F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Das Zimmer, in welchem heute Abend getanzt wurde, war indessen durchaus nicht so klein, als man nach den Reden der Commercienräthin hätte vermuthen können. Es war allerdings kein Ballsaal, und wenn man auch zu der doppelten Quadrille, jede zu acht Paar, zuweilen mit dem Paare in seinem Rücken ein wenig in Collision kam, so hatte das bei der allgemeinen Heiterkeit nicht viel zu bedeuten. Auch waren rechts und links geräumige Nebenzimmer, welche die Tanzenden nach beendigter Tour aufnahmen, und was die Musik anbetraf, so war für dieselbe ein Stück des Corridors mit spanischen Wänden abgetheilt worden, so daß diese nicht im geringsten genirte.

Seine Excellenz der Herr Staatsminister des Innern war allerdings etwas spät erschienen, aber er war doch gekommen und von dem Herrn des Hauses auf der Mitte der Treppe empfangen worden, sowie darauf durch das ganze Apartement geleitet, ein lebendiges Schaustück, dem zahllose Bücklinge und Knixe gespendet wurden, von welchen noch ein bescheidener Theil auf den vor Freude strahlenden Gastgeber fiel.

Später war Seine Excellenz in einem kleinen Cabinete an einem Whist-Tische zur Ruhe gebracht worden, und wurde er hier von Ascher eigenhändig mit Thee bedient. Seine Mitspieler waren der Bankdirektor, der Geheime Commercienrath Zipperer und der Oberbaurath Lievens, mit dessen Gattin sich der Minister des Innern vorher nicht nur lange und huldreichst unterhalten, sondern sie auch gebeten hatte, wenn sie nichts Besseres zu thun wisse, während des Spiels an seiner Seite Platz zu nehmen, wobei er galant versicherte, eine schöne Frau brächte ihm jedes Mal Glück.

Sie hatte das auf's bereitwilligste gethan, sich aber vorher erlaubt, Seiner Excellenz einen jungen Mann vorzustellen, der es als das höchste Glück betrachte, von Seiner Excellenz persönlich gekannt zu sein.

Und dabei hatte die Bauräthin, während sie mit niedergeschlagenen Augen ihre Bernsteinkette in die Höhe zog, hinzugesetzt: »Eigentlich hätte mein Mann Ihnen den Herrn Ingenieur Welden vorstellen sollen, doch meinte er, das ohne einen besonderen Wunsch Eurer Excellenz nicht wagen zu können, wogegen ich,« sagte sie mit einem schalkhaften Lächeln, »mir vielleicht auch ohne speciellen Befehl so was erlauben darf.«

Der Minister des Innern war ein kleiner und dicker Herr mit kurzem Halse und kurzem Athem; er hatte dicke Lippen und feiste Backen. Seine Gesichtsfarbe, die gewöhnlich sehr roth war, spielte, wenn er sich erhitzte oder für etwas lebhaft interessirte, in's Bläuliche, und wenn er mit Erregung und Gefühl sprach, so hatte seine Stimme etwas Fettiges.

»Schöne Frau,« flüsterte er der Oberbauräthin zu, »Jeder, den Sie mir vorstellen, ist mir angenehm; nur möchte ich mit einem leichten Seufzer hinzusetzen, ich möchte dieser Kuno gewesen sein.«

»Ach, Excellenz, es ist gefährlich, mit Ihnen zu reden, und wenn ich meine Bitte nicht schon ausgesprochen hätte, würde ich es nicht mehr thun.«

»Eigentlich hätten Sie sich diese Mühe auch sparen können,« hörte man jetzt eine tiefe, wohlklingende Stimme in sehr gleichgültigem, fast trockenem Tone sagen. »Ich bin Seiner Excellenz bereits vorgestellt worden; nur erinnern sich der Herr Minister meiner nicht mehr.«

Der, welcher so sprach und jetzt ohne irgend welche Verlegenheit an den Spieltisch trat, war ein junger, schlanker Mann von einigen zwanzig Jahren, mit ausdrucksvollen, ernsten Gesichtszügen, einem lebhaften Auge, mit blondem, leicht gelocktem Haar und einem etwas in's Röthliche spielenden Vollbarte. Er war in gehöriger Balltoilette, mit weißer Halsbinde – nur hatte die Schleife derselben sowie auch sein tief herabgeschlagener Kragen etwas sehr Ungezwungenes, welches übrigens auch sein ganzes Wesen, wenn er stand, ging und sprach, charakterisirte.

»Ah, richtig, Herr Welden!« sagte die Excellenz mit einem freundlichen Lächeln. »Natürlich kennen wir uns, nur hatte ich mich Ihrer Person nicht mehr recht erinnert – oh, wir sahen uns häufig! Das letzte Mal, als wir dem guten Baron Rivola ein Stückchen seines Waldes wegnehmen mußten; ich glaube, er hat sich noch nicht recht darein finden können.«

»Er hat es verschmerzt, wie er mir neulich sagte,« erwiederte der junge Ingenieur. »Daß es ihm unangenehm war, finde ich begreiflich; doch habe ich ihm seine nunmehrige Gränze ein wenig hergerichtet. Auch wird er neue Bäume anpflanzen, so daß sich der etwas schroffe Abschnitt vergleicht.«

»Sie sind jetzt hier einer der Unsrigen?« fragte der Minister.

»Nur für den Winter, Excellenz. Ich habe auf dem Bureau des Herrn Oberbauraths Lievens mit den Plänen der neuen Bahnlinie zu thun, hoffe aber mit dem frühesten Frühjahr wieder hinauszukommen.«

»Es ist diesem jungen Manne,« wandte sich seine Excellenz mit einem freundlichen Lächeln an seine Nachbarin, »hier in der Stadt zu Muthe wie den gefangenen Waldvögeln, und wenn sie es auch noch so gut haben; und ich glaube,« setzte er flüsternd hinzu, »der da hat es gut, beneidenswerth gut auf dem Bureau Ihres Gemahls – ah, diese jungen Leute – was nützen uns Amt und Würde!« – Hier legte er leicht die rechte Hand an die linke Brust, an den Stern, den er auf dem Fracke trug, oder an die Stelle, wo er sein Herz vermuthete. »Was nützt uns alles das schönen Frauen gegenüber, wenn man die Sechzig auf dem Rücken hat! Spielen wir also, wenn es gefällig ist, obgleich auch nur mit Karten.«

Der junge Ingenieur war mit einer leichten Verbeugung vom Tische zurückgekehrt, hatte sich an die Thür des Zimmers gestellt, in welchem getanzt wurde, und blickte ziemlich gleichgültig in das Gewühl der lustig sich drehenden Paare. Er war zu spät gekommen, um noch hoffen zu können, auf dem Coursblatte der begehrten Tänzerinnen notirt zu werden; auch war er kein leidenschaftlicher Tänzer und hatte auch hier kein Interesse, um es zu sein. Damit wollen wir aber nicht gesagt haben, als ob er alle an ihm vorbeischwebenden Damen mit derselben Gleichgültigkeit betrachtet hätte. Erging es ihm doch auch wie manchem anderen der zuschauenden älteren und jüngeren Herren, welche die Tochter des Hauses und Lucy von Rivola mit den angelegentlichsten Blicken verfolgten. Man konnte aber auch nichts Reizenderes sehen, als diese jungen Mädchen in ihrer anmuthig schwebenden Bewegung, so fest, so sicher und doch wieder so gänzlich ungenirt, nur ihrem eigenen, beiderseitigen Vergnügen lebend; denn wenn sie bei einem Ruhepunkte nicht gar zu weit aus einander standen, so reichten sie sich mit einem entzückten Lächeln gern die Hand oder flüsterten einander irgend ein gewisses gleichgültiges Wort zu, anstatt ihre Aufmerksamkeit auf das zu wenden, was ihnen ihre Tänzer sagten.

Besonders aber war es Lucy, die mit ihrem eigenthümlichen Haar unter allen übrigen Tänzerinnen hervorleuchtete, und wenn sie so vorüberschwebte, zuweilen ihre blonden Locken durch ein energisches Kopfschütteln zurückwerfend, mit den großen, braunen Augen, die vor Glückseligkeit strahlten, plötzlich Jemanden anschauend, so konnten sich wohl gänzlich Fremde nicht enthalten, ihr mit der freundlichsten Theilnahme zuzunicken.

So that auch Herr Welden, obgleich er kein Fremder für sie war, und über sein ernstes, fast theilnahmloses Gesicht flog ein wohlwollendes Lächeln, als sie ein paar Schritte von ihm entfernt ihren Kopf während des Tanzens nochmals gegen ihn umwandte und ihre strahlenden Augen so lange als möglich auf ihm ruhen ließ.

Dann war der Walzer zu Ende, und die beiden jungen Mädchen, nachdem sie sich von ihren Tänzern flüchtig verabschiedet, traten an die Thür des Spielzimmers, wo der Ingenieur noch immer stand und nun von Elise und Lucy auf's freundlichste begrüßt wurde. »Sie kommen leider einmal recht spät, Herr Welden,« sagte die erstere, und Fräulein von Rivola setzte hinzu: »Daß Herr Welden überhaupt noch hieherkommt, wo ja nur getanzt und über die gleichgültigsten Dinge geplaudert wird, mußt du ihm als Tochter des Hauses sehr hoch anrechnen. Nicht wahr, Herr Welden, Sie wären lieber gar nicht gekommen?«

Sie sagte dies in einem offenen, heiteren, neckenden Tone, der von dem jungen Manne ebenso erwiedert wurde, als er ihr entgegnete: »Darin haben Sie ganz Recht, mein Fräulein, Tanz und Geplauder haben mich aber gewiß nicht hiehergezogen, sondern nur die Artigkeit gegen unsern freundlichen Wirth, den Vater des Fräuleins Welkermann; dann aber vor allen Dingen, um Sie auf Ihrem ersten Balle tanzen zu sehen.«

»Wie dankbar bin ich Ihnen für dieses Interesse, das ich hoch anrechnen muß! Aber in der That ist es unrecht, daß Sie so spät erscheinen, ich hätte Ihnen gerne einen Tanz aufgehoben.«

»Das hätten Sie immerhin thun können, denn ich sagte Ihnen, ich würde sicher hieherkommen, und ich meine, ich hätte hinzugesetzt, wenn ich auch sonst nicht tanze, so würde es mich doch sehr freuen, mit Ihnen eine Ausnahme zu machen.«

»Hätten Sie das wirklich gesagt?« erwiederte das junge Mädchen in einem beinahe erschrockenen Tone, wobei sie ihre kleine Tanzkarte aus dem Gürtelbande hervorzog, ihm dann aber, nachdem sie einen Blick darauf geworfen, mit heiterer Miene zurief: »O nein, so haben Sie nicht gesagt! ›Wenn ich überhaupt tanzen wollte,‹ sprachen Sie, ›so würde es mir Vergnügen machen, Sie um einen Tanz zu bitten‹ – haben Sie nicht so gesagt?«

»Es kann sein,« erwiederte er lächelnd; »ich will zugeben, daß Sie Recht haben.«

»Aber eine Extra-Tour, Herr Welden.«

»Eine solche halte ich für Unrecht gegen den betreffenden Tänzer. Damit ich aber nicht zu kurz komme und ein wenig mit Ihnen plaudern kann, so werde ich suchen, während des Soupers in Ihre Nähe zu kommen. Doch hätte ich beinahe vergessen, den beiden Damen einen Gruß zu sagen, der mir an Sie aufgetragen wurde – aufgetragen sollte ich eigentlich nicht sagen, vielmehr las ich in den Mienen des Betreffenden, wie sehr er wünschte, bei Ihnen in Erinnerung gebracht zu werden.«

»Ei, und wer kann das sein?« fragte Lucy.

»Ein alter Herr, jetzt mit weißem Haar und Bart.«

»Ein alter Herr – kannst du dir denken, Elise, wen Herr Welden meint?«

»Ein alter, wohlwollender Herr, dessen Sprechen wie ein freundliches Murmeln klingt und dessen Gemurmel ich gern zugelauscht – –«

»Ach, Sie sprechen wieder in Bildern und Räthseln!« meinte Elise. »Wer ist denn Ihr alter Herr?«

Lucy hatte ihre Hand auf die Schulter ihrer Freundin gelegt, Herrn Welden dabei mit ihren tiefen, sinnigen Augen scharf angeblickt und sagte nun: »Ach, ich weiß es, wen er mit seinem alten, murmelnden Herrn meint, der jetzt ein weißes Haar und weißen Bart hat! Ist er nicht trotz alledem heute noch sehr beweglich, quecksilbern-unruhig, so daß er beständig zappelt, um von der Stelle zu können und, obwohl er sich in Einem fort bewegt und abmüht, doch an dem Orte bleibt, wo wir ihn gesehen?«

»Ja, mein Kind.«

»Verstehst du ihn denn nicht, Elise? Er meint ja den Wasserfall nicht weit von unserer Pension von Klosterberg!«

»Ah so – und da waren Sie heute?«

»Ja, ich mußte eine Messung nachsehen zu der Eisenbahnbrücke, die über den Wasserfall projektirt ist und im nächsten Frühjahr gebaut wird. Es war trotz des winterlichen Wetters prächtig da oben im Gebirge, lauter Schnee und Eis, und so eine Winterlandschaft hat eine große Schönheit.«

»Ach ja, jetzt verstehe ich es,« sagte Elise nach einer Pause, »warum Herr Welden uns einen Gruß von dem Wasserfall bringt! Es war ja an jenem Orte vor einem Jahre, wo wir ihn zufällig trafen und wo unsere gestrenge Vorsteherin erlaubte, daß uns Herr Welden die Linie der damals erst projektirten Bahn erklärte.«

»Ich habe sogleich daran gedacht,« meinte Lucy. »Damals aber sagten Sie uns, es sei vielleicht möglich, die Linie ein klein wenig nach Süden zu legen, um so den herrlichen Wasserfall zu schonen.«

»Ich habe gethan, was ich konnte, um so den alten Herrn zu schonen, und es ist mir insoweit gelungen, als ich mit meinem Projekte durchgedrungen bin und ihn nun mit einem einzigen Bogen überwölben werde, statt die Schlucht zu zerstören, durch welche er fließt.«

»Dafür wollen wir Ihnen dankbar sein, nicht wahr, Elise? Wir in unserem eigenen Namen und in dem aller jener unglücklichen Pensionärinnen, welche wie wir ihr Vergnügen haben an jener prächtigen Cascade, dem häufigen Endziele unserer Spaziergänge.«

»Ich habe eine kleine Skizze davon gemacht, um zu sehen, wie sich der Wasserfall und Brücke ausnimmt.«

»Für mich?« fragte Lucy.

»Nein, mein Kind, dieses Mal nicht für Sie.«

Sagte er das in einem besonders trockenen Tone oder hatte sie erwartet, er würde ihr die Zeichnung anbieten – genug, sie erwiederte plötzlich sehr ernst, fast verstimmt: »O, ich habe das auch nicht gesagt, um sie behalten zu dürfen, sondern nur um den Versuch zu machen, sie zu copiren, denn ich habe dazu gar nichts hübsches Neues mehr, und dann möchte ich auch eine Ansicht jenes Platzes noch bestimmter haben, als er in meiner Erinnerung lebt.«

Abermals begann ein Tanz, und diesmal waren es ein paar unternehmende Lieutenants, welche sich eilfertig näherten, indem sie rasch ihrem Schnurrbarte die entsprechende Lage gegeben und die Uniform in die Taille herabgezogen hatten.

Welden wandte sich langsam um, dem Spielzimmer zu, wo die Oberbauräthin Lievens immer noch neben Seiner Excellenz saß und ihm offenbar Glück brachte, wie er mit seiner fettigen Stimme behauptete. Die schöne Frau hatte den rechten Arm auf die Lehne des Sessels ihres Nachbars gestützt und schien gar nicht das Näherkommen des jungen Mannes zu beachten. Nur jetzt, als er dicht neben ihr stand, erhob sie langsam ihre glänzenden Augen zu ihm und sagte:

»Ich dachte mir, Sie hätten getanzt oder wenigstens Lust gehabt, zu tanzen.«

»Leider nicht, sonst würde vielleicht Eines durch das Andere ausgeführt. Ich sah zu und plauderte ein wenig.«

»Gerade so wie ich hier dem Spiele zusehe ohne alles Interesse,« sagte sie mit einem Blicke, dessen eigentlicher Ausdruck noch durch einen leichten, kaum vernehmbaren Seufzer verstärkt wurde.

»Wir könnten Sie ja mit einer kleinen Wette interessiren,« erwiederte Seine Excellenz, welche die Worte der Oberbauräthin ganz allein auf den Gang des Spiels bezog.

»Was ich mit Vergnügen annehmen würde, wenn die Wärme aus dem Tanzsaale nicht gar zu stark herausdränge,« entgegnete sie, ihren Fächer entfaltend. »Ich muß mir schon einen kühleren Platz aussuchen.«

Dabei erhob sie sich und sagte im Fortgehen zu dem jungen Ingenieur: »Wollen Sie mich vielleicht begleiten, Herr Welden? Man kann allerdings nicht weit gehen oder etwa Einsamkeit aufsuchen,« fuhr sie nach einem heiteren Lächeln fort, »denn die Zimmer der guten Stadtschultheißin sind gar so vollgepfropft. Doch habe ich noch nicht einmal alle gesehen, und wenn es Ihnen recht ist, machen wir gemeinschaftlich eine Zimmer-Promenade.«

Er wollte ihr seinen Arm anbieten; doch lehnte sie dies dankend ab, wobei sie für einen Augenblick leicht ihre Hand auf seinen Arm legte und heiter sagte: »Man braucht den Leuten hier nicht Stoff zu unnöthigen Reden zu geben. Auch wenn ich gar nicht hinblicke, sehe ich mich beständig von verschiedenen Augen guter Freundinnen verfolgt, mache mir aber gar nichts daraus.

»Sehen Sie,« fuhr sie nach einer Pause fort, während welcher sie einige Zimmer durchwandert, »hier, entfernt vom sogenannten Tanzsaale, ist es schon etwas leerer, und dort in dem Wohnzimmer der kleinen Elise scheint eine ganz erträgliche Atmosphäre zu sein. Es war fürchterlich heiß da drinnen – so, hier wollen wir uns setzen und ein wenig plaudern.«

Sie ließ sich in die Ecke eines Sopha's nieder und bezeichnete für ihren Begleiter einen Stuhl, der daneben stand, wobei sie mit einem schalkhaften Lächeln sagte: »So sind wir denn vor den Augen der Welt und auch zu unserer eigenen Genugthuung durch eine hohe Lehne getrennt, und nun sagen Sie mir, wie gefällt es Ihnen hier?«

Sie hatte sich bei diesen letzten Worten, welche sie sehr langsam sprach, so bequem als möglich in die Ecke des Sopha's niedergelassen, und so nahe an die bezeichnete Lehne, daß, wenn sie ihren Kopf noch etwas mehr hinübergelegt hätte, als sie schon that, ihre Haare mit denen des jungen Mannes in Berührung gekommen wären.

Und es ist etwas höchst Gefährliches um eine solche Berührung; es ist das verrätherische Gefühl einer Kühle, von der man weiß, daß sie häufig heiße Gluth verbirgt, Schnee auf einem Vulcan; wir reden natürlich von einem so schönen, reichen Haar, welches uns zu denken gibt, und so war das der reizenden Frau, neben welcher Welden saß, ob mit den eben angegebenen Gefühlen, wollen wir gerade nicht behaupten, denn seine Mienen und sein Blick sprachen nicht dafür, ja, er machte sogar mit dem Stuhle eine leichte Wendung, wodurch er allerdings aus der gefährlichen Nähe dieses Haares, dadurch aber mehr noch in das Feuer ihrer sprühenden Augen kam.

»Wie es mir hier gefällt? Hier auf dem Balle oder in meiner neuen Stellung auf dem Bureau? – Was das Letztere anbelangt, so muß ich ehrlich sagen, daß der Minister nicht ganz Unrecht hatte, als er von den Gefühlen eines gefangenen Waldvogels sprach. Noch wenn es eine Gefangenschaft ist, so wird diese allerdings gemildert, ja, ich möchte sagen, fast ganz wieder aufgehoben durch die Freundlichkeit des Herrn Oberbauraths und durch Ihre Güte.«

»Empfinden Sie das wirklich, lieber Welden?«

»Gewiß! In dieser Hinsicht sehe ich dem Frühling nicht mit dem gleichen Verlangen entgegen, wie ich es sonst wohl thun würde.«

»Ach ja, dieser Frühling!« sagte sie mit einem leichten Seufzer. »Dann öffnet sich Ihr Käfig wieder und Sie flattern davon, vielleicht ohne eine angenehme Erinnerung an die Vergangenheit. Sind Sie überhaupt flatterhaft?« fragte sie rasch, indem sie sich gegen ihn wandte.

»Ich glaube nicht,« entgegnete er lächelnd, »obgleich ich mir selbst darüber so genau noch keine Rechenschaft geben kann. Was ist flatterhaft? Mit Leichtigkeit einen Gegenstand vergessen, der uns interessirt? Wenn es das ist, so bin ich allerdings nicht flatterhaft, denn ich habe noch nie etwas vergessen, das mir werth geworden.«

»Und was muß man thun, um Ihnen werth zu sein, um von Ihnen nicht so bald vergessen zu werden?«

Beinahe hätte Welden nicht gewußt, was er für eine Antwort geben sollte, und er entgegnete nun: »Wer zum Beispiel so liebenswürdig gegen mich ist, wie Sie, verehrte Frau, darf wohl überzeugt sein, daß ich seiner mit Dankbarkeit gedenke.«

»Mit Dankbarkeit?« gab sie lächelnd zur Antwort. »Das ist immer schon etwas, und ich bin vor der Hand zufrieden; aber nun sagen Sie mir auch, wie es Ihnen hier auf dem Balle gefällt?«

Er zuckte mit den Achseln und sagte dann: »Es gibt Dinge, welche ich diesem geräuschvollen Treiben vorziehe. Ich habe nie ein Vergnügen daran gefunden, ohne eigentlichen Zweck mit vielen Leuten in einem engen Raume zu sein; man findet, besonders ohne eine so freundliche Führerin wie Sie, selten einen behaglichen Raum zum Sitzen, kaum zum Stehen, und wenn man plaudern will, muß man sich erst sorgfältig nach einer rückenfreien Ecke umsehen. Auch ist dieses Geplauder, wie man es gewöhnlich auf einem Balle führt – immer mit Ausnahmen,« setzte er verbindlich hinzu –, »nicht von der Art, wie ich es wünsche.«

»Oder man muß eine große Menge von Bekannten haben, in deren Gedächtniß man sich durch irgend ein Wort, eine Frage auffrischen will, und Sie haben wohl nicht viele Bekannte hier?«

»Sehr wenige. Bin ich doch selbst mit dem Herrn Stadtschultheißen nur flüchtig bekannt; seinen Sohn sah ich und sprach ihn einige Mal im Kaffeehause; dann kenne ich die Familie Rivola.«

»Woher kennen Sie diese? Ah, wahrscheinlich von der Zeit im vergangenen Sommer, als draußen bei dem Gute des Barons die neue Eisenbahnlinie tracirt wurde!«

»So ist es. Trotzdem ich gezwungen war, ihm ein hübsches Stückchen seines Waldes abzuschneiden, war er doch stets sehr freundlich gegen mich. Allerdings schonte ich auch sein Eigenthum so gut es mir nur möglich war, wofür man sich dankbar erwies, denn er öffnete mir nicht nur auf's freundlichste sein Haus, sondern er räumte mir auch auf einem Vorwerke ein kleines Gebäude zu einer Bauhütte für mich und mein Personal ein.«

»Eine eigenthümliche Familie, diese Rivola – sie werden für sehr reich gehalten.«

»Sind es auch, wie mir scheint; ihr Hauswesen ist wenigstens danach eingerichtet, und dabei sind sie gastfrei in der weitesten und schönsten Ausdehnung des Wortes.«

»Nicht für Jedermann, mein lieber Herr Welden. Ich hörte schon sagen, daß, wenn das Haus des Barons auch häufig eingeladene Gesellschaften sähe, es doch sonst für das, was man vertrauliche Besuche nennt, beinahe hermetisch verschlossen sei.«

»Möglich, daß er aus einem Grunde, den ich vielleicht errathe, mit mir eine Ausnahme machte. Der Baron Rivola ist nicht nur Kunstkenner, sondern war auch in seiner Jugend ausübender Künstler, Mechaniker, Bauliebhaber, und da ich in diesen Fächern einige Kenntnisse habe, so suchte er wohl deßhalb meine Gesellschaft, von welcher jedoch ich den größten Nutzen zog, denn ich kann Sie versichern, seine enormen Kenntnisse, sowie seine große Erfahrung haben mir schon Manches klar gemacht.«

»War Fräulein Lucy damals schon zu Hause?« fragte die Oberbauräthin nach einer kleinen Pause.

»Nein, sie war den Sommer über abwesend und ich sah sie erst in den letzten Tagen meines Dortseins, zu Anfang des Herbstes.«

»Ein hübsches Kind.«

»Ja, eigenthümlich und interessant, etwas verwöhnt, was ich begreiflich finde, denn sie ist der Abgott ihrer Eltern.«

»Wie schön ist das sonderbare Haar dieses Mädchens!« meinte die Oberbauräthin nachdenkend, indem sie leicht mit ihrer Hand über ihre weiße, glatte Stirn strich. »Ich wünschte mir eines von dieser Farbe.«

»Ah, Sie sollten zufrieden sein!« meinte der junge Ingenieur. »Ich sah ein so prachtvolles Haar wie das Ihrige nur in Rom, und die Römerinnen bilden sich etwas darauf ein.«

»Das der Italienerinnen soll etwas hart und rauh sein, sagt man, während mein Haar vielleicht den einzige Vorzug der Weiche hat. Fühlen Sie es einmal an, Herr Welden, Sie sind ein Kenner.«

Sie wandte das hübsche Gesicht kokett von ihm ab, und als er der Aufforderung gemäß die schweren, dicken Flechten, welche über ihren Nacken herabhingen, durch die Finger gleiten ließ, konnte es nicht fehlen, daß seine Hand mit ihrer weichen, glatten, kühlen Schulter in Berührung kam.

Sie zuckte zusammen und sagte, sich ihm rasch wieder zuwendend: »Schade, daß Sie nicht tanzen, Herr Welden!«

»Ich liebe überhaupt dieses Vergnügen nicht mehr so wie früher, tanze nur, wenn ich für Jemanden ein ganz besonderes Interesse empfinde.«

»Für Jemanden, der Ihnen werth geworden? Wie schade, daß das bei mir Ihnen gegenüber noch nicht zutrifft!«

»Würden Sie gern tanzen?«

»Warum nicht,« entgegnete sie unbefangen, »wenn ich als Frau nicht fürchten müßte, den jungen Mädchen unnöthiger Weise Platz wegzunehmen.«

»Darüber brauchen Sie sich keine Sorge zu machen,« erwiederte der junge Ingenieur, der sich bewußt war, ein ausgezeichneter Tänzer zu sein, der es verstand, eine gewandte Tänzerin sicher und zierlich durch die engste Lücke zu bringen. Auch dachte er dabei an die kleine Lucy, die es nicht einmal der Mühe werth gefunden hatte, nur ihr Bedauern darüber auszudrücken, daß sie nicht mit ihm tanzen könne.

Die Oberbauräthin hatte sich rasch erhoben, und indem sie jetzt ihren Arm in den des jungen Mannes legte, sprach sie: »Da wir nun zum Tanze gehen, dürfen Sie mich auch führen.« Und so gingen sie den Weg durch die Zimmer zurück, den sie soeben gekommen. Ihrem Manne am Spieltische sagte sie im Vorbeigehen: »Herr Welden hat mich zum Tanze aufgefordert.« Worauf der Oberbaurath in sehr gleichgültigem und trockenem Tone, welcher aber vollkommen zu seiner Geschäftsmiene und seiner ausgedörrten Gestalt stimmte, zur Antwort gab: »Das ist mir sehr angenehm, Mathilde.«

»Ha, beneidenswerther junger Mann,« rief Se. Excellenz, »so mit schönen Frauen durchs Leben tanzen zu dürfen!«

»Während wir hier im Schweiße unseres Angesichtes einen Rubber um den anderen verlieren – Coeur ist à tout!«

Es war übrigens in demselben Augenblicke nicht leicht, sich ohne Gefahr in die dichten Massen der Tanzenden zu stürzen, denn ein beliebter Walzer, den die Musik spielte, hatte auch ältere Herren herbeigelockt, um, bekannten Klängen folgend, vielleicht in alten, süßen Erinnerungen zu schwelgen.

»Entschuldigen Sie mich,« sagte Herr Welden zu der etwas schwer athmenden jungen, schönen Frau, »wenn ich Sie fester an mich schließe, als ich wohl zu thun pflege, denn sonst würde es unmöglich sein, da hinein und mit einiger Sicherheit wieder heraus zu kommen.«

»Ich fürchte mich ein wenig, lieber Welden,« entgegnete sie mit leiser Stimme, indem sie sich mit halbgeschlossenen Augen fest an ihn anschloß. »Es wäre fürchterlich, wenn uns etwas widerfahren sollte – ist es mir doch gerade, als sähe ich schon verschiedene scharfe Blicke auf mich gerichtet und hörte liebevolles Geflüster über die da, die doch verheirathet sei und doch das Tanzen nicht lassen könne!«

»Unbesorgt!« sagte er lachend und mit dem rechten Arme ihre feine Taille fester umschlingend; »ich habe nur einen Augenblick gewartet, um nicht mit jenem alten Herrn, der dort herumhüpft, zu caramboliren.«

Und schnell, eh' die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt!

recitirte Se. Excellenz, welche mit ihrem Augenglase dem Paare zuschaute, als dieses nun in dem Strudel der Tanzenden verschwand, aber nicht unterging, und es war eine Freude, zu sehen, wenn der junge Ingenieur, mit seiner gerade nicht leichten Tänzerin allerdings die seltsamsten Figuren beschreibend, hierbei einem Paare vorüber schlüpfte, dort, sich auf der Stelle drehend, ein anderes vorüber ließ, jetzt, rückwärts tanzend, einen kleinen Raum hinter sich benutzte, um wieder in's Freie zu kommen, und dann durch eine zufällig entstandene Lücke von einem Ende des Saales bis an das andere schoß. Die Zuschauer klatschten Beifall, manche der Tanzenden hörten auf, um dem Paare Platz zu machen, manche Tänzerin mit lächelnder Miene, manche aber mit einem etwas spöttischen Gesichtsausdrucke, hier und dort eine junge Dame kopfschüttelnd oder mit großen, erstaunten Blicken, wie Lucy von Rivola.

»Siehst du, wie gut Herr Welden tanzt,« sagte sie zu Elise, die sich ihrer Freundin genähert hatte – »und wie schön er tanzt! Wer ist denn seine Tänzerin?«

»Eine Bekannte unseres Hauses.«

»Eine schöne Frau!« sagte Lucy, indem sie mit ihren Blicken das Paar verfolgte, welches jetzt nicht weit von ihr an der Thür plötzlich still stand und dann lächelnd durch dieselbe verschwand.

Dieses war die letzte Tour vor dem Souper gewesen, und Herr Ascher, der am Eingange des Apartements stand und auf diesen Moment mit nicht weniger Spannung gewartet hatte, als ein General auf das Aufblitzen des ersten Kanonenschusses beim Beginne einer Schlacht, entfaltete nun mit seinen Haustruppen eine großartige Thätigkeit – es sollte an kleinen Tischen, die in sämmtlichen Zimmern vertheilt waren, von allen Eingeladenen zu gleicher Zeit soupirt werden, eine Änderung des ursprünglichen Schlachtplanes, nach welchem zuerst der ältere Theil und dann erst die jungen Leute hätten abgefüttert werden sollen.

Herr Ascher hatte dem zweifelnden Herrn des Hauses versichert, es mache sich auf diese Art unbedingt schöner und großartiger und für Jeden angenehmer, denn eine Andacht sei doch nicht mehr von den Tanzenden zu erwarten, wenn einmal im Nebenzimmer die Teller klapperten. Und Herr Ascher hatte nicht nur Recht behalten, sondern in kürzester Zeit das Unglaublichste geleistet. Dabei war er aber, besonders mit den spielenden Partieen, ziemlich schonungslos verfahren, so daß sich sogar Se. Excellenz der Herr Minister zu der Äußerung veranlaßt gesehen hatte: »Dieser Ascher ist ein ganz verfluchter Kerl – ich kenne ihn von ähnlichen Gelegenheiten her; er wäre im Stande, das Tischtuch über unsere Karten zu decken oder uns, was noch schrecklicher wäre, gar nicht serviren zu lassen – der Klügste gibt nach!«

Darauf erhob sich Se. Excellenz vom Tische, Ascher that auch hier seine Schuldigkeit, und nach kurzer Zeit hörte man durch das ganze Apartement das leichte, vergnügliche Summen halblaut geführter Tischgespräche, das Klappern der Messer und Gabeln sowie das Klingen der Gläser.


 << zurück weiter >>