F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der Garten des Welkermann'schen Hauses war von je her der Lieblingsaufenthalt Elisens gewesen, da derselbe in seiner stillen Abgeschiedenheit ihren Neigungen, ja, ihren Wünschen zu sehr zusagte. Er hatte rings umher so hohe Mauern, daß man von den Nachbarshäusern nicht hereinschauen konnte, und obendrein befanden sich entlang dieser Mauern alte Kastanienbäume, die im hohen Sommer mit ihren starken, vollen Kronen den kleinen Raum zu drei Viertheilen wie mit dichten, grünen Schleiern zudeckten; nur in der Mitte, wohin der Strahl der Sonne gelangen konnte, befanden sich Blumenbeete rings um einen kleinen Springbrunnen, und wenn auch die Anlage des ganzen Gartens etwas Einförmiges hatte, so lag doch etwas Traulich-Heimliches in diesem buntfarbigen Mittelpunkte mit dem murmelnden Wasser, rings umgeben und geschützt von der Mauer und den breitästigen Bäumen.

Auf den Zweigen derselben entwickelte sich eben der Frühling in voller Pracht; die kleinen, hellgrünen, noch vor wenigen Tagen fest zusammengerollten Blättchen reckten sich auseinander, daß es anzusehen war, als strecke jeder Baum Tausende von Händen in die blaue Luft hinaus, und wie duftete Alles heute so wunderbar nach dem leichten Regen, welcher unerklärliche und doch so bekannte Gerüche aus dem jungfräulichen Laube, aus dem Grase, aus der warmen Erde hervorlockte!

Während des Weges sagte Elise zu ihrem Begleiter: »Es hat unser Haus viel Unglück betroffen; wer hätte gedacht, daß es so kommen würde?«

Obwohl sie sich bemühte, dies so ruhig als möglich zu sagen, so zitterte doch eine tiefe Empfindung durch ihre Worte und veranlaßte Welden, ihr mit aller Wärme, die ihm möglich war, zur Antwort zu geben: »Der Schein trügt, Fräulein Elise, wie so oft in dieser Welt; glauben Sie mir – glauben Sie mir, wir stehen hier vor einer allerdings scheinbar zusammenpassenden Kette von Umständen, die aber vor der Wahrheit auseinander fallen wird.«

»Und ich fürchte vielmehr, die Ringe dieser Kette werden sich fester um meinen Bruder schließen und so meinen Eltern namenloses Unglück bereiten.«

»Ich bitte Sie herzlich, Fräulein Elise, vertrauen Sie mir und seien Sie überzeugt, daß ich Ferdinand's Angelegenheit wie die meinige betrachte, in diesem Augenblicke mehr als je – oder glauben Sie, mir nicht vertrauen zu können?«

»Warum nicht?« erwiederte sie, ihn offen anschauend, »O, könnte ich so an der Schuld meines Bruders zweifeln, als ich überzeugt war, daß man Ihnen mit jenen Beschuldigungen, von denen ich einen Theil erfahren, Unrecht gethan!«

»Das lohne Ihnen Gott, Fräulein Elise! Also gibt es noch edle Herzen, die mich solcher Schlechtigkeit nicht fähig hielten – nun denn, so vertrauen Sie mir auch und sagen Sie mir unumwunden, wann und wie ich rathen und helfen kann.«

»Das kann allein nur Gott, der die Unschuld kennt und einschreiten wird, wenn er es für gut findet,« erwiederte sie in ruhigem, sanftem Tone, indem sie ihre Augen zum blauen Himmel emporhob.

»Aber Sie wünschten doch eine Unterredung mit mir?«

»Ich bat Sie nur, mir zu einer Unterredung zu folgen; dort – ist Jemand, der Sie zu sprechen wünscht; ich that vielleicht Unrecht, Sie hieher zu führen, aber ich kenne das gute, reine Herz meiner theuren Lucy.«

»Ah, Lucy – ah, Fräulein Lucy!« rief Welden überrascht, als er das junge Mädchen, von dem eben die Rede war, unter den Kastanienbäumen hervortreten sah, »der Frühling des Frühlings, die schönste Rosenknospe in dieser entzückenden Jahreszeit.« Erschien sie ihm doch wirklich so mit ihrem vor Scham leicht erröthenden Antlitze, mit den niedergeschlagenen Augen, mit den leuchtenden Thautropfen, die auf ihrem blonden Haar ruhten!

Lucy hielt ihren Hut in der Hand, und ein leichter Wind, der durch die Bäume strich, hatte die dort gesammelten schweren Tropfen auf das Haupt des jungen Mädchens hinabgestäubt.

Diese Regentropfen und jener – es schauderte ihn, wenn er daran dachte.

Während Fräulein von Rivola dem jungen Manne ihre kleine, rechte Hand bot, legte sie die andere in den Arm Elisens, zog diese sanft an sich, als stumme Bitte, daß sie sie nicht verlassen dürfe, und dann traten alle Drei unter die Bäume zurück.

»Ich mußte Sie sehen, Herr Welden,« sagte Lucy schüchtern; »ich mußte Sie sprechen – vorher noch einmal sprechen . . .« Dann stockte sie verlegen.

Schon wieder dieses schreckliche Wort: vorher – für ihn auch hier von so schmerzlicher Bedeutung, denn er wußte wohl, was dieses »vorher« zu sagen hatte. War es doch seit einigen Tagen in der Stadt kein Geheimnis mehr, daß Graf Eugen Hartenstein Fräulein von Rivola heirathen werde!

»Ich hätte ja gern gewartet,« setzte das junge Mädchen nach einer kleinen Pause hinzu, »bis Sie uns wieder besucht hätten; doch waren Sie ja neulich bei uns, ohne nach mir zu sehen, und ich dachte gewiß nicht mit Unrecht, daß dies nicht ohne Absicht geschehen sei.«

»Eine Absicht lag allerdings darin, daß man mich verhinderte, nach Ihnen zu sehen, Fräulein Lucy, und gewiß hat Ihr Herr Vater Sie darüber nicht im Unklaren gelassen.«

»Ah, er sprach allerdings Manches über Sie, was mich tief betrübte, ja, was mich unglücklich gemacht hätte, wenn ich – wenn ich – nicht überzeugt gewesen wäre, daß man Sie bei meinem Vater verleumdet.«

»Wie danke ich Ihnen für dieses Wort! Es erhebt mich, es macht mich glücklich, denn es gibt mir den Beweis, daß von denen, an deren Meinung mir gelegen ist, mich doch Mancher nicht ungehört und ungerecht verdammen wird. Und doch,« fuhr er in einem bitteren Tone fort, »greife ich ja wie ein Ertrinkender nach einem unhaltbaren Strohhalme! Wenn ich Ihnen auch herzlich danke für Ihre gute Meinung, Fräulein Lucy, so würde sich doch diese Meinung anders gestalten, wenn Sie – wenn Sie das, was man mir zum Vorwurfe macht, mit den Augen Ihres Herrn Vaters, mit denen der ganzen Welt betrachten würden.«

»O, Herr Welden,« gab sie mit gefaltenen Händen zur Antwort, »reden Sie nicht so Böses über sich selber, nur heute nicht, jetzt nicht! Und wenn die ganze Welt Übles von Ihnen sagen würde, ich würde es ja doch nicht glauben, und ich spreche die Wahrheit – hier, Ihnen gegenüber, die volle Wahrheit, wie ich sie in meinem Herzen fühle! Ich bin auch gekommen, um Ihnen aufrichtig zu sagen, was man zu Hause über mich beschlossen hat.«

»Ich weiß davon, Fräulein Lucy.«

»Nicht um Ihren Rath zu verlangen, denn ich bin überzeugt, Sie würden mir rathen, mich dem Willen meiner Eltern zu unterwerfen! Sie haben mir schon oft früher scherzhaft gesagt, kleine Kinder müssen gehorchen, und Sie würden mir das jetzt wiederholen.«

»Wahrscheinlich würde ich das thun.«

»Sehen Sie – so will ich Sie also nicht um Ihren Rath fragen, sondern will Ihnen nur sagen, daß ich noch einen letzten Versuch machen werde, meinen Vater zu bestimmen, daß er mir die Freiheit meines Handelns läßt. O, mein Vater ist milde und gut und hat ein weiches Herz! Deßhalb ist es mir auch so unbegreiflich, daß er Ihnen zürnen kann, Herr Welden, und mir ist das gerade jetzt doppelt schmerzlich, denn wenn er Ihnen in diesem Augenblicke nicht zürnte, so hätte ich vielmehr den Muth, ihm zu sagen: ›laß mich doch bei dir, wie bis jetzt – ach, ich habe mich von jeher darauf gefreut, mit den lieben Freunden des Hauses diesen Sommer und noch viele Jahre beisammen zu bleiben!‹«

»Aber Herr von Rivola zürnt mir?«

»Ja, er zürnt Ihnen, und auch die Mama, woraus ich mir indessen nicht so viel machen würde, denn Sie waren ihr früher gleichgültig, während mein Vater Sie geliebt hat – für meine Mutter ist überhaupt alles gleichgültig, was nicht zur Erreichung eines Zieles dient; was ihr aber im Wege steht, das haßt sie, und so werden auch Sie jetzt von ihr gehaßt.«

»Ich verstehe das nicht recht, Fräulein Lucy,« gab Welden zur Antwort, obgleich er in Wirklichkeit doch etwas in ihren Worten erkannte, was sein Herz schneller schlagen ließ und was ihn veranlaßte, einen Blick auf Elise zu werfen, die an der Gartenmauer, in tiefe Gedanken versunken, auf- und abging. Auch vermied er es dabei, Lucy's leuchtenden, seelenvollen Blicken zu begegnen oder das fast wehmüthige Lächeln um ihren Mund zu betrachten, welches ihre feinen Lippen bewegte und die schneeweißen Zähne dazwischen hervorschimmern ließ – durchschauerte es ihn doch so schon tief und gewaltig, als sie jetzt ihre kleine Hand auf seinen Arm legte.

»Ja, sie glaubt, Sie ständen ihrem Ziele im Wege, und dieses Ziel ist, mich mit Eugen Hartenstein zu verheirathen.«

Hier konnte sich Welden trotz alledem nicht enthalten, sie anzuschauen; doch sah er nichts, als das reizende Profil ihres Gesichtchens, da sie den Kopf von ihm abgewandt und den Blick auf den Boden geheftet hatte. Zu verdenken war es ihm hierbei indessen nicht, wenigstens verzeihlich, daß er seine Hand leicht auf ihre kleinen Finger legte und durch diese Berührung ihre Blicke magnetisch anzog.

Als sich nun Beider Augen begegneten, da schwammen die des jungen Mädchens in einer stillgestandenen Thräne, die Lippen Beider aber waren halb geöffnet, wie um leichter das wunderbare Weh des schmerzlichsten Entzückens auszuhauchen, unter dem ihre Herzen schneller schlugen und hätten brechen mögen. Es war einer jener bedeutsamen Momente, die über das Glück eines ganzen Lebens entscheiden; hier aber lag die Entscheidung schon hinter ihnen, und keine Hoffnung auf Glück und Seligkeit vor ihnen.

Es dauerte eine lange, lange Weile, während die Blicke Beider fest in einander wurzelten, und während sie, ihren zarten Körper hervorhebend, ihm so nahe kam, daß er ihren warmen, süßen, rasch ausgestoßenen Athem um seine Lippen spürte – weiter nichts, wobei sie ihn aber zauberhaft anzog und fesselte durch den unaussprechlich innigen Ausdruck ihres tiefglänzenden, sanften Auges. Dann glitt ihre Hand von dem Arme herab in die seinige und sie sprach, indem sie sich wieder halb von ihm abwandte: »Das habe ich Ihnen nur sagen wollen und hielt es für eine liebe Pflicht, das zu thun gegenüber dem, was mit mir beschlossen ist, und gegenüber den bitteren, gehässigen Worten, die ich über Sie gehört.«

»O, meine Seele dankt Ihnen jauchzend dafür, Lucy! Ihre Worte haben wieder ein helles, mildes Licht verbreitet in meinem so finsteren Innern, wenn auch die Strahlen der Sonne, nach denen ich mich so gewaltig sehne, meinem Auge niemals aufgehen werden, niemals aufgehen können, und wenn ich auch nicht gewürdigt bin, glänzende Tage der Freude erleben zu können, so will ich doch mit Seligkeit denken an die Morgenröthe eines unerreichbaren Glückes, die ich in Ihrem Auge geschaut, die aus Ihren Worten in mein Herz geleuchtet und die es gestählt für ewige Zeiten.«

»Und nun muß es geschieden sein,« hörten sie die ernste Stimme Elisens sagen, welche zu ihnen getreten war und das leise weinende Mädchen in ihre Arme schloß. »Gehen Sie mit Gott, Herr Welden, und je länger es dauert, bis wir hier uns wiedersehen, desto besser ist es für uns Alle.«

Er blickte einen Augenblick fragend auf Lucy, er hätte sich durch ein Wort von ihr gern zurückhalten lassen; doch hatte sie ihr Gesicht an dem Herzen ihrer Freundin verborgen, und so sagte er ihr ein kurzes Wort des Abschiedes und durchschritt den Garten. Ehe er aber in das Haus eintrat, blickte er noch einmal zurück und sah Lucy hoch aufgerichtet neben ihrer Freundin stehen, sah, wie sie jetzt ihre Hand an die Lippen führte und darauf den Arm gegen ihn ausstreckte.

Damit aber war nun, als er in's Haus eingetreten, seine ganze Umgebung wie durch einen Zauberschlag verändert – dort die Seligkeit der ersten Liebe eines reinen, jugendlich warmen Herzens, die, gleich einer duftenden Rosenknospe, unter Thränen aus ihrer Hülle gebrochen war – hier die trostlose Klage einer unglücklichen Mutter, welche ihren Sohn wiederholt in ihre Arme schloß und ihn nicht von sich lassen wollte. Er erreichte die Thür des Hauses wankend wie im Traume, und sein Geist trat erst wieder klar in die Wirklichkeit, als er das Rollen eines fest verschlossenen Wagens vernahm, der sich vom Hause des Stadtschultheißen im raschen Laufe der Pferde entfernte.

Welden ging seinem Hause zu und hatte auf dem Wege dorthin so sehr seine Fassung wiedergewonnen, daß er anscheinend vollkommen ruhig sein Zeichnungs-Bureau wieder betrat. Sein Chef, der Oberbaurath Lievens, war länger ausgeblieben, als er am Anfange geglaubt, und erst vor einer Stunde von seiner Dienstreise zurückgekehrt. Was Frau Lievens anbetraf, so hatte er sie seit jenem Morgen nicht wiedergesehen; er hatte sich nicht absichtlich ihrem Blicke entzogen, ja, er hatte sie sogar am folgenden Tage aufgesucht, um ihr nicht vorzuenthalten, in welch' furchtbare Lage sie ihn durch ihr leidenschaftliches Auftreten gebracht. Da erfuhr er, daß sie zu einer älteren Schwester gereist sei, die in einer benachbarten Stadt verheirathet war, und wir wollen nicht verschweigen, daß er bei dieser Nachricht leichter aufathmete.

Der Oberbaurath war von seiner Inspectionsreise zurückgekehrt, die Hände so voll Arbeit, wie man zu sagen pflegt, daß es ihm nicht unlieb war, anstatt verschiedene Stunden des Tages, beim Mittagessen oder am Theetische, der Unterhaltung seiner Frau widmen zu müssen, jetzt vollkommen freie Zeit zu haben, um mit Welden, der die Seele des ganzen Bau-Departements war, das Nöthige verarbeiten zu können, und es gab des Nöthigen und Nöthigsten so vieles; hatte doch die Regierung des Nachbarlandes, welche so lange hartnäckig einen gewissen Eisenbahnanschluß verweigert, diesen endlich bewilligt, und mußte man sich nun über Hals und Kopf beeilen, um das Publikum den Vortheil dieses Anschlusses so bald als möglich genießen zu lassen. An den Vorarbeiten hierzu hatte Welden allerdings schon seit Jahren gearbeitet, und er brauchte nur der Reihe nach seine Mappen herzugeben, um mit den Detailzeichnungen und Accordirungen beginnen zu können.

Dazu aber war es nöthig, sich an Ort und Stelle zu begeben, und der junge Ingenieur begrüßte den Befehl seines Chefs, sich so bald als möglich reisefertig zu machen, mit der ungetheiltesten Freude; hoffte er doch, in anderer Umgebung, bei angestrengten Arbeiten all das Entzückende, aber auch all das Furchtbare, in das er so willenlos hineingerathen, vergessen zu können! Ja, und dabei erschien es ihm als kein geringer Vortheil, dieses Haus, das Haus des Oberbauraths, wo er längere Zeit so harmlos und stillzufrieden gelebt, nun verlassen zu können, nicht, um auf der Schwelle, ohne rückwärts zu blicken, den Staub von seinen Stiefeln zu schütteln, aber doch mit einem wehmüthigen, traurigen Gefühle.

Und wie bald kam dieser Augenblick! Das Bureau des Oberbauraths Lievens wurde zwischen diesem und dem Ingenieur getheilt, das heißt, letzterer nahm die fähigsten der jungen Leute mit sich, während die übrigen beim Oberbaurath blieben, der als vermittelndes Element in der Nähe des Ministeriums zu bleiben hatte.

Und nach einigen Tagen verließ Welden die Stadt, und absichtlich abermals zu Fuß, langsam die Höhen ersteigend bis zu jenem alten Gemäuer, wohin er seinen Wagen bestellt hatte und von wo aus er noch einen schmerzlichen Blick auf das Häusermeer zu seinen Füßen warf, und wahrlich keinen hoffenden nach Eichenwald hinüber. Dann wandte er sich ab, wie man sich von einem offenen Grabe abwendet, in das man sein Theuerstes hinabgesenkt, das unsere Liebe, einen Theil unseres Glaubens und unsere ganze Hoffnung einschließt.

Seiner Brust entrang sich ein leichter Schrei, wie ihn der Falke vielleicht ausstößt, wenn er, seinem Gefängniß entronnen, sich hoch in die klare, reine Luft emporschwingt; aber bei ihm war es nicht nur ein Schrei der Befriedigung, sondern auch ein Schrei tiefsten Schmerzes. Dann warf er sich in den Wagen, drückte sich fest in eine Ecke desselben, und während er dahinrollte, versenkte er sich mit aller Kraft in Erinnerungen der letztvergangenen Tage – ach, und dabei trat jener kleine Garten, wo er Lucy zuletzt gesehen, so tief schmerzlich vor seine Seele, Lucy's Hingebung, seine so plötzlich erwachte und nun zur Leidenschaft gewordene Liebe – sonst war ihm das Scheiden von Allen da unten leicht geworden.

Mit seinen nothwendigen Besuchen war Welden bald fertig gewesen; er ließ Wenige hier zurück, deren Freundschaft, ja, deren Wohlwollen gegen ihn sich bei dem gewissen Vorfalle erprobt hatte. Bei dem Polizeirath Merkel allein verblieb er längere Zeit und sagte ihm auch, wie er nicht ohne Leid in mancher Beziehung die Stadt verlasse, – dann bat er ihn auf's dringendste, ihm doch hier und da Kenntniß zu geben von dem Verlaufe des Prozesses gegen Ferdinand Welkermann, was Herr Merkel auch mit seinem freundschaftlichsten und wohlwollendsten Lächeln versprach. Dann schieden sie, und es freute Welden, als er hierbei bemerkte, wie jener diesen Abschied nicht so leicht nahm, wie er ihn mit herzlichen Worten hinaus an die Treppe geleitete, wie er ihm wiederholt beide Hände drückte und ihm sagte: »Glauben Sie, es thut mir recht leid, daß Sie gehen – ich hätte lieber ein paar Hundert Andere vermissen mögen, brave Leute und Spitzbuben, obgleich auch an den letzteren mein Herz gewissermaßen hängt, wie Sie wissen. Nun, Sie haben Recht, es ist hier kein Boden für Sie; man muß hier scheren oder geschoren werden; ich bin hier für's Erstere angestellt und begreife es wohl, daß Sie sich das Letztere schwerlich gefallen lassen möchten. Doch Sie werden sehen, ich besuche Sie in meinen Ferien; vor der Hand habe ich noch eine riesige Arbeit vor mir, riesiger, als Sie vielleicht denken, obgleich Sie wissen, was ich meine. Doch sobald das vorüber ist, nehme ich Urlaub und komme zu Ihnen. Wohl weiß ich ungefähr, welche Gegend des Gebirges Sie mit Spaten und Haue unsicher machen, und kann mir auch wohl denken, wo Ihr Hauptquartier sein wird – richtig, bei dem alten Heilemann, von dem Sie schon so viel erzählt – nun, da suche ich Sie auf und begleite Sie durch Dick und Dünn. Das wird ein prächtiges Leben werden! Ich schaue Ihnen zu, wenn Sie Felsen sprengen, und gehe mit Ihnen auf die Jagd, nicht als Selbstschütze, davor möge Sie der Herr in Gnaden bewahren, sondern ich klatsche in die Hände, daß die Feldhühnerketten nur so auffliegen – brrrrrrr – und nun Gott befohlen, lieber Welden!«

Damit hatte sich der Polizeirath abgewandt und die Thür seines Vorzimmers rasch hinter sich zugemacht.

Innerhalb derselben blieb er einen Augenblick gedankenvoll stehen, fuhr sich mit der Hand über die Augen, und seine heitere, wohlwollende Miene hatte sich plötzlich in eine mürrische, finstere verwandelt. »Wenn ich wieder einmal auf die Welt komme,« sprach er zu sich selber, »so werde ich kein Polizeibeamter, sondern suche mir ein Geschäft, wie jener glückliche junge Mensch dort, in Feld und Wald – dort allein kann man zufrieden sein; aber so wie man das Menschenvolk, namentlich von seiner Schattenseite fassen muß, so hat man keinen frohen Augenblick mehr. Es liegt allerdings etwas Großes darin, mit aller Geisteskraft zu combiniren, um einem so still schleichenden Verbrechen entgegen zu treten und ihm Halt! Werda? zurufen zu können. Doch sollte man dabei eigentlich gar kein Herz haben – einen guten Theil desselben habe ich mir allerdings schon abgewöhnt, aber es kommt immer wieder, und ich glaube, wenn ich einmal aufhörte, Polizeibeamter zu sein, so würde mir über Nacht mein ganzes schönes Herz wieder so voll und groß wachsen, wie es ehemals gewesen ist – aber Polizeidirektor, vielleicht Minister der Polizei zu werden, das ist auch keine Kleinigkeit!«

Unter diesem Selbstgespräche war der Polizeirath in sein Zimmer zurückgegangen und hatte sich dort an seinen Schreibtisch gestellt, die Rechte auf denselben stützend.

»Mich dauert in der That der alte Welkermann in tiefster Seele,« sagte er, zum Fenster hinaus auf den freien Platz vor demselben blickend. »Wie ich vernommen, hat er gestern schon den Rücktritt von seinem Amte als Stadtschultheiß angezeigt – es thut mir in der Seele weh, und doch kann kein Zweifel dabei sein: sein Sohn ist nicht unschuldig zu dieser Hehlerei gekommen; daß er am Ende bei der Fabrikation nicht thätig war, das glaube ich schon nach den Verhören mit Steffler annehmen zu können. Aber der andere Schatten, der da vor mir aufsteigt, ist noch fürchterlicher, mich selbst wahrhaft erschreckend, ja, erschütternd, und wenn ich auch Beweise gesammelt habe, die sich leicht zu einem befriedigenden Resultate an einander reihen lassen, so ist dieses Resultat doch so schrecklicher Art, daß ich es Seiner Excellenz dem Herrn Polizeiminister, meinem alten, würdigen, aber etwas ängstlichen Chef, nicht übel nehmen konnte, als er gestern sagte: ›Ich glaube, Sie sind toll geworden, Merkel!‹«

Er ließ sich, nachdem er die letzten Worte ziemlich deutlich vor sich hin gesprochen, auf seinen Stuhl nieder, nahm aus einer zweifach verschlossenen Schublade des Schreibtisches eine kleine Mappe mit Papieren und blätterte darin, während er kopfschüttelnd sagte: »Und doch ist der ganz ergebene Merkel nicht toll geworden, im Gegentheil, er glaubt, daß er ganz ungeheuer vernünftig ist; da ist hier das Blatt unbedruckten Banknotenpapiers, das ich selbst im sogenannten Atelier des Herrn von Rivola aufgehoben; da ist ferner der Brief des Chefs der Notenfabrikation sowie das Protokoll seiner Beamten, daß nie und zu keiner Zeit unbedrucktes Banknotenpapier abgegeben worden ist, auch nicht einmal für Herrn von Rivola zu einer Untersuchung; hier haben wir ferner das Gutachten des Professors Förster, wonach er seine Behauptung beweist, daß das Wasserzeichen in dem fraglichen Papier vermittels einer ihm allerdings selbst noch unbekannten Säure hergestellt ist; hier haben wir die Verhörsakten Steffler's, worin er erzählt, daß er mit Herrn von Rivola bekannt geworden, als jener bei dem Hoffriseur diese Federzeichnung hier gesehen und von dem Gehilfen des Hoffriseurs erfahren: Steffler sei allerdings ein armer Teufel und ein etwas leichtsinniger Kerl, aber dabei ein geschickter Kupferstecher. Und daß die falschen Noten in Kupfer gestochen wurden, darüber herrscht eben so wenig ein Zweifel, als daß Steffler sie allerdings nicht gemacht hat – doch kann er etwas daran geändert haben, und einmal schien dieser schlaue Fuchs etwas von einem derartigen Bekenntnisse auf der Zunge zu haben, denn daß er sich selbst gleich darauf corrigirte und angab, er habe nur zur Probe für Herrn von Rivola eine kleine Arabeske in Kupfer geschnitten, ist kaum glaublich.

»Ich will aber den Fall annehmen, Steffler sei bei dieser Fälschung förmlich unschuldig, so bleibt es doch im höchsten Grade verdächtig, daß Herr von Rivola diesen Menschen an sich gezogen, denn dieser kluge und umsichtige Mann hat während der Dauer seines hiesigen Aufenthaltes nie ohne Überlegung gehandelt; am auffallendsten aber muß es mir sein, daß er damals, als er mich in seinem Wagen nach dem Rathhause führte und als ich von Steffler, den wir mit dem jungen Welkermann plaudernd sahen, sprach, Steffler durchaus nicht zu kennen vorgab.

»Ich resumire also: wenn auch Steffler bei der vorliegenden Banknotenfälschung nicht betheiligt war, so wurde er von Herrn von Rivola vielleicht für eine neue, verbesserte Auflage gewonnen, welche – und das beweist Steffler's Reise – im Auslande angefertigt werden sollte; denn daß die Augen des alten Herrn nicht mehr in dem Zustande sind, um eine so feine und anstrengende Arbeit selbst zu unternehmen, dafür bürgt mir das Urtheil seines geschickten Hausarztes, der zufälliger Weise auch der meinige ist und den ich gesprächsweise darüber hörte.

»Nun aber kommen wir zu der großen Frage: Wo sind die vorliegenden falschen Banknoten angefertigt worden? – und darüber ist meine Ansicht so klar, daß ich bereit wäre, darüber einen körperlichen Eid abzulegen; die Platten wurden vor Jahren im sogenannten Atelier im alten Thurme, und zwar von Herrn von Rivola allein, gestochen, der Druck geschah vielleicht mit Hülfe seines Dieners, der, wie ich ja selbst am besten weiß, ein geschickter Schlosser und Mechaniker ist.

»Alles das war unendlich geschickt und mit großer Klugheit angelegt, und wahrscheinlich während wir, seine Bekannten, ihn häufig bei seinen künstlerischen Arbeiten besuchten – wozu er ja uns Allen auf's bereitwilligste ungehinderten Eintritt gewährte – arbeitete er. Daß zwischen jener Zeit und jetzt schon der Zeitraum von Jahren liegt, beweist am besten der Zustand, in welchem wir das Atelier fanden, einige Tage vorher, ehe der alte Thurm der Stadt übergeben wurde. O, hätte ich damals einen Grund gehabt, die Geräthschaften und alles, was sich dort befand, in genaueste Untersuchung zu ziehen! Aber, ehrlich gesagt, ich würde nur vor kurzer Zeit noch selbst die gleiche Antwort gegeben haben, welche mir Seine Excellenz spendete: Ich glaube, Merkel, du bist toll geworden!

»Und doch hat das auch wieder sein Gutes; der Herr von Rivola, welcher allerdings durch die Verhaftung Ferdinand Welkermann's unangenehm berührt worden sein soll, wiegt sich noch in vollkommener Sicherheit, obgleich er zugegeben, daß er den jungen Bankbeamten einige Male ersucht habe, ihm Banknoten auszuwechseln. Sagte mir doch der alte, schlaue Fuchs selber, er bestreite durchaus die Möglichkeit nicht, daß sich unter jenen Banknoten falsche befunden hätten – habe er doch selbst mehrmals Verdächtiges an verschiedenen Noten zu bemerken geglaubt, aber selten verfehlt, diese alsdann mit seinem vollen Namen zu bezeichnen, um vorkommenden Falles daran erinnert werden zu können – o, er ist entsetzlich vorsichtig zu Werke gegangen! Aber trotzdem beweist sich abermals die Wahrheit des sehr richtigen Satzes, daß es leicht ist, Banknoten täuschend nachzuahmen, aber sehr schwer, sie ungefährdet in Umlauf zu bringen.

»Und nun zu unserem Schlußresumé: Herr von Rivola hat vor Jahren die Banknoten angefertigt, hat eine hinreichende Anzahl davon gedruckt, aber die Platten vor noch nicht langer Zeit zerstört, und auf diese Zusammenstellung habe ich Ursache, mir etwas einzubilden.«

Bei diesem letzten Gedanken öffnete er abermals die Schublade und nahm aus einem kleinen Schächtelchen etwas hervor, das er aufmerksam betrachtete, während er halblaut vor sich hinsprach: »Die Kupferplatten wurden zerschnitten, die Stücke im Kohlenfeuer des Ofens geschmolzen und dann wahrscheinlich nach allen vier Winden hin zerstreut, bis auf Eines – bis auf dieses hier, welches unbemerkt in der Asche blieb und von Welden gefunden wurde.

»Wenn alles das nicht Anzeichen genug sind, um die Hand nach dem Betreffenden auszustrecken, so weiß ich nicht, was man noch abwarten soll – und ist es nicht schauderhaft dabei, abzuhängen von einem Vorgesetzten, der vor dem Gedanken zurückschaudert, einen Freiherrn am Kragen zu nehmen? Als ob ein Freiherr nicht eben so gut ein Spitzbube sein könnte, wie jeder Andere! Es ist das wahrhaft trostlos; man hält alles das noch nicht für genügend, und ich soll abwarten, bis ich weitere, noch erschwerendere Umstände finde – nun, da können wir lange warten.«

Die Thür hatte sich langsam geöffnet, und der Aufwärter meldete Herrn Schmetterer.

»Ist er allein?«

»Nein, er hat einen Menschen bei sich, welcher wie der Diener eines guten Hauses aussieht.«

»So laß Beide eintreten,« sagte der Polizeirath rasch und mit einer sehr erheiterten Miene.

Gleich darauf erschien Herr Schmetterer und hinter ihm Jakob, einer der Diener des Herrn von Rivola. Letzterer machte ein einigermaßen verlegenes Gesicht, blieb an der Thür stehen und machte nur kleine, zögernde Schritte, als ihn der Andere ersuchte, sich dem Herrn Polizeirath zu nähern.

»Nun?« sagte dieser mit einem fragenden Blicke auf Schmetterer.

»Da habe ich den Herrn Jakob Veigel allerdings mitgebracht,« gab der Polizeiagent achselzuckend zur Antwort, »aber er versicherte mir auf der Treppe, keine tausend Pferde sollten im Stande sein, ihn von der Stelle zu ziehen, wenn er selbst nicht vorwärts gehe, oder ihn zu zwingen, ein Wort zu sagen, das er verschweigen wolle.«

»Darin hat Jakob Veigel ganz Recht,« sagte der Polizeirath in beistimmendem Tone. »Man muß Jedem die Freiheit des Handelns lassen, und freue ich mich deßhalb auch um so mehr, daß er freiwillig zu mir kommt.«

»Das kann man eigentlich nicht sagen,« sprach der Bediente in trotzigem Tone. »Ich bin nur mitgegangen, weil der da vor diesem Hause, als ich vorüberkam, gar zu familiär mit mir that und weil das gerade auf Unsereins kein vortheilhaftes Licht wirft – nichts für ungut, aber ich habe mit der Polizei nicht gern zu schaffen.«

»Es ist eigenthümlich,« meinte Herr Merkel lächelnd, »welches Vorurtheil man im Allgemeinen gegen uns hat, höchst eigenthümlich; doch wollen wir darüber nicht reden. Es handelt sich nur, glaube ich, um eine Äußerung, welche Herr Veigel gethan und die meinen guten Bekannten, den Herrn von Rivola betrifft.«

»Ich wüßte mich keiner meiner Äußerungen zu entsinnen, die wichtig genug wäre, um hier davon zu reden.«

Der Polizeirath warf einen raschen, bezeichnenden Blick auf Schmetterer, der ihn auffing wie ein geschickter Ballschläger den Ball, und sogleich sagte: »Der Herr Polizeirath meint die Äußerung, welche Sie vorgestern im Blauen Karpfen gethan, als Sie nämlich sagten – ich muß Ihre eigenen Worte gebrauchen –: Mein Herr, der Baron, ist ein Hexenmeister, oder er muß einen Dukatenmacher im Hause haben, denn kein Mensch weiß, wo das viele, viele Geld herkommt, das er ausgibt.«

»Wenn ich das gesagt habe, so habe ich es im Rausche gethan. Ich weiß ganz genau, daß der gnädige Herr seine Einnahmen aus Belgien bezieht, von den großen Eisenwerken, die er dort noch besitzt.«

»Wer weiß das nicht!« stimmte der Polizeirath bei. »Der Herr Baron bezieht sein Geld allerdings aus seinen Fabriken in Belgien durch die hiesige Bank, wo ich ihn schon mehrmals große Summen erheben und mit nach Hause nehmen sah, meistens Fünfhunderter- und Tausender-Scheine.«

»Ja, ja, so ist es, die gibt er meistens aus und hat mehr davon,« setzte er mit einem verächtlichen Blicke auf den Polizeirath hinzu, »als sich mancher arme Teufel träumen läßt.«

»Davon bin ich überzeugt,« meinte Herr Merkel in mildem und etwas gleichgültigem Tone. »Ein Herr, der so große Ausgaben hat, wie der Herr von Rivola, ist genöthigt, immer viel Geld in seinem Hause zu haben, und das, obgleich er draußen auf dem Lande wohnt, ohne alle Gefahr, denn so viel ich weiß, hat Herr von Rivola einen äußerst festen Geldschrank.«

»Das gerade nicht,« warf der Polizeiagent rasch ein. »Deßhalb machte ich dem Herrn Veigel auch gelinde Vorwürfe, daß er von solchen Dingen im Wirthshause spräche. Er will mir freilich nicht glauben, und ich bitte Sie, ihm zu bestätigen, daß es sehr unvorsichtig ist, vor fremden Menschen darüber zu plaudern, wie er gethan; sein Herr verwahre die Banknoten einfach in seinem Schreibtische in einer rothen Mappe.«

»Nun ja,« erwiederte Herr Merkel, »was man so an kleinem Gelde für den täglichen Bedarf braucht – nicht wahr, Herr Veigel?«

Da dieser die Zähne auf einander biß und, statt zu antworten, zum Fenster hinausschaute, so sagte Herr Schmetterer für ihn: »Nein, nein, er sprach von einem solchen Paket der größten Banknoten« – hier zeigte er die Dicke des Pakets durch die Entfernung seiner beiden Hände von einander an – »ja, er sagte zu dem Reitknechte des Grafen von Heckeren in geringschätzendem Tone: Was thue ich mit dem Reichthum deines Herrn, ein paarmal Hunderttausend Gulden? Viermal so viel hat mein Herr in seiner großen, rothen Brieftasche immer vorräthig!«

»Sehen Sie, wie das unvorsichtig war!« sagte der Polizeirath mit aufgehobenem Zeigefinger. »Wenn man einsam auf dem Lande wohnt, muß man im Wirthshause nicht solche Dinge erzählen, das heißt, wenn Sie das wirklich erzählt haben.«

»Ja, ich habe es erzählt, warum soll ich es läugnen – der Reitknecht des Grafen Heckeren neckte mich und meinte, mit dem Reichthume meines Herrn könne es über Nacht einmal ein Ende nehmen, und da sagte ich ihm allerdings, mein Herr hätte im Schreibtische in seiner rothen Brieftasche gewöhnlich viermal so viel Banknoten liegen, als sein Herr besäße.«

Der Polizeirath nickte langsam mit dem Kopfe und versetzte dann in sehr gleichgültigem Tone: »Nun ja; Sie sagten das, wie man so was sagt, um Jemanden abzutrumpfen.«

»Nein, ich sagte es, weil es die Wahrheit ist!« antwortete der Bediente in barschem Tone und setzte mit einem giftigen Blicke hinzu: »Hätte ich freilich gewußt, daß man sogar im Wirthshause belauscht wird und dadurch Ungelegenheiten bekommen kann, so hätte ich gewiß mein Maul gehalten!«

Der Polizeirath lehnte sich in seinen Sessel zurück, faltete die Hände und sagte, indem er seine Daumen um einander herumspazieren ließ: »Im Grunde genommen, Schmetterer, hätten Sie Herrn Veigel nicht zu mir heraufbemühen sollen; doch ich weiß wohl, Sie thaten das ja nur, weil ich Ihnen sagte, Herr Veigel könnte mir einen Brief an Herrn von Rivola besorgen.«

»Davon sagte er nichts, sonst wäre ich wahrscheinlich bereitwilliger mitgegangen.«

»Vergeßlichkeit, Vergeßlichkeit!« drohte der Polizeirath mit aufgehobenem Zeigefinger gegen Herrn Schmetterer. »Doch hat das nichts zu bedeuten; Herr Veigel wird schon so freundlich sein und einen Brief an Herrn von Rivola mitnehmen. Lassen Sie uns allein, Schmetterer, rücken Sie aber vorher einen Stuhl für Herrn Veigel an den Schreibtisch.«

»O, bitte recht sehr, Herr Polizeirath, ich kann ganz gut stehen!«

»Nein, nein, setzen Sie sich nur daher; ich habe Sie vielleicht noch etwas zu fragen, und muß meine Brust eines Katarrhs wegen noch ein wenig schonen – setzen Sie sich immerhin, Herr Veigel.«

Schmetterer that auf's pünktlichste, wie ihm befohlen, brachte einen Stuhl so nahe an den Schreibtisch des Herrn Merkel, daß der Bediente seinen Arm hätte darauf stützen können, was er aber nicht that – im Gegentheil, er rückte, als ein gut gezogener Diener, den Stuhl wieder etwas ab und sogar mit einer kleinen Wendung in's Zimmer hinein, um durchaus nicht auf's Papier zu sehen, während der Polizeirath schrieb.

Ehe sich aber Jakob Veigel gesetzt hatte, ja, während er mit einem finsteren Blicke dem davongehenden Polizeiagenten nachschaute, hatte sich Herr Merkel gebückt, um etwas vom Boden aufzuheben, so sah es wenigstens aus; in Wahrheit aber hatte er etwas so auf den Boden gelegt, daß es dem Bedienten in die Augen fallen mußte, sobald sich dieser gesetzt.

Und dann fing der Polizeirath an zu schreiben, blickte aber, während seine Feder über das Papier flog, mit einer kaum merklichen Drehung seiner Augen auf alle Bewegungen des neben ihm Sitzenden, ja, mit der Achtsamkeit eines Anglers, der die Schnur in der gleichen Sekunde emporschnellen will, in welcher der Fisch angebissen. Der Fisch aber war Jakob Veigel, und der Köder lag vor ihm auf dem Boden.

Eine Zeit lang zwar schien er ihn durchaus nicht zu bemerken; er blickte an die Decke empor, dann zum Fenster hinaus, an sich hinunter auf seine schwarzsammtnen Beinkleider, von denen er ein kleines Stäubchen wegknipste, dann rückte er an der Schnalle seiner Gamaschen, beschaute den unteren Theil seiner Schuhe, die bei dem feuchten Wetter etwas schmutzig geworden waren, dann starrte er vor sich auf den Boden und bemerkte endlich den Köder, welchen ihm der Polizeirath hingeworfen.

Es mußte dieser Köder einige Anziehungskraft auf ihn ausüben; das sah Herr Merkel mit einer Bewegung, welche zu verbergen er sich die größte Mühe gab; das Einzige, was er that, war, daß er das Geschriebene zu überlesen schien, dabei aber zu seiner Befriedigung sah, daß der Bediente etwas vom Boden aufhob, es betrachtete und dann in seine Westentasche stecken wollte.

Hierin kam ihm aber Herr Merkel mit der ganz unbefangen klingenden Frage zuvor: »Ließen Sie etwas fallen, Herr Veigel?«

»O ja, aber etwas Unbedeutendes; es muß mir aus der Tasche gerollt sein, ist aber von durchaus keinem Werthe.« Dabei hielt er ihm zwischen seinen Fingerspitzen den kleinen Kupfertropfen entgegen, den der Polizeirath vorhin auf den Boden gelegt hatte, worauf dieser fragte:

»Haben Sie das in der That fallen lassen?«

»Ich denke so, denn ich hatte etwas Ähnliches in der Westentasche.«

»Seltsam – und ich meinte gerade, dieses Stückchen Kupfer auf meinem Schreibtische gehabt zu haben, ehe Sie eintraten.«

Der Bediente griff in seine Westentasche mit einem Lächeln der Überzeugung, welches aber mit Einem Male nachließ, als er nun ein anderes, ganz ähnliches Klümpchen hervorbrachte.

»Sehen Sie wohl, mein lieber Herr Veigel, daß Sie mir beinahe mein Eigenthum genommen hätten!«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung!«

»Unnöthig, unnöthig, mein lieber Freund; es ist das nicht der Mühe werth, und wenn es Ihnen Vergnügen macht, so stecken Sie dieses noch zu dem Ihrigen – ich glaube so beinahe, daß beide aus derselben Quelle kommen.« Er sagte das mit der größten Unbefangenheit, während er wieder fortfuhr, zu schreiben. »Ihr Herr war vor einigen Tagen bei mir, er zeigte mir den Unterschied der Metalle auf einem Probirsteine, und hat alsdann das Ding da auf meinem Schreibtische liegen lassen.«

»Ja, ja, so wird es sein, Herr Polizeirath, denn der gnädige Herr hat öfters solche Kügelchen im Sacke; er wirft damit bald nach den Fischen im Wasser, bald nach den Vögeln im Gebüsche; neulich hob ich eines aus Neugierde auf und steckte es zu mir – sehen Sie, es ist fast das gleiche, nur ist das meinige ein wenig größer.«

»In der That, Sie haben Recht – eine Spielerei – so, und mein Brief ist fertig, ich will ihn nur noch in den Umschlag stecken und überschreiben.«

Die Zeilen aber, welche der Polizeirath geschrieben, lauteten: »Mein verehrter Herr Baron! Die bewußte Angelegenheit scheint mir doch nicht so schlimm zu sein, als wir Beide geglaubt. Gestatten Sie mir, daß ich Sie in den nächsten Tagen besuche, um nochmals Ihren so höchst schätzbaren Rath und Ihre Kenntnisse in Anspruch zu nehmen. Mit aller Hochachtung Ihr ganz ergebenster Diener Joseph Merkel.«

Dann versiegelte er den Umschlag, überschrieb ihn, und als er ihn dem Diener des Herrn Barons von Rivola übergab, sagte er ihm in wohlmeinendem Tone: »Und nun wiederhole ich noch einmal, Herr Veigel, seien Sie in Ihren Äußerungen vorsichtig – vergessen Sie nicht, daß Sie draußen auf Eichenwald im Ganzen doch ziemlich abgelegen wohnen, und zürnen Sie diesem guten Schmetterer nicht, der es wahrhaftig nicht übel gemeint hat – hier ist der Brief, und bitte ich nur noch, dem Herrn Baron meine besten Empfehlungen auszurichten.«

Der Bediente verließ das Zimmer mit einer tiefen Verbeugung, und als sich die Thür hinter ihm geschlossen, richtete sich der Polizeirath hoch auf, strich sich mit einem triumphirenden Lächeln über die Stirn und sagte: »Jetzt bin ich doch neugierig, ob Seine Excellenz abermals sagen wird: Merkel, Sie sind toll geworden!?«

Er klingelte, und als der Aufwärter erschien, befahl er ihm, Herrn Schmetterer zu senden, der auch alsbald mit einem stillvergnügten Lächeln auf den Zügen eintrat.

»Ich glaube, wir nähern uns dem Ziele,« sagte Herr Merkel, »aber um so schärfer und sorgfältiger müssen wir alle unsere Fäden anspannen und in der Hand behalten. Sind Sie Ihrer Leute, welche Sie in das Rivola'sche Haus gebracht haben, auch vollkommen sicher?«

»So sicher, als wenn ich mich selbst dort befände – die Tochter eines meiner besten Agenten und selbst eine vortreffliche Person ist ohne alles Aufsehen als Aushelferin in der Küche angenommen, Stadler bei dem Gärtner untergebracht worden, und Bangart, den ich selbst hierzu vorgeschlagen, wohnt in dem kleinen Bauernhäuschen zehn Minuten oberhalb Eichenwald, von wo er im Stande ist, jede ankommende und abgehende Person zu beaufsichtigen; er hat ein gutes Pferd bei sich und ist der Mann dazu, bei der geringsten Meldung, welche ihm von einer der beiden oben erwähnten Personen gemacht wird, ohne Weiteres nach den erhaltenen Anweisungen rücksichtslos einzuschreiten.«

»Gut, mehr kann man nicht thun, und doch zittre ich förmlich bei dem Gedanken, daß irgend ein Ungefähr uns diese kostbare Beute aus den Händen reißen möge – wir haben es da mit einem verflucht schlauen Herrn zu thun.«

»Würden Sie es ungnädig nehmen, Herr Polizeirath, wenn ich mir die Bemerkung erlaubte, warum denn Sie selbst bis morgen oder übermorgen warten, anstatt heute vorzugehen?«

»Weil – weil – nun, ich brauche in dieser Sache vor Ihnen kein Geheimniß zu haben . . .«

»In keiner Sache, Herr Polizeirath.«

»Ich weiß, ich weiß – weil also mir von oben herab Winke gegeben wurden, die Sache mit der größtmöglichsten Schonung anzugreifen! Sie werden das verstehen: wollte ich heute handeln, so müßte ich es ohne Befehl thun, ganz auf meine eigene Verantwortung – ja, schlimmer noch: man hat mir sogar befohlen, erst dann energisch vorzugehen, nachdem man Seine Majestät von der Geschichte in Kenntniß gesetzt habe, und das zu thun, zögert mein verehrter Chef von einem Tage zum anderen – begreife es auch vollkommen; man steckt den nicht gern in's Gefängniß, mit welchem man am Abend vorher vielleicht eine Partie Whist gespielt. Deßhalb können wir, die wir uns auf Vorposten befinden, nicht vorsichtig und verschwiegen genug sein. Haben Sie Ihre Befehle für einen plötzlichen, wirksamen Überfall genau gegeben?«

»Ganz genau; ohne Stadler würde es übrigens nicht zu machen sein, und auch der muß sich vielleicht von der Küche aus unterstützen lassen; das große Gitterthor des Gartens an der Straße nach der Stadt wird sorgfältiger als je verschlossen, ebenso das kleine Thor bei den Stallungen, und müssen wir, um ungehindert sofort bis in's Haus dringen zu können, auf beiden Seiten zugleich den Angriff machen. Das ist aber alles bestens besorgt, darüber können Sie sich beruhigen, Herr Polizeirath.«

»Gut – und Sie haben für die nothwendige Verbindung zwischen hier und Eichenwald und dem kleinen Bauernhause gesorgt, daß Sie zu jeder Stunde des Tages, ja, sogar Nachts Ihre Leute zu allarmiren im Stande sind?«

»Gewiß, Bangart hat den Befehl, täglich viermal an die alte Thurmruine auf der Höhe vor der Stadt zu gehen; dort ist ein Stein, unter dem er im Falle seine Instruktion findet.«

»Versichern Sie sich nochmals der Wachsamkeit Ihrer Leute, es muß in den nächsten Tagen etwas geschehen, und um das zu betreiben, habe ich einen wichtigen Gang zu thun – in einer Stunde finden Sie mich wieder hier.«


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