F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Welden kam in der Frühe des Morgens in der Residenz an und begab sich, sobald es ihm die Zeit anständiger Weise gestattete, zu dem Polizeirath Merkel, um von diesem die Erlaubniß zu erhalten, Ferdinand zu sehen. Er erinnerte sich dabei lebhaft des unseligen Morgens vor nicht langer Zeit, an welchem er in so großer Aufregung die Treppen hinaufgestiegen war. Oben bei dem Amtsdiener gebrauchte er dieselbe Zauberformel, welche ihm damals sogleich Einlaß verschafft hatte und die auch heute wieder von gleicher Wirkung war. Doch blickte ihn Herr Merkel einigermaßen befremdet, ja, mit einem so unverkennbaren Anfluge von übler Laune an, daß es einiger Sekunden bedurfte, ehe auf dessen Gesicht ein schwaches Lächeln aufdämmerte. – »Ich hätte wahrlich nicht gedacht,« sagte er alsdann, »Sie vorher bei mir zu sehen, ehe ich Sie droben in Ihren Bergen aufgesucht haben würde.«

»Es ist das aber auch eine ganz außergewöhnliche Ursache, die mich aus meinen dringenden Arbeiten herausgerissen hat,« gab der Ingenieur zur Antwort, und erzählte nun in kurzen, aber sehr präcisen Worten, was damals vorgefallen war, als er mit Ferdinand in Gegenwart des Polizeiagenten Schmetterer jene Unterredung gehabt.

Hierbei können wir nicht verschweigen, daß der Polizeirath anfänglich mit großer Unaufmerksamkeit dem lauschte, was Welden ihm sagte; erfuhr er doch vor der Hand nichts Neues, denn der Wortlaut jener Unterredung war ihm von Schmetterer in beinahe stenographischer Treue berichtet worden. Auch war Herr Merkel, als Welden zu ihm eintrat, in seinen Gedanken, die Angelegenheit des Herrn von Rivola betreffend, sehr beschäftigt, und zwar unangenehm beschäftigt gewesen, denn trotz seines wiederholten ausführlichen, mündlichen Berichtes an den Polizeiminister hatte die alte Excellenz achselzuckend gesagt: »Und doch können Sie sich irren, mein lieber Polizeirath, und dadurch einen Unschuldigen und sich selbst compromittiren und die ganze vornehme Welt bis hoch hinauf auf's tiefste beleidigen. Ich gebe zu, daß die Indicien sehr gravirender Natur sind, aber es bleibt immer ein Indicienfall, der sich kaum jemals zur juristischen Klarheit wird durcharbeiten können. Ich darf Ihnen nicht einmal gestatten,« hatte die Excellenz hinzugesetzt, »auf eigene Verantwortung vorzugehen, und wenn Sie mir auch schriftlich geben, daß Sie gegen meinen speciellen Befehl gehandelt, so würde ich der Mitschuld doch nicht entgehen, und dafür danke ich – ehrlich gesagt, dazu fehlt mir der Muth.« Das Einzige, was der Polizeirath nach einer langen Unterredung hatte herausschlagen können, war dessen Versprechen, die Sache am betreffenden höheren Orte nochmals, und zwar sogleich in Anregung zu bringen und über ein Resultat, ob günstig, ob ungünstig, ihm alsbald Mittheilung zu machen. Diese Mittheilung erwartete Merkel seit gestern in fieberhafter Ungeduld, denn er verhehlte sich nicht, daß seine Bemühungen, den Freiherrn von Rivola zu überwachen, so vorsichtig und geschickt er auch dabei zu Werke gegangen sei, doch durch irgend etwas verrathen werden könnten und der Betreffende, dem endlich die Augen über seine Lage geöffnet, zur Flucht oder wenigstens zur Entfernung oder Vernichtung seines Banknotenvorraths in der rothen Mappe veranlaßt werden möchte. Durch alles dies hatte sich bei dem Polizeirath der Entschluß festgestellt, das Schreiben des Ministers, welches er sehnlichst erwartete, seinem Wunsche gemäß zu deuten, wenn auch nur ein Ausdruck desselben irgend eine Deutung in seinem Sinne möglich machen würde, ja, im anderen Falle ganz auf eigene Verantwortung zu handeln, besonders dann, wenn sich durch Zufall oder durch Schmetterer's Nachforschungen in den Räumen des alten Thurmes noch irgend etwas Belastendes ergeben würde.

Diese Gedanken, welche rastlos das Gehirn des Polizeiraths durchkreuzten, waren denn auch Schuld daran, daß er von dem, was ihm Welden erzählte, nur die Schlagwörter auffing, um einen allgemeinen Faden zu behalten, und dann erst aufmerksamer wurde, als die Mittheilungen des Ingenieurs für ihn anfingen, da interessant zu werden, wo jene Schmetterer's über denselben Gegenstand ihr Interesse verloren hatten, da nämlich, wo Ferdinand mit Welden an das Fenster getreten war, um den herabrollenden Regentropfen in der uns bekannten Absicht zuzuschauen.

»Da kann man sehen, daß die Polizei bei allem dem viel zu nachsichtig verfährt!« rief Herr Merkel zum ersten Male am heutigen Morgen mit einem unverkennbar heiteren Gesichtsausdrucke. »Viel zu nachsichtig, denn Schmetterer hätte sich mit Ihnen ebenfalls an's Fenster drängen müssen, um Ihre selbstmörderische Absicht zu errathen, und wenn dies geschehen wäre, dieselbe durch Verwischung der Regentropfen zu vereiteln!«

»Glücklicher Weise war der Zufall so freundlich, die Rolle der Polizei zu übernehmen, denn unser allerdings etwas frevelhaftes Beginnen blieb ohne Erfolg, die Tropfen flossen zusammen, aber gerade in einem Augenblicke, wo Ferdinand nicht anders konnte, als sich gegen seine Mutter zu wenden, welche jammernd in das Zimmer stürzte. Und nun erhalte ich diesen Brief des Stadtschultheißen – lesen Sie selbst – war es daraufhin nicht meine Pflicht, sogleich hieher zu eilen, und ist es Angesichts dieser Zeilen nicht Ihre Pflicht, mir sogleich eine Unterredung mit Herrn Welkermann zu gestatten?«

Der Polizeirath hatte den Brief mit großer Aufmerksamkeit gelesen, sich dann rasch erhoben und ging nachdenkend im Zimmer auf und ab, während er mit untermischten Pausen zu Welden sagte: »Das alles ist so klar wie möglich, doch traue ich dem jungen Menschen nicht den Wahnsinn zu, eine Sache, die Sie wie einen Scherz ansahen, mit so furchtbarem Ernste beschließen zu wollen – ah, gehen Sie, Welden, das ist ganz unmöglich, oder wollen Sie mir vielleicht gestehen, daß Sie im anderen Falle selbst gehandelt hätten, wie Sie jetzt von Welkermann fürchten?«

Der Ingenieur zuckte mit den Achseln, ehe er zur Antwort gab: »Ich glaube doch, daß ich so gehandelt hätte; ich glaube, daß ich die Stärke dazu gehabt haben würde, denn im anderen Falle wäre ich ja verächtlicher gewesen, als man damals von mir geglaubt, an jenem Morgen, wo ich hier bei Ihnen war, dem eine Reihe so fürchterlicher Tage folgte, daß ich unter dem zermalmenden Eindrucke derselben jenes allerdings frevelhafte Spiel einging und – vielleicht wohl leider zu Ende geführt haben würde.«

»Und wenn ich Ihnen nun trotz alledem den Zutritt zu Herrn Welkermann verweigern müßte?«

»Das wäre sehr schlimm, Herr Polizeirath; denn zuerst müßte ich, selbst auf die Gefahr hin, ebenfalls eingesperrt zu werden, Alles versuchen, um mit List oder Gewalt zu ihm zu dringen, und dann müßte ich mich an Personen von Einfluß wenden, die vielleicht so mitleidig wären, einen so frevelhaften Selbstmord zu verhüten. Denn wie die Sachen liegen, wäre auch nicht mehr die Idee eines Duells in dem Beginnen Ferdinands zu entdecken.«

»Eine Idee von Vernunft war niemals darin,« murmelte der Polizeirath. »Das ist noch das Schlimmste und Fluchwürdigste von allem Unsauberen, was wir von jenseit des Meeres erhalten haben – aber sagen Sie mir, junger Mensch,« rief er aus, indem er die Hände zusammenschlug und vor Welden stehen blieb, »fürchteten Sie denn in Wahrheit so sehr die Stimme der Welt, daß Sie die Hand zu solchem Wahnsinne bieten konnten?«

»Ich bin heute ruhiger geworden und könnte vielleicht zugeben, daß ich die Sache in ihrem richtigen Lichte betrachte, wogegen Sie mir nicht verübeln werden, daß von allem dem, was ich damals erfahren, eine Begierde in mir rege wurde, die Sache auf so rasche und, wenn Sie wollen, schreckliche Weise zu erledigen: er oder ich!«

»Und was erlebten Sie denn so furchtbar Schlimmes?« versetzte der Polizeirath mit einem spöttischen Lächeln. »Daß junge Leute von gleichem, heißem Blute wie Sie etwas zweifelhaft von Ihrem Muthe sprachen?«

»Nicht nur junge Leute, Herr Polizeirath, sondern auch Männer, die man im Punkte der Ehre wohl als Autoritäten anerkennen darf – Herr von Rivola zum Beispiel.«

»Ah, Herr von Rivola,« sagte der Polizeirath kopfnickend – »der allerdings – im Punkte dessen, was wir so Ehre nennen – ach ja, ach ja!«

»Er fand, daß ich die Angelegenheit gegen Herrn Welkermann nicht schwer genug nehmen könne, daß ein Duell in der ernsthaftesten Form unumgänglich nothwendig sei.«

»Wann war das ungefähr?« fragte der Polizeirath mit großer Aufmerksamkeit.

»An dem Tage, wo Sie mich nöthigten, Ihnen mein Ehrenwort zu geben, die Sache dreimal vierundzwanzig Stunden ruhen zu lassen.«

»Ah, an jenem Tage! Und damals meinte Herr von Rivola, die Sache lasse sich nicht gütlich vergleichen?«

»So war seine Ansicht.«

Der Polizeirath trat einen Augenblick an das Fenster, um sich gleich darauf dem jungen Manne wieder zu nähern und ihm zu sagen, während er seine Hand sanft auf dessen Schulter legte: »Sprechen Sie offen und ehrlich mit mir, Welden – als Sie sich damals mit Herrn von Rivola besprachen, machten seine Worte auf Sie den Eindruck, als wenn er selbst irgend eine Feindschaft, irgend einen Haß gegen Herrn Welkermann im Herzen trüge?«

»Wenn ich mich recht erinnere,« versetzte der Andere nach einigem Besinnen, »so machte die Rede des Herrn von Rivola wenigstens den Eindruck auf mich, als sei ihm daran gelegen, daß dieses Duell zu Stande käme, eine Ansicht, in der ich einige Tage nachher bestärkt wurde durch die für mich sehr unangenehme Aufregung, in welche ich Herrn von Rivola versetzt fand durch die Nachricht, daß unser Duell vereitelt worden sei – durch Ihre Freundlichkeit, Herr Polizeirath.«

»Bitte recht sehr – Sie fanden ihn damals in der That sehr aufgeregt? Um welche Stunde kann das ungefähr gewesen sein?«

»Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, ich wartete seine Rückkehr aus der Stadt ab; er sah leidend und sehr angegriffen aus.«

»Ja, ja, das trifft ungefähr zusammen,« murmelte der Polizeirath, abermals seinen Spaziergang durch das Zimmer wieder aufnehmend, wobei ihm die Blicke Weldens folgten, während dieser sagte:

»Und nun erlösen Sie mich aus meiner unbehaglichen Stellung, lassen Sie mich zu Herrn Welkermann, und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich es so gut als möglich vermeiden werde, irgend ein anderes Gesprächsthema zu berühren, als das, weßhalb ich hiehergekommen bin.«

»Gut, Sie sollen Ihren Willen haben, und zwar sogleich.«

Er rief durch den Ton seiner Glocke den Aufwärter herbei, welchem er den Befehl gab, Herrn Welden zum Gefangenen zu führen, wobei er, gegen den Ingenieur gewandt, hinzusetzte: »Ich sehe Sie später noch auf einen Augenblick.«

Ferdinand Welkermann bewohnte in dem Gebäude, wo wir uns gerade befinden, ein nicht sehr großes Zimmer mit mäßiger Einrichtung; doch hatte die Fürsorge der Mutter ihm einen einfachen Fauteuil verschafft, in welchem er, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, beim Eintritte Weldens lang ausgestreckt lag.

Dieser ging rasch auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in einem vorwurfsvollen Tone: »Den Inhalt der Zeilen, welche ich von Ihrem Herrn Vater erhielt, darf ich wohl als einen Scherz betrachten?«

»Im Gegentheil,« antwortete Ferdinand, indem er den Versuch machte, sich langsam zu erheben, »Sie sehen mich ganz in der Stimmung, Sie mit den Worten jener Gladiatoren zu begrüßen: Moriturus te salutat!«

»Ah, wer wird so kleinmüthig geworden sein!«

»Kleinmüthig, ich? Durchaus nicht – ich will mich nur im kaufmännischen Sinne als solides Haus bezeigen und den auf den zwölften Mai acceptirten Wechsel am Verfalltage einlösen.«

Welden warf den Kopf rasch in die Höhe und sagte dann, indem er Ferdinands rechte Hand ergriff: »Lassen Sie uns wie Männer sprechen und nicht wie Kinder.«

»Der Meinung bin ich auch, nachdem wir ein wenig wie Kinder gehandelt.«

»Allerdings; aber ein gütiges Geschick vereitelte diesen kindischen Streich.«

»Wie so? Wir haben gleichmäßig eingesetzt, und ich verlor, das ist so klar wie der Tag, Sie waren allerdings so freundlich, mir das Gegentheil zu versichern; Sie wollten, ich solle Ihnen meinen Verlust schuldig bleiben, wozu ich aber keine Lust habe – bitte, lieber Welden, lassen Sie mich ausreden. Ich habe mich immer auf's sorgsamste bemüht, meine Spielschulden zu bezahlen, und so werde ich auch dieses Mal thun.«

»Ah, Herr Welkermann,« rief der Andere, indem ein tiefer Ernst seine Züge beschattete, »sagen Sie mir nach einer kleinen Weile, daß Sie zu scherzen belieben, denn, bei Gott, könnte ich annehmen, daß Sie im Ernste reden, so würden Sie mich in einen Zustand versetzen, über dessen Eindruck sich mein Haar emporsträuben würde!«

Welkermann hatte seine Rechte langsam aus den umschlingenden Fingern Weldens zurückgezogen und nagte, düster vor sich hinstierend, an seinen Nägeln, ehe er zur Antwort gab: »Sie haben das Leben wieder lieb gewonnen, ich begreife das – mir aber ist es in dieser Umgebung – er warf einen scheuen Blick auf die stark vergitterten Fenster – eine schwere Last geworden, die ich mich glücklich fühle, auf eine solch' anständige Weise abschütteln zu können.«

»Das ist aber keine anständige Weise, das wäre ein ganz gewöhnlicher, unmotivirter . . .«

»Reden Sie doch aus!« sagte der Andere, da Welden stockte. »Und wenn es das in der That wäre, so werden Sie mir doch ein ehrliches Begräbniß dadurch nicht verhindern, daß Sie meine Worte Lügen strafen, wenn die Welt erfährt, es habe sich hier um eine allerdings etwas eigenthümliche Art von Zweikampf gehandelt! Sie werden im Gegentheil meine Aussage bekräftigen.«

»Und wenn ich dazu in diesem entsetzlichen Falle nicht im Stande wäre?« fragte Welden in einem eigenthümlichen Tone, dessen Kälte und Ruhe so auffallend klangen, daß Ferdinand unwillkürlich in die Höhe blickte. »Wenn ich nach dem zwölften Mai ebenfalls verhindert wäre, etwas für Sie zu thun?«

»Ich sehe den Grund nicht ein,« meinte Ferdinand, »Sie stehen so gesund vor mir in voller Lebenskraft und Lebenslust,« setzte er mit einem trüben Lächeln hinzu. Dann fuhr er mit einem leisen Schauder fort: »Ja, hätten Sie, wie ich, lange Tage und noch längere Nächte in diesen kahlen Mauern zugebracht, mit der Aussicht auf eine fernere vieljährige Versorgung, so würde ich es begreiflich finden, Ihren Muth gebeugt zu sehen, aber so – gehen Sie, lieber Welden, und seien Sie glücklich!«

»Ich werde allerdings gehen, und zwar sogleich gehen, wenn Sie bei Ihrem thörichten, ja, verbrecherischen Entschlusse beharren. Ich werde, von Ihnen Abschied nehmend, Ihnen die Hand reichen auf ein Wiedersehen am zwölften Mai, eilf Uhr Vormittags – geben Sie mir darauf Ihre Hand.«

»Daß ich der Narr wäre, für den Sie mich halten – was geht Sie mein verfallender Wechsel an!«

»Viel, Alles – unsere Schuld ist zusammengeflossen wie jene Regentropfen, und daß dem so ist, dafür hebe ich hier meine Hand zum feierlichen Schwur gen Himmel!«

»Ah, lassen Sie mich, lassen Sie mich!« rief Welkermann in einem schrillen Tone, indem er beide Hände vor das Gesicht drückte.

»Ich lege vor Gott diesen Schwur ab, dreimal nach einander in jeder Form, welche Sie wollen, und wenn Sie mir darauf noch keinen Glauben schenken, so kann ich Ihnen nur sagen: ich gebe Ihnen mein heiliges Ehrenwort, daß wir uns am zwölften Mai wiedersehen, wenn ein Wiedersehen danach überhaupt noch möglich ist!«

»Lassen Sie mich, lassen Sie mich!« wiederholte der Andere mit wild bewegter Stimme, indem er aufsprang und im Zimmer auf- und abrannte. »O, wenn Sie wüßten, wie grausam es von Ihnen ist, mich zu erschüttern in einem so guten und wohl überlegten Entschlusse!«

»Wie können Sie das sagen, Sie, der Sie von Ihrer eigenen Unschuld nicht überzeugter sein können, als ich selbst, als Ihre Eltern, ja, als Ihre Richter es sein werden?«

»Ah, meine Richter – ja, ich werde vor meine Richter gestellt werden wie ein ganz gemeiner Verbrecher, der ich bei Gott nicht bin! Man wird vielleicht an meine Unschuld glauben und mich freisprechen, aber man wird mir mit Achselzucken nachschauen, wenn ich über die Straße gehe, und man wird sich zuflüstern: Das ist der Welkermann, welcher der Falschmünzerei verdächtig eingesperrt war, der Sohn des Stadtschultheißen, welcher aber – und das hätte man sich denken können – freigesprochen wurde!«

»Ah, welche Idee! Achtbare Männer werden Zeugniß für Sie ablegen, Ihre Freunde, wozu ich mich vor allen Anderen zähle, der Polizeirath Merkel, Herr von Rivola . . .«

»Ah, er!« sprach Ferdinand, plötzlich stehen bleibend, mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdrucke. »Ich fürchte fast, daß, wenn er im Stande sein wird, Zeugniß für mich abzulegen, er vielleicht achselzuckend sagen könnte: Das ist ein leichtsinniger junger Mensch, dem viel zuzutrauen wäre! Und wenn er nicht mehr im Stande ist, gültig für mich zu zeugen, so könnte das meine Sache nur verschlimmern.«

»Ich verstehe Sie nicht – gewiß, ich verstehe Sie nicht.«

»Begreiflich,« lächelte der Andere; »wenn man so wie Sie draußen in Luft und Sonnenschein lebt, wenn man ein Freund des Rivola'schen Hauses ist, wenn man mit Interesse in die glänzenden Augen der schönen Lucy schaut, so sieht man Manches anders an, als wenn man wie ich, Stunde um Stunde in der Einsamkeit hinbrütend, sich Vergangenes in nackter und ungeschminkter Wahrheit vor Augen bringt, wenn Einem dabei plötzlich Worte, Blicke einfallen, die, durch Einsamkeit und Nachdenken geschärft, einen ganz anderen Sinn erhalten, einen richtigeren Sinn, so kann man auf Ergebnisse kommen, die man kaum wagt, sich selbst zuzuflüstern.«

»Sie sprechen in Räthseln für mich.«

»Ich glaubs, ich glaubs; doch sagte ich soeben, es gibt Dinge, die man kaum wagt, sich selbst zuzuflüstern.«

»Herrn von Rivola betreffend?« fragte Welden im Tone höchster Spannung und mit verhaltenem Athem, denn es war ihm, als dränge in die dunklen Reden Ferdinands plötzlich ein scharfes, schneidendes Licht. »Die Anklage gegen Sie beruht ja hauptsächlich darauf, daß Sie so gefällig waren, Banknoten, welche Ihnen Herr von Rivola übergeben, ohne Weiteres an der Kasse umzuwechseln.«

»Darin liegt es ja gerade!« gab der Andere zur Antwort und setzte mit einem lauten Lachen hinzu: »Wenn Herr von Rivola nicht Herr von Rivola wäre, müßte er doch unfehlbar mein Zimmernachbar sein!«

»O–o–o–oh!« brachte Welden mühsam hervor, dann sprach er zu sich selber: »Und sollte der Polizeirath Merkel einen ähnlichen Gedanken haben? Erschien es mir doch sonderbar, mit welch' großem Interesse er zuhörte, als ich ihm davon sprach, wie mich Herr von Rivola zu jenem Duell mit Welkermann angetrieben – forschte er doch so genau nach Tag und Stunde! Ach, wenn über dem Haupte von Lucy's Vater ein so furchtbares Verhängniß schwebte!«

Ferdinand war näher getreten und sagte nun, indem er zutraulich seine Hand auf Weldens Schulter legte: »Ah, Sie denken über meine Worte nach – könnte ich Ihnen nur meine Überzeugung geben!«

»Daß Herr von Rivola . . .«

»Pst,« sagte der Andere rasch und leise, »die Wände hier haben Ohren, wie in der Höhle des Tyrannen von Syrakus, und ich glaube,« setzte er mit einem Blicke auf die Thür hinzu, »Herr Dionys Schmetterer hat uns belauscht – sie haben da an der Thür eine recht artige Vorrichtung.«

Welden schien die letzten Worte Ferdinands überhört zu haben. »Nein, nein,« rief er plötzlich aus, »das ist ein falscher Verdacht, das wäre zu fürchterlich!«

»Allerdings,« meinte Welkermann mit einem spöttischen Lächeln – »unglaublich immerhin, und würde die sogenannte Gesellschaft tief erschüttern.«

»Sprachen Sie diesen Verdacht schon irgendwo aus?«

»Wofür halten Sie mich? Herr von Rivola hat mir immerhin Gutes erzeigt, und da ich Wohlthaten nie vergesse, so habe ich mir vorgenommen, das alles mit dem allgemeinen Saldo am zwölften Mai zu tilgen.«

»O, wenn ich Ihnen sagen könnte, in welch' furchtbare Aufregung Sie mich versetzt haben, ja, daß ich darüber vergaß, was mich hieher geführt! Herr Welkermann,« rief er darauf in flehendem Tone, »ich beschwöre Sie bei allem, was heilig ist, glauben Sie an die Wahrheit meiner Worte, daß die Vorsehung unser frevelhaftes Spiel in der That vereitelt hat! Zwingen Sie mich nicht, Ihnen zu wiederholen, in welche Lage Sie mich im anderen Falle bringen würden! Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie nach meiner Versicherung, nach meinem Schwur die Sache auf sich beruhen lassen wollen, bis Ihre Unschuld erkannt ist, bis Sie Ihrer Haft entlassen sind, wo ich mich Ihnen alsdann in jeder Form, die Ihnen beliebt, zur Verfügung stellen werde! Sie sagten mir vorhin allerdings, Sie hätten Ihren Argwohn gegen Herrn von Rivola in keiner Weise laut werden lassen, und ich glaube Ihnen; aber Äußerungen, welche der Polizeirath vorhin gegen mich gethan, lassen mich vermuthen, daß er seine Hand rücksichtslos auch gegen ihn ausstrecken wird, wie er es gegen Sie gethan.«

»Daran zweifle ich nicht, und ich habe mich in der That nur gewundert, Herrn von Rivola nicht schon zum Zimmernachbar erhalten zu haben.«

»Entsetzlich! Ich glaube an seine Schuld so wenig als an die Ihrige – würden Sie es nicht einem Freunde gedankt haben, der Sie durch eine Warnung vor Ihrer Haft bewahrt hätte?«

»Kaum – ich würde in meiner Unschuld dieser Haft nicht aus dem Wege gegangen sein; aber in Betreff des Herrn von Rivola haben Sie Recht: ich glaube fast, man erzeigte demselben einen Dienst, wenn man ihn veranlassen könnte, eine Reise in's Ausland zu machen.«

»Und damit wäre keine Zeit zu verlieren. Aber wie kann ich Sie verlassen, ehe Sie mir Wort und Handschlag gegeben, daß Sie jenes Schrecklichere auf sich beruhen lassen wollen? Glauben Sie mir doch, daß Sie Ihre Lage ganz anders betrachten werden, sobald Sie sich nicht mehr zwischen diesen öden Mauern befinden – o, es ist so wahr, wie Sie vorhin sagten, daß uns Alles anders erscheint in freier Luft und Sonnenschein! Lassen Sie alsdann die Stadt hinter sich, folgen Sie mir in meine Berge, und es werden nicht Wochen vergehen, daß Sie mir eben so herzlich, eben so innig danken, wie ich Sie jetzt innig und herzlich anflehe, diesen meinen Dank zu verdienen!«

Welkermann war an's Fenster getreten, von wo aus er allerdings nur auf öde Mauern blicken und nichts von dem Hoffnung verheißenden Grün der Bäume sehen konnte, sondern nur ein kleines Stück des blauen Himmels, an dem aber hoch oben eine lang gestreckte Vogelschaar ihren Zug gegen Norden nahm.

»O, könnte ich Sie plötzlich jetzt mitten hineinversetzen in den sprossenden, knospenden Frühling, in die von Kräuterduft durchwürzte Waldeinsamkeit! Hoffen Sie – hoffen Sie auf bessere, schönere Tage!«

Da wandte sich der Andere rasch gegen den Bittenden und Flehenden, streckte ihm seine beiden Hände entgegen, und obgleich er ohne alle weitere Betheuerung nur die Worte sprach: »Gut denn, ich will erwarten, was da kommt!« – so war doch der Ton seiner Stimme so voll Wahrheit, daß Welden ihn mit einem Ausrufe der Freude in seine Arme zog, ihm herzlich dankte und dann sagte: »Und nun muß ich Sie verlassen, um, wenn es möglich ist, vielleicht einem anderen Unglücke noch rechtzeitig vorzubeugen.«

Er eilte schnell zur Thür, klopfte dort an, und die außerordentlich rasche Art, mit der ihm dort von Herrn Schmetterer geöffnet wurde, zeigte ihm, daß dieser würdige Beamte sich in nächster Nähe der Thür befunden hatte; auch schien er Herrn Welden erwartet zu haben, wenigstens verbeugte er sich auf solche Weise vor ihm und ging ihm dann voran nach den Zimmern des Polizeiraths, als wenn es sich von selbst verstände, daß der junge Ingenieur dorthin gehen werde.

Dies geschah denn auch, weil sich Welden seines gegebenen Versprechens erinnerte; Herr Merkel aber war für einen Augenblick ausgegangen, wie der Polizeiagent sagte, nachdem er die Thür zum Schreibzimmer seines Herrn geöffnet, »wird aber wahrscheinlich in Kurzem wiederkommen und läßt recht dringend bitten, ihn hier zu erwarten.«

Welden, auf's lebhafteste mit seinen Gedanken beschäftigt, ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und hob jetzt ohne Absicht ein Papier vom Boden auf, das in der Nähe des Schreibtisches lag und wahrscheinlich vom Luftzuge heruntergeweht worden war. Es war ein beschriebenes Blatt, welches der Polizeirath auf die Ecke des Schreibtisches gelegt haben mochte und vielleicht mitzunehmen vergessen hatte.

Welden war schon im Begriffe, es wieder an seinen Platz zu legen, als er unwillkürlich auf demselben den Namen Rivola las, den Namen des Mannes, mit dem er sich in seinen Gedanken so angelegentlich beschäftigte.

War es ihm zu verargen, daß seine Augen rasch die geschriebenen Zeilen durchflogen, daß er mit steigendem Antheile las: »Mein lieber Polizeirath! In der Sache des Herrn von Rivola habe ich auf Ihre wiederholten Vorstellungen endlich so viel erlangt, daß man Ihnen gestattet, gegen denselben, aber auf die schonendste Weise vorzugehen – ich wiederhole Ihnen, auf die schonendste Weise, und möchte mir noch erlauben, hinzuzufügen, ob Sie nicht meiner Ansicht sind, daß erst der Ausgang einer Unterredung mit Herrn von Rivola, mit Ihrer bekannten Geschicklichkeit geführt, entscheidend sein dürfte, ob Weiteres zu geschehen hätte; doch soll auch selbst dieses Weitere die Grenze eines Hausarrestes nicht übersteigen. Der Polizeiminister.« Das »soll« war zweimal unterstrichen.

Welden warf das Papier von sich, als brenne es zwischen seinen Fingern; dann stürzte er gegen die Thür – diese war verschlossen.

Einen Augenblick stand er rathlos; sollte er klopfen, Lärm machen? Wahrscheinlich ohne allen Nutzen, denn er zweifelte keinen Augenblick, daß dieses Abschließen der Thür kein zufälliges war. Da entsann er sich glücklicher Weise der kleinen, geheimen Treppe, welche aus dem Schreibzimmer des Herrn Polizeiraths direkt in's Freie führte; auch hatte ihm dieser einmal in einer vertraulichen Stunde mitgetheilt, wie das Schloß der unteren Thür selbst ohne Schlüssel zu öffnen sei. Ohne sich lange zu besinnen, eilte er dort hinab, betrat nach wenigen Augenblicken die Straße und rief einen Fiaker an, der zufällig vorüberfuhr.


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