F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Fünftes Kapitel.

Nach eingenommenem gutem Souper ändert sich gewöhnlich die Physiognomie eines Balles, Alles fühlt sich behaglicher, freier, mit den starren Formen gesellschaftlicher Etiquette wird es nicht mehr so ganz genau genommen, streng erzogene junge Damen erlauben sich schon ein kurzes, lautes Lachen, unternehmende Lieutenants werden kühner, und sehr schüchterne junge Leute, die es zu Anfang des Festes nicht gewagt hatten, ein Ballgespräch anders einzuleiten, als mit der Bemerkung, daß es heute im Saale sehr voll, sehr heiß sei oder daß es draußen regne oder schneie, schwangen sich jetzt schon zu dem Geständnisse auf, daß sie sich göttlich amusirten, ja, setzten sogar seufzend hinzu: O, daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit eines ersten Balles! – was sich allerdings nicht reimte, aber trotzdem hier und da gern gehört wurde.

Ältere Herren und Damen, besonders wenn sie ohne Ballnachwuchs erschienen waren, bewegten sich jetzt, häufig im langsamsten Tempo und dabei so angelegentlich plaudernd, als begänne für sie jetzt erst das eigentliche Vergnügen des Balles, der Thür zu, welche zur Treppe führte, und machten sauersüße Gesichter, wenn sie vielleicht noch im letzten Zimmer von solchen zum Dableiben und Sitzen eingeladen wurden, die hartnäckig an ihrem Tische geblieben und sich den Champagner gut schmecken ließen.

Andere, die ausdauernder waren, erinnerten sich gern, daß bei den Festen des Stadtschultheißen später ein vortrefflicher Punsch servirt würde, und bedauerten nur, daß ein Rauchcabinet fehle, hier und da, aber sehr vereinzelt, setzte man auch noch eine Spielpartie fort, wogegen übrigens die meisten der Spieler Ruhe nach gethaner Arbeit – damit meinten sie das wirklich vortreffliche Souper – vorzogen; so auch Se. Excellenz der Herr Minister, der sich einen bequemen Fauteuil in einer Ecke ausgesucht und hier mit einem Riesenschlangengefühle behaglich ausruhte.

Elise hatte ihre Freundin Lucy unter den Arm genommen und war mit ihr nach dem kleinen Zimmer gegangen, wo vordem Herr Welden mit der Oberbauräthin gesessen, dem kleinen, mit Pflanzen dekorirten Gemache, im gewöhnlichen Leben Elisens Schlafzimmer.

»Bist du müde?« fragte die Tochter des Hauses.

»Müde gerade nicht, aber ich habe sehr viel getanzt, und wenn ich dürfte, möchte ich wohl einige Touren überschlagen.«

Die beiden jungen Mädchen setzten sich auf das Sopha, und Lucy legte ihren Kopf auf die Schulter der Freundin.

»Du scheinst in der That müde, meine gute Lucy,« sagte jene schmeichelnd und beugte dabei ihr Köpfchen herab, um ihre Lippen in deren seidenweiches Haar zu drücken.

»Nein, müde bin ich gerade nicht, aber ich habe mir von meinem ersten Balle eigentlich mehr versprochen; ich freue mich allerdings, wenn ich tanze, und doch finde ich eben kein so großes Interesse dabei. Auf den Bällen in der Pension, wo wir ganz unter uns waren, habe ich mich ebensogut amusirt – über was alles haben wir da nicht geplaudert, wie haben wir gelacht, besonders wenn Eine von uns sich einen kleinen Schnurrbart gemalt, was indessen streng verboten war!«

»Und haben dabei immer von dem Vergnügen gesprochen, das uns später einmal ein wirklicher Ball gewähren würde.«

»Und dir hat dieser erste wirkliche Ball auch alles gehalten, was du dir in der Einbildung davon versprochen hast? Ich freue mich in der That, dich so heiter und glücklich zu sehen, und du hast auch alle Ursache, es zu sein!«

»Und du doch auch, liebe Lucy?«

»Ich kann das nicht verneinen, ich wüßte wenigstens keine Ursache, es zu thun, und doch war ich zu Anfang glücklicher, als ich jetzt bin; vielleicht kommt es daher, daß mir meine gute Mutter heute so blaß und so ernst erscheint. Hast du das nicht auch bemerkt? Auch sitzt Papa so häufig neben ihr, fragt sie mit besorgter Miene, und wenn er ja einmal von ihr weggeht, so bemerke ich wohl, wie er nach ihr hinüber blickt.«

»Deine Mutter war in den letzten Tagen unwohl; vielleicht denkt dein Vater daran, und du weißt ja überhaupt, wie sehr er sich um die geringste ernste oder trübe Miene deiner Mutter bekümmern kann.«

»Ja, mein guter, guter Vater, meine theure, liebe Mutter! Ich glaube, du hast Recht; stimmt es mich doch auch bei all der Lust und Freude, die mich umgibt, unbegreiflicher Weise so sehr traurig, wenn ich meine Mutter so blaß, ja, so theilnahmlos da sitzen sehe – ich könnte weinen, Elise!«

»Närrchen, dich hat das Tanzen aufgeregt! Deine Mutter fühlt sich wahrscheinlich etwas ermüdet; du wirst schon sehen, das ist morgen vorüber, und wenn ich dich in den nächsten Tagen besuche, so plaudern und lachen wir über den heutigen Ball, und deine Mutter lacht ebenfalls mit.«

»Vielleicht – ich hoffe so!«

Damit trat in der Unterhaltung der Beiden eine kleine Pause ein, und erst nach einigen Minuten fragte Lucy, ohne ihre Freundin anzusehen: »Wer, hast du mir vorhin gesagt, war die Dame, mit der Herr Welden getanzt?«

»Eine Oberbauräthin Lievens; ihr Mann ist ein genauer Freund meines Vaters.«

»Ah, sie hat einen Mann, diese Frau?«

»Ja, er saß beim Souper neben deiner Mutter – ein großer, dünner Herr.«

»Ah, der – der sieht ja älter aus wie mein Papa, er könnte ja der Vater dieser jungen Frau sein.«

»Das haben andere Leute auch schon gesagt,« entgegnete Elise lächelnd. »Doch was kümmert dich« – sie wollte sagen: »Herr Welden,« verbesserte sich aber und sagte: »die Oberbauräthin?«

»O, gar nichts – durchaus nichts; ich kam nur darauf, weil ich Beide vor dem Souper, als mich meine Mutter einen Augenblick aus dem Tanzsaale abrief, hier sitzen sah und weil ich es für eigenthümlich fand, daß Herr Welden dich, die Tochter des Hauses, nicht um einen Tanz bat und doch mit Anderen tanzte.«

»Es wäre mir das eigentlich leid gewesen, denn ich hätte ihm keinen Tanz mehr geben können.«

»Ich auch nicht, und würde ihm auch keinen gegeben haben.«

»Mit wem wirst du jetzt tanzen, Lucy?«

»Mit deinem Bruder; er war so galant, mich um einen Tanz zu bitten, was bei ihm äußerst selten ist.«

»Da kommt er mit Herrn Welden.«

Lucy richtete sich hastig auf und warf in einem energischen Kopfschütteln ihr gelocktes Haar, welches sich unter Band und Schleife eigensinnig bäumte und, wo es konnte, frei zu machen suchte, aus der erhitzten Stirn.

»Was wollen die Beiden?«

»Was weiß ich, liebes Herz? Der Eine, dich zum Tanze abholen, denn ich höre schon die Musik beginnen, der Andere? Das kann ich nicht errathen.«

Damit traten die beiden jungen Leute in das Zimmer, und Ferdinand sagte mit seiner ungemeinen Gleichgültigkeit:

»Mein gnädiges Fräulein, der Tanz beginnt; doch da ich weiß, daß es für Sie von gar keinem Werthe ist, mit meiner unwürdigen Wenigkeit zu tanzen, so möchte ich mir erlauben, Ihnen einen würdigen Stellvertreter für mich vorzustellen, Herrn Welden.«

»Wie sich unsere Wünsche treffen, Herr Welkermann,« erwiederte das junge Mädchen lächelnd und ohne jetzt noch die geringste Spur von Aufregung zu verrathen – »ich bin Ihnen recht dankbar dafür, daß Sie mein Versprechen lösen!«

»So darf ich vielleicht bitten, Fräulein von Rivola?« sagte der junge Ingenieur, vortretend.

»Bitten wohl, Herr Welden, aber es thut mir sehr leid, Ihre Bitte nicht erfüllen zu können; ich bin recht froh, einen Tanz aussetzen zu dürfen, ich bin in der That ein wenig ermüdet, und Elise und ich, wir wollen eine Tour plaudern.«

Welden verbeugte sich, nicht verwundert darüber, daß Lucy ihm einen Tanz abgeschlagen, aber einiger Maßen erstaunt, daß sie nicht hinzugesetzt hatte: »Wollen Sie nicht mit uns plaudern?« – denn sie plauderte sonst so gern mit ihm, und auch ihm machte es stets ein großes Vergnügen, die kindlichen, frischen Ansichten und Äußerungen des jungen Mädchens entweder lächelnd hinzunehmen oder mit dem Ernste und der Würde eines älteren Freundes zu corrigiren.

»So ziehen wir uns denn zurück,« meinte Ferdinand lachend, »verschmäht und verstoßen, aber mit dem guten Bewußtsein, unsere Pflicht wie immer erfüllt zu haben – kommen Sie, Welden!« Und als sie nun beide das Zimmer verlassen hatten, setzte er hinzu: »Ich habe oben in meinem Apartement, das leider nur aus einer einzigen Stube besteht, ein kleines Jeu arrangirt, mit Cigarren, heißem Punsch und kühlem Bier; ich werde es auch den anderen richtigen Leuten sagen.«

»Vielleicht komme ich,« erwiederte zerstreut der Ingenieur; »doch sehe ich dort Ihren Papa mit dem Oberbaurathe – der Herr Stadtschultheiß sagte mir schon vor dem Souper, daß er mich zu sprechen wünsche.«

»Gut, so kommen Sie später,« versetzte der Sohn des Hauses, und dann sah man ihn langsam durch den Tanzsaal streichen, bald hier, bald dort einem der jungen Herren etwas zuflüstern und hierauf gegen die Treppe hin verschwinden.

Welden trat zu einer Gruppe älterer Herren, die es sich in einer Ecke des Spielzimmers bequem gemacht hatten – es waren hier der Baron Rivola, der Oberbaurath Lievens und der Stadtschultheiß, letzterer vor Sr. Excellenz dem Minister des Innern stehend; dieser hatte seinen Hut in der Hand und versicherte mit einer noch fettigeren Stimme, als er sonst wohl zu haben pflegte, dem Herrn des Hauses, daß das Souper ganz außerordentlich gewesen sei – vortrefflich, wenn man die Menge der Gäste annehme, ganz aus–ge–zeich–net.

Dann ergriff er heimlich mit zwei Fingern die rechte Hand des Stadtschultheißen, schüttelte sie ein wenig krampfhaft, schloß lächelnd seine Augen und wandte sich langsam, um ohne Aufsehen zu verschwinden.

Herr Welkermann ließ sich mit dem Gefühle eines Mannes in den Stuhl nieder, der seine Schuldigkeit gethan, Anerkennung gefunden hat und mit sich selbst zufrieden ist.

»Ich muß noch einmal auf die Sache zurückkommen, über die wir vorhin sprachen,« nahm der Oberbaurath Lievens das Wort, nachdem sich Se. Excellenz entfernt hatte. »Ich bin nun einmal der Ansicht, lieber Welkermann, daß ich die Sache nicht vor den Stadtrath gebracht hätte; Herr Baron von Rivola wird mir gewiß Recht geben.«

»Ich weiß nicht ganz genau, um was es sich handelt,« entgegnete der Genannte in sehr höflichem Tone.

»Um eine ganz einfache Geschichte,« erwiederte der Stadtschultheiß: »es besteht ein unterirdischer Gang, der in alten Zeiten Rathhaus und Münze zusammen verband.«

»Sollte die Existenz dieses unterirdischen Ganges in seiner ganzen Ausdehnung nicht auch eine Fabel sein, wie die so vieler ähnlicher Gänge, von denen man spricht?«

»O nein,« erwiederte der Oberbaurath, »mit diesem hat es seine Richtigkeit, es liegen die genauesten Pläne darüber vor.«

»Und hat einer der Herren ihn je begangen oder untersucht?«

»Von uns Niemand – wozu auch? In früheren Zeiten ist er öfter untersucht worden, worüber ebenfalls die Akten vorhanden sind; besonders gangbar hat man ihn auch damals nicht befunden, ja, bei dem letzten Augenschein, der vor beiläufig fünfzig Jahren laut stadträthlichem Beschlusse vorgenommen wurde, soll sich ungefähr in der Hälfte des Ganges eine Verengung gefunden haben, ungefähr in der Gegend, wo sich die Bärenstraße mit dem Glockengäßchen kreuzt, fast genau dort, wo das uralte Haus »Zum goldenen Hammer« steht, welches Ihnen gehört, Herr Baron von Rivola.«

»Ah, dort – ja, ja, bei meinem unfruchtbaren Besitzthum, das mir nicht einmal die Steuern und Reparaturkosten einträgt. Ich hoffe immer noch,« setzte er mit einer verbindlichen Verbeugung gegen den Stadtschultheißen hinzu, »daß der Stadtrath dieses Haus kaufen wird, es abreiße und so die dort enge Passage erweitere.«

»Es wäre doch schade um das alterthümliche Haus!«

»Haus kann man es eigentlich nicht nennen, es ist vielmehr nur ein alter Thurm, seiner Festigkeit wegen übrig geblieben von der Umwallung der Stadt.«

»Aber interessant – die Nachbarn lassen es sich einmal nicht nehmen, daß dort Geister umgehen; häufig in der Mitternacht sah man schon Licht in den unteren, gänzlich unbewohnten Räumen.«

»Ja, ja, ich hörte davon,« sprach lächelnd Herr von Rivola, »gab mir auch die Mühe, die Sache zu untersuchen, und fand, daß die unheimliche Beleuchtung dieser Räume von dem Wiederscheine einer Laterne auf ein halb erblindetes Fenster herrühre; als ich darauf das Fenster durch einen tüchtigen eisernen Laden verschließen ließ, sah man nichts mehr von diesen nächtlichen gespensterhaften Beleuchtungen.«

»Das ist allerdings wahr,« sagte der Stadtschultheiß, »doch berichteten damals häufig die Nachtwächter von eigenthümlichem Geräusche, welches sie in der stillen Nacht auf der Straße vor dem alten Thurme gehört.«

»Ratten,« meinte der Oberbaurath.

»Ganz gewiß Ratten,« sagte Herr von Rivola; »doch sind wir durch meine Frage ganz davon abgekommen, was der Herr Oberbaurath in Betreff der heutigen Stadtrathssitzung sagen wollte.«

»Das ist sehr einfach, ich hätte, wie schon bemerkt, die Sache nicht vor den Stadtrath gebracht.«

»Der unterirdische Gang nämlich,« wandte sich Herr Welkermann direkt an Herrn von Rivola, »dessen Existenz nicht zu läugnen ist, mündet in den großen Keller des Rathhauses und ist dort nur durch eine, allerdings sehr starke eiserne Gitterthür verschlossen, welche aber dumpfe Luft und unangenehme Gerüche aller Art nicht abhält; diese Gitterthür wollte ich entfernen und durch ein solides Mauerwerk ersetzen, ein Vorschlag, den aber die Majorität des Stadtrathes in heutiger Sitzung nicht gut zu heißen beliebte.«

»Und ich meinte,« sprach Herr Lievens, »Welkermann hätte diese Kleinigkeit gar nicht vor den Stadtrath bringen, sondern mir, unter dem die städtischen Gebäude stehen, einfach den Auftrag geben sollen, die Öffnung zu vermauern; das hätte ohne alles Aufsehen geschehen können, da dort unten Bausteine genug vorhanden sind, und wenn ich an Welkermann's Stelle wäre, so würde ich vier Wochen vergehen lassen und es dann doch trotz Stadtrathsbeschluß so machen, wie ich es für das Richtige hielt.«

Der Stadtschultheiß hatte eine äußerst wichtige Miene angenommen und wiederholte die Worte seines Freundes: »Gegen den Stadtrathsbeschluß« kopfschüttelnd und in bedenklichem Tone.

»Das könnte allerdings Mißstimmungen hervorrufen,« meinte Herr von Rivola mit seiner ruhigen, fast sanften Stimme, welche nicht immer genau zusammenpaßte mit den scharf ausgeprägten energischen Zügen um den Mund. »Man könnte einfach die Thür bestehen lassen und damit auch den heutigen Beschluß des Stadtrathes; aber wer verbietet es Ihnen, hinter jener Thür eine solide Mauer aufzuführen?«

»Ah, das ist wahr,« meinte der Oberbaurath, wobei ein vergnügliches Lächeln über seine Züge flog: »du hättest deinen Willen durchgesetzt, Welkermann, die Mauer wäre aufgerichtet, um die wirklich manchmal abscheulichen Dünste aufzuhalten, die aus dem Keller aufsteigen, und wenn der hochweise Stadtrath über kurz oder lang von der Sache erführe, so müßte er sich doch gestehen, sich in seinem Beschlusse vom Heutigen nicht besonders deutlich ausgedrückt zu haben.«

»Und was die Maßregel an sich anbelangt,« meinte der Freiherr von Rivola, »so halte ich sie für so gut, daß der Herr Stadtschultheiß sich wohl erlauben könnte, darüber nicht nur anderer Ansicht zu sein, wie der Stadtrath, sondern auch seine Ansicht auf die eben erwähnte Art durchzuführen; früher, als ich noch des Glaubens war, es ließe sich mit dem alten Thurme, den ich, beiläufig gesagt, nicht einmal billig kaufte, irgend etwas Solides anfangen, war es mein erstes Geschäft, die Öffnung im unteren Gewölbe desselben, die wahrscheinlich in vordenklichen Zeiten mit dem alten Gange in Verbindung gestanden, zumauern zu lassen, denn auch da unten wurde man zuweilen von unangenehmen Ausdünstungen belästigt. Also, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Stadtschultheiß, so würde ich allerdings das ehrwürdige Gitter nicht angreifen, aber, wie vorhin schon gesagt, ich würde hinter demselben eine sehr solide Mauer aufführen.«

»Die Idee ist nicht übel, und ich bereue nur, dies nicht ohne Weiteres gethan zu haben, denn jetzt ist der stadträthliche Beschluß nicht ohne etwas jesuitische Deutelei, verzeihen Sie mir den Ausdruck, Herr Baron, zu umgehen.«

»Aber doch zu umgehen, und wenn dir etwas daran gelegen ist, so thue es.«

»Und würdest du,« wendete sich der Stadtschultheiß direkt an Herrn Lievens, »ohne Weiteres den Gang zumauern lassen, wenn ich dich damit beauftrage?«

»Hm – hm – ja – allerdings.«

»Es läge das in deinem Amte, der du die Oberaufsicht über alle städtischen Bauten hast.«

»Allerdings, und ich würde mich davon wahrscheinlich auch nicht zurückziehen, trotz des stadträthlichen Beschlusses, obgleich dieser Beschluß mir heute schon kundgethan wurde, und würde auf einen förmlichen Befehl von dir die Arbeit sogleich ausführen lassen.«

»Ja, auf einen förmlichen Befehl von mir, da gerade steckt der Knoten.«

»Ach, das ließe sich auf die einfachste Art von der Welt umgehen,« sprach Herr von Rivola, nachdem er eine Zeit lang nachsinnend vor sich niedergeblickt – »Sie, Herr Oberbaurath, beauftragen einen Ihrer jungen Leute, natürlich Jemanden, auf den Sie sich verlassen können, die etwas schadhaft erscheinenden Wände des Rathhauskellers, wo sich die Gitterthür befindet, zu untersuchen und nach Befund und eigenem Ermessen zu handeln.«

Bei diesen letzten Worten hob Herr von Rivola den Zeigefinger in die Höhe, als fordere er ganz besondere Aufmerksamkeit für dieselben.

»Nach Befund und eigenem Ermessen.«

»Sehr gut,« sagte der Oberbaurath, »dieser Befund ist eine schadhafte Stelle über der alten Gitterthür, worauf es der Untersucher für angemessen findet, die besagte Öffnung zu vermauern.«

»Natürlich, und der Betreffende müßte Jemand sein, der nicht zurücktritt und Ihnen, falls er angefochten würde, beweist, daß er gerade so und nicht anders habe handeln können. Hätten Sie Jemand unter Ihren jungen Leuten, der das thäte?«

»Das will ich meinen, und dort kommt er gerade wie gerufen,« erwiederte der Oberbaurath – »Herr Welden besorgt uns diese Kleinigkeit, dessen bin ich sicher; ich werde gleich mit ihm reden.«

»Dürfte ich mir wohl erlauben, Ihnen das zu widerrathen?« sprach Herr von Rivola in gefälligem Tone, »Meiner Ansicht nach wäre es besser, dem Herrn Welden, den ich, wie Sie wissen, hochschätze, diese Sache allein, ohne Zeugen, vielleicht morgen gesprächsweise mitzutheilen – Sie verstehen mich?«

»Gewiß,« sagte der Oberbaurath, und der Stadtschultheiß nickte ernsthaft mit dem Kopfe.

»Im Übrigen muß ich um Entschuldigung bitten,« fuhr Herr von Rivola in freundlichstem Tone fort, »daß ich mir erlaubt habe, in Ihre Angelegenheit hinein zu reden – verzeihen Sie meine Freiheit und betrachten Sie, was wir gesprochen, wie jede andere gewöhnliche Conversation!«

Mit diesen Warten erhob er sich, und indem er dem Herrn des Hauses die Hand reichte, flüsterte er ihm einige verbindliche Worte zu und sagte dann mit einer Verbeugung gegen den Oberbaurath: »Es ist schon spät; ich muß doch einmal nach Frau und Tochter sehen.« – Als er an Welden, der sich den Herren näherte, vorbei kam, klopfte er ihm leicht auf die Schulter, nickte ihm freundlich zu und verließ ihn alsdann mit den Worten: »Ich hoffe, daß Sie sich bald draußen bei uns sehen lassen!«

»Ein gescheiter Mann, dieser Baron Rivola!« meinte der Oberbaurath.

»Ja, so gescheit, um im gewöhnlichen Leben nichts Gewöhnliches zu sprechen; seine Worte sind vollgültige Stücke, er gibt sich in der Unterhaltung nie mit Scheidemünze ab.«

»Etwas verschlossen, könnte man sagen, in seinen Redensarten wie in seinem Leben.«

»Er lebt für seine Familie, ist aber gesellig, wo er dies für gut findet, nimmt allerdings selten Einladungen an, aber doch zuweilen.« Dies sagte der Stadtschultheiß in einer selbstgefälligen Laune.

»Du kennst ihn schon länger?«

»Seit ungefähr zehn Jahren, so lange er hier ist; ich vermittelte den Ankauf seines Gutes.«

»Hältst du ihn für reich?«

»Wer kann das sagen? Als er Eichenwald kaufte, bezahlte er es baar, und wie die Familie draußen lebt, muß er über große Einkünfte zu verfügen haben. Das Haus ist gut eingerichtet, der Park um dasselbe und der allerdings sehr kleine Gütercomplex bestens erhalten – der Baron hat Wagen und Pferde, hinlängliche Dienerschaft, weßhalb ich glaube, daß er sich in sehr guten Verhältnissen befindet. Das Gegentheil würde mir in meiner Stellung nicht verschwiegen geblieben sein. Woher er seine Einkünfte bezieht, weiß ich allerdings nicht, sie müssen ihm wahrscheinlich von auswärts, wo er früher lebte, vermittelt werden. Mein Sohn Ferdinand, der, wie du weißt, bei der königlichen Bank angestellt ist, sagte mir einmal, Rivola stände mit keinem der hiesigen Banquiers in einer fortdauernden Geschäftsverbindung.«

»Es ist jedenfalls ein interessanter Mann, von großen Kenntnissen,« sagte der Oberbaurath, »Kenntnisse, über die ich erstaunte, als wir neulich zur Begutachtung der großen Eisenbahnbrücke droben waren, wo er die Güte hatte, die Commission zu Tische zu laden – ich sage dir, gediegene Kenntnisse, sowohl in der Architektur als in der Mechanik, und er zeichnet mit einer Sicherheit, die uns Alle in Erstaunen setzte, trotzdem er nur ein einziges gutes Auge hat und trotz seiner blauen Brille.«

»Diese blaue Brille ist wohl das Einzige, das mir zuweilen an dem Manne unbehaglich ist, ich liebe überhaupt die blauen Brillen nicht, sie verdecken uns den Ausdruck des Auges; der, welcher sie trägt, steht für den Anderen beständig wie im tiefen Schatten, während jener auf unserem Gesichte unsere Gedanken besser abzulesen im Stande ist.«

»Kennst du die Baronin näher?«

»Ich sah sie allerdings häufig und muß gestehen, daß sie nie einen besonders günstigen Eindruck auf mich machte – so liebenswürdig und mittheilsam, wie er ist, eben so kalt und verschlossen liebt sie es, sich zu zeigen. Übrigens ist sie eine vornehme Dame von den besten Manieren – eine geborene Gräfin Hartenstein.«

»Und die Rivola?«

»Stammen, wie der Baron sagt, aus Italien, lebten längere Zeit in Frankreich, später in Belgien; ich habe den Namen früher nie gehört. Es ist rührend, aber begreiflich, mit welcher Zärtlichkeit, ja, ich möchte sagen, mit welcher Verehrung der Baron seine Frau liebt; bei allem, was er thut, scheint er nur auf ihr Wohl, an ihre Behaglichkeit zu denken. Er scheint sich ferner zur Lebensaufgabe zu machen, ihr das Dasein in jeder möglichen Weise zu verschönern, und wenn du heute darauf Achtung gibst, wie besorgt er auch in Kleinigkeiten um sie ist, so kommt er dir eher vor wie ein zärtlicher Bräutigam, als wie ein Ehemann, der schon eine erwachsene Tochter hat.«

»Eine reizende Tochter, sie ist im höchsten Grade anziehend, ohne gerade regelmäßig schön zu sein,« sagte der Oberbaurath. Und da Welden indessen näher getreten war, so wandte er sich an denselben, indem er hinzusetzte: »Wir sprachen gerade von Fräulein von Rivola, die selbst für unsere älteren Herzen etwas außerordentlich Wohlthuendes, Anziehendes und Erwärmendes hat – sind Sie nicht meiner Ansicht?«

»Gewiß, Herr Oberbaurath, Fräulein von Rivola ist eine sonnige Erscheinung, eine liebenswürdige junge Dame, deren Schattenseiten, wenn ich mich so ausdrücken darf, noch Vorzüge sind.«

»Sehe mir einer diesen jungen Mann an,« lächelte Herr Lievens, »findet da mit seinen kaum dreißig Jahren Schattenseiten, wo wir ruhige Leute nur helles Licht erblicken! Und was sind das für Schattenseiten?«

»Die auch vielleicht Vorzüge genannt werden können, wie ich schon vorhin bemerkt,« erwiederte der Ingenieur: »ich meine die offene, rückhaltlose Art, sich zu geben, welche bei dieser jungen Dame allerdings etwas so wunderbar Bestechendes hat.«

»Was wollen Sie, lieber Welden,« warf der Stadtschultheiß ein, »bei einem jungen Mädchen, welches das Leben nur von der rosigsten Seite kennt, das einzige Kind zärtlicher Eltern, das mit einem warmen, empfänglichen Herzen alles begrüßt, was ihm entgegentritt! Meine Tochter Elise erzählte mir, wie Lucy so herzlich und ungezwungen allem entgegenfliegt, was einen angenehmen Eindruck auf sie macht, allerdings oft ohne große Überlegung, ohne Rückhaltung, und nicht nur bildlich, sondern sogar in der Wirklichkeit.«

»Ja, ja, ich sah das auch wohl,« sagte Welden lächelnd; »möchte sie doch gern dahinschweben, mit ausgebreiteten Armen dem Schmetterlinge, der emporsteigenden Lerche folgend, und macht es ihr doch zuweilen Vergnügen, ihr Gesicht in alle Rosenkelche zu drücken, an denen sie vorüberkommt.«

»Unschuldige Gelüste,« meinte der Oberbaurath, indem er aufstand und auf seine Uhr schaute, »das gibt sich alles mit der Zeit; man hat mir oft gesagt, meine Frau sei als Mädchen gerade so gewesen, eben so harmlos, eben so wohlwollend und entgegenkommend, und das hat sich doch bei ihr sehr verändert, was ich am besten wissen muß.«

Es war ein eigenthümlicher Blick, eine nicht ganz beistimmende Miene, mit welcher der junge Ingenieur den Oberbaurath anblickte; dann begab er sich mit dem Herrn des Hauses in den schon recht leer gewordenen Tanzsaal.

Die Musikanten waren müde, das sah man an ihren schon matt gewordenen Griffen und Strichen, die Tanzenden waren müde, denn sie machten zwischen dem Vergnügen außerordentlich lange Ruhepausen – Herr Ascher war müde, denn wenn er auch so aufrechten Hauptes wie zu Anfang des Balles an der Thür stand und mit seinem Blicke die Welt regierte, so war doch dieser Blick etwas matt und schläfrig geworden, und Herr Ascher gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. Am lebendigsten, stellenweise sogar heiter und aufgeweckt ging es noch im Zimmer des Herrn Ferdinand im oberen Stocke zu, wo bei Bier und Punsch gespielt wurde, zuerst das gemüthliche Makao, dann das aufregendere Landsknecht. Obgleich man nicht besonders viel baares Geld auf dem Tische sah, so war doch der Umsatz nicht unbedeutend und wurde durch kleine Bons vermittelt, die einer Übereinkunft gemäß den dritten Tag von heute an eingelöst werden mußten.

Aber auch dieses interessante Spiel ging zu Ende, freilich erst, als es im ganzen Hause schon sehr still geworden war; dann schlichen sich die letzten der Gäste die Treppe hinab, und Ferdinand öffnete einen Flügel seiner Fenster, um den garstigen Tabaksqualm hinauszulassen. Dann trat er mit einem nüchternen, verdrießlichen Blicke an den Tisch und betrachtete, die Hände in die Taschen seiner Beinkleider gesteckt, die bunt umher gestreuten Kartenblätter; er hatte einige Hundert Gulden verloren, was ihn nicht gerade unglücklich machte, ihm aber doch sehr, sehr unangenehm war und zu denken gab.


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