Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Am Abend ordnete Jakobe, in erzwungener Bereitschaft zu den kleinen Dingen des Alltags, Blumen in den silbernen Schalen und stach lange Rosenstiele in die schlanken Kristallvasen. Es kam sündhaft teuer, aber der Geheimrat wollte es behaglich und farbenhell haben, wenn er von seinem blutigen Handwerk heimkehrte. Im Garten schwamm der Mond hinter den schwarzen Gittern der Äste und baute silberne Brücken ins Zimmer. Selbst dem heiligen Christoph strichen lichte Hände über das bärbeißige Gesicht.

Da stand Heinz Williguth in der Tür. Zwischen Aug und Aug gingen unausgesprochene Worte, hart und eckig, wie man Steine wirft. In seinen Mundwinkeln lag das ewige Lauern.

»Hat die Alte wieder spioniert?«

Und wie ein Schuljunge, der einer Anklage zuvorkommen will, polterte er los: »Gott, ja, ja! Sie haben tausendmal recht. Was willst du? Etwas muß ich doch haben!« Sein hoher, schmaler Körper schien nur der Schatten, den die Williguth warfen. Immer lauter schrie er in seiner Unsicherheit. Jakobes Schweigen nahm ihm den letzten Schein von Recht. Zornig, mit langen, unsteten Schritten lief er auf und ab. Dann blieb er knapp vor ihr stehen und äffte mit hämisch verzerrtem Mund: »Du hast ja keine Zeit für mich. In Zoppot saßest du in Vaters Sonne und ließest dir von ihr den Rücken wärmen. Da hast du prachtvoll die schöne Schwiegertochter von Philipp Emanuel Williguth gespielt. Und ich konnte indessen Motten im leeren Haus fangen. Und jetzt legst du für ihn Blumen in silberne Schalen und bewunderst deine schlanken weißen Finger. Freilich, ihm bist du unentbehrlich mit deinem Räucherfaß!«

Jakobe straffte die schmalen Schultern. Ihre Stimme war ganz still und fremd.

»Du irrst! Die Williguths sind da anderer Meinung, deine Großmutter voran. Die denken alle, ich sei hier ganz überflüssig geworden.«

»Was heißt das?«

»Vor sieben Jahren habt ihr mich ins Haus genommen, weil du ein Lump warst. Ich sollte dir Ziel und Zweck geben und dir die Zeit vertreiben, weil ich jung und hübsch war. Die Williguths meinten, es wäre gut so. Es ist natürlich meine Schuld, daß diese klugen Rechner sich verrechnet haben.«

In die schwere Stille kam jetzt Wittes schrilles Pfeifchen und das schnelle Rollen seiner kleinen Eisenbahn. Pedantisch schob Jakobe die Vasen zurecht. Sie erschrak fast, daß sie jetzt nur Mitleid fühlte, wollte mehr geben, aber hatte es nicht. Mißtrauisch blinzelte er nach ihr. Als das Ebenbild seines Vaters, karg und streng stand sie da vor ihm und las ihm den Text. Er strich den rechten Arm durch die Luft, nur kürzer und schneller als der Geheimrat, daß kein Abschließen darin lag, nur ein verdrossenes Hinschleudern, mit dem er jeden Vorwurf abtat.

»Wer hat mein Manuskript fortgenommen?«

Wieder war das Lauern um den Mund und in den eingekniffenen Augen. Aber hinter der hämischen Knappheit bettelte er um ein wenig Lob.

Weite, helle Augen kamen ihm entgegen, Augen, die schenken wollten, immer und immer wieder, leise und vorsichtig setzte Jakobe ihre Worte.

»Vater also?«

Grämlich verzog er den Mund. Dann lachte er: »Gnade mir Gott!«

Aus den Scherben ihrer Liebe, die auch Giacomo Williguth nicht mehr zusammenfügen konnte, wie die blaue Deckelvase, suchte sie ein buntes Stück der Erinnerung und gab es ihm zum Spiel.

»Warum die Schrift der Schirlitz? Ich hätte es auch getan.«

Und wartete wieder.

Aber er sagte nur: »Ja, die wollte es so« und reckte sich stolz, weil ihn doch jemand lieb hatte. Da stand plötzlich das einzige Kind, das mutterlos unter seines Vaters Zuchtrute aufgewachsen war.

Draußen schrie der geschäftige Witte: »Schnellzug nach Berlin. Einsteigen!«

Und wieder ratterte und rasselte die kleine Eisenbahn.

»Der wilde Kerl!«

Ganz weich lächelte Heinz. Mit einem Ruck legte er dann das Gesicht wieder in die starre Maske. Als Mal, das niemals vernarbte, hatte man ihm den Ehrgeiz eingebrannt. Eine unsichtbare Peitsche schwang hinter ihm drein: der Name, den er trug. Das Lauern in seinen Augen wurde schärfer und kälter, das Mißtrauen wuchs und schüttelte ihn: »Warum hast du Vater meine Arbeit gegeben? Was kümmert dich das plötzlich? Du meinst wohl, es ist nichts damit, und willst es schnell vom Alten schwarz auf weiß bestätigt haben, daß alles umsonst ist? Was?« Mitten im heisern Flüstern schrie er auf: »Bande! Ihr sitzt über mich zurate und spioniert hinter mir drein.«

Dunkel stand jetzt der Haß in seinen Augen: »Vater ist riesengroß für euch alle, und ich zwergenklein. Aber ducken soll er sich vor mir wie ein Hund, auf seiner eigenen verfluchten Klinik. Und du – – du – – –.«

Die Stimme schnappte ab. Er trat auf Jakobe zu, als wollte er sie schlagen. Sie zuckte und wandte den Kopf.

Als sie wieder aufsah, war sie allein. Ihr Herz schlug in schnellen, harten Schlägen, als wären die Adern leer und das Herz selbst ein gefangenes Tier, das nicht zur Ruhe kam. In starrer Gewohnheit ordnete sie wieder die Blumen.

Plötzlich schnellte das volle Licht der schweren Glaskrone in den blassen Mondschein.

»Im Dunkel, schöne Frau?«

In bester Laune schob der Geheimrat Aurelius Schückedanz ins Zimmer: »Na, ihr Weiberchen, hoffentlich macht ihr mir keine Schande mit dem Hecht. Schückedanz hat einen guten Gaumen für Fische. Denk' mal bloß, Jakobe, er hat ja sein 'Röschen'!«

Unter seinem breiten Lachen flog ein scharfer Blick rundum.

»Friedemann ist heute viel wohler. Ich bin zufrieden. Da kann ich also morgen nach Moskau. Die russischen Rubel klingen gut.«

Er rieb die starken weißen Hände und roch an den Blumen. Sein Gesicht sah man jetzt nicht.

»Zwischen zwei Operationen habe ich von Heinz' Arbeit die ersten Seiten gelesen. Nicht übel, gut sogar, sage ich dir. Du kannst stolz sein.«

Er nickte ihr zu, und blitzschnell hatte sie das Gefühl: Er lügt. Er will heute alles gut finden. Er spielt für die Komparserie. Deshalb hat er auch Schückedanz mitgebracht.

Was verschlug es da, ob sie im bunten Maskenspiel mittanzte oder nicht?

»Was, Assistente, der Passus über Hypophysentumoren, den ich Ihnen da vorlas, ist famos aufgebaut?«

»Genial, möchte ich fast sagen,« bestätigte Schückedanz und strahlte über das gute, feiste Gesicht, »wenn er so weiter bleibt, werde ich ihm wohl bald Platz machen müssen.«

Wieder lachte der Geheimrat sein breites Lachen und blickte sich scharf um: »Wenn er glücklich den Dozenten weg hat, will ich ihm mal 'ne Freude machen. So 'ne ganz richtige Freude.«

Die königliche Gebärde verschenkte schier den Erdkreis: »Denk einstweilen nach, Jakobe! Du wirst ja wissen, was er gern möchte.«

Automatenhaft sagte sich Jakobe vor: »Laß uns beide fort! Weit fort!« Aber sie sprach es nicht aus. Fremd und unwahrscheinlich schien ihr der bloße Gedanke. Wieder war sie nur eine gelassene Zuschauerin in dem Schicksal dieses Hauses, das sie und andere mit bunten Kränzen schmückten.

»Na, kommt denn Heinz gar nicht zum Vorschein?«

Es klang heiter, und doch drohten die großen grauen Augen.

Mit schmerzhafter Erkenntnis fühlte Jakobe, daß sie alles, was sie für Heinz tat, um Philipp Emanuels willen tat, daß sie schweigend die Würde dieses Hauses stützte, weil sein Vater es so wollte. Sie schützte Philipp Emanuels Sohn wie ein Stück seines Hausrates, wie die Schirlitz den Staub von Glas und Silber blies und die Schreibtafel für das Kartenspiel reinwischte. So eng und fest war sie an Philipp Emanuel und sein Haus gebunden, daß sie jetzt ein helles Lächeln fand und leichthin sagen konnte: »Heinz wollte noch tüchtig arbeiten, Papa.«

»Wacker!« lobte Schückedanz, der mit verzweifelter Hartnäckigkeit die erwünschte Lüge weiterspann, »da hat er ein paar hochinteressante Operationen an der Leiche gemacht, Frau Jakobe. Allerhand Achtung! Man merkt wohl, woher er die glückliche Hand hat.«

Und er wippte eine Art Verbeugung nach dem Geheimrat hin. Der schob ihn gutgelaunt an den gedeckten Tisch: »Hunger habe ich, Kinder! Simon, Burgunder, falls du nicht allen heimlich ausgesoffen hast.«

 

Kaltes Licht im weißen Zimmer. Vor den Fenstern die Nacht und engbrüstige Häuser mit steilen Dachkapuzen. Leises Leben in der stillen Straße. Nur dann und wann ein dumpfes Dröhnen, wenn abseits von dem vergessenen Winkel ein Auto über das Pflaster surrte oder ein Lastwagen polternd aufstieß. Auf dem Tisch stand eine halbleere Weinflasche und ein volles Glas, über dem Stuhl hing ein weißer Kittel. Hart tickte die Uhr. Sie hatte hier ihr besonderes Recht, denn sie schob Menschenleben ein Stück weiter, wenn das Ohr der Kranken in der Einsamkeit der Nacht das gleichmäßige Ticken nachzählte, in stumpfer Angst vor der letzten Minute Zahl an Zahl setzte. Die Tür glitt ins Zimmer, leer stand der halbdunkle Ausschnitt im grellen Licht. Dann kam eine Männerstimme in das Schweigen: »Was jetzt?«

Schückedanz' Rücken wurde sichtbar, schob sich in die Helligkeit und zog die erregt fuchtelnden Arme nach.

»Und der Chef ist in Moskau!«

Er blies die dicken Backen auf und schnaufte ärgerlich. Über der Tür hing ein Lichtbild des Geheimrats, Kopf und Brust. Wie zu einem Fetisch blickte Schückedanz empor.

»Der hilft dir jetzt mal nicht.«

Heinz Williguth warf spöttisch die Hand durch die Luft und wippte auf den Fußspitzen, wie ein Spieler, der endlich die Trumpffarbe zwischen den Fingern hält.

»Willst du operieren? Lange kann Onkel Friedemann nicht mehr warten.«

»Freilich.«

Schückedanz drückte den Kopf zwischen die Schultern, daß die Speckfalten im Nacken sprangen. Die dünnen Augenbrauen rückten hoch in die rote Stirn.

Dann horchten beide. Ein schwerer Schritt schleppte über die dicken Teppiche, die hier alle Geräusche dämpften. Albine Williguths knochige Finger zerrten an dem schwarzen Kleid, das schlapp an der dürren Gestalt hing. Dann streckte sie stumm die Hände aus.

»Ja, Tante, wir sind da,« sagte der junge Williguth und umschloß die zuckenden Finger mit leichtem Druck.

»Tu's du!«

Wie ein Griff war ihr Blick. Dankbar schaute er sie an. Jetzt war kein anderer da, und sie brauchten ihn. »Hast du den Atem gehört, Schückedanz? Cheyne-Stokes. Es ist Zeit.«

Der runde, kahle Kopf fuhr hemm. Hilflos ruderten die kurzen Arme.

Die Uhr tickte.

»Es ist Zeit,« wiederholte Heinz Williguth und griff nach dem weißen Kittel. Er hakte bedächtig die Knöpfe ein und sagte geschäftsmäßig: »Leicht ist es nicht, Tante.«

In ihren Augen war ein gläubiges Leuchten. Heinz strich schnell über das Gesicht. Wunderlich schien ihm diese Frau, die, häßlich und unbeachtet, als Sklavin lebte und jetzt doch helle Kraft hatte, dem Tode zu trotzen. Sie faltete die rotgearbeiteten Hände und blieb so.

»Die Mädchen sind noch so jung,« murmelte sie dann und lächelte in ihrer Trauer.

Heinz Williguth hatte den Blick auf dem Bild seines Vaters. Ein stummes Messen und Wägen.

»Vorwärts!« sagte er rauh.

Albine hatte lange, sehr lange zu warten, bis der junge Williguth kam.

Er nickte nur stumm. Angstvoll drehte sie den Kopf im Kreise.

»Man kann noch nichts sagen.«

Dann murmelte er mitleidig: »Aber er lebt, Tante.«

Rote Flecken brannten auf ihren eingesunkenen Wangen, der Herzstoß warf das Blut hoch. Sie preßte Heinz' Hände und begann jetzt erst zu weinen, sparsame, karge Tränen, die dick und langsam niedertropften.

»Du mußt jetzt schlafen, Tante. Er braucht dich vielleicht schon morgen.«

Gehorsam stand sie auf. Er gab ihr den Arm. Als er allein war, löschte er das Licht und saß im Dunkel. Sein Atem lief mit dem Ticken der Uhr.

Schückedanz steckte geschäftig den Kopf herein: »Ich bleibe da.«

»Ich auch.«

Die Tür klappte zu. Dann klopfte es wieder.

»Heinrich!«

»Ja, Tante?«

»Darf ich bei dir sein? Ich setze mich ganz still da auf den Stuhl.«

Die Nacht ging weiter, leise klatschte der Regen an die Scheiben.

»Willst du nicht schlafen, Heinz? Du mußt ja müde sein.«

»Nein, gar nicht.«

Und er hatte den Blick im Dunkel, auf seines Vaters Bild.

 


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