Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Achatz Rothenwolff lächelte in etwas zaghafter Vertraulichkeit: »Jetzt weißt du alles, Onkel.«

Graf Forcade zog zuerst grimmig die Brauen hoch, stampfte mit dem schmalen Fuße und nahm dann den kleinen Achatz bei beiden Schultern: »Bist ein Prachtkerl, Junge. Aber siehst du, wozu soll ich jetzt die Miriam aufregen? Sie singt doch heute abend. Und wozu dem Kind den Spaß verderben?«

Er hatte nichts weiter zu sagen. Die Menschen mit ihrem Leid und Glück wandelten sich in seinem Grübelsinn zu knapp umrissenen Begriffen, die er gelassen und sicher in seine Weltanschauung hineinbaute. Dann strich er mißmutig die Finger durch den Bart: »Zu mir hat sie kein Vertrauen mehr.«

Durch die lange Zimmerreihe schnellte Miriams scharfe Stimme. Achatz sah auf. Forcade verstand die stumme Frage in diesem Blick, aber er zuckte nur grämlich die Achseln. Er liebte es nicht, wenn ein anderer das Ja oder Nein hart vor ihn auf die schmale Kante der Entscheidung stellte. Ein leises Lächeln der Bitterkeit zog um Achatz' Lippen. Renate hatte wirklich nur ihre eigenen Fäuste und den kleinen runden Achatz Rothenwolff. Mit der geheimen Grausamkeit der Jugend belauerte er Nikolaus Forcade. Hatte der überhaupt das Recht, über Renates Zukunft zu entscheiden? Oder gar die leidenschaftliche Frau, deren Stimme jetzt wie Faustschlag durchs Haus polterte?

Miriam trat ins Zimmer.

Mit knapper Verbeugung schritt der junge Rothenwolff an ihr vorbei. Draußen lachte er wie ein Schuljunge und blies die Backen auf, dem Novembersturm zum Trotz.

Nikolaus Forcade half seiner Frau in den Theatermantel. Die Seide raschelte, schwer und süß dufteten die Essenzen, die Rosen vor der Brust schwangen auf und nieder. Die Nasenflügel spannten sich, in den Augen saß stolzer Glanz. Sie gab ihm die Hand zum Kuß: »Hab' ich das nicht fein gemacht?«

Unbeholfen wandte er sich ab und griff nach ihren Handschuhen.

Da gingen ihm ihre Worte mit harten Schritten nach: »Achatz und Renate meine ich natürlich.«

»Ach so.«

Und er schloß feige die Augenlider, hinter denen jetzt ein feines Lächeln funkelte.

»Du träumst schon wieder!«

»Ich?«

Da warf sie bereits krachend die Tür zu. Und wie ein Gott wandelte der Glaube an die Unerschütterlichkeit ihres Willens vor Miriam her.

Graf Forcade rieb nachdenksam die Handflächen widereinander. Er schmunzelte voll philosophischer Überlegenheit und bückte sich nach einer breiten Nadel, die aus Miriams Haar geglitten war. Mit leisen Griffen klappte er Türen auf und zu. Dann schob er einen gelben Vorhang zurück und guckte ins Bibliothekzimmer. Drin gab eine einzelne Kerze mattes Licht.

Und da hockte Renate und hatte ein dickes Buch auf den Knien. Forcade streckte den Hals. So wartete er, bis Renate die Blätter umschlug. Jetzt erkannte er das Buch. Es war ein Werk über Kostümkunde des Rokoko.

Ganz leise fiel der Vorhang in die glatte Fläche zurück. Und dahinter stand der Schatten von Nikolaus Forcade. Die Hände hatte er gefaltet und lächelte. Der schnelle Atem Renates war allein in der großen Stille. Dann ging Forcade, vergnügt und kopfschüttelnd, und schrieb einen langen Brief an Sir S. Lewis.

In der Garderobe des Opernhauses schleuderte Miriam gerade einen Schminktopf krachend zu Boden.

Und draußen in der Heide breitete der Sturm das welke Herbstlaub, das er aus den Gärten der Stadt geraubt, auf die in regennasser Erde schlummernden Keime, die auf den kommenden Frühling warteten.

 

Im Musikzimmer des »Blauen Herrgott« schwankten die Kerzenflammen, wenn Johann Sebastian, das Cello zwischen den Knien, den Atem aus der breiten Brust stieß. Der Arm mit dem kurzen dicken Bogen glitt als Schattenriß an der weißen Wand auf und nieder, in komischer Emsigkeit, darüber zeichnete sich scharf und unbeweglich der klobige Kopf.

Im grünen Bauch des Kachelofens knatterte knorriges Holz, der Rest einer uralten Kastanie, die der Herbststurm gebrochen hatte. Auf die vergilbten Noten des Haydnquartetts tropften die Wachstränen, eine fiel gar auf Johann Sebastians kahlen Scheitel. Zornig stülpte er das schwarze Käppchen auf und zog wieder den Bogen schier feierlich über die Saiten. So übten sie zu Mutter Apollonias dreiundachtzigstem Geburtstag. Plötzlich klopfte der Geiger Tredenius ab und streifte mit beinahe traurigem Blick den Schwiegervater. Der wurde rot wie ein Schulbub.

»Hast recht, noch einmal von vorn!«

Karl Maria gab jetzt die Führung an die zweite Geige in Heinz Williguths Hand. Schmal und blaß schnitt dessen Gesicht aus dem Halbdunkel, die Lippen zusammengepreßt, die Brauen in Faltenwülsten, darunter flackerndes Licht. Wie eine weiße Spinne kroch seine Hand um den Geigenhals.

»Bitte, es ist Haydn, nicht Richard Strauß,« tadelte Tredenius und rückte in schulmeisterlicher Würde das Notenpult vor Heinz' Augen.

Da griff schon die Viola das Thema auf und spann es singend weiter, mit sicherer Gelassenheit strich Achatz Rothenwolff seine Geige. Alles ließ er an sich herankommen, keinem Ding lief er nach. Der junge Williguth aber sprang darauf los und blieb doch mit leerer Hand. Von Vater Haydns stillem Gottvertrauen war verdammt wenig in seinem Spiel. Plötzlich riß es ihm den Bogen ab, daß er wie ein Schwert in der jäh emporgeworfenen Hand stand. Zugwind wehte die Kerzenflammen krumm. Ein langer Schatten fiel über die braunen Schränke an der weißgetünchten Wand und schnitt im Zimmerwinkel kurz ab. Unwirsch kratzte Johann Sebastian allein weiter. Da spürte er die kühle Luft von der offenen Tür. Er stützte den Kopf auf den Cellobogen, aus dem verwundert klaffenden Munde starrten die drei starken gelben Zähne, die er noch besaß.

Karl Maria aber blätterte rasch die Noten um und fragte kurz: »Warum so feierlich, Philipp Emanuel?«

Der Geheimrat schritt aufrecht ins Zimmer, hinter ihm kam schwer und eilfertig seine Mutter, die mit unbeholfenen Fingern das Häubchen feststeckte und noch rote Schlafflecke im Gesicht hatte. Die Tür fiel von selbst ins Schloß, die Kerzenflammen bogen sich fächerförmig nach abwärts, zuckten und brannten dann wieder schmal und aufrecht.

Langsam sagte Philipp Emanuel: »Mit Friedemann steht es leider Gottes schlimm. Ich habe ihn auf meine Privatklinik bringen müssen.«

Johann Sebastian strich kreischend den Bogen über das Cello: »Es kann ja nicht sein!«

Der junge Williguth atmete schnell. Aber niemand hatte auf ihn acht. Die beiden Alten hielten Philipp Emanuel an der Hand und schüttelten nur angstvoll und ungläubig die Köpfe.

Auch als sie dann allein waren, blieben sie zunächst stumm. Unbehaglich schlurften sie durch die Stuben und räumten allerlei Tageskram fort, nur um ihren Händen Beschäftigung zu gehen. Apollonia begann mit den Hausmädchen einen kleinen Zank, aber mitten darin kippte ihre Stimme in Schluchzen um. Da ging sie schnell und verbarg ihre Weichheit. Bekümmert brachte sie dann einen Stapel blauer und grauer Wollstrümpfe, die mit vielen andern die Strickernte von Frühling und Sommer darstellten.

»Das war für Friedemann!«

Und es zuckte um ihren Mund.

Johann Sebastian wackelte mit dem Kopf und rieb die Fingerknöchel an der Hose blank. Es verdroß ihn schwer, daß sein Quartett zerrissen und seine Behaglichkeit gestört war. In der harten Selbstsucht des Alters dachte er vorerst an nichts anderes. Jeder Williguth lebte irgendwo an der Peripherie eines gemeinsamen Kreises, eigensinnig gesondert von rechts und links, und ließ die Linien seines Lebens hübsch zum Mittelpunkt laufen. So hielt jeder getrennten Ausguck, blieb in den Grenzen seines Wesens und war doch nur ein Bruchteil des Kreises, der sie alle umspannte. Dies gab allen dieselbe Blutmischung, die trotz individueller Verschiedenheit auf jeden Schicksalsreiz in der gleichen Weise antwortete. Und wie ein Volk, das in strenger Absonderung von den Nachbarn haust, hatten die Williguths den Götzen ihrer Laster und Vorzüge Altäre errichtet und waren unerbittlich in ihren ererbten Anschauungen, voll mißtrauischer Verachtung für alles Fremde. Krankheit kannten sie bisher überhaupt nicht. Alle wurden uralt, wie die Bäume. Und jetzt fiel einer von ihnen mitten auf dem Wege. Schwerfällig und zögernd tappten sie an dieser Wahrheit.

Im Flur lagen die Trümmer der alten Kastanie, sauber zu Scheiten geschnitten. Johann Sebastian führte seine Frau vor diesen Holzstoß und sagte feierlich: »Der hat auch dran glauben müssen.«

Zum erstenmal empfand er sein Alter nicht als unantastbares Recht, sondern als Geschenk, das ihm jederzeit entzogen werden konnte. Ein schnelles Erschrecken stand in den runden grauen Augen, als ginge es wirklich zu Ende mit den Williguths. Traurig nickte er zu dieser Erkenntnis. Auch sie, die Starken, hatten eine noch stärkere Hand über sich. Er reckte die Arme, hielt sie in der Schwebe und lauerte, ob die Kraft noch reichte.

Apollonia aber hatte eine Tür aufgestoßen und winkte nun eifrig. Das Zimmer war leer. Spinnweben krallten sich in die Ecken, der weiße Bewurf hing in losen Blättern an Decke und Wand. Johann Sebastians Tritte lösten lockere Stückchen, die mit feinem Rieseln über die beiden Alten stäubten Und als weiße Punkte an Kopf und Schulter hafteten. Das halbblinde Fenster ging in den Garten. Moderluft machte das Atmen schwer.

Schlicht sagte Apollonia Williguth: »Hier habe ich zwölf Kinder zur Welt gebracht. Und jetzt soll mir Friedemann sterben.«

Johann Sebastian blinzelte trübe aus den etwas weitsichtigen Greisenaugen. Sie rasselte mit dem Schlüsselbund und legte ihm die Hand auf die Achsel: »Es war nicht immer leicht, Bastian. Etliche hatten so dicke Köpfe.«

Und ein stolzes Mutterlächeln ging um ihren plumpen Altweibermund. Johann Sebastian ließ ein dumpfes Ächzen hören. Hilflos ballte er die gewaltigen Fäuste.

Die Greisin aber reckte sich auf. Kampfbereit blitzten jetzt die sanften blauen Augen: »Ich gebe keinen her, keinen einzigen! Ich komme zuerst, wenn es sterben heißt!«

Und jetzt schwang die Hand die klirrenden Schlüssel: »Du darfst mir Friedemann nicht nehmen, du da oben!«

»Weib!« schrie der »Blaue Herrgott«, »du versündigst dich!«

Sie lächelte ganz still: »Ich habe sie alle geboren.«

Breit und wuchtig stand sie in dem leeren Raum, wo sie einst der Erde zwölf Kinder gebracht, ein Stück dieser Erde selbst, ans Irdische gebunden und doch in alle Zukunft reichend. Fremd schien sie ihrem eigenen Mann, wie sie jetzt noch immer starr die Hand zum Himmel reckte, mit der ein wenig gewaltsamen Gebärde aller Williguths, wenn sie dem Schicksal Grenzen absteckten und mit dem Herrgott nicht einer Meinung waren.

Mit genau derselben Bewegung schwang Giacomo seinen breitrandigen braunen Filzhut, als er Jakobe allein in der Halle erblickte, gerade eifrig beschäftigt, dem heulenden Witte eins übers Leder zu ziehen. Hund Boabdil hockte davor und grinste boshaft wie Anno 1700 ein gut preußischer Negerfürst zu einer Niederlage weiland der Westindischen Compagnie. Die Scherben einer der tiefblauen chinesischen Deckelvasen lagen nicht weit von dem mehr aus Zorn als aus Schmerz schreienden Witte. Jakobe stellte den schweren Bengel auf die Füße und zeigte rote Wangen. Flugs lief der Missetäter davon, und Boabdil jagte hinterdrein.

»Ach, Jakobe,« neckte Giacomo, »daß du so tüchtig zuschlagen kannst, habe ich wirklich nicht gewußt. Gott verdamm' mich, du wächst prachtvoll in unser Maß hinein! Nur – –«

Er sah sich verlegen um, verschluckte etwas und gab dafür ein rätselhaftes Lächeln.

»Denk' dir bloß, Witte wollte gar Geld stehlen! Papa legt doch manchmal eine Mark oder zwei für das Putzen seiner Handschuhe in eine Vase. Das wollte sich Witte holen. Natürlich kippte er gleich die erste um.«

Jakobe plapperte wie eine Gliederpuppe, bei der alles an Schnürchen und Rädchen abschnurrt. Mißtrauisch schob Giacomo die hellblonden Brauen hoch. Er kannte auch eine andere Jakobe, die mit dem Schwiegervater tanzte und lachend und ihrer Schönheit bewußt den trinkenden Herren auf der Veranda eine Augenweide war.

»Was wollte er mit dem Geld?«

Die junge Frau drehte unmutig das verknotete Taschentuch, mit dem sie ihren Ältesten gerade gezüchtigt, zwischen den Fingern. Die Stimme war glashell und spröde.

»Er will Boabdil eine Frau kaufen, weil das arme Tier ganz allein sei, und freut sich schon auf die vielen Hundekinder. Ist das nicht zu dumm?«

Wie Ekel stand es um die knappen Lippen.

Aber Giacomo lachte dröhnend: »Witte ist ein Williguth!«

Damit gab er Lossprechung von allen Sünden.

Dann fragte er plump und schnell, um längst ausgedachte, zur gefälligen Benützung bereitliegende Antworten über den Haufen zu rennen: »Was macht Heinz?«

Jakobe wandte den Kopf in den Pfeilerschatten: »Er muß jetzt gleich kommen.«

Giacomo sah, wie die schmalen Schultern zuckten, der gereizte Zug um den Mund sich verschärfte, und wußte plötzlich, daß Jakobe Williguth lange ohne Küsse war. Langsam netzte er die Lippen, setzte zum Sprechen an und brach ab, genau wie vorhin. Ärgerlich strich er die lebergelbe Weste glatt und schob die brandrote Krawatte in die Mitte. In seinem braunen, schwarzgestreiften Anzug und der unzufriedenen Beweglichkeit, die er heute zur Schau trug, glich er ganz einer dicken Hummel, die übellaunig durchs Haus fährt, überall mit dem Kopfe anstößt und dann brummend davonsummt. Voll wichtiger Geschäftigkeit brachte er eine schwarze Ledermappe zum Vorschein und schlug klatschend darauf: »Die Jahresabschlüsse, Jakobe, habe ich dir mitgebracht.«

Im Salon breitete er dann umständlich seine Papiere aus, erklärte und rechnete und sparte nicht mit großartigen Bewegungen. Dazwischen warf er wie Angelhaken die Worte hin: »Heinz scheint von dem Seinen viel verbraucht zu haben. Weißt du, wozu?«

»Da mußt du ihn schon selber fragen.«

Wieder zog sie sich schnell zurück und wich ihm aus. Dick lag jetzt die Ader auf seiner Stirn, wie einst, wenn ein Gegner beim Ringkampf mit keinem Griff zu fassen war. Er spitzte die breiten Lippen und blies die Backen auf. Voll zorniger Betrübnis starrte er Jakobe ins Gesicht.

Dann kam Heinz und schüttelte dem Onkel freudig die Hand, weil er jedes Alleinsein mit seiner Frau scheute. Geschickt spielte er den liebenswürdigen Schwerenöter und tat, als liefe ihm alles leicht und sicher nach Wunsch und Willen. Die lächelnde Maske saß fester denn je.

Giacomo wippte auf dem Stuhl, kramte in seinen Papieren und erzählte mit polternder Stimme von Mehadia, von den ganz verdammt schönen, leichtsinnigen Weibern und warnte mit fast drohender Scherzhaftigkeit seine Nichte, ihren Mann jemals in diesen Sündenpfuhl reisen zu lassen. Allerdings, auch anderswo gäbe es Frauenzimmer, die, na, kurz gesagt,– er rollte die Augen und hüllte sich in vieldeutiges Schweigen.

Jakobe verlor keinen Augenblick ihr kühles Gleichmaß, nur die Lider schlugen rascher als sonst.

Heinz aber lümmelte mit beiden Ellenbogen auf dem Tisch und schrie voll boshafter Heiterkeit: »Hat sie nicht das Olympierlächeln von Papa? Jeder Zoll eine Königin.«

Und er streichelte wie ein täppischer Junge Jakobes Hand. Ihre Finger blieben liegen und zuckten nicht. Es war zwischen ihm und ihr eine beflissene Zuvorkommenheit, die hinter wohlerzogenen Gebärden und glatten Worten Steine für Brot reichte.

Giacomo fühlte, daß er trotz aller Weiberkenntnis hier eine ziemlich klägliche Rolle spielte und überall an verschlossene Türen klopfte. Er war recht froh, daß wenigstens der Geheimrat nicht zum Abendessen heimkam. Das Ehepaar tat dem Gast alle Ehre. Jakobe legte ihm vor, und Heinz entkorkte eine Flasche, die Simon Gottesdank nur zögernd aus der Hand gab. Die Gläser klangen, und alles war guter Dinge. Aber mit unheimlicher Behendigkeit wichen die jungen Leute jedem Sätzlein aus, das Giacomo hier und da abschnellte und das allzu vorwitzig in geheime Kammern springen wollte. Und wenn sie einander etwas reichten, glitten die Finger schnell auseinander. Ihr Fleisch war sich fremd geworden. Giacomo seufzte mitten in der etwas absichtlichen Lustigkeit und trank sein Glas aus. Hastig, fast erschrocken, daß sie jetzt allein bleiben sollten, forderten sie ihn auf, doch den Geheimrat zu erwarten. Aber er hatte leider keine Zeit. Schnell raffte er seine Ledermappe zusammen, packte sorgfältig die Scherben der blauen Vase ein, schob das Verzeichnis der Bruchstücke in die Tasche und lächelte hoffnungsvoll: »Wird alles wieder prachtvoll zusammengeleimt.«

Als Jakobe einen leichten Zweifel äußerte, schlug er selbstgerecht an die Brust: »Verlaß dich darauf, kleine Frau!«

Und er zwinkerte vielsagend.

Graue Wolken verdunkelten den Garten, in dem alles nackt und schwarz den ersten Schnee erwartete. Giacomo hörte ein dumpfes Rollen und das Klappern von Hufen. Eine Wagenlaterne schimmerte jetzt an der Wegbiegung. Philipp Emanuel kam heim. Giacomo aber trat hinter einen dicken Stamm und ließ den Wagen ohne Anruf vorbei. Er wollte seinen Bruder jetzt nicht sehen. Mit einem Ruck griff er in die Pelztasche, wo er die Scherben der blauen Vase trug, und lächelte sein starrköpfiges Kinderlächeln. Das wollte er alles wieder zusammenleimen, Stück um Stück.

 


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