F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Dreizehntes Kapitel.

Es begann bereits zu dunkeln, als Welden endlich die Reißfeder weglegte, sein Werk mit zufriedenen Blicken nochmals betrachtete und dann an's Fenster trat, um auf den stillen, schneebedeckten Hof hinabzuschauen. Die Uhr der Stadt schlug die fünfte Stunde, und er erinnerte sich, daß er Herrn Ferdinand Welkermann halb und halb versprochen hatte, zu dessen Diner im Holländischen Hofe zu kommen. Es war ihm indessen durchaus nichts daran gelegen, auch hatte er nicht geradezu abgelehnt, weil er sich der Unterhaltung mit dem Stadtschultheißen am heutigen Morgen erinnert hatte und gern etwas erfahren hätte, um den alten Herrn in Betreff seines Sohnes zu beruhigen.

Daß die jungen Leute allerdings spielten, wußte er, jedoch nicht, wie hoch, da er Einladungen zu diesen Spielabenden, die oft an ihn ergangen waren, beständig abgelehnt hatte, und aus triftigen Gründen, welche jene auch gelten ließen; denn wenn Welden auch ein gutes Einkommen hatte, so wußte man dagegen, daß er in jeder Beziehung sehr anständig lebte und kleine Schwächen für eine gute Handzeichnung, für ein schönes Aquarell oder eine kostbare alte Waffe oder dergleichen hatte.

Dem Diner beizuwohnen, fühlte er indessen durchaus keine Lust – während ein paar Stunden all das Geschwätz anhören zu müssen über Mädchen, Pferde und Hunde! Er konnte so später dort erscheinen, um eine Cigarre dort zu rauchen; er erinnerte sich jetzt, das eigentlich auch nur versprochen zu haben, und dann gab es sich von selbst, dem unvermeidlichen Spiele zuzuschauen.

Welden nahm seinen Hut und Paletot und verließ das Zimmer; er mußte an der Küche vorbei, deren Thür weit geöffnet war und deren Beherrscherin, leise vor sich hinsingend, am Herde stand.

»Ah, Herr Welden,« sagte sie, als sie ihn erblickte, »die Frau Oberbauräthin haben schon nach Ihnen gefragt; ich wußte aber nicht, daß Sie auf Ihrem Zimmer waren – ich hatte Sie nicht nach Hause kommen hören.«

»So – ist die Frau Oberbauräthin in ihrem Zimmer?«

»Gewiß, treten Sie nur ein.«

»Ist Gesellschaft da?«

»Niemand, als der Bruder der Frau Oberbauräthin, der Herr Polizeirath Merkel.«

Es war dem Ingenieur angenehm, den Polizeirath zu treffen, weßhalb er denn auch ohne Weiteres seinen Paletot vor der Thür ablegte und in das Zimmer trat.

Madame Lievens saß in der Ecke ihres Sopha's, beim strahlenden Lichte der Carcellampe mit einer Handarbeit beschäftigt, und vor ihr in einem kleinen Fauteuil lehnte behaglich der Polizeirath; er liebte es sehr, um diese Zeit der Dämmerung seine Besuche, besonders bei der einzigen Schwester, zu machen. Verheirathet war er nicht, weßhalb er die Zeit vom Verschwinden des Tageslichtes, bis zum Beginne des Theaters, oder bis zu der Stunde, wo er Bekannte in seinem Club traf, oder wo sonst Gesellschaft anfing, nicht gern in seinen vier Wänden verbrachte; es war ihm keine Erholung, dort allein zu sein, und da er oft tagelang schweigend über den verwickeltsten Akten saß, so fand er großes Behagen daran, in dieser Zwischenzeit sich am liebsten ganz gleichgültigem Geplauder hinzugeben.

Der Polizeirath glich seiner Schwester und war ein schöner Mann, von elegantem Äußern und den besten gesellschaftlichen Manieren; er war es auch fast allein von seinen Collegen, der in die feinsten Kreise gezogen wurde, ja, der sich nicht nur der Gunst seines Ministers, sondern auch der allerhöchsten Zufriedenheit in hohem Grade erfreute. Er hatte schon in den delikatesten Missionen Außerordentliches geleistet, war schon häufig in andere Residenzstädte verschickt, ja, von dort erbeten worden, um in besonders schwierigen Fällen mit Rath und That an die Hand zu gehen. Herr Polizeirath Merkel trug bei passenden Gelegenheiten in den Knopflöchern seines schwarzen Fracks Orden der verschiedensten Potentaten und wäre schon längst durch den Titel »Geheimer Polizeirath« aus den Reihen seiner Collegen emporgehoben worden oder hätte mit dem Titel eines Geheimenrathes in die Regierung treten können, wenn er dies nicht stets hätte zu hintertreiben gewußt, da es in seiner Absicht lag, seinen jetzigen Chef, den Oberpolizeidirektor, einen schon alten Herrn, einstens in dieser hohen Würde zu ersetzen. Faktisch führte er dessen Departement jetzt schon, als Kanzleidirektor der Polizeiabtheilung, ziemlich selbständig, was aber nicht ausschloß, daß er sich interessanten Fällen eben so energisch wie unermüdlich widmete, als sei er einer der jüngsten Polizeibeamten gewesen. Seine Collegen, welche nicht nur seine Leidenschaft für alles das kannten, was mit großer Schwierigkeit verknüpft war, sondern die auch sammt und sonders vor seinem Scharfsinne und seiner Klugheit zurücktraten, überließen ihm bereitwilligst die Aufspürung und Klarlegung irgend eines ganz besonders bemerkenswerthen Verbrechens, und wenn es hieß, der Polizeirath Merkel habe irgend eine Sache ganz besonders in die Hand genommen, so gaben sich die betreffenden Übelthäter, im Eifer, ihm zu entgehen, oft die bemerkenswerthesten Blößen. Wer ihn nicht kannte, hätte ihn aber eher für alles Andere, als für einen Polizeibeamten gehalten; seine offenen, wohlwollenden Züge schienen Einblicke zu gestatten bis in das Innerste seiner Seele, und seine Redeweise war so harmlos, daß es jeder Unbefangene für Unrecht halten mußte, diesem Manne nicht mit dem größten Vertrauen entgegenzukommen.

Wie schon oben bemerkt, saß er am heutigen Abende vor seiner Schwester, der Oberbauräthin, den Hut neben sich auf den Boden gestellt, den Stock quer auf den Knieen liegend, ganz behaglich plaudernd. Beim Eintritte Welden's wollte er sich in höflichster Weise erheben, was der junge Mann nur dadurch verhinderte, daß er rasch hinzutrat, die dargereichte Hand des Polizeiraths ergriff und, einen Stuhl herbeiziehend, sich auf eine Handbewegung der Frau vom Hause ebenfalls niederließ.

Welden erkundigte sich nach dem Befinden der Oberbauräthin, und als ihm diese hierauf genügende Auskunft ertheilt, fragte sie ihn, ob er jetzt erst nach Hause komme.

»Im Gegentheil,« gab der Ingenieur zur Antwort, »ich habe ein paar Stunden auf meinem Zimmer gearbeitet und war gerade im Begriffe, ein wenig an die frische Luft zu gehen – es muß ein herrlicher Abend draußen sein.«

»Wie der ganze heutige Tag,« sagte der Polizeirath. »Der Hof hat wieder einmal das Glück gehabt, das schönste Wetter zu seiner Schlittenfahrt zu haben; Seine Majestät sind darin ganz besonders bevorzugt.«

»Und es ist das wahrlich kein kleines Glück, wenn man dagegen Leute betrachtet, die von der Ungunst des Wetters so zu sagen verfolgt sind – ich zum Beispiel.«

»Sie? Ich hatte das nicht gewußt,« warf Madame Lievens ein, ohne von ihrer Stickerei aufzuschauen.

»Ja, ich, und wie Allem in diesem Leben, muß ich auch dem Wetter seine Gunst förmlich abkämpfen; ich habe das oft erfahren, wo ich bei Bauten sehnsüchtig auf Sonnenschein hoffte und alsdann bei strömendem Regen unter größeren Schwierigkeiten anfangen mußte.«

»Und blieben Sieger, weil Sie nicht nachgaben.«

»Ja, ich erkämpfte mir einen freundlichen Sonnenblick, als sollte ich für meine Beharrlichkeit belohnt werden.«

»Uns geht es auch zuweilen nicht anders, und die moralischen Regengüsse, unter denen wir bei unserer Praxis zu leiden haben, sind oft schlimmer, als die wirklichen.«

»Ja, und was Du am Ende Sonnenblicke nennst,« sprach Madame Lievens zu ihrem Bruder gewandt, »wäre für mich das Fürchterlichste.«

»Es ist das eine Wissenschaft wie jede andere – Sie werden mich verstehen, mein lieber Herr Welden: bei Ihnen eine gelungene Construction, bei mir das verhängnißvolle: ›Ja, ich bin schuldig.‹«

»Haben Sie die Schlittenfahrt heute gesehen?« fragte die Oberbauräthin; »ich fand sie nicht so außerordentlich als ich erwartete.«

»Allerdings nicht sehr zahlreich,« versetzte Welden, nachdem er die an ihn gethane Frage durch ein Kopfnicken bejaht hatte, »doch sah man schöne Schlitten und prachtvolle Pferde.«

»Besonders der des Freiherrn von Rivola,« sprach der Polizeirath; »reizend waren auch die Ponies, Geschirr und Schlitten von dessen Tochter.«

»Und die Kleine selbst,« rief Madame Lievens, »wie sie emporschaute mit einem solchen Ausdrucke von Glückseligkeit auf ihrem rosigen Gesichte!«

»Ist sie doch auch glücklich, dieses junge Mädchen,« sagte Welden nachdenkend, »mit allen Vorzügen des Geistes und des Körpers begabt, jung, schön, reich, die einzige Tochter ihrer Eltern, deren Abgott sie ist.«

»Ja, und Eltern,« stimmte die Oberbauräthin ein, »die im Stande sind, alle ihre kleinen und großen Wünsche zu erfüllen; schon der Gedanke hätte mich als junges Mädchen glücklich gemacht, auch nur ein einziges Mal in einer solchen deliciösen Equipage fahren zu können – der Freiherr von Rivola muß enorm reich sein.«

»Man weiß das nicht so genau,« sprach der Polizeirath, wobei er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und an die Decke emporschaute; »wie über der Herkunft seiner Familie, so schwebt auch über der Quelle seines Vermögens ein gewisses Dunkel, was ich aber wieder begreiflich finde. Der Freiherr von Rivola lebte früher in Belgien; dort war er industrieller Speculant, und wenn man alsdann von dieser bürgerlichen Sphäre in die allerhöchsten Regionen emporsteigt« – bei dem Worte ›emporsteigt‹ zeigte sich ein sarkastisches Lächeln auf den Zügen des klugen Mannes –, »so vermeidet man oft, über etwas Derartiges zu reden, woraus man sich sonst eine große Ehre macht.«

»Das kann man von dem Freiherrn eigentlich nicht sagen,« erwiederte Welden; »er liebt es sogar sehr, seine gediegenen Kenntnisse zu zeigen.«

»Als Kenner – ja, als genauer Kenner, was Handel und Industrie anbelangt, auch als Protector gemeinnütziger Unternehmungen; aber er wird nicht vielen Leuten erzählt haben, daß er in seiner Jugend an der Eisenfabrikation von der Pike auf gedient, daß er am Amboß gestanden und den Hochofen überwacht.«

»Mir hat er davon erzählt.«

»Ein Compliment für Sie, lieber Welden – verzeihen Sie mir, wenn ich Sie in's Gesicht lobe: er wußte, daß sich da die große Intelligenz mit der großen Intelligenz unterhielt; nehmen Sie mir dieses Lob nicht übel, Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze und liebe!«

Der Polizeirath reichte bei diesen Worten dem jungen Manne seine Hand, die Welden kräftig schüttelte, worauf der Andere, zu seiner Schwester gewendet, fortfuhr:

»Ich habe dir schon oft gesagt, daß ich es bedauere, ihn nicht in unserem Departement zu haben, das wäre eine Kraft, auf die man sich verlassen könnte.«

»Mir ist es so lieber!« erwiederte der junge Mann lachend.

»Begreiflich – um aber noch einmal auf Herrn von Rivola zurückzukommen, so ist gerade wohl die Dunkelheit, welche für den großen Haufen auf seinem früheren Leben liegt, schuld daran, daß sich der Stadtklatsch, vor Allem die Kaffeeklatscherei, so gern mit ihm zu schaffen macht – ich kann diese furchtbare Leidenschaft vor dir frei und offen betonen, liebe Sophie, denn so viel ich weiß, bist du keine Liebhaberin dieser Kaffeekränzchen, welche schon so viel Böses gestiftet haben.«

»Ich vermeide sie, wo ich kann,« gab Madame Lievens zur Antwort, »und bin lieber für mich allein oder für ein paar genaue Freunde zu Hause.«

Da sich der Polizeirath in diesem Augenblicke mit der Hand über die Augen fuhr, so warf die schöne Frau über ihre Stickerei hinweg einen raschen, leuchtenden Blick auf Welden, den dieser mit einer kurzen, verbindlichen Verbeugung erwiederte.

»Es ist eigenthümlich,« fuhr der Polizeirath fort, »wie sehr man sich gerade wieder in der letzten Zeit um Rivola bekümmert.«

»Und doch wohl nicht ganz ohne Grund,« meinte die Oberbauräthin; »sie lebten ein paar Jahre still, wenig beachtet auf ihrem Landgute.«

»Wenig beachtet kannst du eigentlich nicht sagen, sie waren in den allerhöchsten Kreisen gern gesehen.«

»Meinetwegen ja; ich will also sagen: sie lebten ohne großen Aufwand bis ganz vor Kurzem.«

»Wo Lucy zurückkam und nun in die Welt eintritt; es ist doch so klar und folgerichtig, daß die Rivola, wenn sie überhaupt ihre Tochter einführen wollen, dies mit einem gewissen Aufwande thun müssen. Aber dieser Aufwand ist es nicht, über den man spricht; der Himmel mag es wissen, woher es kommt, daß wieder einmal, wie früher schon, der alte, harmlose Thurm, welcher dem Freiherrn von Rivola gehört, in aller Welt Munde ist.«

»Wer ist denn in dieser Beziehung alle Welt?« fragte Madame Lievens.

»Amtsgeheimnisse,« erwiederte lachend der Polizeirath. »Ich kann Ihnen versichern, lieber Welden,« wandte er sich an diesen, »auch ohne Kaffeekränzchen zu besuchen, erfahre ich Aehnliches, wie dort verhandelt wird, so viel, daß mir oft die Ohren davon sausen.«

»Und wahrscheinlich oft aus derselben Quelle.«

»Das ist wohl möglich, und dabei ist es zuweilen recht schwer, die Spreu von dem Weizen zu sondern.«

»Treiben wieder einmal Gespenster in dem alten Thurme ihr Wesen?« fragte die Oberbauräthin.

»Nein, aber in dem Keller unter demselben soll Herr von Rivola in jüngster Zeit einen Schatz gefunden haben, der ihn, welcher vis-à-vis de rien gewesen, wieder zum reichen Manne gemacht und ihm gestattet, seinen allerdings etwas großen Aufwand in Pferden, Equipagen, Livreen zu machen, und dabei ist es eigenthümlich, daß mit dieser Schatzgräberei unser ruhiger, ehrenwerther und höchst solider Freund, der Stadtschultheiß, in Zusammenhang gebracht wird.«

»Ah, durch seinen neulichen Antrag, den gewissen unterirdischen Gang zuzumauern,« bemerkte Welden lächelnd – »sehr gut – in der That – natürlich mußte der Gang abgesperrt werden, damit Herr von Rivola ungestört seine Schatzgräberei betreiben konnte – vortrefflich – in der That . . . !«

»Der Stadtschultheiß aber macht keinen Aufwand, der nicht mit seinen Mitteln im Einklange stände.«

»Er allerdings nicht,« erwiederte der Polizeirath, »aber sein Sohn, und wenn es mir auch im Traume nicht einfallen könnte, den Herrn von Rivola durch eine Schatzgräberei, die an sich schon eine Lächerlichkeit ist, mit dem Stadtschultheißen und dessen Sohn in Verbindung zu bringen, so ist es doch wahr und habe ich es aus guter Quelle, daß der letztere, besonders in jüngster Zeit, zuweilen eine recht tolle Verschwendung treibt.«

»Er ist der Liebling seiner Mutter,« sagte Madame Lievens achselzuckend. »Die von der Eschenbach sind eine reiche Familie; sie wird ihm, was sie kann, zu seinen Ausschweifungen geben – sie ist eine gute, aber schwache Frau.«

»Das ist auch meine Ansicht, obgleich man dem Stadtschultheißen über das Treiben seines Sohnes die Augen öffnen sollte.«

»O, er weiß genau davon,« sagte Welden, »und sprach noch heute Morgen mit mir im Vertrauen darüber.«

»Aber komisch ist es doch,« meinte die Oberbauräthin, »daß man den Aufwand des gewiß reichen Hauses Rivola mit den Ausgaben Ferdinands, jenes lockeren Zeisigs, und mit einer Schatzgräberei unter dem alten Thurme in Verbindung bringen will – rein lächerlich, nicht wahr, Joseph?«

»Darüber bin ich ganz deiner Ansicht,« antwortete der Polizeirath nach einer kleinen Pause, während welcher er, das Kinn in die Hand gelegt, sinnend an die Decke emporgeschaut; »ich sehe darin vernünftiger Weise auch nicht den entferntesten möglichen Zusammenhang, und doch ist es mir in meiner Praxis schon vorgekommen, daß Gerüchte und Thatsachen, die mit einander anscheinend eben so wenig in Verbindung gebracht werden konnten, die von den verschiedensten Seiten und mehrmals zu gleicher Zeit an mich hintraten, sich später zu meiner größten Überraschung als ganz genau zusammenhängend darstellten – doch, wie schon gesagt, ganz ohne Vergleichung mit vorliegendem Falle. Gott soll mich bewahren, denn es ist ja heutzutage schon eine Absurdität, an Schatzgräbereien zu glauben, und noch dazu auf einem Boden, der so vielfach durchwühlt ist.«

»Ich war heute Morgen zufällig in jenem unterirdischen Gange,« sagte der junge Ingenieur, »und zwar mit dem Stadtschultheißen; er hatte mich schon lange gebeten, denselben in Augenschein zu nehmen – ich bewunderte seine feste und schöne Construction.«

»Nehmen Sie sich in Acht, lieber Welden, wenn das in einer Kaffeegesellschaft bekannt wird, so werden auch Sie mit jener Schatzgräberei in Verbindung gebracht, – man liebt es überhaupt, Sie mit dem Rivola'schen Hause in Verbindung zu bringen!«

Die Oberbauräthin lächelte bei diesen Worten wohlwollend und freundlich, doch hob sich ihr Busen etwas stärker, als gewöhnlich.

»Ja, und wenn man noch obendrein wüßte, daß wir in der That Metall dort unten gefunden.«

»Wirklich?« fragte Herr Merkel.

»Es ist nur ein Scherz. Wir drangen heute Morgen vor bis zum erwähnten runden Thurme des Herrn von Rivola; da sah ich beim Scheine einer Laterne zwischen Asche und Kehricht etwas hervorglänzen und fand dieses hier.«

Er nahm aus der Westentasche das Metallklümpchen und reichte es dem Polizeirathe.

»Kupfer,« sagte dieser in gleichgültigem Tone; »wenn das nun statt dessen ein erkaltetes Tröpfchen Blei gewesen wäre, so . . .« Er strich sich mit der Hand über die Augen und fuhr dann heiter lächelnd fort: »Wie einem doch die Polizeiwissenschaft förmlich in's Blut geht und wie man dadurch so gern geneigt ist, seine Phantasie über Dinge spielen zu lassen, von deren Grundlosigkeit, ja, Dummheit man sich überzeugt hat.«

Madame Lievens und Welden sahen ihn fragend an.

»Es machte zu gleicher Zeit noch ein anderes, viel tolleres Gerücht seine Runde in den hierzu besonders geeigneten Schichten unserer Gesellschaft. Sie wissen, daß in dem alten Hause des Herrn von Rivola, neben dem Thurme, einer seiner ehemaligen Bedienten wohnt, der gewissermaßen die Aufsicht dort führt und auf diese Art zur Ruhe gesetzt wurde.«

»Ich kenne ihn wohl, den alten Friedrich,« sagte Welden, »ein geschickter Schlosser.«

»Das ist er in der That,« fuhr der Polizeirath fort; »ich erholte mir schon mehrmals Raths bei ihm, noch vor Kurzem in einer verwickelten Angelegenheit, wo er mir constatiren mußte, ob ein überaus künstliches Schloß ohne den hierzu gefertigten Schlüssel geöffnet und wieder habe geschlossen werden können. – Dieser Mann hatte eine sehr kränkliche Frau, seit Jahren vom Schlage gelähmt, die er aber mit äußerster Sorgfalt und Liebe pflegte. Wir wissen das ganz genau – wir, die Polizei,« setzte er mit einem komisch gravitätischen Lächeln hinzu, indem er sich mit dem Zeigefinger auf die Brust tippte, »wie wir überhaupt Manches wissen, von dem sich die Schulweisheit Anderer nichts träumen läßt. Nun erfuhr ich vor ein paar Tagen, diese Frau sei gestorben, und dabei wahrhaft beunruhigende Nebenumstände, so bestimmt zwar, daß ich mich veranlaßt sah, ganz im Vertrauen mit dem Hausarzte jenes Mannes über die Sache zu reden; doch that ich das eigentlich nur, um Andere überzeugen zu können, denn ich selbst fühlte im ersten Augenblicke, daß an diesem Gerüchte eben so wenig war, als an dem von der Schatzgräberei, was mir denn auch jener Arzt bestätigte, indem er mir den Todesfall erzählte und klar aus einander setzte; die arme Frau, von dem langen Krankenlager geschwächt, war sanft und ruhig entschlafen, zufällig und vielleicht glücklicher Weise in des Arztes Gegenwart.«

»Die Ausbreitung solcher Gerüchte sollte aber nicht unbestraft bleiben,« sagte die Oberbauräthin – »wer hat nicht schon unter Ähnlichem leiden müssen?« – Sie seufzte leicht auf, indem sie einen raschen Blick auf den Ingenieur warf.

»Dieses Mal interessirt es mich ganz besonders, der Entstehung jenes Gerüchtes auf die Spur zu kommen,« fuhr der Polizeirath fort, »was mir auch in so fern gelungen, als ich festzustellen vermochte, daß am Tage nach einer gewissen Kaffeegesellschaft, die ich allerdings nicht näher zu bezeichnen vermag, in drei oder vier Häusern zugleich von dieser Angelegenheit gesprochen wurde.«

»Man sollte eigentlich alle Kaffeegesellschaften verbieten,« meinte Welden lächelnd.

»Oder wenigstens einen Polizeibeamten beiordnen, wie es ja bei minder gefährlichen Versammlungen zu geschehen pflegt,« sagte die Oberbauräthin.

»Oder einen eigenen Verleumdungscodex ausarbeiten lassen,« sprach der Polizeirath, »mit großem Spielraume für den betreffenden Beamten: Entziehung des Kaffee's für sechs bis acht Wochen, Schloß vor den Mund von einem bis zu acht Tagen – und welchen Dank man sich durch letztere Maßregel bei allen Ehemännern verdienen würde! Diese selbst würden alsdann die unerbittlichsten Angeber ihrer Frauen sein. Doch Scherz bei Seite – ich sagte da vorhin, wie man doch so gern geneigt ist, die Phantasie auf unsere ernstesten Geschäfte einwirken zu lassen, wenigstens geneigt sein könnte, denn dadurch setzt man so leicht furchtbare und dabei glaubenswürdige Geschichten zusammen; die kranke Frau hätte über Nacht, ohne Beisein eines Arztes sterben können, und das Gerücht hätte sich mit viel mehr Wahrscheinlichkeit jenes Todesfalles bemächtigt, als es jetzt gethan. Man wäre alle möglichen unnatürlichen Todesarten durchgegangen, denen sie hätte erliegen können, und wenn Sie, lieber Welden, nun unter der Wohnung des Betreffenden in Asche und Kehricht statt des Kupfers ein geschmolzenes Tröpfchen Blei gefunden, so hätte man ja am Ende auch an eine neue Auflage jener alten Geschichten glauben können, wo der Betreffende dadurch getödtet wurde, daß man ihm ein Tröpfchen Blei in's Ohr goß und den kleinen Rest der übrig gebliebenen Masse unvorsichtiger Weise in die Kohlenasche schüttete.«

»Du bist ein schrecklicher Mensch!« sagte die Oberbauräthin; »so oft du Abends bei uns bist und deine Geschichten vorbringst, träume ich in der Nacht von Mördern und Gespenstern.«

»Und mit großem Unrecht, denn was ich dir erzähle, hat meistens einen versöhnenden Schluß, wie auch dieses Mal wieder; die arme Frau wurde auf die natürlichste Weise von ihren Leiden erlöst, unser Freund Welden fand kein Tröpfchen Blei, sondern ein Bißchen Kupfer, und so verschwindet das Geheimnißvolle wenigstens in dieser Richtung, das man wieder einmal mit jenem alten Hause in Verbindung gebracht, ohne daß aber ähnliche Gerüchte deßhalb ganz aufhören werden; so ein alter Thurm mit einem unterirdischen Gange bietet eine gar zu prächtige Gelegenheit und ist und bleibt gewissermaßen ein Geheimniß der Stadt – daß unser verehrter Freund, der Stadtschultheiß an dieses Geheimniß gerührt, dadurch entstand die Sage von der Schatzgräbern, welche Nahrung findet durch die allerdings etwas tolle Verschwendung seines Sohnes.«

»Er muß Schulden machen, und bedeutende Schulden,« bemerkte Welden, »denn ich kann Sie versichern, Herr Polizeirath, daß der Stadtschultheiß eben so betrübt als erstaunt über die enormen Ausgaben seines Sohnes ist.«

»Allerdings macht er Schulden, Wucherschulden, und wird sich in Kurzem auf eine böse Art hineingeritten haben, und dabei ist es merkwürdig, daß, was diese Schulden anbelangt, die Fäden auch wieder in dem Hause an dem alten Thurme zusammenlaufen. Dort wohnt eine sichere Frau Mayer, bei der Herr Ferdinand Welkermann seine kleinen Anleihen negociirt. Das ginge uns eigentlich nichts an, aber er spielt und verführt auch andere junge Leute dazu – es thäte mir wahrhaftig leid um den Stadtschultheißen und um die Stellung des jungen Mannes bei der Bank, wenn wir uns gelegentlich einmischen müßten.«

Welden gedachte hier seines Versprechens, das er Ferdinand halb und halb gegeben, und beschloß, den jungen Mann aufzusuchen, um durch eine Warnung, die er ihm natürlich in aller Discretion zukommen ließ, vielleicht sein dem Stadtschultheißen gegebenes Versprechen lösen zu können.

Die Oberbauräthin entließ ihn, wobei sie ihm auf die unbefangenste Art ihre Hand reichte und dann in ziemlich gleichgültigem Tone sagte: »Wenn Sie nicht zu spät nach Hause kommen, lieber Welden, so finden Sie uns noch und bekommen eine Tasse Thee; ich glaube, mein Mann hat etwas mit Ihnen zu reden. Gehst du auch schon?« fragte sie den Polizeirath, der sich ebenfalls erhoben hatte und seinen Hut in die Hand nahm.

»Ja, ich habe noch privatim eine kleine Runde zu machen. Es wäre interessant für Sie, lieber Welden, wenn Sie mich begleiten könnten, das heißt, wenn ich Ihnen das Geschäftliche meines kleinen Abendspazierganges mittheilen dürfte – leider aber sind das Amtsgeheimnisse.«

»Wofür dir Herr Welden nur dankbar sein kann,« sagte die schöne Frau, welche den Augenblick benutzt hatte, wo der Polizeirath aus der Ecke des Zimmers seinen Paletot herbeiholte, um dem jungen Ingenieur einen fast düster leuchtenden Blick zuzuwerfen. »Warum soll er sich seine Einbildung mit deinen Rabengeschichten bewölken lassen? – Gehen Sie nicht mit ihm und kommen recht bald wieder.«


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