Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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So war alles sicher und wohlgegründet in diesem Hause. Die Schirlitz in ihrem schwarzen Kleide, die dicke Goldbrosche vorgesteckt, den schwarzen Kneifer statt der Hornbrille auf der Nase, das behagliche und vornehme Holzfeuer im leisen Dämmer der Halle, und der alte Diener in seiner dürren Eleganz, mit weißer Binde, auf lautlosen Gummisohlen. Und draußen knirschte der Schnee unter den Füßen der vielen Menschen, die hier Hilfe suchten. Die Feder der Schirlitz kratzte über das Papier, die rote Glut im Kamin sank knisternd zusammen. Hund Boabdil zog pfauchend den Atem ein und stieß ihn pfauchend wieder aus. Simon Gottesdank klapperte gelassen mit den Blechmarken, die jeder Patient erhielt und die dann der Geheimrat der Reihe nach in eine Cloisonnéschale warf. Die schwere Uhr in ihrem Gehäuse, das hinter Flora Schirlitz bis zum Boden reichte, schwang ihr Pendel und hielt Kommen und Gehen in Ordnung, verteilte Hoffnung und Gram. Wer eintrat, erblickte dieses alte Williguthsche Erbstück, das Philipp Emanuel aus dem »Blauen Herrgott« entführt hatte; emsig und doch behäbig rückte der Zeiger mit dem kleinen goldenen Engelskopf über die schwarzen Ziffern.

Wieder schob sich Philipp Emanuel zwischen den blauen Plüschfalten hervor: »Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde soeben abgerufen.«

Mit feinem Lächeln trat er in das Wartezimmer. Hoch und mächtig stand er in seinem schlichten schwarzen Rock und winkte freundlich mit der Hand. In vielen Augen sah er Furcht und Enttäuschung. Breit und behaglich schmunzelte er: »Morgen bin ich wieder da.« In warmen Wellen huschte die Anhänglichkeit aller dieser Menschen durch sein Blut. Jetzt warf er den Kopf zurück: »Drüben ordiniert Doktor Williguth. Mein Sohn versteht sein Handwerk.« Und wieder kam das Winken seiner Hand. Wie einen Befehl zog er die Bewegung durch die Luft.

Da gingen viele, die fürchteten, morgen nicht mehr den Mut zu haben, zum jungen Williguth. Ein paar nur schlichen scheu durch die Halle davon. Simon Gottesdank grinste über das farblose Fuchsgesicht, in dem die Backenknochen wie Haken aufsprangen, und zwinkerte aus den gelben Äuglein, als das kleine Wartezimmer Doktor Williguths von Menschen wimmelte, daß das bescheidene Weiß der Wände und Möbel schier verschluckt ward von dem gierigen Schwarz.

Jakobe stand in der Halle, als der Geheimrat im Pelz die Treppe herabkam.

»Heinz kriegt heute Arbeit, Tochter.«

Verschmitztes Wohlwollen grub absonderliche Falten um Mund und Augen. Draußen scharrten die Rappen im Schnee. Boabdil guckte neugierig hinter dem Ofenschirm hervor, aber weiter wagte er sich nicht. Es war nicht seine Zeit. Und alles blieb hier im Bann von Ordnung und Gewohnheit.

Als vom Garten gedämpft der Hufschlag der Pferde tönte, blickte Flora Schirlitz von ihrer Schreibarbeit auf: »Das war Absicht vom Geheimrat.«

Hastig fragte Jakobe: »Weshalb nur?«

»Er ist in Gebelaune.« Stirnrunzelnd prüfte die Schirlitz die Spitze ihrer Feder und beugte die schwarze Perücke schnell über das dicke Buch. Die junge Frau strich das Haar aus den pochenden Schläfen. Zaghaft blickte sie um sich, als sei das Haus voll von wunderlichen Geheimnissen. Und dann loderte heiß die Freude. Wie ein alter Wachthund witterte die Schirlitz in die schwache Wintersonne: »Ja, ja, gnädige Frau.«

Bis ums Dämmern hatte Heinz Williguth zu tun. Mit heißen Wangen trat er aus seinem Arbeitszimmer. Im Korridor war es dunkel, nur durch ein Fenster von der Dienertreppe her fiel schläfriges Schneelicht. Dort stand Jakobe. Große braune Augen blickten ihm entgegen. Aber der Mund blieb stumm. Langsam trat er auf sie zu.

»Was war das heute?«

Sie haschte nach seiner Hand: »Ich freue mich so.« Ein Schatten fiel über sie, das schwarze Seidenkleid der Schirlitz raschelte.

»Das grüne Zimmer ist bereit.«

Und ihre falschen Zähne blinkten durchs Halbdunkel. Wie ein Wächter stand sie vor den beiden. Dann stampfte sie wuchtig die Treppe voraus und schloß geräuschlos das Musikzimmer auf. Kerzen brannten auf den beiden Klavieren, warfen ihr Flackerlicht über das goldbraune Holz und streuten unruhiges Schattenspiel auf die lichtgrün gemalten Wände und die weiße Stuckdecke. Durch die hohe, doppelte Glaswand, die im Winter die offene Veranda mit den Sandsteinsäulen abschloß, sickerte das letzte graue Licht. Im Garten spann schon die Dunkelheit, nur die weißbereiften Platanen hatten noch matten Silberglanz. Heinz atmete tief und rieb fröhlich die Hände: »Jetzt zünden wir noch die Wandleuchter an.«

Mit dem brennenden Zündholz lief er von Licht zu Licht: »Und noch die Glaskrone.«

Flora Schirlitz nickte würdevoll. Sie hatte ein gutes Herz und wollte fein stillhalten, wenn der Geheimrat bei der Prüfung der Wochenrechnung, die er jeden Samstag höchst persönlich vornahm, da er Jakobes Rechenkünsten nicht traute, über den horrenden Verbrauch an Wachslichtern schelten würde.

Jakobe stand mit runden glänzenden Kinderaugen am dunkelgrünen Kamin, in dem das Gas summte und kochte. Wie gierige Zungen zuckten die bläulichen Flämmchen. Jetzt brannten alle Kerzen; überall war Helligkeit und lustiges Schattenhuschen bunt durcheinander. Heinz schlug den Klavierdeckel hoch. Weiß und schwarz schimmerten die Tasten. Die Schirlitz aber entdeckte eine kleine Staublage, schritt hin und wischte sorgfältig den grauen Hauch fort. Jakobe lächelte leise, und als jetzt der kleine Elias durchs Haus krähte, schüttelte sie fast erstaunt den Kopf. Ihr Herz war leicht und frei, sie reckte die Arme, als hätte sie Schätze ohne Zahl zu verschenken. Heinz wühlte in Notenpäcken, seiner Staub wirbelte empor und hing im Goldlicht der Kerzen. Scharf stand Heinz' Schattenriß auf der lichtgrünen Wand. Flora Schirlitz räusperte diskret und wartete dann.

»Danke schön, Schirlitz,« sagte Jakobe mechanisch.

Die Tür klappte ins Schloß. Still lag das große Haus. Nur die Bäume im Garten kamen ins Rauschen und räkelten sich auf, ehe der Schlaf kam.

Der Atem der zwei jungen Menschen ging durch die Stille.

Heinz steckte den Kopf aus den Noten: »Du, Jakobe, wie lange waren wir beide eigentlich nicht zusammen da oben?«

»Zwei Jahre.«

»So wenig Zeit haben wir für uns selbst?«

Er schüttelte den Kopf und schlang die Hände ineinander, wie um abgerissene Fäden neu zu knüpfen: »Zwei Jahre? Jeder schlich da allein herauf. Sind wir denn so feige vor dem Alten?«

Jakobe schüttelte sich ein wenig und zog dann behaglich die Schultern hoch, wie eine Katze, die am warmen Ofen Buckel macht.

Heinz lachte: »Ja, und jetzt, altes Mädel, jetzt machen wir Musik. Aber das Harmonium dort hinten mag uns gewogen bleiben. Das brauchen wir nicht. Hier ist kein Regens chori und kein strenger Meister von Zucht und Sitte. Hier sind nur zwei Menschen, die sich lieb haben. Oder nicht, Jakobe?«

Schon gruben Falten in die Stirn. Die grauen Augen blickten hart wie die seines Vaters. Nur das Kinn blieb klein und kurz, und der Mund war trotzig, aber nicht stark. Wieder war er bei den Noten und klatschte die Stöße auf und ab.

»Da, Jakobe! Tschaikowsky F-Moll, du nimmst das zweite Klavier.«

Gehorsam setzte sie sich vor ihre Partitur, aber ihre Hände zitterten und griffen falsch. Ihr Herz flog aller Musik weit davon. Heinz hatte rote Wangen und flackernde Augen, mit lustigen, schlenkerigen Kapellmeistergesten langte er von seinem Klavier hinüber und gab ihr Tempo und Einsatz. Ein ganz anderer schien er auf einmal, selbstsicher und Herr über alle Hast und Unkraft. In keckem Übermut pointierte er das Andante, und Jakobe lief hurtig gleichen Schritt. Die Lichter flackerten freundlich, und alles war hell und froh. Plötzlich ließen sie das Spiel, liefen aufeinander zu und küßten sich, heiße, wilde Küsse, die lange geschlummert hatten. Heinz blies zwei Lichter aus. Grau stieg der Qualm. »Willst du nicht weiterspielen?« fragte Jakobe.

Er nickte kurz und eilte ins Finale, in das schwermütige und tolle russische Tanzlied, das nach der Balalaika klingt und nach dem Schrei des Kranichs über der Steppe, im Herbst. Und sie summten die Melodie über das Klingen der Tasten hin: »Im Felde stand ein Birkenbäumchen ...«

Die Wachskerzen tropften und flackerten, als striche ein heißer Wind über ihre Flamme. Heinz löschte jetzt alle Lichter. Ganz dunkel war es, nur von den Klavieren her schimmerte es weiß.

Leise kam die Freude.

Dann war es ganz still.

Plötzlich schlug draußen eine Kinderstimme hoch; »Hurra, da sind sie!«

Und eine derbe kleine Faust hämmerte wider die Tür.

Sie schraken auseinander, standen zitternd und lauschten. Scheu huschten die Blicke aneinander vorbei.

Witte schrie wieder: »Der »Blaue Herrgott« ist da!«

Stumm zündete Heinrich die Kerzen wieder an.

»Man entrinnt ihnen nicht.«

Und er warf hart die Klavierdeckel zu.

»Schließ auf!« befahl er grob.

Schmal und schlank schlich sie zur Tür.

Herein stürmte der kleine Witte, und hinter ihm stand, den mächtigen Zylinder auf dem Greisenkopf, Johann Sebastian Williguth im Pelz und hielt ein großes flaches Ding, dicht in braunes Papier eingehüllt, unter dem Arm.

»Grüß Gott, Großpapa,« sagte Jakobe. Ihre Lippen zitterten, und kein Glanz war in ihren Augen.

Mißtrauisch musterte der Regens chori die flackernden Kerzen: »Viel Licht habt ihr da verbrannt.«

Und er begann laut und bedächtig die Kerzen zu zählen. Dann fragte er streng: »Und was habt ihr gespielt?«

»Tschaikowsky, Großpapa.«

Ihre Lippen wurden rot, und die Zunge fuhr liebkosend darüber hin.

»Nicht Harmonium?« grollte Johann Sebastian und tat Tschaikowsky und seine Musik mit einer einzigen Handbewegung ab. Aber er lächelte sofort, als Witte sich an ihn drängte und neugierig an dem verhüllten Etwas zu zupfen begann.

»Warte, Knirps!«

Er griff in die Tasche und brachte einen großen, rot und weiß gefleckten Plüschtiger hervor, den Witte mit lautem Freudengeheul begrüßte.

»Er macht auch Musik,« belehrte der alte Herr und zeigte fröhlich seine drei großen gelben Zähne. Er quetschte bedächtig den Leib des Tigers, ein häßliches Quieken ertönte. Witte jubelte schrill und ausdauernd.

Auf der Treppe wurden jetzt Stimmen laut, der klare Bariton des Grafen Forcade und der knarrende Altweibersingsang von Urgroßmutter Apollonia. Keuchend pustete sie heran.

»Es ist nicht hübsch, daß ich zu euch heraufklettern muß.«

Die scheußlichen violetten Federn auf ihrem Kapotthütchen, das wie ein Tüpfelchen auf dem breiten, rosigen Gesicht saß, schaukelten mißbilligend hin und her.

Jakobe stammelte: »Wir machten Musik.«

»Aber schlimme Musik,« brummte der alte Williguth. Und, seinen Enkel Heinz scharf im Auge, fuhr er fort: »Dein Vater hat schon recht. Es wird gut sein, wenn ich im »Blauen Herrgott« die alten Meister mit dir mal wieder durchnehme. Das wärmt das Herz...« Er brach ab.

Heinz bleckte die Zähne, wie ein Tier, das machtlos durch das Gitter seines Käfigs stiert. Nikolaus Forcade sagte freundlich: »Verzeiht, Kinder, daß wir eure gute Stunde stören!« Langsam strich er den braunen Spitzbart. Johann Sebastian sah ihn verächtlich an und knurrte etwas, das zum Glück niemand verstand.

Wie Helle ins Dunkel klangen Forcades feste Worte zurück: »Jeder hat sein Recht, lieber Williguth.«

Aber der Alte strafte diese sündhafte Schwäche nur mit einem einzigen Blick und schwang unwillig den ehrwürdigen Zylinder durch die Luft. Frau Apollonia, die mißgünstig die Kerzenverwüstung betrachtete und mit betonter Sorgfalt Wachstropfen vom Klavier schabte, bemerkte mit wohlwollendem Erstaunen:

»Du bist noch magerer geworden seit der Entbindung, Jakobe. Freilich, wenn man kein Kind selbst nährt.« – Die violetten Federn nickten jetzt bekümmert. »Ich begreife dich einfach nicht.« Heinz Williguth funkelte die alte Dame drohend an: »Ich will es nicht, Großmutter.«

»Ich hätte mir das nicht nehmen lassen,« erwiderte voll Stolz die Zweiundachtzigjährige.

»Nur Friedemann mußten wir nach zwei Monaten leider die Flasche geben,« mischte sich Regens chori sachverständig ein und sah Jakobe streng an, »aber der war auch der Zwölfte, und Mutter meint heute noch, sie sei ihm etwas schuldig geblieben.«

Nikolaus Forcade knackte die Fingerknöchel wider einander: »Meine Frau hat seinerzeit auch nicht...«

»Die hatte freilich keine Zeit. Aber Jakobe singt ja nicht. Wenn ich denke, als mein Giacomo zur Welt kam, stand ich noch den ganzen Morgen am Plättbrett. Ja, die jungen Frauen heutzutage! Du weißt wohl gar nicht, wann bei euch große Wäsche ist?«

»Wir haben nur die Babywäsche im Hause, Großmama.«

»O Gott, o Gott, wo ihr doch den schönen Garten zum Trocknen habt,« seufzte die halsstarrige Alte, »und Philipp Emanuel war daheim immer so heikel auf seine Hemden.«

Langgezogenes Hundegeheul gellte durchs Haus. Und dann ein zorniger Kinderschrei. Hund Boabdil jappte. Kleine Füße trampelten eilig die Treppe herauf.

»Es ist hier sehr lebendig,« murmelte der Graf und sah seine Tochter von der Seite an. Herein polterte Wittekind, dicke Tränen kollerten ihm die Backen herab, die grauen Augen funkelten vor Zorn.

»Tiger ist tot,« brüllte er und verbarg seinen Kopf in Jakobes Rock, zerrte und zog und hing wie ein Bleigewicht.

»Aber, Wittelein, schrei doch nicht so!« bat die junge Frau leise und strich dem Wildling über das blonde Strubbelhaar.

Johann Sebastian saß breit und wuchtig in einem Fauteuil und lachte unbändig, als jetzt Boabdil hereinschlich, schnaufend, die Augen rot unterlaufen, den unglücklichen Plüschtiger im Maul.

Stolz blickte der Bulldogg umher, weil er den Feind erlegt hatte. Witte hob sein Wehklagen wieder an: »Tiger – hat – keine Stimme mehr! – Schlechter Bobby!«

Und wütend strampelte er mit den nackten braunen Beinen.

Heinz bückte sich und befreite das Opfer. Der Hund knurrte und zeigte die Zähne. »Sind denn lauter Bestien hier?« brach der junge Williguth los und hieb blindlings mit dem Lichterstock auf den widerhaarigen Boabdil ein. So trieb er ihn zur Tür hinaus. Johann Sebastian sah scharf hin, schluckte ein paarmal und kniff die Augen ein. Er war leicht gekränkt und bezog nicht mit Unrecht die Bestien auf sich und seine Frau. Wenn Philipp Emanuel nicht daheim war, herrschte hier ein lästerliches Chaos. Schadenfroh griff der Alte wieder in die Tasche: »Komm her, Witte, ich habe noch etwas Schönes für dich.« Das Kind ließ die Mutter los, preßte den durch Boabdils Biß stumm gewordenen Tiger unter den Arm und lief neugierig zu Meister Williguth. Der hielt eine Kindertrompete hoch und setzte sie schmunzelnd an die Lippen: »So mußt du blasen, liebes Kind, dann klingt es fein.«

Und er blies. Apollonia schlug entsetzt die Hände zusammen.

»Nein, aber, Vater, das fehlt hier gerade noch, Witte macht doch wahrhaftig Lärm genug.«

»Still, Alte! Witte ist ein Williguth, früh soll er die Musik lieb haben. So denke ich.«

Und eine große Handbewegung erklärte weiteren Widerspruch für unzulässig. Witte schrie und rannte mit seinem Glück davon. Unablässig blies er Signale. Hund Boabdil fuhr bellend hinterdrein. Durch das ganze Haus ging die wilde Jagd.

Johann Sebastian nickte befriedigt: »Das stärkt die Lunge. Und jetzt will ich den kleinen Elias sehen.«

Ungeduldig stand er auf und schob das papierverhüllte Etwas wieder unter den Arm.

»Ich habe sein Taufgeschenk mitgebracht.«

Ergeben, mit leicht gesenkten Schultern, schritt Jakobe den beiden Alten voran.

Graf Forcade blieb mit Heinz zurück, überall war ein Flackern und Zischen, wenn das Wachs der unruhigen Kerzen niederschmolz. Schatten tanzten an den lichtgrünen Wänden. Störrig schaute Heinz vor sich hin und schwieg. Forcade sah ihn mit einem feinen, stillen Lächeln an und legte ihm leicht die Hand auf die Schulter: »Laß sie doch! Sie meinen es gut.«

Der junge Williguth atmete kurz und schnell. »Du kommst nicht los von ihnen.« Und dann, wie um sein inneres Elend loszuwerden, schrie er auf: »Was weißt du, Papa! Nicht mal küssen kann ich die Jakobe.«

Da schwieg Nikolaus Forcade lange und sagte dann nur: »Wir wollen die Lichter löschen.«

Und das taten sie.

»Heinrich!«

»Was?«

Mit tiefer Stimme klang es durchs Dunkel: »Hab' nur Jakobe lieb!« Angst war darin.

In dem blütenweißen Zimmer des kleinen Elias standen die Urgroßeltern und starrten den rotbackigen Knirps an, der neugierig das Köpfchen drehte.

»Für Jakobe ist es immerhin ein starkes Kind,« erklärte anerkennend Mutter Apollonia, die bei jedem Williguthschen Wochenbett mit Rat und Tat zur Hand war. Ihr Blick taxierte die Tauglichkeit der Amme.

»Ich will dann dabei sein, wenn er trinkt.«

Schüchtern nickte das Bauernmädel und blickte zu Boden, ihre eigene Großmutter daheim war nicht anders.

Johann Sebastian beugte sich über das Bettchen, den dicken Rohrstock mit der altersgelben Elfenbeinkugel in der Hand, die alte Kinderfrau im feingefältelten Mullhäubchen sah ihn kampfbereit an und hielt das Deckbett fest.

»Na, decke Sie ihn nur auf. Sie dämliche Person,« befahl er ärgerlich, »mit diesem Stock habe ich noch jeden neuen Williguth gemessen. Zieh' ihm mal die Beinchen stramm, Mutter!« Feierlich und aufmerksam maß er den Kleinen, dann nickte er gnädig.

»Er wächst tüchtig, freilich, Giacomo war größer im selben Alter.«

Er richtete sich hoch auf: »Jetzt sollst du dein Taufgeschenk haben, kleiner Elias.« Und plötzlich fragte er zornig: »Warum heißt er überhaupt Elias? In der Familie Bach gibt es noch viele hübsche Namen. Aber natürlich, ich werde ja nicht gefragt. Ich bin nicht vornehm genug.«

Und er fixierte den Grafen Forcade.

Mit liebenswürdigem Lächeln antwortete dieser: »Philipp Emanuel wollte es so!« Der alte Murrkopf wagte nicht, laut zu schimpfen, wie es sonst seine Art war. Mit dem Geheimrat band er nicht gerne an. Pustend und brummend wickelte er drei dicke Papierhüllen von dem geheimnisvollen Taufgeschenk, schwang endlich ein schwarz gerahmtes, auf Holz gemaltes Bild empor und hob und senkte es langsam, als sei es das Panier der Williguth, vor dem er Achtung forderte.

»Das ist Johann Ambrosius Williguth.«

»Jetzt hast du einen neuen Götzen im Haus,« flüsterte Heinrich seiner Frau ins Ohr. Johann Sebastian aber hielt das Konterfei seines Ahnen mit beiden Händen und trug es wie einen Wappenschild vor seinem würdigen Bauch einher.

So schritt er von einem zum andern und heischte Bewunderung für die krasse und vierschrötige Malerei, die einen Fähnrich der Seydlitzkürassiere aus der letzten Zeit des siebenjährigen Krieges auf plumpen Stelzbeinen zeigte. Der Greis aber blickte liebevoll von seiner Höhe auf das Familienstück, das er behend hin und her bewegte. Gereizt schaute Heinz Williguth auf die starke Ähnlichkeit zwischen dem Bild und dem Uralten, der es trug. Wieder gierige graue Augen, ein schweres Kinn und mächtige Kauwerkzeuge, die Hände in den weißen Stulpen feste Griffpranken.

»Bei Torgau haben sie ihm beide Beine weggeschossen. Er gab sie gern her für den großen Fritz.«

Es klang, als wäre der Sieg bei Torgau nur eine Gabe dieses Johann Ambrosius Williguth.

»Hier soll er bleiben, beim kleinen Elias.«

Und die starke, gichtknotige Hand bezeichnete den Platz an der glatten, schneeweißen Wand. Heinz brachte Haken und Hammer. Diesem Hochmut widersprach man nicht. Mit Wort und Geste kommandierte Johann Sebastian, bis Johann Ambrosius endlich schwarz und protzig auf die Williguths niederschaute.

 


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