F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Die beiden Männer hatten mit einander das Haus verlassen. Auf der Straße schob der Polizeirath seinen Arm unter den des Ingenieurs, indem er ihm sagte: »Bis zur Schloßstraße gehen unsere Wege zusammen; dann lasse ich Sie den geraden Weg der Tugend gehen und ich folge alsdann leider dem krummen Pfade des Lasters. Es ist ein Glück, daß ich nicht verheirathet bin – ein Arzt und ein Polizeibeamter sollten nie heirathen, oder Frauen finden, denen die Eifersucht etwas Unbekanntes ist und bleibt. Eigentlich ist es schade, daß ich Sie nicht mitnehmen kann, um Ihnen, wie ein zweiter Asmodeus, von dem inneren Treiben mancher Häuser mehr mitzutheilen, als vielleicht jener lustige Teufel im Stande wäre. Um aber alles das zu erfahren und auszuspüren, braucht man nicht nur Eifer zu unserem oft unglücklichen Geschäfte, sondern auch Talente.«

»Wie Sie in hohem Grade haben!« sagte Welden lachend. »Wahrhaftig, wenn ich je einmal in gewissen Beziehungen ein böses Gewissen hätte, ich würde mich gar nicht mehr vor Ihnen sehen lassen!«

»Und sich gerade dadurch verdächtig machen; doch haben Sie Recht. Ich weiß, daß ich in meinem Fache mehr bin und gelte, als hundert Andere; ich betreibe es mit Vorliebe rationell wissenschaftlich und muß Ihnen schon gestehen, mit einer Ausdauer, die manchmal einer besseren Sache werth wäre, als der, welcher ich meine Kräfte leihen muß. Gott sei Dank habe ich eine gute Gesundheit, und es kommt mir auf ein paar durchwachte Nächte nicht an. Wie gesagt, schade, daß Sie mich nicht begleiten können! Vielleicht später einmal. Heute habe ich zu Wichtiges vor, das heißt in einigen Stunden, wo ich meine Wohnung in einer Verkleidung verlasse, daß Sie mich nicht wieder kennen würden, und wenn wir beim hellen Gaslichte eine Flasche Champagner mit einander tränken.«

»Das käme doch auf eine Wette an!« meinte Welden in heiterem Tone.

»Die Sie gewiß verlieren würden; doch lassen wir das. Wenn es Ihnen recht ist, nehme ich Sie später einmal mit, und Sie sollen erstaunen, wenn ich Ihnen zeigen werde, wie wir nicht nur begangene Unthaten zur Strafe zu ziehen suchen, sondern auch langsam reifende Verbrechen beobachten und häufig glücklich verhindern. Ich könnte Ihnen ein Haus zeigen, wo ein großer Betrüger vor seinen gepackten Koffern sitzt und nur noch eine Nachricht erwartet, um die Stadt zu verlassen; er wird die Nachricht erhalten, aber wenn er das betreffende Papier umwendet, seinen Verhaftsbefehl lesen. Noch ist das ein für uns unbedeutender Fall, weil er nicht zu große Schwierigkeiten bietet; aber ich könnte Sie an ein anderes Haus führen, ich könnte Ihnen erleuchtete Fenster zeigen, wo eine anscheinend glückliche und zufriedene Familie bei einander sitzt und wo ich alle Anzeichen habe, daß sich dort langsam das furchtbarste aller Verbrechen, ein Mord, vorbereitet. Dergleichen sind die tiefen Schatten unseres Standes, welche selbst mir oft das Herz erschüttern und die Brust fast zerspringen machen, wobei es mir aber eine Erleichterung ist,« setzte der Polizeirath hinzu, rasch aus einem sehr ernsten Tone in einen gefälligen übergehend, »mit einem lieben Freunde, wie Sie sind, darüber plaudern zu können. Doch vergessen Sie, was wir gesprochen, und wenn Sie wieder einmal Zeit und Lust zu einer guten Cigarre haben, so besuchen Sie mich auf meinem Bureau – Sie kennen das magische Wort, welches Ihnen stets meine Thür öffnet.«

»Gewiß,« sagte Welden heiter lachend, »und habe mir vorgenommen, es zu benutzen, wenn ich einmal mit der heiligen Hermandad in einen ernsten Conflikt gekommen sein werde, und wenn Sie, verehrter Freund, selbst mich unter meinem eigenen Namen nicht annehmen würden, dann lasse ich Ihnen herein sagen, es wäre die Zeit, welche Sie bestimmten.«

»Ganz richtig, so ist es, und dieser Ausdruck hat bei meinem vertrauten Amtsdiener eine solche Kraft, daß er Sie in meinem Schreibzimmer warten ließe, wenn ich zufällig nicht da wäre. Und nun auf Wiedersehen!«

Der Polizeirath hatte den Arm Welden's losgelassen, schüttelte ihm herzlich die Hand und ließ ihn auf der breiten Schloßstraße allein, indem er in eine der kleinen Gassen trat, die hier mündeten.

Es war eine mondhelle Nacht, und das Licht reflektirte so stark auf der weißen Schneedecke, daß man weit und breit wie am Tage um sich schauen konnte.

Welden blieb unwillkürlich stehen, um dem Davongehenden nachzuschauen, der, wie es seine Gewohnheit war, in strammer Haltung, mit hoch erhobenem Kopfe die kleine Gasse betrat, um hier dicht vor den Augen des Ingenieurs zu verschwinden, das heißt, die Gestalt, welche er in der eben beschriebenen Haltung von sich gehen sah, war plötzlich eine ganz andere geworden, und statt des fest auftretenden Polizeirathes schlich jetzt ein gebeugter Mann mit schlottrigen, fast wankenden Schritten an den Häusern dahin. Überrascht wäre Welden ihm beinahe nachgeeilt; doch erinnerte er sich, was ihm Merkel soeben von seiner Verkleidungskunst gesagt, und er mußte sich gestehen, daß, wenn jener so im hellen Mondeslichte hier an ihm vorübergekommen wäre, er ihn schwerlich erkannt haben würde – dagegen im hellen Gaslichte mit ihm Champagner trinkend, wie vorhin der Polizeirath gesagt, würde ihm das Wiedererkennen doch schon leichter werden.

Er ging die breite Straße hinab und kam am Ende derselben auf einen kleinen Platz, wo sich der Holländische Hof befand.

Welden kannte das Zimmer, wo ähnliche kleine Diners und Soupers gehalten wurden, gegen den Hof des Hauses gelegen, und lenkte seine Schritte dorthin, nachdem er den Gruß des Portiers, der ihn kannte, mit einem leichten Kopfnicken erwiedert; doch eilte ihm ein Kellner voraus und öffnete diensteifrig das Vorzimmer, wo die Herren ihre Hüte und Überzieher abgelegt hatten und das in den kleinen, eleganten Speisesalon führte. Hier vernahm man schon das Klingen der Gläser und die durch einander sprechenden und lachenden Stimmen. Man war eben beim Dessert, als Welden eintrat und von den anwesenden zehn bis zwölf jungen Leuten mit lärmender Freundlichkeit begrüßt wurde.

»Seht ihr wohl, ich habe es gesagt,« rief ihm Welkermann entgegen, »spät kommt er, doch er kommt!«

»Immer noch früh genug,« fiel ihm Herr Besenbach mit dem rothen Backenbarte in's Wort, »um an dieser neuen, ganz vortrefflichen Auflage famos frappirten Champagners Theil zu nehmen.«

»Welden ist ein Gourmand, er hat es im Voraus gewußt, daß das Diner manquirt sein würde.«

»Und daß wir auf die alte, süßliche, schlecht frappirte Veuve Cliquot einen stärkeren Roederer Carte blanche setzen würden – ein Kapitalwein!«

»Mit dem man bis morgen früh fortmachen könnte – ein Hoch auf Welden!«

»Für welches er sich dadurch bedanken muß, daß er mit Jedem von uns ein Glas trinkt!«

»Mit Vergnügen,« erwiederte der also Gefeierte; »doch werden Sie mir gestatten, das in ganz kleinen Pausen zu thun.«

»Höchstens Pausen von drei Minuten – eingeschenkt! Und du, Besenbach, nimm die Uhr heraus und mache mit deiner bekannten Unparteilichkeit den Schiedsrichter!«

»Oder mit deiner unbekannten Parteilichkeit!«

Welden sah wohl, daß alle Anwesenden sich in heiterer Stimmung befanden und daß er nach dem Sprüchwort: »Mit den Wölfen muß man heulen, wenn man gemüthlich unter ihnen leben will!« das an ihn gestellte Verlangen erfüllen mußte. Auch fürchtete er sich durchaus nicht vor einem Dutzend Gläser guten, gekühlten Champagners, ja, es war ihm sogar lieb, sich dadurch etwas der Stimmung der Übrigen zu nähern. Und er hatte Recht; denn es ist nichts unangenehmer, als völlig ruhig und ohne die geringste Begeisterung ein ähnliches Gelage als Spätkommender mitmachen zu müssen. Er hielt auch nicht einmal die ihm bewilligten Pausen von drei Minuten zwischen jedem Glase ein und trank noch ein Glas extra auf das Wohl der ganzen Gesellschaft, worauf man ihn denn auch, was das Trinken anbelangte, in Frieden und die unterbrochene Unterhaltung wieder ihren alten Gang gehen ließ.

Die Gesellschaft bestand aus jungen Kaufleuten, meistens Söhnen reicher und angesehener Häuser, aus ein paar Beamten und Offizieren in Civil. Die Gespräche drehten sich, wie meistens in ähnlichen Kreisen, um die üblichen Gegenstände: Mädchen, Pferde, Hunde, und Einer überbot den Anderen in mehr als pikanten Anekdoten. Die Cigarren wurden angezündet, und bald gesellte sich zum unsichtbaren, aber doch hier und da bemerklichen Dunste des Weines der sichtbare, ja, sehr dichte Dampf von einem Dutzend Cigarren.

»Um noch einmal auf besagten Handel zurückzukommen, so habe ich es selbst gehört,« rief ein junger Cavallerie-Offizier, »wie der Oberstallmeister sagte, als Herr von Rivola mit seinen prachtvollen Rappen in den Hof fuhr. ›Das ist ein Ideal von einem Gespann, und ich hoffe nur, daß Seine Majestät diese wunderbaren Thiere heute nicht sorgfältig in's Auge fassen wird, denn sonst höre ich seine Frage, warum wir dem Ankaufe des Freiherrn von Rivola nicht zuvorgekommen seien.‹«

»Die Pferde waren auch von dem Händler für den königlichen Dienst bestimmt, und ich müßte den jetzigen Besitzer nicht so genau kennen, wenn ich nicht wüßte, daß er sie auf die leiseste Andeutung hin Seiner Majestät zum Geschenke anbieten werde.«

Dies sagte Ferdinand Welkermann, behaglich in seinen Stuhl zurückgelehnt und mit der zuversichtlichen Miene eines Mannes, der von der Richtigkeit seiner ausgesprochenen Meinung vollkommen überzeugt ist.

»Ein schönes Geschenk von vierhundert Louisd'or!«

»Nun, das ist gerade so, wie wenn man die Wurst nach der Speckseite wirft; dem Herrn von Rivola fehlt immer noch das große Band des Hausordens.«

»Mir wäre doch die Wurst lieber wie die Speckseite.«

»Das verstehst du nicht. Wenn man so bei Hofe aus- und eingeht und Excellenzen zu seiner täglichen Gesellschaft hat, so liebt man es doch, ein breites, rothes Band über der weißen Weste tragen zu dürfen.«

»Als Toilettenstück meinetwegen,« entschied Ferdinand; »denn der Freiherr von Rivola ist ein viel zu gescheiter Mann, um sich im Grunde viel aus einem solchen Anhängsel zu machen.«

»Ja, ein gescheiter und dabei ebenso liebenswürdiger als zuvorkommender Herr und Freund.«

»Höre, Ferdinand,« sagte Besenbach lachend, »es ist eigentlich schade, daß du den alten Adel deiner Mutter nicht auf dich kannst übertragen lassen, denn sonst wüßte ich für dich keine bessere Partie, als die kleine Rivola.«

»Pah, dummes Zeug!«

»Bitte recht sehr! Dummes Zeug? Das ist ein Juwel, eine Perle!«

»Hol' mich der Teufel, Sparner hat Recht – ein Diamant von reinstem Wasser!«

»Von seltener Schönheit, ein rosiger Diamant – das sind die theuersten!«

»Unschätzbar, wie Fräulein Rivola auch ohne die reiche Fassung durch das kolossale Vermögen ihres Vaters! Gewiß, Ferdinand, es ist schade, daß du nicht der Graf Welkermann bist; du hast, wie ich weiß, bei dem Vater einen verflucht dicken Stein im Brette!«

»Und bei der Tochter!« lachte der Reiteroffizier. »Sah ich doch deutlich heute Mittag, daß die schöne Lucy sich rasch genug gegen uns wandte, sobald sie Ferdinand's Pferd und Schlitten bemerkte!«

»Ihr haltet mich wohl für so dumm, dergleichen auf meine geringe Persönlichkeit zu beziehen! Dabei fanden sich andere Leute, wie ich, denen das Umschauen eher gelten konnte.«

»Und wer denn, wenn man fragen darf!«

»Nun, da waren zum Beispiel Sie selbst,« wandte sich der junge Welkermann an den Reiteroffizier, »dann Besenbach, dessen rother Bart wunderbar von dem weißen Schnee abstach, und auch unser Freund Welden dort, ein älterer und genauerer Bekannter im Rivola'schen Hause, als ich.«

Der Ingenieur fühlte sich unangenehm berührt durch dieses Gespräch, hauptsächlich aber, als sein Name mit hineinverflochten wurde. Es war seinem richtigen Gefühle eine Entweihung, Lucy's in dieser Gesellschaft erwähnen zu hören. Es war ihm, als erscheine auf ihrem reinen, unschuldsvollen Bilde, wie es vor seiner Seele stand, ein leichter, trüber Anhauch, und wenn er auch in der nächsten Sekunde innerlich diesen Gedanken lächerlich fand, so versuchte er doch, den Namen des jungen Mädchens dadurch aus dem Gespräche zu bringen, daß er sagte: »Sie sind Alle im Irrthum, meine Herren. Auch ich bemerkte wohl, daß jene junge Dame den Kopf nach der Seite wandte, wo wir standen, doch, weiß Gott, nicht in der Absicht, um Einen von uns zu betrachten, sondern ich sah deutlich, wie sie auf die Stränge ihres Sattelpferdchens schaute, welche fast auf dem Boden schleiften, und darauf den kleinen Schecken durch eine leichte Berührung mit der Peitsche etwas antrieb.«

»Sie waren verflucht aufmerksam darauf, mein lieber Welden,« bemerkte Ferdinand, dessen Eigenliebe ein wenig gekränkt war, da es ihm geschmeichelt hätte, wenn die Anderen auf ihrer Meinung, als habe Fräulein von Rivola nach ihm gesehen, beharrt hätten. Doch suchte er das verlorene Terrain dadurch wieder zu gewinnen, daß er mit einem ganz eigenthümlichen Lächeln hinzusetzte: »Wie sollte ich, eine so unbedeutende Persönlichkeit, auch dazu kommen? Und dann wißt ihr auch, daß die Weiber meine schwache Seite nicht sind; über diese Thorheiten bin ich hinaus. Ein Glas gut frappirten Champagners zu einem animirten Souper ziehe ich allen Lucy's der ganzen Welt vor.«

Besenbach, der sich ein Geschäft daraus machte, seinem Freunde durch seine unbedeutende Persönlichkeit oder auch durch passende Bemerkungen ein Relief zu geben, konnte sich nicht enthalten, übermäßig zu lachen und dabei auszurufen: »Du bist ein ganz verfluchter Duckmäuser! Als wenn wir nicht wüßten, wie intim du mit dem alten Baron von Rivola bist, und als wenn wir das Sprüchwort nicht kennten, daß, wer die Tochter haben will . . .«

»Was verstehst du davon?« rief der junge Welkermann hier unwirsch. »Das sind Geschäftsangelegenheiten, die ich als Beamter der Bank mit dem Freiherrn habe!«

Wäre Besenbach's Auge nicht durch den Duft des Weines schon zu sehr getrübt gewesen, so hätte er wohl merken müssen, daß ihm Ferdinand ernstlich einen bösen Blick zuschleuderte; doch so hielt er alles, was jener sagte, noch für affektirte Leidenschaft, und fuhr mit lauter Stimme fort: »Sage was du willst, jugendlicher Bankbeamter, eure Geldgeschäfte werden auf euren Bureaux abgemacht! Du aber verkehrst auch noch außerhalb derselben auf das Intimste mit dem alten, reichen Freiherrn von Rivola, der eine so wunderschöne Tochter hat – ja, du verkehrst mit ihm, wie ich das ganz genau weiß, und zwar draußen auf seinem Landgute, sowie in dem kleinen, geheimnißvollen Hause an dem alten Thurme, und wenn ich Sie nun bitte, meine Herren, Ihre Gläser zu füllen, so geschieht das, um Sie zu ersuchen, mit mir auf das Wohl zu trinken des – des . . .«

Hier schien nun endlich Besenbach den richtigen Ausdruck in den zornfunkelnden Augen seines Ferdinands erkannt zu haben, sowie auch eine verdächtige Bewegung desselben, als sei Ferdinand im Begriffe, ihm sein leeres Glas an den Kopf zu werfen, was den kleinen Mann dermaßen aus dem Concepte warf, daß er sich, verlegen umschauend, des Gegenstandes, auf dessen Wohl er trinken wollte, nicht mehr zu erinnern schien und sich hierauf unter allgemeinem Gelächter wieder niedersetzte.

»Des – des –« spottete Ferdinand's Gegenüber. »Was hast du denn eigentlich sagen wollen?«

»Du – kleines Vieh!« zischte er kaum hörbar zwischen den Zähnen hervor. »Des – des – ich will es euch sagen,« fuhr er, sich erhebend, fort, »er meint das liebenswürdigste aller Spiele, dem wir schon lange, ja, allzu lange unsere Aufmerksamkeit entzogen, des liebenswürdigen Makao, wenn ihr nicht einen Landsknecht vorzieht!«

»Vortrefflich!« riefen die Meisten. »Doch nichts von Landsknecht,« setzten ein paar Andere hinzu, »das ist ein insipides Spiel ohne alle aufregenden Nuancen – meine Tante, deine Tante – Makao, Makao!«

Die Kellner, durch die Klingel herbeigerufen, beeilten sich, den Tisch abzuräumen und abzubürsten, dann eine grüne Wollendecke darüber zu breiten und ein Kästchen mit Karten herbeizubringen und dasselbe vor Ferdinand Welkermann zu stellen, der nun seine Geldbörse hervorzog und den Inhalt derselben, Gold- und Silberstücke, vor sich auf den Tisch schüttete. »Das mögen ungefähr vierhundert Gulden sein, doch ist die Bank bis zu jeder beliebigen Summe garantirt.« Bei diesen Worten zog er aus seiner Brusttasche ein wohlgefülltes Schreibbuch hervor, das er neben sich auf den Tisch legte.

»Ehe wir anfangen, sollen die Kellner abtreten, sonst haben wir morgen früh wieder die übertriebensten Schwatzereien über unser kleines, harmloses Spiel!«

»Ja, ja, der Franz und Joseph, so famos sie auch serviren, können ihr Maul nicht halten!« sagte Ferdinand Welkermann, mehrere Spiele Karten unter einander mischend. »Ich sprach vor unserem Diner mit Herrn Ringler darüber – auch so ein alter Philister, denn er meinte achselzuckend, unser Besuch sei allerdings eine große Ehre für sein Haus, aber wenn nicht gar zu hoch gespielt würde, sei es ihm doch lieber; er wäre schon ein paar Mal beinahe in unangenehme Conflikte mit der Polizei gerathen.«

»Deßhalb wollen wir noch ein paar Flaschen hereinstellen lassen und dann die Thüren schließen.«

»Warum nicht gar – was geht uns die Polizei an!« sagte Ferdinand aufblickend. »Man kann doch nicht die halbe Nacht ohne Bedienung da sitzen, und wenn wir die Thüren schließen, machen wir die Geschichte erst recht verdächtig! Das meinte auch Herr Ringler. Er versprach mir, die Kellner zu Bette zu schicken, und wird einen dummen, aber zuverlässigen Kerl in's Vorzimmer setzen, den wir hereinrufen können, sobald wir seiner benöthigt sind. Also, meine Herren, faites votre jeu! Ich werde drei Karten für euch auflegen, theilt euch unparteiisch darein – Sie spielen doch auch mit, Welden?«

»Warum nicht, wenn Sie auch kleine Einsätze nicht verschmähen.«

Nun begann das Spiel, anfänglich klein und bescheiden; man sah neben Thaler und Guldenstücken auch halbe Gulden und Sechser, man lachte noch über ein geborenes Honneur, und wenn einer der Baisse gegen den Banquier gewann, so zahlte dieser mit großem Gleichmuthe die immer noch unbedeutenden Summen.

Dabei wurde noch ziemlich stark getrunken und zur Abwechslung Papiercigarren aus einem auf dem Tische stehenden Kistchen geraucht.

»Es grenzt eigentlich an Straßenräuberei, wenn Sie die Bank haben,« sagte der Reiteroffizier zu Ferdinand; »schon das dritte Mal, daß Sie einen geborenen Neuner auflegen. Ich muß mich auf Sechser beschränken, sonst kann ich nächstens aufhören, oder verliere zu viel.«

»Sie wissen, daß die Bank Credit gibt, so viel, als ihre Mittel erlauben,« sagte der Betreffende.

»Bis morgen Mittag zwölf Uhr,« ergänzte Besenbach, »wie es mit allen ehrlichen Spielschulden gehalten wird.«

»Deßhalb, Messieurs, faites votre jeu!«

Und das Spiel wurde schon lebhafter und größer. Auch hatte die Bank nicht mehr so entschiedenes Glück wie Anfangs, obgleich immer noch das meiste baare Geld, Banknoten und Zettel, mit verschiedenen Summen und Unterschriften versehen, vor Ferdinand lagen. Besonders hatten Besenbach und der Reiteroffizier in der zweiten Taille bedeutende Chancen, ja, sogar Welden, vor dem sich, obgleich dieser mit kleinem Einsatze spielte, die Gulden- und Thalerstücke rasch aufhäuften.

Doch flatterte das Glück auf Augenblicke wieder zu Ferdinand, wie eben jetzt, wo er, nach sechsmaligem Umschlag und Doubliren, mit einer gewissen Befriedigung sagte: »Es stehen vierhundert Gulden; wer hält sie?«

»Moitié, für mich!« rief einer der jungen Kaufleute.

»Und für mich den Rest,« sagte der Reiteroffizier.

Ehe Ferdinand die Karten abzog, bemerkte er nochmals, daß die Bank auch für jede andere Summe garantirt sei, worauf von den Übrigen in verschiedenen Beträgen noch fast die gleiche Summe pointirt wurde, also im Ganzen beinahe achthundert Gulden standen.

Der Reiteroffizier goustirte lange und sorgfältig, sah sich dann genöthigt, eine Karte zu kaufen, und legte darauf mit sehr unbefriedigtem Gesichtsausdrucke vier auf.

Der Banquier kaufte ebenfalls und warf seine drei Karten mit einer sehr gleichgültigen Miene auf den großen Haufen; es waren drei Zehner, »Verloren – wie viel steht im Ganzen?«

»Achthundertundvierzig Gulden im Ganzen.«

»Hier ist ein Tausender,« sagte Ferdinand Welkermann, ohne die geringste Bewegung zu verrathen, indem er seine Brieftasche öffnete und die betreffende Banknote hinüber warf; »gebet mir heraus und theilet euch darein. Ich mag mein baares Geld nicht alles weggeben – und nun vorwärts, wenn ich bitten darf, es ist Alles garantirt.«

Welden fing an, sich für das Spiel in hohem Grade zu interessiren, nicht als ob er leidenschaftlich gesetzt oder für einen der Spieler besonders Partei genommen hätte; er beobachtete Ferdinand, ja, er mußte die merkwürdige Ruhe bewundern, mit welcher dieser bedeutende Sätze einzog und ausbezahlte. Allerdings lag diese Ruhe und Gleichgültigkeit stets im Wesen des jungen Welkermann; doch hatte Welden den Ausdruck derselben, wie im gewöhnlichen Leben häufig geschieht, an diesem jungen Manne für Affektation gehalten, hier aber schien seine Ruhe und Kälte echt zu sein. Es lag Welden viel daran, die wirklichen Ursachen zu ergründen. War Ferdinand gleichgültig gegen das Spiel selbst oder gleichgültig gegen die Summen, die er verlor? Und im letzteren Falle mußte er nach den Befürchtungen seines Vaters eine sehr ergiebige Quelle haben, sich auf sehr leichte Art Geld zu verschaffen. Dies schien das Wahrscheinlichere, denn der Bankhalter, der offenbar in großem Unglück war, lächelte fast gemüthlich, so oft er eine neue große Note aus seinem Taschenbuche hervorzog, ja, er sagte, indem er leicht mit den Fingern über die Ränder des ziemlich dicken Pakets der Bankbillets fuhr:

»Wartet nur, ich werde alles das schon wieder herumbringen, sei es nun in meiner eigenen Bank oder wenn Sie halten, Baron Miltau.«

Diese letzten Worte galten speziell dem Reiteroffizier, der einen tüchtigen Haufen von Papier und Gold vor sich liegen hatte.

»Ich habe nichts dagegen, die Bank zu nehmen,« sagte dieser, seine Gelder mit einem flüchtigen Blicke musternd; »ich kann sagen, daß die Bank für zweitausend Gulden garantirt ist. Bitte aber um Eines,« wandte er sich gegen Ferdinand, »forciren Sie mich gleich Anfangs nicht zu stark, denn sonst wird mein Vergnügen bald zu Ende sein – und nun zur Attaque, meine Herren!«

Welden hatte die noch in seiner Hand befindlichen Karten dem Reiteroffizier zugeworfen, der den ganzen großen Haufen sortirte und mischte. Dann zündete der ehemalige Bankier eine Papiercigarre an, lehnte sich behaglich in den Stuhl zurück und sagte: »Unbesorgt, ich werde ein wenig ausruhen, führe aber später schon gewichtige Truppen gegen Sie in's Feld – wenn es nur nicht so verdammt heiß geworden wäre!«

»Trink Champagner, der kühlt ab,« meinte der kleine Besenbach, der sehr vorsichtig und dabei recht glücklich spielte. Vor sich hatte er zierlich aufgestellte Geldhäufchen liegen, systematisch geordnet vom Sechser bis zum Friedrichsd'or – mit Papier gab er sich nicht gern ab.

»Nein, ich möchte Wasser haben, frisches kaltes Wasser, aber alle diese Murmelthiere von Kellnern sind verschwunden – sieh doch Jemand zu, ob keiner im Vorzimmer ist.«

Einer der jüngeren Leute sprang dienstfertig hinaus und kehrte gleich darauf mit der einzigen Bedienung zurück, die er draußen gefunden, einem Mittelding zwischen Kellner und Hausknecht, einem einfältig aussehenden Menschen, wie der Gastwirth, Herr Ringler, verheißen.

»Der Kerl schlief draußen wie eine Bombe; ich mußte ihn erst aufwecken.«

»Er soll Wasser bringen, aber frisches Wasser vom Brunnen weg.«

»Jawohl, Herr.«

»Auch könnten noch einige weitere Flaschen Champagner nichts schaden.«

»Kannst du die ebenfalls beschaffen?«

»Jawohl, Herr.«

»So troll' dich und mach', daß du wiederkommst!«

»Eh bien, Messieurs, le jeu est fait!«

Und wiederum begann das Spiel, zuerst abermals mit kleineren Sätzen, wie zu Anfang, sich aber rascher steigernd. Ferdinand betheiligte sich nur mit unbedeutenden Sätzen, zwischen denen er hastig einige Gläser kalten Wassers hinunterstürzte, die ihm der Kellner einschenkte und darreichte, worauf sich dieser wieder in den Hintergrund des Zimmers zurückzog.

Hatte der Sohn des Stadtschultheißen in seiner Bank Unglück gehabt, so machte dagegen Baron Miltau glänzende Geschäfte, unter sechs Mal drei, auch wohl vier geborene Honneurs; es war rein zum Verzweifeln, und mit solchem Ausdrucke, wenigstens mit dem des größten Unbehagens, schauten auch die Meisten auf den sich unverhältnißmäßig mehrenden Haufen von Gold und Papier.

»Finis Poloniae!« sagte einer der jungen Kaufleute, wobei er sowohl an sein Portemonnaie als an seine Brieftasche leicht mit den Fingern schlug, ohne daß noch irgend etwas herausgefallen wäre.

Welden betrachtete Ferdinand, der, ohne das Geringste zu setzen, mit großer Ruhe eine Papiercigarre um die andere rauchte, schon längst kein Wasser mehr trank, aber desto mehr Champagner, welcher ihm von Besenbach eingegossen wurde und wobei dieser nie unterließ, ihn mit dem Ellenbogen anzustoßen und ihm dabei zuzuflüstern:

»Geh' ihm doch endlich einmal zu Leibe – wie kannst du denn zuschauen, daß wir so ausgeraubt werden?«

Der Reiteroffizier hatte übrigens etwas von diesen Worten verstanden und warf lachend die Bemerkung hinüber: »Allerdings, eine hitzige Schlacht, und mit glorreichem Ende, wenn nicht bald Verstärkung gegen mich anrückt; Herr Welkermann hat sich in sein Zelt eingeschlossen, wie der selige Achill, und scheint mit seinen Myrmidonen nicht mehr eintreten zu wollen.«

»Allerdings ist Achill müde,« erwiederte der Angeredete, indem er gähnte und mit der Hand über seine Augen fuhr; »doch werde ich meinen Patroklus schicken, um vielleicht die Feldschlacht noch einmal zum Stehen zu bringen. Da, Besenbach, pointire, wenn du Lust hast!« Damit warf er ihm seine gefüllte Brieftasche hinüber, aus welcher, durch den Wurf verschoben, Billette von tausend, fünfhundert und hundert Gulden hervorblickten. »Du brauchst dich nicht zu geniren!«

»Gut denn – ein Einzelkampf zwischen Patroklus und Herkules.«

Alles blickte gespannt auf die Spieler mit vorgestrecktem Halse und weit geöffneten Augen.

»Die Bank ist für dreitausend Gulden garantirt.«

»So fangen wir klein an,« sagte Besenbach, »und nehmen ihr hundert Gulden – geborener Achter.«

»Oder umgekehrt,« sagte lachend der Reiteroffizier, »hier ist die Geburt eines Neuners zu melden.«

»Unerhört – abermals hundert.«

»Leider mit dem gleichen Erfolge.«

»Versuch es einmal mit fünfhundert,« sagte Ferdinand gleichgültig.

»Verdammt, die sind auch beim Teufel – Baron Miltau, Sie haben einen Bund mit dem Bösen gemacht!«

Ferdinand hatte ein großes Wasserglas mit Champagner hinuntergeschluckt, und seine Augen fingen an, unheimlich zu leuchten. – »Nochmals fünfhundert.«

»Und nochmals verloren.«

»Das ist wirklich ein ganz fabelhaftes Glück,« sagte einer der jüngeren Leute; »hören Sie auf, Welkermann, dem Baron Miltau ist heute nicht beizukommen!«

»Und für wie viel ist die Bank garantirt?« fragte der Sohn des Stadtschultheißen mit einer Stimme, der man nicht die geringste Aufregung anmerkte und wobei sich sogar ein kleines Lächeln um seinen Mund zeigte.

»Für dreitausend Gulden,« antwortete der Reiteroffizier; »den Rest ziehe ich zurück.«

»Nicht mehr als billig.«

»Couvrire diese dreitausend Gulden,« sagte Ferdinand zu Besenbach, »und dann laß mich einmal die Karten aufnehmen.«

»Nein, nein,« riefen ein paar der Anwesenden, indem sie sich halb von ihren Stühlen erhoben, »das geht über den Spaß; treibt das meinetwegen so fort, nachdem wir das Zimmer im Rücken haben – Gute Nacht!«

»Pfui, wer wird so kindisch sein, eine Spielgesellschaft unter guten Freunden durch vorzeitiges Weglaufen aus einander zu sprengen!« bemerkte Ferdinand; »was kann es euch verschlagen, ob ich verliere oder gewinne? Denkt, wir spielen um Nüsse oder um Rechenpfennige – haben doch diese Papierfetzen auch nur einen eingebildeten Werth.«

»Du thust gerade, als wenn du eine Banknotenpresse bei dir zu Hause stehen hättest,« erwiederte lachend einer der Kaufleute; »nun ich kann auch noch da bleiben, mir kann es gleich sein.«

»Also Sie halten die dreitausend?«

»Gewiß.«

Der Sohn des Stadtschultheißen nahm die Karten, ohne daß seine Finger oder seine Miene auch nur das geringste Zeichen von Aufregung verrathen hätten; doch goustirte er auf's sorgfältigste, bis oben der Strich erschien, der ihm ein Bild anzeigte. Dann wandte er die Karten lächelnd herum; die andere war ein Vierer – auf vier bleibt man nicht stehen; er ließ sich eine dritte Karte geben: es war ein Sechser; er hatte also verloren, wenn der Bankier nicht ebenfalls zwei Zehner oder zwei Bilder hatte. Dieser kaufte ebenfalls und legte mit triumphirendem Blicke ein Aß auf – er hatte um einen einzigen Point gewonnen, denn auch er hatte in der That zwei Zehner gehabt.

Ein leiser Ruf der Überraschung flog durch den Kreis, der sich näher um die beiden Spielenden zusammendrängte – es war dieses aber auch ein ganz außerordentliches Spiel, so außergewöhnlich, daß es selbst die Aufmerksamkeit des Kellners erregte, der unbeachtet im Zimmer geblieben war und nun mit lang vorgestrecktem Halse, von Niemandem beachtet, über den Kreis hinüber auf den Tisch schaute.

Der Reiteroffizier behielt sein Paket Karten in der Hand und blickte fragend zu Ferdinand hinüber, der sich lachend mit der Frage an Besenbach wandte: »Was haben wir noch aufzuwenden?«

Der kleine Mann mit dem rothen Barte machte ein gar klägliches Gesicht, offenbar befand er sich durch das unsinnige Spiel in viel größerer Bestürzung, als der, dem es doch eigentlich galt. »Laß es gut sein,« flüsterte er ihm zu – »wozu seinem Gelde nachrennen und Alles verlieren?«

»Das ist meine Sache; wie viel ist noch in der Brieftasche?«

»Noch neun Stück Fünfhunderter.«

»Halten Sie mir noch viertausend Gulden?« fragte Ferdinand in verbindlichem Tone den Baron von Miltau.

»Mit Vergnügen, auch mehr.«

»Gut, geben Sie aus.«

Dieses Mal kam der junge Welkermann weder zum Goustiren noch zum Kaufen, denn der Cavallerieoffizier legte achselzuckend und mit den Worten: »Mir selbst unbegreiflich!« einen geborenen Neuner auf.

Sonst sprach Keiner im Kreise rings umher, Alle schienen bestürzt über die unter den obwaltenden Umständen kolossale Höhe, welche das Spiel, das man mit Sechsern und halben Guldenstücken begonnen, so unverhofft genommen, – nur der, den es am meisten betraf, schien nicht viel Wesens daraus zu machen. Er steckte Portemonnaie und Brieftasche mit großer Ruhe ein, worauf er das letzte Bankbillet von fünfhundert Gulden, das er noch hatte, langsam zwischen den Fingern umherschob und dann der Länge nach bedächtig zusammenfaltete. Allerdings waren seine Blicke etwas starr geworden und seine Zunge schwer und lallend, als er sprach.

»Es ist mir das allerdings unangenehm,« sagte er, »aber ich kann Ihnen auf meine Ehre versichern, mehr für Sie, als für mich selber, da es unsern heiteren Abend mit einer Dissonanz zu beschließen droht; deßhalb noch ein volles Glas, Besenbach, zur Abwehr der Mißstimmung, und ihr Anderen schenkt euch noch einmal ein – an Stoff fehlt es nicht – stoßt an auf unser besseres Glück ein ander Mal!«

»Und zur Revanche jeder Zeit!« rief der Freiherr von Miltau.

»Wie Sie wollen,« antwortete Ferdinand; »doch könnte mir auch die verflucht gescheite Idee kommen, gar keine Karten mehr anzurühren, vielleicht aus Mangel an Fonds,« setzte er mit einem eigenthümlichen Lächeln hinzu, »und um den eben ausgesprochenen Vorsatz halten zu können, ist es besser, wenn ich meine Schiffe hinter mir verbrenne.«

Bei den letzten Worten näherte er die zu einem Fidibus zusammengedrehte, letzte Banknote dem Lichte, welches vor ihm stand, und ehe Welden, der, der einzige vollkommen Nüchterne, allen seinen Bewegungen auf's genaueste gefolgt war, ihn am Arme ergreifend daran hindern konnte, hatte das Papier bereits Feuer gefangen; doch riß es ihm der junge Ingenieur trotzdem aus der Hand, zerdrückte die Flamme mit den Händen und sagte dann, ihn ernst anschauend:

»Herr Welkermann, ich kenne allerdings nicht Ihre Vermögensverhältnisse, aber ich glaube doch, Sie werden mir morgen Dank wissen, daß ich Sie von etwas abgehalten, das selbst durch die aufgeregte Stimmung, in der man sich eben befindet, nicht zu rechtfertigen ist!«

Dieses war der Funke, welcher in den aufgehäuften Zündstoff flog, den der junge Mann bis jetzt mühsam vor dem Aufflammen bewahrt; er sprang, wie von einer Feder geschnellt, in die Höhe, seine feuchten Lippen bebten, und indem er beide Fäuste auf den Tisch stemmte, beugte er sich so weit gegen den Ingenieur, daß er dessen Stirn fast mit der seinigen berührte.

»Weder morgen noch heute werde ich Ihnen Dank wissen, Herr – wissen Sie wohl, daß Sie eine Unverschämtheit gegen mich begangen, daß ich Ihnen darauf mit einer Ohrfeige antworten würde, wenn mich die Anwesenheit jener ehrenwerthen Leute nicht davon zurückhalten würde, und daß ich Sie trotzdem bitten muß, diese Ohrfeige als vollkommen genossen zu betrachten!«

Welden war furchtbar erbleicht und athmete tief auf, ehe er im Stande war, auch nur durch ein leichtes Kopfnicken zu antworten, und dann erst nach einer ziemlich langen Pause, während welcher er die an einem Theile verbrannte Banknote ruhig auf den Tisch legte, zur Antwort gab: »Die anwesenden Herren werden es mir Dank wissen, wenn ich Ihre Worte heute Abend auf der Stelle nicht gebührend beantworte – morgen aber werde ich mir erlauben, Ihnen den heutigen Abend in Erinnerung zu bringen!«

»Und mit vollem Rechte!« rief Baron Miltau, der sich mit den meisten der übrigen Anwesenden rasch erhoben hatte.

Nur Besenbach war sitzen geblieben, und das aus guten Gründen, denn er hatte nicht Lust, den auflodernden Zorn seines guten Freundes auf sich zu lenken, konnte sich aber trotzdem nicht enthalten, in Ausrufungen wie: ›Unerhört! Unverzeihlich!‹ wenn auch leise, mit einzustimmen.

Ferdinand hatte die Banknote wieder ergriffen, und indem er mit rollenden Augen, an der Unterlippe nagend, rings im Kreise umherschaute, stieß er mühsam die Worte hervor: »Und ich kann mit meinem Eigenthum schalten und walten, wie ich will!«

»Ja, aber vor unseren Augen keinen solchen Wahnsinn treiben; ein Millionär würde sich das nicht erlauben, und wenn er es thäte, müßte man ihn unter Curatel stellen, und das wollen wir auch dir thun zu deinem eigenen Besten.«

Der, welcher so sprach, einer der genaueren, älteren Freunde Ferdinands, hatte das Licht auf dem Tische ausgelöscht und sich ihm mit einer sehr entschlossenen Miene genähert, worauf Ferdinand anfänglich Lust zu haben schien, das Papier, welches er zwischen seinen zitternden Fingern hielt, zu zerreißen; doch besann er sich eines Vernünftigeren, und sich rasch umwendend, wobei er seinen Freund etwas unsanft zurückdrängte, warf er dem Kellner, der überrascht zugeschaut, die Banknote zu.

Dieser schien erschrocken über das Geschenk zu sein und wollte es wieder auf den Tisch legen, doch winkte ihm Baron Miltau mit den Augen, worauf er sich in die Ecke des Zimmers zurückzog, wohin sich Welden ebenfalls begeben hatte, um seinen Hut zu nehmen. Hier flüsterte ihm der Kellner zu:

»Erlauben Sie mir die Frage: wer ist der junge Herr, der mir die Banknote gegeben? Ich bin erst kurz im Hause und kenne ihn nicht: Sie werden es begreiflich finden, daß ich sie ihm morgen früh wieder zustelle.«

»Gewiß, mein Freund, es ist der Sohn des Stadtschultheißen Welkermann, in der Bank angestellt; gehen Sie morgen früh dorthin, und ich bin überzeugt, er wird Ihnen dankbar sein.«

Der Kellner zog sich nach einer Verbeugung zurück, und Welden verließ das Zimmer und den Gasthof, dessen Thür ihm ein schläfriger Hausknecht öffnete.

Es war spät in der Nacht oder vielmehr früh am Morgen; die Steine leuchteten in unbeschreiblicher Klarheit, der Schnee knirschte unter den Füßen des Dahinwandelnden, welcher bei sich dachte: »Das hat man davon, wenn man sich in fremde Angelegenheiten mischt, und statt dem Stadtschultheißen dienstbar zu sein, werde ich mich genöthigt sehen, seinem ungerathenen Sohne Eins auf den Pelz zu schießen oder – – vielleicht wäre es doch gescheiter gewesen, eine Tasse Thee bei meiner liebenswürdigen Hauswirthin anzunehmen.«


 << zurück weiter >>