F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Siebentes Kapitel.

In dem Parterresalon mit den drei großen Doppelfenstern pflegte sich die Familie jeden Morgen zum Frühstück zu versammeln, zum sogenannten zweiten Frühstück, welches aber in seiner Einfachheit wohl ein erstes hätte sein können. Herr von Rivola nahm hier eine Tasse Thee und ein paar geröstete Brodschnitten, vielleicht mit einem weichen Ei, seine Frau und Lucy Chocolade mit Brod und frischer Butter von der eigenen Meierei; die Damen saßen dabei in der Nähe des Kamins, wo sie oft nach Beendigung des Frühstücks, mit einem Buche oder einer weiblichen Arbeit beschäftigt, längere Zeit sitzen blieben, während Herr von Rivola, nachdem er kaum seinen Thee genommen, aufstand und an der Unterhaltung Theil nahm, indem er im großen Gemache auf und ab ging. Er pflegte überhaupt so wenig wie möglich zu sitzen, und wenn er nicht an seinem Schreibtische beschäftigt war, wo er allerdings stundenlang saß, so schritt er entweder in seinem Zimmer auf und ab oder er machte Spaziergänge durch seinen kleinen Park, wobei aber ein aufmerksamer Beobachter sehen konnte, daß er dies gewöhnlich nicht that, um nach seinen Blumengruppen oder Obstbäumen zu sehen, sondern einfach um sich Bewegung zu machen, denn er schritt vielleicht stundenlang auf einem geraden Wege hin und her, nachsinnend, mit gesenktem Haupte. Wären die Züge seines Gesichtes nicht fast beständig gleichmäßig ernst, ja, man hätte sagen können, theilnahmlos gewesen, so hätte man glauben mögen, er würde von einer inneren Unruhe umhergetrieben; so aber war es lediglich eine Gewohnheit, die er, wie wir eben gesagt, selbst in der Nähe seiner von ihm so sehr geliebten Familie beibehielt, und daß er für alles, was seine Frau und Tochter thaten, die herzlichste Theilnahme empfand, das bewies in solchen Augenblicken der alsdann rege Ausdruck seines Gesichtes, das zufriedene Lächeln um seinen Mund, ja, das Aufleuchten seines Blickes, welches man hier wohl sah, da er bei nicht allzu grellem Lichte im Zimmer seine Brille abzulegen pflegte.

Zuweilen so während des Auf- und Abschreitens ging er dicht hinter Lucy's Stuhl vorbei, berührte leicht mit der Hand ihre Schulter, ihre Arme, oder ließ seine Finger über ihr blondes Haar gleiten, worauf dann das junge Mädchen nie verfehlte, mit dem Kopfe zu nicken, ihr Gesicht gegen ihn zu wenden, etwas, das sie eben gesagt, nochmals, direkt an ihn gerichtet, zu wiederholen, oder vielleicht einfach zu sagen: »Lieber Papa!« Darüber lächelte wohl Frau von Rivola auf die herzlichste Art, und wenn sie hierauf einen Blick mit ihrem Gatten wechselte, so drückte dieser Blick ihre Freude, ja, ihre Glückseligkeit aus, daß ihr das gütige Geschick ein so liebenswürdiges Wesen gegeben.

Es war dieses allem Anscheine nach eine vollkommen glückliche und zufriedene Familie; des Glaubens mußte jeder sein, dem es vergönnt gewesen wäre, einen Blick in den Salon des Freiherrn zu werfen. Es war besonders heute Morgen Alles so licht, so hell, so freundlich; von draußen herein blinkte der Schnee, der hier oben schon seit einigen Tagen gefallen war, während es drunten noch gestern abwechselnd geschneit und geregnet hatte; er leuchtete förmlich unter dem klaren, blauen Winterhimmel – dazu die behagliche Wärme in dem Gemache, welche von dem offenen Kamine ausging, dessen spielende Flammen zugleich mit der weißen Landschaft draußen so recht ein schönes, behagliches Bild des Winters vervollständigten.

Lucy sprach von dem Balle beim Stadtschultheißen, und wenn sie auch gestand, sich dort sehr gut unterhalten zu haben, so hätte sie sich doch mehr versprochen von einem ersten derartigen Vergnügen.

»Vielleicht hätte ich sollen mit einem Balle bei Hofe anfangen,« sagte sie lächelnd und setzte fragend hinzu: »Was meinst du dazu, Papa?«

»Der erste Eindruck wäre vielleicht größer gewesen, doch hast du so immerhin eine Steigerung zu erwarten.«

»Und das ist auch etwas werth,« meinte Frau von Rivola; »es ist überhaupt besser, wenn man mit allen Dingen bescheiden anfängt.«

»Und ich hatte es auch Elisen versprochen, daß ich bei ihr zum ersten Male so recht tanzen wolle.«

»Und hast dein Wort gehalten, Lucy,« meinte die Mutter mit einem freundlichen Blicke auf das junge Mädchen; »ich mache dir auch darüber durchaus keinen Vorwurf, wenn du dich nur gut unterhalten hast.«

»Während des Tanzens, gewiß, Mama, und auch nachher, wie ich mit Elisen darüber plaudern konnte.«

»Ja, ja, du hast mit deiner Freundin viel zusammengesteckt,« sagte Herr von Rivola, indem er einen Augenblick stehen blieb und eine gar zu willkürliche Locke ihres Haares sanft unter das Netz, welches sie auf dem Kopfe trug, zwängte; »mich haben einige Male deine Tänzer gedauert, die du beim letzten Geigenstriche erbarmungslos stehen ließest, indem du ihnen kaum mit einer leichten Verbeugung gedankt. Du hättest dich von ihnen an deinen Platz zurückbegleiten lassen und freundlich das anhören sollen, was sie über das eben ausgestandene Vergnügen zu sagen hatten oder was sie sonst zu erzählen wußten.«

»Ach, Papa, das war immer dieselbe Geschichte, dieselben Fragen: ob ich den Winter schon viel getanzt – Nein; ob ich mich amusire – o ja, recht sehr; ob es für mich nicht unangenehm sei, nach einem solchen Balle den weiten Weg zurückfahren zu müssen. Gewiß nicht, gab ich darauf zur Antwort und hätte gern hinzugesetzt: da schaukle ich in meinem bequemen Wagen, schließe die Augen und lasse halb im Traume die Bilder des vergangenen Abends, jetzt von der Erinnerung verschönert, an meiner Seele vorüberziehen. – Sei ruhig, liebe Mama,« unterbrach sie jetzt laut und fröhlich lachend den weichen, bewegten Ton ihrer Stimme, mit dem sie die letzten Worte gesprochen hatte – »blicke mich nicht mit so ernster Miene an, du kannst dir wohl denken, daß ich dergleichen nicht gesagt, kaum gedacht. Gegen wen hätte ich auch so etwas aussprechen sollen? Ich hatte fast gar keine Bekannten dort, Tänzer genug, und Niemanden, für den ich mich interessiren mochte.«

»Ja, ja, es ist eigenthümlich,« sagte Herr von Rivola, »wie rasch Einem diese jungen Herren aus unserem Gesichtskreise gleiten? wie schnell heutzutage eine solche Tanzgeneration wechselt – es sind ja nicht einmal zwei Jahre, daß ich zuletzt in jenen Kreisen der Gesellschaft war, die wir beim Stadtschultheißen sahen, und wenn ich die älteren Herren ausnehme, so merkte auch ich beinahe nur fremde Gesichter, versteht sich unter den Tanzenden – junge Herren, die vor drei oder vier Jahren vielleicht ihren ersten Ball besuchten, bemerkte man jetzt schon gelangweilt, kaum hier und da an der Unterhaltung Theil nehmend oder am Spieltische.«

»Darin hat Papa ganz Recht, die meisten jungen Herren, die ich dort kannte, tanzten eigentlich gar nicht, und wenn sie mir auch aus Artigkeit eine Tour anboten, so schienen sie nicht einmal darüber betrübt, wenn ich sie ihnen abschlagen mußte; das hat mich allein von Herrn Welden verdrossen, der kaum einen Tanz von mir verlangte, und er hat es hier bei uns im vergangenen Herbste doch so oft gesagt, wie sehr er sich freue, mit mir zu tanzen, wenn ich auf meinem ersten Balle erscheinen würde.«

»Das war nur so eine Redensart,« sagte Frau von Rivola; »Herr Welden ist ein ernsthafter Geschäftsmann, der mit dir wie mit einem ganz kleinen Mädchen gespielt und der dir versprochen, mit dir zu tanzen, wie er dir auch versprochen haben würde, mit dir Schmetterlinge zu fangen oder deinen Puppenwagen zu ziehen, wenn du noch jünger gewesen wärest – es ist mir sogar lieber, daß er sein Versprechen nicht gehalten hat.«

»Aber was man verspricht, muß man halten, und wenn ich mich recht entsinne, hat Herr Welden sogar den Versuch gemacht, das zu thun – ja, ja, so ist es,« fuhr Lucy fort, nachdem sie sich einige Augenblicke recht auffallend bedacht, »er hat einen Tanz von mir gewollt, aber so spät, daß ich keinen mehr für ihn übrig hatte – warum kam er nicht früher? Er darf mir keine Vorwürfe machen, daß ich ihn vernachläßigt.«

»Das wird er gewiß nicht thun,« entgegnete Frau von Rivola lächelnd; »er erschien überhaupt wohl nicht auf dem Balle, um zu tanzen.«

»Er gehört doch noch zu den jungen Leuten?« sagte Lucy, halb fragend.

»Zu den jungen Leuten, welche heutzutage noch tanzen, gehört er doch wohl nicht mehr,« antwortete Herr von Rivola, am Fenster stehend, »er kann sich mit Fug und Recht auf einem Balle der Unterhaltung oder dem Spiele hingeben; ich schätze Herrn Welden auf dreißig Jahre, wenn er dieselben noch nicht überschritten hat.«

»Und er hat doch getanzt,« sagte Lucy.

»Ja, ja, mit der Frau seines Bureauchefs, das war so ein Tanz aus Convenienz.«

»Meinst du?« fragte Frau von Rivola mit einem zweifelhaften Lächeln; doch als habe sie in Gegenwart ihrer Tochter schon zu viel gesagt, setzte sie rasch hinzu: »Eine angenehme Frau, die Oberbauräthin; Herr Welden hatte ganz Recht, mit ihr zu tanzen, Herr Lievens kann ihm in seiner Carriere viel nützen.«

»Das glaube ich nun gerade nicht,« sagte Herr von Rivola in trockenem Tone; »ich schätze und achte unseren verehrten Freund, den Oberbaurath, aber wenn ich seine Fähigkeiten und Kenntnisse mit denen jenes jungen Ingenieurs vergleiche, so kommt ein großer Überschuß zu Welden's Gunsten heraus – ich kenne das.«

»Nun, eine große Carriere wird er jedenfalls machen,« warf Lucy's Mutter leicht hin, »mit oder ohne Protection. Du verstehst, seine Kenntnisse zu beurtheilen, ich schätze sein offenes, angenehmes Wesen, seinen angeborenen Takt, sich im Salon so wie im Walde, vor seinen Arbeitern wie vor den vornehmsten Personen eben so richtig und energisch, wo das Noth thut, als zuvorkommend und fein zu benehmen – ist er von Familie?«

Auf dem Gesichte des Herrn von Rivola zeigte sich ein eigenthümliches Lächeln, worauf er sagte: »Die Frage: ist er von Familie, ist gerade wie die andere: gehört er zur Gesellschaft, und in beiden liegt der versteckte Sinn, daß, wer nicht ein halbes Dutzend Ahnen aufzuweisen hat, weder zur Gesellschaft gehört noch von Familie ist – nicht wahr, meine sonst so gute Elisabeth?«

»Allerdings, ich will dir gestehen,« gab Frau von Rivola in einem etwas hohen Tone zur Antwort, »daß ich diese beiden Benennungen zuweilen, und das sehr streng, in dem von dir angezogenen Tone, und gewiß mit vollem Rechte, auffasse – schlimm genug, daß Zeit und Verhältnisse so viel dazu beitragen, alle Schranken, welche sonst die gesellschaftlichen Kreise so wohlthätig trennten, niederzureißen. Doch kann das keine Beziehung auf Herrn Welden haben, den ich gerade deßhalb so besonders achte, weil er seine Stellung überall begreift, und um dir zu beweisen, daß ich deinem Herrn Welden eine kleine Concession machen will, wiederhole ich meine Frage mit dem genügenden Zusatze, ob er von einer bekannten Familie ist.«

»Ich glaube nicht – das bietet auch heutzutage in seinem Stande gar keinen Vortheil mehr, ist überhaupt jetzt, um eine große Carriere zu machen, von wenig Bedeutung.« – Herr von Rivola sagte das nicht ohne Absicht, denn die etwas zu streng aristokratischen Gesinnungen seiner Frau, der geborenen Gräfin Hartenstein, waren vielleicht das Einzige, wodurch es zuweilen Differenzen zwischen beiden Gatten gab. – »Welden ist, so viel ich weiß, der Sohn eines armen Dorfschullehrers; er verlor Vater und Mutter sehr früh und wurde im Waisenhause erzogen, wo er sich aber durch Fleiß und Fähigkeiten so auszeichnete, daß man ihm die Mittel verschaffte, die polytechnische Schule zu besuchen; hier zählte er gleich zu den besten Köpfen, und als er seinen Cursus beendigt hatte, konnte er unter den verschiedenen Baubureaux wählen.«

»Ist es dir nicht schon aufgefallen,« fragte Lucy's Mutter nach einem längeren Stillschweigen, »daß dieser Herr Welden unserem armen Vetter Eugen Hartenstein ähnlich sieht?«

»Entfernt, ja, doch war Eugen, so viel ich mich erinnere, etwas größer und stärker gebaut, als Herr Welden.«

»Du sahst meinen Vetter nur in der Kürassier-Uniform, wodurch er dir größer und stärker erschien; die Beiden haben eine große Ähnlichkeit miteinander, und das ist es auch wohl,« setzte Frau von Rivola nachsinnend hinzu, »weßhalb ich mich sogleich für Herrn Welden interessirte, – Mein guter Eugen – er war doch noch den Tag vorher bei uns, ehe er so unglücklich mit dem Pferde stürzte – Lucy, erinnerst du dich noch deines Vetters?«

Das junge Mädchen hatte stillschweigend da gesessen, aber sehr aufmerksam dem Gespräche seiner Eltern gelauscht, wobei es seine braunen, leuchtenden Augen von Einem zum Anderen wandern ließ, ja, sich rückwärts wandte, als der Vater, immer noch am Fenster stehend, von der Vergangenheit des Herrn Welden und von diesem selbst manches Gute sprach; denn als die Mutter des Vetters Eugen erwähnte, hatte sie sich ganz gut den jungen Ingenieur in der Kürassier-Uniform denken können, und diese Ideenverbindung war wohl schuld daran, daß sie jetzt zur Antwort gab: »Gewiß, Mama, ich erinnere mich seiner, doch müßtesich Herr Welden in Uniform ebenfalls ganz gut ausnehmen.«

»Das glaube ich auch,« sagte lachend Herr von Rivola, »aber du kannst versichert sein, Lucy, daß ihm die Uniform der Arbeit, seine hohen Stiefel und seine kurze, graue Jacke, lieber ist.«

Lucy hätte hierauf gern gesagt: »Mir ist die seinige auch lieber« – doch that sie es nicht, vielmehr wandte sie das Gespräch, nachdem auch die Mutter weder auf Eugen noch auf Herrn Welden zurückkam, nach einer längeren Pause auf einen anderen Gegenstand, indem sie sagte: »Nicht wahr, liebe Mama, ich darf auf eine recht große Steigerung meiner Bälle für diesen Winter rechnen?«

»Darüber mußt du mit deinem Vater reden.«

»Nun, Papa, darf ich hoffen?«

Herr von Rivola war hinter den Stuhl seiner Tochter getreten, bog ihren Kopf leicht hinten über, so daß er sie auf die Stirn küssen konnte; dann blickte er auf seine Frau, die ihn mit einem fragenden, freundlich wartenden Blicke ansah.

»Du weißt, daß Mama in solchen Dingen allein zu wünschen und zu befehlen hat.«

»Zu wünschen, ja; aber in den Erfüllungen meiner Wünsche bin ich, und mit Freuden, von dir abhängig.«

»Also die Wünsche wären da,« sprach Herr von Rivola, indem es leicht um seine Lippen zuckte. Ob seine Augen dazu freundlich schauten, konnte man nicht genau sehen, denn als er vorhin in die blendende, schneebedeckte Landschaft hinaussah, hatte er seine blaue Brille wieder aufgesetzt.

»Gewiß, Papa! Die Wünsche sind da, und recht viele. Zuerst ein paar Bälle bei Hofe, wozu du ja Einladungen erhältst, wie mir gestern der Rittmeister Graf Riß gesagt; er sah die Hofliste bei seinem Vetter, dem ersten Kammerherrn des Königs.«

»Daran zweifle ich durchaus nicht,« fuhr Frau von Rivola in einem etwas hohen Tone fort, »und wenn Papa keine ganz besonderen Gründe dagegen hat, so wird er für diesen Winter, wo du, Lucy, in die Welt getreten bist, die Einladungen, welche ja alljährlich an uns kommen, annehmen.«

»Welche Gründe sollten mich zur Ablehnung veranlassen?«

»Nun, man muß Alles überlegen. Lucy braucht viel, wenn sie in der Welt so erscheinen soll, wie ich es für meine Tochter wünsche, und auch ich habe neulich einen bedenklichen Kriegsrath mit Madame Pauline und dem Hof-Juwelier gehalten – es ist doch schon einige Jahre her, daß wir zu großen Gelegenheiten nicht mehr erschienen sind.«

»Papa hat es darin besser,« sagte heiter das junge Mädchen. »Sein schwarzer Frack ist immer modern, und seine weißen Halsbinden zu besorgen, habe ich von Madame Werber gelernt – ach, und es ist mir ein so großes Vergnügen, den guten Papa schön zu machen!«

Über die ernst gewordenen Züge des also Erwähnten flog ein zweifelhaftes Lächeln, welches sich indessen in ein wirkliches und fast freudiges verwandelte, als die Baronin, nun aufblickend, ihm voll in's Gesicht schaute. Dann sagte sie zu ihrer Tochter: »Dein Vater muß für Alles sorgen, mein liebes Kind. Ich gestehe, es würde mir ein großes Vergnügen machen, gerade mit dir die Welt wieder zu besuchen; aber wenn wir jetzt nach einigen Unterbrechungen wieder bei Hofe erscheinen, so möchte ich nicht, daß aufmerksame Augen, an denen es nicht fehlen wird, vielleicht die Bemerkung machen: die Rivola traten doch vor ein paar Jahren anders auf, als jetzt; ihre Wagen, ihre Pferde, die Livreen ihrer Diener sind nicht schöner geworden!«

Herr von Rivola unterdrückte einen leichten Seufzer, worauf er achselzuckend, aber immer noch mit heiterer Miene erwiederte: »Darin hat die Mutter ganz Recht, und wenn wir bei unserem Erscheinen auch durch Glanz und Pracht gerade kein Aufsehen erregen wollen, so soll und muß dieses Auftreten doch würdig und angemessen sein; es wird allerdings etwas Geld kosten, aber was thut's?«

Er sagte das mit großer Gleichgültigkeit; nur zuckten die Finger seiner rechten Hand, welche er auf die Lehne von Lucy's Stuhl gelegt hatte, etwas krampfhaft zusammen, während er mit der linken Hand seine blaue Brille fester gegen die Augen drückte.

»Und es muß doch wohl sein, daß wir wieder in die Welt gehen,« meinte Frau von Rivola; »nicht für mich, aber für Lucy, und wenn es dir keine großen Sorgen macht, lieber Albert, so gestehe ich dir schon, daß ich mich auf den Augenblick freue, mit einer solch' hübsch aufblühenden Tochter in den Kreisen der Gesellschaft zu erscheinen – wenn es dir also keine Sorgen macht . . .«

»O, über die Sorgen sind wir hinüber!« sagte der Angeredete mit einem etwas harten Lächeln.

»Prächtig, Papa! Wie ich mich darauf freue! Ach, das wäre ein glückseliger Winter – und die Steigerung im Vergnügen!«

»Wie verstehst du denn eigentlich diese Steigerung des Vergnügens?«

»Das ist doch sehr einfach. Gestern der Thé dansant bei meiner Freundin Elise, dann ein kleiner Hofball, dann ein großer Hofball, und zuletzt ein prächtiges Fest bei uns selbst!«

»Was das Kind für eine ausschweifende Phantasie hat – was sagst du dazu, Albert?«

»O, der Gedanke ist nicht so übel,« erwiederte Herr von Rivola in sehr ruhigem Tone – »ein Fest bei uns; doch müßte man dazu schon den Frühling abwarten. Man könnte doch eigentlich den Leuten nicht zumuthen, im Winter bei Schnee und Eis zu uns heraus zu fahren, um in später Nacht wieder heimzukehren.«

»Ach so, ein Frühlingsfest wäre prächtig! Du bist doch ein sehr guter und sehr lieber Papa und ich eine recht bescheidene Tochter, das kannst du nicht anders sagen.«

»Nun, nun, das geht allenfalls an, ich will gerade nicht das Gegentheil behaupten.«

»Nein, Papa, das kannst du auch nicht; ich bin sogar so bescheiden, daß ich nicht einmal auf Versprechungen zurückkomme, die du mir gemacht.«

»Und was hätte ich dir versprochen, meine liebe Lucy?«

»Weißt du noch, ehe ich in die Pension trat, als die junge Gräfin Arnstein hier draußen war, um meinen Abschiedsbesuch zu erwiedern, da gefiel mir so außerordentlich ihre kleine Pony-Equipage, und da sagtest du, wenn ich einmal aus der Pension zurückkäme, würdest du mir auch eine solche zusammenstellen lassen.«

»Habe ich das wirklich gesagt? Ja, ich glaube mich erinnern zu können.«

»Aber, Kind, diese Extravaganzen!« sprach Frau von Rivola mit einem leichten, mißbilligenden Kopfschütteln.

»Ach, es wäre so schön, Mama!«

Diese zuckte die Achseln, indem sie wie fragend in das Gesicht ihres Mannes blickte, welches indessen in diesem Augenblicke weder Staunen, noch Überraschung, noch viel weniger aber den Ausdruck von Unzufriedenheit zeigte.

»Wenn ich doch einmal Pferde, Wagen und Livree erneuern muß, so geht das vielleicht in Einem hin – und was thue ich nicht alles, um meinem geliebten, lieben Mädchen eine kleine Freude zu machen! Sei es darum. Wenn ich in die Stadt gehe, will ich sehen, was ich wegen einer Pony-Equipage thun kann.«

»Ach, und einen kleinen Schlitten dazu, das wäre wunderbar – mit Bärendecken und einem prächtigen Geläute!«

»Gewiß, auch einen Schlitten, Lucy.«

Frau von Rivola hatte zweifelnd in das Gesicht ihres Mannes geblickt und immer erwartet, er würde in ironischem oder ärgerlichem Tone hinzusetzen: »Und was willst du sonst noch? Glaubst du, ich sei ein Krösus?« Sie hatte vorhin schon beinahe ängstlich von den Anschaffungen gesprochen, die dringend nothwendig seien, wenn man in diesem Winter mit Lucy bei Hofe erscheinen wolle; sie hatte erwartet, gefürchtet, bei ihrem Manne auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen, und nun, da dies nicht der Fall war, da er alles das, was zusammen keine kleine Summe ausmachte, ruhig lächelnd bewilligte, so fühlte sich ihr Herz von einer großen Last befreit. Nicht als ob sie besonders für ihre Person so außerordentlichen Werth darauf gelegt hätte, mit Lucy in der großen Welt zu erscheinen – nebenbei war es allerdings der geborenen Gräfin Hartenstein recht angenehm, dies mit dem nöthigen Aufwande thun zu können – aber sie hatte angstvoll erwartet, Herr von Rivola würde ihr bei einer ähnlichen Anforderung erwiedern, daß seine Mittel ihm einen solchen Aufwand nicht erlaubten; denn wie groß seine Mittel seien, welche Einnahmen ihm zu Gebote ständen, darüber war sie während ihrer langjährigen Ehe ziemlich im Unklaren geblieben; anfänglich hatte sie sich auch sehr wenig darum bekümmert. Die Gräfin Hartenstein, aus einer finanziell zurückgekommenen Familie, lebte nach ihrer Verheirathung mit ihrem Manne in und mit der vornehmen Welt auf einem so großen Fuße, den nur der Besitz eines ganz außerordentlichen Vermögens rechtfertigen konnte.

Und dieses Vermögen, der Ertrag von Gütern, sowie von industriellen Unternehmungen aller Art, welche Herr von Rivola in Belgien besaß, schien sich auch nicht im geringsten zu vermindern, und wenn die Familie endlich von Brüssel, wo sie anfänglich lebte, hieher in die Heimath der Gräfin Hartenstein zog und einfach auf dem Lande blieb, anstatt in der Residenzstadt ein großes Haus zu machen, so lag das nur daran, weil sich bei dem Freiherrn eine Augenkrankheit zu entwickeln begann, welche ihm unbedingte Schonung und Ruhe gebot. Leider waren auch diese nicht im Stande gewesen, den grauen Staar zurückzuhalten, der sich auf seinem rechten Auge gebildet hatte und allerdings später durch eine geschickte Operation beseitigt wurde, nicht aber ohne dem kranken Auge eine große Schwäche zu hinterlassen.

So offen und rückhaltslos sich Herr von Rivola über alle Angelegenheiten gegen seine Frau, die er nicht nur innig liebte, sondern auch hoch verehrte, aussprach, so war dies doch nicht der Fall in Betreff seiner Einnahmen und seines Vermögens. Er vermied es, darüber zu reden, und wenn seine Frau in früheren Jahren zuweilen versucht hatte, ihn zu einer ausführlichen Mittheilung zu drängen, so war er, statt sich zu einer solchen herbeizulassen, immer sehr leicht darüber hinweggegangen, indem er vielleicht gesagt: »Es ist mir unmöglich, dir genau anzugeben, wie und wo ich meine Kapitalien angelegt – genug, sie existiren, wie du an der reichen und dabei soliden Art unseres Lebens siehst. Ich habe mein Vermögen durch Unternehmungen und Spekulationen erworben, und in solchen cursirt auch heute noch ein großer Theil desselben.«

Wenn Frau von Rivola, als die Familie hieher und auf's Land zog, auch den Glauben der Welt zu theilen schien, es geschähe dies nur zur Schonung der Augen ihres Gemahls, so fand sich doch auch häufig, und zwar zu ihrem eigenen Erschrecken, in ihrem Herzen ein kleiner Widerspruch mit dieser Ansicht. Man hatte nämlich bei ihrem Wegzuge von Brüssel die ganze reiche, fast fürstliche Einrichtung ihres großen Hotels verkauft, die Dienerschaft, mit einer einzigen Ausnahme des alten Kammerdieners Frederic, entlassen, die kostbaren Equipagen und Pferde veräußert und war hier auf's Land gezogen, wo man, gegenüber von damals, in einfach bescheidenen Verhältnissen lebte. »Wozu wieder den alten Train beginnen?« hatte der Freiherr manchmal achselzuckend gesagt. »Welche Gründe könnten uns dazu nöthigen? Ich habe das Getreibe der großen Stadt so satt als möglich, und auch du hast mir häufig versichert, daß du dich nach Ruhe sehnst. Lucy ist acht Jahre alt« – so hatte er damals gesagt – »ihre beginnende Erziehung bedarf aller Sorgfalt des Vaters und der Mutter; ist sie einmal groß genug, um in die Welt zu treten, so wird es gerechtfertigt sein, unser Haus auf einen anderen, glänzenden Fuß zu setzen.«

Dieser Zeitpunkt war gekommen, und wir haben schon vorhin erwähnt, daß Frau von Rivola einem Gespräche, wie das eben gehaltene, mit Spannung, fast mit Angst entgegen gesehen hatte. Glaubte sie doch zuweilen Entdeckungen gemacht zu haben, welche ihr den Beweis gaben, daß die Einfachheit ihres jetzigen Hauswesens doch etwas tiefere Ursachen hatte, als eine bloße Laune ihres Mannes, als ein Bedürfniß nach Ruhe und Zurückgezogenheit. Jetzt fühlte sich ihr Herz erleichtert, und sie konnte sich nicht enthalten, ihrem Manne mit dem Ausdrucke innigsten Dankes und mit deutlicher, sichtbarer Freude ihre beiden Hände entgegen zu strecken.

»Ja, du bist ein lieber, lieber Papa!« jubelte Lucy. »Und noch Eines mußt du mir versprechen: daß ich dich in meiner Pony-Equipage, sobald ich solche habe, zuerst ausführen darf! Aber jetzt haben wir erschrecklich viel zu thun, nicht wahr, liebe Mama? Ich werde noch heute an Madame Pauline schreiben, daß wir sie morgen zwischen Eilf und Zwölf besuchen und daß sie sich um diese Zeit mit ihrem ganzen Magazine zu unserer Verfügung zu stellen hat.«

»Gewiß, mein Kind, thue das,« sagte ihr Vater, und Frau von Rivola erhob sich lächelnd von dem Frühstückstische und bemerkte, indem sie ihre Hand auf Lucy's Haupt legte: »Wenn wir es auch nicht so arg machen wollen, wie du es in deinem kleinen Köpfchen denkst, so haben wir doch Manches nachzusehen und zu ordnen, um zu dem ersten Hofballe, der gewiß Anfangs der nächsten Woche stattfindet, bereit zu sein; deßhalb entschuldige uns, mein lieber Albert, wichtiger Geschäfte halber.«

»Ja, wichtiger Geschäfte halber, mein lieber, guter Papa – oh, ich kann dir nicht sagen, wie glücklich du mich gemacht hast!« Damit wandte sich Lucy gegen ihn, schlang ihre beiden Hände um seinen Hals und küßte ihn wiederholt auf's herzlichste.

Mutter und Tochter hatten das Zimmer verlassen, und Herr von Rivola stand noch immer auf derselben Stelle, wo er zuletzt mit diesen beiden geliebten Wesen gesprochen, hinter dem Stuhle, auf welchem Lucy gesessen. Warum blieb er dort noch stehen? Warum faßte er mit seinen beiden Händen krampfhaft die Lehne desselben? Warum erstarrte auf seinen Zügen so plötzlich das freundliche Lächeln, als die Thür sich hinter Beiden geschlossen? Warum biß er die Lippen aufeinander und ließ sein Haupt auf die Brust niedersinken, wobei seine Züge von gewaltigem Schmerze durchwühlt waren? –

Warum? – Wir werden das erfahren, wenn wir Herrn von Rivola in sein Schreibzimmer folgen, wohin er sich mit wankenden Schritten begab.


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