Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Am nächsten Morgen hielt Renate Forcade ihren Einzug und brachte neben einer Unmenge von Koffern und Schachteln auch die zweite Zofe ihrer Mutter mit. Der Geheimrat war längst fort, aber Heinz Williguth griff dienstbereit nach dem umfangreichen Gepäck. »Grüß Gott,« sagte er weich und freundlich, und aller Glanz seiner liebenswürdigen Schönheit lag in Wort und Gruß. Er verstand Renates Unsicherheit, mit der sie ihre Jugend als süße und schwere Last zugleich trug. Jakobe stand unbeachtet daneben.

»Hast du mir zuliebe daheimbleiben dürfen, armer Junge?« neckte Renate und hieb mit dem Absatz die Steinchen um sich. Da schloß Heinz die Faust wie einen Ring um ihr Handgelenk. Sie blinzelte ihn an und schwieg. Er schob die Brauen zusammen: »Bei uns wird auf Ernst und Würde gehalten, dummes Mädel. Weißt du das nicht?«

Als Renate ungläubig den Kopf schüttelte, wies er auf Jakobe: »Frage mal die dort!«

Schlank stand er in der Morgensonne, halb Kind, halb Greis, zwischen Hell und Dunkel in stetem Schwanken, heute in einsiedlerischen Grübeleien vergraben, morgen wie ein Fanatiker auf Arbeit aus, ohne Gleichmaß. Alles zuviel und doch wieder zu wenig. Wie ein eitler Junge streckte er den weißen Schuh vor: »Habe ich nicht schöne, schmale Füße, Renate? Meine letzten Kröten habe ich angelegt, damit ich würdig mit Euer Erlaucht Tennis spielen kann.« Er jonglierte auf einem Bein und lachte.

»Willst du nicht auspacken?« fragte Jakobe und zog Renate ins Haus. Ihnen nach tönte Heinz Williguths Stimme, der mit Boabdil um das runde Blumenbeet jagte, als wäre gar nicht genug Tollheit aus dieser Stunde zu holen.

»Sitzt ihr immer so schweigsam und ehrbar bei Tisch?« forschte Renate und vollführte mit dem Suppenlöffel ein ganz unausstehliches Geräusch auf dem feinen weißen Porzellanteller mit dem mächtigen gothischen W. Flora Schirlitz schob die Perücke und faltete die Serviette auf und zu. Philipp Emanuel hatte ein gnädiges Lächeln. Heinz richtete sich scharf auf: »Im Haus der Götter ist heilige Stille.«

Und Stille war auch jetzt. Der Geheimrat legte den Löffel hin: »Ich muß dir wohl einen Zettel schreiben, kleine Renate, weil du heute die Schule versäumt hast?«

»Danke. Das hat Papa schon besorgt. Wenn er nett ist, schreibt er mir gleich fünf oder sechs Stück, das richtige Datum male ich dann hinein.«

»So? Und wo treibst du dich inzwischen herum?« fragte Jakobe, so trocken und scharf, wie einst die alte strenge Gouvernante der Forcadeschen Kinder.

Renate lächelte sehr von oben herab: »Du brauchst nicht so langweilig zu sein, Jakobe. Du bist noch lange kein Gott.«

Gutmütig sagte Philipp Emanuel: »Na, Heinz, was, da habe ich dich strenger gehalten?«

Es klang wie eine Abbitte, die unwillig genug geschah. Renate aber trumpfte weiter auf, wie ein junges Pferd, das zum erstenmal in einer saftgrünen Wiese tollen darf: »Ach, die in der Schule, die brauchen mich ja! Für die Schlußakademie habe ich den ganzen Monolog der Phädra geochst, und im Proverb spiele ich den Vicomte. Fein, nicht?«

Und sie steckte unversehens das Messer in den plappernden Mund.

»Na, und die Mama?«

Vergnügt reizte der Geheimrat Renate zu immer größerer Unverschämtheit. Jakobe und die Schirlitz wechselten einen Blick, wie geprügelte Hunde, denen der Herr einen Knochen wegnimmt und ihn einem dritten zuwirft, der gar kein Recht darauf hat.

»Uff, die Mama! Die weiß eben nichts.«

Herausfordernd lehnte sie sich über den Tisch.

»Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!« drohte Philipp Emanuel mit dem Zeigefinger. Sein Mund war weich und nachgiebig, alle Strenge verwischt. In den Augen aber saß ein bedeutsames Lauern, das dem Sohn galt. Der blickte fort. Philipp Emanuel hatte wieder einmal vergeblich gewartet.

Blitzblanke Jugend fegte über den weißen Grund. Renate Forcade schnellte durch die Luft und freute sich der trauten Gewohnheit des kurzen Rockes. Ihre junge Kraft ersetzte Heinz Williguths stählerne Gewandtheit. Die Bälle flitzten über das Netz, auf und ab, und Witte hatte willkommene Arbeit, um die er erst mit dem jappenden Boabdil einen Raufhandel ausfechten mußte. Jakobe saß unter der breiten Platane, die ihre zackigen Blätter gravitätisch im Windhauch auf und ab bewegte. Keiner hatte sie zum Spiel aufgefordert, so daß die helle Jugend der beiden nur als Schatten zu ihr herüberfiel. Rot und weiß sprangen die Bälle. Und drüben schrie Renate: »Keiner spielt so gut wie du!«

Heinz Williguth bog sich zurück, mit straffen Muskeln, und lachte über das ganze Gesicht. Dann blinzelte er in die Sonne, und alles an ihm war plötzlich Schlaffheit und lässiges Gleitenlassen. Mit erstaunter Grausamkeit prüfte Jakobe Zug um Zug, wie man einer langen Enttäuschung endlich ledig wird. Ohne Mitleid war dieser Blick.

Am Westhimmel versickerte das letzte träge Licht. Jenseit des Fontainengartens trennten sich schwarz und dunkelviolett die Hügel vom lichtgrünen Himmel, der langsam nachdunkelte und seine gläserne Helle verlor. Rotgelbe Wellen liefen im Osten, die ersten Lichter der Stadt. Eine Amsel schmetterte noch ihr Lied in die Stille.

Jakobe Williguth ging mit dem kleinen Witte durch die Kastanienallee. Um diese Zeit bekam Witte stets sein Märchen erzählt, und er hielt pedantisch darauf, daß er nicht darum gekürzt wurde. Freilich liebte er die Spukgeschichten Renates mehr als Andersens geruhsame Erzählungen vom häßlichen Entlein, von der Schneckenfamilie und vom Fliedermütterchen, die Jakobe bevorzugte. Aber da ein Williguth nie genug bekommen konnte, schluckte er beides und verlangte nach mehr. Plötzlich blieb Jakobe stehen, daß Witte ins Schwanken geriet und sein Gleichgewicht mit beiden Beinen suchen mußte. Ein fernes Murmeln plätscherte heran, hier und da ein Wort scharf aus dem Schweigen geschnitten, dann wieder ein eintöniges Raunen, das in Stille verrann.

»Ist der wilde Mann im Garten?« flüsterte erregt der märchenfeste Witte.

Jetzt kamen schwere, dumpfe Wortreihen, dann schoß ein halber Satz klar und spitz wie eine Stichflamme aus dem Dunkel.

Jakobe lächelte. Das war Renate, die in den apfelgrünen Abend hineindeklamierte.

»Ha!« machte Witte und zog nach vorwärts, er witterte ein Abenteuer vor Schlafenszeit. Der Weg bog ab. Da schimmerte rötliches Licht. Witte ging auf dem Kriegspfad und hielt den Atem an. Jetzt schlug das Pathos von Renate Forcade voll in die Stille. Jakobe packte den widerwilligen Jungen mit einer fast zornigen Bewegung, wie letzthin der Geheimrat Hund Boabdil. Lief da dies närrische Mädel vor einem flackenden Windlicht auf und ab und polterte mit den rollenden Versen, ganz die Mutter, selbstherrlich, leidenschaftlich und mitten durch. Aber dann lauschte Jakobe. Ihr Gouvernantenärger brach vor der Macht und dem Glanz dieser Mädchenstimme. Wie eine Feuergarbe stieg es auf:

»Das Maß des Gräßlichen hab' ich vollendet.
Blutschande atm' ich und Betrug zugleich;
Ins Blut der Unschuld will ich, racheglühend,
Die Mörderhände tauchen – Und ich lebe!
Ich Elende! Und ich ertrag' es noch,
Zu dieser heiligen Sonne aufzublicken,
Von der ich meinen reinen Ursprung zog.
Den Vater und den Oberherrn der Götter
Hab' ich zum Ahnherrn; der Olympus ist,
Der ganze Weltkreis voll von meinen Ahnen.
Wo mich verbergen? Flieh' ich in die Nacht
Des Totenreichs hinunter? Wehe mir!
Dort hält mein Vater des Geschickes Urne,
Das Los gab sie in seine strenge Hand,
Der Toten bleiche Scharen richtet Minos.«

Jakobes Arm spannte sich, und ihre Finger wurden zur Faust. Mit weiten, starren Augen schaute sie ins Licht.

»Was wirst du, Vater, zu der gräßlichen
Begegnung sagen? Ach, ich sehe schon
Die Schreckensurne deiner Hand entfallen;
Ich sehe dich, auf neue Qualen sinnend,
Ein Henker werden deines eignen Bluts.«

Wie im Bann schritt Jakobe vorwärts. Da saß Philipp Emanuel auf der halbrunden weißen Gartenbank, die Arme aufgestützt, und hielt Renate im Auge. Auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen flackerte ein Windlicht und streute Helligkeit und Schatten über die erregten Gesichter. Renate hatte den Kopf vorgestreckt, noch ganz im inneren Lauschen. Der schwere Mund war schmerzlich verzogen, die Hände eingekrallt in den dünnen Stoff des Kleides. Wie wenn zwei dasselbe Feuer in sich erkennen, so war dieser Blick von ihm zu ihr, ein stummes Grüßen von einem zum andern. Jetzt blickte der Geheimrat auf: »Ja, Frauenzimmerchen, so muß es brennen. Wird schon das Rechte sein.«

Und er streckte die Hand nach ihren zitternden Fingern. Weich und verträumt war jetzt sein strenges Gesicht, voll heimlicher Sehnsucht. Jakobe kannte ihn nur anders. Renate stand stumm, um ihren Mund zuckte es wie verhaltenes Weinen. In Philipp Emanuels Augen aber war ein fast stolzes Leuchten, unmerklich schloß er die Hand zur Faust. »Ja, du und ich!«

Schwer kamen die Worte, im Eisenschritt. Und ein höhnisches Lächeln, das anderen galt, schlich ihnen nach. Jakobe trat schnell zurück. Sie hatte hier nichts zu suchen. Wieder riß sie Witte an sich und rannte beinahe in die Dunkelheit hinein. Die Nacht war jetzt im Park, die Lichter der Stadt funkelten in tausend bewegten Wellenlinien, und darüber stand, schmal und blank im opalblassen Himmel, ein junger sehnsüchtiger Mond.

In der Halle schwang Giacomo Williguth grüßend den breiten Panama mit dem grellroten Band und hielt Jakobe ein weißes Körbchen entgegen, aus dem rauhe gezahnte Blätter guckten. Behaglich zog er dann ein dunkelbraunes Zappeltier hervor: » Die ersten Krebse habe ich da gebracht. Feiste Luderchen!« Und er schnalzte mit gefräßigen Lippen. Witte sprang und tanzte nach dem Krebs und schrie wie am Spieß. Auf der Treppe erschien jetzt der Geiger Tredenius, schlank und jugendlich wie immer, und rief vergnügt: »Dürfen wir zu Abend bleiben, Frau Kronprinzessin?«

Da bemerkte er die flackernde Unruhe in ihrem Gesicht und schwieg schnell. Nur die Augen grüßten vertraulich. Ein bißchen Selbstgefälligkeit, daß er klug mit Frauen umzugehen wußte, trug er stets zur Schau, aber Jakobe Williguth hatte er wirklich lieb. So kam er ganz herab und gab ihr die Hand. Der leise Druck sollte ein stummer Trost sein und war es auch. Giacomo mit Witte und den Krebsen war längst küchenwärts gestampft, gewisse Leckerbissen überwachte er selbst in der Zubereitung. Er war in allen Sätteln gerecht und ein großer Feinschmecker, gleichsam als wollte er sich jetzt in der Ruhezeit schadlos halten für die karge und strenge Kost der Ringerjahre. Nur sein Ehrgeiz war satt, darin war er der einzige in seiner Familie.

Beim Abendessen, das im Sommer stets auf der Terrasse vor dem grünen Zimmer eingenommen wurde, verzehrte Renate faul und verdrossen ihre Krebse. Der Geheimrat übte mit seinen weißen starken Fingern geschickte Chirurgenarbeit an Schale und Schere und legte der schläfrigen Renate besonders gute Bissen auf den Teller, wie zur Belohnung. Jakobe sah sein heimliches Lächeln und verzog hochmütig die Lippen. Renate brachte eine einzige Stunde, was Jakobe in sieben Jahren nicht gewinnen konnte. Fast zornig rettete sie sich in ihre schmale Komtessenschönheit, lächelte den Williguths zu und warf alles Schwere und Bange kurzerhand beiseite. Heiter und leicht stellte sie Renates mürrische Unreife in den Schatten und war das feine Prunkstück in Philipp Emanuels Haus, über das die täppischen Hände der Williguths liebevoll hinstrichen. Ihr Lachen eroberte schnell, was angstvolle Fügsamkeit vergeblich umworben hatte. Der Geheimrat nickte ihr zu und nannte sie sein gutes Töchterchen. Giacomo blickte rot und unternehmungslustig aus seiner emsigen Kauarbeit, schenkte die grünen Gläser voll und roch gefühlvoll an der ersten La France-Rose, die er im Knopfloch trug. Karl Maria kniff die Augen ein, als betrachtete er ein Bild.

»Wie hübsch dir das weiße Kleid steht, Jakobe,« sagte er, »wenn meine beiden Dicken das doch fertig brächten! Weiß Gott, an den Schneiderrechnungen, die ich bezahle, liegt es wahrhaftig nicht! – Na ja, das Williguthsche Kleinstadtblut schlägt eben durch. Die lieben das Dauerhafte, – und bunt muß es sein, wie das liebe Scheckvieh. Meine Gundl wieder, die trägt ihre dumme schwarze und graue Seide nur, wenn sie steif wie Leder ist und mindestens zehn Pfund wiegt. Na, ich kann dir sagen, würdiger Philipp Emanuel, sie spricht immer noch in süßer Andacht von Mutter Apollonias Blauplüschenem, das für sie zurechtgeschustert wurde, als wir Anno Schnee unsere entsetzlichen Brautvisiten machen mußten. Gottlob, daß die Motten es längst gefressen haben! So rückwärts, hinter der Wespentaille, sah's aus, wie'n drapierter Klubsessel.« Er lachte wie ein ausgelassener Junge und riß den Geheimrat und Jakobe mit. Nur Giacomo war gekränkt, daß etwas aus dem »Blauen Herrgott« nicht ganz vortrefflich gewesen sein sollte. Denn so sehr und so gerne sie andere richteten, sich selbst hielten die Williguths durchaus für tadellos.

Verärgert rieb er das schwere Kinn und fragte plötzlich: »Wo ist Heinz?«

»Der hat Dienst an der Klinik.«

Der Geheimrat griff nach einem neuen Krebs und beugte sich über den Teller. Giacomo aber hatte noch nicht genug.

»Könnte auch schon Professor sein,« brummte er und stemmte herausfordernd die Fäuste in die Hüften.

Noch immer bohrte Philipp Emanuel an seinem Krebs, knirschend sprang eine Schere ab. Dann sagte er gleichmütig: »Du bist auch nicht mit einmal Weltmeister geworden, hübsch langsam voran, das bitte ich mir aus.«

Und er schickte plötzlich Renate schlafen, in einer beherrschten Heftigkeit, die einen Ausweg suchte. Willig erhob sie sich und sagte allen gute Nacht. Philipp Emanuel sah ihr nach und murmelte beifällig: »Paßt auf, was aus dem Mädel wird!«

Und er lobte Renate über alles Maß. Giacomo saß heimtückisch und zerbrach knackende Krebsschalen in seiner derben Faust, es schien ihm Spaß zu machen, die Ohren der anderen zu quälen und zugleich seine Kraft zu zeigen. Jakobe lächelte ihm zu, weil sie jetzt fröhlich sein und um jeden Preis vergessen wollte. Karl Maria marschierte lustig in die Bresche, die der Brüder gewalttätige Art in die Behaglichkeit des Abends gerissen hatte. Er hob sein Glas: »Allerliebst siehst du aus, Jakobe, siebzehnjährig! Ich muß wirklich meine Dickwänste zu dir schicken. Vielleicht gucken sie dir's ab. Immer das steife, pimpelige Zeug! So'n liebes, schlichtes Batistfähnchen, wie du es da hast, das ist mir das Richtige für euch junges Volk! Nur immer bescheiden und billig!«

Der große Frauenkenner Karl Maria Tredenius hatte Williguthsches habgieriges Blut und liebte die Billigkeit, so reich er war. Der Geheimrat fand seine gute Laune wieder: »Ach, Geigerlein, um zwei solcher Fähnchen von Paquin schneidet dir mein Schückedanz Blinddarm und sonst noch etliches heraus.«

Er trank Jakobe zu, und sie tat ihm lustig Bescheid. Giacomo biß umständlich die Spitze einer ganz dicken Zigarre ab, spuckte sie kunstgerecht über die Balkonbrüstung und sagte behaglich: »Knallprotz!« Er freute sich, daß der vortreffliche Karl Maria, der ja doch nur ein halber Williguth war, eins abbekommen hatte. Vergnügt schlug er mit den Fäusten auf den Tisch und schrie: »Schmeiß uns eine Maibowle, Bruderherz!« Er liebte es vor dem stets korrekten Bruder Geheimrat den Naturburschen herauszukehren. Philipp Emanuel wandte sich an die Schirlitz: »Dann mal los, liebe Frau Pastor!«

Jakobe wunderte sich. Er nannte die Schirlitz nur dann Frau Pastor, wenn er ihre aschgraue Wesenlosigkeit verspotten wollte, aus Zorn oder aus Übermut. Giacomo leckte die Fingerspitzen und spreizte sie dann kokett gegen Jakobe: »Ach, Philippchen, was bist du für ein verdammter Pascha!«

»Alter Esel!« sagte Tredenius mit einer bei ihm seltenen Grobheit. Er fühlte sich als Feinschmecker unter diesem rüpelhaften Volk. Giacomo aber kam jetzt mit verliebten Abenteuern aus dem Fontainengarten, schmückte alles hübsch deutlich mit bunten Bildern und süßen Worten und zwinkerte vielsagend von einem zum andern. Philipp Emanuel hielt mit ihm, nur maßvoller und etwas steif, daß dies alles bloß wie augenblickliche Schalkhaftigkeit aus dem Mantel seiner Würde hervorsah. Die Brüder saßen mit verschränkten Armen und lachten sich zu, ihr breites gesundes Lachen, das Arbeit und Lust gleichmäßig verteilte und nichts allzu üppig wuchern ließ. Kein Williguth verlor sich an eine Frau. Leise stand Jakobe auf und ging zur Tür. Ihr nach klang Giacomo Williguths Posaunenton: »Da war so'n klapperdürrer Racker in Kansas City, das hatte Niggerblut in den Adern ...«

Schon flog die Tür ins Schloß.

Breit und wuchtig lehnte Giacomo an der Balustrade und freute sich, wenn ein leises Knistern durch den Stein rann. Wenn jetzt alles herabgebrochen wäre und er mit in den Tod, er hätte noch einmal gelacht in seiner Bärenkraft. Die Williguths trumpften Gott und dem Teufel auf. Karl Maria saß vor dem Klavier im grünen Zimmer. Nur drei oder vier Kerzen brannten, daß Schatten und Licht durcheinanderhuschten. Die Tasten sangen und liefen, wie Nachtwind über die Lagunen. Halb unwirsch summte Karl Maria: »Holde Nacht, Liebesnacht ...«

Und plötzlich rief er mit zornigem Lachen: »Alt wird man, pfui Teufel!«

»Tanzen!« schrie draußen Giacomo und stampfte mächtig auf, »Jakobe! Jakobe!«

Sie kam.

Galant verbeugte er sich: »Darf ich bitten?«

Als sie erstaunt einen Augenblick zögerte, lachte er behaglich und fragte mit schallender Stimme: »Ist vielleicht schon wieder etwas los bei dir?«

»Lümmel!« murmelte der Geheimrat und blickte unzufrieden Jakobe nach, die schlank und ernsthaft mit Giacomo dahinglitt und heimlich ihr Schattenbild an der grünen Wand suchte. Dann holte er sie selbst zum Tanz.

Von der Tür kam ein Klatschen und eine scharfe Stimme: »Ah, le roi s'amuse

Jakobe wandte schnell den Kopf. Da stand Heinz und hatte versteckten Zorn in den grauen Augen. Sie wollte die Arme sinken lassen, aber der Geheimrat hielt sie eisern fest: »Ja, wir tanzen und sind guter Dinge.«

Es klang wie ein Befehl. Der junge Williguth zuckte die Achsel und sagte halblaut: »Ich kann ja warten.«

Philipp Emanuel zog die Mundwinkel krumm, er vertrug nicht, daß man seine Freude störte. »Nun?« fragte er kurz und ließ Jakobe stehen.

»Fall 17 auf Zimmer 3 war bloß Fibrom.« Heinz schlürfte den Maitrank und lauerte boshaft über sein Glas weg.

»Sieh' mal! Da war ich ein Esel. Den Kerl bringen wir durch.« Jetzt hatte Philipp Emanuel seine breite Behaglichkeit wieder.

»Hast du operiert, mein Junge?«

»Nein, Schückedanz.«

»Warum?«

»Ich wollte dir nicht ins Handwerk pfuschen.«

»Pfusche du nur ruhig! Der liebe Herrgott bin ich ja schließlich auch nicht.«

Ganz frei und menschlich klang es, wie heiterer Spott über die eigene Begrenztheit. Schenkfreudig tat er alle Türen zu sich selbst auf und wartete, ob einer käme. Aber der junge Williguth antwortete verdrossen: »Das sagst du so hinterher.«

»Bist du schon frei?«

Der alte Despotenton schwang wieder mit.

»Tante Friedemann hat um mich telephoniert. Mit Onkel stimmt es nicht.«

»Unsinn! Ein Hypochonder ist er.«

»Meinst du?«

Sie blickten sich an, Trotz wider Trotz. Dann aber brach Heinz Willlguths stolze Sicherheit mitten entzwei. Er fühlte, wie er wider Willen rot wurde, und knirschte vor Zorn. Unstet, fast schon wie eine Entschuldigung kam es heraus: »Ich kann dir nicht helfen, Papa. Die linke Hand von Onkel Friedemann ist grifftaub.«

»Na, mein Junge, die Tante hat dich ja gründlich mit ihrer Angst angesteckt.«

Jakobe allein hörte die unwillige Furcht in des Geheimrats Stimme, die so breit und überlegen nur klang, weil er jetzt sein Behagen nicht gestört wissen wollte. Diese Stunde war sein helles Eigentum, und als Williguth gab er nicht her, was er einmal hatte. Heinz aber begriff ihn nicht. Vor diesem hochmütigen Nichtgeltenlassenwollen wich er zurück. Übellaunig gab er nach, ohne selbst überzeugt zu sein, hastig, nur um fertig zu werden: »Du wirst ja sehen, Papa.«

Mürrisch stand er und ließ sich die Waffe aus der Hand schlagen, in der stumpfen Gewohnheit all der Jahre, da er seines Vaters Fesseln trug.

Hart und vergeblich forderten Jakobes Augen. Sie war blaß und lächelte höhnisch, ohne daß sie es wußte.

Giacomo stapfte heran, in jeder Hand ein Glas. Auch er schmunzelte selbstherrlich, wie alle Williguths, wenn sie eine fremde Meinung zertraten.

»Merk dir's, Heinz, keiner von uns wird krank. Uns muß man mit der Hacke erschlagen, und dann sind wir erst nicht ganz tot! Da, du Schwarzseher, trink!«

Heinz hielt das Glas und blickte von einem zum andern, wie in eine fremde Welt. Da standen die Brüder, groß und schwer, und hatten ihr selbstbewußtes Lachen. Ihre harten Stimmen krachten in die Stille, als säßen Götter beim Schmaus, und hell darüber hin schwebte Karl Marias spröder Knabenton. Die hatten alles, was Heinz Williguth immer versagt blieb, die göttliche Sicherheit, die jeden Becher bis zur Neige trank und nicht grübelte und nicht ins eigene Fleisch schnitt. Heinz lachte trotzig, dann setzte er sich ans Klavier und begleitete Karl Maria, toll und flackernd, daß er dem Geiger das Spiel verdarb.

Die Birken vor dem Krankenhaus trugen ihr grünes Kleid um den silberweißen Leib. Alles war hell und freundlich, schier voll sommerlicher Verheißung. Der rote Unterbau der Kanzlei war von kleinen weißen Kletterrosen umsponnen. Auf den grünen Dächern lag heiß und prallt die Junisonne. In den Wiesen und Auen zum Strom hin hielt der Sommer seinen bunten Blumenmarkt. Und die Kranken in den blauen und weißen Spitalkitteln schnupperten diesen Duft ein, der als lieber Gruß über die Mauern wehte.

Hier und dort hing in den Fliederbüschen noch eine violette Dolde, eine abgezehrte Hand griff danach und strich langsam über die halbverwelkten Blüten. Die Vögel schrien nicht mehr so bunt und dreist in das Schwatzen der Rekonvaleszenten, sie saßen im Nest und hatten besseres zu tun. In den Augen der Jungen irrlichterte es wie Hoffnung, und die Lippen der Alten verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Hund Boabdil aber erhielt in diesen fröhlichen Tagen nur selten seinen Morgenzucker. Der Geheimrat hatte den Kopf übervoll und vergaß selbst alte Gewohnheiten. Und die jüngeren Ärzte der ersten chirurgischen Klinik hatten es nicht besser und verwünschten diese Junipracht, die ihnen nur Plage und Arbeit brachte. Philipp Emanuel hatte rauhe Hände, wenn er sie nach einem Ziel ausstreckte. Und jetzt hatte er eines und setzte dafür sein kleines Reich instand. Schückedanz konnte nur selten sein geliebtes Röschen im Williguthschen Goldfischteich besuchen und sich von dessen Wohlsein überzeugen. Als treuer Gesell lag er fest in den Riemen und zog tüchtig an. Wie eine Hausfrau die Zimmer blank fegt und überall Blumen aufstellt, wenn Besuch erwartet wird, sammelte Geheimrat Williguth von allen Seiten interessante Fälle in seine Klinik und zwang seine Ärzte strenger ins Joch denn je. Der Chirurgenkongreß stand vor der Tür, und Philipp Emanuel wollte zeigen, was er war und wie sicher und gelenk er sein Handwerk übte. Keiner hielt mit ihm Schritt, und er freute sich darob. Seine Jugend holte er immer wieder hervor und blies den Staub von ihrer ruhigen Kraft, die nicht alterte und keine Müdigkeit kannte. Scharf und schroff war sein Ton, wenn andere rasten wollten, ungeduldig wies er sie zurecht. Jetzt ging er früh zu Bett und ließ die Whistkarten unberührt, und für die endlosen Klagen der Frau Superintendent, daß es mit Friedemanns Arm nicht besser werden wollte, hatte er nur knappes Gehör. Störendes und Unliebsames schob er einfach von sich.

Dann kamen die fremden Ärzte, alte und junge, und Philipp Emanuel führte den Vorsitz, gewandt und sicher, und hatte für jeden ein freundliches Wort. Viele kannte er seit langer Zeit und wunderte sich, wie mancher grau und griesgrämig einherschlich und doch nicht älter war als er selbst. Stark und selbstbewußt stand er im Operationssaal und blickte wie ein König in die scharfen, klugen Gesichter, die beinahe ehrerbietig seinen Worten lauschten. An zwei Tischen wurde operiert, er schritt dazwischen auf und ab und legte oft selbst Hand an, wenn es ein besonders schweres Stück Arbeit war. Schückedanz und Heinz Williguth taten das übrige. Mit seinem Lächeln wies Philipp Emanuel auf seinen Sohn: »Mein Einziger!«

Stolz klang es, und die fremden Ärzte lächelten dem Sohn ihres großen Kollegen zu, aufmunternd und prüfend zugleich. Heinz aber sah wieder nur den Schatten, der auf ihn fiel, und merkte nicht, daß sein Vater ihn geflissentlich in den Vordergrund schob. Ein Schauspiel schien es ihm und ein Geschenk, das er nicht wollte. Ein beweglicher Franzose, der Schnurrbart und Haar sorglich gefärbt trug, breitete in zappelnder Ekstase beide Arme aus: »Ach, junger Mann, wie glücklich sind Sie, diesen Vater zu haben!«

Das zuvorkommende Lachen zeigte die Goldplomben an den schwarzen Zähnen, Falten und Runzeln schnellten über die trockene gelbe Haut. Es war nach einer schwierigen Darmoperation, sie standen am Fenster, wo der Blick über Wiesengrund zum Strom ging. Weiß leuchteten jenseits die kleinen Häuser im Grün der Hügel.

Heinz Williguth wandte den Kopf. Die Augen hatte er eingekniffen und fragte kurz: »Glauben Sie?«

»Aber, mein Lieber, natürlich! Sie sind ja der Erbe!«

Der junge Williguth zuckte die Achsel und schwieg. Der lebhafte Herr rieb verständnislos den scharfen Nasenrücken und hatte eine dumpfe Ahnung, etwas Ungeschicktes gesagt zu haben.

Philipp Emanuel stand stumm hinter ihnen. Langsam zerknüllte er die weiße Operationskappe zwischen den Fingern und grub die Zähne in die Unterlippe. Der Franzose griff nach seiner Hand: »Er ist nicht froh, Ihr Sohn, lieber Freund.«

Fast heftig riß sich Philipp Emanuel los: »Jetzt wollen wir, vor der Mittagspause, noch eine Muskelplastik bei einer Herznaht zeigen. Die Ambulanz lieferte soeben ein. Ich bitte, Doktor Williguth, den Puls!«

Und machte mit seltsamem Lächeln den Sohn zum Handlanger. Heinz zog die Lippen schmal. Philipp Emanuel operierte selbst. Kein anderer durfte sich daran wagen. Rings hatte Heinz die achtungsvolle Bewunderung der Fremden und vor sich das kalte Leuchten aus seines Vaters Augen.

 


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