Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Michael Enk, Ferdinand Wolf und andere Freunde. Uhland in Wien.

Wenn im vorstehenden Kapitel die ersten Jahrzehnte von Baron Münchs äußerem Leben, seine Beamtenlaufbahn in ihren ersten Stadien und die Begründung eines eigenen Hausstandes ins Auge gefaßt wurden, so ist nun wieder etwas zurückgreifend des Dichters Friedrich Halm zu gedenken und derjenigen Persönlichkeiten, welche auf seine poetische Entwicklung von Einfluß wurden. Daß unser Poet eine scheue Persönlichkeit war und nicht rasch sich an jemanden inniger anschloß, ist schon aus dem früher Gesagten zu ersehen. Auch mit wenigen seiner ersten lyrischen Produkte war er hervorgetreten, einige Gedichte von ihm sind in der damals so vortrefflich redigierten Schickh-Witthauerschen »Wiener Zeitschrift« und in einigen Taschenbüchern erschienen, jedoch unbeachtet geblieben. Zu Anfang der dreißiger Jahre aber wurde zunächst eine Persönlichkeit auf seine poetische Tätigkeit von Einfluß, welche schon einmal, freilich in Münchs Knabenzeit zu Melk, diesem, und zwar als Lehrer, gegenübergestanden. Es ist dies der Professor und Konventuale des Melker Benediktiner-Stiftes Michael Enk von der Burg, ein geistvoller gelehrter Mann von poetischer und philosophischer Bildung, den leider die Verhältnisse auf den Weg des katholischen Priesters geführt und damit zu einem Stande gelenkt hatten, dem er immer mehr abhold wurde, bis den mit sich, seinem Stande und der Welt Zerfallenen ein freiwilliger Tod in den Wellen der Donau (Sommer 1843) von den Seelenqualen, die ihn peinigten, erlöste. Der 1788 geborene Enk hatte 1822 das feinsinnige Lehrgedicht »Die Blumen«, die philosophisch-ästhetischen Schriften: »Eudoxia oder die Quellen der Seelenruhe« (1824), »Melpomene oder über das tragische Interesse« (1827), »Über den Umgang mit uns selbst« (1829) und außer mehreren andern von ernstem Denken und gehaltvollem Wissen zeugenden Werken, später insbesondere auch seine »Briefe über Goethes Faust« (1834) und die trefflichen »Studien über Lope de Vega Carpio« (Wien 1839) veröffentlicht. Mit dem Wiener Schriftsteller- und Dichterkreise jener Zeit stand Enk in fortwährender auch persönlicher Verbindung, die er ja von dem nahen Melk aus leicht pflegen konnte, und galt als ein Mann von reifstem gediegenem Urteile und als scharfer Beobachtungsgeist. Vortreffliche Aufsätze aus seiner Feder finden sich auch in den bestbekannten Wiener Jahrbüchern. Dieser Mann war es, welcher dem jungen Dichter zuerst wieder näher treten und ihn auf die Bahnen lenken sollte, welche den Namen Halm zum rühmlichen gestalteten.

An einem Maitage des Jahres 1833 begab sich Münch von Schallaburg, wo er seinen Schwager Baron Tinti besucht hatte, in das unfern davon gelegene Melk. Dort suchte er zumeist die gute treue Stenzler, bei der er einst als Studentlein gewohnt, auf, diese war aber zur Greisin geworden, erkannte ihn nicht und nun begab sich der junge 27jährige Dichter in die einfache Zelle des einstigen Lehrers, des Benediktiners Enk im Stiftsgebäude. Auch dieser erkannte den früheren Schüler nicht gleich. Münch gab sich zu erkennen und Vertrauen fassend, entrollte er »mit seltener Mitteilsamkeit, aber in gewohnter Treuherzigkeit das Bild seines ganzen Lebens aus den letzten 15 Jahren, eine mehr innerliche Geschichte, der Enk mit der vollen Teilnahme unverhohlener Sympathie folgte.« Erst als Münch sich schließlich als niederösterreichischer Regierungssekretär vorstellte, gewann bei dem Geistlichen die stets in ihm schlummernde Manie, sich von aller Welt verfolgt zu sehen, beinahe die Oberhand, da er in dem Regierungsbeamten einen Diener der Geheimpolizei zu sehen fürchtete, doch wurde Enk bald beruhigt, nachdem sich ihm Münch nun auch als Dichter enthüllte. – Enk forderte den Poeten auf, ihn mit den Schöpfungen seiner Muse bekannt zu machen und von den ersten Gedichten, Dramen, Novellen und Übersetzungen Halms kamen in der Folge alle in die Hände Enks, der dieselben seiner scharfen Beurteilung unterzog. Als damals Münch den einstigen Lehrer besucht hatte, erzählte ersterer auch von der Frau Stenzler, die er kurz zuvor halb taub und blind getroffen und auf Enks Veranlassung entstand daraus ein Gedicht »Das taube Mütterlein«, welches von diesem als das erste Zeichen wahrhafter poetischer Begabung anerkannt wurde.

Aber von besonderer Bedeutung wurde die Wiederbegegnung mit Enk für den Dramatiker Halm. Dieser hatte dem älteren Berater nunmehr manchen dramatischen Entwurf mitgeteilt, so war schon 1826 und 1827 ein Trauerspiel: »Die Locke im Kristall« von Münch begonnen, jedoch nicht vollendet worden, aber erst als Halm den Plan der »Griseldis« im Jahre 1833 zur Kenntnis Enks gebracht, erkannte dieser, nachdem er auch nach und nach die Ausführung zu Gesicht bekommen, daß man es hier mit einem großen dramatischen Talente zu tun habe und »daß«, wie er an Halm schrieb, »ich Sie auf der Spur finde, auf welcher der dramatische Dichter unserer Zeit gehen muß, wenn es der Mühe wert sein soll.« Als die »Griseldis«, welche im Juli 1833 begonnen wurde, im Juni 1834 fertig dem Beurteiler vorlag, schrieb der sonst überaus Strenge: »Stoff und Bearbeitung sind so reich an ergreifenden Momenten, daß diese Griseldis, ohne eine Wort zu ändern, auf jeder Bühne Deutschlands gegeben werden kann.«

Vom September 1833 stand nun Friedrich Halm mit Enk im Briefwechsel, welcher zunächst die »Griseldis« betraf, sodann aber alles, was der Dichter an Neuem geschaffen, was er fühlte und dachte, was ihn bewegte und erfreute. Enk war der vertraute Freund, welchem sich der Poet ganz offenbarte und der es seinerseits nicht an Ermahnungen, Belehrungen, aber auch nicht an Teilnahme mit Münchs äußeren Lebensschicksalen fehlen ließ. Den gesamten Briefwechsel zwischen Enk und Münch hat 1890 Rudolf v. Schachinger in vortrefflicher Weise herausgegeben und damit die wichtigste Quelle zur Kenntnis der Beziehungen zwischen dem gelehrten Benediktiner und dem nun bald berühmt werdenden Dichter erschlossen. Diese Quelle ist um so bedeutender, als Münch wohl 1834 ein Tagebuch begonnen, dasselbe aber leider nur einige Seiten hindurch fortgeführt hat. Weitere Tagebücher, welche Münch »nur in Schlagwörtern, unverständlich für jeden« geführt, sind in Verlust geraten.

Den an der »Griseldis« beschäftigten Dichter machte schon im Dezember 1833 eine Krankheit seiner geliebten Gattin, welche sich seit dem zweiten Wochenbette eingestellt hatte, sehr besorgt. Daß diese Besorgnis keine unbegründete gewesen, zeigte der Verlauf des Leidens, welches im Jahre 1839 wieder besonders heftig auftrat, es »schritt von Jahr zu Jahr vor, bannte von der Mitte der vierziger Jahre die Baronin über zwei Dezennien lang ans Haus, ans Zimmer sogar, wo sie nur an Wand und Möbeln tappend umherschlich, meist aber auf der Chaiselongue lag – eine traurige Existenz, die sie mit Ergebung, ja rücksichtlich vieler Operationen, mit Heldenmut ertrug« (Faust Pachler). Darunter litt selbstverständlich die Häuslichkeit des verschlossenen, aber empfindungsreichen Dichters. Wie sehr dieser das Leiden seiner Gattin mitempfand und wie es ihn bewegte, davon zeuge die nachstehende Stelle aus einem Briefe Münchs an Enk vom 6. April 1843: »Das Leiden meiner Frau macht die bedenklichsten Fortschritte, die Ärzte scheinen nichts mehr zu raten zu wissen, wenigstens raten sie nichts mehr an, was heilen, kaum was lindern kann; die schlimmsten Besorgnisse erfüllen mich; mein Herz fühlt in allen Fasern, wie tief es mit dem ihrigen verschlungen und verwebt ist; die ganze lange Zeit, die wir in Leid und Freud zusammen verlebten, geht unaufhörlich mahnend und quälend an meinem Geiste vorüber, und mit einer peinlichen Klarheit tritt es vor meine Seele, daß ich nie mehr, nie mehr wieder gewinnen würde, was ich hier verlieren könnte, ein treues, wohlwollendes, unschuldiges Herz, das mich liebt, mit Geduld, Nachsicht, Ergebung liebt, wie ich's so sehr bedurfte und wie ich's niemals mehr finden würde.« Enk antwortete: »Ihre Lage empfinde ich in Ihrer Seele. Könnt' ich Ihnen helfen, gerne.« Er empfiehlt, es mit der Prießnitzschen Wasserkur zu versuchen. Die arme Dulderin litt sehr lange, erst nach vielen Jahren besserte sich das Übel. Allerdings überlebte die Gattin den Dichter in der Folge nach um drei Jahre, sie starb am 5. November 1874. Enk war es auch, der den Baron Münch teils mündlich, teils schriftlich auf die Schönheit und Bedeutung des spanischen Dramas, namentlich auf Lope de Vega, aufmerksam machte und ihn zum Studium der Spanier hinführte, welchem Umstande wir ja in der Folge, wie sich zeigen wird, einige vortreffliche Bearbeitungen spanischer Stoffe und Dramen verdanken. Einen traurigen Abschluß fand das Freundschaftsverhältnis zwischen Enk und Baron Münch durch den schrecklichen Selbstmord, welchen der unglückliche Gelehrte und Geistliche am 11. Juni 1843 beging. Münch war einer der ersten, welcher durch ihm befreundete Persönlichkeiten aus Melk die furchtbare Nachricht mit Erzählung aller Einzelheiten, die sich vor dem Selbstmorde noch begeben hatten, erhielt. Die letzten Zeilen Enks selbst an Münch – bei Schachinger mit einer wichtigen Auslassung abgedruckt, hier bis auf die unwesentliche Nachschrift vollständig – lauteten:

»Lieber Herr Baron! Wenn dieses Blatt in Ihre Hände kommt, so habe ich meinem elenden Leben ein Ende gemacht. Die nächste Veranlassung dazu ist nicht Walch Der Piaristenpriester J. Walch bekleidete damals die Stelle eines Inspektors der höheren Schulen und soll in bezug auf die Lesemethode dem Prof. Enk kränkende Ausstellungen gemacht haben., sondern die mich entehrende Behandlung meines Prälaten. Wie schwer es mir wurde, weiß Gott und ich. Leben Sie wohl. Gott segne Sie und Ihr Streben. Habe ich Sie beleidigt, so verzeihen Sie Ihrem treugesinnten Enk.«

Es braucht wohl nicht bemerkt zu werden, welch tiefen Eindruck der erschütternde Tod auf den an Empfindung so reichen Münch ausgeübt. Doch sei hier noch der von den neiderfüllten Gegnern Halms verbreiteten Ansicht gedacht, wonach Enk als der eigentliche Verfasser der »Griseldis« und der ersten Dramen Halms bezeichnet wurde; hämische Charaktere entblödeten sich nicht, dieses Märchen weiter zu verbreiten und lange Zeit hindurch gab es in der Tat noch Leute, welche diese boshafte Verleumdung glaubten, die selbstverständlich Münch selbst auf das schmerzlichste berührte, wenn er auch, bei Lebzeiten des Freundes Enk von diesem auch in dieser Beziehung getröstet wurde. Der nun vorliegende Briefwechsel zwischen Enk und Halm erweist es am besten, wie grundlos und böswillig diese Ausstreuungen waren. Selbst H. Laube, welcher mit Halm später in manchen streitbaren Handel verwickelt war, schrieb als edler Gegner in seinem 1871 veröffentlichen Nekrologe: man verbreitete »nach dem ›Sohn der Wildnis‹ die Mär: jener Enk ... sei der eigentliche Verfasser der Halmschen Stücke. Dieser arme Enk mußte aus dem Leben scheiden, damit hartnäckige Zweifler überzeugt wurden, er könne doch nicht aus dem Grabe Halmsche Stücke bieten wie der ›Fechter von Ravenna‹.«

Wenn auch während seines Verkehres mit Enk außer diesem der Dichter Halm wenigen anderen Persönlichkeiten sein freundschaftliches Vertrauen schenkte, so waren es doch einige teils schon damals berühmte Männer, mit denen er in eine gewisse Verbindung getreten war und denen er durch Verkehr mit denselben seine Zuneigung offenbarte. Von diesen sind zu nennen der schon zu jener Zeit als hervorragender Romanist bekannte Ferdinand Wolf, der später zu so hohem Ansehen als Präsident der Akademie der Wissenschaften gelangte, bald durch seine historischen und literarhistorischen Arbeiten ausgezeichnete Theodor v. Karajan und – Nikolaus Lenau. Wolf, 1798 geboren, bekleidete zu Ende der dreißiger Jahre die Stelle eines Skriptors an der k. Hofbibliothek, auch Karajan war aber noch in niederer Stellung als Amanuensis an der berühmten Hofanstalt bedienstet und Lenau, der Freund des Trios, hatte sich zu Halm, wie dieser zu ihm, rasch hingezogen gefühlt. Im dritten Stockwerke eines Hauses in der Schauflergasse der Residenz, wo Wolf wohnte, trafen die Freunde mit Halm öfter zusammen. Auch machten sie wohl zusammen Ausflüge in die schöne Umgebung Wiens. Ferdinand Raab schildert die Zusammenkünfte bei Wolf in so anschaulicher Weise, daß es geboten erscheint, dieser Schilderung hier einigen Raum zu gönnen. Sie lautet:

»Es war eine merkwürdige Galerie von literarischen Charakterköpfen, die sich wie ein anderes Tabakskollegium allwöchentlich einmal um den einfachen Sofatisch bei F. Wolf gruppierten und deren verschwimmende Züge nur von Zeit zu Zeit aus den schweren Rauchwolken auftauchten, von denen das sonst so freundliche Gemach erfüllt war, das selbst im strengsten Winter die tropische Hitze eines Treibhauses und zu allen Zeiten die aromatischen Düfte des stärksten Mokka atmete. Da war vor allem der liebenswürdige Hausherr mit den feingeschnittenen Zügen, den freundlichen blauen Augen, dem schlichtanliegenden blonden Haare und dem zarten fast frauenhaften Etwas in der ganzen Erscheinung. Dann Nikolaus Lenau, gleich Wolf nicht über Mittelgröße und gleich ihm in einer etwas vorgebeugten Haltung, mit dem tiefsinnigen dunkeln Blick und dem ernsten, düstern Ausdruck von Weltschmerz in dem bleichen Angesicht, das so oft dem idealisierenden Stifte in Damenhand zum Opfer fiel. Dann der Dichter der ›Griseldis‹, den sich alle Frauen so ganz anders dachten, eine wahre Hünengestalt, die hohe Stirn von steter Geistesarbeit zeugend, das braune Auge, sonst so müde blickend, in erregten Momenten von so warmer, so überzeugender Beredsamkeit und Güte leuchtend. Endlich Theodor von Karajan, dessen scharf ausgeprägte typische Züge, wachsendes Embonpoint und verräterischer Blick, dem mit so ostentativer Vorliebe gepflegten breiten Wiener Dialekte zum Trotze, immer wieder daran mahnten, daß die Wiege seiner Voreltern in den lichten Gefilden von Hellas stand. Fanden die Freunde sich nicht in den bescheidenen Räumen bei Ferdinand Wolf zusammen, so wanderten sie am Sonntage, und selbst inmitten des Winters, gemeinsam über Land; mit Vorliebe nach Hietzing zu Domeyer, wo sie in eine heimliche Ecke gedrückt, den Musen ein Trankopfer von perlendem Champagner brachten – eine damals so wie heute in Dichter- und Gelehrtenkreisen nur selten wiederkehrende Libation.

Die politische Atmosphäre jener Tage brachte der stillen Gemeinde nur wenig Förderndes, in der Abgeschlossenheit ihrer Interessen aber auch wenig Zerstreuendes. Als geborene Österreicher waren sie natürlich samt und sonders geborene Frondeurs; doch von einer so harmlosen Fronde, daß man sie wohl Sr. Majestät allezeit getreuest ergebene Opposition nennen möchte. Selbst Grillparzers fliegendes Wort von dem »Capua der Geister« lehnten sie im Namen der Stadt, in der sie selber jahrelang gelebt und gerungen und geschaffen, ganz entschieden ab.«

Am 9. Juli 1838 war ein von den literarischen Kreisen der Residenz mit besonderer Freude empfangener Gast in Wien eingetroffen: Ludwig Uhland. Er hatte die Absicht, auf den Wiener Bibliotheken zu arbeiten und wurde denn auch in der Hofbibliothek, die er natürlich zunächst besuchte, von Ferdinand Wolf auf das freundlichste aufgenommen. Uhland, der berühmte Dichter und Gelehrte, fand, wie er seiner Gattin schreibt, »manches, was ihm bisher selbst nicht zugänglich war«, namentlich ältere Liederbücher, seltene fliegende Blätter mit Volksliedern, und das gewinnende Entgegenkommen Wolfs erleichterte ihm die Arbeit auf der Hofbibliothek; dieser brachte ihm auch »aus seiner eigenen Bibliothek viel Interessantes von altfranzösischer und altenglischer Poesie zu.« Viel verkehrte Uhland auch mit dem Kustos der Ambraser Sammlung Joseph Bergmann, dem trefflichen Kenner des deutschen Altertums. Daß Halm, dessen spätere epische Gedichte ja das Vorbild und den Einfluß Uhlands aufweisen, vor Eifer brannte, den gefeierten Balladendichter, den auch er so hoch verehrte, persönlich kennen zu lernen, ist natürlich. Wolf machte Halm, der eben auf dem Lande in Ebergassing weilte, brieflich auf den willkommenen Besuch aufmerksam. Aber gerade zu jener Zeit hatte ein Augenleiden, welches den Dichter der »Griseldis« in der letzten Zeit zwang, sich zurückzuziehen und Ruhe zu suchen, ihm den Aufenthalt in der Stadt unmöglich gemacht. Aus jenen Tagen stammen die zwei nachfolgenden bisher ungedruckten Briefe Halms an Wolf.

Den 16. Juli 1838.

Verehrtester Herr v. Wolf! Teuerster Freund!

Obwohl Ihre Zeilen, welche mir die Ankunft Uhlands verkünden, die besten Albricias verdienen, so kann ich doch für den Moment von dieser erfreulichen Nachricht durchaus keinen Gebrauch machen. Ich habe durch die Durchsicht eines von einem Freunde mir zugesendeten, für die Allgemeine Zeitung bestimmten Aufsatzes meine Augen, die ohnehin noch schwach sind, etwas zu stark angestrengt und ich muß nun um nicht rezidiv zu werden, mit beinahe ängstlicher Sorgfalt alle Irritationen vermeiden. Ich wage daher nicht, mich dermalen dem Straßenstaub auszusetzen; da aber Uhland dem Vernehmen nach bis Ende d. M. bleibt, so werde ich jedenfalls nächste Woche in die Stadt kommen. Bis dahin bitte ich den verehrten Dichter auf mein Erscheinen vorzubereiten und mir das Wohlwollen und die freundliche Teilnahme zu erhalten, die Sie immer bewiesen haben.

Ihrem treuergebenen
Münch.

NB. Enk hätte eine große Freude, wenn Sie ihm ein Autograph von Uhland verschafften.

Der zweite Brief an Wolf lautet:

Den 24. Juli 1838.

Teuerster Freund!

Ich bin wahrhaft in Verzweiflung, während sich in Wien alles um Uhland drängen wird, ihm die wohlverdiente Bewunderung zu bezeugen, hier heraußen sitzen bleiben zu müssen und zwar wegen meiner noch immer schwankenden Gesundheit. Die Augen haben sich zwar gebessert, aber ich war ein paar Tage bettlägerig und kann bei der jetzigen rauhen Witterung die Fahrt nicht wagen.

Es ist wahrhaft traurig, daß ein Mensch von meinem Alter und meiner Konstitution sich das Vergnügen versagen muß, einen Mann zu sehen, dem er zuliebe sonst Tagereisen unternommen hätte und das weil er wegen Kränklichkeit nicht zwei Stunden Weges machen kann. Sagen Sie Uhland, was Sie wissen, das ich ihm gesagt haben würde; empfehlen Sie mich seinem Wohlwollen und erhalten Sie das Ihre

Ihrem treuergebenen
Münch.

NB. Enk bittet um 3. und 7. Band (wenn letzterer nicht zu haben den 9.) von Lope, die ich dem Überbringer dieser Zeilen gefälligst einzuhändigen bitte; den zweiten sende ich noch vor den Ferien der Bibliothek zurück, von dem ersten kann ich mich eines Stückes wegen dermalen nicht trennen. Zugleich bitte ich um Aschbachs Geschichte des westgotischen Reiches in Spanien.

Dessenungeachtet sollte Münch die Freude zuteil werden, den verehrten Uhland sehen und begrüßen zu können. Wie dies kam, erklärt eine Stelle aus Uhlands Briefe an seine Gattin Emma vom 6. August 1838, welche Stelle um so mehr hierher gehört, als sich der berühmte Balladendichter, wenn auch nur kurz, über Halm ausspricht. Er schreibt: »Den ganzen Freitag war ich nicht hier; Wolf lud mich wiederholt zu einer Fahrt nach Ebergassing, einem Schloß, nicht weit von der ungarischen Grenze, ein, wo ein Freund von ihm, der Baron Münch-Bellinghausen, als Dichter des Trauerspiels Griseldis, unter dem Namen Halm bekannt, sich aufhält. Derselbe wünschte meine Bekanntschaft zu machen und soll wegen Augenübels die Stadt jetzt nicht besuchen. Das Schloß ist an einem großen Park gelegen, der, von einem frischen Flüßchen durchströmt, angenehme Spaziergänge gewährt. Münch macht durch Einfachheit und Gutmütigkeit bei geistiger Bildung einen vorteilhaften Eindruck. Ich hatte hier auch Gelegenheit, das Landleben einer österreichischen Adelsfamilie einzusehen. Professor Rosenkranz von Königsberg war mit mir eingeladen. Gestern war ich, nachdem ich bei Karajan zu Mittag gegessen, mit diesem in Laxenburg.« ...

So hatte Uhland, welcher am 11. August 1838 Wien verließ, den kleinen Freundeskreis, in dem Halm so viele frohe Stunden verlebte und diesen selbst kennen gelernt. Lenau-Niembsch kannte er schon von dessen öfterem Aufenthalt in Stuttgart, überdies hatte Uhland zu jener Zeit in Wien auch einer Einladung des Hofrates Kleyle, des bekannten Freundes Lenaus in Penzing, Folge geleistet. Es sei noch angeführt, was freilich beinahe selbstverständlich ist, daß anläßlich jenes Wiener Aufenthaltes unseres großen deutschen Balladendichters auch mehrfaches Zusammentreffen zwischen ihm und Grillparzer stattfand.

Einige Jahre später sollte Münch auf einer Reise, die ihn auch nach Süddeutschland führte, mit dem Kreise der schwäbischen Dichter in Württemberg selbst zusammenkommen, worüber noch im nachfolgenden berichtet sein mag.


 << zurück weiter >>