F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Als Welden nach dem Furchtbaren, das ihm heute Morgen begegnet war, wie aus einer tiefen Betäubung wieder erwachte und in seinem Zimmer umherblickte, schien ihm Alles ein böser, schwerer Traum zu sein, und doch sah er an allem, was ihn umgab, die furchtbare Wahrheit; da lagen auf seinem Schreibtische die Papiere und Pakete, wie er sie in der Nacht geordnet; da sah er seinen Koffer verschlossen neben der Thür stehen; da hörte er die Uhr des benachbarten Kirchthurmes schlagen, sieben Mal, und jeder Schlag schien ihm hohnlachend zu sagen: »Wie wäre dir jetzt so wohl, wenn du draußen ständest, fünf Schritte vor der Mündung einer Pistole – oder, noch besser, wenn die Kugel, dem Lauf entflogen, ihr Ziel, dein Herz, nicht verfehlt hätte!«

Merkwürdiger Weise schienen all die zahlreichen Uhren der Stadt, welche jetzt nach einander in den verschiedensten Tonarten anschlugen, nicht nur der gleichen Ansicht zu sein, sondern ihre Gedanken und Meinungen noch schärfer auszusprechen, daß man es von diesem Welden nimmermehr erwartet hätte, sich auf solch' strafbare Art zurückhalten zu lassen, und daß die ganze Stadt wohl Recht hatte in ihrer Vermuthung, Welden sei doch nicht ganz unschuldig daran, daß der Polizeirath Merkel – ihr Bruder – so entscheidend eingegriffen habe; »– sehr – glaub – lich – sehr – glaub – lich!« brummte die Thurmglocke, und das Glöcklein der Kapuzinerkirche gellte schließlich: »gewiß – gewiß – gewiß!«

»Wenn die Glocken es verkünden, muß wohl etwas Wahres daran sein,« murmelte der junge Ingenieur in dumpfem Tone zwischen den fest auf einander gebissenen Zähnen hervor. Und dann kamen Augenblicke, wo er seine beiden Hände fest an die Schläfen drückte und sich alle Mühe geben mußte, das, was Miltau gesagt und die Glocken wiederholt, selbst nicht zu glauben, denn es war gar zu unwahrscheinlich.

Doch gingen diese furchtbaren Gedanken auch vorüber, wenigstens für kurze Zeit, und dann überlegte er mit brennender Stirn, was jetzt zu thun sei; sein Gedanke war, Ferdinand Welkermann aufzusuchen, um diesem der Wahrheit gemäß Alles zu erzählen, wie es sich begeben – Alles? – Unmöglich! Hoffte er doch immer noch etwas von der Discretion Miltau's, wenn er anderentheils schon zugeben mußte, jener könne nicht anders, als den Ruf einer unglücklichen Frau vernichten, um seine Behauptung, Welden sei ein elender, feiger Wicht, aufrecht zu erhalten. Und würde Welkermann anderer Ansicht sein oder sein wollen? Das Letztere vielleicht; denn auch Welden erkannte seinem Gegner bei all dessen Fehlern ehrenhafte Gesinnungen zu.

Was aber thun, wenn er zu Welkermann kam und dieser ihm achselzuckend wiederholte, was Herr von Miltau ihm hier auf dieser Stelle gesagt? Nein, nein, das zu ertragen wäre ihm heute Morgen bei der Aufregung, in der er sich befand, unmöglich gewesen! Wo sollte er Rath und Hülfe suchen? Bei Herrn von Rivola? Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen, wenn er an diesen dachte und an die Unterredung, welche er mit ihm gehabt. Bei dem Polizeirath Merkel? Ja, es war das Beste, diesen aufzusuchen und von ihm eine kategorische Erklärung zu verlangen, daß – daß er, der arme Welden, unschuldig sei. Er lachte selbst ingrimmig auf, als er diesen Gedanken ausbildete und weiter verfolgte, als er daran dachte, seine zerrissene Ehre durch ein polizeiliches Zeugniß wieder herstellen zu wollen. Und selbst eine Unterredung mit dem Polizeirath betreffend, stiegen undurchdringliche Schranken vor ihm auf; konnte er doch nicht vor ihn hintreten und ihm sagen: »Herr, man hält mich für fähig, auf Sie eingewirkt zu haben, weil Ihre Schwester – freundlich für mich gesinnt ist! Geben Sie mir ein Zeugniß, daß dem nicht so ist, trotzdem Ihre Frau Schwester ein wenig stark compromittirt scheint!«

Ah, verflucht, so war ihm jede Aussicht verbaut, wohin er sich wandte, und er konnte nichts thun, als sich seinen Feinden auf Gnade und Ungnade ergeben!

Und das wollte er doch nicht – nein, bei Gott, das konnte er nicht! Er mußte wenigstens den Versuch machen, Ferdinand Welkermann von seiner Unschuld zu überzeugen und alsdann dessen Großmuth die Bestimmung über den Vollzug des Duells überlassen. »Seine Haft wird nur einige Tage dauern,« dachte er ganz richtig, »kaum einige Tage; denn welches Recht hat Merkel überhaupt, Ferdinand Welkermann zu verhaften?« – Und da es ihm nach langem Überlegen das Zweckmäßigste schien, sich über die Dauer der Haft Ferdinands Gewißheit zu verschaffen, zog er sich rasch vollständig an, um zum Polizeirath zu gehen, welchen er sich schon erlauben konnte, so früh am Morgen aufzusuchen.

Er warf einen scheuen Blick nach seinem Schlafzimmer und biß seine Zähne in die Lippen, als er hierauf das Zimmer verließ. Doch konnte er sich nicht enthalten, draußen im Gange ein paar Mal lauschend stehen zu bleiben; aber er hörte kein Geräusch, als die Stimme des Dienstmädchens in der Küche, die ihr Tagewerk mit einem halblaut gesungenen Liede begann.

Wie wohl that ihm draußen der Anblick des trüben, grauen Himmels, das Wehen eines scharfen Nordostwindes, welcher ihm zuweilen einzelne, schwere Regentropfen prickelnd in's Gesicht jagte; wie angenehm war es ihm bei diesem häßlichen Wetter, wenige Leute auf der Straße zu sehen und, wie er glaubte, von keinem Bekannten bemerkt worden zu sein, als er, nun noch einmal rasch umbiegend, in das Gebäude der Polizeidirektion trat.

Der Amtsdiener des Herrn Merkel, welcher in Welden einen genauen Freund seines Herrn erkannte, machte trotzdem ein zweifelhaftes Gesicht bei dessen Frage nach dem Polizeirath. »Allerdings,« sagte er, »ist derselbe schon sichtbar, aber ich weiß nicht, Herr Welden, ob . . .«

»Sie mich anmelden können? Wenn ich Sie nun aber versichere, daß dies die Zeit ist, welche mir der Herr Polizeirath bestimmt hat?«

»Ah, das ist etwas Anderes, und bitte ich Sie, nur einzutreten! Der Herr Polizeirath ist allerdings noch nicht zurückgekehrt – er ging in einer dringenden Angelegenheit zu Seiner Excellenz dem Herrn Polizeiminister –, aber die Anderen sind bereits drinnen.«

Welden war mit seiner eigenen Angelegenheit zu sehr beschäftigt, um auf die letzte Bemerkung des Amtsdieners besonderes Gewicht zu legen, und trat durchs Vorzimmer in das Schreibcabinet des Polizeiraths. Fast wäre er indessen wieder umgekehrt, als er hier neben der Thür einen Mann sitzen sah, den er wohl kannte, den geheimen Polizeiagenten Schmetterer, der in Dienstangelegenheiten auf den Herrn Polizeirath zu warten schien. Auch befand sich hier noch ein anderer Herr, in etwas gebückter Haltung in der Nähe des Ofens sitzend. Er war sehr gut, ja, mit Auswahl gekleidet und schien, obgleich sich Herr Schmetterer bei dem Erscheinen Weldens grüßend erhob, keine Notiz von dem Eingetretenen zu nehmen, denn er wandte nicht einmal den Kopf, sondern fuhr in der Beschäftigung fort, einen kleinen, feinen Spazierstock in die zwischen seinen Füßen befindliche Ritze des Fußbodens einzubohren.

Welden dankte für einen Stuhl, den ihm Herr Schmetterer zuvorkommend anbot, und ging, mit seinen Gedanken beschäftigt, in dem Zimmer auf und ab, wobei er aber wohl bemerkte, daß der Fremde seinen Kopf erhoben hatte und ihn wahrscheinlich betrachtete; doch schaute derselbe jetzt, als sich der Ingenieur auf seinem Gange umgewandt, mit einem nüchternen, fast trüben Lächeln an den mit grauen Wolken bedeckten Himmel empor, wobei er leise seufzte. Welden kannte ihn nicht, obgleich er sich wohl erinnerte, dieses Gesicht schon irgendwo gesehen zu haben.

Jetzt nahten sich eilige Schritte der Thür, und der Polizeirath trat nach seiner Gewohnheit rasch ein, lächelte äußerst wohlwollend und freundlich, als er Welden zunickte und ihm seine Rechte entgegenstreckte, und wandte sich hierauf nach einem kurzen Blicke auf Schmetterer gegen den Fremden, der sich nun ebenfalls erhoben hatte, und sagte zu diesem: »Ah, da wären wir also wieder, mein lieber Herr Steffler!«

»Ich muß hinzufügen: leider, Herr Polizeirath! Denn es ist hart, wenn man gezwungen ist, eine lang projectirte wichtige Reise so gänzlich unnöthiger Weise zu unterbrechen!«

»Machen Sie sich darüber weiter keine Sorgen; Sie werden Ihre Reise später nicht nur wieder fortsetzen können, sondern ich verspreche Ihnen auch noch eine gute Entschädigung, wenn es wirklich wahr sein sollte, daß wir Ihre Reise unnöthiger Weise unterbrechen. Doch setzen Sie sich, ich bitte darum!«

Hierauf ging der Polizeirath zu Welden, der sich discreter Weise an das Fenster zurückgezogen hatte und nun sagte: »Verzeihen Sie, Herr Polizeirath, daß ich das mir von Ihnen gütigst ertheilte Paßwort anwandte, um Sie zu so früher Morgenstunde zu sehen – auch um Sie wahrscheinlich in wichtigen Geschäften zu stören.«

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen, mein lieber Freund,« entgegnete der Polizeirath, die Hände reibend. »Hätte ich doch darauf schwören wollen, daß ich heute Morgen das Vergnügen haben würde, Sie bei mir zu sehen!«

»Es wäre mir allerdings sehr angenehm gewesen, einige Worte mit Ihnen reden zu können.«

»Und warum das nicht? Doch ich verstehe,« fuhr der Polizeirath mit einem Blicke auf Steffler fort. »Wissen Sie was, setzen Sie sich und nehmen Sie zu Ihrer Unterhaltung eine Zeitung, so lange ich ein paar nöthige Worte mit diesem Herrn rede.«

»Wenn ich Sie nicht störe – doch werde ich mich bemühen, meine ganze Aufmerksamkeit den Tagesneuigkeiten zuzuwenden.«

»Davon bin ich überzeugt,« sprach der Polizeirath und trat dann dicht zu Herrn Steffler, dem er mit halbleiser Stimme sagte: »Ich habe Sie nur deßhalb gleich nach Ihrer Rückkehr kommen lassen, da mir Herr Schmetterer Ihren etwas sehr lebhaft ausgesprochenen Wunsch mittheilte, mich zu sehen.«

»Und darin hatte ich wohl nicht Unrecht, Herr Polizeirath,« versetzte der Angeredete in einem scharfen, heiseren Tone. »Wenn man so plötzlich und ohne allen denkbaren Grund von einem Polizeibeamten angehalten wird, hat man wohl das Recht, nach der Ursache zu fragen.«

»Gewiß, gewiß, Sie haben das Recht, und es soll Ihnen auch seiner Zeit eine genügende Antwort nicht vorenthalten bleiben.«

»Seiner Zeit? Ach, Herr Polizeirath, das ist ein schreckliches Wort! Ich hatte wirklich nicht anders erwartet, als daß es sich mir vielleicht um eine einfache Frage handle, nach deren Beantwortung man mich wieder meines Weges ziehen ließe. Herr Polizeirath, bedenken Sie, daß ich eine geliebte Braut habe, die meiner sehnsüchtig harrt!«

»Leider ja, ich weiß das, Herr Steffler, aber die gebieterische Nothwendigkeit gestattet mir nun einmal nicht, Sie so rasch, wie Sie denken, wieder zu entlassen; doch soll Alles zur Beschleunigung geschehen, das verspreche ich Ihnen auf mein Wort, bitte Sie aber dabei, sich in Geduld zu fügen. Herr Schmetterer wird Ihnen schon gesagt haben, daß ich, um Ihre Angelegenheit rascher zu betreiben, für ein gutes Zimmer hier ganz in meiner Nähe gesorgt habe, ein anständiges Zimmer, in welchem es Ihnen durchaus an nichts fehlen soll.«

»Ich habe es schon gesehen, Herr Polizeirath,« erwiederte Steffler mit einem recht traurigen Blicke und einem tiefen Seufzer, den er sich vergeblich Mühe gab, zu unterdrücken. »Es ist recht klein und hat stark vergitterte Fenster.«

»Wie wir es eben hier haben,« gab der Polizeirath achselzuckend zur Antwort; »doch glauben Sie mir, es wird nicht lange dauern, wozu auch Sie sehr viel beizutragen im Stande sind.«

»Nun denn, es ist eine Schickung – Sie werden sehen, daß man mir Unrecht thut.«

Damit machte er eine tiefe Verbeugung und ging, gefolgt von dem Polizeiagenten Schmetterer, der Thür zu. Dort blieb er aber einen Augenblick wie überlegend stehen und sagte dann, sich umwendend: »Würde es mir nicht gestattet sein, Herr Polizeirath, ein paar wohlwollende Gönner, die ich hier habe, von meiner Rückkehr brieflich in Kenntniß zu setzen?«

»Vielleicht, Herr Steffler. Wer sind diese Gönner?«

Der Andere zauderte einen Moment mit der Antwort; dann sagte er mit einem raschen Blicke auf Welden und mit lauterer Stimme, als er bisher gesprochen: »Es sind dies Herr Ferdinand Welkermann, der Sohn des Stadtschultheißen, und der Herr Baron von Rivola.«

Der junge Ingenieur hatte sich in der That alle Mühe gegeben, die Zeitung mit Aufmerksamkeit zu lesen, um nicht genöthigt zu sein, unwillkürlich etwas von dem Gespräche der Anderen zu vernehmen; doch schlug jetzt der laut ausgesprochene Name der beiden Leute, mit denen er sich in der letzten Zeit sehr beschäftigt, so eindringlich an sein Ohr, daß er nicht anders konnte, als aufzuschauen und auf diese Art dem Blicke des Herrn Steffler zu begegnen, der über die Aufmerksamkeit, welche er erregt, ein sehr zufriedenes Gesicht machte und sogar die etwas barsche Antwort des Polizeirathes: »Hoffentlich wird Ihr Besuch nicht so lange dauern, daß Sie nöthig hätten, Ihre Bekannten davon in Kenntniß zu setzen,« zu verschmerzen schien.

»Das ist ein ganz eigenthümlicher Mensch,« fuhr Herr Merkel, gegen Welden gewandt, fort, nachdem sich die Thür hinter dem unfreiwilligen Gaste der Polizeidirektion geschlossen. »Kannten Sie ihn? Ist er Ihnen früher schon begegnet?«

»Ich meine, ich hätte ihn schon gesehen, aber unter so gleichgültigen Umständen, daß mir nichts mehr davon erinnerlich ist. Was hat er für eine Beziehung zu Ferdinand Welkermann oder zu Herrn von Rivola, oder ist dies vielleicht eine indiscrete Frage?«

»Ganz und gar nicht; ich will Ihnen später darüber sagen, was ich vermag. Doch jetzt, mein junger Freund, lassen Sie mich wissen, was Sie so früh zu mir herführt?«

»Sollten Sie keine Ahnung davon haben, Herr Polizeirath?«

»Eine kleine allerdings; doch scheint mir Ihre Miene zu erregt, als daß Sie nur deßhalb zu mir gekommen waren, um mich darüber ein wenig zur Rechenschaft zu ziehen, daß ich mich in Dinge gemischt, die mich, Ihrer Ansicht nach, eigentlich gar nichts angehen sollten.«

»Ah, Herr Polizeirath,« rief Welden, »ich meine, auch einfach dafür könnte wohl meine erregte Miene verzeihlich erscheinen! Nicht genug, daß Sie mich drei Tage lang hinhalten und mich schon dadurch in eine schiefe Stellung bringen – nein, sie verhaften meinen Gegner unter so außerordentlichen Umständen, daß alle Welt vollkommen das Recht hat, mit den Fingern auf mich zu deuten!«

Je heftiger der Ingenieur diese Worte hervorstieß, um so ruhiger, ja, um so behaglicher schien sich der Andere zu fühlen; er rieb sich mit einem lächelnden Gesichtsausdrucke die Hände, ehe er zur Antwort gab: »Es sollte mir in der That leid thun, diese Wirkung hervorgebracht zu haben. Aber wie ist das vernünftiger Weise denkbar?«

»So einfach, Herr Polizeirath, daß ich es nicht verstehe, wie Sie nicht schon von selbst auf diese Idee kommen,« versetzte Welden mit sehr bewegter Stimme: »Alle Welt weiß, daß ich im Hause Ihrer Frau Schwester wohne, daß ich der Familie derselben sehr befreundet bin . . .«

»Alle Teufel, daran habe ich nicht gedacht!«

»Sie, Herr Polizeirath, der nicht leicht etwas vergißt? Doch freut es mich, daß Sie meine unangenehme Lage einzusehen scheinen – meine fürchterliche Lage!« fuhr er heftiger fort.

»Ah, man hält Sie für fähig, durch meine Schwester auf mich eingewirkt zu haben, und man glaubt, ich hätte auf mich einwirken lassen! Das ist allerdings schlimm, aber . . .«

»Man war so freundlich, mir mit ziemlich klaren Worten in's Gesicht zu sagen, daß man mich für einen erbärmlichen, feigen Menschen halte, und um das Gegentheil zu beweisen, könnten wohl aus dem einzigen Duell mehrere entstehen.«

»Hm,« machte der Polizeirath, indem zum ersten Male heute Morgen auf seinem gleichmäßig heiteren Gesichte ein verdrießlicher Zug erschien, »was ist aber da zu thun? Glauben Sie mir, mein lieber Freund, daß ich den Ernst und das Unangenehme Ihrer Lage nicht nur vollkommen einsehe, sondern auch bereit bin, zu helfen, wo und wie ich kann – aber wie? Darin liegt gerade die Schwierigkeit.«

»Nichts einfacher, als das, Sie erklären öffentlich den wirklichen Grund, warum Sie Herrn Ferdinand Welkermann unter Hausarrest gesetzt.«

»Mit Vergnügen – schriftlich auf Stempelpapier, um das Duell mit Ihnen zu verhindern.«

»Bah, Herr Polizeirath, das ist nicht der wirkliche Grund!«

Herr Merkel, der einen Augenblick an's Fenster getreten war, wandte sich rasch um und blickte den jungen Ingenieur erstaunt an.

»Seien wir so aufrichtig gegen einander, wie es der fürchterliche Ernst meiner Lage verlangt. Ja, Herr Polizeirath, Sie sehen in mir einen sonst ruhigen und ziemlich vernünftigen Menschen, der aber durch das, was ihm widerfahren, an den Rand der Verzweiflung gebracht ist. Glauben Sie, ich werde es ertragen, daß Ehrenmänner vor mir die Achseln zucken, daß Leute wie Herr Besenbach und Consorten mir in den Bart spucken? Und sie haben alle Ursache dazu. Deßhalb, Herr Polizeirath, muß ich Sie dringend bitten, mir den anderen, wirklichen Grund zu nennen.«

»Wenn ich nun aber keinen anderen Grund habe, oder wenn . . .«

»Dieser Grund vor der Hand noch Amtsgeheimniß bleiben müßte?« ergänzte Welden. »Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich schon bei unserer Unterredung vor einigen Tagen aus Äußerungen, die Sie über Welkermann thaten, entnahm, daß Ihnen seine Person als solche zu kostbar sei, um sie in den Fall zu bringen, von mir todtgeschossen zu werden.«

»Sie irren, lieber Welden, an der Person liegt mir nichts; als Mann des Gesetzes war es mir darum zu thun, das Duell zu verhindern.«

»Ist das Ihre endgültige Erklärung?«

»Ich weiß keine andere, wenigstens keine, die ich Ihnen heute zu geben im Stande wäre.«

»Ah, das ist ein Hoffnungsstrahl!« rief der junge Ingenieur mit bebender Stimme. »Also heute sind Sie nicht im Stande, mir den wirklichen Grund der Verhaftung Welkermann's anzugeben, aber morgen, übermorgen, oder wollen Sie mich wieder in den Bann von drei Tagen thun?«

»Ich will nichts, als Ihr Bestes, mein lieber Freund,« erwiederte der Polizeirath, indem er sich der beiden Hände des jungen Mannes bemächtigte. »Ich will, daß Sie ruhig sind, ich will, daß Sie das Unangenehme wie ein Mann ertragen, und verspreche dagegen, Ihnen und der Welt in kürzester Zeit eine Erklärung über das Vorgefallene zu geben, welche gewiß nicht verfehlen wird, Alles zu Ihrem Vortheil aufzuklären.«

Welden blickte düster vor sich nieder und versetzte dann kopfschüttelnd: »Es gibt einen Argwohn, der auf uns lasten bleibt, einen Flecken, den wir nicht mehr auszutilgen vermögen; es ist das der Vorwurf der Feigheit, unter dessen furchtbarem Drucke ich ohne Kraft des Widerstandes mein Haupt beugen muß. Würde man mich eines Mordes beschuldigen, eines Diebstahls meinetwegen – es könnte mir vielleicht gelingen, meine Unschuld zu beweisen; aber wenn Sie in meinem Falle einen körperlichen Eid für meine Unschuld ablegen, man wird trotzdem Ihnen und mir nicht glauben, und das einzige Mildernde wäre die Veröffentlichung des Grundes, des wirklichen Grundes, aus welchem Sie, und gerade am heutigen Morgen, Ferdinand Welkermann verhaften ließen. Nennen Sie mir diesen Grund.«

Der Polizeirath befand sich offenbar in großer Verlegenheit; er war von dem Fenster weggetreten und ging, die Hände auf den Rücken gelegt, mit weiten Schritten durch das Gemach. Er hatte in der That eine herzliche Freundschaft für Welden, denn er achtete dessen vortreffliche Eigenschaften als Mensch, seine große Befähigung als Künstler, und er war nicht einen Augenblick in Zweifel darüber, daß sich Welden durch die Verhaftung Welkermann's in einer qualvollen Lage befände; er hätte so gern den wirklichen Grund jener Verhaftung gesagt, denn er hatte ja einen anderen Grund; doch erschien es ihm unmöglich, dadurch sein gut gelungenes Spiel zu zerstören, denn das mußte er sich eingestehen, sprach er es einmal aus, daß er den Sohn des Stadtschultheißen nicht verhaftet habe, um ein Duell zu verhindern, so begab er sich überhaupt des Rechtes zu dieser Verhaftung, welche nur im Einverständnisse mit dem Vater Ferdinand's zur Verhütung einer großen Thorheit für einige Tage möglich war, – nannte er den wirklichen Grund, so war das gerade so, als wenn auf der Mensur ein Fechter zum anderen spräche: »Decke deine Brust, decke dein Herz, dorthin zielt die Spitze meines Degens!«

Und wenn der Polizeirath dagegen im Vorbeischreiten in die auf ihn gerichteten brennenden Blicke des jungen Mannes mit dem beinahe flehenden Ausdrucke schaute, fühlte er sich fast bewogen, etwas zu thun, was er noch niemals gethan: ein Amtsgeheimniß zu verrathen – fast, sagen wir, denn als er eben im Begriffe war, es zu thun, erschien ihm sein Amtsdiener wie ein rettender Engel und meldete den Bankdirektor, Herrn Schwemmer, sowie den Chef der Notenfabrikation, Herrn Scholtze.

Welden fuhr mit einem unangenehmen Gefühl empor und sagte, als ihm der Polizeirath mit einem bedauernden Achselzucken voll in das Gesicht sah: »So wäre das also heute Morgen verlorene Zeit und Mühe gewesen; ich verlasse Sie für jetzt, Herr Polizeirath, da ich nicht indiscret genug bin, noch zu bleiben. Doch habe ich eine Bitte, welche Sie mir hoffentlich nicht abschlagen werden; Sie können sich denken, daß es mich drängt, Herrn Ferdinand Welkermann zu sprechen, und bitte ich, mir dazu eine schriftliche Ermächtigung zu geben.«

»Sollte das nothwendig sein?«

»Wer weiß – aber es wäre mir für alle Fälle wünschenswerth, und diese Bitte werden Sie mir hoffentlich nicht abschlagen.«

»Sie verkennen mich in der That, lieber Welden,« erwiederte Herr Merkel, zum Tische tretend, um dort die verlangten Zeilen niederzuschreiben. »Ich würde Ihnen auch jeden anderen Wunsch erfüllen, wenn nicht die unangenehmste Nothwendigkeit mir das heute noch zu thun verböte. Aber glauben Sie mir, daß ich in dieser fatalen Angelegenheit für Sie so besorgt sein werde, wie Sie es nur selbst sein können, und daß ich fest von einem befriedigenden Resultate überzeugt bin.«

»Das bin ich auch,« sagte Welden mit dumpfer, eigenthümlich klingender Stimme und einem seltsamen Lächeln, worauf er das gewünschte Papier aus den Händen des Polizeiraths empfing und sich nach einer tiefen Verbeugung entfernte.

Unter der Thür begegnete er den angemeldeten beiden Herren, von denen der Bankdirektor Schwemmer in sichtlicher Aufregung eintrat, was er dadurch bewies, daß er sich mit seinem Taschentuche Kühlung zufächelte und dasselbe wiederholt an seine Stirn drückte, als wollte er dort nicht befindlichen Schweiß abtrocknen. Auch ließ er sich sogleich in den Lehnstuhl neben dem Schreibtische nieder und reichte dann erst mit einem kalten Lächeln dem Polizeirath seine Rechte zur Begrüßung.

»Ihre Aufregung verspricht etwas,« sagte der letztere mit einem zufriedenen Lächeln, »doch sollten Sie das alles gleichmüthig nehmen, verehrter Herr Bankdirektor, und in Ihrem Äußern nichts davon verrathen.«

»Das thue ich auch gewöhnlich nicht, und Herr Scholtze muß mir bezeugen, daß ich an seiner Seite lächelnd durch die Straßen schritt; aber hier, unter Freunden, lasse ich meine Maske fallen und mache durchaus kein Hehl daraus, daß mich diese fürchterliche Geschichte auf's tiefste erschüttert.«

»Setzen Sie sich, Herr Scholtze, wenn ich bitten darf, und lassen wir uns ruhig über die Angelegenheit reden. Also es gibt etwas Neues?«

Der Chef der Notenfabrikation hatte ebenfalls Platz genommen und sagte nun, indem er seine Brieftasche hervorzog: »Allerdings gibt es etwas Neues, und zwar die Bestätigung, daß wir es mit einer Fälschung in großartigem Maßstabe zu thun haben.«

»Dem lieben Gott sei es geklagt,« seufzte Herr Schwemmer. »Sie können sich denken, Verehrtester, daß in den letzten Tagen alle eingelaufenen Noten mit mehr als Argusaugen betrachtet wurden; Verdächtiges fand sich allerdings, aber gestern erst die trostlose Gewißheit. Betrachten Sie die beiden Tausendgulden-Noten in der Hand des Herrn Scholtze gegen das Licht, und Sie werden finden, daß das Wasserzeichen an manchen Stellen kaum noch zu sehen, an manchen aber ganz verschwunden ist.«

»Ich conferirte darüber gestern mit unserem ersten Chemiker, dem Professor Förster, der meine Ansicht bestätigte, daß das Wasserzeichen zwar mangelhaft, aber doch zugleich mit dem Papier fabricirt sei, und daß den undeutlichen Stellen desselben mit einer Säure nachgeholfen worden sei, die dasselbe freilich täuschend herstellt, welche aber im Verlaufe von Jahren wieder gänzlich verschwindet.«

»Und hätten wir trotz alledem noch zweifeln können,« fuhr der Bankdirektor fort, »so hätte sich die Fälschung durch etwas Anderes bis zur Evidenz erwiesen; dem Professor Förster erschien eine Zahl – hier, die zweite in der fortlaufenden Nummer – etwas verdächtig; er machte einen Versuch, und wie Sie genau sehen, fand sich, daß dieser undeutlich erschienenen Zahl künstlich nachgeholfen worden war, aber statt mit Druckerschwärze, was auch bei der größten Sorgfalt nicht gut möglich war, mit chinesischem Tusche, der sich bei der Probe auflöste.«

»A–a–a–ah,« sagte der Polizeirath, »das sind sehr wichtige und erfreuliche Thatsachen!«

»Erfreulich – das kann ich nun gerade nicht sagen!« rief der Bankdirektor schmerzlich. »Doch bin auch ich wenigstens darüber erfreut, daß wir einmal festen Grund unter den Füßen fühlen!«

»Aber einen Grund, dem viel Unangenehmes für uns alle entsprießen muß,« sagte der Chef der Notenfabrikation; »denn Professor Förster ist nicht nur Ihrer Ansicht, Herr Polizeirath, daß die Farbe an den Brandrändern dieser Fünfhundertgulden-Note verdächtig ist, sondern er hat durch einen ähnlichen Versuch wie bei der Tausendgulden-Note sich überzeugt, daß auch hier, und zwar bei diesem F am Anfange des Wortes Fünfhundert, mit Tusch nachgeholfen worden ist.«

»A–a–a–ah,« rief der Polizeirath aufspringend, »das ist für mich von ungeheurer Wichtigkeit! Wenn diese Fünfhundertgulden-Note wirklich falsch ist, so rufe ich mit Entzücken aus, wie der Seemann nach monatelanger Fahrt: Land, Land!«

»Das wäre immerhin schon etwas,« meinte Herr Schwemmer; aber nach meinem Berichte an Seine Königliche Majestät über das ganze namenlose Unglück melde ich mich krank und nehme einen vierwöchentlichen Urlaub.«

»Wer wird so kleinmüthig sein, Herr Bankdirektor, und was haben Sie denn zu fürchten? Gar nichts! Nur dürfen Sie keinen voreiligen Bericht machen – wir dürfen erst dann über die Thatsache dieser Fälschung berichten, wenn wir zu gleicher Zeit sagen können: da ist das Verbrechen und hier sind die Verbrecher, Alles hübsch bei einander.«

»Das wäre allerdings ein Milderungsgrund – und glauben Sie in der That, eine Spur gefunden zu haben?«

»Ich bin davon überzeugt, doch gestatten Sie mir noch einige Fragen: wo fanden sich diese offenbar falschen Notenscheine?«

»In der Kasse der Bank selber – das ist für mich gerade das Unheimlichste der ganzen Geschichte.«

»Wer hat die Pakete sortirt, in welchen man sie gefunden?«

»Der junge Welkermann – apropos,« rief der Bankdirektor, indem er sich aufrichtete und Herrn Merkel mit großen Augen anschaute, »das hätte ich ja beinahe vergessen; Sie haben mir ja heute den Welkermann, einen meiner besten Arbeiter, verhaftet.«

»Verhaftet kann man eigentlich nicht sagen,« erwiederte der Polizeirath mit sanfter Stimme; »ich sagte Ihnen ja schon, daß ich es im Einverständniß mit dem Herrn Stadtschultheißen für nothwendig hielt, dessen Sohn von einem thörichten Duell abzuhalten, und war der Herr Stadtschultheiß mit mir darüber einig, dem etwas leichtsinnigen jungen Menschen ein paar Tage Hausarrest zu geben.«

»Ah so, dagegen läßt sich durchaus nichts einwenden.«

»Nun aber noch eine andere Frage: Haben Sie nichts darüber herausgebracht, ob besonders in letzter Zeit von irgend einer Seite her ein auffallender Notenumsatz stattgefunden hat?«

»Ein auffallender – nein,« erwiederte der Bankdirektor, »und von verdächtiger Seite her noch weniger; nur glaubt sich einer der Bankdiener zu erinnern, daß Herr Ferdinand Welkermann eines Tages Noten in den betreffenden Kassenschrank gethan und dafür andere herausgenommen, die er in seine Brieftasche gelegt – allerdings ein nicht ganz richtiges Verfahren, für welches ich auch nicht ermangeln werde, dem Welkermann ernste Vorstellungen zu machen. Aber nun bitte ich Sie um Alles, Herr Polizeirath, lassen Sie auch uns etwas von dem Lichte sehen, das Sie in dieser finstern Angelegenheit entdeckt zu haben glauben.«

Der Polizeirath machte ein auffallend ernstes Gesicht und sagte dann in einem bestimmten Tone: »Verzeihen Sie mir, Herr Bankdirektor, daß ich das für heute noch nicht zu thun im Stande bin; der Schein, den ich sehe, könnte sich möglicher Weise auch als ein Irrlicht darstellen; sobald ich aber einmal ganz klar sehe, und ich zweifle nicht, daß dies der Fall sein wird, werde ich Ihnen gewiß meine Entdeckung nicht vorenthalten – vertrauen Sie meiner Umsicht und Thätigkeit.«


 << zurück weiter >>