F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Wenn man die Stadt, von der im vorigen Kapitel die Rede ist, im Norden auf einer guten, sehr breiten Chaussee verließ, so gelangte man, sanft ansteigend, auf ein stundenlanges und -breites Plateau, das gerade keine einförmige Fläche genannt werden konnte, sondern durch kleinere oder größere Einsattelungen malerische Abwechslung erhielt. Diese Einsattelungen bildeten hier und da langgestreckte, mäßige Thäler, meist mit kleineren Bächen, welche von den nördlich gelegenen hohen, mit Waldungen besetzten Bergen herabkamen und dem Wanderer lustig entgegenmurmelten.

Auf diesem Plateau angekommen, bemerkte man, daß die höheren Berge, von denen wir soeben sprachen, auf einem Punkte einen stark hervortretenden Winkel bildeten, welcher, dicht bewaldet, unten mit Wiesen umsäumt war, und da, wo diese Wiesen sich mit der Hochebene verglichen, gewahrte man ein nicht sehr großes, aber weithin leuchtendes Gebäude, Eichenwald, das Landgut des Freiherrn von Rivola. Wohl eine gute Stunde führte die Landstraße über das Plateau fort, bald eines der eben erwähnten Thäler umgehend, bald ein anderes ab- und aufsteigend durchschneidend, ehe man Eichenwald erreichte. Endlich sah man es dicht vor sich liegen, ein viereckiges, hellgelbes Haus mit ziemlich flachem Dache, vorn ein breiter Altan, mit wenigen, aber großen Fenstern. Die Landstraße führt dicht an der Umfassungsmauer des Gartens vorbei, der zum Landhause gehörte, das aber, selbst etwas höher als die Landstraße gelegen, diese und die ganze Hochebene mit seiner Aussicht beherrschte. Zwei mächtige, steinerne Thorpfeiler mit starken Eisengittern führten in die Besitzung, und wenn man diese hinter sich hatte – doch mußte man vorher anläuten, und dann dauerte es oft eine Weile, ehe der Bediente vom Hause herabkam, um zu öffnen –, so gelangte man auf einem breiten Kieswege, der sich in einer schlangenförmigen Windung erhob, bei Blumenpartieen und Gebüsch vorüber an die oben erwähnte Terrasse, vor welcher sich ein Springbrunnen befand, der sein Wasser in einer förmlichen Garbe hoch emporwarf. Hier oben auf der Terrasse, wo man einen prächtigen, weiten Blick über die Hochebene, ja, auf den höher liegenden Theil der Stadt hatte, wo man die Kirchthürme derselben deutlich sah, war während der guten Jahreszeit ein Lieblingsplatz der hier wohnenden Familie, aber auch jetzt, zur Zeit des Winters, war der Blick auf die weite Winterlandschaft großartig schön.

Es hatte in den letzten Tagen stark geschneit, dann war Frost eingetreten und nun wölbte sich ein klarer, blauer Himmel über die weiße, funkelnde Schneedecke. Wie eigenthümlich und doch so malerisch schön erschienen unter ihr die ausgebreitete Hochebene, die kleinen Thalschnitte mit ihren dunkeln Rändern, die Landstraße mit ihren Nebenwegen wie gelblich gefärbte Striche, die Hecken, kleinen Gebüsche wie Pelzverbrämung auf dem Kleide von weißem Sammt, das die Erde um sich geschlungen, und im Hintergrunde die große Stadt, durch die weißen Dächer ihrer Häuser fast unsichtbar geworden und nur kennbar hervortretend durch Dampf und Rauch, der dort aus dem Thale hervorqualmte.

In der jetzigen Jahreszeit war das Landhaus auf dieser Seite fest gegen die Winterkälte verwahrt, die doppelten, bis auf den Boden gehenden Glasthüren verschlossen und von außen am Fußboden durch zierlich geflochtene Strohkränze gegen das Eindringen der Zugluft geschützt. Auf dieser Seite des Hauses war übrigens auch während der Sommermonate kein Eingang für die Fremden, sondern dieser befand sich auf der anderen Seite, konnte auch von der Straße erreicht werden, ohne daß man nöthig gehabt hätte, sich die große Gitterthür öffnen zu lassen, wenn man nämlich von der Chaussee aus einem schmalen Fußwege folgte, der außen an der hohen Gartenmauer vorbeilief und zu einem kleinen, aber festen Thürchen führte, das sich unmittelbar gegenüber dem Haupteingange befand; doch kannten und benutzten nur die genauen Freunde des Hauses diese kleine Pforte.

Das Landhaus hatte einen großen Salon, welcher mit der Flügelthür auf die vorhin besprochene Terrasse ging und der allgemeine Versammlungsort für die Familie und das Empfangszimmer für die Fremden war. Dieser Salon war reich und elegant eingerichtet und sein Hauptreiz bestand in den großen Spiegelscheiben, durch welche man in die Landschaft hinaussah, hauptsächlich aber jetzt im Winter aus einer sehr behaglichen Kaminecke, den Thüren gegenüber, wo inmitten von den bequemsten Sitzgelegenheiten den ganzen Tag ein helles Steinkohlenfeuer glühte und den ziemlich großen Raum angenehm erwärmte. Rechts von diesem Salon befanden sich ein Speisezimmer und ein dazu gehöriges Servircabinet, welches durch ein Vorzimmer, mit Glas- und Porzellanschränken angefüllt, mit der Küche in Zusammenhang stand. Links vom Salon war eine kleine Bibliothek, daneben das Schreibzimmer des Herrn vom Hause sowie ein Gastzimmer, das aber selten benutzt wurde, und daneben ein anderes Zimmer für die Haushälterin, an welches wieder eine Art Rumpelkammer stieß, wo Herr von Rivola alles Mögliche aufbewahrte, Gegenstände, die er gerade nicht wegwerfen, aber aus den Augen schaffen wollte. Die festen Fensterladen dieser Rumpelkammer waren beständig verschlossen, denn Herr von Rivola meinte, es sei viel angenehmer, von außen auf diese zu schauen, als auf das Gerümpel, welches sich im Laufe der Jahre hier angesammelt. Im ersten Stocke des Hauses war die gleiche Zimmereintheilung wie unten; in der Mitte ein gemeinschaftlicher Salon, an dessen linker Seite sich Wohn- und Schlafgemach der Frau von Rivola und deren Tochter befanden; auf der anderen die des Hausherrn, und die einzige Abweichung von unten war hier oben ein kleines Zimmer in der Ecke, dessen Thür auf eine kleine, runde Treppe mündete, die beinahe ausschließlich von Herrn von Rivola benutzt wurde und unten durch eine starke eiserne Thür mit dem kleinen Hofraume in Verbindung stand.

Einen weiteren Stock hatte das Haus nicht, und des sehr flachen Daches wegen auch unter demselben keine weiteren Räumlichkeiten.

Neben dem Landhause, vielleicht auf fünfzehn Schritte Entfernung, war ein Hintergebäude mit den nothwendigen Räumlichkeiten für die Haushaltung, mit Stallung und Remise sowie Wohnung für die Dienerschaft. Dieses Haus war ziemlich lang und in der Mitte in zwei Theile getheilt durch einen breiten Thorbogen, vermittelst dessen man auf die dahinter liegende große Wiesenfläche gelangen konnte. Wenn der Grasertrag derselben auch für die auf der Höhe gelegene kleine Meierei benutzt wurde, so hatte der Freiherr von Rivola der im Sommer einförmig grünen Oberfläche doch dadurch eine malerische Abwechslung zu geben vermocht, daß er sie mit gewundenen, sanft aufsteigenden Wegen versah und hier und da eine kleine Gebüschpartie anlegte. An diese Wiese stieß der dichte Wald, welcher, am Saume allerdings jungen Nachwuchs zeigend, aus mächtigen Eichen bestand, von denen das Gut seinen Namen hatte.

Wir sind es unserer wahrhaftigen Geschichte schuldig, trotz Schnee und Eis diesen Wald zu durchdringen, den beiden Fahrwegen folgend, bis zu der Stelle, wo, wie wir den Ingenieur Welden vor einigen Tagen auf dem Balle erzählen hörten, ein Stück von dem Walde des Freiherrn von Rivola für den neu projectirten Eisenbahnbau abgeschnitten werden mußte. Dies hatte allerdings in das früher so gut abgerundete Anwesen einen argen Riß gethan und ein Stück Wald, das nun jenseit der Bahnlinie lag, fast werthlos gemacht, eine kleine, reizende Berghöhe, welche früher für die Familie nicht nur dadurch werthvoll gewesen war, daß man hier oben nach Norden eine weite Aussicht hatte, sondern hauptsächlich dadurch, weil hier oben die Trümmer einer alten Burg, die Eichenkrone, lagen. Wie oft hatte sich Herr von Rivola mit Entwürfen getragen, den bequemen Fahrweg bis dort hinauf zu verlängern und später einmal die an sich nicht große Burg wieder aufzubauen und zum Sitze für seine Nachkommen zu machen! Vielleicht hätte er auch diesen Gedanken aufgeführt, wenn nicht Lucy sein einziges Kind gewesen wäre. So aber hatten die vernünftigen Einwendungen der Frau von Rivola gegen dieses kostspielige Unternehmen den Sieg davongetragen.

Wir können da nicht umhin, die Bemerkung einzuschalten, daß die Rathschläge der Frau von Rivola überhaupt sehr maßgebend für ihren Gatten waren und daß er mit seinem großen Verstande, seiner Energie und seinen Lebenserfahrungen sich nicht selten durch die ruhige Berechnung seiner Frau von irgend einem Entschlusse, einem Plane abbringen ließ, den er mit Liebe gefaßt und längere Zeit mit sich herumgetragen. Dabei müssen wir aber hervorheben, daß die kluge Frau ihm niemals dergleichen Bemerkungen aufzudrängen suchte, sondern sie nur zu machen pflegte, wenn er mit ihr über seinen Plan sprach und ihren Rath einholte. Daß sie es aber vermochte, ihn stets und ehe er an die Ausführung ging, zum Auseinandersetzen seiner Plane zu bringen, darin bestand einestheils die wohlthätige Herrschaft, welche sie in dieser Richtung über ihn ausübte, anderentheils darin, daß sie seine Eigenliebe nie durch schroffe Bemerkungen oder eigensinnigen Widerspruch verletzte, sondern daß sie, auf seine Ansicht eingehend, ihm die betreffende Angelegenheit durch leidenschaftslose Betrachtungen in einem ganz anderen Lichte erscheinen ließ, als er sie bisher gesehen.

Daß Herr von Rivola seine Frau heute noch, nach langjähriger Ehe, zärtlich liebte, wissen wir bereits. Sie verdiente das durch ihre großen und guten Eigenschaften, und wenn er mit seinem Verstande und seinen Kenntnissen sie auch in geistiger Beziehung weit überragte, so blickte er doch heute noch in fast schwärmerischer Verehrung zu ihr empor und that überlegend, wägend und prüfend alles, was ihm nur möglich war, um ihr das Leben angenehm zu machen, um jeden Schatten zu entfernen, der ihre Tage hätte verdüstern können.

Vielleicht vermochte er das aber nicht immer, und in dem Falle, daß er ihr etwas Unangenehmes mitzutheilen hatte, that er das so schonend wie möglich und behielt gewiß das Schlimmste für sich allein. In welchem Leben, in welcher Ehe erscheinen nicht Ursachen zu trüben Stunden und Tagen – und vielleicht war es sein Bestreben, ihr dergleichen Ursachen zu verheimlichen, die Herrn von Rivola zuweilen so nachdenklich, so trübe, ja, finster gestimmt erscheinen ließen, wenn er allein vor seinem Schreibtische saß, die Hände gefalten, den Kopf tief auf die Brust herabgesunken. Wenn er in solchem Augenblicke seine Brille abgelegt hätte, so hätte ihn alsdann wohl sein düster umflortes Auge bemerken können, aber auch die ängstliche Hast, mit welcher er seine kummervollen Blicke durch die blauen Gläser wieder verdeckte, wenn er vor der Thür den ruhigen Schritt seiner Frau vernahm oder die helle Stimme Lucy's.

Das Hintergebäude, von dem wir vorhin sprachen, hatte ein großes Gemach, welches zum Aufenthalte sowie zum Speisezimmer der Dienerschaft bestimmt war, und hier sehen wir nun zwei derselben am Frühstückstische sitzen, den Kutscher und den Bedienten, während Madame Werber, die Haushälterin, am Fenster stand. Alle drei waren schon lange Jahre im Hause, und der Bediente versah bei Herrn von Rivola zugleich die Stelle eines Kammerdieners. Dieser letztere rührte in einer großen Kaffeetasse und sagte alsdann:

»Und wenn Sie, Madame Werber, und auch Ihr, David, hundert Mal das Gegentheil versichert, so bleibe ich doch bei meiner Behauptung, daß es nur Geiz von dem Herrn ist, wenn er uns Monate lang auf die Bezahlung unserer Rechnungen warten läßt, die wir ihm vorlegen – Geiz, sage ich, und nichts Anderes!«

Die Haushälterin schüttelte bedenklich mit dem Kopfe, und es dauerte längere Zeit, ehe sie hierauf erwiederte: »Wenn es nur Geiz wäre, so wüßte die gnädige Frau, die ja alle Eigenheiten des gnädigen Herrn so genau kennt, auch davon und würde ihm sagen, daß es unschicklich ist, Haushaltungsrechnungen nicht zu bezahlen.«

»Weiß sie denn um diese unbezahlten Rechnungen?« fragte der Kutscher. »Ich meinestheils will lieber all mein Erspartes bis zum letzten Heller daran verwenden, ehe ich einer so vornehmen Dame darin einen betrübten Augenblick machen möchte.«

»Ganz meine Ansicht,« meinte die Haushälterin, »auch ich möchte die gnädige Frau mit so etwas absichtlich nicht beunruhigen; dafür aber kann ich nichts, daß sie neulich, als ich mein Buch und meine Rechnungen zum Herrn bringen wollte, zufällig hineinschaute und dann mit einem leichten Erstaunen sagte: ›Was, Madame Werber, da sehe ich ja unbezahlte Rechnungen, die über einen Monat alt sind – Sie wissen wohl, daß mein Mann das nicht leiden kann!‹«

»Und ich sage dir,« sprach der Kutscher in einem entschuldigenden Tone zu dem Bedienten, »daß ich trotz der blauen Brille des gnädigen Herrn und trotzdem er in seinen Papieren kramte, doch deutlich die Verlegenheit auf seinem Gesichte bemerkte, als ich ihm, es können heute acht Tage sein, zum letzten Male meine ziemlich stark aufgelaufene Rechnung für Hafer und Heu vorlegte; auch zog er ein paar Schubladen auf, in welchen sich allerdings etwas Geld befand, und sagte dann in einem verdrießlichen Tone: »Ich mag bei dem Wetter Niemanden von euch in die Stadt schicken!« – Allerdings regnete und schneite es an demselben Morgen, was es nur konnte, aber Nachmittags fuhr der Herr selbst in die Stadt, ohne mich am anderen Morgen rufen zu lassen und nur zu sagen: ›Nun komm her, David, damit wir unsere Rechnungen ordnen!‹«

Der Bediente hörte das ruhig an und blickte dabei lächelnd mit einem Gefühle außerordentlicher Sicherheit bald auf den Kutscher, bald auf die Haushälterin, wobei er behaglich mit den Fingern auf dem Tische trommelte, sich überhaupt ein Ansehen gab, als sei er im Stande, die Behauptungen, die er eben gehört, mit wenigen Worten niederzuschlagen. Doch ließ er die Beiden erst eine Weile reden, und erst als sie mit einander darüber einig waren, daß dies ein Zustand wäre, der bei dem sonst so respektablen Hause und der wohlwollend freundlich gesinnten Herrschaft sehr unangenehm sei, sprach er mit großer Würde nochmals das Wort »Geiz« aus, betonte es dreimal ausdrucksvoll hinter einander und fuhr dann erst nach einem längeren Stillschweigen und nachdem er sich genugsam an den erstaunten, fragenden Blicken der Anderen geweidet hatte, fort: »Geiz, und das will ich euch sogleich beweisen. Auch ich legte dem Herrn neulich meine Rechnung vor, auch vor meinen Augen kramte er in den Schubladen seines Schreibtisches mit derselben Miene, von der David eben sprach, und schickte mich spazieren, ohne mir Geld zu geben, so gut wie euch. Kurz darauf hatte ich etwas in der Bibliothek zu thun und sah durch die Thür, daß der Herr, der in tiefen Gedanken an seinem Schreibtische saß und mich nicht bemerkt haben mochte, eine Schublade ganz herauszog, an einem Knopfe des Tisches drehte und nun aus einem verborgenen Winkel eine rothlederne Mappe hervorzog, die er vor sich legte, öffnete und in der sich – nun, was glaubt ihr wohl, daß sich darin befunden hätte?«

»Nun, Papiere, Briefe,« sagte der Kutscher.

»Weit gefehlt,« fuhr der Bediente in leiserem Tone fort; »es befand sich in der Mappe ein solcher dicker Pack großer Banknoten, daß mir bei dem Gedanken, wie viel Geld das wohl sein müsse, beinahe schwindelig wurde, denn das waren keine Fünf- oder Zehnguldenzettel, das waren Fünfhunderter, wenn nicht Tausender. Ich war überrascht und erfreut im Interesse unserer Herrschaft, ich kann wohl sagen, daß ich ein Buch, welches ich für das gnädige Fräulein umtauschen sollte, fast hätte auf den Boden fallen lassen, glücklicher Weise that ich das nicht, sondern schlich mich davon, ohne gehört zu werden.«

»Daß dich das Donnerwetter!« rief der Kutscher, indem er die geballte Faust vor sich aus den Tisch legte. »Aber wie kann man so geizig sein?«

»Herr des Himmels,« sagte Madame Werber, »das ist doch ein Bißchen stark, Leute in Verlegenheit zu setzen, die es sonst gut mit dem Hause meinen! Und doch beruhigt mich die Entdeckung, die Jakob gemacht hat.«

»Auch mich hat es beruhigt, daß ich sie gemacht, das kann ich Sie versichern, Madame Werber; es ist doch viel besser, einem geizigen Herrn zu dienen, der nebenbei sein Haus und seine Leute so anständig hält, wie der Herr Baron, als wenn man bei Jemanden wäre, bei dem es so aussieht, daß er seine Haushaltungsrechnungen nicht zu bezahlen im Stande ist.«

»Dafür würde ich mich bedanken, denn von einer solchen Lumperei bleibt leider Gottes immer etwas am Renommée der Dienerschaft kleben!«

»Aber es ist doch nicht recht – Alles sollte seine Gränzen haben, auch der Geiz, und nach dem, was wir jetzt erfahren, werde ich mir erlauben, dem Herrn meine Rechnungen heute oder morgen auf's dringendste vorzulegen.«

»Ja, das könnte nichts schaden,« pflichtete der Kutscher bei, »und obgleich ich an deinem pfiffig lächelnden Gesichte sehe,« wandte er sich an den Bedienten, »daß du nicht dieser Ansicht bist, so werde ich mir doch erlauben, eben so zu thun, wie Madame Werber, und hoffe, daß du es gerade so machen wirst.«

»Das versteht sich von selbst, und ich lächelte nur, weil ich daran dachte, wie sehr man hier über die Verhältnisse des Herrn im Irrthum befangen war – Unsereiner sieht schon klarer. Ich habe einmal in einem Buche gelesen,« setzte er selbstgefällig hinzu, »daß ein gescheiter Kammerdiener jede, auch die kleinste Schwäche seines Herrn kennen müsse – wie sollte ihm alsdann der größte Fehler desselben, nämlich kein Geld zu haben, entgehen?«

»Legen wir also unsere Rechnungen vor, und das so bald als möglich.«

Als man damit im Reinen und wohl zufrieden war, zu diesem Entschlusse gekommen zu sein, ging die Haushälterin zu einem anderen Gesprächsthema über, indem sie fragte: »Nun, wie war es gestern Abend in der Stadt?«

»Kalt und naß,« erwiederte David, »eine unangenehme Fahrt, die nur dadurch allenfalls erträglich gemacht wurde, weil der Herr, immer pünktlich wie seine Uhr, mich keine Viertelstunde warten ließ; und weil die kurze Zeit, die ich vor dem Hause des Stadtschultheißen halten mußte, mir dadurch angenehm vertrieben wurde, daß ich so wie noch ein anderer herrschaftlicher Kutscher, der neben mir hielt, von Rechts wegen mit einem heißen Glase Punsch bedacht wurde – respektable Leute das, wo dächten Andere, die sich viel vornehmer dünken, daran, daß ein armer Kutscher draußen auf seinem Bocke ebenfalls ein Mensch ist?«

»Es war ein förmlicher Ball?«

»Das will ich meinen, die Musik stolperte gerade nach Hause, als ich abfuhr; aber ich bin noch müde, denn ich hatte gestern einen harten Tag, die Pferde ebenfalls, war ich doch Nachmittags schon einmal in der Stadt!«

»Der Herr mußte wohl wichtige Geschäfte haben, bei dem Wetter zwei Mal hinein zu fahren?«

»Davon habe ich nicht viel gemerkt; er war bei dem Hoffriseur Sieger, und dann fuhren wir an das schmale Haus in der Stadt, neben dem alten Thurme, das heißt nicht eigentlich an das alte Haus selbst, sondern wir hielten an der Ecke der Straße, und der Herr ging allein hinein und blieb eine gute Weile aus.«

»Waren Sie je in dem Hause?« fragte Madame Werber den Bedienten.

»O ja, schon verschiedene Male; der Herr schickte mich schon häufig mit Briefen an den alten Friedrich, seinen ehemaligen Kammerdiener, der jetzt so eine Art von Verwalter über das Haus ist; es hat sich aber da nicht viel zu verwalten – das Haus ist ein schmales Ding, an den alten Thurm angeklebt, mit drei niedrigen Stockwerken, in deren unterstem der Friedrich wohnt, während die beiden anderen vermiethet sind, aber an geringe Leute – es wohnt nichts Rechtes da.«

»Deßhalb ist dem Herrn wohl auch die ganze Sache verleidet, denn man sagt, er wolle Haus und Thurm verkaufen.«

»Gewiß, das weiß ich aus bester Quelle; aber wer könnte die alten Gebäude gebrauchen? Nur die Stadt, um sie wegzureißen und so bei dem Winkelwerke der dortigen Straßen einen kleinen Platz zu gewinnen.«

»Der Stadtschultheiß wird dem Herrn schon den Gefallen thun, aber die Stadt hat kein Geld.«

»Wie kam der alte Thurm in den Besitz des Herrn von Rivola?« fragte die Haushälterin.

»Er kaufte ihn, als er vor ungefähr zehn Jahren hieher kam; der Herr ist ja heute noch ein Liebhaber von so alterthümlichen Geschichten – hat er doch auch die Eichenkrone da oben erst später zu dem Gute hier gekauft.«

»Die ihm die Eisenbahnlinie jetzt wieder davon abgetrennt hat.«

»Ja, aber noch nicht bezahlt, so viel ich weiß – der Herr und die Verwaltung haben ja einen Prozeß mit einander.«

»Richtig, bei dem Advokaten, der ihn führt, waren wir gestern, das hätte ich fast ganz vergessen; er brachte den Herrn an den Wagen, und während dieser einstieg, sagte er zu ihm: ›In den nächsten Tagen muß es entschieden sein!‹«

»Daß Herr von Rivola die Eichenkrone gekauft, begreife ich ganz gut,« sagte die Haushälterin – »was ist da oben für eine prächtige Aussicht; aber den alten Thurm in der Stadt – mir graut immer, wenn ich ihn sehe, ich würde ihn nicht geschenkt nehmen, denn man sagt mir, es sei ehedem ein Gefängniß darin gewesen, ich glaube sogar, eine Folterkammer.«

»Das hat den Herrn gerade angezogen; vielleicht dachte er, es seien alte Waffen und Geräthschaften dort versteckt oder begraben. Ich erfuhr einmal zufällig in einem Wirthshause nahe bei dem Thurme, daß der Herr und Friedrich lange damit beschäftigt waren, irgend etwas Interessantes darin zu finden; es muß aber nicht viel damit gewesen sein, außer ein paar alten Spießen und der Armbrust, die jetzt in der Bibliothek hängt.«

»Nicht wahr, den Friedrich brachte der Herr damals mit, als er hieher kam?«

»So ist es, Madame Werber, und er war längere Jahre hier auf dem Gute, welches der Herr bei seiner Ankunft sogleich gekauft hatte. Friedrich war verheirathet und wohnte in dem Zimmer, in welchem wir uns gerade befinden, bis die Frau von einem Schlaganfalle gelähmt wurde. Dann versetzte ihn Herr von Rivola in die Stadt; Kinder hatten sie keine, und er führt nun ein recht behagliches Leben, denn der Herr zahlt ihm ein ansehnliches Gehalt und thut auch sonst alles mögliche, um ihm die Last der Krankheit seiner Frau zu erleichtern.«

»Es ist überhaupt ein braver Herr, der Herr Baron,« sagte der Kutscher, »und ich muß ehrlich sagen, es ist mir schon lieber, daß er geizig ist, als wenn ich denken müßte, seine Verhältnisse seien nicht in Ordnung und er habe kein Geld – nicht wegen der paar Gulden, die man allenfalls verlieren könnte, sondern wegen des Unglücks, das alsdann die gnädige Frau und das Fräulein mitbetreffen müßte, und die gnädige Frau ist aus einem absonderlich guten Hause, das weiß Niemand besser als ich. War doch mein Vater lange, lange Jahre in dem Hause des Grafen Hartenstein, wo es hoch herging, allerdings ein Bißchen zu hoch, und die gute, gnädige Frau hat es in ihrer Jugend schon einmal mit ansehen müssen, welcher Jammer es ist, wenn es mit einem so vornehmen Hause bergab geht! Es thäte mir in der Seele weh, wenn sie das zum zweiten Male erleben müßte, und an ihrer eigenen Wirthschaft. Deßhalb bin ich schon froh, daß der pfiffige Jakob, ohne es zu wollen, durch die Thür der Bibliothek in das Schreibzimmer geschaut und gesehen hat, wie der Herr einen so unmenschlichen Haufen Banknoten betrachtete. Nicht wahr, so hoch war der Haufen?« setzte er lächelnd hinzu, indem er mit der Hand über dem Tische eine allerdings etwas große Entfernung bezeichnete.

»Wenn auch nicht gerade so groß,« entgegnete der Bediente, »so war es doch gewiß hundert Mal mehr, als wir Drei hier in unserem Leben aufbrauchen könnten.«

»So wollen wir darauf hin unsere Rechnungen vorlegen,« entschied die Haushälterin.


 << zurück weiter >>