Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Witte hielt die Trompete mit beiden Fäusten und blies einen Tusch, er wollte auch ein General werden mit Pallasch und zwei Stelzbeinen. Meister Williguth schmunzelte über das ganze Gesicht. Jakobe dankte schüchtern und zog Junker Witte heran, der dem Urgroßvater artig die Hand küssen mußte. Heinz stand stumm und nagte an der Oberlippe.

Ungeduldig trieb Apollonia jetzt die Männer hinaus: »Elias will trinken.« Aber es war gar nicht seine Zeit. Die alte Frau wollte bloß ungestört den Milchreichtum der Amme auf die Probe stellen, wie einst eine Williguth irgendwo auf dem Dorfe die Ergiebigkeit einer Kuh.

»Komm,« sagte gönnerhaft der Regens chori, »ich will euch am Harmonium erfreuen.« Hell schimmerte es über sein Antlitz. Die langsamen Greisenaugen fanden ihr Funkeln wieder, und sein Schritt war leicht und schnell. Er öffnete die Tür zum grünen Zimmer. Wachsgeruch hing darin und die letzten Spuren des Kerzenqualms. Aber nur Graf Forcade trat ein, und Witte mit Tiger und Trompete, Heinz kam nicht. Ihm graute jetzt vor diesem Zimmer.

Mit kleinen, eiligen Schritten lief jemand die Treppe herauf und schwang lustig den Hut. Aurelius Schückedanz meldete, daß der Geheimrat erst spät abends heimkommen könne. Man sollte mit dem Abendessen nicht auf ihn warten. »Also ganz allein mit dem alten Volk,« murrte Heinz und strich über die Stirn. Schückedanz blinzelte verlegen und vorsichtig rundum. Sein Mut schlich am liebsten auf Filzsohlen wie sein Vater in den Gängen von Sankt Pankraz.

Flora Schirlitz' schwere Füße stampften jetzt die Holzstufen empor. Herr Aurelius atmete erleichtert auf und schlug sich klatschend vor die Stirn: »Richtig, Frau Pastor, der »Blaue Herrgott« bekömmt Hühnerfrikassee und Reis, aber nicht zu weich. Er ist stolz auf seine drei Zähne.«

»Schickt Sie der Herr Geheimrat?« fragte die Hausdame gemessen.

»Ja, ich – allerdings – so im Vorübergehen, meine ich.« Er wurde rot, als er den ruhigen Spott in Frau Floras verwaschenen Augen sah.

»Es wird pünktlich besorgt.« Die Landsknechtfüße stampften wieder treppab.

Schückedanz guckte Heinz etwas verwirrt ins Gesicht: »Ja, so ist das nun.«

»Ich weiß, Aurel.«

»Siehst du, es ist ganz lustig, für andere zu sorgen. Und ich tue es gern, Heinz, das darfst du glauben.«

Im grünen Zimmer band Johann Sebastian Ton an Ton auf dem Harmonium und schaltete voll behaglicher Seligkeit im Reiche der Musik. Voll und rein klang es durchs Haus, wie wenn ein frommes Herz zu seinem Gott spricht.

»Du, sag' mal jetzt, Heinz, ist das nicht einfach ein alter Prachtkerl, mit dem lieben Herrgott auf Du und Du?«

Heinz schwieg und horchte nur. Der Kantorssohn von Sankt Pankraz faltete die Hände und legte sie ergeben auf das professorale Spitzbäuchlein: »Ja freilich, da kann das arme Väterchen nicht mit, ist nur ein frommes Stümperlein, mein alter Herr.«

»Und der alte Herr da drin drückt ihm natürlich die Gurgel zu?«

»Na, na, Heinz! Der »Blaue Herrgott« hat einfach den armen Polykarp Schückedanz in der Tasche.«

»Genau wie der Geheimrat den armen Aurelius Schückedanz, nicht?«

»Erlaube mal, ich bin doch schließlich Geheimrat Williguths erster Assistent. Für so ein hungriges Studentlein ist's schon ein Ziel.«

»Und ich bin der Kronprinz.«

Schückedanz fuhr zusammen. Grau und verfallen stand der junge Williguth vor ihm.

»Aber – aber,« stammelte der kleine Professor und versuchte ein zuversichtliches Lächeln, das trübsinnig genug ausfiel. Drin jubelte das Harmonium, der »Blaue Herrgott« war in frommer Seligkeit. Und draußen starrte sein Enkel dem kleinen Schückedanz ins Gesicht, wie einer ohne Halt.

Dann liefen sie im dunklen, verschneiten Garten wegauf, wegab, stumm und ohne Vertraulichkeit. Gelbrot und warm leuchtete die hohe Balkontür, hinter der Meister Williguth unermüdlich sein Werk tat, trotz seiner fünfundachtzig Jahre.

Schückedanz blieb zum Abendessen. Johann Sebastian bekam sein Hühnerfrikassee und nicht zu weichen Reis und trank vergnüglich alten guten Wein. Apollonia lobte die Amme und gab Jakobe weise Ratschläge, worüber Graf Forcade unmerklich lächelte. Johann Sebastian pries noch einmal das Bild des Johann Ambrosius Williguth und wurde dann schläfrig.

»Ich bin doch schon alt.«

Die Augendeckel fielen herab, und er schlummerte ein.

»Er schnarcht niemals,« bemerkte Apollonia stolz und schmunzelte behaglich über so viel Vollkommenheit. Unermüdlich strickte sie dicke weiße und graue Strümpfe, die von Groß und Klein gewissenhaft benützt werden mußten. Die blanken Nadeln klapperten, die Hornbrille saß scharf und schimmernd vor den blauen Augen.

»Philipp hat wohl vergessen, daß Vater und ich heute hier sind?« Aber der Geheimrat kam nicht. Er schickte nur den Wagen für seine Eltern. Beim Abschied streckten die zwei Alten dankbar die Hände hin: »Es war wunderhübsch bei euch.«

Jakobe küßte diese uralten Hände und bekam einen Kuß auf die Stirn, Heinz machte sich mit Mänteln und Pelzschuhen zu schaffen. Simon Gottesdank gähnte und rieb die Fäuste. Es war bitterkalt. Sorgsam schloß er das Tor und klimperte mit seinem Schlüsselbund. Dann saß er in seinem Zimmerlein, trank den Bordeaux und rauchte die dicken Zigarren des Geheimrats. Das war Trost und Lohn für sein langes Warten. Die Falten hüpften lustig in dem gelben welken Gesicht, und der Adamsapfel glitt blitzschnell auf und nieder, wenn der rote Wein durch die Kehle rann. Ganz im Tabaksqualm saß Simon Gottesdank, die Füße auf einen Sessel gelegt, und wartete. Um zehn Uhr trabte Flora Schirlitz nach Brauch und Sitte das Haus ab. Simon steckte den Kopf hervor und schnupperte mit seiner Fuchsschnauze.

»Alleweil fleißig, Frau Pastor?«

Ärgerlich hob die Hausdame den Hamletkopf und fächelte sich absichtsvoll mit einem rosa Batisttüchelchen, dessen Ecke ein großes verschnörkeltes »Flora« in rotem Stielstich zierte.

»Hier riecht es unerlaubt nach des Geheimrats Zigarren. Ich werde das endlich melden müssen, wer...«

»Na, na,« machte der Alte und hielt galant die Tür offen, »Vielleicht einen Augenblick gefällig, Frau Pastor?«

Die Schirlitz trat ein, ein wenig hastig und nicht so würdevoll wie sonst.

»Ist unsere junge Frau noch auf?«

»Natürlich.« Abweisend und kurz klang es, und doch zitterten die festen, knotigen Hände und strichen das schwarze Seidenkleid auf und nieder. »Wir müssen noch unser Whist spielen, wenn der Geheimrat kommt.«

»Arme Frauenzimmerchen. Ja, er ist der Herr.«

Und Simon hob das Weinglas gegen das Licht. Er trank und kicherte in sich hinein: »Ja, das wärmt und macht helle Augen. Sehen Sie, Frau Pastor, so'n alter Kerl friert leicht. Und dann ...« Simon Gottesdank riß mit gutgespielter Ängstlichkeit die gelben Äuglein auf. »Ich habe nämlich das zweite Gesicht.« Er nickte sehr ernsthaft: »Ist gewissermaßen in der Familie. Mein seliger Papa war, wie man zu sagen pflegt, Jahrmarktzauberer.« Verschmitzt blinzelte er die Schirlitz an: »Hier im Hause gehts um!«

Sie richtete sich abweisend auf, als drohende Haken sprangen Nase und Kinn vor, die Hände lagen zu Fäusten geballt auf dem Tisch. Wie ein ergrauter Soldat verteidigte sie ihren Posten.

»Was untersteht er sich?«

»Na, na, Frau Pastor, 'runter vom hohen Roß. Unser Geheimrat hält Sie doch auch nicht viel besser als einen Dienstboten. Prost, alte Dame!«

Rote Flecken brannten im Gesicht der Schirlitz, aber sie blieb ruhig.

Simon grinste sie boshaft an: »Seht euch nicht um, die Maus geht um! Ja, wahrhaftig, Frau Pastor, 'ne riesengroße graue Maus.«

»Er wird schweigen!«

»Tut er auch. Aber einmal, Frau Pastor, so aus gutem Herzen, da hat er sich das Maul verbrannt. Der Alte droben,« er streckte die spitzen Finger gegen die Decke, »hatte gerade sündhaft viel Geld verdient an einem Amerikaner oder so einem Esel und war guter Laune. Da habe ich sozusagen von der Maus erzählt.«

Fast feindlich bohrte die Schirlitz ihren Blick in die hämischen gelben Äuglein Gottesdanks, der behaglich weiter schwatzte, wie einer, der plötzlich aus dem Schatten ins Licht der Bedeutung vor Gott und den Menschen tritt.

»Und dann?«

»Pah, dann! Dann hat er mich nur so von oben angesehen mit seinen zornigen grauen Lichtern und das Hemd, das feine weiße Hemd, das er gerade in der Hand hielt, von oben bis unten zerrissen. Und das zweite und dritte genau so. Rrrr – ratsch! Da ist mir das Herz hingefallen, wohin es nicht gehört, und ich habe nur herausgewürgt: ›Der Herr Doktor haben wohl oft bei Nacht auswärts zu tun!‹ Da hat er die Zähne gebleckt und die Fäuste geballt: ›Raus mit dir!‹ Ich packe die Beine huckepack und fort. Ist nicht gut Kirschenessen mit dem Alten.«

»Er weiß es also?« flüsterte die Schirlitz und stierte geradeaus.

»Ja, so einer ist der Geheimrat.«

Plötzlich fuhr er auf, die schwimmenden Säuferaugen waren starr, die Hände streckte er wie zur Beschwörung aus.

»Die Maus geht um. Es ist ihre Zeit.«

Lautlos huschte er zur Türe und öffnete sie spalteneng. Gedämpfte Schritte schlurften im Korridor. Türen klinkten auf und zu, Simon zählte langsam: »Eins, zwei, – drei, – vier. Jetzt ist er draußen.« Ein kurzes Bellen.

»Der Hund weiß es auch.«

»Nur schweigen, schweigen, Simon Gottesdank!«

Die Schirlitz stand kerzengerade, wie ein altes Schlachtroß, das ein Trompetensignal hört.

»Versteht sich, Frau Pastor, das geht uns Gesindel nichts an.« Lange standen sie so.

Ein schrilles Läuten zitterte durch die Stille, schwang auf und ab und lief die Gänge entlang.

»Er.«

Simon Gottesdank legte die Zigarre weg, bürstete die Asche von dem schwarzen Rock, wischte hastig den Mund und schlich gebückt hinaus.

Geheimrat Williguths Stimme fragte: »Meine Eltern schon fort?«

»Ach, schon lange, Herr Geheimrat.«

»Ihr Maul, Simon, riecht nach meinem Bordeaux und Ihr Rock nach meinen Zigarren, Ihr seid doch alle Diebe.«

Der alte Diener knickte zusammen: »Herr Geheimrat scherzen mit meiner Wenigkeit.«

»Mein Sohn daheim?«

»Herr Doktor schlafen bereits.«

Nun schlotterten Simon doch die Knie. Der Geheimrat hatte das dritte Gesicht, und das war stärker als das zweite.

»Eine Flasche Wein ins Spielzimmer.«

Sein schwerer Schritt verhallte.

Simon zog vorsichtig die Tür hinter sich zu: »Haben Sie gehört, Frau Pastor?«

Die Hausdame war schon wieder ganz Würde und Zurückhaltung: »Gute Nacht.«

Simon kicherte schadenfroh: »Jetzt heißt es Whist spielen und nicht mucksen, eine, zwei, drei Stunden vielleicht. Viel Vergnügen, Frau Pastor!«

Er griff nach einer Blendlaterne und langte die Kellerschlüssel vom Haken.

»Ei, ja, die graue Maus,« brummte er.

Jakobe saß längst am Spieltisch, den Kopf auf die Hände gestützt, zwischen Schlaf und Wachen. Zwei Päckchen Karten, die beiden Schreibtafeln und ein Stückchen Kreide lagen auf dem grünen Tuch. Vor großen Operationen spielte Philipp Emanuel mit Jakobe und Flora Schirlitz einige Partien Whist. Das nannte er seinen Schlaftrunk, und war er erregt und mit sich selbst nicht im reinen, dauerte das Spiel oft bis in die Morgenstunden. Jakobe schrak auf. Sie hörte den Schritt des Geheimrats im Speisezimmer, und er liebte frohe Gesichter, wenn er heimkam.

»Verzeih, Kind, daß es so spät wurde,« sagte er leichthin. Er schien angeregt und gutgelaunt, im Ausschnitt des Schlußrockes schimmerte eine fliederfarbene Krawatte.

»Na, war der ›Blaue Herrgott‹ bei Humor? Wann rückte der musikalische Wundergreis an?«

»Heinz und ich spielten gerade Tschaikowsky im grünen Zimmer.«

»So?« Philipp Emanuel stellte die Brauen auf, zog vorsichtig und ruckweise die blaßgrauen Glacéhandschuhe ab und ließ sie dann durch die Luft pendeln, indem er sie an den Fingern hielt und langsam hin und her schwang.

»Viel geschwatzt, der alte Papa?«

Jakobe mischte schon die Karten: »Nur Großmama begreift nicht, daß ich Elias nicht selbst nähre. Und dann schenkte Großvater ein Bild, das den Johann Ambrosius Williguth vorstellt. Nun hängt es im Kinderzimmer bei Elias.«

»Donnerwetter, Jakobe, da hat dir Johann Sebastian seinen Hausgott abgetreten. Das will was heißen!«

Er ging gemächlich in den Salon, hob von einer blauen chinesischen Vase den Deckel und warf die nicht mehr ganz frischen Handschuhe hinein, dann holte er ein Geldstück aus der Tasche und ließ es den Grauglacierten nachklimpern.

Die Schirlitz kam gerade herein, Flasche und Glas vor sich auf einem Tablett. »Guten Abend,« sagte der Geheimrat und setzte den Deckel wieder auf die Vase. Flora Schirlitz verzog keine Miene. Sie kannte den Hausbrauch und hatte das Klirren der Münze gehört, das deutete auf gut Wetter. War seine Laune schlecht, mußte man die Handschuhe ohne Belohnung zum Putzen aus der blauen Vase holen. Philipp Emanuel lächelte einen ganz kurzen Augenblick schier vertraulich. »Na, Schirlitzchen, wenn ich heute Pech im Spiel habe ...!«

»Ach, aber, Herr Geheimrat,« wehrte sie züchtig ab. Sie war rot bis an die Perücke. Wieder lächelte er fast unmerklich und war gleich darauf wieder starr und gemessen.

Die Karten fielen. Wie gehorsame Mechanismen spielten die beiden Frauen. Philipp Emanuel führte den Strohmann und tat auch dieses Spiel mit Lust und Liebe, wie alles, was er angriff.

»Schirlitz, mit König, Dame und Zehn bringt man den König. O, ihr Weiberchen!«

Er schaute wohlwollend, wie ein Großvater, der junges Volk zurechtweist.

»Invitiere auf Atout, Jakobe! Nun, hat Heinz mit Vater musiziert?«

»Nein, Papa.«

Philipp Emanuel trank langsam sein Glas aus und machte einen Trick. Aber er schmunzelte nicht darüber, wie sonst. Eine Stunde spielte er noch, schweigend, mit gespannter Aufmerksamkeit, dann schleuderte er die Karten hin.

»Du bist todmüde, Jakobe, genug!«

Flora Schirlitz leuchtete mit der Kerze voran, der Geheimrat bückte sich nach einer verstreuten Karte und hielt das Matt Jakobe vor die Augen: »Coeurdame, Kind, das ist Glück.«

Er reichte ihr den Arm und schritt stolz und aufrecht hinter dem Licht der Schirlitz drein. Von manchen Abenden, die für alle im Hause ein Geheimnis blieben, brachte er eine lächelnde, bewußt altfränkische Galanterie heim wie ein seltenes Geschenk.

 


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