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Zu spät.

Im Frühling war's und ihren Reigen gingen
Die Sterne bei der Nachtigallen Chor,
Im Westen nur zog schwarz Gewölk empor,
Schwarz wie die Träume, die mein Herz umfingen.

Und düstrer ballt das Wetter sich zusammen,
Und Windsbraut heulte durch der Berge Schlucht;
Die Blüten stoben hin in wilder Flucht,
Und schwarze Nacht verschlang der Sterne Flammen.

Mir aber war in meinem tiefsten Herzen,
Als war die Welt ein festgeschmückter Saal,
Doch schon vorüber wären Tanz und Mahl,
Und allgemach verlöschten seine Kerzen!

Zur Ruhe wären schon die edlen Gäste,
Die hier gezecht, geschmauset frank und frei,
Wir andern kämen, da das Fest vorbei,
Und müßten uns begnügen mit dem Reste.

»Verklungen,« sprach ich, »sind die frischen Lieder,
Und mit den Liedern starb der frische Sinn;
Des Lebens echte Freudigkeit ist hin,
Die Welt war jung, doch Jugend kehrt nicht wieder!

Zu spät, zu spät sind alle wir gekommen,
Die hell des Gottes Flamme noch durchglüht,
Wie Blumen, zögernd erst im Herbst erblüht,
Vergehen wir vom Frost hinweggenommen!

Zu spät, zu spät! Der Vorhang ist gefallen,
Und auf die Bühne treten wir hinaus;
Wir sprechen; aber staunend fragt das Haus:
Wo kommt ihr her, was wollt ihr mit dem allen?

Zu spät, zu spät, ein Arzt am Bett des Kranken,
Des Seele schon des Todes Frost umwand,
Zu spät erschienen wir; Begeistrung schwand,
Wem frommen noch begeisternde Gedanken!

Zu spät erschienen wir, das letzte Flimmern
Des Sternes, eh' ihn Wolkennacht begräbt,
Die letzte Woge, die das Schiff erhebt.
Die nächste aber spielt mit seinen Trümmern!«


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