Adalbert von Hanstein
Das jüngste Deutschland
Adalbert von Hanstein

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Zweites Kapitel.

Die Gründung der »Gesellschaft« in München.

In der Isarstadt war der Gegensatz der Alten und Jungen, wie wir ja wissen, immer noch wesentlich durch die Stellungnahme Paul Heyse's bestimmt. Als nun Wolfgang Kirchbach einmal in einem Aufsatz für Martin Greif, den lange Verkannten, eine Lanze brach, so brauchte er dabei die Worte:

»Leise, aber stetig hat sich mit dem Heranwachsen jüngerer Geschlechter eine neue Erkenntnis für das Dichterische herausgebildet, leise und allmählich, aber sicher verbreitet sich diese Erkenntnis wie ein ausgeplaudertes Geheimnis, und bald wird sie ein Besitz der Besten sein und eine Zeit für die Kunst originaler Lebenserfassung und Wortdichtung heranbrechen.«

Hierin erblickten die Anhänger des großen Novellisten wieder eine Parteinahme gegen diesen, und Professor Moritz Carrière nahm Gelegenheit, in einem Artikel der »Deutschen Revue« sich grundsätzlich gegen Kirchbach auszusprechen. Das veranlaßte nun die »drei seligen Faune«, sich die längst geplante eigene Zeitschrift wirklich zu schaffen. Conrad, schnell entschlossen wie immer, wurde selbst 62 Verleger und Herausgeber, und am 1. Januar 1885 ging das erste der grünen Hefte der neugegründeten »Gesellschaft« in die Welt hinaus mit einer Einführung, die Conrads Urheberschaft schon in den ersten Sätzen verriet:

Unsere »Gesellschaft« bezweckt zunächst die Emanzipation der periodischen schöngeistigen Litteratur und Kritik von der Tyrannei der »höheren Tochter« und der »alten Weiber beiderlei Geschlechts«; sie will mit jener geist- und freiheitmörderischen Verwechslung von Familie und Kinderstube aufräumen, wie solche durch den journalistischen Industrialismus, der nur auf Abonnentenfang ausgeht, zum größten Schaden unserer nationalen Litteratur und Kunst bei uns landläufig geworden. – Wir wollen die von der spekulativen Rücksichtsnehmerei auf den schöngeistigen Dusel, auf die gefühlvollen Lieblingsthorheiten und moralischen Vorurteile der sogenannten »Familie« (im weibischen Sinne) arg gefährdete Mannhaftigkeit und Tapferkeit im Erkennen, Dichten und Kritisieren wieder zu Ehren bringen.« . . .

Die Mitarbeiter fanden sich schnell. Natürlich gehörte Martin Greif zu den ersten. In der zweiten Nummer sang er in seinen »Deutschen Epigrammen«:

»Dies ist die endliche Frucht der leichterworbenen Bildung,
daß es nur Schaffende noch, nicht auch Genießende giebt.
Alles zu leisten, getraut sich ein jeder, und jeder nur stümpert;
An die besondere Kraft glauben die Menschen nicht mehr.
Buntheit ersetzt den Gehalt und die Formen ein fertig Gepräge,
was ursprünglich erscheint, gilt als verwegen und schroff.
Alles Bedeutende sinkt in der Schätzung; die Kunst entfliehet;
was die Seele sonst sang, ahmen die Lippen nur nach.«

Als einer von der alten Garde stellte sich Hermann Lingg ein, der gleich Alfred Meißner Gedichte beisteuerte. Die kampfmutige Friedensfreundin Bertha von Suttner lieferte ihr erstes Probeblatt aus dem »Inventarium einer Seele«, und als realistische Schriftstellerin gesellte sich auch bald Frau von Kapff-Essenther dazu. Seine eigentümlichen Ideen über »Natürliche und vernünftige Zuchtwahl in der Menschheit« verfocht G. Christaller (geboren zu Akropong am 10. Dezember 1857), der sie soeben in einem starken Bande niedergelegt hatte, auch in der Zeitschrift. Er verlangte, daß eine Aristokratie aus den guten und tüchtigen Menschen sich bilden, daß die harmlosen Dummen von Kirche und Staat bevormundet werden, die Schlechten hinausgeärgert, das Zweikindersystem eingeführt und die »Mißgeburten« getötet werden sollten.

So war rücksichtslose Ueberkraft das Kennzeichen der neuen Zeitschrift. Conrad selber verteidigte immer wieder seinen Heiligen aus Frankreich. In jeder Bücherbesprechung kämpfte er mit im »Zolakrieg«. An drastischer Derbheit ließ er's nicht fehlen, in Epigrammen, wie:

Naturalismus? – Ich muß gestehen,
nur Schmutz und Fäule giebt's zu sehen
in Eurer natürlichen Kunst und Dichtung;
Es stinkt! Das ist Eurer Wahrheit Wesen!

»So hast du mit der Nase gelesen,
nicht mit dem Verstand? . . . . Ist auch eine Richtung!«

63 Einen Genossen fand er schnell in Oskar Welten, dessen »Zolaabende bei einer Dame« er ebenso warm empfahl, wie Eduard Engels »Psychologie der französischen Litteratur«:

»dessen frische Stimme ganz andere Beachtung verdient, als das französisierende Schnatterkonzert, das aus den Feuilleton- und Kritikwinkeln berühmter Zeitungen jahrein, jahraus ertönt, oder als die Perückengelehrsamkeit der litterarhistorischen Zünftler.«

Kurz, mit der ganzen ihm angeborenen Rücksichtslosigkeit des Kraftmenschen, dabei aber auch mit der Begeisterungsfähigkeit einer im Grunde programmlosen Gemütsnatur und mit der Schlagfertigkeit des Agitators wußte Conrad von allen Seiten her die Neuerungslustigen zusammenzutrommeln, und während er selbst unter zahlreichen angenommenen Namen für seine junge Zeitschrift schrieb, erhielt er von allen Seiten begeistert zustimmende Briefe aus der jüngsten Generation, die in ihm – mit Kirchbachs Wort – den Hutten der litterarischen Revolution zu erblicken anfingen. Kirchbach selbst aber führte in der fünften Nummer der Gesellschaft den schärfsten Streich gegen das erlauchteste Haupt, das der Münchener Parnaß damals kannte.

Paul Heyse soll bei der ersten Nachricht von der bevorstehenden Gründung einer jungrevolutionären Zeitschrift geäußert haben: »Kämpfen Sie nur nicht mit stumpfen Waffen!« Nun schliff Kirchbach die seinen zu schneidender Satire. »Münchener Parnaß« nannte er einen litterarischen Faschingsscherz, der am 1. Februar allerdings in der Karnevalszeit erschien.

Da erblickt man auf dem Gipfel des Parnasses zu oberst den Altvater Goethe, der mit den neun Musen schäkert, zunächst ihm den Apollo, der mit Behagen die römischen Elegien liest, dann Schiller, der sich eine »Butterbemme« mit Ambrosia belegt und aus einer Feldflasche dazu Nektar trinkt, und – am kastalischen Quell idyllisch zum Picknick gelagert – Klopstock, Wieland, Herder, Klinger, Lessing und die Andern. Da meldet Marsyas, es sei wieder ein Schub Unsterblicher angekommen, die am Gartenzaun lärmten. Auf dem achtbeinigen Wodansroß zeigt sich Felix Dahn, als bescheidener Goethe-Schwärmer und Goethe-Landsmann Ludwig Fulda. Während diese ungeduldig vorandrängen, während Wildenbruch, Gottschall, Freytag, Lindau, Spielhagen, Scherr, Wolff, Baumbach und Grosse ruhig warten, arbeitet sich eine stattliche Persönlichkeit gleich bis zu Goethe hindurch. »Mein Name ist Dr. Paul Heyse!« – so stellt er sich vor, und alle Unsterblichen brechen in ein »Ah« aus. Freudig empfangen ihn als schönen Mann die Musen, die alle seine Novellen gelesen haben, während Goethe das nicht von sich sagen kann. Er meint: »Aber wo denken Sie hin, lieber Freund! Siebzehn bis achtzehn Bände!« Das schmerzt Paul Heyse besonders, da er seine Weltanschauung so gern mit der Goethes vergleicht, sich so gern auf den Altmeister beruft und oft gehört hat, daß er körperlich und geistig mit jenem Aehnlichkeit habe: »Ja, Goethe und ich, vereinsamten Beide.« Aber es scheint ihm weniger an seinen Novellen gelegen, als an seinen Dramen, und hier wendet er sich sogar gegen Goethe: »Goethe war ein Demokrat. Das Drama ist eine aristokratische Kunst. Wie konnte Goethe ein Dramatiker sein? Vornehm zu sein, das ist die 64 Aufgabe dramatischer Helden. Das Tragische ist das Vornehme, das Adelige, das gegen das Unadelige unterliegt. Melpomene, süße, adelige Seele! Umarmen Sie mich! Auch Sie Thalia, vornehmes Frauengemüt, küssen Sie mich! Vornehm zu sein ist Alles!« Und hier lag für Kirchbach eigentlich der Hauptzweck seiner Satire. Es handelte sich für ihn nicht um eine billige Verspottung einer bedeutenden Persönlichkeit, sondern um ein ästhetisches Prinzip; das kommt zum Ausdruck in einer Auseinandersetzung zwischen Heyse und Lessing:

»Ich las neulich ein Buch von Ihnen; Unvergeßbare Worte – hieß es. Sie kommen da auch auf Shakespeares »Macbeth« zu sprechen und finden, daß sein Tod doch nur »den ganz prosaischen Gerechtigkeitssinn befriedigt«. Sie finden, daß das Tragische, wie Sie sagen, so beschaffen sei: »hierin liegt das Recht und das Verhängnis aller wahrhaft tragischen Helden, daß ihr innerer Adel in der armseligen Welt, die ihre Gesetze nach dem Mittelmaß der Schwäche eingerichtet hat, sie in hoffnungslose Kämpfe stürzt, wo sie von der Wucht der Alltäglichkeit erdrückt werden.« Sie meinen, »daß eine Schuld nur tragisch genannt werden darf, wenn sie vor dem Richterstuhl der wahren Sittlichkeit als Unschuld erscheint.« Liebster Herr! Als ich das las, kam ich mir erst ganz erschrecklich dumm vor. Ich habe da, als ich noch lebte, ein Langes und Breites über Aristoteles geschrieben und daß die Tragödie Furcht und Mitleid erregen solle, habe auch einiges von der Nemesis der Griechen gesagt. Mit drei Wörtchen, wie mit dem kleinen Finger, haben Sie diese meine Denkarbeit in Ihren Sätzen weggeschnippt, und ich dachte, das muß ein gewaltig grausam großer Geist sein, der den Lessing-Aristoteles wie ein Kartenblatt umbläst! Ein paar abgedankte Schulfüchse haben Ihnen ja auch Bravo! dazu geklatscht, wie ich höre. Ich habe mich aber wieder von diesem Schrecken erholt, lieber Mann, seit ich Sie da vor mir stehen sehe! O über Euer neunzehnhundertjähriges Philistertum, das eine ehrliche Schuld in eine Unschuld verwandeln muß, wenn es tragisch fühlen soll! Habt Ihr keine Kraft mehr, eine große Schuld auf Euch zu laden, sollt Ihr auch nicht meinen, Ihr dürftet in tragicis mitreden! Gerechtigkeitssinn ist Euch prosaisch: ich aber rufe Euch zu mit dem Chore der Eumeniden: Nemesis!«

So ist also der Grundzug auch dieser Satire: das Prinzip der Kraft gegenüber demjenigen der glatten Formschönheit zu verteidigen. Wenn die jungen Schriftsteller von damals hierin zugleich den Unterschied von Naturalismus und Idealismus zu erblicken glaubten, so irrten sie allerdings darin sehr.

Von den jüngern war ja auch gerade Kirchbach später einer der ersten, die sich vor dem wirklichen Naturalismus entsetzten, als er in seiner ganzen Kraßheit erstand, und an Heyses siebzigstem Geburtstag hat er ihm eine begeisterte Rede gewidmet.

Damals aber wurde seine Satire gegen Heyse viel gelesen und viel belacht. Ihm selber war es unangenehm, wenn man sie persönlich auffaßte. Er hatte ja den berühmten Novellendichter schließlich unter den Unsterblichen Platz nehmen lassen, nachdem er, auf Apollos Wunsch, »gehörig durchgeschwefelt« worden war und damit gewissermaßen die vorschriftsmäßige Quarantaine überstanden hatte.

Aber, was half das? Die Leser dieser Nummer der »Gesellschaft« lasen doch nur den Spott heraus und stimmten entweder darin ein, oder empörten sich darüber. Die Zeitschrift aber war nun plötzlich in den Vordergrund des Gespräches gerückt. Sie wurde nun in der That schnell der Sammelplatz aller gärenden Elemente, und München galt jetzt als der Herd der Revolution. Daß aber auch in Berlin das Feuer des litterarischen Aufruhrs nicht erlosch, dafür sorgte Karl Bleibtreu. Er war einer der ersten gewesen, die von der Spree nach der Isar 65 hinüberreisten, und schnell verband ihn brüderliche Freundschaft mit Conrad und Kirchbach. Die neuen Dichtungen des Herrn von Reder, die eigenartigen »Federzeichnungen«, verkündete er aller Welt; für die Gesellschaft schrieb er lebhafte, aber sehr parteiische Briefe über das litterarische Leben in Berlin, und endlich regte er die weitesten Kreise des Publikums auf durch eine Broschüre, die plötzlich in den Schaufenstern der Buchläden schon durch ihre Aufschrift aller Welt das neueste Schlagwort verkündete.

 


 


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