F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Weldens Angelegenheit, sein verhindertes Duell anbelangend, hatte sich für ihn so unangenehm entwickelt, als er es an dem betreffenden Morgen in seiner finsteren Phantasie vorausgesehen. Nachdem er hierauf später den Polizeirath verlassen, hatte er einen Brief an Ferdinand Welkermann geschrieben, worin er diesen um eine Unterredung gebeten, darauf aber die Antwort erhalten, er, Welkermann, könne sich durchaus nicht entsinnen, welches Geschäft Herr Welden mit ihm abzumachen habe – sollte es eine gewisse Angelegenheit betreffen, so sei dazu die bekannte Mittelsperson, Herr Lieutenant von Miltau in Anspruch zu nehmen.

Welden versuchte hierauf, den Herrn Baron von Rivola zu sprechen, doch sagte man ihm auf Eichenwald, die Familie sei nach der Stadt gefahren und würde schwerlich in den nächsten Stunden zurückkehren. Auch wurde ihm ein Schreiben, das er auf dem Landhause zurückließ und worin er für den folgenden Tag um eine Unterredung bat, am nächsten Morgen von dem Freiherrn mit den kurzen Zeilen beantwortet: ›obgleich der ergebenst Unterzeichnete sich nicht genau erinnere, daß er etwas Geschäftliches mit dem Herrn Ingenieur Welden zu verhandeln habe, so werde er doch morgen Nachmittag zwischen zwei und vier Uhr auf seinem Landhause zu sprechen sein.‹

Welden machte sich schon gleich nach Mittag auf den Weg und ging langsam die Höhen hinan bis zu den Trümmern des alten Wartthurmes, an welchen er sich eine Zeit lang, auf die Stadt hinabblickend, lehnte. Er hatte keinen bestimmten, am allerwenigsten einen heiteren Gedanken, den er verfolgte, und die Bilder der letzten Tage waren so trauriger, entsetzlicher Art gewesen, daß er nur mit einem schmerzlichen Ausrufe des Tages gedenken konnte, an welchem er zuletzt hier oben gestanden und wo er so unverhofft durch die Erscheinung Lucy's von Rivola erfreut worden war.

Wie hatte sich in der kurzen Zeit alles das geändert, und obgleich rings umher der warme Hauch einer entzückenden Frühlingsluft auf ihn einwirkte, so hätte er doch viel lieber Schnee und Eis auf den Fluren gesehen, an seiner heißen Stirn gefühlt, als in seinem Herzen, aus dem alle Frühlings- und Lebenslust verschwunden war.

Wie hatten ihm die kalten, kurzen Zeilen des ihm sonst so freundlich gesinnten Freiherrn von Rivola durch die Seele geschnitten – also auch da wußte man schon genugsam von seiner Angelegenheit. – »Desto besser,« murmelte er trotzig durch die zusammengebissenen Zähne, »so kann ich mir jede Einleitung ersparen!«

Er schritt rüstig aus und hatte in Kurzem Eichenwald erreicht.

Ob man dort seine Ankunft schon von Weitem bemerkt oder ob sich der Kammerdiener zufällig im Garten befand, um ihn in ein kleines Vorzimmer neben dem Schreibcabinet zu führen, wo er einen Augenblick warten möge, anstatt in den Salon zu Frau von Rivola, wie sonst wohl geschehen, wenn der Herr des Hauses verhindert war, ihn augenblicklich zu empfangen – was lag daran, es war das eine bezeichnende Nachschrift zu den erhaltenen Zeilen, und er wartete geduldig.

Frau von Rivola war zu Hause; er hörte den Ton ihrer Stimme, als sie die Thür des Salons öffnete und dem dort wahrscheinlich auf der Schwelle befindlichen Diener einige Worte sagte. Auch Lucy war da; er vernahm die leise widerhallenden Töne ihres Flügels, welcher in dem Zimmer der Frau von Rivola stand. Wie oft hatte man ihn, an das Instrument gelehnt, zuhorchen lassen, eine Gunst, die ihm damals nicht so groß erschienen war, wie jetzt; denn was würde er im gegenwärtigen Augenblicke darum gegeben haben, wenn ihn Lucy hereingerufen, wenn er hätte zuschauen dürfen, wie ihre feinen Finger über die Tasten flogen, ihrem prächtigen Spiele lauschend, wenn sie ihr glänzendes Auge zu ihm mit der Frage erhoben hätte: Gefällt Ihnen das, mein lieber Herr Welden, oder soll ich Ihnen etwas Anderes spielen?

Ob wohl der Kammerdiener angewiesen war, ihn anders zu empfangen, als sonst? Er mochte das nicht glauben. Auch hatte ihn der alte Mann freundlich, wie immer, in das kleine Vorzimmer geleitet und dort einen Stuhl herbeigerückt.

»Sie kommen etwas zu früh, Herr Welden, es ist erst halb zwei Uhr; doch wird der gnädige Herr, der sich in der Stadt befindet und immer sehr pünktlich ist, sicher um zwei Uhr erscheinen.«

Und so war es denn auch; die Uhr auf dem Kamine zeigte noch einige Minuten vor der bezeichneten Stunde, als Welden das Rollen eines Wagens vernahm, der an der Seite des Hauses neben dem Stallgebäude hielt, sowie gleich darauf den festen, schweren Schritt des Herrn von Rivola, der rasch in das anstoßende Schreibzimmer eintrat und sich dort, wie der junge Ingenieur hörte, in seinen Lehnstuhl niederließ. Doch verblieb er nicht lange so, sondern Welden vernahm, wie er gleich darauf mit hastigen Schritten in dem Schreibzimmer hin und her ging.

Die Uhr zeigte schon zehn Minuten nach Zwei, als der Kammerdiener vom Gange her eintrat und dem Wartenden zuflüsterte: »Der gnädige Herr scheint Sie vergessen zu haben, ich werde ihn nochmals an Sie erinnern.«

»Bitte aber, hinzuzusetzen, daß ich gern länger warte und auch die Zeit dazu habe, wenn es dem Herrn Baron ungelegen sein sollte, mich jetzt zu sehen.«

In der That dauerte es auch noch eine gute Weile, ehe der Kammerdiener die Thür öffnete und den jungen Mann durch eine Handbewegung ersuchte, einzutreten.

Herr von Rivola stand am Fenster, und als er sich langsam gegen Welden umwandte, erschrack dieser über die auffallende Blässe seines Gesichtes. Auch lag etwas Verstörtes über den Zügen des alten Freiherrn, das er vergebens durch ein sehr kaltes Lächeln zu verdecken sich bemühte.

»Sie haben mich zu sprechen gewünscht,« sagte er, indem er mit steifer Förmlichkeit auf einen Stuhl zeigte und sich selbst langsam und mühevoll in seinen Schreibsessel niederließ.

»Erlauben Sie mir, daß ich stehen bleibe,« sagte Welden nach einer absichtlich ziemlich langen Pause, während welcher er darauf gewartet hatte, daß ihn Herr von Rivola anschauen würde; doch dieser hatte seine Augen auf den Fußboden geheftet, hatte die Hände gefalten und ganz das Aussehen eines Mannes, der viel mehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist, als mit dem, was der Andere im Begriffe ist, ihm zu sagen.

»Sie erlauben mir, stehen zu bleiben?« wiederholte deßhalb Welden in lauterem Tone.

»Wie es Ihnen beliebt – gewiß,« versetzte Herr von Rivola, aus seinen Träumereien auffahrend.

»Gestatten mir vielleicht auch, offen und ehrlich mit Ihnen zu reden, Herr Baron, wie ich das stets gethan?«

»Auch das – ah ja, ich erinnere mich, Ihre Worte waren stets die eines offenen und redlichen Mannes,« erwiederte der Andere, wobei er auf den Ausdruck »Worte« einen so besonderen Nachdruck legte, daß Welden fragen mußte:

»Nur meine Worte, Herr Baron?«

»Habe ich so gesagt? O, wenn es Ihnen gefällig wäre, wollen wir nicht über Worte streiten, noch viel weniger über den Ausdruck derselben; Sie baten mich um eine Unterredung, me voilà, und vielleicht halten Sie es nicht unartig von mir, daß ich später Anderes zu thun habe?«

Der junge Mann biß die Lippen auf einander, und man sah es seinem leuchtenden Blicke an, daß er im Begriffe war, etwas darauf zu erwiedern, was er vielleicht im nächsten Augenblicke bereut hätte; doch zwang er sich, trat einen Schritt näher und sagte alsdann, nachdem er sich rasch mit der Hand über die Stirn gefahren, in dem tiefen, treuherzigen Tone, der ihm so eigen war: »Herr Baron, ich bitte Sie herzlich, unsere Unterredung nicht in dem Tone fortführen zu wollen, wie Sie dieselbe begonnen, und muß ich Ihnen wiederholen, daß nicht nur meine Worte Ihnen gegenüber stets offen, ehrlich und frei von jedem Vorwürfe waren – ja, ich habe Sie um eine Unterredung gebeten, um Ihnen zu beweisen, daß es unrecht ist, mich darunter leiden zu lassen, daß die Macht der Verhältnisse stärker ist, als ich.«

Und nun erzählte er ihm mit kurzen, aber bestimmten Worten, was sich gestern Morgen in seinem Zimmer begeben, ohne irgend einen Namen zu nennen, ohne aber auch als Mann dem Manne gegenüber irgend etwas Erhebliches zu verschweigen, und dabei wußte es Gott allein, wie schmerzlich es ihm wurde, sich gerade dem, der vor ihm saß, so ohne Rückhalt entdecken zu müssen. Aber er hielt es für nothwendig, von jener wilden Betäubung zu sprechen, die ihn umfangen gehalten, die ihn verhindert, sein Zimmer, das Haus, in welchem er wohnte, früher zu verlassen, als es selbst nothwendig gewesen wäre, um zur bestimmten Stunde auf dem bezeichneten Platze zu erscheinen.

»Daß etwas Entsetzliches in dem Zusammentreffen aller dieser Umstände für mich liegt, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, aber hier hebe ich meine Hand zum Schwure auf und nehmen Sie meine Versicherung als den feierlichsten Eid, daß ich weder etwas geahnt von der Verhaftung Ferdinand Welkermanns, noch viel weniger etwas dazu beigetragen!«

Der alte Herr hatte Welden aufmerksam zugehört und that einen tiefen Athemzug, als jener geendet. Daß er keine Lüge gesprochen, dafür zeugte der offene und ehrliche Blick seines Auges. Das schien auch Herr von Rivola zu empfinden, denn er nickte leicht mit dem Kopfe, um aber gleich darauf achselzuckend zu sagen: »Und wenn dem in der That so ist, so würden Sie doch das Opfer dieses Zusammentreffens von Umständen sein, und wenn ein Gott sichtbares Zeugniß für Sie ablegte, die Welt wird Sie, verzeihen Sie mir den harten Ausdruck, nicht nur für einen feigen Menschen halten, sondern auch, was eben so schlimm ist, für einen Niederträchtigen, der den Ruf einer armen Frau compromittirt hat, um sich aus der unangenehmen Geschichte zu ziehen.«

»Herr von Rivola!« brauste der junge Ingenieur auf.

»Ich habe gesagt, die Welt wird so sprechen.«

»Und Sie dachten so – o, ich las das in dem kalten Tone Ihrer Zeilen!«

»Wenn ich wirklich so gedacht,« entgegnete der Andere in einem kühlen Tone, »so können Sie mir auch meine Zeilen nicht verübeln, denn ich erlaubte mir, hier auf dieser Stelle meine Ansicht über das, was auf die Ihnen angethane Beleidigung folgen müsse, sehr klar, denke ich, aus einander zu setzen – Sie handelten anders . . .«

»Ich nicht, Herr Baron – bei Gott, ich nicht – die Umstände handelten für mich, und wenn Sie meinen Worten von vorhin nur den geringsten Glauben schenken, so bitte ich Sie um Ihren Rath, was ich weiter thun soll.«

»Der ist nicht leicht zu geben, ja, unmöglich; thun Sie, was Sie wollen, die Welt wird Ihnen keinen Glauben schenken.«

»Die Welt?« rief der junge Mann heftig aus. – »Wer ist denn die Welt, die es wagen kann, uns so zu tyrannisiren? Wer hat das Recht, uns zu Tode zu hetzen mit den grimmigen Furien der Verleumdung?«

»Die Welt oder was wir so nennen, ist allerdings ein Phantom, das aus Tausenden von Zungen besteht, von denen wir nicht im Stande sind, einer einzigen Stillschweigen zu gebieten.«

»Dann kümmert mich die Welt auch nicht, wenn ich es nur vermag, denen, an deren Achtung und Freundschaft mir gelegen ist, meine Unschuld zu beweisen.«

»Und können Sie das?« fragte Herr von Rivola mit einem zweifelhaften Lächeln.

»A–a–a–ah, diese Frage aus Ihrem Munde wirft mich furchtbar darnieder – also auch Sie, Herr Baron, der mich seit Jahren kennt, der mir die herzlichste Freundschaft bewiesen, der mich, einen Mann ohne Rang und Namen, freundschaftlich bei sich im Kreise seiner Familie aufgenommen – auch Sie glauben mir also nur aus Höflichkeit, vielleicht aus Mitleiden, nicht aus Überzeugung?«

Welden zuckte furchtbar zusammen und drückte seine Hände einen Augenblick mit einem Ausrufe des Schmerzes gegen seine Stirn, als er bemerkte, wie Herr von Rivola, die Achseln zuckend, neben ihm vorbei in's Leere hinausschaute. – »Also auch Sie?«

Der alte Herr erhob sich langsam und trat an das Fenster, von wo er, ohne Welden anzuschauen, herübersprach: »Und doch will ich Ihnen einen Rath geben: Sie sind ein Mann von großen Kenntnissen, Sie haben viel gelernt, Sie sind jung, ach, und die Jugend ist ein großes Glück – man vergißt, man schmiegt sich leichter – verlassen Sie die Stadt, das Land und kümmern sich den Teufel um das, was man Ihnen hier nachredet.«

»Ja,« antwortete der Andere mit dumpfem Tone, »das ließe sich auf Wochen, auf Monate, auf Jahre thun, bis mich irgend eine gute Seele in Amerika, in Asien wiedersieht und dort derselben Welt, von der Sie vorhin sprachen, darüber Aufklärung gibt, warum ich eigentlich mein Vaterland verlassen – und dann – nein, Herr Baron, jetzt von hier verschwinden, gäbe ich der Verleumdung Recht; vielleicht bleibt mir noch ein anderer Weg; ich werde alle Rücksicht bei Seite setzen, ich werde mich an die Fersen des Polizeirathes heften, ich werde ihn zwingen, daß er öffentlich den Grund angibt, weßhalb er Ferdinand Welkermann verhaftet.«

»Um das Duell zu verhindern.«

»O nein, das ist nicht der wahre Grund, hat er mir doch selbst gestanden, daß er vielleicht in einigen Tagen im Stande sein werde, durch Nennung eines anderen Grundes meine Unschuld zu beweisen.«

Während der eben stattgehabten Unterredung hatten die Gesichtszüge des Herrn von Rivola die Blässe, welche dem jungen Manne aufgefallen war, verloren und beinahe ihre natürliche Farbe wieder angenommen; jetzt aber, bei den letzten Worten Weldens erschien der alte Herr bleicher wie zuvor; alle Energie war von seinen Zügen gewichen, seine soeben noch fest zusammengepreßten Lippen waren schlaff und faltig. Letzteres aber dauerte nur einen Augenblick, dann raffte er sich mit einem etwas erkünstelten Lächeln auf und sagte, indem er das Gesicht dem Fenster zuwandte: »Redensarten das – und was könnte eine Veranlassung abgeben, gegen Herrn Ferdinand Welkermann auf diese Art einzuschreiten – gegen ihn, den Sohn des Stadtschultheißen, eines so geachteten Mannes – gegen ihn, der vielleicht, wie viele junge Leute, ein leichtes Leben führt, aber, so viel ich weiß, nie zu einer Klage Veranlassung gab, welche ihn mit der Polizei in Berührung bringen könnte?«

»Das ist ganz meine Ansicht – ich dachte schon: Schulden, doch würde der Polizeirath Merkel, wenn das der Fall wäre, jeden anderen Versuch gemacht haben.«

»Gewiß – ich glaube nicht, daß Herr Welkermann Schulden hat, die ihn geniren – es wäre dies wenigstens unverantwortlich bei den Quellen, die ihm zu Gebote stehen.« – Die letzten Worte murmelte Herr von Rivola fast unhörbar. – »Also ist das Duell der einzige Grund, und kann ich nur bedauern, daß Sie nicht rascher zu Werke gegangen sind.«

»Auf die Gefahr hin, Ihre Zeit länger in Anspruch zu nehmen, als es Ihnen vielleicht lieb ist,« gab hierauf der Ingenieur in sehr ruhigem und festem Tone zur Antwort, »muß ich mir doch erlauben, Ihnen zu sagen, daß ein Zusammentreffen von Umständen mich zu der Ansicht führt, als läge in der That ein anderer Grund zur Verhaftung Ferdinand Welkermann's vor.«

»Und welche Umstände, wenn ich bitten darf?«

»Ich war gestern früh bei dem Polizeirath Merkel.«

»Sie verkehren viel mit der Polizei, wie mir vorkommt?«

»Nicht mehr, als mir nöthig erscheint. – Ehe ich aber dort mit Herrn Merkel verkehren konnte, war ich, ohne das gerade zu wollen, Zeuge einer kurzen Unterredung zwischen dem Polizeirathe und einem jungen Manne, der, wie es den Anschein hatte, von einer Reise ziemlich unfreiwillig zurückgekehrt war, denn ich sah ihn in Begleitung eines Polizeiagenten und hörte, wie man ihn auf ein Zimmer der Polizeidirektion brachte.«

Herr von Rivola hatte seine Hand fest auf den bronzenen Griff des Fensterverschlusses gelegt, wobei er so angelegentlich in die Landschaft hinausblickte, daß man hätte glauben können, er überhöre die Worte des Anderen, wenn er nicht mit leiser Stimme gefragt hätte: »Und in welchem Zusammenhange glauben Sie nun, daß der junge Mann mit Herrn Welkermann steht?«

»Das weiß ich nicht, nur hörte ich, daß er, ehe er in Begleitung des Polizeiagenten das Zimmer verließ, die Frage stellte, ob es ihm nicht vergönnt sei, hiesige Gönner von seinem unfreiwilligen Aufenthalte in Kenntniß zu setzen.«

»Erstaunlich – und als seinen Gönner bezeichnete er Herrn Ferdinand Welkermann?«

»Ja, Herr Baron, und nannte auch noch einen anderen Namen, den Ihrigen.«

»A–a–a–ah – in der That, außerordentlich – vielleicht ein armer Teufel, dem ich Wohlthaten erzeigt – Sie kannten jenen jungen Mann nicht?«

»Ich kannte ihn nicht, hörte aber, daß ihn der Polizeirath Steffler nannte.«

»Ein Name – mir gänzlich – unerinnerlich,« sprach Herr von Rivola nach einer Pause, während welcher er offenbar über diesen Namen nachgedacht hatte. »Aber ich begreife immer noch nicht, wie die Sache mit Herrn Welkermann damit in Zusammenhang gebracht werden kann.«

»Aufrichtig gesagt, bin auch ich nicht im Stande, eine solche Verbindung nachzuweisen; doch es gibt Augenblicke, wo ein einziges Wort im Stande ist, uns das Dunkel einer ganzen Reihe unerklärlicher Thaten aufzuhellen, ein Licht, allerdings rascher wieder verschwindend, wie ein Blitzstrahl in der Nacht – aber er hat zu unseren Füßen den Pfad erleuchtet, der uns sicher am Rande des Abgrundes hinführt.«

Ein schwerer Seufzer rang sich aus der Brust des alten Herrn. – Er hatte jetzt beide Hände auf den Bronzegriff am Fenster gestützt und seinen Kopf darauf gelegt. So verharrte er über eine volle Minute, und als er sich hierauf umwandte und zu Welden mit matter Stimme sagte: »Entschuldigen Sie mich, ich fühlte mich heute Morgen schon angegriffen und jetzt ernstlich unwohl!« da war sein Aussehen ganz so, um diesen Worten vollen Glauben beimessen zu lassen.

»Ich bedauere das aufrichtig,« entgegnete Welden, »hatte ich doch immer noch gehofft, heute so von Ihnen scheiden zu können, wie ich bis jetzt immer so glücklich war, es zu thun, mit dankbarem Herzen von einem wohlwollenden Freunde – so aber . . .« Er vollendete den begonnenen Satz nicht, da er sah, wie Herr von Rivola, auf seinen Lehnsessel niedersinkend, ihm wie zum Abschiede mit der Hand winkte; nur sagte er noch, ehe er das Zimmer verließ: »Ich darf mich vielleicht noch nach dem Befinden der verehrten Frau Baronin und Fräulein Lucy's erkundigen?«

»Sie befinden sich wohl – sehr wohl – ich danke Ihnen – sind aber beide verhindert, Sie zu sehen.«

Ein schmerzliches Lächeln flog über die Züge des jungen Mannes, als er durch das Vorzimmer auf das Vestibüle trat, und sein Blick wurde nicht heiterer, als er auch jetzt wieder die Töne vernahm, welche Lucy ihrem Instrumente entlockte. Sie spielte ein Volkslied, dessen Worte er ihr erst vor Kurzem aufgeschrieben:

Ich möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still.

Worte und Gesang folgten ihm zum Hause hinaus und begleiteten ihn auf seinem einsamen Gange nach der Stadt.

Aber wenn sein Herz grausam zerrissen war, sein Denken, sein Fühlen von einer tiefen Nacht umgeben, in der ihm kein Hoffnungsstrahl mehr leuchtete, so war doch der Zustand seines Innern wahrhaft beneidenswerth, ja, wahrhaft glückselig zu nennen im Gegensatze zur verzweiflungsvollen Stimmung des Herrn von Rivola.

Als Welden den Freiherrn von Rivola verlassen hatte, sank dieser auf erschreckende Art in seinem Sessel zusammen. – Ja, ja, es war ein anderer Grund vorhanden, um dessentwillen Ferdinand Welkermann verhaftet war – hatte er doch heute Morgen selbst einen Besuch bei dem Bankdirektor gemacht und war von diesem mit den Worten empfangen worden: »Ich muß Ihnen ehrlich sagen, verehrtester Herr und Gönner, daß es mich in der That freut, auch Sie einmal im Irrthume gefunden zu haben! – Wie so? Womit? – Weil die angebrannte Fünfhundertgulden-Note, die Sie für echt erklärten, in der That ebenfalls eine verfluchte Fälschung ist. Sie zweifeln? Sehen Sie hier, unser großer Chemiker, Professor Förster, hat es herausgebracht, daß dieser Zahl an der Spitze meines Bleistiftes mit Tusche nachgeholfen worden ist!« – Da hatte ihn ein furchtbarer Schrecken erfaßt, obgleich ihm der Bankdirektor nichts Neues sagte. – »Sie werden vielleicht glauben, wir hätten es hier mit einer Note zu thun,« hatte jener fortgefahren, »die echt ist und an der sich vielleicht Jemand den Spaß gemacht, einer nicht ganz scharfen Zahl auf diese Art nachzuhelfen; aber bei den echten sind alle Zahlen scharf und deutlich, wie Sie sich sogleich an tausend Exemplaren überzeugen können. Den Verbrechern hat auf dieser Stelle ein Stempel versagt, denn hier haben Sie zwanzig Fünfhundertgulden-Noten, auf welchen allen ohne Ausnahme dem betreffenden Vierer nachgeholfen worden ist!«

Glücklicher Weise war Herr Schwemmer kein Mann, welcher in dem Gesichte eines Anderen richtig zu lesen verstand, sonst hätte er das Erbleichen des Herrn von Rivola, das Zucken seiner Mundwinkel, den perlenden Schweiß auf dessen Stirn wohl für etwas Anderes gehalten, als die gränzenloseste Überraschung oder den Ausdruck des Verdrusses, sich so sehr geirrt zu haben. Dagegen hatte der Freiherr wohl gesehen, daß der Bankdirektor ihn, wie immer, mit dem vollsten Vertrauen, mit der größten Unbefangenheit behandelte; hatte er ihm doch mit vorgehaltener Hand de moi à vous ganz confidentiel die Mittheilung gemacht, daß der Polizeirath Merkel eine Spur zu haben glaube.

Und nun war ihm von einer anderen Seite die Kunde gekommen, daß Steffler sich in den Händen des Polizeirathes befinde.

Doch so zusammengedrückt, so vernichtet auch in diesem Augenblicke die Elasticität seines Geistes war, so kehrte doch nach und nach die Spannkraft seines Körpers wieder und wirkte auf seine Seele ein: Und wer ist Steffler? – Ein liederliches, nicht zu beachtendes Subjekt, dem ich Wohlthaten erzeigt – was weiß er von der ganzen Geschichte? So gut wie gar nichts. Daß ich aus Mitleiden, um ihm Beschäftigung zu geben, ihn eine unbedeutende Arbeit machen, ihn eine nichtssagende Arabeske schneiden ließ – bah – was ist das weiter? – Ich werde alt – alt, das ist das größte Unglück – vor Jahren hätte ich über das allerdings unbehagliche Zusammentreffen von Umständen gelacht, ja, es hätte mir Freude gemacht, auf diese Art in einen Kampf des Geistes verwickelt zu werden – der Geist eines Mannes wie ich gegen den eines Polizeirathes Merkel! – Aber auch die Beklemmung hier,« fuhr er, nach einem tiefen Athemzuge auf die breite Brust klopfend, fort, »wird und muß vorübergehen, und dann wollen wir frei vor die Welt hintreten, keck und dreist, jedes Zucken irgend einer Wimper beobachtend, Blick um Blick furchtlos erwidernd – dann wollen wir sehen, ob der Verdacht, selbst des Kühnsten, sich an mich wagen wird!«

»Aber dieser Welkermann? – Ein Verschwender und Spieler, ein leichtsinniger junger Mensch – selbst wenn man ihn zwingen könnte, seine Geldquelle anzugeben – und man wird das thun, da dieses gedankenlose Thier durch Verbrennen der bewußten Banknote die Aufmerksamkeit erregt – wenn er von Anleihen spricht, die er da und dort gemacht, von der Güte seiner Mutter, deren blinde Liebe ihm glücklicher Weise mehr gab, als sie verantworten kann, wenn er alsdann mich nennt, der ihm mit ziemlichen Summen aushalf – was kümmere ich mich darum – war es meine Pflicht, falsche Banknoten zu erkennen, und wie konnte ich das überhaupt, da das selbst den Bankbeamten und dem Chef der Notenfabrikation so lange unmöglich war? – Kann man offener verfahren, als ich es that, da ich so häufig meinen Namen auf große Noten setzte, um Niemanden im Dunkel zu lassen, daß dieselben in meinem Besitze gewesen? – Und wenn Welkermann selbst davon reden sollte, daß er mir häufig Noten umgewechselt, wußte ich denn, ob er das offen an der Bankkasse that, und brauche ich das zu verheimlichen? – Nein – nein und tausend Mal nein! – Was mich allein betrübt, war die Schwäche, die mich heute Morgen und soeben wieder angewandelt – noch vor diesem Welden. – Dieser junge Mensch, fuhr er unmuthig auf, dem ich so herzliches Wohlwollen gezeigt und der, statt meinem Rathe zu folgen, mindestens mittelbar Veranlassung gab, daß die Polizei sich in seine Angelegenheiten mischte – hol' ihn der Teufel! – Doch, was liegt an all' dem, ich fühle es, mein Geist ist noch frisch, wie damals, und der alte Körper soll es wagen, sich gegen diesen Geist aufzulehnen – offenes Auge, heitere Stirn – vogue la galère!«

Die Lebhaftigkeit, mit der Herr von Rivola das Vorstehende gedacht, theilweise auch halblaut vor sich hin gesprochen, ja, die Zuversicht, die damit wieder in sein Herz gekommen, hatte sein Blut rascher kreisen lassen und seine Wangen wieder mit dem gewöhnlichen Roth gefärbt, weßhalb er auch ein leises Klopfen an der Thür, nachdem er rasch einen Blick in den Spiegel geworfen, mit einem lauten »Herein!« beantwortete.

Es war Frau von Rivola, welche mit einem Briefe in der Hand eintrat. »Verzeihe, wenn ich dich störe,« sagte sie, »aber ich erhielt da soeben ein Schreiben meines Vetters Hartenstein, des alten Grafen nämlich, dessen Inhalt dir nicht unangenehm sein wird.«

»So, willigt er ein?«

»Nach einigen ausgesprochenen Zweifeln und Bedenken, ja. Du, weißt, ich habe keine Geheimnisse vor dir, und mag dir deßhalb auch nicht vorenthalten, daß . . .«

»Deine Familie noch immer nicht einen kleinen Zweifel an dem genügenden Alter der meinigen unterdrücken kann – nun, ich will dagegen nichts mehr einwenden, hätte aber wahrhaftig keine weiteren Schritte gethan, um meine Tochter zur Gräfin Hartenstein zu machen.«

»Aber du wirst es mir nicht abstreiten, daß es eine vortreffliche und sehr passende Partie ist.«

»Ja, ja, besonders für dich und deine Familie – meine liebe Elisabeth – verstehe mich recht; so wie ich den Stolz der Deinigen kenne, so würde dir die beste Partie für Lucy doch nicht so vortheilhaft erschienen sein, als die mit ihrem Vetter Eugen, und doch ist gerade die Vetterschaft das, was mir bei diesem Arrangement das am wenigsten Angenehme ist.«

»Eine so entfernte Verwandtschaft – was will das sagen?« entgegnete Frau von Rivola, leicht die Achseln zuckend.

»Und Lucy?«

»Das Mädchen ist mir seit kurzer Zeit ein Räthsel: nachdenkend, ernst, verschlossen.«

»Seit wann?«

»Seit wenigen Tagen.«

»Du gabst ihr Andeutungen über deinen Wunsch in Betreff ihrer Verbindung mit dem Grafen Eugen?«

»Allerdings.«

»Und wie nahm sie das auf?«

»Wie ein junges Mädchen überhaupt so etwas aufzunehmen pflegt; zuerst lachte sie laut und herzlich und nahm das für einen prächtigen Spaß; dann, als ich ihr sagte, dieses Arrangement sei unser vollständiger Ernst, blickte sie mich erstaunt an, es zuckte eigenthümlich um ihren Mund und zuletzt rief sie aus: »Ach, es ist doch nur ein Scherz, wie könnte es auch anders sein!«

»Und seit dem Augenblicke findest du sie verschlossener, ernster geworden?«

»Ja, und gereizt in ihrem ganzen Wesen. – Bemerktest du gestern Abend nicht, wie sie dir gegen ihre sonstige Gewohnheit heftig widersprach, als du dich über Welden ausdrücktest, als du sagtest, er habe sich etwas zu Schulden kommen lassen, was du niemals von ihm erwartet, als du überhaupt seinen Charakter in harten Worten angriffst – mir übrigens aus der Seele gesprochen, denn ich habe es nie begreifen können, warum du diesen jungen Mann so in die Intimität unserer Familie gezogen – ist dir in der That gestern Abend das Betragen Lucy's nicht aufgefallen?«

»Ich war ausschließlich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.«

»Und vorhin war dieser Herr Welden bei dir?«

»Ja, ich habe ihn aber nach Verdienst ziemlich kurz gehalten, ihm auch ziemlich verständlich gesagt, daß ihr Beide keine Zeit hättet, ihn zu sehen.«

»Deine Tochter aber hat ihn doch gesehen.«

»Ah bah – wie wäre das möglich?«

»Allerdings nur gesehen; sie saß an ihrem Flügel und spielte, um auf einmal mit einer Dissonanz die angefangene Weise zu zerreißen; dann erhob sie sich rasch, trat an die Glasthür, welche auf den Altan führt, und rief aus: ›Dort geht Herr Welden – er war hier und hat nicht nach uns gefragt?‹«

»Das ist allerdings eigenthümlich – wie soll ich das verstehen?«

Herr von Rivola that diese Frage, indem er seine blaue Brille auf die Stirn schob und seine Frau mit einem matten Blicke anschaute, ja, jetzt zeigten sich unter seinen Augen in weißen, kleinen, eingsponnenen Ringen die Spuren seiner früheren Abspannung wieder so deutlich, daß Frau von Rivola, statt ihm zu antworten, ihrerseits die Frage an ihn stellte, ob er sich unwohl fühle.

»Ja und nein, es ist mir nicht ganz so, wie gewöhnlich, doch vorübergehend – du wolltest mir noch etwas in Betreff Lucy's sagen.«

»Als ob ich nicht schon genug gesagt hätte!« erwiederte die Baronin mit hoch aufgerichtetem Kopfe. »Ich meine, es wäre stark genug, wenn Lucy mit allen Zeichen der Erregung einem solchen jungen Menschen nachschaut und in sehr deutlichen Worten ihr Bedauern ausdrückt, daß dieser junge Mensch nicht nach ihr gesehen – findest du das nicht auch?«

»O ja, gewiß,« sagte Herr von Rivola, nachdem er hastig seine Brille wieder über die Augen herabgezogen hatte.

»Auch sagte mir heute Morgen ihre Kammerfrau, Lucy sei gestern Abend mit Thränen in den Augen zu Bette gegangen, habe sehr unruhig geschlafen und während der Nacht, ob schlummernd oder wachend, wisse sie nicht ganz genau, ein paar Mal die Worte ausgesprochen: ›Lieber gehe ich in's Kloster!‹«

»Davon hat ihr geträumt – sie war gestern bei ihrer romantischen Freundin Elise, und wer weiß, was die jungen Mädchen da zusammen phantasirt haben.«

»Ich mag es überhaupt nicht leiden, daß sie so oft dorthin geht.«

»Was hast du an Elisen auszusetzen? Sie ist ein sehr anständiges Mädchen und ihr ernster Sinn paßt mir sehr gut zu der heiteren Laune deiner Tochter.«

»Aber ich mag nun einmal den allzu intimen Verkehr mit dem Hause des Stadtschultheißen nicht – man spricht in der Gesellschaft darüber, man lächelt über deine große Freundschaft mit Herrn Welkermann, man findet dieselbe unbegreiflich und sucht Motive dafür, die . . .«

»Ah, etwas höherer Stadtklatsch – ehrlich gesagt, ich mache mir nicht viel daraus.«

»Aber ich und meine Familie, uns ist es nicht so gleichgültig; man spricht von Heimlichkeiten, die dich und den Stadtschultheißen verbänden.«

»Ah, das Geheimniß der Stadt,« gab Herr von Rivola mit einem nicht ganz freien Lächeln zur Antwort – »ich habe darüber die lächerlichsten Dinge gehört.«

»Lächerlich könnte ich das gerade nicht nennen, nach dem, was geschehen.«

»Und was denn, wenn ich fragen darf?«

»Der Stadtschultheiß soll auf die auffallendste Art plötzlich den unterirdischen Gang zwischen dem Rathhause und deinem alten, unheimlichen Thurme haben zuschütten lassen wollen, nach einem geheimnißvollen, verdächtigen Vorfalle in deinem kleinen Hause dort.«

»Das ist mir neu – von welchem Vorfalle spricht man?«

»Von dem raschen Tode jener alten Frau.«

»Ah, Elisabeth, wie kann man so dummes Zeug wiederholen? Das geht ja alles gegen den natürlichen Menschenverstand! – Du weißt ja selbst, wie lange und schwer krank die arme Frau meines Friedrich war.«

»Ich weiß das genau und wiederhole auch nur, was die Stadt von deiner Verbindung mit Herrn Welkermann spricht, von einem Geheimnisse, das euch so intim zusammenhält, und dieses Gerücht hat neue Nahrung erhalten durch die Verhaftung Ferdinand Welkermann's, dieses leichtsinnigen jungen Menschen, dem du auch mehr Vertraulichkeit bewiesen, als gerade nothwendig war.«

Herr von Rivola versuchte abermals zu lächeln, da er aber wohl fühlte, daß ihm dies nicht so unbefangen gelungen war, wie er wohl wünschte, so erhob er sich rasch und trat mit einer nicht zu verkennenden Bewegung des Unmuthes an das Fenster, wie um zu zeigen, daß er diese Unterredung abgebrochen wünsche, was denn auch sogleich von Seiten der Baronin geschah, denn sie sagte nur noch, allerdings mit sehr erhobenem Kopfe und etwas strengem, beinahe feindseligem Gesichtsausdrucke:

»Du läßt mir also wenigstens in Betreff meiner Tochter freie Hand?«

»Gewiß, wie bisher immer.«

Darauf faltete sie den Brief wieder zusammen und verließ das Zimmer leise und geräuschlos, wie sie gekommen war.

Herr von Rivola blieb noch längere Zeit am Fenster stehen, in tiefes Nachdenken versunken auf die Landschaft blickend; dann wandte er sich mit einem schmerzlichen Seufzer um, ging mit langsamen Schritten nach dem Schreibtische, wo er sich auf seinen Sessel niederließ und dann, die Hände gefalten, vor sich niederschaute. »Meine liebe Lucy, vielleicht meine arme Lucy!« entrang sich dann seiner Brust mit dem Ausdrucke des herbsten Schmerzes. Was hätte er darum gegeben, sein Kind jetzt zu sich hereinrufen zu dürfen, ihr gutes, klares Auge zu sehen, ihre freundliche Stimme zu hören – aber er fürchtete sich, Lucy zu rufen, ihm bangte vor Thränen in ihren Blicken, vor dem Ausdrucke des Schmerzes in ihren Worten, vor der Offenherzigkeit seines Kindes, er hatte Angst vor einer Scene mit seiner harten Frau.

Und so blieb er allein vor seinem Schreibtische sitzen, in sich zusammengesunken, mit gefaltenen Händen, tief schmerzlich nachsinnend.


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