll mich jemand küssen.«

Eine Laterne leuchtete gerade über die weißen Kerzen der blühenden Kastanien. Frau Flora wartete, bis der Wagen wieder in die Dunkelheit glitt, dann küßte sie schnell und scheu den roten Mund von Renate Forcade. Weiße Blumenbüschel schimmerten aus dem weichen, noch ein wenig schlaffen Grün, wie ein liebes Wunder. Und dann kam ein langgezogenes Gebrüll aus der Gegend des zoologischen Gartens. In allem Blute saß der Frühling.

 


 << zurück weiter >>