Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weihnachten war vorüber, da kam Apollonia in das Haus Philipp Emanuels. Das violette Kapotthütchen saß ein wenig schief auf dem silberweißen Altweiberkopf, und die rechte Hand stützte sich kräftig auf den plumpen Schirm, neben dem die mit Süßigkeiten wohlgefüllte, perlengestickte Tasche schaukelte. Mit festen, entschlossenen Schritten stapfte sie durch den Schnee, der jetzt endlich das häßliche nackte Schwarz des Gartens in rundlich gepolstertes Weiß verwandelt hatte. Mit umständlicher Wichtigkeit packte sie dann die Näschereien für Witte aus und überzeugte sich mit Wohlgefallen, daß er ihre dicken weißen Winterstrümpfe wirklich trug. Jakobe wagte sie doch nicht danach zu fragen, mißtrauisch musterte sie nur den schmalen dunkelgrauen Schuh und ließ den Blick heimlich über das enge rote Hauskleid gleiten, das so scharf die spitzen Knie abzeichnete. Beinahe anstößig und wider die Natur schien ihr Jakobes Mädchenschlankheit. Erregt glättete sie das an den Schläfen noch leicht wellige Weißhaar und saß wie Urmutter Eva, die unter ihrer zahlreichen Nachkommenschaft mal wieder nach dem Rechten sieht. Befriedigt nickte sie erst, als die Wage eine stattliche Gewichtszunahme des feisten Elias auswies. Sachverständig griff sie den Kleinen auf und prüfte Knochen und Muskeln.

»Brav, Jakobe!«

Die dunkelblauen Pupillen funkelten vertraulich hinter der dicken Hornbrille. Sie stemmte die plumpen Hände auf die Schenkel, wie Johann Ambrosius auf dem Holzbild, das Apollonia gerade gegenüberhing. Jakobes Finger lagen als Fäuste auf dem weichen roten Kleid und preßten ins Fleisch.

Die alte Frau warf plötzlich den Kopf zurück: »Kann niemand horchen?«

Sie stampfte selbst zur Tür und guckte hinaus. Wie ein Richter über Tod und Leben, so stand sie dann breit und wuchtig vor der Frau ihres Enkels.

»Elias ist jetzt auch schon vierzehn Monate alt. Da wäre es nun wieder an der Zeit, Jakobe.«

Und ein listiges Lächeln lauerte um den habgierigen Mund. Jakobe schloß die Augen und hatte das Schwirren des Blutes im Ohr.

»Nein, Großmama.«

Apollonia schob dies stille »Nein« von sich wie ein unnützes, unverlangtes Ding. Schmunzelnd zeigte sie ihre gut erhaltenen Zähne: »Du weißt ja gar nicht, wie wunderschön Johann Sebastian die Orgel spielt, wenn so ein neues Urenkelchen gerade gekommen ist.«

»Ich will nicht.«

Ganz starr und ruhig war ihr Blick.

Apollonia Williguth schob die Kinnbacken vor und schlug zornig die Finger durch die Luft, wie man Fliegen scheucht.

»Es ist deine Pflicht, liebes Kind.«

Das Fordern und Heischen der Williguths kannte keine Scham. Schwerfällig, in langsam tappenden Worten gab die Greisin ihre kargen und geringen Geheimnisse preis.

»Eine Frau muß gar mancherlei. Die Männer sind mal so. Auch Johann Sebastian lief gern auf andern Wegen. Du lieber Gott, und ich habe doch zwölf Kinder mit ihm gehabt.«

Gewichtig nickte sie zu dieser Weisheit, legte sie hin wie ein kostbares Geschenk und wartete dann.

Jakobe aber dachte an den Abend, da der Geheimrat lächelnd zu kleinen, feinen Frauenmitteln geraten und sie wie eine Dirne in Heinz' Umarmungen getrieben hatte. Und der Ekel schüttelte sie, daß sie jetzt ein zweitesmal diesen Kreuzweg gehen sollte.

»Was willst du von mir?«

»Ihr lebt nicht wie Eheleute. Oder kannst du es leugnen?«

Die Stimme der alten Frau wurde scharf, in den Augenwinkeln standen zwei kleine, zornige Tränen. Kein Williguth gab sein Gefühl preis, auch ihre Frauen nicht. Jakobe wich langsam vor dieser unerbittlichen Entschiedenheit, die kein Entrinnen litt.

»Heinz läuft mit fremden Frauen. Schämst du dich nicht?«

Sie reckte sich hoch auf und sah geringschätzig auf Jakobe. Sie haßte diese hochmütige Schlankheit, die keinen Nutzen brachte, sie verachtete diese schöne Frau, die den Mann nicht in ihre Arme zwingen konnte. Was sollte sie den Williguths, die Unfruchtbare, die ihren Besitz nicht zu hüten und nicht zu mehren wußte?

Aber nochmal kirrte sie mit lächelnder Weisheit: »Ach, Kindchen, wir sind sechzig Jahre verheiratet, und es waren genug bittere Tage darunter. Und schau mal, jede Nacht horche ich auf seinen Atem, seit sechzig Jahren, Kindchen, und kommt ein Rasseln, weil er doch einen kurzen Hals hat, dann schiebe ich ihm ein Polster unter und freue mich, wenn er wieder ruhig atmet. Werde erst nur einmal so alt, wie ich!«

Mit beiden Händen riß Jakobe den letzten Fetzen Lüge von der nackten Schande: »Ich kann ihn nicht halten. Er nimmt mich und geht.«

Langsam und schier ratlos schüttelte die alte Apollonia den Kopf. Die großen Augen glänzten jetzt fast schwarz hinter der dicken Hornbrille.

»Unsinn,« zankte sie dann, in einer plötzlichen, abschließenden Feindseligkeit, »was sind das überhaupt für Reden! Mein Lebtag habe ich das von keiner Frau gehört! Er hat doch den schönen Namen, hat gut zu essen und zu trinken, trägt seine Kleider und hat zwei Kinder. Ich verstehe dich nicht.«

Ihre Hand zog die wegwerfende Bewegung der Williguths, mit der sie alles abtaten, was ihrem eigenen Wesen fremd war. Grübelnd stand sie eine Weile und lächelte dann wieder voll selbstgerechter Sicherheit. Herrisch streckte sie die Hand aus.

»Komm!«

Würdevoll schritt sie voran, durch dämmerige Korridore, vorbei an dunklen Bildern, durch das schweigende Haus Williguth. Erst in Heinz' Schlafzimmer machte sie halt. Strenge, als täte es not, mit dem Wischlappen in staubige Winkel zu fahren, sah sie sich um und schob das Kinn vor.

»Rufe die Mädchen, die Schirlitz und Simon!«

»Wozu, Großmama?«

»Dies Bett soll hinauf zu dir. Das bist du uns schuldig.«

Wie Eisenklammern schlug sie die Finger in Jakobes Schulter.

»Du willst nicht, was? Ich werde dich lehren, Frau Gräfin!«

Jakobe spannte widerwillig die Arme zurück und zog die Schultern nach, daß die Halsadern dick und pochend unter der blassen Haut sprangen. Stoßweise kam ihr Atem.

Die Greisin reckte sich auf in eigensinniger Gewalttätigkeit: »Die Mädchen sollst du rufen, hörst du nicht!«

In dem offenen Mund zitterte die Zunge, weiß quoll der Speichel. Plötzlich glitt ihre Hand herab. Sie hörte einen bekannten Schritt. Da setzten beide ihr steinernes Lächeln auf und schickten es dem Geheimrat als Gruß entgegen.

Mißtrauisch und scherzend hob Philipp Emanuel den Finger: »Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, was klopfgeistert ihr mir da bei meinem Jungen?«

Jakobe drückte die Nägel ins Fleisch. Dann hatte sie wieder den Mut zur Lüge: »Großmama wollte so gern Heinz' Arbeit sehen, die suchen wir nun.«

Ein Schatten strich über Philipp Emanuels wuchtige Stirn, dann warf er gleichmütig hin: »Ei ja, die Arbeit!«

Jakobe wußte, daß auch seine Gelassenheit verzweifelte Lüge war. Jetzt galt es wieder, vielleicht zum letztenmal. Langsam gab sie das schweigende Zuschauen auf und tat Schritte auf die Seite, die sie längst verlassen hatte, aus Mitleid mit der alten Frau. In gehetzter Lustigkeit lief sie voran.

»Helft doch suchen!«

Dann schwang sie das Manuskript.

Der Geheimrat wog es lange in der Hand. Seine Mutter trat heran: »Sei nicht zu streng mit ihm! Er ist noch jung.«

Ärgerlich schüttelte er den Kopf und blätterte schnell. Die Frauen atmeten kaum. Er blinzelte über das Manuskript scharf nach Jakobe. Die Falten auf der Stirn vertieften sich.

»Warum kommt er nicht selbst zu mir?«

Apollonia fiel schnell ein: »Er weiß doch nicht, daß wir hier sind.«

Sie hatte jetzt den herrisch fordernden Blick wie am Schmerzensbett des Superintendenten. Alles Drohende und Schwere wollte dieser Blick niederzwingen.

Und dann lächelte sie vertraulich dem Sohn zu.

Über Jakobe aber kam die alte Starrheit.

So standen die drei.

 


 << zurück weiter >>