F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Zweites Kapitel.

Der Stadtschultheiß schritt mit auf den Rücken gelegten Händen nachdenklich neben dem langen Tische hin und her, während der Amtsdiener beschäftigt war, die verschiedenen Aktenfascikel zusammen zu lesen, um sie wieder in's Archiv zu bringen. Letzterer that dies übrigens nicht schweigend, sondern indem er sich erlaubte, einige abgerissene Bemerkungen vor sich hinzusprechen, die aber darauf berechnet waren, von dem regierenden Oberhaupte der Stadt gehört zu werden.

»Das hätte man sich doch denken können,« sagte Herr Sprandel – »das war eine vorher abgekartete Geschichte – Alles überlegt – Alles besprochen – davon pfiff der Spatz auf dem Dache.«

»Was beliebt, he? Wovon pfiff der Spatz auf dem Dache?«

»Habe ich etwas gesagt, Herr Stadtschultheiß?«

»Vielleicht nach Ihrer Gewohnheit nur laut gedacht, wie ich annehmen will. Aber was war abgemacht und besprochen? Ich will, daß Sie reden.«

»Nun, wegen der heutigen Verhandlung. Der Metzger-Oberzunftmeister Krampler hat seinen Kopf darauf gesetzt, daß der Vorschlag des Herrn Stadtschultheißen nicht durchgehen soll; er vergißt es nicht, daß sein Bruder bestraft wird, so oft er, statt im Schlachthause, zu Hause schlachtet.«

»Dummes Zeug!« sagte der Stadtschultheiß, indem er sich an das Fenster stellte und auf den Marktplatz hinausschaute, der nun wieder leer von Käufern und Verkäufern war, dafür aber langsam mit dicht herabfallendem Schnee bedeckt wurde, welcher rasch die Spuren von heute Morgen unsichtbar machte.

»Ja, dummes Zeug,« fuhr der Amtsdiener laut zu denken fort, »allerdings dummes Zeug von dem Metzger-Oberzunftmeister mit seinem Anhange; aber ich hatte es doch anders angefangen.«

»Und was hätten Sie anders angefangen?« fragte der Stadtschultheiß, sich rasch umwendend. »Sprechen Sie – ich will es – was hätten Sie anders angefangen – nun?«

»O, es ist das nur so meine Meinung, die Meinung eines ganz unwissenden, unbedeutenden Mannes.«

»Nun denn, lassen Sie Ihre Meinung hören,« sagte das Oberhaupt der Stadt in herablassendem Tone, wobei Herr Welkermann seine Augen halb zuschloß und sein Kinn in die etwas weite, weiße Halsbinde vergrub, »lassen Sie hören; wir lieben es sehr, Stimmen aus allen Schichten der Bürgerschaft zu vernehmen. Und wie hätten Sie die Sache anders angefangen, anders dargestellt, anders vorgebracht?«

»Wenn Sie mir also zu reden befehlen, Herr Stadtschultheiß, so will ich denn auch ehrlich sagen, daß ich das gar nicht dargestellt und gar nicht vorgebracht hätte.«

»Ah, das ist neu! Und was hätten Sie gethan?«

»Ich – verzeihen Sie mir aber, daß ich mir erlaube, zu sprechen, als wenn ich der Herr Stadtschultheiß gewesen wäre – in diesem Falle würde ich zum Amtsdiener gesagt haben: Sprandel, da haben wir im Keller ein eisernes Gitter vor einem unterirdischen Gange, der zuweilen donnermäßig schlecht riecht, was auch der Metzger-Oberzunftmeister Krampler gerade so gut weiß, wie wir Beide – also, hätte ich gesagt, dieser Gang muß mit Steinen zugemauert werden, und das lassen Sie mir besorgen, Sprandel.«

»In der That, das ist eine ganz eigenthümliche Ansicht dieser Sache.«

»Dann hätte der Amtsdiener Sprandel einen tüchtigen Maurer genommen, den er kennt, und da in dem großen Keller ganze Haufen Bausteine liegen, so wäre die Öffnung des Ganges im Handumdrehen zugemauert gewesen.«

Der Stadtschultheiß hatte seinen Kopf hoch aus der Halsbinde erhoben, wie um besser hören zu können, was der Andere sprach, ließ aber sein Kinn alsdann wieder rasch und tiefer niedertauchen, wobei er kopfschüttelnd sagte: »Das sind ja ganz revolutionäre Ansichten, Sprandel; gerade so, als wenn ich Herr und Meister hier im Rathhause wäre und nicht bloß unter Controle des Stadtrathes verwaltende Behörde, von dem Zutrauen der Bürgerschaft dorthin gesetzt und deßhalb verpflichtet, Alles zu thun, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen.«

»Die Bürgerschaft würde sich wenig darum gekümmert haben und hätte es dem Dank wissen müssen, der den alten Gang zumauern ließ.«

Vielleicht, dachte der Stadtschultheiß, vielleicht wäre es so möglich gewesen. Er drehte sich abermals gegen das Fenster herum, blickte noch ein paar Minuten lang in die hin- und herwirbelnden Schneeflocken, that hierauf einen tiefen Athemzug und ließ sich alsdann von dem Amtsdiener seinen Überrock, Hut und Regenschirm geben, um nach Hause zu gehen, wo ihn dringende Geschäfte erwarteten. –

Die Tageshelle eines solchen Winternachmittags – es war im Monat Januar – ist rasch vorüber, besonders wenn die Luft durch Schneegestöber verdunkelt wird, und so war es denn heute kaum vier Uhr, als schon die Straßenlaternen angezündet wurden und sich in den Häusern hier und da Fenster erhellten. Damit gingen auch die Geschäfte in der Rathhaushalle zu Ende; der Marktmeister verschloß seine Bücher und sein Gehülfe verließ den jetzt kalt gewordenen öden Raum, nachdem er seinen schwarzen Rock bis unter das Kinn zugeknöpft, seine Mütze tief in den Kopf hineingezogen und einen grauen groben Plaid um die Schultern gehängt hatte.

Draußen zündete er sich den Rest einer Cigarre an, den er sorgfältig in ein Papier gewickelt bei sich trug, und ging nun, die Hände in den Taschen seiner Beinkleider, so gut als möglich gegen Schnee und Kälte verwahrt davon. Wohin, das wußte er eigentlich selbst kaum. Nach seiner Wohnung? Was sollte er dort thun, in einem ungeheizten Raume, zwischen vier kahlen Wänden, mit der Aussicht auf die Dächer der Nachbarschaft, wenn überhaupt bei der Nacht eine Aussicht möglich gewesen wäre? Besser war jedenfalls der Gedanke, einen Gang aus der alten Stadt in die neue zu machen, dort, wo es auf den breiten Trottoirs und bei der helleren Gasbeleuchtung viel unterhaltender war, als hier in den winkeligen Gassen. Dort hatte er auch in einem sehr eleganten und frequenten Geschäfte einen Freund, den er zuweilen besuchen durfte, wenn derselbe gerade nicht zu sehr beschäftigt war; auch gab es dort oben allerlei Vergnügungen, die unentgeltlich zu haben waren; man konnte die reichen Equipagen betrachten, man konnte sich an dem großen Theater aufstellen, und nach all diesen Unterhaltungen schwebte ihm dann am glänzenden Endziele irgend ein kleines Wirthshaus vor, wo er vielleicht so bekannt war, mit der Bezahlung des zweiten Schoppens Bier auf morgen zu vertrösten, nachdem er dem Kellner für den ersten gerecht geworden. Ehe er aber die innere Stadt verließ, verschaffte er sich hier in einem kleinen Laden Alles wohlfeiler, als in ähnlichen Verkaufslokalen der reichen Stadttheile, wo die Metzger einen unvernünftigen Luxus trieben mit Blumen hinter ihren Schaufenstern, mit kleinen Springbrunnen und sinnreich verzierten Schweinsköpfen.

Bei seinem abendlichen Spaziergange nahm er, vielleicht unwillkürlich, vielleicht aber auch in einer leicht begreiflichen Ideenverbindung, den gleichen Weg wie heute Mittag, wo er den Brief des Amtsdieners nach der Wohnung des Stadtschultheißen besorgte, wo es ihm sehr angenehm gewesen war, seine Botschaft an das hübsche Dienstmädchen ausrichten zu dürfen, welches heute Morgen einen großen Eindruck auf sein Herz gemacht. Da lag in Kurzem das große, stattliche Haus vor ihm, und an der langen Reihe der hohen Fenster sah man überall, wenn auch jetzt nur erst gedämpftes Licht, die Anfänge der später glänzenden Beleuchtung. Auf der einen Seite dieses Hauses war eine schmale Gasse, von der aus man die Nebenseite des Gebäudes, das Treppenhaus, Küche sowie auch die Stallung übersehen konnte. Hier machte sich ein ungewöhnliches Leben bemerkbar, Lichterglanz huschte die Treppe auf und ab, im Hofe war der Kutscher beschäftigt, auch die an der hinteren Seite des Hauses angebrachten Laternen zu entzünden, und die Küche strahlte in einem wahren Meere von Beleuchtung.

Es ist sehr angenehm, die Zurüstungen zu einem glänzenden Feste in seinen ersten Anfängen zu sehen, wenn man später berechtigt ist, demselben anzuwohnen. Hat man aber die Aussicht auf ein Souper von Wurst und Bier, so ist es besser, von einer hell erleuchteten Küche mit zischenden und brodelnden Casserolen und Pfannen die Blicke abzuwenden.

Unser Schreiber that dies denn auch, sein Haupt schmerzvoll mit dem Plaid verhüllt, doppeltes Leid im Herzen, denn als er ein paar Schritte weiter ging und einen Blick in das heimliche Stübchen neben der Küche warf, sah er dort das Fenster allerdings nur zu einer kleinen Spalte geöffnet; doch war diese groß genug, um einen süßen Bratenduft sowie einen feinen Geruch von Gewürzen aller Art, von kochenden Äpfeln und Rosinen entströmen und ihn bemerken zu lassen, daß der wohlbeleibte Koch im weißen Anzuge mit dem feisten, rothen, lächelnden Gesichte der Jungfer Margareth gerade ein Glas dampfenden Punsches ausfüllte und daß beide alsdann mit gegenseitigen wohlwollenden Blicken anstießen. Er hätte gern Prosit! gerufen, doch nahm er einen besseren Theil und zog schweigend seines Weges, wobei er aber dachte, daß, wenn er je in den Fall kommen sollte, ein derartiges reiches Hauswesen zu besitzen, er es nicht dulden würde, daß so feiste, unverschämte Köche, wenn auch vorübergehend, in seiner Küche beschäftigt würden.

Jetzt hatte er die engen Gassen der alten Stadt hinter sich, und vor ihm lag die breite Schloßstraße, welche an der fürstlichen Residenz vorüberführte und die Hauptpulsader der neuen Stadt genannt werden konnte. Das Schneegestöber hatte aufgehört, nur hier und da noch wirbelten Flocken um die glänzenden Gaslaternen wie die Mücken ums Licht. Equipagen mit strahlenden Laternen rollten hin und her, die breiten Trottoirs waren mit Fußgängern aller Art bedeckt.

Es war aber auch schon der Mühe werth, hier an den taghell erleuchteten Schaufenstern vorüber zu spazieren, die so verführerisch ausgelegten buntfarbigen Stoffe zu betrachten, die goldenen Geschmeide, die Bronze- und Krystallwaaren; nicht minder interessant schien es aber unserem Spaziergänger im grauen Plaid, die Leute zu betrachten, die wie er in die hohen Spiegelscheiben blickten, um aber oft etwas ganz Anderes zu beobachten, als die ausgelegten Waaren, Blicke zu entdecken, die hin und her gewechselt wurden, leise geflüsterte Worte zu verstehen oder zu deuten.

Vor einem dieser Magazine, welches sich weniger durch den Reichthum oder die Mannigfaltigkeit der ausgelegten Waaren bemerklich machte, als durch eine lebensgroße Dame in violettem Sommerkleide, mit glänzend weißen Schultern, eben solchem Nacken und einem schönen Gesichte von einer fast erschreckenden Regelmäßigkeit, blieb unser Schreiber stehen. Sie hatte den Kopf kokett ein klein wenig auf die Seite geneigt, ein freundliches Lächeln spielte um ihren viel zu kleinen Mund und die großen, blauen, starren Augen schauten, anstatt die sie Betrachtenden ebenfalls anzusehen, ziemlich theilnahmlos hinaus in weite Fernen. Diese Dame drehte sich beständig, aber sehr langsam um sich selber herum, den Zuschauern jetzt den glänzenden Nacken mit dem kunstreichen Chignon zeigend, dann den etwas kühn gewölbten Busen mit zwei langen Locken, welche zur Seite ihres Kopfes herabhingen.

Der Gehülfe des Marktmeisters betrachtete indessen, während er durch die Ladenscheibe sah, nicht die kokette, sich in Einem fort drehende Dame, auch nicht die kleinen Flaschen, Büchsen, Gläser mit den verschiedensten Aufschriften, oder Haar- und andere Bürsten, sondern seine Blicke drangen zwischen diesen Gegenständen hindurch in das Innere des Ladens, wo man vor vier großen Spiegeln vier bequeme Lehnsessel sah, von denen zwei mit Herren besetzt waren, welche, in weiße Pudermäntel gehüllt, sich frisiren ließen. Unser Zuschauer wartete geduldig, bis diese beiden Herren das Gewölbe wieder verlassen hatten und bis einer der Gehülfen des Friseurs, um frische Luft zu schöpfen, an die Thür des Magazins kam. Dann trat er vor, und an der Art, wie die Beiden sich begrüßten, konnte man sehen, daß es Bekannte waren; doch lag immerhin eine Verschiedenartigkeit in diesem Begrüßen und Erkennen, denn während der Mann im grauen Plaid fast schüchtern seine Mütze abnahm und in einem beinahe ehrerbietigen Tone sagte: »Ich würde dich einen Augenblick besuchen, wenn ich nicht fürchten müßte, zu stören,« entgegnete der Andere mit dem gezwungenen Lächeln eines großmüthigen Beschützers, indem er mit auseinander gespreizten Beinen da stand, sich langsam auf den Hüften wiegend:

»Komm nur herein, alter Kerl, und setze dich in die Ecke; wir können ein wenig plaudern, denn unser gestrenger Chef ist ausgegangen.« Und vornehm in den Laden eingetreten, fuhr er alsdann fort: »Da laß dich einen Augenblick vor dem Spiegel nieder, und unser neuer Lehrling kann deine verwahrlosten Haare indeß ein wenig in Ordnung bringen; wenn du dich alsdann malerisch in deinen Plaid wickelst und dich dort in die halbdunkle Ecke begibst, so wird dich Jedermann für etwas Rechtes halten.«

Der Lehrling warf dem Schreiber einen schon etwas gebrauchten Pudermantel um, den dieser selbst dicht unter dem Kinn zusammenzog, und als nun nach einiger Mühe sein struppiges Haar, durch Kamm und Bürste gebändigt, durch Pomade geglättet, anständige Formen annahm, meinte er, seufzend in den Spiegel blickend: »Wie wahr ist doch das Sprüchwort: Kleider machen Leute; denn wenn ich mich zu der Idee versteigen könnte, daß sich hier unter dem Pudermantel ein eleganter Anzug befände, so wirst du mir zugeben müssen, daß mein Kopf dazu passen würde, selbst wenn dieser Anzug ein modischer schwarzer Frack mit einem glänzenden Stern wäre, und ich alsdann wie ein vornehmer Herr aussähe.«

»Nicht so ganz,« erwiederte lachend der Gehülfe des Friseurs; »sage meinetwegen, du würdest aussehen wie der erste Schreiber eines reichen Notars, oder wie ein Sprachlehrer, höchstens wie ein Candidat der Theologie, denn mit einem solchen hat dein scheinheiliges Gesicht mit den niedergeschlagenen Augen am meisten Ähnlichkeit, oder auch mit einem Tanzmeister, wenn man deinen hüpfenden Gang sieht, der so gar nicht zu deiner Physiognomie stimmt. Du bist überhaupt ein Kerl, der innerlich und äußerlich aus zwei ganz entgegengesetzten Theilen besteht: im Kopfe und in den Händen Talente genug, in deinem Herzen und in deinem Willen die größte Faulheit. Wie möchte ich so wie du für mageren Lohn den Marktweibern ihren Kohl und ihre Kartoffeln aufschreiben, da es ja doch in deinem Willen läge, dir bei einem Kupferstecher oder Lithographen ein behaglicheres und besseres Auskommen zu verschaffen?«

»Ich kann nicht ruhig auf einem Platze sitzen bleiben,« erwiederte der Andere. »Du hast gut reden; ich möchte dich einmal den ganzen Tag auf dem Stuhle sitzen und Striche machen sehen, bis dir die Augen blind werden.«

»Und das könntest du sehen und hast es schon oft gesehen – meinst, es sei weniger schwierig und unterhaltender, einzelne Haare in feine Seide zu fädeln?«

»Das geschieht aber nur zur Abwechslung und wenn ihr nichts Anderes zu thun habt. Wie unterhaltend ist dagegen eure übrige Arbeit, den Leuten an ihren Köpfen herumzuspielen, dabei zu plaudern und zu lachen, alles Neue zu erfahren, Jedermanns Freund zu sein – und dann erst die Damen! Ich dachte mir schon oft, es ist sehr schade, daß ich kein Friseur geworden bin.«

»Auch das hat seine Schattenseiten,« meinte seufzend der Haarkräusler-Gehülfe; »allerdings thut man dabei Blicke in Familien- und andere Geheimnisse und empfängt Eindrücke, die, ohne Aussicht auf Erfolg, nur zu unserer Beunruhigung dienen und schwer wieder zu verwischen sind.«

»Aber ihr wißt, wofür ihr arbeitet, seid gut bezahlt, und das, was so nebenbei abfällt, ist auch nicht zu verachten, während so ein armer Kupferstecher oder ein noch ärmerer Lithograph gerade so viel verdient, um nicht Hungers zu sterben.«

»Nun, bei der Marktschreiberei scheinst du mir auch nicht besser gestellt zu sein, du erscheinst da wahrhaftig in einem unverantwortlichen Anzuge; wenn nicht die Erinnerungen an unsere gemeinschaftliche Schulzeit so mächtig in mir wären und ich nicht wüßte, daß du im Grunde ein guter Kerl bist, so müßte ich wahrhaftig in meiner Stellung allen Umgang mit dir abbrechen.«

Der Perrückenmacher sagte das, indem er den rechten Fuß wie in einem Tanzpas vorgesetzt hatte, den Oberkörper etwas zurückgebogen und seinen Freund von oben bis unten betrachtend, wobei er ein Brenneisen, welches er am Zeigefinger seiner rechten Hand hangen hatte, jetzt mit großer Geschicklichkeit im Kreise herum wirbelte – und das mußte wahr sein, der Andere, jetzt des so viele Mängel verhüllenden Pudermantels entledigt, sah gerade nicht empfehlenswerth aus. Seinen abgeschabten schwarzen Frack kennen wir bereits – Wäsche war durchaus keine sichtbar, die Weste nicht nennenswerth, und was seine Beinkleider anbelangte, so wollen wir lieber den Blick stillschweigend daran hinunter gleiten lassen, um sein Piedestal höchst traurig zu finden.

Die letzte Bemerkung mochte der Friseur machen, denn er fragte ihn: »Trägst du Schuhe oder Stiefel?«

»Stiefel, das will ich meinen!«

»So würde ich dir den Rath geben, die Beinkleider in dieselben hinein zu stecken, wie es jetzt Mode ist, denn ich sehe an denselben ein paar verdächtige Fransen oder etwas Ähnliches; vor allen Dingen aber setze dich dort in die Ecke und wirf deinen Plaid malerisch auf Kniee und Füße – oder hast du vielleicht sonst noch Gänge vor, die deine Zeit in Anspruch nehmen?«

»Das gerade nicht,« erwiederte der Gefragte und fuhr, nachdem er in der halbdunklen Ecke Platz genommen, etwas kleinlaut fort: »Es ist wahr, mit der verfluchten Schreiberei ist nicht viel verdient, man kommt auf keinen grünen Zweig! Zeit habe ich genug, aber kein Geld.«

»Und was machst du mit deiner überflüssigen Zeit auf deinem sogenannten Bureau?«

»Zeichnungen, um mir die Langeweile zu vertreiben.«

»Und früher, als du zeichnen solltest, machtest du zu gleichem Zwecke unnöthige Schreibereien.«

»Ja, der Mensch ist mit seinem Schicksale nie zufrieden!« seufzte der Gehülfe des Marktmeisters.

»Und was zeichnest du?«

»Spielereien, Caricaturen, lebende Buchstaben, das heißt Buchstaben, die aus menschlichen Körpern zusammengesetzt sind, und darin kann ich etwas leisten, das mußt du sehen.«

Der Schreiber zog bei diesen Worten eine alte Brieftasche hervor, nahm daraus ein Blatt Papier, welches er auseinander faltete und dem Anderen überreichte.

»Siehst du, wenn du das aus einiger Entfernung betrachtest, so liest du deutlich den Namen Sprandel, so heißt der Amtsdiener des Raths und das Factotum des Stadtschultheißen; schaust du es aber in der Nähe an, so findest du, daß die Buchstaben aus lauter einzelnen Sprandeln bestehen: Sprandel, wenn er Morgens verdrießlich daher schlendert, Sprandel, wenn er sich vorm Stadtschultheißen oder Einem vom Gemeinderathe buckelt, Sprandel, wenn er sich am Ofen den Rücken wärmt, Sprandel, wenn er seinen Frühstücksschoppen trinkt, und hier am Schlusse Sprandel, wie er mir über die Achsel schaut. Ist das nicht famos?«

»Ich kenne deinen Sprandel nicht, aber du selbst bist zu erkennen, und deßhalb muß ich schon sagen, daß es unverantwortlich ist, so ein Talent, so eine feste Hand, so ein festes Auge nur zu dergleichen Kindereien zu benutzen.«

»Nicht wahr, ich bin ähnlich, und erst der Sprandel, obgleich sein Gesicht nicht viel größer als ein Stecknadelkopf ist; es hat mich das aber Mühe genug gekostet, und siehst du, was die Hauptsache ist, das ist die feine Schraffirung von haarscharfen Strichen, die schräg über das Ganze laufen und Nebel und Regen vorstellen sollen; das ist gerade wie guillochirt – doch was verstehst du von der Guillochir-Maschine!«

»Allerdings so gut wie gar nichts – aber laß mir das Blatt; ich frisire da zuweilen den Commis einer Kunsthandlung, die stark in Landkarten arbeitet, das wäre eigentlich dein Fach. Doch jetzt setze dich in jene Ecke, es kommen Leute.«

Der Schreiber that, wie ihm befohlen, und der Andere, da er zwei Herren eintreten sah, zog an der Klingel, welche in das obere Atelier führte, und lud den einen Herrn mit einer graziösen Handbewegung zum Sitzen ein, während er dem anderen, der schon vor einem der Spiegel Platz genommen hatte, mit einer unnachahmlichen Leichtigkeit den Pudermantel umwarf.

»Einen geraden Scheitel, wie gewöhnlich, und Eispommade?« fragte der Friseur.

»Geraden Scheitel, ja, aber Eispommade, nein; sie riecht nach einer Stunde wie altes Unschlitt, man kommt dadurch in die größte Verlegenheit.«

Dann wandte er sich an den anderen jungen Herrn, ein Gespräch ungenirt fortsetzend, das beide schon wahrscheinlich auf der Straße angefangen.

»Mit dem Alten ist in dieser Richtung nichts anzufangen; aber meiner Mutter habe ich es gesagt – es nutzt aber nichts –, warum dergleichen große Geschichten arrangiren, mag man sie nun Bälle nennen oder mit dem bescheidenen Namen Thés dansantes? Man kann doch nicht mehr thun, als die Zimmer so vollstopfen, wie nur immer möglich – und doch ladet man sich für zehn Eingeladene ein Dutzend Mißvergnügter auf den Hals, die man übergehen mußte. Überhaupt bin ich ein Feind aller dieser Damengesellschaften; man muß da Rücksichten nach allen Seiten nehmen, man ist den ganzen Abend ein gefesselter Sklave, man muß plaudern, wo man schweigen möchte, und umgekehrt; man muß auch tanzen, mit wem man nicht mag, zum Beispiel ich heute Abend in meiner Stellung als Sohn vom Hause sollte ich das wenigstens thun; aber ich glaube fast, daß ich mir den Fuß übertreten habe – ich rechne auf dich, du kannst für mich herumhüpfen – ich bin ohnehin schon zu alt dazu.«

Der, welcher so sprach, war ein junger Mann von vielleicht 20 oder 22 Jahren, ziemlich groß, schlank, mit einem vollen, nicht unangenehmen Gesichte und kleinem Schnurrbarte.

Der Andere, welcher sich nun ebenfalls unter den Händen, und zwar des zweiten Friseurs befand, war von kleiner, schmächtiger Statur, höchstens um einige Jahre älter und hatte ein schmales Gesicht, dem wohl der starke, röthliche Backenbart, welcher auf beiden Seiten in langen Spitzen bis auf die Brust herabhing, etwas Rundung geben sollte. Er wandte jetzt lachend seinen Kopf herum und entgegnete: »Was ich vermag, werde ich leisten, jugendlicher Greis, obgleich du mich in Betreff der kleinen Pfälzinger gewiß wieder vergessen hast.«

»Vergessen keinenfalls, aber meine Alte machte ein Gesicht – weißt du, kein Gesicht des Verdrusses, aber eines von so grenzenloser Verwunderung, daß ich sogleich einsah, wie unmöglich es sei, hier durchzudringen. Sie sagte nur: ›Eine Schauspielerin? Ach, das muß ich mir ausbitten, was würde die Welt dazu sagen!‹«

»Ja, die Welt, die Welt!« seufzte der Andere; »deine Mutter ist sonst eine so aufgeklärte Frau.«

»Ich hatte viel für dich gethan,« fuhr der Andere fort; »ich hatte meine Tante, die Frau Haupt-Staatsschuldenzahlungs-Kassen-Revisorin – ein verfluchter Titel –, in ihrem Hause wohnt ja die Kleine, mit Hülfe meines Oheims, der schon als Demokrat freieren Ansichten huldigt, breitgeschlagen.«

»Siehst du, das ist doch ein Beweis, wie anständig die Pfälzinger ist.«

»Das mußt du am besten wissen, – das einzige Zweideutige, das ich von dem Mädchen weiß, ist, daß sie dir erlaubt, sie zu besuchen – geht mich aber nichts an. Meine Mutter schien's nicht so verstehen zu wollen; als ich sagte, Tante Revisorin hätte sich entschlossen, die Kleine mitzubringen, und das wäre doch ein sicherer Beweis ihrer Anständigkeit, da lachte sie laut auf und meinte: ›O, die Tante kenne ich; sie würde noch ganz jemand Anderes mitbringen, weil sie überzeugt wäre, dadurch ein Dutzend sogenannte anständige und brave Frauen zu ärgern.‹«

»Auch nicht übel!«

Das Frisiren war beendigt, und während sich der größere der beiden Herren, der Sohn des Stadtschultheißen Welkermann, im Spiegel betrachtete und dabei seinen eleganten Paletot von dem Gehülfen leicht abstauben ließ, meinte er:

»Du wirst aber nicht zu kurz kommen; ich sage dir, die Mama hat im Departement der Einladungen für alles gesorgt, was gut und theuer ist, so wie der Alte im Departement der inneren Angelegenheiten. Auch habe ich es so eingerichtet, daß wir unter uns Pfarrerstöchtern im hinteren Zimmer soupiren, und zwar mit Beihülfe einer guten Anzahl Flaschen Roederer carte blanche. Bist du nun zufrieden?«

»Ich hoffe, es zu werden,« erwiederte der mit dem rothen Barte. »Doch werde ich morgen mit der kleinen Pfälzinger einen schweren Stand haben, oder vielmehr mit ihrer Mutter, der viel daran gelegen war, die Tochter in euer Haus zu bringen.«

»Diese Mutter ist eine sehr brave Frau, im Interesse ihrer Tochter nämlich; doch hoffe ich, Kleiner, daß du es begreifst, daß man dir dadurch ein neues Seil um die Hörner geworfen hätte,« entgegnete der Sohn des Stadtschultheißen in gleichgültigem Tone und setzte hinzu, während er, vor dem Spiegel stehend, seinen Schnurrbart drehte: »Begreiflicher Weise ohne irgend welche Anspielung.«

»Ich mache mir nichts daraus, man muß sich eben an deine gewagten Bilder gewöhnen.«

Hier erlaubte sich der Friseur, zu sagen: »Man freut sich allgemein auf den heutigen Ball des Herrn Stadtschultheißen; der Principal ist seit Mittag schon in den besten Häusern beschäftigt.«

»Diese armen Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit,« meinte Herr Welkermann junior, »die da frisirt einen ganzen Nachmittag sitzen müssen und schon todtmüde sind, bis sie erst einmal zum Anziehen kommen. Da haben wir es doch besser. Was meinst du, wollen wir in den Jagdclub und dort eine Partie Billard spielen?«

»Dafür danke ich; ich hoffe mir heute Abend noch Bewegung genug zu machen.«

»Oder bringen wir sonst die Zeit herum; ich habe mich schon gleich nach Tisch auf der Bank verabschiedet, was man sehr begreiflich fand.«

Der Gehülfe reichte den beiden Herren ihre Hüte und sagte dabei, er wünsche ihnen viel Vergnügen.

»Das wird mäßig genug ausfallen,« meinte der Sohn des Stadtschultheißen; »es ist eine harte Arbeit, so ein Ballabend. Ich bin überzeugt, Monsieur Fritz amusiren sich viel besser.«

»Ich hoffe, das Meinige zu leisten, Herr Welkermann – eine kleine Tanzpartie im Tivoli.«

»Dort ist es sehr amüsant. Was meinst du, Kleiner, wenn es bei uns nicht zu spät würde, könnten wir noch ein Bißchen dorthin gehen?«

Nachdem die Beiden den Laden verlassen hatten, fragte der Gehülfe des Marktmeisters: »Denkst du wirklich daran, in's Tivoli zu gehen?«

»Warum nicht? Und wenn es dir Spaß macht, kannst du mich begleiten. Ich habe heute einen guten Tag gehabt, und wenn ich dich auch gerade nicht zum Tanz auffordern will, so wirst du mir es nicht abschlagen, an einem kleinen Nachtessen Theil zu nehmen; ich weiß nicht, warum ich nun einmal den Affen an dir gefressen habe – sind es allein unsere Schulzeit-Erinnerungen, oder ist es die Hoffnung, daß du später doch noch etwas Tüchtiges leisten wirst, oder ist es, weil du jetzt schon was Rechtes bist, in der Liederlichkeit nämlich, und weil man mit dir immer ein gewisses Aufsehen macht? Doch sei still, bemühe dich mit keiner Antwort und laß deinen Plaid ein klein wenig mehr über die trostlosen Stiefel herabhangen; ich höre einen Wagen anfahren. Wahrscheinlich etwas, das hier bei uns nicht an Gestalten wie die deinige gewohnt ist.«

Ein Lakai öffnete die Thür des kleinen Cabinets, und als er sah, daß niemand Fremdes da war – den Schreiber in der Ecke schien er nicht zu beachten –, flüsterte er dem Gehülfen zu: »Es ist mir recht, daß Sie allein sind; mein Herr will sich im Vorbeifahren rasch seine Haare herrichten lassen!« Und damit verschwand er wieder.

»Wer ist sein Herr?« fragte leise der Schreiber.

»Der Baron von Rivola, ein schon älterer Herr, wohnt eine Stunde von der Residenz auf seinem Gute, kommt aber häufig in die Stadt, ist nicht nur bei Hofe gern gesehen, sondern auch in allen Kreisen der Gesellschaft; es sollte mich gar nicht wundern, wenn er heute Abend beim Stadtschultheißen wäre. Doch halte dich ruhig, da kommt er.«

Der Gehülfe ging nach diesen Worten dem hereinkommenden Herrn entgegen, machte eine tiefe Verbeugung und führte ihn vor den größten Spiegel des Cabinets, neben welchem ausnahmsweise zwei Gasflammen brannten; auch wandte er sorgfältig das Sitzkissen des Fauteuils um und holte mit raschem Griffe aus einer Commode einen ganz reinen Pudermantel heraus.

Baron Rivola, ein Mann stark in den Fünfzigern, ließ sich stillschweigend nieder und sagte erst, als ihn der Gehülfe fragend ansah: »Nur das Haar ausbürsten und etwas Pomade.«

Dieses Haar, sehr stark und ungebändigt aufstrebend, war aber schon stark ergraut; unter demselben sah man eine hohe, breite Stirn, ein Paar blaue Brillengläser, eine starke, knochige Nase sowie einen scharf gezeichneten Mund mit dünnen Lippen und ein hervorstehendes Kinn, beides Zeichen großer Energie.

»Befehlen der Herr Baron eine Zeitung?«

»Ich danke, es wird nicht zu lange dauern.«

»Schlechtes Wetter, Herr Baron; ich glaubte, heute nicht mehr das Glück zu haben, den Herrn Baron bei uns zu sehen.«

»Es wäre auch zu Hause an meinem Kaminfeuer angenehmer; doch muß man der Gesellschaft, in welcher man lebt, Opfer bringen.«

»Ich glaube, es ist eine Soirée bei Hofe; der Adjutant Sr. Majestät, Graf Dichsenheim, sprach heute Morgen davon.«

»So – ich weiß nicht.«

»Auch ist ein Ball beim Herrn Stadtschultheiß.«

»A–a–ah!«

Vielleicht mochte dieses ausholende Gespräch dem Betreffenden gerade nicht angenehm sein, denn er griff mit der Hand nach den Zeitungen, die vor ihm unter dem Spiegel lagen, bekam aber statt dessen die Zeichnung des Marktschreibergehülfen in die Hand, welche Monsieur Fritz dort hingelegt, Der Baron entfaltete sie, blickte sie zuerst gleichgültig, dann aber offenbar mit so großer Aufmerksamkeit und so unverkennbarem Interesse an, daß sich der Friseur nicht enthalten konnte, den Kopf seitwärts zu wenden und seinen Freund durch ein bedeutsames Nicken darauf aufmerksam zu machen.

Der Herr Baron hatte jetzt das Papier ganz dicht der Gasflamme genähert und fragte: »Was ist denn das?«

»Federproben eines meiner Freunde, der allerdings sehr correkt zu zeichnen versteht, wie der Herr Baron, der ein so großer Kenner ist, gewiß sogleich gesehen hat.«

»Sehr correkt.«

»Dieß ist aber nur die Frucht einer müßigen Stunde, nur so auf's Papier hingeworfen; wenn sich mein Freund Mühe geben will, so kann er noch ganz Anderes zu Stande bringen. Hat er doch neulich einmal das Vaterunser auf einen Kreuzer geschrieben, und so deutlich, daß man es mit der Loupe lesen konnte.«

»Ah, mit der Loupe – er versteht damit umzugehen?«

»Gewiß, Herr Baron.«

Dieser faßte mit den Händen an den Taschen seiner Weste herum und brachte nach einigem Suchen eines der eben genannten Instrumente hervor, hielt dieses über die Zeichnung und prüfte lange, nachdem er seine blaue Brille in die Höhe geschoben und die Loupe vor das rechte Auge gebracht hatte. Dann sagte er: »In der That, sehr correkt!« Worauf er, nachdem er das Blatt hingelegt und die Loupe wieder eingeschoben, in gleichgültigem Tone sagte: »Und wer ist dieser Freund – ein Kupferstecher oder so etwas?«

Monsieur Fritz zuckte mit den Achseln und sagte lächelnd: »Er ist von Allem etwas, Herr Baron, und im Ganzen mehr als wenig; er war auch einmal Kupferstecher, auch Lithograph, ist jetzt Schreibereigehülfe des Marktmeisters, wo er ein kärgliches Brod verdient, und – in diesem Augenblicke zufällig hier im Zimmer.«

Der Betreffende, welcher den Augenblick gekommen glaubte, sich vorstellen zu dürfen, kam aus der Ecke hervor, wobei er aber die Vorsicht gebrauchte, durch den Plaid den unteren, defekten Theil seiner Beinkleider sowie seiner beschmutzten Stiefel bedeckt zu halten, was seiner ganzen Figur ein eigenthümliches Aussehen verlieh.

»Ei,« sagte der alte Herr, indem er diese seltsame Erscheinung aufmerksam betrachtete, »für das, was Ihr Freund vielleicht könnte, hat er es nicht weit gebracht.«

»Das habe ich ihm schon oft gesagt, Herr Baron; er hätte bei der Kupferstecherei bleiben sollen, aber er hat kein Sitzfleisch – verzeihen Sie mir den Ausdruck, Herr Baron!«

Über die Züge des alten Herrn flog ein kurzes, scharfes Lächeln, als er erwiederte: »Er sieht allerdings sehr mager aus – ja, ohne Fleiß und Ausdauer bringt man es zu gar nichts.«

»Er würde auch Fleiß und Ausdauer haben, aber nur für kurze Zeit; ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Herr Baron?«

»Ausdauer für kurze Zeit? Nein, das verstehe ich nicht.«

»Ich meine nur, er würde eine gute Arbeit mit großem Fleiße, vieler Mühe und Ausdauer meisterhaft zu Stande bringen, wenn er dafür so ordentlich belohnt würde, daß er alsdann eine Zeit lang wieder nichts zu thun brauchte.«

»Ah, und das Geld, welches er alsdann verdient, lustig auszugeben?«

»So ist's, Herr Baron. Aber besser wäre es noch, wenn man ihm vielleicht einen ganz kleinen Dienst verschaffen könnte, vielleicht in einer Bibliothek, denn er kann auch Latein und Griechisch, und einen Katalog würde Niemand so schön schreiben, wie er; auch wäre er für ein Kupferstich-Cabinet verwendbar. Der Herr Baron haben eine so große Bekanntschaft,« fuhr der Gehülfe des Friseurs in bittendem Tone fort, »und schon so manchem jungen Künstler geholfen, wenn Sie nur einmal die Gnade hätten, sich meines Freundes gelegentlich zu erinnern – Franz Steffler, Gehülfe bei dem hiesigen Marktmeister.«

»Schreiben Sie mir den Namen da auf die Zeichnung, und auch, wo Ihr Freund wohnt.«

»Gott lohne es Ihnen, Herr Baron! So unscheinbar er auch aussieht, so hat er doch ein gutes Gemüth und ist über alle Beschreibung dankbar.«

Der Freiherr von Rivola steckte die Zeichnung in die Tasche und sagte, während er seinen Hut aufsetzte: »Ich werde mich Ihres Freundes erinnern; ob ich aber etwas für ihn thun kann, ist die Frage.«

Er verließ das Cabinet, und der Friseur eilte ihm nach bis auf die Straße, wo er ihn gern in den Wagen gehoben und den Schlag hinter ihm geschlossen hätte, wenn dies alles nicht der elegante Diener besorgt.

»Siehst du, Kerl,« rief er hierauf, als er wieder in das Cabinet zurückgekommen war, »jetzt müßte mich Alles trügen, oder ich habe deinem Glücke eine gute Handhabe gedreht; wenn der etwas für dich thun will, so kann er's – dich vielleicht bei der Bibliothek anstellen lassen oder beim Kupferstich-Cabinet, oder auch dir eine gute Arbeit verschaffen, welche dir tüchtig Geld einträgt.«

»Das Letztere wäre mir das Liebste, nur so viel, um mich ordentlich herrichten zu können, um nach Amerika auszuwandern, denn aufrichtig gestanden, hier komme ich doch auf keinen grünen Zweig.«

»Darin hast du allerdings nicht Unrecht.«

»Was hält mich hier zurück? Ich habe keine Eltern mehr, auch sonst keine Verwandten, und den Leuten, die sich allenfalls für mich interessiren, die zuweilen zärtlich nach mir ausschauen, ob ich noch am Leben bin, gehe ich gern aus dem Wege; ja, wenn ich wirklich einmal etwas Rechtes verdiente, so würden sie ihre Sorgfalt so weit treiben, mich höflich zu ersuchen, ihnen so bald als möglich einen freundschaftlichen Besuch zu machen. Deßhalb Geld verdient und dann aufgepackt und fort!«

»Ohne Anzeige in den öffentlichen Blättern, wer vor deiner Abreise nach Amerika noch eine gültige Forderung zu stellen habe, möge sich bei Zeiten melden?«

»Es ginge auch ohne das.«

»Nun aber Scherz bei Seite. Ich weiß nicht, es ist mir immer, als wenn der Mann etwas für dich thäte; deßhalb wollen wir auch allen Ernstes heute Abend in's Tivoli gehen. Verfüge dich in deine Wohnung, mache dich so anständig, als immer möglich, und hole mich um acht Uhr ab.«


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