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VI. Das Burgtheater. Gustav zu Putlitz. Heinrich Laube. Leidender Zustand.

Ohne gerade eine amtliche Stellung in bezug auf das Theater zu bekleiden, genoß Baron Münch, der Dichter Friedrich Halm, schon nach der Aufführung seines zweiten zu durchschlagendem Erfolge gelangten Dramas »Der Sohn der Wildnis« (1842), in welchem Julie Rettich durch ihre Darstellung der Parthenia das Publikum begeisterte, einen gewissen Einfluß auf das Wiener Burgtheater, die erste deutsche Bühne jener Zeit. Dieser Einfluß steigerte sich und machte sich auch nach dem Jahre 1848 geltend. Nicht selten wandten sich dramatische Autoren um Rat und Unterstützung an den Baron Münch, damit ihnen die Bühne des Burgtheaters geöffnet werde. 1848 hatte Holbein, der Direktor des genannten Kunstinstitutes, dem Grafen Moritz Dietrichstein, welcher als oberster Hoftheaterleiter fungierte, vorgeschlagen, für das Hofburgtheater einen Dramaturgen zu ernennen. Dietrichsteins Nachfolger, Karl Graf v. Lanckoronsky, erkannte den erbetenen Dramaturgen als Bedürfnis, und unter den hierfür ins Auge gefaßten Persönlichkeiten befand sich Baron Münch. So gern aber dieser eine wirkungsreiche Stelle auf dem Gebiete des Theaters bekleidet hätte, so scheiterten doch die Verhandlungen mit ihm an dem Umstande, daß Münch eine hochangesehene soziale Stellung an der berühmten Hofbibliothek als Hofrat inne hatte und nicht geneigt war, diese mit dem Posten eines einfachen Dramaturgen zu vertauschen. Es wurde für die Stelle nunmehr Heinrich Laube ins Auge gefaßt, der allerdings sich auch nicht mit dem Titel des »Dramaturgen« begnügen wollte, obwohl mit der Anstellung ein Gehalt von 4000 Gulden verbunden war; endlich wurde ihm aber doch der Titel »Direktor« zugestanden und Laube am 26. Dezember 1849 zum »artistischen Direktor des k. k. Hoftheaters nächst der Burg« ernannt. Er hat diesen Posten bis zum 30. September 1867 bekleidet und seine ausgezeichnete Direktionsführung bildet einen Merkstein in der Geschichte jener berühmten Hofbühne.

Heinrich Laube war, als er nach Wien kam, dem Baron Münch kein persönlich Fremder. Halm war schon seit 1841 zu Laube in verschiedenen Beziehungen gestanden, hatte mit diesem vielfach schriftlich und persönlich in freundschaftlicher Weise verkehrt, seitdem Laube in einem Schreiben nach dem Bekanntwerden der »Griseldis« an Halm die Worte gerichtet: »Ich bin ein lebhafter Verehrer Ihrer Griseldis und habe sie in jener mageren Zeit immer für einen genialen Wurf gehalten.« Als im Jahre 1843 Julie Rettich in Leipzig Gastspiele gab, zu welchen sie auch der getreue Freund und Schöpfer ihrer hervorragenden Rollen, Baron Münch, begleitete, lernte Laube auch diese Künstlerin und Freundin Halms kennen und schrieb letzterem über sie später nach Wien: »Die Iphigenie dieser Frau gehörte zu den größten Kunsteindrücken, die ich gehabt, und ich erinnere mich deren von solcher Größe nur etwa noch zweier oder dreier.« Auch Julie Rettich hoffte, aus der Hand des als Dramatiker aufstrebenden Laube so manche dankbare Aufgabe für die Kunst zu empfangen, »eine Hoffnung, die Halm zu teilen geneigt war und die dessen Beziehungen zu Laube wesentlich wärmer und intimer erscheinen ließ, als dies sonst wohl der Fall gewesen wäre«. Laube übernahm um jene Zeit 1842 zum zweiten Male die Redaktion der »Zeitung für die elegante Welt«. Dem Eingreifen Münchs war es zu verdanken, daß Laubes Drama »Monaldeschi« auf die Bühne des Hofburgtheaters gelangte, wo es am 23. März 1843 zum ersten Male aufgeführt wurde. Frau Rettich spielte darin mit gewohnter Meisterschaft die Christine. Ferdinand Raab berichtet: »Bei den dramatischen Kindern Laubes übernahm Halm eine Art von geistiger Patenschaft. Er sanktionierte oder verwarf Kürzungen oder Umstellungen und. schlug Besetzungen vor. Er übernahm bei ihnen aber auch nicht selten die weltliche Patenschaft. Er ebnete ihnen die dunkeln Wege in die Direktionskanzleien, durchbrach oder umging für sie die bösen Zensurschranken und geleitete sie bis auf jene heißen Bretter, welche die Welt bedeuten. In erster Linie tat er dies alles für den ›Monaldeschi‹.« Dem schon von allen Seiten anerkannten Dramatiker Halm brachte Laube die größte Hochschätzung entgegen, von seiner ehrlichen, überzeugungstreuen Gesinnung sprechen die Worte, welche er in einem Briefe an Halm richtete, als dieser ihm seine Beurteilung von Laubes »Karlsschülern« zukommen ließ.

»Was Sie von der Überlegenheit meines Stückes sagen,« schrieb Laube, »das weiß niemand so bereitwillig als ich auf seinen wahren Wert zurückzuführen. Was ist's für eine Kunst, wenn man einen so naheliegenden und dankbaren Stoff ergreift. Ihre Kunst, aus dem Talente allein die Wirkung herauf zu beschwören, ist doch wahrlich viel größer. Ich weiß das nur zu gut und wenn ich neidisch wäre, würde ich Sie um das so viel größere Talent beneiden. Glauben Sie mir, daß ich immer anstaune, wie Sie mit Ablehnung aller Krücken nur in Bewegung Ihrer eigenen Welt zum Ziele dringen.«

Bei der Neubegründung der »Zeitung für die elegante Welt« war es Laube darum zu tun, daß auch die Österreicher in dem Blatte vertreten seien. »Helfen Sie,« schrieb er an Halm, »daß mir Österreich nicht zurückbleibt, werben Sie mir Lenau, Grün, Grillparzer, sich selbst.« Von Halm erbat Laube für die Zeitung sechswöchentliche Berichte über das Leben in der Gesellschaft und dergleichen. Daß dieselben nicht erfolgten, wird jedem begreiflich, welcher den Lebenslauf des Barons Münch bis hierher verfolgt hat. – Einen ganz besonderen Dienst hat Laube dem Dichter Halm durch seine Stellungnahme in der Angelegenheit erwiesen, welche die schon früher erwähnte geschmacklose Mär betraf, daß der unglückliche Enk der eigentliche Verfasser der Dramen Halms sei. Zunächst schrieb Laube an Halm, »ihm doch ein paar Worte oder, wenn notwendig, ein paar Seiten zu übersenden, mit dem Jungen-Geschwätz ... entgegentreten zu können.« Einige Tage darauf aber brachte schon die »Zeitung für die elegante Welt« jenen Aufsatz Laubes, welcher in mächtigen Worten des Unwillens den Dichter Halm so glänzend verteidigt, jenen Aufsatz, in dem der Verfasser die Parallele zwischen Schloßgespenstern und Autorengespenstern zieht, die Autorengespenster »vor allem in Österreich heimisch« nennt, auf mehrere bedeutende österreichische Dichter, darunter Grillparzer, hinweist, dem solche Autorengespenster »zur Seite geschritten« seien, Friedrich Halms Autorengespenst Michael Leopold Enk von der Burg nennt und schließlich mit den Worten des Unmutes endet: »Ein talentvoller Mann hat zehn Jahre hindurch seine ganze Kraft mit treuem Eifer und redlichem Bestreben der vernachlässigten dramatischen Kunst, dem verwaisten Theater in Deutschland zugewendet, er ist niemals jemand zu nahe getreten, er hat durch das ganze Vaterland große und schöne Erfolge seiner Stücke erlebt und viele Herzen zu den schönsten Regungen begeistert und dieser Mann muß auf die leichtsinnige Verdächtigung eines anonymen Korrespondenten hin Dokumente darüber beibringen, daß er – ein ehrlicher Mann sei.«

Wie Laubes schon damals gewichtige einflußreiche Stimme bei dieser Verteidigung von Erfolg gewesen, bewies das rasch danach eingetretene Verstummen der albernen Gerüchte und des ganzen Klatsches, der sich dabei herausgebildet hatte.

Im Oktober 1845 war Laube nach Wien gekommen, er hatte nun Gelegenheit mit Baron Münch häufiger zu verkehren, er kam zu Rettichs als gern gesehener Gast. Allerdings gelang es weder Münch noch den von ihm beeinflußten angesehenen Freunden, den weiteren Stücken Laubes auf dem Burgtheater Eingang zu verschaffen. Die Bedenken der Zensur waren nicht zu bewältigen. Weder »Struensee«, noch »Gottsched und Gellert«, am allerwenigsten aber »Die Karlsschüler« konnten auf die Hofbühne gelangen. Um jene Zeit war es, als Halm die bekannte Petition um eine Reform der Zensurverhältnisse mit Unterzeichnete, welche die Schriftsteller Österreichs an den Fürsten Metternich gerichtet hatten, die aber ebensowenig wie andere ähnliche Bestrebungen eine günstige Erledigung fand. Laube hatte damals noch kaum daran gedacht, daß in nicht allzulanger Zeit seine Person selbst zum Direktor des Burgtheaters ausersehen sei. Aber da er als Vertreter Österreichs 1848 im Frankfurter Parlamente weilte, hatte er auch die Bekanntschaft von Schmerling gemacht, welcher für den Theaterkundigen besonderes Interesse faßte, und als Schmerling selbst in Wien eine einflußreiche politische Persönlichkeit geworden war, hatten die maßgebenden Kreise, als Laube 1849 zum dritten Male Wien aufgesucht, ihre Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, man war in Unterhandlungen eingetreten und nachdem ihm noch Münch die richtigen Forderungen eingeschärft, welche »Wahl der Stücke, Bildung des Repertoires, Besetzung der Rollen« betrafen, und diese angenommen worden waren, erhielt Laube seine schon früher erwähnte Ernennung zum Direktor der ersten deutschen Hofbühne in der österreichischen Residenzstadt.

Aus dem mehr stillen Leben Friedrich Halms von 1850 an bis 1866 wäre nicht viel zu berichten. Zu Anfang der fünfziger Jahre ergriff ihn ein Magenleiden, zu dessen Behebung dem Dichter der Arzt einen Kuraufenthalt in Karlsbad angeraten hatte. Er verbrachte die freie Zeit zumeist in der Villa Rettich in Hütteldorf, denn wie er es oft betonte und einmal auch an Julie Rettich schrieb: »In Ihrem Hause weilen ist mir, auch wenn Sie fort sind, der liebste Aufenthalt der Welt.« Dort arbeitete Halm zurückgezogen im Kreise der ihm so lieb gewordenen Freunde. Wenn Julie Rettich in den Theaterferien auf ihren Gastspielreisen abwesend war und auch Karl Rettich seine Ferien in Bade- und Gebirgsorten zubrachte, führte Baron Münch wohl auch die Aufsicht über das kleine Hauswesen, in welchem später die zwei Kinder Emiliens, der Tochter des Ehepaares Rettich, bei solchen Gelegenheiten seiner Leitung ebenfalls anvertraut waren und liebevoll von ihm betreut wurden.

Im Jahre 1851 traf den äußerlich scheinbar oft mürrischen, aber im Innern an tiefer Empfindung so reichen Dichter ein schwerer Schlag. Sein Sohn Franz war schon früher von unheilbarem Irrsinn befallen worden und in Görgens Privatirrenanstalt zu Döbling bei Wien untergebracht worden, aus welcher er im Jahre 1850 sogar entflohen war. Obwohl man seiner wieder habhaft geworden und ihn weiterer Behandlung zuführte, besserte sich der Zustand nicht und Münch mußte den Schmerz erleben, daß, wie 1850 in derselben Anstalt zu Döbling sein alter Freund Lenau nach langjährigen Leiden in der Nacht des Wahnsinns das Leben endete, auch Franz dem unerbittlichen Tode anheimfiel. In der Tat erkrankte nach solchen sein Gemüt niederschmetternden Schlägen der Dichter Halm im Frühjahre 1852 und er mußte die Arbeit an dem eben begonnenen »Fechter von Ravenna« zurücklegen. Dieses Schauspiel, welches für ihn noch die Quelle einer ganzen Reihe von Unannehmlichkeiten werden sollte, wurde im November des Jahres 1853 vollendet.

Im Sommer hatte Baron Münch wohl auch öfter die herrliche Gebirgswelt von Aussee besucht, in der Rettichs selbst gern weilten. Da sein schon erwähntes Magenleiden überhand nahm, folgte er endlich dem Rate des Arztes und begab sich zuerst im Juli 1854 zur Kur nach Karlsbad, wo auch Karl Rettich, Faust Pachler, ebenfalls leidend, und Baron Münchs Oheim, der Staatsmann Anton Freiherr von Münch, ihren Aufenthalt genommen hatten. Auch Laube begab sich im Sommer zumeist nach Karlsbad und suchte natürlich gern die Gesellschaft Friedrich Halms auf. Dieser aber verkehrte nur mit den genannten ihm so nahestehenden Freunden und Verwandten und schreibt z. B. in einem Briefe vom 10. Juli 1854 an die Freundin Julie Rettich, welche eben bei ihrer Tochter in Florenz weilte, die sich zur Sängerin ausbilden wollte: »Laube drängt sich uns auf alle Arten auf und schon zweimal haben wir den Nachmittag in seiner Gesellschaft zubringen müssen.« In demselben Briefe berichtet Münch von diesem ersten Karlsbader Aufenthalt: »Heute geht mir's entsetzlich schlecht. Ich habe Schmerzen und bin verdrießlich oder eigentlich trostlos. Wohin ich in die Ferne blicke, Verdruß und Sorge und in der Nähe nur Langeweile. Wenn ich nur schon Karlsbad hinter mir hätte. Rettich befindet sich frisch und wohlauf, der Aufenthalt in Karlsbad schlägt ihm entschieden gut an; Faust (Pachler) dagegen, der sehr leidend ist, will auch hier keine rechten Fortschritte machen. Wie gern möchte ich Ihnen, die Sie in der heißen Stadt gehetzt, von Besuchen überlaufen, mit Geschäften überladen sind, etwas von dem Übermaß an grüner Stille, Kühle und müßigem Herumschlendern zukommen lassen, das uns so viel zu viel wird und Ihnen so wohl täte. Aber alle Wünsche sind eben nur Wünsche und bleiben es.«

Auch in den Jahren 1855, 1856 und 1857 hatte Baron Münch die Karlsbader Kur gebraucht, welche sein Leiden bedeutend besserte und zuletzt beinahe ganz behob. Über das Leben in Karlsbad gibt das auf Seite 34 mitgeteilte Schreiben an Julie Rettich weitere Auskunft, ebenso über die Stimmung, welche bei dem Dichter zu jener Zeit vorwaltete und die immer mehr eine düstere genannt werden muß. Dieselbe wurde erst gebessert, wenn er sich in der Gesellschaft der alten Freunde befand, was gewöhnlich der Fall war, sobald er das oberösterreichische Gebirgsgebiet aufsuchte, was zur Nachkur nach Karlsbad z. B. auch 1856 der Fall war. In Aussee traf Münch auch außer mit Rettichs mit Zedlitz, dem Ehepaar Binzer, dem gräflichen Paare Stubenberg und mit anderen ihm sympathischen Freunden zusammen. Reich an liebevollen Ermahnungen sind die Briefe, welche Münch an Emilie Rettich, die Tochter des Paares, die, wie erwähnt, in Italien weilte, schrieb. Sie hatte 1857 Eugenio Merelli, ihren späteren Gatten, daselbst kennen gelernt und der wahrhaft väterlich um das Wohl Emiliens besorgte Dichter und Freund ihrer Eltern läßt es nicht an mahnenden Worten und ausgesprochenen Befürchtungen seinem Lieblinge gegenüber fehlen, nachdem ihm die Nachricht von der Bekanntschaft zwischen Emilie und Merelli zugekommen ist. Beachtenswert erscheint eine Briefstelle in dem Schreiben Münchs aus Karlsbad vom 2. Juli 1857 an Julie, welche meldet: »Von mir faseln jetzt die Zeitschriften, daß ich Intendant werde und beide Theater erhalten soll, wovor mich Gott gnädiglich bewahren möge, woran aber auch niemand denkt, als das Journalistenpack, das mich mit diesen Nachrichten bei Lanckoronski untergraben will.« Man ersieht aus dieser Bemerkung, daß Münch, welcher Julie gegenüber jeden seiner Gedanken rückhaltslos offenbarte, zu jener Zeit noch durchaus nicht des Generalintendantenpostens gedachte, den er zehn Jahre später wirklich bekleiden sollte.

Ein bemerkenswertes Zusammentreffen fand im Sommer des Jahres 1856 zwischen Halm und dem bekannten Dichter Gustav von Putlitz, dem späteren Leiter des Hoftheaters in Schwerin statt. Putlitz hatte damals schon neben seinem reizenden Märchen »Was sich der Wald erzählt« eine Reihe von Lustspielen abgefaßt, die auch auf dem Burgtheater zur Darstellung gekommen waren, jenem Sommer war der 35-jährige Poet mit seiner jungen Gattin nach Wien gekommen, hatte Laube aufgesucht und wollte auch bei Rettichs vorsprechen, sowie den Baron Münch kennen lernen. Auf seine Anfrage hieß es: »Rettichs sind auf dem Lande, in ihrer Villa in Hütteldorf und kommen nur, wenn sie zu spielen haben, zum Theater herein. Baron Münch aber ist auch in Hütteldorf, läßt sich jedoch von niemand sehen und verkehrt nur mit Rettichs.« Das Ehepaar v. Putlitz machte nun seinen Besuch bei Rettichs, der überaus freundlich aufgenommen wurde, »vom ersten Augenblick an war man heimisch bei den prächtigen Menschen« bemerkt Putlitz in seinen 1874 herausgegebenen »Theater-Erinnerungen« und erzählt in der Folge: »Eben waren wir in das Eßzimmer getreten, als die Tür sich öffnete, ein Herr sich zeigte, aber sofort, als er uns sah, mit verdrießlichem Gesicht den Fuß zurückzog und die Tür hinter sich schloß. Julie Rettich lachte: ›Kommen Sie nur herein, Baron,‹ rief sie. ›Es ist Putlitz mit seiner Frau, vor denen werden Sie sich doch nicht fürchten!‹« Münch kam nun doch, er wurde nach Tisch sogar gesprächig, fühlte sich bald behaglich und zeigte sich vergnügt. In der Tat hatte Putlitz die freundlichste Zuneigung des sonst so verschlossenen, unzugänglichen Halm gewonnen und als das Paar am nächsten Tage den Besuch über Aufforderung wiederholte, kam ihnen Frau Rettich freudestrahlend mit den Worten entgegen: ›Sie haben ein Wunder bewirkt. Münch, der verreisen mußte, der sonst allen Menschen aus dem Wege geht, hat die Reise abgeschrieben und ist geblieben, nur um Sie diesen Nachmittag noch zu haben.‹ Die Grämlichkeit des leicht verletzlichen, kränklich-reizbaren Dichters war zu jener Zeit besonders erklärlich, wie auch Frau Rettich im Gespräche Putlitz erklärte, denn gerade kurz vorher hatte die Angelegenheit mit dem von ihm eingereichten »Fechter von Ravenna« und die sich daran knüpfende Bacherl-Affäre dem Dichter des Stückes eine Flut von Kränkungen gebracht, die nicht so leicht zu verwinden waren. Damals bei Rettichs gab Halm auch sein Urteil über die Stücke von Putlitz ab, welche er alle gelesen hatte und der etwas zaghafte Putlitz sprach auch dem berühmten Dramatiker gegenüber seine Mutlosigkeit aus. Wie das Gespräch endete, soll Putlitz selbst erzählen: ›Sie haben noch gar nicht probiert, wie weit Ihr Talent reicht,‹ sagte Halm, ›und dann verstehen Sie Aufbau und Ökonomie nicht!‹ – ›Ja,‹ rief ich, ›wie soll ich das lernen, wenn man meine Stücke nicht aufführt?‹ – ›Von mir!‹ sagte Halm ganz ruhig. ›Wären wir an einem anderen Orte, so wäre das leicht, man kann in einer Stunde des Gesprächs viel lernen. Nun wir so weit auseinander leben, ist's viel schwerer, aber gehen müßte es bei gutem Willen doch auch!‹« Putlitz fährt in seinen Aufzeichnungen fort: »Ich griff mit beiden Händen zu, und in dem auch sonst unvergeßlichen, freundlichen Garten in Hütteldorf wurde der Grund für uns zu einer Freundschaft gelegt, die nur der Tod trennte, und mir gaben jene Stunden einen Wendepunkt meiner ganzen literarischen Tätigkeit; denn Halms Versprechen blieb mir im Gedächtnis, es sollte eingefordert werden, und er hat es mit aufopferndster Freundschaft gelöst.«

Ein überaus freundlicher, aber offenherziger Brief Halms, welcher bald nach der Abreise Putlitz' bei diesem eintraf, machte letzteren auf seine Fehler als Dramatiker aufmerksam und gab dem Freunde Auskunft, wie diese Fehler zu vermeiden seien. Hier möge nur aus dem Eingange des Schreibens angeführt sein, was Münch über seine eigene Poesie sagt, da diese Worte charakteristisch den Menschen kennzeichnen: »Ihr Schreiben hat mich wahrhaft überrascht. Der Eindruck, den meine Erscheinung beim ersten Anblick zu machen pflegt, ist in der Regel ein ungünstiger, man findet mich schroff und hochmütig, im besten Falle kalt und zurückhaltend, und sucht sich baldmöglichst auf gute Art von mir zurückzuziehen. Bei Ihnen scheint nun gerade das Gegenteil eingetreten zu sein; sei es, daß ich mich Ihnen liebenswürdiger gezeigt als anderen, eine Koketterie, deren ich mich jedoch nicht schuldig weiß, oder daß Sie geringere Ansprüche an mich stellten oder mich vorurteilsfreier ins Auge faßten als andere, genug, Sie zeigen mir Wohlwollen und Vertrauen und ich nehme beides erwidernd, beides ohne viele Worte an.«

Zunächst war es das »Testament des Großen Kurfürsten«, jenes Schauspiel aus der preußischen Geschichte, welches Putlitz nach dem Besuche bei Halm in Angriff genommen und dabei schon mit dem Stoffe, wie Münch an Putlitz schrieb, »einen glücklichen Griff« getan hatte. Eine Korrespondenz zwischen den beiden Dichtern entspann sich zunächst über dieses Stück, in der sich »das Verhältnis des strengen Lehrers zum vertrauenden, nicht zu beirrenden Schüler« immer fester stellte. »Münch war oft absprechender als nötig war, fast nie anerkennend«, und doch ermunterte dieses Vorgehen Putlitz zur Weiterführung und ein Akt nach dem anderen ging zur Prüfung an Münch nach Wien und kam mit dessen Bemerkungen zurück, um dann wieder umgearbeitet zu werden. Putlitz legte zum Schlusse das vollendete Manuskript zurück und dachte gar nicht an die Ausführung. Zu einer solchen ermunterte aber gerade Münch im Jahre 1858 den etwas Entmutigten. Julie Rettich und der Heldendarsteller Wagner hatten ein Gastspiel für den Sommer in Breslau abgeschlossen. Beide wollten auf Münchs Empfehlung bei dieser Gelegenheit in dem »Testament« auftreten. In dieser Voraussicht reiste Putlitz nach Wien und im Verein mit dem theatergewandten Freunde Halm, welcher jede Szene mit Putlitz noch selbst durcharbeitete, wurde die endgültige Fassung des Stückes fertiggestellt. Hierauf begab sich Putlitz nach Breslau, wo das »Testament« mit Frau Rettich in der Rolle der Kurfürstin in der Tat einen ungeahnten Erfolg errang. Schon im September 1858 fand das Stück auf der Bühne des Burgtheaters in Wien ebenfalls eine ehrenvolle Aufnahme und wurde bis April 1859 daselbst fünfzehnmal aufgeführt. Seit jener Zeit war auch Putlitz als Gleichberechtigter in den Freundeskreis eingetreten, der mit Halm und den Rettichs verkehrte. Freilich konnte der in der Ferne Wohnende mir bei gelegentlichen Besuchen in Wien oder auf Gastspielen der Künstlerin persönlich diesen Verkehr pflegen, im übrigen fand ein reger Briefwechsel statt. Julie Rettich hatte später im Sommer 1862 in Linz wieder anläßlich eines Gastspieles in dem neueren Schauspiele von Putlitz: »Waldemar« eine der weiblichen Hauptrollen übernommen und auch diesem Stücke des Dichters auf dem, wenn auch kleinen Provinztheater zum Erfolge verholfen.

In den Folgejahren hat sich in den äußeren Verhältnissen Baron Münchs nichts geändert, er arbeitete zurückgezogen in Hütteldorf, wenn er tagsüber seine amtliche Tätigkeit in der Hofbibliothek vollendet hatte. Schon Ende der fünfziger und zu Anfang der sechziger Jahre beschäftigten ihn die beiden Dramen »Iphigenie in Delphi« und »Wildfeuer«, letzteres das erste Stück, in dem Julie Rettich naturgemäß nicht mehr die Hauptrolle hätte spielen können. Aber die große Künstlerin und treue Freundin Halms hat auch die Erstaufführung von »Wildfeuer« am 18. Oktober 1866 nicht mehr erlebt.


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