F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Dritter Band.

Zwanzigstes Kapitel.

Es ist immerhin ein eigenthümliches Gefühl, wenn man sich auf ein Duell vorbereitet, mit seinen Vorgängen und Anordnungen, als da sind: verweigerte Annahme jeder Ehrenerklärung und die Bedingung, auf fünf Schritte Barriere, in die Mündung einer Pistole sehen zu müssen. Es hat das Ähnlichkeit mit einer großen und gefahrvollen Reise, von der man nicht genau weiß, ob man sie glücklich beendigen und die vier Wände seines Zimmers wiedersehen wird, welche wir vor Antritt derselben sinnend und vielleicht zum letzten Male betrachten.

Dabei fällt Einem dann gewöhnlich noch Dieses und Jenes ein; man öffnet Gefache in Tischen und Schränken, deren Inhalt man lange Jahre nicht angesehen, um sie hierauf wieder mit gleichgültigen Blicken zurückzuschieben, oder irgend etwas herauszunehmen, das man häufig mit einem schmerzlichen Lächeln betrachtet.

So erging es Welden, welcher, tief in der Nacht vor seinem Schreibtische sitzend, eine Schublade desselben geöffnet hatte und nach allerlei Gleichgültigem, was er in ihr liegen ließ, eine vertrocknete Rose hervornahm und beim Anblicke derselben an einen heiteren Frühlingstag des vergangenen Jahres dachte, wo er diese Rose während eines Spieles als Zeichen oder Pfand für irgend etwas Unbedeutendes von Lucy von Rivola erhalten. Es war das in dem Parke hinter Eichenwald gewesen, und das liebliche Mädchen hatte diese eben aufgeblühte Rose, so ganz ihr Ebenbild, aus ihrem Haar gezogen und ihm mit einem freundlichen Blicke dargereicht.

Nun war das Pfand vertrocknet, aber das Bild der Geberin stand mit glühenden Farben so frisch und lebendig vor ihm, daß er sich nicht enthalten konnte, die Rose wiederholt an seine Lippen zu drücken und dazu mit leisem, innigem Tone zu sprechen: »O, wäre ich im Stande, damit deinem reinen, warmen Herzen einen freundlichen Gruß zu sagen – vielleicht den letzten, und wohl zu meinem Glücke, wenn es der letzte wäre!«

Dabei erinnerte er sich der Zeichnung, welche er vor kurzem gemacht: die Felsschlucht mit dem Wasserfalle und Lucy mit ihrem kleinen Schlitten vorstellend. Er holte das Zeichenbrett, auf welchem sie sich befand, und nachdem er die schroff aufsteigenden Felsen zu beiden Seiten der Thalschlucht mit einem trüben Lächeln betrachtet, schrieb er oben auf das Blatt mit Bleistift die Worte: »Ich habe nach langem Überlegen gefunden, daß es schwierig, ja, unmöglich sein würde, diese Kluft zu überbrücken – vielleicht könnte diese Zeichnung ein Gedenkblatt sein für Fräulein Lucy von Rivola von ihrem ganz ergebenen Welden.« Dann schnitt er das Blatt herunter, rollte es in einen weißen Bogen zusammen, versiegelte diesen und schrieb darauf den Namen des Freifräuleins von Rivola.

Es war schon spät in der Nacht, und so oft Welden einen Blick nach seinem Schlafzimmer warf, so oft konnte er sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, wenn er daran dachte, sich auf sein Lager zu strecken, dort wahrscheinlich sogleich einzuschlafen, um vielleicht beim Grauen des Tages zu erwachen, um nicht mehr Zeit zu finden, Das und Jenes, was ihm noch einfallen könnte, zu ordnen.

Und er hatte doch schon viel Nöthiges geordnet im Laufe der letzten Tage, besonders des heutigen Nachmittags und Abends; dann hatte er der Einladung seiner freundlichen Wirthin Folge geleistet und in deren Zimmer, welches an das seinige stieß, eine Tasse Thee getrunken, wobei er sich alle Mühe gegeben, so heiter und unbefangen als nur immer möglich zu erscheinen. Doch war ihm das nicht recht gelungen; wenigstens hatte er dadurch nicht die beabsichtigte Wirkung auf die liebenswürdige, schöne Frau ausgeübt, in deren Gesellschaft er heute Abend, wie schon so oft, ein paar Stunden zugebracht.

Die Oberbauräthin war offenbar mit etwas Unangenehmem sehr beschäftigt gewesen und hatte sich vergebliche Mühe gegeben, das zuweilen durch eine gezwungene, sprühende Laune zu verdecken; sie hatte mit ihm heiter geplaudert und gelacht; doch wenn sich auch dieses Lächeln an ihren schwellenden Lippen, an ihren blendend weißen Zähnen gezeigt hatte, so war es immer wieder gedämpft worden durch einen trüben, schmerzlichen Blick ihres glänzenden, sonst so glücklich strahlenden Auges, besonders wenn sie ihn an dem heutigen Abende lange und nachsinnend betrachtete. Auch war es ihm nicht entgangen, wie so häufig ihr Busen von tiefen Athemzügen gehoben wurde, ja, von Seufzern, welche sie sich vergebliche Mühe gab, hinweg zu lächeln.

Wohl hatte er sie nach der Ursache ihrer trüben Stimmung gefragt; doch wenn er alsdann bemerkte, daß sie sich kopfschüttelnd abwandte, um ihm ihre plötzlich mit Thränen gefüllten Augen zu verbergen, so hatte er discreter Weise geschwiegen und das Gespräch auf ein gleichgültiges Thema geführt, wobei es ihm allerdings eine seltsame Empfindung gab, wenn er bei sich dachte, sie könnte von seinem Vorhaben Kenntniß erlangt haben und ihm gelte die tiefe Rührung ihres Herzens, die sie sich zwar mit aller Kraft zu unterdrücken bemühte.

Einige Mal schon war er im Begriffe gewesen, offen mit ihr zu reden, ja, es kam ihm vor, als wolle sie ihn durch irgend eine Bemerkung hierzu ermuntern; doch erschien es ihm kleinlich, unwürdig, ja, gefährlich, auf diese Art eine innige Theilnahmebezeigung der ohnehin so sehr erregten, schönen Frau herauszufordern. Gefährlich – gewiß, denn er hatte es zuweilen wohl in seinem Herzen gefühlt, daß der heiße Blick, den sie häufig aus ihren schönen Augen auf ihn geschleudert, mehr als Freundschaft ausdrücken sollte – ja, gefährlich selbst für ihn, denn auch sein Blut war in Wallung zu bringen, und er wußte genugsam aus den eigenthümlichen Lebensverhältnissen der jungen Frau, um nicht Manches vollkommen erklärlich zu finden.

Als er nun heute Abend von ihr Abschied genommen, hatte sie seine Rechte mit ihren beiden Händen ergriffen, dieselbe fest und innig gedrückt und dann einen Augenblick, ehe er das hindern konnte, sich rasch niederbeugend, ihre heiße Stirn darauf gelegt; hierauf hatte sie sich wieder hoch aufgerichtet, ihn mit feuchten Blicken und leicht geöffneten Lippen, zwischen denen die weißen Zähne hervorschimmerten, mühsam athmend, lange angeschaut und ihm dann, als er nach der Thür ging, mit leiser Stimme, aber in heftiger Weise gesagt: »Und so können Sie mich verlassen, Albert?! Gute Nacht – gute Nacht denn, Albert!«

Langsam war er hierauf in sein Zimmer hinübergegangen, nicht ohne mehrmals geschwankt zu haben, nochmals zu ihr zurückzukehren, um ihr für so viel Freundschaft und Anhänglichkeit noch ein gutes, herzliches Wort zu sagen, vielleicht das letzte in diesem Leben. Aber gerade der Gedanke war es, der ihn zurückhielt, daß er fürchtete, ihr gegenüber seine Kraft, seine Haltung zu verlieren.

Und so war er in sein Zimmer gegangen und hatte bis spät in die Nacht hinein gearbeitet, scheinbar in tiefer Einsamkeit, denn er hatte es nicht vernommen, während er Schubladen auf- und zuschloß, während er Papiere ordnete oder zerriß, daß zuweilen ein vorsichtig schleichender Schritt bis an sein Zimmer kam, ein Wesen, welches ihn heiß und innig liebte, eine Frau, die, ihren Kopf niederbeugend, leise, leise das Ohr an die Thür legte und jedes Geräusch des zerrissenen Papiers so mit empfand, als würde ihr eigenes Herz zerrissen. Auch sie hatte heute Abend das entscheidende Wort, sein Duell betreffend, hundertmal auf der Zunge gehabt – hatte sie doch seit gestern an nichts Anderes gedacht! – und immer wieder hatte sie es zurückgedrängt in dem Gedanken, daß jetzt, während er scheinbar so ruhig vor ihr saß, noch nicht der Augenblick gekommen sei, um günstig auf seinen Entschluß einzuwirken; er würde den Versuch gemacht haben, sie mit guten Worten, mit Vernunftgründen zu beschwichtigen, ja, er würde sie am Ende selbst zu der Überzeugung gedrängt haben, daß seine Ehre jene Zusammenkunft gebieterisch verlange – oder er hätte ihr vielleicht zweideutige Versprechungen gemacht, um daraufhin doch das zu thun, was er für das Richtige hielt.

Sie hatte sich halb entkleidet auf ihr Bett geworfen, um bei jedem zufälligen Geräusch im Hause, bei jedem Glockenschlage emporzuschrecken, um alsdann wieder mit laut klopfendem Herzen an seiner Thür zu lauschen – und immer wieder hörte sie ihn in seinem Zimmer beschäftigt.

Doch war Welden endlich mit allem, was er zu thun hatte, fertig geworden, und seine letzte Arbeit war, von allen seinen Schubladen, sowie von dem Schranke, in welchem sich die Bauakten befanden, die Schlüssel einzustecken und die geschriebenen Briefe und Pakete auf seinem Schreibtische recht augenfällig zu ordnen. Dann fühlte er, wie ihn die Müdigkeit übermannte und wie nothwendig es sei, sich durch einige Stunden guten Schlafes für morgen zu stärken. Auch war jetzt, wo alles Nöthige besorgt schien, eine wohlthuende Ruhe in sein Herz eingezogen, und mit dieser das Bedürfniß des Schlafes. Die Befürchtung des zu späten Erwachens hatte er nicht, denn neben einem untrüglichen Mittel, welches darin bestand, daß er kurz vor dem Schlafengehen die betreffende Stundenzahl in gleichförmigen Schlägen auf seinem Nachttischchen markirte, hatte er auch dem Baron Miltau für alle Fälle seinen Hausschlüssel gegeben, und daß Miltau, der gerade in diesen Tagen jeden Morgen um vier Uhr in den Stall mußte, fehlen würde, daran war nicht zu denken.

So schlief er denn augenblicklich ein, nachdem er sich wenig entkleidet niedergelegt, und that einen tiefen und gesunden Schlaf. Auch waren seine Träume durchaus nicht so beunruhigender Art, wie man vielleicht hätte denken können; nur einmal sah er sich mit der Überbrückung einer Thalschlucht mit tiefen, steilen Wänden beschäftigt, auf deren schroffer Kante er mit Anordnungen thätig war, um einen schweren Balken hinüber zu schieben. Eigenthümlicher Weise war es dieselbe Schlucht, welche er für Lucy von Rivola ausgezeichnet, und das wußte er selbst im Traume; ja, es war ihm, als höre er ein leise klingendes Geräusch, wie von einem fernen Schlittengeläute, und als er sich rasch vornüberbeugte, verlor er das Gleichgewicht und fiel tief, tief hinab, aber ohne dabei den geringsten Schmerz zu empfinden. Vielmehr durchströmte ihn ein wonniges Gefühl bei diesem Sturze; dann fächelte eine warme Luft um seine Stirn, und es war ihm, als höre er, aber kaum vernehmbar, seinen Namen aussprechen: »Albert!«

Und dann wiederholt: »Albert!« – wie von einer leicht aufschluchzenden Stimme.

Damit zerriß sein Traum und es überfuhr ihn ein eigener Schauer, als er in die Wirklichkeit zurücktrat; der Schimmer eines Lichtes im Nebenzimmer warf einen zweifelhaften Schein auf sein Lager und auf eine weibliche Gestalt, die, neben ihm stehend, sich auf ihn herabgebeugt hatte und deren dickes, schweres Haar kühl auf seine heiße Wange herabfloß – oder war es die Fortsetzung seines Traumes? Er schloß unwillkürlich seine Augen wieder, worauf der Lichtschimmer verschwand, aber nicht das heiße, fast beängstigende Gefühl, daß sich die Gestalt, welche er so eben gesehen, ihm näherte und abermals flüsternd seinen Namen rief.

»Um des Himmels willen,« rief er, sich halb aufrichtend, »suchen Sie meine Hülfe? Was ist geschehen?«

»O, es ist bis jetzt gar nichts geschehen,« hörte er eine bekannte, weiche Stimme zitternd antworten, »aber es soll etwas geschehen, und deßhalb suche ich Ihre Hülfe, Albert – für Sie selbst! O, verzeihen Sie meiner namenlosen Angst, die mich so weit brachte, Sie beim Grauen des Tages anzuflehen, das Haus nicht zu verlassen!«

»So, graut schon der Morgen? – O, lassen Sie mich!«

»Nein, nein, der Morgen graut noch nicht,« hörte er sie mit ängstlich zitternder Stimme ausrufen: »ich irrte mich, es war nur der Schein der Lampe!«

»O nein, nein – lassen Sie mich!«

»Nein, nein, ich lasse Sie nicht, bis Sie mir versprechen, meine innige Bitte zu erfüllen! Nein, ich lasse Sie nicht, und sollte ich Sie mit Gewalt zurückhalten müssen, indem ich mich fest an Sie klammere! Sie haben Zeit genug, mich wenigstens anzuhören!«

Es war ihm klar, auch ohne daß er es aussprach, was das wild aufgeregte, schöne Weib von ihm wollte; es hatte seine Verabredung auf heute Morgen erfahren, es wollte dieselbe hindern; er fühlte sich in einer furchtbaren Lage. Er warf einen Blick gegen das Fenster, doch da dieses dicht verhangen war, so konnte er nicht sehen, ob der Tag heraufdämmere, wohl aber sah er, als er sich aufgerichtet, in die angsterfüllten, reizenden Züge einer Frau, die ihn, wie er wußte, heiß und innig liebte; er sah ihr aufgelöstes, prachtvolles, schwarzes Haar von der bleichen Stirn tief über ihre weiße Schulter herabfallen, den blendenden Schein ihres bewegten Busens erhöhend.

»Versprechen Sie mir, das Haus nicht zu verlassen, mehr will ich ja nicht, mehr verlange ich ja nicht, und werde mich augenblicklich zurückziehen, um Ihnen nicht weiter beschwerlich zu fallen!«

Sie sagte das mit zitternder Stimme, von Schluchzen unterbrochen, während sie sich emporrichtete und seine Hand ergriff, mit der er sie, wenn gleich sanft, von sich drückte.

»Sie wissen also, um was es sich handelt?«

»O, ich weiß es, ich weiß es! Ich wußte es gestern Abend, ich wußte es seit mehreren Tagen!«

»Und Sie nehmen so innigen Antheil an mir?« fragte er in herzlichem Tone.

»O, den innigsten!«

»Nun denn, so können Sie die Bitte, welche Sie so eben gethan, nicht im Ernste an mich stellen. Wissen Sie, was das Zusammentreffen bedeutet, zu welchem ich in kurzer Zeit aufbrechen muß? Nun, wenn Sie das wissen, so brauche ich Ihnen nicht zu sagen, daß keine Macht mich abzuhalten im Stande ist, bei einem Zusammentreffen zu erscheinen, wo mehr als mein Wort verpfändet ist!«

»Vernunftgründe,« rief sie aus, indem sie mit einer heftigen Bewegung ihr Haar mit beiden Händen von der Stirn zurückwarf, »die ich nicht verstehen kann, nicht verstehen will! Muß ich es denn aussprechen, daß ich nicht mehr leben will, wenn du unglücklich bist? Soll ich gezwungen sein, mein Haar auszureißen und aller Welt zuzurufen, daß ich mein Alles verloren? Ja, Albert, mein Alles, alles, was ich liebe auf dieser Welt – Alles – Alles!«

Sie war bei den letzten Worten, die sie in wildester Aufregung sprach, vor dem Bette auf die Kniee niedergesunken, hatte ihre beiden Arme um seinen Hals geworfen, ihn gewaltig an sich gezogen und sich mit einem heißen Kusse an seine Lippen festgesogen.

Vergeblich hatte er es einen Augenblick versucht, ihre zarten, fest in einander geschlungenen Hände von seinem Nacken zu lösen; vergebens hatte er alsdann sich aufzurichten versucht und dadurch nur erreicht, daß er das schöne Weib vom Boden emporhob, wobei seine Hand mit ihrem warmen, zuckenden Körper in eine Berührung kam, die ihm das Blut gewaltsam zum Herzen zurückströmen ließ, sein Auge verdunkelte und ihn um so mehr in eine tiefe, aber selige Nacht zurückwarf, als sich ihr reiches Haar wie ein schwarzer Schleier rings um sein Haupt ausbreitete. –

»Und kannst du mich jetzt noch verlassen, Albert?«

»Um des Himmels Barmherzigkeit willen, mich zwingt mein Wort dazu! Könntest du es mit ansehen, wie man mit Fingern auf mich als auf einen Feigling deuten würde?«

»Gewiß, gewiß, ich weiß ja, daß du nicht feige bist! Du bist hochherzig und kühn, und gerade da du das bist, wirst du mich jetzt nicht verlassen!«

»Ich muß, Sophie, ich muß – sieh, wie jetzt der Morgen selbst durch mein verhängtes Fenster hereindämmert – ich habe wenig Zeit mehr zu verlieren – wenn du mich liebst, so laß mich aus deinen süßen Armen, laß mich keine Gewalt anwenden, wozu du mich zwingen würdest, wenn du meinen Bitten kein Gehör schenkst!«

»Nein, nein,« rief sie in höchster Aufregung, »zwingen sollst du mich nicht, aber ich will dich zwingen, bei mir zu bleiben – ich werde die Thür deines Zimmers verschließen und den Schlüssel zum Fenster hinauswerfen – thue dann, was du willst, bringe das Haus in Allarm, laß meine Leute von außen öffnen, und sie sollen mich bei dir finden – ich will dich dann vor ihren Augen mit meinen Armen umschlingen, und wenn du alsdann Gewalt anwendest, Albert, so schwöre ich, ich lasse mich von dir auf die Straße hinauszerren!«

Mit unbezwinglicher Kraft schnellte ihr elastischer Körper nach diesen wild ausgestoßenen Worten empor und von ihm weg dem Nebenzimmer zu; er war wie erstarrt, er konnte ihr nicht zuvorkommen, und seine Aufregung steigerte sich zum Entsetzen, als er sie jetzt im Nebenzimmer einen wilden Schrei ausstoßen hörte und sie mit allen Zeichen des Schreckens zurückstürzen sah, wobei sie mit der rechten Hand zitternd und mit dem Ausdrucke der Angst zurückwies, als habe sie dort draußen ein Gespenst gesehen.

Welden nahm sich kaum die Zeit, einen Rock überzuwerfen, worauf er in sein Wohnzimmer eilte, um hier sogleich den furchtbaren Schrecken der armen Frau begreiflich zu finden, wenn auch der Gegenstand, welcher sich hier seinen Augen darbot, an sich selbst nichts so Fürchterliches hatte.

Es war Lieutenant Miltau, der unter der Thür des Wohnzimmers stand und ihn jetzt mit einem zweifelhaften Lächeln anstarrte.

»Aber, Herr von Miltau!« brauste der junge Ingenieur auf.

»Aber, mein verehrter Herr,« entgegnete der Andere in einem etwas spitzigen Tone, jedoch mit großer Ruhe, wobei er seine Stimme absichtlich sehr zu dämpfen schien, »wenn man Jemandem seinen Hausschlüssel anvertraut und die Bitte hinzufügt, von diesem Hausschlüssel Gebrauch zu machen, so muß man sich nicht wundern, wenn man – wenn man auf eine Art – überfallen wird, die Einem allerdings recht unangenehm sein kann – doch will ich trotz allem dem um Entschuldigung bitten, ich hätte freilich klopfen können und sollen.«

Der junge Ingenieur hatte große Mühe, seiner begreiflichen Aufregung so weit Meister zu werden, daß er, dem Anderen näher tretend, ebenfalls in leisem Tone sagte: »Ich sehe wohl ein, es bedarf durchaus keiner Entschuldigung, oder ich müßte dieselbe von Ihnen erbitten – aber Sie werden begreiflich finden, Herr von Miltau, daß . . .«

»O, ich begreife Manches,« erwiederte der Andere mit einem eiskalten Tone und mit einem so spöttischen Lächeln, daß ihn Welden verwundert und betroffen anschaute. »Ich begreife alles das so genau, daß Sie es ebenfalls begreiflich finden werden, wenn ich mir nicht die Mühe nehme, Ihnen zu sagen, warum ich eigentlich hergekommen.«

»Allerdings, denn ich kenne ja Ihre freundliche Absicht, mich zu begleiten; doch muß ich ehrlich sagen, Herr von Miltau, ich verstehe nicht den sonderbaren Ton, die sonderbare Miene, mit der Sie zu mir reden. Verzeihen Sie mir indessen,« fuhr er nach einem kurzen Augenblicke in schmerzlichem Tone fort, wobei er beide Hände an seine Schläfe drückte, »ich befinde mich in einem Zustande, daß es auch möglich ist, ich hätte das anders aufgenommen, als Sie es mir sagen wollten – nicht wahr, es ist so? Gestatten Sie mir einen Moment, um meinen Hut zu nehmen, und ich stehe dann ganz zu Ihrer Verfügung.«

Ohne hierauf eine Antwort abzuwarten, ging er in's Nebenzimmer zurück und war glücklich, die arme Frau nicht mehr dort zu finden – sie hatte durch die Thür dieses Zimmers dasselbe verlassen.

Als Welden zurückkehrte, Paletot und Hut in der Hand, sah er den Lieutenant Miltau noch immer auf derselben Stelle stehen, mit übereinander geschlagenen Armen, ihn mit dem nämlichen sonderbaren Lächeln betrachtend.

»So, ich bin fertig – wenn es Ihnen gefällig ist, gehen wir.«

»Und wohin denn, Herr Welden, wenn ich fragen darf?« versetzte der Offizier in rauhem Tone. »Beliebt es Ihnen, eine Komödie mit mir zu spielen?«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Lieutenant!«

»Sie wollen mich nicht verstehen – o, ich begreife das!«

»Sie kamen doch, um mich abzuholen?«

»Nicht so ganz – ich kam, um Ihnen eine Nachricht zu bringen, die mir so überraschend war, daß ich nicht anders glaubte, als sie müsse auch auf Sie die gleiche Wirkung ausüben – jetzt aber verstehe ich, warum dies nicht der Fall ist.«

Welden war bei der letzten Rede des Offiziers einen Schritt zurückgetreten, und als er jetzt in dessen Haltung, in seiner Art, zu sprechen, in seinen Blicken nicht nur etwas Gehässiges, sondern sogar etwas Verächtliches fand, schaute er ihn mit einem festen Blicke an und sagte in einem entschiedenen Tone: »Auf mein Wort, ich verstehe Sie nicht – sind Sie vielleicht plötzlich aus meinem Zeugen derjenige meines Gegners geworden? Bei Gott, Herr Lieutenant, wenn dem so wäre, Sie konnten nicht anders gegen mich auftreten!«

»Ihres Gegners? Ah, Sie meinen Herrn Ferdinand Welkermann! Warum nennen Sie diesen Herrn noch immer Ihren Gegner, da Sie doch wohl selbst am besten wissen, daß man ihm die Möglichkeit benommen, Ihr Gegner zu sein?«

»Glauben Sie mir, ich weiß von gar nichts!«

»Ich will so freundlich sein, Ihnen diesen Gefallen zu thun,« antwortete der Lieutenant von Miltau mit einer ceremoniösen Verbeugung und fuhr fort, als er sah, daß Welden ihm heftig einen Schritt näher trat: »Wenn Sie nämlich sich selbst den Gefallen thun wollen, mich ruhig anzuhören.«

»Ich bitte, ich bitte!« rief der Andere mit vor Erregung zitternder Stimme.

»Ich glaube Ihnen gestern schon gesagt zu haben, daß ich heute mit der Stallaufsicht beehrt bin – ein angenehmes Geschäft, welches veranlaßt, um vier Uhr schon in der Welt zu erscheinen, so vor einer Stunde, wo ich durch den Besuch des Herrn Besenbach erfreut wurde, welcher erschien, um mir mit allen Zeichen einer sehr glaubwürdigen Überraschung – er betonte das Wort »glaubwürdig« sehr stark – die Meldung zu machen, daß das projectirte Duell nicht stattfinden könne, da Herr Ferdinand Welkermann soeben in seiner Wohnung verhaftet worden sei.«

»Unmöglich! Durch wen?«

Herr von Miltau zuckte mit einem verächtlichen Lächeln die Achseln, während er sagte: »Sie halten mich eigentlich für unanständig gutmüthig – doch sei es darum – es war der Polizeirath Merkel, welcher ihn verhaftete.«

»Ah, ich hatte es mir denken können!«

»Gott sei gedankt, daß Sie das endlich zugeben! Und nun, Herr Welden, bin ich mit Ihnen wohl für ewige Zeiten fertig?«

»Nicht so, Herr Lieutenant, nicht so!« rief der Andere mit blitzenden Augen. »Hinter Ihren Blicken lauert etwas, das ich ergründen möchte, ja, das ich ergründen muß, und wofür ich von Ihnen genügende Erklärung zu verlangen das Recht zu haben glaube.«

»Die ich aber keine Lust habe, Ihnen zu geben, mein lieber Herr Ingenieur. Richten Sie sich auf, wie Sie wollen, bedrohen Sie mich mit Ihren Blicken, wie Sie mögen, ich in meiner Stellung fürchte nicht, von Ihrer diensteifrigen Polizei verhaftet zu werden, wie der arme Welkermann!«

»Ich würde doch vielleicht Mittel haben, Sie zu zwingen, endlich mit der Sprache herauszurücken, statt sich immerfort hinter Räthseln zu verschanzen!«

»Sie nicht mehr, Herr!« rief der Offizier in einem brutalen Tone. »Machen Sie sich nicht noch lächerlicher, als Sie in meinen Augen sowie in denen jedes Ehrenmannes erscheinen müssen! – Und nun leben Sie wohl und glücklich, wenn Ihnen das möglich ist!«

Der Offizier wandte sich langsam um, um das Zimmer zu verlassen; doch sprang Welden zwischen ihn und die Thür, und ohne ihn mit einer Fingerspitze zu berühren, hielt er seine Hand drohend gegen ihn ausgestreckt, wobei er ihm zudonnerte: »Herr, Sie kommen nicht über diese Schwelle, bis Sie mich in kurzen, bündigen Worten klar wissen lassen, was ich umsonst aus Ihren Reden zu erklären mich bemühe!«

Herrn von Miltau's Hand zuckte nach seinem Säbel; doch biß er sich bestürzt auf die Lippen, als er die große, kräftige Gestalt Welden's, der er sammt seiner Waffe nicht gewachsen war, mit einem flüchtigen Blicke nochmals überschaut. Dann sagte er, sich verbeugend: »Und nachdem ich Ihr Verlangen erfüllt, werden Sie mir vielleicht erlauben, mich zurückzuziehen?«

»Gewiß,« gab Welden nach einem tiefen Athemzuge zur Antwort, »und ich werde mich an das andere Ende des Zimmers begeben, um von dort zu hören, was Sie mir Furchtbares zu sagen haben – aber keine Deklamationen, wenn ich bitten darf – Thatsachen, ich will Thatsachen hören!«

Er schritt langsam von der Thür gegen das Fenster, neben welchem er sich an die Wand lehnte. Doch folgte ihm der Offizier furchtlos nach und sagte nun, dicht vor ihm stehend: »Thatsachen kann ich allerdings nicht aussprechen, aber eine so natürliche Zusammenstellung, daß sich der selbst für einen Dummkopf halten müßte, dem sie nicht klar in die Augen springen würde: Sie gehen ein Duell ein, Sie beehren mich, Ihr Zeuge zu sein, Sie schieben dieses Duell drei Tage lang unnöthig auf, und am Morgen des vierten erfährt Ihr Zeuge, daß Ihr Gegner verhaftet worden ist – verhaftet durch wen? Durch den Polizeirath Merkel, dessen Schwester ich vorhin das Glück hatte, hier zu sehen – verstehen Sie meine Zusammenstellung?«

»Ja, ich verstehe sie,« sagte Welden mit dumpfer Stimme, indem er furchtbar erbleichte.

»Und so werden Sie mir wohl gestatten, mich jetzt zurückzuziehen?«

»Gewiß, und ich danke Ihnen sogar für Ihre Aufrichtigkeit, wenn auch Ihre Worte im Verlaufe des ganzen Gespräches nicht gerade gut gewählt waren.«

»Ich stehe für meine Worte ein.«

»Dafür doppelten Dank!« rief Welden mit einer heiseren Stimme. »So habe ich also das Vergnügen, zwei Ehrensachen abmachen zu können?«

»Aber eine nach der anderen, mein lieber Herr,« versetzte der Offizier mit einem leichten Achselzucken.

»Wenn der Ehre des Herrn Welkermann Genüge geschehen ist, so könnte ich vielleicht zu Befehl stehen, wenn . . .«

»Wenn? Bitte, reden Sie aus!«

»Wenn Sie Herrn Welkermann Genüge leisten können – doch glaube ich, daß das unmöglich sein wird; Sie nahmen die Polizei zu Hülfe und haben auf diese Art jedes Arrangement, wie es sonst unter Ehrenmännern gebräuchlich ist, unmöglich gemacht.«

Nachdem Herr von Miltau das gesagt, blieb er noch einen Augenblick mit hoch aufgerichtetem Kopfe stehen, um alsdann, sich langsam umwendend, das Zimmer zu verlassen.

Welden hatte mit einer Hand den Griff der Fensterstange gepackt und blickte ihm lange, lange nach mit starren Augen, mit zuckenden Lippen, mit wild klopfendem Herzen, mit hastig ausgestoßenem Athem.


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