Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Heiß, wie im Dampf, stand der Juliabend über der Stadt. Kein Wind war auf, ein blasser Himmel, an dem in breiten Massen graue Dunstwolken klebten, hing über den glutwarmen Gassen und spiegelte bleiern in den unbewegten Teichen des Fontainengartens. Baum und Strauch standen steif und verstaubt, nur hier und da rann ein Rieseln und Rauschen in die Stille, wenn die Gärtner ihre Gießarbeit taten. Im Westen schnitten rote Striche in das graue Gewölk, und darunter, weit draußen in der Ebene, schwebte in Goldschleiern der Rauch der Dörfer. Es war ein Abend, da niemand einschlafen kann und das Blut heiß bleibt bis zum Morgen. Im Speisezimmer, das nach Staub und brauner Leinwand roch, wie das ganze verödete Haus, saß Heinz Williguth allein am Tisch, dem heiligen Christoph gerade gegenüber, der steif und würdig blickte, als habe ihn der Geheimrat mit seiner Stellvertretung betraut. Heinz hielt ein Glas Wein gegen das Sickerlicht der Dämmerung und nickte befriedigt. Dann trank er langsam, in kleinen, genießenden Schlucken. Von der offenen Tür, durch die man für einen Augenblick eine lange Reihe von pedantisch grau verhüllten Kronleuchtern in leeren dunklen Zimmern hängen sah, meldete verdrossen Simon Gottesdank: »Herr Professor Schückedanz.«

Er verachtete den kleinen Aurelius, weil dieser einst hier Hofmeister gewesen war. Der wiedergenesene Schückedanz lief trotz der Schwüle erregt auf und nieder und trug eine ängstliche Miene zur Schau. Der Schweiß rann in schmalen Bächlein über sein feistes Gesicht und verlor sich hinter dem schon halb erweichten Hemdkragen. Er schluckte mißtrauisch.

»Ein Glas Wein, Alterchen?«

»Danke!«

Er beguckte die Flasche und zog die Augenbrauen hoch.

»Hm! Der Chef trinkt bei Tisch nur Brauneberger.«

»Mir ist Chablis lieber!«

Wie ein übermütiger Junge lachte Heinz Williguth. Das Leben schien ihm plötzlich reich und aller Wunder voll. Fast glaubte er jetzt an seine eigene Kraft. Sein Vater war ihm kein bloßes Schreckbild mehr, sondern ein Ziel.

Wieder lief Schückedanz mit kleinen, schnellen Schritten auf und ab und blies und schluckte. Das ganze große Zimmer schien erfüllt von seiner geräuschvollen Rastlosigkeit. Er hob die kurzen Arme:

»Ja, Heinz, das geht nicht. Sieben Todesfälle in einer Woche! Das ist zu viel. Kam auch früher nicht vor.«

Beinahe selbstgefällig zerrte er den blonden Bart. In den Augen von Heinz Williguth funkelte es auf. Er knackte die Finger ineinander.

»Es war keiner zu retten.«

»Weiß ich. Aber du verdirbst uns die Statistik.«

Vorwurfsvoll, in gekränkter Würde hakte er die Finger in die Armlöcher der Weste und stand wie ein kleiner Götze der Unfehlbarkeit. Die Augen kniff er ein und schob den kahlen Kopf zwischen die Schultern: »Übrigens denkt der Chef wie ich.«

Im Triumph posaunte er die Worte und nickte bedeutsam den Takt dazu. Der junge Williguth lachte nicht mehr. Finster schaute er auf das Apothekenschild des Fortunat Williguth aus Quedlinburg Anno 1632. Aurelius aber zog einen dicken Brief hervor, strich ihn fast ehrerbietig glatt und las mit selbstbewußter Würde: »Die volle Verantwortung tragen Sie ganz allein, und ich wünsche nicht,– –«

Er ließ das Papier sinken und genoß seine Wichtigkeit.

»Also dir schreibt er?«

Wie ein Aufschrei.

Schückedanz erschrak: »Du mußt das nicht so auffassen. Da ich doch einmal sein Stellvertreter bin –.«

Er brach ab, als jetzt Heinz' Blick ihn ansprang, starr und dunkel, ohne Licht. Ratlos schaute er wieder in den Brief und las stockend: »Die gemeldete Operation in meiner Privatklinik aber bezeichne ich einfach als Tollheit. Es lag kein Grund zu einem operativen Eingriff vor. Die Launen meines Sohnes verbitte ich mir.«

Ohne daß Schückedanz es wußte oder wollte, geriet er in den gemessenen und überlegenen Ton des Geheimrates und schwang die weißen Blätter vorwurfsvoll gegen Heinz Williguth.

Ein grelles Lachen schlug in die Stille.

»Warum schreibt er das nicht mir?«

»Ich weiß doch nicht– –«

Schückedanz hatte Angst vor den starren Augen des jungen Williguth. Er geriet ins Stammeln, blinzelte verlegen und schlenkerte hilflos mit den Armen. Dann reichte er schnell den Brief hinüber.

Steife, aufrechte Buchstaben marschierten da, voll stolzen Besserwissens und zweckbeladener Schwere. Mit jedem Satz warf Philipp Emanuel eine unsichtbare Schlinge um seines Sohnes Arm. Und in diese unlösbaren und undurchschaubaren Gegensätze tappte jetzt der kleine Schückedanz mit plumper Hand.

»Fühlst du denn nicht, Heinz, wie besorgt und umsichtig der Chef für uns alle denkt? Wie er nach allem und jedem fragt, auch nach dir?«

»Ja, auch nach mir. Pack deine Weisheit ein, Aurelius! Hier ändert sich eben nichts, gar nichts.«

Er klappte den Brief auf den Tisch und strich mechanisch darüber hin. Schückedanz sah ihm zu, wie ein geprügelter Hund, kleinmütig, als hätte ihn der Geheimrat selbst getadelt. Kummerfalten saßen wie drollige Narben in seinem fetten Gesicht, die Hände fingerten ratlos an den Rockknöpfen. Der junge Williguth blickte eigensinnig in den bleifarbenen Abend. Nur das Steigen und Fallen des Springbrunnens draußen ging wie schwerer Atem durch die Stille.

»Du, Heinz!« flüsterte Schückedanz und verwünschte sich selbst ob seiner trockenen Schulmeisterlichkeit. Ganz erbärmlich kam er sich vor, als kläglicher Schatten, den Philipp Emanuel an die Wand warf. Aber wieder kam nur das gleichförmig stockende und wieder ansteigende Plätschern des Wassers in das schwere Schweigen. Da nahm er allen Mut zusammen und erschrak, wie rauh und heiser seine Stimme klang. Und er wollte doch nur ein liebes Wort sagen.

»Jetzt kommt Jakobe ja bald zurück.«

Die Stille schien plötzlich noch tiefer. Draußen ging das rhythmische Seufzen des Wassers schneller, wie im Spott.

Wie von weit her kam endlich Heinz' gleichgültige Stimme: »Ja, die hat auch geschrieben. Warte mal!«

Er suchte in den Taschen: »Da, lies!«

Aurelius aber zögerte verschämt. Hastig spann er an dem glücklich erhaschten Faden weiter: »Als ich jetzt krank lag, habe ich so recht erkannt, welche Gottesgabe ein gutes Weib ist. Bei mir war es freilich nur die alte Tante Sabine.«

Er seufzte.

»Wirklich?«

Hartnäckig bohrte sich Heinz Williguths Blick in den kleinen Professor, der nun alles gut gemacht zu haben glaubte und voll junggesellenhafter Zimperlichkeit Jakobes Brief noch immer ungelesen in der Hand hielt.

»Hab' keine Furcht, Aurelius, lies nur! Da drin steht nichts Geheimnisvolles, nichts Dunkles, nur glatte kleine Sätze, die wie Soldaten im Stechschritt dem Hauptmann nachlaufen. Und ich kenne den Hauptmann. Gut die Hälfte ist angefüllt mit der höchst wissenswerten Tatsache, daß sich Witte in Zoppot eine Muschelsammlung angelegt hat. Der Knirps pappt auch schon Etiketten auf alles Lebendige.«

Jetzt guckte Schückedanz endlich in den Brief, scheu und verlegen, wie durch ein Schlüsselloch in ein fremdes Zimmer. Auf einmal wurde er krebsrot. Da stand ein Sätzlein, halb versteckt und ohne Zusammenhang mit den Stechschriftworten: »Viel Rosen sind da, wie bei uns. Und Tschaikowsky habe ich auch schon gespielt,«

Und er grübelte, ob Heinz dies heimliche Betteln seiner Frau denn nicht erraten wollte. Ein Lichtlein flackerte in Schückedanz' schwerfälligem Hirn. Unbeholfen schaute er lange auf das weiße Blatt. Dann holte er umständlich des Geheimrats Brief hervor, blätterte stirnrunzelnd und machte endlich an einer Stelle halt. Dort war die Schrift kleiner, nicht so steif und starr wie sonst, und es hieß: »In acht Tagen gehen wir von hier nach Zoppot. Meine Schwiegertochter scheint allerdings bis jetzt nicht allzugroße Lust zu haben.«

Dies gab mit der andern Stelle von den Rosen und der Musik einen nur halbverborgenen Sinn. Schückedanz atmete schwer und blickte ein paarmal zaghaft zu Heinz Williguth hinüber. Aber dann wagte er es doch nicht. Einmal konnte er einen großen Griff mitten ins Leben tun, und da war er wieder scheu und feige, der alte Junggeselle, der rot und hilflos vor halbdunklen Frauenworten stand. Schweigend reichte er Jakobes Brief zurück und wartete. Aber das Blatt verschwand in Heinz' Rocktasche, und nichts geschah. Aurelius schlug die Finger klamm und streckte sie wieder, daß des Geheimrats Schreiben zu Boden fiel.

Noch hatte er Zeit, als er sich bückte.

Aber er schwieg auch jetzt.

Wie Goldpünktchen hingen die Sterne im dunklen Blau. Heinz Williguth ging durch das leere Haus, in dem die Hitze in erstarrten Wellen stand. Nur der Widerhall seiner Schritte lief ihm nach. Und hier und da flog eine Motte durchs Dunkel. Er war überreizt und müde, hatte eine wachgepeitschte Unruhe im Blut, die der verloderte Zorn zurückließ. Auf dem Tisch im Speisezimmer hatte der nachlässige Gottesdank eine brennende Kerze vergessen. Das Licht stieg schmal und steil aufwärts, kein Zucken lenkte die Flamme ab. Kleine Schmetterlinge schwärmten ab und zu. Und dann verschrumpfte ein heißes kleines Leben in dummer Gier, sank verbrannt auf den Tisch, und Heinz Williguths Hand warf es über den Rand. Plötzlich zog er Jakobes Brief hervor, aber er las ihn nicht mehr, langsam strich er damit durch die Flamme, bis das Papier aufbrannte und verkohlte. Zorniger Trotz saß um seinen Mund. Er wollte jetzt nicht allein sein. Ein hartes Lachen sprang in die Stille. Dann flog die Asche dem versengten Schmetterling nach.

Auf dem Kiesplatz stieg und fiel der Springbrunnen. Aber die Tropfen verdampften in der Hitze dieser Nacht. In den breiten Alleen des Fontainengartens geschah überall ein Flüstern. Irgendwoher kam ein verlorener Schrei. Da und dort glühte das rote Ende einer Zigarre. Auf einer Bank lockte das helle Kleid einer Frau. Der junge Williguth ging darauf zu, mit knapp geschlossenen Lippen und heißen Augen.

 


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