Adalbert von Hanstein
Das jüngste Deutschland
Adalbert von Hanstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Die Wiener Theater werden modern.

Auch in Wien war das Theaterleben in ein neues Stadium getreten. Das Burgtheater hatte seine altgeheiligten Räume verlassen, und am 13. Oktober 1888 war es in dem neuen Prachtbau Sempers und Hasenauers wieder eröffnet worden. Doch hatte es zunächst keinen Direktor. Der Dichter Adolf Wilbrandt hatte dies Amt niedergelegt, der vom Berliner Deutschen Theater herbeigerufene treffliche Schauspieler August Förster, der am 1. November 1888 als Leiter des neuen Burgtheaters eingeführt wurde, ward bereits am 22. Dezember des folgenden Jahres auf dem Semmering, wohin er sich zur Erholung begeben, als Leiche aufgefunden – jählings von einem Herzschlag dahingerafft. Nach langem vergeblichen Suchen nach einem geeigneten Manne wurde dann Wien am 12. Mai desselben Jahres durch die Nachricht überrascht, daß der bisherige Sekretär des Hofburgtheaters Dr. Max Burckhard zum Direktor ernannt sei. Da dieser neue Mann sich bisher nur durch juristische Fachschriften als Privatdozent an der Wiener Universität bekannt gemacht hatte, so durfte man auf seine Kunstrichtung gespannt sein. Und bald zeigte es sich, daß er ganz im Fahrwasser der »Modernen« schwamm. Gleichzeitig öffnete auch das im September 1889 gegründete »Deutsche Volkstheater« in Wien den Modernen seine Pforten.

Ein großes Verdienst aber erwarb sich Burckhard schnell: er führte Ibsen am »Burgtheater« ein; und zwar wußte er mit gutem Griff gleich anfangs zwei Schauspiele des großen Norwegers auszuwählen, die den Idealisten Ibsen möglichst rein und voll zeigen: von seinen modernen Schauspielen den »Volksfeind«, von seinen früheren großen geschichtlichen Gedankendramen die herrlichen »Kronprätendenten«. Zur Aufführung dieses gewaltigen Werks im Kais. Burgtheater erschien der greise Nordlandsrecke selbst in der alten Donaustadt, und das war ein Ereignis für die junge Generation daselbst. Denn auch ein »Jung-Wien« gab es bereits, dessen Organ die unlängst entstandene »Moderne Rundschau« bildete. Hören wir, was dieses Blatt über Ibsens Aufenthalt in Wien berichtet (Nr. 2, 1891):

»Nach Schluß der Vorstellung versammelte sich der engere Kreis der Verehrer Ibsens im »Hotel Kaiserhof«, um den Dichter zu feiern. Der von E. M. Kafka, Dr. J. Joachim und Dr. Jul. Kulka ergangenen Einladung hatten zahlreiche Schriftsteller, die meisten Hofschauspieler, einige Mitglieder des Deutschen Volkstheaters, sowie angesehene Vertreter der Wissenschaft, des Parlaments, der Musikwelt und der bildenden Kunst Folge geleistet. Im ganzen waren über 130 Personen anwesend. Zur Rechten Ibsens saß der Direktor des Burgtheaters Dr. Burckhard, zur Linken Richard Voß. Nach einer kurzen Begrüßungsansprache E. M. Kafkas brachte Hofschauspieler Reimers das an der Spitze dieses Blattes (»Moderne Rundschau«) befindliche Begrüßungsgedicht Felix Dörmanns zum Vortrag. Nach dessen von dem Vortragenden mit hinreißendem Schwung gesprochenen Schlußworten durchbrausten stürmische Hochrufe auf Ibsen den Saal. Der Professor der Litteraturgeschichte an der Wiener Universität, Dr. J. Minor, hielt die Festrede, auf die der Vortrag des Gedichtes »Die Kronprätendenten« von Richard Specht folgte, durch die Hofschauspielerin Frl. Pospischil vorzüglich zur Geltung gebracht. Hierauf ergriff Ibsen selbst das Wort. Atemlose Stille herrschte im Saal, als der Dichter zu sprechen begann.

208 »Dieser Abend,« sagte er, »ist mir ein Glück und ich werde die Erinnerung an ihn nach München mitnehmen. Wenn ich etwas erlebe, was mir eine Freude macht, was mich im Innersten bewegt, so wird es eine Dichtung. Dieser heutige Abend hat mich bewegt, und ich sehe schon: Es steht mir etwas vor Augen – ein Bild. Ich sehe es als etwas Schönes, Helles, Freudiges – und ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, ich glaube, es wird ein Gedicht!« –

Jubelnder Beifall folgte diesen Worten. Im weitern Verlaufe dieses Abends sprach Hofschauspieler Devrient ein Gedicht von Leo Hirschfeld, Abgeordneter Pernerstorfer feierte den Politiker Ibsen, Dr. Edmund Wengraf toastete auf das Burgtheater und dessen derzeitigen Leiter und gab damit Anlaß zu einer spontanen Ovation der Versammelten für Direktor Burckhard. Dieser dankte herzlich und gab der Hoffnung Ausdruck, Ibsen bei der nächsten, wie er hoffe, baldigen Aufführung eines weiteren seiner Werke wieder in Wien zu sehen.« –

Bei dieser Ibsen-Begeisterung wollte das Deutsche Volkstheater nicht zurückstehen und ließ am 14. April 1891 den wildgenialen Schauspieler Friedrich Mitterwurzer als sein erstes Gastspiel in Wien bei der ersten Aufführung von Ibsens »Wildente« die Rolle des Hjalmar Ekdal spielen, diesen feinstgezeichneten aller Ibsen'schen Männercharaktere. Aber da dies Schauspiel mit den tiefsten Tiefpunkt von Ibsens selbstironischem, an der Verwirklichung aller seiner hohen Ideale verzweifelndem Pessimismus darstellt, so war es kein Wunder, daß das Wiener Publikum, das ja noch so wenig von Ibsens Dichter-Entwickelung wußte, das Stück trotz Mitterwurzers geistreichem Spiel schließlich ablehnte. Dem nordischen Dichtergrübler aber wurde durch diesen Mißerfolg seine Feiertagslaune anscheinend nicht gestört – ja, bei einem Schlußbankett, das der Wiener Schriftsteller- und Journalistenverein »Concordia« ihm zum Abschied veranstaltete, hatte er die Größe, dem Wiener Publikum für die Aufrichtigkeit auch seines Widerspruchs zu danken. So durfte er im Gefühl eines großen moralischen Sieges abreisen. – Ja, sogar der Versuch, eine »Freie Bühne« zu gründen, ward bald darauf in Wien gemacht, und die begründende Versammlung beschloß, »den Dichter Henrik Ibsen zum Ehrenmitglied des Vereins zu ernennen und dem Wiener Kritiker Rudolf Valdek für dessen unbefangene und gerechte Haltung gegenüber der modernen Litteraturbewegung Dank und Anerkennung auszusprechen«.

In verschiedenen Orten entstanden nun der Reihe nach sogenannte Freie litterarische Gesellschaften. Eine gewisse Bedeutung erlangte diejenige in Hamburg, für die sich namentlich Otto Ernst und Gustav Falke sehr bemühten. Doch waren keineswegs immer Litteraten die Urheber. So wurde in Stettin später eine freie litterarische Vereinigung gegründet, die lediglich einem Kreis junger Kaufleute ihr Dasein verdankte. Anfänglich hatten sie alle den Hauptzweck, aus der Schar ihrer Mitglieder heraus Vorträge über moderne Dichter oder Vorlesungen moderner Poesien zu veranstalten. Dann aber wurde es Brauch, daß die jungen Dichter und Litteraten selbst aus ihren fernen Aufenthaltsorten her eingeladen wurden. Da nicht jede solche Vereinigung sich eine eigene Zeitschrift gründen konnte, jede aber das Bedürfnis hatte, von ihren Veranstaltungen der Oeffentlichkeit Rechenschaft abzulegen, so war es ein zeitgemäßer Gedanke Otto Neumann-Hofers und seines Verlegers Lehmann, das »Magazin für Litteratur« zum gemeinsamen Organ dieser Gesellschaften zu machen und für 209 sie in jeder Nummer dauernd eine Spalte zu führen. Dort haben die Münchener und die Berliner, die Hamburger und die Stettiner sich noch eine Zeitlang ihre Stelldichein gegeben, aber ihre Eigenart verblaßte mehr und mehr, je mehr sich die modernen Erzeugnisse aus dem engen Kreis solcher kleinen Gesellschaften befreiten und sich ein größeres Publikum eroberten. Und wie das in Ernst und Scherz geschah, das ist nun zu zeigen!

 


 


 << zurück weiter >>