F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Elftes Kapitel.

Auf dem Platze vor dem Rathhause herrschte das an Markttagen so unruhige und lebendige Treiben: da standen oder saßen in langen Reihen die Verkäufer und Verkäuferinnen hinter ihren Körben und Säcken, die meisten, so gut als es möglich war, in ihre Tücher gehüllt oder ihre dicken Tuchjacken zugeknöpft, mit schweren Fausthandschuhen, gerötheten Wangen und triefenden, blauen Nasen, denn es war recht kalt geworden, eine fest gefrorene Schneedecke lagerte auf der Erde, ein schneidiger Nordostwind fegte durch die Straßen; da wurde angeboten und gehandelt, Käufe abgeschlossen, oder die Betreffenden, die nicht handelseinig werden konnten, setzten achselzuckend ihren Weg fort. Possierlich war es dabei anzusehen, wenn die Marktweiber vor ihrer Waare hin und her trippelten, um die Füße zu erwärmen, und wenn sie fröstelnd ihre Arme eifrig übereinander schlugen.

Wahrhaft abgehärtet erschienen dagegen die viel zarteren Köchinnen und Dienstmädchen guter Häuser, die, oft in einem dünnen Kattunkleidchen, mit sehr kleinem Umschlagetuch, ein Paar leichte, gestrickte Handschuhe an den Händen, die Kälte gar nicht zu fühlen schienen und ohne irgend eine hierauf bezügliche lebhaftere Bewegung zu machen mit dem Anstande und der Würde, wie sie sich für die Repräsentantinnen guter Häuser geziemen, ihre Einkäufe besorgten.

So bemerken wir hier eine unserer Bekanntinnen, recht kokett angezogen, das hübsche, lockige Haar unter einem zierlichen Häubchen verborgen, ein leichtes Körbchen am Arme, welches allerdings nicht dazu geschaffen war, um gröbere Markterzeugnisse in sich aufzunehmen; auch schien Jungfer Margarethe heute Morgen außerordentlich wählerisch in ihren Einkäufen zu sein und schwer damit zu Stande zu kommen, denn wenn sie auch hier und da stehen blieb, um nach dem Preise einer Waare zu fragen, so sah man sie doch gleich darauf wieder kopfschüttelnd weitergehen.

Auf diese Art Schritt um Schritt vordringend, näherte sie sich indessen, wenngleich langsam und zögernd, der offen stehenden Thür der unteren Rathhaushalle. Endlich aber beschrieb sie einen großen Bogen um die letzte Reihe der Marktweiber und schien es alsdann sehr eilig zu haben, an der Treppe der oben erwähnten Halle vorbei zu kommen. Zufälliger Weise aber befand sich hier noch eine letzte Verkäuferin, die so auffallend schöne Meerrettigstangen feil bot, daß Jungfer Margarethe unmöglich daran vorübergehen konnte; doch verlangte die Verkäuferin gar zu hohe Preise, so daß sich jene veranlaßt fand, mit hellklingender Stimme auf das Ungehörige der Forderung aufmerksam zu machen.

»Da würde sich die Frau Stadtschultheißin bedanken,« rief sie lachend, »wenn ich so theuer einkaufte – nein, nein, es ist noch genug davon zu haben – ah, guten Morgen, Herr Amtsdiener, habe ich nicht vollkommen Recht? Denken Sie nur, was die Frau für ihren Meerrettig verlangt, es ist unerhört!«

Der würdige Beamte hatte wahrscheinlich, von der hellen Stimme Margarethens angelockt, seinen warmen Ofen verlassen und war unter die Thür der Halle getreten, wo er das Dienstmädchen des Stadtschultheißen mit einem mehr als gnädigen, ja mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßte.

»Die wissen überhaupt nächstens gar nicht mehr, was sie verlangen sollen,« brummte er; »wie hat sich das alles geändert – wenn ich noch denke, daß man vor ein paar Jahren so einen ganzen Korb um zwölf Kreuzer kaufte!«

»Und jetzt verlangt sie so viel für eine einzige Stange.«

»Aber er ist sehr schön und saftig,« sagte die Verkäuferin; »wenn ich mit dem Messer hinein schneide und Sie daran riechen, so fängt die Jungfer augenblicklich an zu weinen.«

»Dafür danke ich – man hat andere Gelegenheiten genug, das zu thun.«

»Wenn ich was zu sagen hätte,« fuhr der würdige Beamte kopfnickend fort, »so sollte man, so oft die Weiber ihre Waare theuer hielten, auch mit der Marktsteuer hinaufgehen.«

»Wenn der Meerrettig wirklich so gut und scharf ist, wie Sie sagt,« sprach Jungfer Margarethe mit sehr lauter Stimme, »so will ich doch einen Versuch machen.«

Dabei schaute sie statt auf die Waare, die sie kaufen wollte, angelegentlich in das Innere der Markthalle, wo nun jemand Anderes zum Vorscheine kam und sich der Thür näherte.

»Schlecht sieht er nicht aus; was meint Ihr dazu, Steffler?«

Franz Steffler, der Gehülfe des Marktschreibers, welcher jetzt in ganzer Gestalt unter der Thür der Rathhaushalle sichtbar wurde, machte zuerst dem hübschen Dienstmädchen des Stadtschultheißen eine elegante, solide Verbeugung; dann sagte er:

»Der Meerrettig ist zu empfehlen; ich kenne die Frau.«

Der Handel wurde nun zur Zufriedenheit beider Theile abgeschlossen, und da Jungfer Margarethe in der Nachbarschaft auch noch andere Einkäufe zu machen hatte, so verstand es sich von selbst, daß sie die groben Meerrettigstangen nicht mit sich herumschleppte, sondern bis zu ihrer Zurückkunft in der Rathhaushalle deponirte.

Herr Franz Steffler trug sie selbst in seinen Schreibverschlag und wickelte sie dort in ein blaues Papier, das er zum Überflusse noch mit einem Bindfaden umwand, wobei ihm der Amtsdiener, am Ofen stehend, mit einem mürrischen Lächeln – er hatte eigentlich kein anderes – zuschaute.

»Es ist mir doch lieb, daß ich dergleichen hinter mir habe und um ein Paar hübscher Augen willen keine Papierverschwendung mehr treibe.«

Hierauf blies er seine Backen auf und spitzte die Lippen, als ob er pfeifen wollte, kam aber nicht dazu.

»Allerdings ein Paar hübsche Augen,« sagte der Gehülfe des Marktmeisters, aus seinem Verschlage hervorkommend – »und was für Augen!«

Mit dem Äußern des Herrn Steffler war eine große Veränderung vorgegangen: statt des fadenscheinigen, schwarzen Anzuges trug er jetzt einen wohlhabend aussehenden Paletot von braunem Winterstoffe, Beinkleider von derselben Farbe, und an seinem Halse bemerkte man sogar einen weißen Kragen; dabei war es eigenthümlich, wie dieses anständige Kleid auf den ganzen Menschen eingewirkt zu haben schien. Seine Bewegungen waren nicht mehr hüpfend, wie damals, auch tänzelte er nicht mehr mit dem Ausdrucke der Ehrerbietung um den Amtsdiener herum, bis es diesem gefiel, an dem warmen Ofen ein Bißchen Platz für den armen Steuerschreiber zu machen, sondern er pflanzte sich jetzt ohne Weiteres neben dem Amtsdiener auf, die Hände auf den Rücken gelegt, wobei er die ungnädigen Blicke desselben mit einem leichten Lächeln beantwortete.

»Ja, die Zeiten ändern sich,« sagte er alsdann; »doch gab es gewiß eine Zeit, wo Sie für so hübsche Augen noch mehr gethan hätten, als einige Stangen Meerrettig in ein blaues Papier zu wickeln.«

»Mehr allerdings, aber das doch wohl nicht,« antwortete der Amtsdiener in mürrischem Tone; »freilich haben sich die Zeiten geändert, daß sich Gott erbarme! Damals gehörte mehr dazu, als plötzlich einen guten Rock anhaben und Meerrettig einwickeln, um – doch ist darum nichts besser geworden, auch die Mädel heutzutage nicht.«

»Mein lieber Herr Amtsdiener,« entgegnete der Andere in einem heiteren Tone, »auf das Äußere kommt's nicht an, man kann tragen, was man will, und bleibt deßhalb doch im Innern, was man ist – die innere Eigenschaft, die Fähigkeit, welche man besitzt, das macht eigentlich den Menschen aus; ich war allerdings noch vor Kurzem, was man einen rohen Edelstein nennt, und selbst Sie werden nicht läugnen, daß ich heute ziemlich geschliffen aussehe – doch wollen wir darüber kein Wort weiter verlieren. Da kommt auch Jungfer Margarethe zurück, und Sie sollen sehen, ob sie es nicht sehr wohlgefällig aufnimmt, daß ich ihr die schmutzigen Meerrettigstangen eingewickelt habe.«

Dies war denn auch in der That der Fall; bei ihrem Eintreten nickte sie gegen den Amtsdiener nur leicht mit dem Kopfe und trat alsdann mit Herrn Steffler in den kleinen Verschlag, wobei sie gegen diesen die Bitte aussprach, die Gesammtsumme ihrer Einkäufe nachzurechnen.

Der Amtsdiener draußen blies seine Backen auf und machte ein höchst unzufriedenes Gesicht, als in diesem Augenblicke die Glocke ertönte, welche ihn in den Sitzungs-Saal des Gemeinderathes hinaufrief.

Der Steuerschreiber hatte sich an seinen Tisch gesetzt und durchflog die Zahlenreihe, während Jungfer Margarethe sehr dicht neben ihm stand, ihre Hand aufgestützt hatte und ihm über die Schulter sah.

»Diese Rechnung ist richtig,« sagte er, mit einem leichten Seufzer aufschauend, und da er sich hierbei ein wenig emporrichtete, so konnte es nicht fehlen, daß er sie mit seiner Schulter streifte, – »bitte aber, selbst noch einmal nachzusehen: zwei und zwei sind vier und acht sind zwölf und sieben sind neunzehn und fünf sind vierundzwanzig – behalte zwei – zweiundfünfzig von dem anderen Zettel dazu machen sechsundsiebenzig, und nun einen Kuß dazu, süße Margarethe, so haben wir einen Gulden vierundzwanzig Kreuzer.«

»Pfui, Herr Steffler, Sie können Ihre schlechten Witze niemals lassen und sind wirklich ein gefährlicher Mensch, der darauf ausgeht, ein unerfahrenes Mädchen in's Gerede zu bringen!«

»Das sagen Sie nicht im Ernste, Margarethe – Sie wissen, wie gut und zart ich für Sie denke!«

»Bei einem solchen Verlangen hier in der offenen Halle!«

»O, mein liebes Kind, die Fenster sind vor Staub so blind, als man es nur wünschen kann, und ich kenne kein heimlicheres Winkelchen als diesen Verschlag.«

»Das haben Sie wahrscheinlich schon oft erprobt?«

»Jetzt, Margarethe, sage ich ›pfui‹ und setze mit Entrüstung hinzu: das ist nicht dein Ernst!«

»Und wenn der Herr Amtsdiener Sprandel hereintritt, so fällt sein erster Blick hierher – ich kenne das.«

»Aber er wird nicht hereintreten – sei gescheit, liebes Kind!«

»O, ich bin sehr gescheit!«

»Aber schlechte Zahlen machst du – ich glaube, ich habe mich doch geirrt; soll das hier ein Vierer sein oder am Ende ein Siebener? Sieh' einmal genau hin – noch näher – so ist es recht.«

»Schämen Sie sich, Herr Steffler, so meine Arglosigkeit und Unschuld zu mißbrauchen! Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gewiß nicht hieher gekommen, überhaupt . . .«

»Was überhaupt, meine herzige Margarethe?«

»Überhaupt spricht man schon im Hause davon, daß Sie sich so oft in der Nähe unseres Hauses sehen lassen, und der Kutscher hat neulich behauptet, er habe es ganz deutlich gesehen, wie Sie an der Ecke auf mich gewartet.«

»Nun, und was weiter?«

»Was weiter? Sie haben gut fragen – meinen Sie denn, man fange so mir nichts dir nichts eine Liebschaft an, ohne solide Aussichten zu haben?«

»Das meine ich gewiß nicht, mein liebes Kind; ich habe dir schon gesagt, daß ich die besten Aussichten habe.«

»Und doch bleiben Sie hier auf dieser kleinen Stelle, im ständigen Verkehr mit den dummen Marktweibern da draußen – das gefällt mir durchaus nicht.«

Sie sagte das in einem etwas schnippischen Tone.

»Alles hat einen Übergang, wie schon der selige Fuchs bemerkte, als man ihm das Fell über die Ohren zog – aufgesagt habe ich, und wenn nicht der Marktmeister, wie du wohl weißt, krank wäre, so würde ich gleich am anderen Tage ausgetreten sein.«

»Und du wirst deine Anstellung bekommen?«

»Das ist so gut, wie sicher, und zwar eine sehr respektable Anstellung, meinen Fähigkeiten entsprechend, in der Staatsdruckerei, auf dem Bureau der Staatsbanknoten.«

»Und dann?«

»Dann, meine süße Margarethe, brauche ich nicht mehr Abends um euer Haus herumzuschleichen; du kannst alsdann deine Liebe zu mir offen und frei gestehen.«

»Nein, Sie sind wirklich unausstehlich, Herr Steffler,« schmollte das hübsche Dienstmädchen, indem es ihn auf die Finger schlug, »und dabei sind Sie von einer fürchterlichen Einbildung! Lassen Sie jetzt Ihre Kindereien gehen, und Sie meinen wohl, es sei etwas Rechtes, Ihre Liebe, und ich müßte mich sehr geehrt fühlen, dieselbe laut und öffentlich erklären zu können? Sagen Sie mir lieber etwas Vernünftiges von Ihren soliden Aussichten.«

»Als Angestellter der Staatsdruckerei habe ich mehr als genügendes Auskommen.«

»Ist diese Anstellung so gewiß?«

»Wie der Tag scheint; obgleich ich in dem Herrn von Rivola einen mächtigen Fürsprecher besitze, so habe ich das Ganze doch mir selbst zu verdanken, was auch schon etwas werth ist. Herr von Rivola wurde zufällig auf mein Zeichen- und Gravirtalent aufmerksam; er ist ein großer Kunstkenner, und da er mich sogleich richtig erkannte, so war es ihm bei seinen großen Connexionen ein Leichtes, mich zu einer guten Stelle vorzuschlagen. Ich besorgte auch kleine Arbeiten für ihn, wofür er mich so außerordentlich belohnte, daß ich schon mit Recht der Ansicht sein kann, daß in mir etwas ganz Besonderes steckt; wenn ich freilich im Verhältniß danach beständig bezahlt würde, so könnte ich es noch zu einem Millionär bringen.«

»Ich glaube, Sie schneiden ein wenig auf, Herr Steffler.«

»Ganz und gar nicht, mein liebes Kind; so hundert Gulden für eine ganz kleine Arbeit und noch ein tüchtiges Geschenk für meine zukünftige Einrichtung, und das für eine Arbeit, die ich, unter uns gesagt, an einem einzigen Sonntagmorgen zu Stande brachte!«

»Was war denn das für eine Arbeit?«

»Man kann es eigentlich nicht einmal eine Arbeit nennen; es war nur eine Probe, damit sie in der Staatsdruckerei sehen können, daß ich ein scharfes Auge und eine sichere Hand habe.«

»Wissen Sie nicht, lieber Franz, daß ich ebenfalls für Sie gearbeitet habe?«

Der Steuerschreiber sah sie fragend an.

»Neulich sprach ich einmal mit der Frau Stadtschultheißin, daß wohl die Zeit kommen könne, wo ich mich gern verändern möchte.«

»So, du möchtest dich verändern?«

»Nun ja – wenn – Sie wissen das ja« – bei diesen Worten spielte Jungfer Margarethe mit einer affectirten Verlegenheit an ihren Schurzbändern, – »und sagte das auch der Frau Stadtschultheißin, nannte dabei Ihren Namen und setzte hinzu, daß der Herr Baron von Rivola Ihnen eine gute Anstellung verschaffen wolle, worauf die Frau Stadtschultheißin erwiederte: ›Ja, in diesem Falle kannst du schon ruhig sein, denn wenn der Herr Baron von Rivola Jemanden protegirt, so muß dieser Jemand‹ – nein, ich sag' es doch nicht, du bist so schon eitel genug!«

»›So muß dieser Jemand etwas Rechtes sein‹,« hat sie gesagt, ergänzte der Steuerschreiber – »›o, ich weiß genau, was in mir steckt!‹«

»Lassen Sie Ihre Kindereien, da kommt der Herr Amtsdiener zurück; geben Sie mir meine Rechnung.«

»Hier, Jungfer Margarethe,« sagte Herr Steffler, indem er, scheinbar mit großer Ruhe, nochmals die Zahlenreihe überflog und dann dem hübschen Dienstmädchen das Papier einhändigte, welches es dankend empfing, dann Herrn Sprandel einen Knix machte und hierauf mit so koketter Bewegung, als es ihr nur möglich war, die Halle verließ.

Der Amtsdiener hatte bei seinem Eintreten rasch einen lauernden Blick hinter den Verschlag gesandt und sagte nun, als sich Jungfer Margarethe entfernt hatte: »Das hat lange genug gedauert – ich möchte nur wissen, was die Frau Stadtschultheißin denken würde, wenn sie erführe, daß ihr Dienstbote hier eine förmliche Auflage hielte; doch mir kann es gleichgültig sein, in jeder Beziehung gleichgültig.«

Er ging bei diesen Worten quer durch die Halle, öffnete einen dort befindlichen Wandschrank, aus dem er eine große Laterne nahm, deren Lampe er mit einem Schwefel-Hölzchen anzündete; dann rückte er seine Mütze fester in die Stirn, blies die Backen auf und verließ das Gemach durch eine Thür, die sich hinter der großen Treppe befand und die zu öffnen ihm einige Mühe kostete.

Herr Steffler, der durchaus keine Lust mehr verspürte, seine doch nun bald ganz beendigten Geschäfte für den erkrankten Marktmeister heute Morgen, da es ohnehin schon stark auf Mittag ging, fortzusetzen, klappte sein Buch zu, nahm seinen Hut und schloß den Verschlag hinter sich ab.

Er stand schon unter der Eingangsthür, um die Halle zu verlassen, als er von oben Jemand die Treppe herabkommen und, sich umwendend, den Stadtschultheißen sah, der mit einem jungen Manne in eifrigem Gespräche die Stufen niederstieg und, ohne ihn zu bemerken, mit diesem durch dieselbe Thür ging, durch welche soeben der Amtsdiener mit seiner leuchtenden Laterne verschwunden war. Daran war nun durchaus nichts Auffallendes; jene Thür führte zu dem Rathhauskeller, in welchem der Stadtschultheiß wahrscheinlich irgend etwas in Augenschein nehmen wollte, vielleicht eine bauliche Veränderung, denn er erinnerte sich dunkel, den jungen Mann auch schon irgendwo gesehen zu haben – richtig, bei seinem Freunde, dem Friseur Fritz, welcher gesagt, der junge Mann sei ein Baumeister, Ingenieur oder dergleichen.

Herr Steffler zog, auf der Treppe stehend, seine Handschuhe an und ging von dannen, um in der Nachbarschaft noch einen kleinen Besuch zu machen.

Die Treppe, welche von der Halle in den tiefen Rathhauskeller führte, war breit, etwas schlüpfrig zwar, aber nicht so dunkel, daß man ein Licht gebraucht hätte, weßhalb der Amtsdiener mit seiner Laterne hinabgestiegen war, um unten auf die ihm folgenden beiden Herren zu warten.

»Das ist ein schönes Gewölbe,« meinte der Ingenieur Welden, nachdem er mit dem Stadtschultheißen angekommen und den aus dicken Quadern gebauten Kreuzbogen aufmerksam betrachtete; »es wäre eine Freude, wenn man heutzutage noch so bauen dürfte. Dort in jener Ecke muß nach dem alten Plane, den ich genau durchgesehen, die fragliche Thür sein.«

»Ja, dort ist sie, und hier der Schlüssel,« sagte der Stadtschultheiß – »leuchten Sie dorthin, Sprandel.«

Der Ingenieur nahm den Schlüssel und drehte ihn nicht ohne große Kraftanstrengung in dem Schlosse herum, wobei er bemerkte: »Das ist lange nicht gebraucht worden.«

Es war eine schwere, kunstlos gearbeitete, aber sehr feste eiserne Thür, vor welcher nun die Drei standen, der Amtsdiener mit hoch erhobener Laterne, deren Lichtschein in einen unterirdischen Gang sehen ließ, welcher hier begann und aus welchem eine modrige, allerdings etwas übel riechende Luft herausdrang.

Welden nahm die Laterne aus der Hand des Amtsdieners, und nachdem er die Thür aufgedrückt, die sich kreischend in ihren Angeln drehte, ging er ohne Weiteres voran; ihm folgte der Stadtschultheiß, nachdem er Herrn Sprandel bedeutet, ihn oben in der Halle zu erwarten.

»Ist der Weg hier eben, oder gibt es Stufen?« fragte der Ingenieur.

»Ganz eben, nur läuft der Gang, der Straße folgend, wie Sie finden werden, ein wenig aufwärts.«

Langsam weiter schreitend, beleuchtete Welden die Wände sowie die Decke des festgebauten Gewölbes und sagte: »Das ist ebenfalls in einer Zeit erbaut, wo man weder an Steinen noch an Zeit zu sparen pflegte – schade darum, daß dieser Gang, wie Sie mir sagten, auf der Seite der jetzigen Hauptwache verschüttet worden ist; er würde noch Jahrhunderte allem Gewichte trotzen, das man für gut fände, auf ihn zu laden.«

»Und er hat nicht einmal viel zu tragen, denn er folgt meist den Straßen und geht nur kurz vor seinem Ende unter einem Häuserquadrat durch, ist auch wahrscheinlich der größeren Sicherheit wegen dort verschüttet worden.«

»Wie das zusammengefügt ist und mit Sorgfalt gearbeitet!«

Und so war es auch in der That; die Quadern, welche man zu dem Baue benutzt hatte, von festem Stein und so regelmäßig behauen, daß die Fugen heute, nach vielen hundert Jahren, noch wie mit dem Lineal gezogen erschienen und kaum zu bemerken waren. Die Luft hier war dick und warm, doch nicht so, daß sie das Athmen beschwerlich gemacht hätte. Von dem Geräusche des täglichen Verkehrs oben sowie von dem in den rechts und links anstoßenden Kellern hörte man nur wenig, zuweilen das Rollen eines Wagens, hier und da auch ein dumpfes Klopfen und Hämmern.

»Ich hatte mir den Gang viel verfallener gedacht,« sprach Herr Welden, »und von dem Gesichtspunkte ausgehend, wäre ich ganz mit Ihnen einverstanden gewesen, auch die eine Mündung im Rathhauskeller zu vermauern, wie es mit der anderen bei der Hauptwache schon vor langen Jahren geschehen; wie ich aber jetzt die Construction des Gewölbes finde, so wäre es eigentlich schade, ihn gänzlich unzugänglich zu machen, es gibt Architekten genug, die hier an den Steinschnitten des Gewölbes etwas lernen können – doch was haben wir hier? Ah, eine Biegung des Ganges und an der runden Ecke derselben ein viel lockereres Mauerwerk, als wir bisher gesehen – betrachten Sie das, Herr Stadtschultheiß.«

»Ich weiß wohl, wir sind hier an der Ecke der Bären- und Glockengasse, und die Rundung, welche wir hier haben, sind die Fundamente des alten Thurmes, der dem Herrn Baron von Rivola gehört.«

»Richtig, den Thurm, welchen er, wie Sie mir sagten, der Stadt schon verschiedene Male zum Kaufe angeboten hat. Warum erwerben Sie dieses interessante Bauwerk nicht? Sie könnten es zu einem städtischen Archive oder dergleichen benutzen, ließen den Eingang, der hier unstreitig in den Thurm führte, wieder herstellen und hätten alsdann eine unterirdische Verbindung mit dem Rathhause, die für mancherlei Fälle wohl zu benutzen wäre.«

»Daß hier ein Eingang war,« fuhr Welden nach einer Pause fort, während welcher er die Mauer mit der Laterne auf's sorgfältigste beleuchtete, »daran ist nicht zu zweifeln; sieht man doch deutlich hier die Thüreinfassung roh in Stein gehauen und bemerkt eben so genau, daß die Steine, welche die Öffnung jetzt verschließen, in späterer Zeit, und zwar mit sehr wenig Sorgfalt eingefügt worden sind.«

»Ich wußte das wohl, auch sprechen schon die alten Chroniken davon, daß jener Thurm unter der Erde mit dem damaligen Jagdschlosse in genauer Verbindung stand durch diesen Gang, der dann weiter fort in einen alten Steinbruch führte, wo jetzt die Hauptwache steht; zu welchem Zwecke, ist nicht angegeben.«

»Vielleicht zu ganz verschiedenen Zwecken, um ein Schlupfloch offen zu halten und, was diesen Thurm anbelangt, irgend einen sicheren Aufbewahrungsort zu haben, sei es für Schätze, sei es für Gefangene, und es wäre eine sehr dankbare Aufgabe, ihn gewissermaßen als Schatzkammer wieder herzustellen; so viel ich weiß, fehlt es Ihnen doch an Platz für Ihre Akten und Archive, und ich hätte schon lange gewünscht, daß die prächtigen Schränke in Ihrem schönen Rathhaussaale zu anderen Zwecken benutzt würden, als um vergilbte Papiere dort aufzubewahren.«

»Ihr Gedanke gefällt mir in der That, und wenn man den Gang von hier aus, wo er allerdings nicht mehr so fest und mit Steinen und Schutt ausgefüllt ist, wenn man ihn gerade hier hinter dem Thurme mit einem soliden Mauerwerke verschlösse, so würde man sicher auch die von weiter her dringenden übeln Gerüche abschneiden. Wir könnten noch einige Schritte vordringen, und dann würden Sie gleich sehen, wie dort das Mauerwerk unhaltbar und zerklüfteter ist.«

»Ich begreife das – der solid construirte Gang zwischen Thurm und Jagdschloß war ihnen die Hauptsache.«

»Ganz richtig; weiterhin steht er durch Schachtlöcher mit einigen Häusern in Verbindung, durch welche die Bewohner, allerdings gegen die Vorschrift, Asche und Kehricht hinabschütten.«

»Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir doch noch ein paar Schritte vorwärts,« sagte der Ingenieur – »doch halt – bitte, Herr Stadtschultheiß, bleiben Sie einen Augenblick stehen – hören Sie hier nicht ein eigenthümliches Geräusch?«

»Nichts Besonderes, Fußtritte droben und das entfernte Rollen eines Wagens.«

»Nein, nein, das ist es nicht – warten wir einen Augenblick, bis es über uns in der Straße wieder still geworden ist – jetzt hören Sie.«

»In der That, Sie haben Recht – was kann das sein?«

»Etwas wie das Rad einer Maschine, das sich ein paar Mal herumdreht und dann jedes Mal still gehalten wird. Ist hier in der Nähe irgendwo die Werkstätte eines Kupferdruckers?«

»Daß ich nicht wüßte.«

»Oder eines Lithographen?«

»Auch nicht; hier herum gibt es nur Krämer, Metzger, Bäcker und dergleichen Gewerbsleute. Das Geräusch könnte ja auch von einem Spinnrade herkommen.«

»Der Faden der Spinnerin müßte sehr regelmäßig abreißen,« meinte Welden kopfschüttelnd; »treten Sie ein wenig näher zu mir, hier hören Sie es deutlicher.«

Er hielt die Laterne hoch empor, um oben das Gewölbe zu beleuchten, und dann ließ er den Schein des Lichtes langsam an der feuchtglänzenden Mauer herabgleiten bis zu der schlecht vermauerten Öffnung in dem runden Thurme.

»Wenn Sie sich etwas niederbeugen wollen,« sagte er alsdann, »so hören Sie es am deutlichsten.«

»Ach ja,« erwiederte der Stadtschultheiß, nachdem er eine Zeit lang an der Mauer gehorcht, »das Geräusch scheint in der That aus dem Thurme des Herrn von Rivola zu kommen; vielleicht daß sein alter Diener, der ehemalige Schlosser, sich mit der Drehbank seines Herrn zu schaffen macht?«

»Ach, das könnte sein! Ja, ja, das Geräusch klingt so, als wenn ein widerspenstiges Rad nach verschiedenen Seiten probirt wird, um es wieder in Gang zu bringen. Jetzt hat das Geräusch ganz aufgehört; ich habe es mir immer zur Richtschnur genommen, über irgend etwas Ungewöhnliches, das ich besonders zur Nachtzeit höre, so lange nachzudenken oder, wenn es möglich ist, dasselbe zu untersuchen, bis ich zu irgend einer genügenden Erklärung gelange. Wenn das Jeder thäte, gäbe es keine Geistererscheinungen mehr.«

»Dazu fehlt aber Manchem Ihre Umsicht oder Ihr Muth, mein lieber Herr Welden. Hier ist es jedoch sicher der alte Friedrich gewesen; wenn ich ihn wieder sehe, will ich ihn darum befragen. Lassen Sie uns aber jetzt noch einige Schritte weiter vordringen, damit Sie sehen, wie sich die Construction des Ganges hier endet.«

»Ach ja, auffallend schlecht! Wie ich schon vorhin sagte, es ist meine Ansicht, daß es meinen Collegen von dazumal hauptsächlich darum zu thun war, die Verbindung zwischen Thurm und Rathhaus wahrscheinlich für den täglichen Verkehr im Stande zu halten; mit dem weiteren Gange mußte man sich für gewisse Fälle so gut als möglich behelfen.«

»Das hier ist allerdings recht sorglos zusammengefügt, und hier dicht am Rivola'schen Hause sehen Sie einen jener Schächte, von denen ich vorhin sprach. Wie hier Kehricht und Asche zu einem tüchtigen Haufen angewachsen sind! Ich muß denen da oben wieder einmal die Polizeivorschrift auffrischen lassen.«

Welden hatte mit der Laterne gegen den Boden geleuchtet, wo sich allerdings ein tüchtiger Haufen von Abfall aller Art und Asche befand; jetzt beugte er sich tief hinab und betrachtete etwas, das sich glänzend aus dem grauen Staube hervorhob.

»Was haben Sie da?«

»Wenn ich nicht irre, ein Stückchen geschmolzenen Kupfers, förmlich einen Tropfen bildend; man sollte glauben in der Nähe einer Galmeischmelze zu sein, gerade so tropft das Metall aus dem Steine.«

»Sehen Sie wohl, wie interessant es ist, diesen alten Gang zu untersuchen,« meinte lächelnd der Stadtschultheiß. »Da haben wir schon ein paar wichtige Entdeckungen gemacht; wer weiß, was wir fänden, wenn wir noch weiter fortschritten! Doch habe ich Ihre Zeit und Geduld genugsam in Anspruch genommen, kann Ihnen auch weiter nichts mehr zeigen.«

Welden hatte das Stückchen geschmolzenen Kupfers zwischen den Fingern gerieben und dann eigentlich ganz absichtslos in die Westentasche geschoben. Hierauf betrachtete er noch einen Augenblick die Steine und Erdmasse, welche sich allerdings hier jedem weiteren Vordringen widersetzten, und sagte alsdann: »Ich muß meinen Vorschlag von vorhin wiederholen, den alten Thurm zu kaufen und hier eine solide Mauer aufzuführen. Denken Sie nur, Herr Stadtschultheiß, was das für ein Rettungsweg wäre bei einem Brande oder dergleichen! Und dann eignet sich der alte Thurm mit seinen riesenhaften Mauern wie gar nichts Anderes zu einem städtischen Archiv.«

Der Stadtschultheiß ging dem Anderen schweigend voraus durch den alten Gang zurück; Welden schloß die alte Gitterthür nicht ohne einige Mühe wieder zu und sagte dabei: »Wenn Sie mir den Schlüssel anvertrauen wollten, so würde ich dieses schöne, aber verrostete Schloß einmal nachsehen lassen; das müßte bei guter Behandlung wie ein Uhrwerk gehen.«

»Thun Sie das, mein Lieber, und wenn Sie noch einen Augenblick Zeit für mich haben, so bitte ich Sie, mich nach oben zu begleiten.«

Neben dem Rathhaussaale hatte der Stadtschultheiß ein kleines, aber behagliches Arbeitszimmer, wo er den jungen Ingenieur zum Sitzen einlud und, als dieser das dankend ablehnte, mit ihm auf und ab ging.

»Das, was Sie mir vorhin vorschlugen, scheint mir als außerordentlich zweckmäßig. Der Herr Baron von Rivola äußerte schon einige Mal die Absicht, den Thurm und das Haus verkaufen zu wollen; auch war der verlangte Preis, ohne gerade gering zu sein, doch auch nicht übermäßig, und wir haben hier im Rathhause so wenig Platz, daß es schon sehr erwünscht wäre, in der Nähe einen solid gebauten Raum für Archiv, Magazin und dergleichen zu haben, sowie auch noch ein paar Schreibstuben für solche Geschäftszweige, die gerade nicht unmittelbar hier im Rathhause zu sein brauchen. Sie wissen, mein lieber junger Freund, daß ich neulich in der Gemeinderathssitzung recht tüchtig mit meinem Antrage auf Zumauern des Ganges überstimmt wurde; nun meinen allerdings meine Freunde, ich solle mich daran nicht kehren, und ich glaube, Sie machten neulich bei meinem Balle den Vorschlag, weder Gitterthür noch Öffnung zuzumauern, sondern dahinter ein solides Mauerwerk aufzuführen.«

»Nein, nein; Herr von Rivola sagte so, und fand ich damals dagegen nichts einzuwenden. Heute aber, wo ich den Gang gesehen, faßte ich eine andere Ansicht.«

»Und Ihre Ansicht ist ganz vortrefflich; ich werde vor den Gemeinderath hintreten und werde ihm sagen: Meine Herren und Collegen . . .« – der Stadtschultheiß legte bei diesen Worten seine rechte Hand auf die Brust – »Sie haben neulich meinen Antrag verworfen, und ich habe mich dem Beschlusse des verehrlichen Collegiums so gern und willig gefügt, daß ich sogar nach reiflicher Überlegung auf den Gedanken gekommen bin, den Gang, der nach Ihrem Beschlusse erhalten bleiben soll, für das Allgemeine nützlich zu machen, indem – und so weiter und so weiter. Ich schmücke mich dabei mit fremden Federn,« setzte er mit einer verbindlichen Verbeugung gegen Welden hinzu, »doch werden Sie mir schon erlauben, mir auf diese Art Ihre vortreffliche Idee anzueignen.«

»Gewiß.«

»Und noch eine weitere Bitte erfüllen. Wenn ich mich auch selbst der Freundschaft des hochverehrten Mannes, des Herrn Barons von Rivola rühmen darf, so möchte ich doch nicht gern in meiner Eigenschaft als Stadtschultheiß ihn um den Preis seines Hauses fragen; die städtischen Mittel sind etwas beschränkt, und in diesem Punkte ist mit großen Herren am allerschlechtesten Kirschen essen. Sie aber, mein verehrter Freund, stehen ihm nicht nur näher, als ich – ich weiß, Sie sind Hausfreund in Eichenwald – bitte, bitte, so oft ich im Herbste draußen war, sah ich, daß man Sie wie zur Familie gehörig betrachtete, ja, sogar die Baronin – doch gehen wir darüber hinweg. Sie können dem Baron begreiflich machen, daß uns der alte Thurm allerdings sehr nützlich wäre und daß er gerade in Betracht unserer beschränkten Mittel wohl ein gelindes Opfer bringen könnte, um der Stadt die Anschaffung dieses kleinen, ihm doch so entbehrlichen Anwesens möglich zu machen. Sehen Sie, mein lieber junger Freund,« fuhr der Stadtschultheiß fort, indem er Welden seine beiden Hände darreichte, »wenn ich vor den Gemeinderath hintreten könnte, um meinen oft so mißgünstigen und widerhaarigen Collegen zu sagen: So fügt sich der Stadtschultheiß in eure Beschlüsse nicht nur, daß er seine eigene Idee, die Zumauerung des alten Ganges, bereitwilligst aufgab, nein, er that noch mehr, um euren Wünschen gefällig zu sein, er will diesen besagten Gang sogar wieder herstellen, um ihn in Verbindung zu bringen mit einem Denkmale alter Zeit, für das wir nützliche Verwendung haben und welch' altehrwürdiges Denkmal er für euch um den Spottpreis von so und so viel erhandelt hat – ich glaube, ein alter Römer hätte nicht mit größerer Selbstverläugnung handeln können.«

»Ganz meine Ansicht,« gab Welden zur Antwort, während ein leichtes Lächeln über seine sonst ernsten Züge flog; »und um dieser Selbstverläugnung willen werde ich alles Mögliche thun, um von Herrn von Rivola in der That einen Spottpreis zu erlangen.«

»Gott lohne es Ihnen! Seien Sie aber meiner vollen Dankbarkeit gewiß, und wenn Sie einmal – was nicht mehr lange dauern kann – als Mitglied des Rathes in den Saal hier nebenan eingeführt werden, so werde ich das als die glücklichste Zeit meiner Amtsführung betrachten, und was ich dazu beitragen kann . . .«

Jetzt lächelte der junge Ingenieur in der That auf's herzlichste. Gewiß mochte ihm die Aussicht, einstens an dem großen, grünen Tische so viel leeres Stroh mitdreschen zu helfen, nicht gerade als das glänzendste Ziel seiner Wünsche erscheinen. Dem Stadtschultheißen schützte er allerdings seine Jugend und Unerfahrenheit im Geschäfte vor, worauf dieser ihm wohlwollend die Rechte auf die Schulter legte und in einem sehr ernsten Tone erwiederte:

»Ihre Jugend, mein lieber Freund, würde der Stolz Ihrer Eltern sein, wenn diese das Glück gehabt hätten, Ihre glänzenden Erfolge zu erleben. Könnte ich von meinem Ferdinand dasselbe sagen! Verzeihen Sie mir, daß ich diesen Schatten in unsere Unterhaltung bringe, aber es ist ein Schatten, der mein Leben verbittert und über den Sie mir vielleicht ein paar Worte erlauben werden – Sie sind ja auch ein Bekannter meines Sohnes.«

Welden verbeugte sich mit einem leichten Achselzucken.

»O, ich verstehe diese Miene! Ich wollte auch eigentlich nur sagen: Sie kennen ihn, Sie sehen ihn auch zuweilen, obgleich Sie ein paar Jahre älter sind. O, wenn es Ihnen schon deßhalb möglich wäre, hier und da ein vernünftiges Wort mit ihm zu reden! Er schlägt so ganz aus der Art, daß ich zuweilen förmlich erschrocken bin, wie ein solcher Verschwender in unsere Familie hineingerathen konnte.«

»Ferdinand ist allerdings etwas lustig, doch sonst ein in jeder Beziehung anständiger junger Mann; ich würde gewiß seinen Umgang nicht vermeiden, wenn ich mehr freie Zeit hätte.«

»Davon hat er viel zu viel, das ist gerade das Unglück.«

»Auch erlauben mir meine Mittel nicht, kleine, oft angenehme und gewiß unschuldige Thorheiten mitzumachen.«

»Was nennen Sie seine Mittel? Das allerdings reichliche Taschengeld, welches ich ihm gebe, und dazu das Andere, das ihm seine Mutter heimlich zusteckt – ich wollte nicht davon reden, aber ich fürchte, er macht Schulden, bedeutende Schulden.«

»Sollte Ihnen das verschwiegen bleiben?«

»Vollkommen; und deßhalb fürchte ich, er ist in die Hände von Wucherern gefallen. Man weiß, daß ich einiges Vermögen besitze, und ist der Ansicht, der Stadtschultheiß könne doch unmöglich den eigenen Sohn in den Schuldthurm sperren lassen – es wäre darin etwas von einem Brutus, aber ich danke dafür! Nun weiß ich, Ferdinand hat einen ziemlichen Respekt vor Ihnen, eben so wie manche der jungen Leute, die er seine Freunde nennt, so der kleine Besenbach, der mit dem rothen Barte.«

»Ah, ich kenne ihn!«

»Thun Sie es einem besorgten Vater zu Liebe, Herr Welden, und sagen Sie es mir, wenn Sie etwas in dieser leidigen Angelegenheit erfahren. Ich weiß, daß er namentlich in allerletzter Zeit Summen ausgibt, die mich erschrecken, Summen für jenes gefährliche Kleeblatt: Wein, Spiel und Liebe! Seien Sie meiner Dankbarkeit und Verschwiegenheit gewiß und überzeugt, daß ich zu allen Gegendiensten bereit bin.«

»Vielleicht ist das schwer zu erfahren, vielleicht auch ohne große Mühe, und da ich überzeugt bin, daß Sie, Herr Stadtschultheiß, Ihrem Sohne stets ein gütiger Vater sein werden, so will ich Ihnen gern Mittheilung darüber machen, wenn ich zufällig etwas erfahre – zufällig, denn dem nachzuforschen, wird sich nicht gut thun lassen.«

»Was ich vollkommen begreife,« sagte der Stadtschultheiß und setzte mit einem herzlichen Ausdrucke in Blick und Miene hinzu: »Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen also mit zwei wichtigen Aufträgen beschwerlich geworden bin, unseren gemeinschaftlichen Freund, den Freiherrn von Rivola betreffend, und die Quelle, aus welcher mein ungerathener Sohn das Geld für seine Schulden schöpft – allerdings zwei ganz entgegengesetzte Dinge.«


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